Immer über die Kimm

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Er erhob sich und versuchte zwischen den Backen, Tischen, breitbeinig das Schott zu erreichen, sich an den Handläufen über den Flur zu seiner Kammer zu ziehen und nach der Flasche zu schauen.

„Denk an den Eimer, Blacky. Und wenn es ruhiger wird hab ich schöne Arbeit für dich. Deine Nutten haben mich ordentlich gekostet.“

Der Orkan hielt penetrant an. Nach einer Woche nahm er sogar noch an Stärke und Vitalität zu. Immer wieder musste die Maschine auf Halbe Fahrt gedrosselt werden, um die Geschwindigkeit zu bremsen, bevor der Bug gegen einen Kawendsmann rannte. Mehr Fahrt konnte nicht heruntergenommen werden, um das Schiff steuerfähig zu halten. Der Alte blieb tagelang auf der Brücke, lebte von pechschwarzem Kaffee und bediente dann den Maschinentelegrafen höchstpersönlich. Nach ein paar Stunden Schlaf, manchmal im Kartenraum, war er wieder auf Posten. In der Maschine tat es ihm der Chief nach.

„Ein richtiger Ansturm und wir sind weg,“ raunte der Dritte Bernd ins Ohr, als der Rudergänger zur Probe machen durfte und sich als Gefechtsrudergänger bewährte. Das Schiff scherte nach jedem größeren Treffer zur Seite. Mal nach Backbord, dann nach Steuerbord. Um es wieder einigermaßen auf Kurs zu bringen, musste Bernd das Ruder wirbeln, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Hartruder, immer Hartruder. Der Eimer, den er an die Steuersäule gebunden hatte, damit er da blieb, blieb leer, wie sein Magen und wie seine Galle, wo immer die herkommen mochte.

Es ging so drei Wochen weiter und wollte kein Ende nehmen. Bernd hatte zu kotzen, was mit Kotzen kaum noch etwas zu tun hatte, mit Würgen und Röcheln, aufgehört, weil es einfach zu anstrengend geworden war und betrachtete sich vorsichtig beurteilend, alsbald als seefest.

„Ich bin jetzt seefest,“ sagte er zu Norbert.

„Wird auch Zeit. Eine Zumutung, dir immer zusehen zu müssen. Auf dem nächsten Dampfer fängst du erneut an. Alle Dampfer bewegen sich anders.“

Drei Wochen. Ausguck. Abwechselnd an Back-, dann an Steuerbord, wo es heftiger blies und man zu mehr Wasser kam. Fernglas wischen und voraus und zwanzig Grad zur Seite durch das Ding starren. Mit Rändern um die Augen. In die Brücke brüllen, wenn man was entdeckt hatte, was höher als die anderen Berge war und dann nach Halt für die Finger suchen. Dann fuhren sie in die Irische See ein und es wurde rasch ruhiger.

Liverpool war der Löschhafen. Zwei Schlepper kamen, das Schiff in eine enge Schleuse zu bugsieren, in der rechts und links neben der Bordwand nicht mehr Platz als ein halber Meter war und sie Schwierigkeiten hatten, die Fender in den Schlitz zu pressen und zu halten. Dann kam Birkenhead in Sicht und bestand aus Nebel, Rost, Schrott, Kohlenstaub, verrosteten Kränen und Abfall zwischen Ruinen, die Lagerhallen gewesen sein mochten. Sie machten fest, hängten die Stellagen für die Arbeit des nächsten Tages außenbords und kehrten in einer Hafenkneipe ein, wo sie auf einen besoffenen Engländer stießen, der zahllose Drinks ausgab, da er Geburtstag hatte und der sie abfüllte, so dass sie nicht mehr rekollektieren konnten, am nächsten Morgen, wie sie wieder an Bord gekommen waren. Norbert fand Bernd eingerollt in dem Läufer vor seiner Koje, weil er, wie er meinte, seine Koje nicht auffinden konnte, da er nicht mehr zu sehen vermochte.

Am Mittag wurde Bernd zum Kapitän in den Salon bestellt, der ihm die Hand schüttelte und feierlich sagte :

“ Herr Meyer, sie sind jetzt Jungmann. Gratuliere. Sie werden es weit bringen.“ „Ich bin jetzt Jungmann, Timmy. Ich werde es weit bringen. Ich bin gerade befördert worden.“

„Scheiße auch,“ sagte Timmy missmutig die überbreite Farbrolle in den Farbeimer bugsierend. Scheiße auch, befördert. Du bist jetzt Jungmann, weil du jetzt ein Jahr zur See gefahren bist. Alle werden Jungmann wenn sie ein Jahr Seefahrt hinter sich haben. Und weit bringen wirst du es bis zur nächsten Kneipe.“

„Jungmann, ich bin befördert worden, Norbert.“

„Ich weiß. Der Bootsmann hat es schon verkündet. Als Jungmann bist du der letzte Arsch. In der Mannschaft. Sieh mich an. Ich bin Leichtmatrose. Ich bin eine Persönlichkeit.“

„Du bist ein Arschloch, Norbert. Du bist ein Quartalsäufer.“

„Man muß solange saufen, wie es was zum Saufen gibt. Wozu sollte ich sonst am Leben bleiben. Du verdienst jetzt mehr. Du kriegst jetzt neunzig Mark im Monat. Jeden Monat. Dreißig Mark mehr. Du denkst du kannst dir jetzt was leisten? Ich verdiene hundertachtzig Mark im Monat. Jeden Monat. Gegen dich bin ich Großverdiener. Du gehörst immer noch dem Prekariatspöbel an.“

Die nächste Nacht soffen sie in einem Club in Liverpool, an dessen Eingangstür sie sich in eine Liste eintragen mussten, um Clubmitglieder zu werden, bevor sie eingelassen werden konnten. Zum Bumsen gab es nichts, aber dafür war es in den Plüschmöbeln sehr gemütlich. In der Nacht, auf dem Heimweg nach Birkenhead wurden sie von einer Bande verfolgt, die Fahrradketten schwang und Rasiermesser im Mondschein blinken ließ. Sie rannten und versteckten sich hinter Schuttcontainern, von denen das sehr sparsam beleuchtete Hafengelände übersäht war. Aber die Bande wollte nicht aufgeben und unbedingt einen, besser zwei Deutsche abmurksen und war sehr penetrant in der Verfolgung. Norbert und Bernd tauchten in Hallen unter, stiegen rostige Leitern zu Podesten hoch, krochen hinter rostige Kessel und unter Schutthalden. Sie kamen immer wieder ran. Und es waren mehr als sieben, weil aus anderen Ecken auch welche kamen und anders aussahen, als die sieben, die Norbert und Bernd seit dem Eingang zum Hafengelände hetzten. Sie begannen zu zweifeln, ob das rettende Schiff jemals erreicht werden konnte. Aber dann machten die Verfolger einen taktischen Fehler und sie konnten durch die Häscher durchbrechen und im Spurt, mittlerweile sehr nüchtern und leistungsfähig, den fehlenden Kilometer zum Schiff zurücklegen und vor der Gangway die rostigen Eisenstangen wegschmeißen, die sie unterwegs aufgelesen hatten.

Am nächsten Tag war das Schiff leer und verholte nach Liverpool in das Trockendock, wo die gigantische Schraube gewechselt und ein Bodenanstrich aufgetragen werden sollte.

Die Sauferei in den Hafenkneipen brachte keine weibliche Bekanntschaft und niemand kam zum Stich. Nach vier Tagen in der Werft dockten sie aus und begaben sich auf den Weg nach Venezuela in den immer noch, oder bereits wieder, sturmumtosten Nordatlantik, der sie mit Wucht und Ausdauer empfing und begleitete. Der Eimer schaukelte heftiger als in dem Orkan der Nordfahrt, aber es war weit weniger gefährlich, da das Schiff in Ballast fuhr und kein bleischweres Erz tief unten in den Räumen die Stabilität des Schiffes bedrohte, das auf vielen anderen Erzfrachtern die spontane Versenkung verursacht hatte. In Ballast war noch kein Erzfrachter in der Mitte auseinander gebrochen. Davon hatte man noch nicht gehört.

„Aber umgekippt,“ sagte der Dritte auf Wache umgänglich. “Aber kentern tun diese Kästen.“

Die See begann sich bei Aufgang der Sonne ein paar Strich an Backbord achteraus ocker einzutrüben und kündigte den bekannten Anlauf in das Orinoco Delta an. Bernd stand auf Ausguckwache in der Backbordnock und schaute voraus durch das Glas auf einen brennenden Tanker, kaum über der Kimm, auf dessen Deck Leute umherrannten.

„Brennender Tanker ein Strich Steuerbord voraus,“ rief er in die Brücke und der Dritte schaltete das Radar ein. Eine Regenbö zog am Horizont daher und begann das Geschehen zu verdecken.

„Kann nicht sein,“ rief der Dritte aus dem Ruderhaus. „Radar zeigt nichts an. Garnichts.“

„Hab ich deutlich im Glas gehabt. Ist jetzt hinter dem Regenschleier verdeckt,“ sagte Bernd zu dem Dritten, der gekommen war, durch sein eigenes Glas zu beobachten, „brennender Tanker. Ich hab rennende Leute an Deck gesehen.“ „Stück Scheiße wirst du gesehen haben. Wahrscheinlich Sonnenspiegelung. Die geht ja gerade schön hell auf.“

„Aber hinter uns.“

„Vielleicht hat sie sich im Wasser gespiegelt. So was soll vorkommen.“ Der Dritte sah Bernd scharf an. „Kommt vor. Aber selten.“

Aber Bernd bestand auf seiner Beobachtung und hatte deutlich Leute an Deck herumrennen gesehen.

Schon kurz nach Einlaufen in den Orinoco, etwa dreissig Meilen stromaufwärts, verdüsterte sich der Himmel und unter Rauschen kamen alle Schmetterlinge und Falter, die die Mannschaft je auf dem Planeten vermuten würde aus den Urwäldern zu beiden Ufern und liessen sich gemächlich flatternd überall auf dem Schiff nieder. Es musste die Fahrt gedrosselt werden, weil die Sicht zu schlecht wurde. Die Wachablösung watete bis zu den Gürteln durch eine kompakte Schmetterlingsmasse, die das gesamte Schiff bis zu einem Meter dick bedeckte und zertrat auf ihrem Weg nach Mittschiffs Millionen zu Brei, auf dem die abgelöste Wache ausrutschte, hinschlug und schlitterte. Eine ungeheure Biomasse, die noch beständig weiteren Zulauf aus dem Urwald erhielt.

Der Ausguck konnte nichts mehr erkennen. Es war kaum noch atmen möglich Wem flüchten erlaubt war, der flüchtete unter Deck. Aber auch dort waren sie bereits versammelt und erhielten Verstärkung durch Bullaugen und offene Schotts.

„Das ist die Hölle,“ fluchte Norbert, rutschte aus und schlitterte auf dem Bauch unter der Schmetterlingsmasse über das Hauptdeck, um prustend und spuckend wieder aufzutauchen. „Das ist die Hölle. Die werden uns ersticken und auffressen.“

„Schmetterlinge saugen,“ belehrte Bernd.

„Die werden uns ersticken und aufsaugen,“ verbesserte sich Norbert. „So viel Leben hätte ich nicht auf der Erde vermutet.“

Es war ein ungeheures, unvergessliches Naturereignis. Riesengrosse, buntschillernde wunderschöne Falter und Schmetterlinge, überall und übereinander landend und kriechend. Zehn, zwanzig Schichten hoch. Den ganzen Raum bis in die Baumwipfel ausfüllend, stundenlang verweilend und dann plötzlich wieder verschwunden.

 

„Sie sind in den Urwald heimgekehrt.“ Sagte der Bootsmann in der Messe und nahm einen Schluck Kaffee. „Seht zu, dass ihr das Deck von dem verbliebenen Leichenmus reinigt. Schmeißt das über Bord für die Fische. Und scheucht die Nachzügler unter Deck aus dem Schiff. Ich will das nicht mehr haben. Dieses Geflatter vor den Augen macht mich nervös.“

San Syphillis wurde erreicht und beide Anker geworfen. Zwei tapfere Leute sprangen ins Wasser und verblieben nur kurz.

„Wenn der Piranha kommt,“ lästerte Timmy, “werdet ihr wie Jesus über das Wasser rennen und rasch kürzer werden.“

„Wer weiß schon, was hier sonst noch so unter der Wasseroberfläche herumlungert,“ meinte Erwin, „man munkelt, dass hier Aale wohnen, die Starkstromschläge verteilen.“

Es kam ein Boot daher und nahm einige Willige an Land zum Bumsen in den Freudenhäusern im Urwald. Dann wurde an die Pier verholt, geladen und ausgelaufen. Ziel war Philadelphia.

Nach Philadelphia war es nicht so sehr weit. das Wetter war brilliant und die ganze Mannschaft wurde knusprig braunschwarz geröstet. Bei spiegelglatter See liefen sie den Delaware River an und dampften stromaufwärts. An Backbordseite reihten sich im Dreierpack unzählige Schlachtschiffe, Schwere Kreuzer und Flugzeugträger meilenweit dahin. Eine solche Armada hätte niemand für möglich gehalten und alle waren beeindruckt von der Macht der USA. Hier lag mehr Kriegsmaterial versammelt, als der Rest der Welt zusammengenommen aufzubieten in der Lage war. Als Trenton voraus in Sicht kam, wurden beide Buganker in den Strom geworfen und ein Ponton, von einem kleinen Schlepper manövriert, kam längsseit und nahm den Dritten auf, der sich von Timmy und Bernd begleiten liess, die die Drecksarbeit zu verrichten hatten. Proviant sollte acquiriert werden.

Der Ponton wurde am Ufer an anderen Pontons festgemacht, der Dritte verschwand auf der Suche nach dem Agenten und Timmy sagte, „warte mal hier.“ Und verschwand ebenfalls, um nach einer Stunde mit einem Kasten Bier wieder aufzutauchen. „Kann dauern. Bis der Dritte den Agenten findet und die Hafenkneipe verlässt. Prost.“

Nach der fünften Flasche Bier kam der Dritte über die anderen Pontons eher unsicheren Ganges daher, nuschelte, dass Saufen verboten war und nahm sich eine Flasche aus dem Kasten. „Kommt gleich der LKW. Prost.“

Zwei Stunden später sagte er, sich aufrichtend und umsehend, „da steht der LKW. Holt das Zeug raus und stapelt das alles auf diesem hier Ponton.“ Er griff in den Kasten und sagte zum Abschied, Prost.

„So ein Arschloch,“ murmelte Timmy, als er mit Bernd über die Pontons schwankte, „so ein Arschloch. Säuft meinen Kasten Bier aus und fasst noch nicht mal mit an. Ich wette, das sind alles Schweinehälften und Gemüsekisten.“

Es waren alles Schweinehälften und Gemüsekisten und Kartoffelsäcke und Timmy und Bernd mussten Pausen einlegen, sich von der Anstrengung des Transportes zu erholen und ein Bier mit dem Dritten zu trinken, der bald zu singen begann und nach dem zweiten Kasten fragte, nachdem der erste zur Neige gegangen war und der Schlepper erst am Abend wieder vorbeischauen würde.

Nach dem Löschen in Trenton ging es zurück nach Orinoco und San Syphillis, wo sie als Stammkunden in den Bordellen im Dschungel freudig begrüsst wurden und wo die Weiber alles fallen liessen und ihre sonstigen Tätigkeiten einstellten, die Mannschaft rasch zu bedienen, denn die hatte wenig Zeit und musste zurück auf das Schiff und dieses auslaufklar machen. Die Schmetterlinge waren ausgeblieben und stromab ging es rasch vonstatten, den Atlantik zu erreichen und Chivitavecchia in Italien anzusteuern, das bei kaum bewegter See ohne Zwischenfälle erreicht wurde.

Nach dem raschen Löschen verholte das Schiff an Dalben im Hafenbecken und gab die Frau des Kapitäns von Bord, die einen Tag zuvor an der Pier zugestiegen und in der Nacht überraschend verschieden war.

Von der zweihundert Meter entfernten Pier liess sich der italienische Bestatter von seinem Gehilfen längsseits an das Fallreep rudern und reichte einen hölzernen Sarg zum Deck hinauf, in den die Gemahlin des Kapitän gelegt und würdevoll von drei Matrosen und einem Leichtmatrosen über das Hauptdeck getragen wurde.

„Wir nehmen einen Stropp,“ sagte der Bootsmann mit gedämpfter Stimme sich der feierlichen Stimmung bewusst und schielte nach dem Kapitän, der abseits mit der Bibel in der Hand stand und traurig zuschaute. „Wir nehmen einen Stropp. Und fieren den Kasten über die Reling hinunter.“

Er lehnte sich über die Reling, um zu schauen, wo der Kasten über die Reling gefiert werden musste, das Boot unten zu treffen. „Eher kleines Dingi,“ sagte er mit Mißfallen in der Stimme, „hätten auch einen richtigen Kutter nehmen können. Müssen wir Obacht geben, dass das Ding nicht kentert. Und alles ins Wasser rutscht.“

„Werden keinen Kutter haben,“ gab Erwin überflüssigerweise von sich und machte den Stropp klar. „Sind halt Kanaker.“

Nachdem Erwin zwei halbe Schläge um den Handlauf der Reling gewickelt hatte, meldete er Fertig und der Bottsmann sagte :“Alle Mann anfassen, rüberwuchten und langsam fieren. Erwin, langsam fieren. Nicht fallen lassen.“ So schabte der Sarg die wohl sechs Meter bedächtig und ruckweise an der Bordwand hinunter und erreichte das lächerliche Boot, in dem der Bestatter zu zetern begann, weil die Ecke des Sarges seinen Lackschuh eindrückte und den Zeh quetschte, während der Alte andächtig und stumm von der Plattform des Fallreeps zuschaute und die Decksmannschaft an der Reling aufgereiht hinunterstarrte und verhalten grinste.

„Wird das Paddelboot versenken,“ grinste Norbert hinter vorgehaltener Hand, „Wird alles ins Hafenbecken rutschen und im Schlick verschwinden.“

„Halt die Fresse,“ flüsterte Bernd.

Unten mühte sich der Bestatter und der Gehilfe des Bestatters, den Sarg, wie auf der Herfahrt, am Heck des Bootes mittig zu lagern, wo er über das Heck kragen würde, so dass der Gehilfe, wie erprobt, auf der Ducht Platz nehmen und rudern konnte und der Bestatter pietätvoll am Bug zu weilen in der Lage sein würde. Aber dann schien diese Gewichtsverteilung zu riskant, da niemand wissen konnte, wo Kopf und wo Fuß der Leiche verteilt waren und ob das Auswirkungen auf die Gewichtsverteilung haben und den Sarg kippeln lassen würde, so dass er beim Rudern hintenüber rutschen und verloren gehen könnte.

Nach italienischem Palaver, das niemand an Deck verstand, einigten sich der Bestatter und der Gehilfe des Bestatters dahingehend, dass der Kasten mittig im Boot zu liegen kommen sollte, was hieß, dass er auf die Ducht zu lagern wäre, was nach Anhebung durch hilfreiche Hände an Deck schliesslich zur Zufriedenheit gelang. Jetzt aber stellte der Gehilfe des Bestatters fest, dass er nicht mehr in der Lage sein würde, das Boot mit Rudern zu bewegen und an die Pier zu bugsieren, so dass beide Italiener ratlos und reglos, das Boot nicht zum Schaukeln zu verleiten, unten standen und der Bestatter seinen Hut lüftete und sich mit dem frischen Taschentuch aus der Brusttasche der schwarzen Anzugjacke über die Glatze wischte, den Schweiß zu entfernen.

Nach einer Weile und unter begleitendem Geschnatter kamen sie zu der Erkenntnis, dass sie nun beide zu paddeln hatten, was dem Bestatter sichtlich unangenehm war; aber dann ging es doch noch und das Boot erreichte wohlbehalten und auf ebenem Kiel die Pier, die einmeterfünfzig höher lag und neue Probleme aufwarf, die zuvor übersehen worden waren.

„Meine Fresse.“ grinste Timmy hinter vorgehaltener Hand, kaum noch in der Lage, schallendes Lachen zurückzudrängen, „schau dir diese Komiker an. Die Arschlöcher kriegen den Sarg nicht auf die Pier. Ich seh die Kiste schon das Boot versenken und die Itaker ertränken.“

„Mir tut der Alte leid,“ flüsterte der Bootsmann, der daneben stand. „So eine Tragödie. Dass die Familie so ein tragisches Ende nehmen musste. Eine Nacht an Bord und schon tot. Ich frage mich, ob er sie noch gefickt hat. Wo er doch nie zu den Nutten geht. Und dann so eine erbärmliche Beerdigung.“

An der Pier mühte sich zwischenzeitlich der Bestatter und der Gehilfe des Bestatters weiter, den Sarg auf die Pier zu wuchten, scheiterten jedoch an dem Gewicht und dem schaukelnden Boot, so dass sie nach kurzer Bedenkzeit auf die Idee verfielen, den Sarg im Boot Hochkant aufzurichten, so dass der Gehilfe des Bestatters die Pier erklimmen und von festem Grund unter den Füssen die Kiste in die Waagerechte anhebeln und auf die Pier zerren konnte, wobei der Bestatter seinen Hut verlor, der im Hafenbecken abtrieb und sichtlich erleichtert die Sprossen der Pierleiter hochstieg, um von dieser abschiednehmend, dem Schiff zuzuwinken und eiligst mit dem Leichenwagen zu verschwinden.

„Und so zerknüllt zur letzten Ruhe,“ bemerkte der Bootsmann traurig, „auf dem Kopf stehend.“

„Sie werden sie schon noch wieder herrichten. Bevor sie ins Loch kommt.“ Sagte Erwin und grinste breit. „Sicherlich werden sie sie bügeln.“

Zwei Wochen lang, der Atlantik war längst erreicht und Kurs auf Ordaz genommen, erschien der Alte um punkt zehn Uhr morgens auf Steuerbord Hauptdeck mit aufgeschlagener Bibel in der Hand und begab sich vierzig Schritte nach achtern, drehte und ging vierzig Schritte entlang der Reling nach vorn. Das ging jeweils bis elf Uhr morgens, also eine Stunde lang und die Mannschaft begann zu wetten, dass das so bleiben würde.

„Brauchst du keine Uhr mehr,“ sagte Timmy, „Wandert er forsch, ist es zehn bis zehn Uhr dreissig. Sind Ermüdungserscheinungen erkenntlich, ist es zehn Uhr dreissig bis elf Uhr. Ist er weg, ist es nach elf Uhr oder vor zehn Uhr.“ „Macht mich völlig nervös,“ fluchte der Bootsmann, „man kann sich auf dem eigenen Schiff nicht mehr frei bewegen. Unentwegt muß man die Seite wechseln, ihm nicht unversehens in die Quere zu laufen.“

Aber die Sache nahm dann doch ein überraschend abruptes Ende. Mitten auf dem Atlantik blieb der Alte um zehn Uhr fünfundvierzig genau am Fallreep stehen, warf die Bibel in den Ozean und enterte freudestrahlend die Brücke, einen Witz zu verbreiten. Die Trauerzeit war beendet.

Der Atlantik war gnädig gestimmt und beliess es bei hoher Dünung, in der das im Ballast befindliche Schiff stark schlingerte und kragte. Dem Bootsmann fiel die Geschichte mit Vitoria wieder ein, als er sich in seiner Kammer besoff und Bernd wurde instruiert, das Kabelgatt aufzuräumen, um hernach die Farblast zu sortieren. Das dauerte. Aber dann besann der Erste sich und verfügte Bootsrolle, zu ermitteln, ob die Boote vielleicht an den Lagern oder den Schwerkraftdavits festgerostet waren, oder die Davits möglicherweise nicht funktionierten. Auch war zu schauen, ob die Schwimmwesten noch vorhanden sein und ob sie für alle reichen würden. Ein Boot wurde ausgeschwenkt und dann wieder eingeschwenkt. Wo schon die Rollen exerziert wurden, durfte die Feuerrolle nicht fehlen. Nach Sirenenalarm tobte die Deckmannschaft über das Hauptdeck, rollte die Feuerschläuche aus, brüllte in den Niedergang des Maschinenraums, Wasser los und fragte den Ersten, wo es denn brennen würde oder sollte.

Nach kurzer, konzentrierter Überlegung wies der Erste Offizier mit ausgestreckter rechter Hand auf die Mittschiffsaufbauten und brüllte, „Feuer im Saloon des Alten.“

„Feuer im Saloon des Alten,“ brüllte der Bootsmann überflüssigerweise, aber korrekt nach der Feuerrolle und streckte seinen Arm nach Mittschiffs aus.

„Rollt die Deckschläuche wieder zusammen. Ein Mann zum Maschinenschott, Wasser abstellen.“

„Feuer im Saloon des Alten,“ brüllte der Erste. “Da werden nicht erst die Schläuche an Deck eingerollt, Bootsmann.“

„Feuer im Saloon des Alten,“ brüllte der Bootsmann und kam ins Krächzen, „später die Schläuche auf Deck einrollen. Nachdem das Feuer im Saloon des Alten gelöscht ist. Ein Mann zum Maschinenschott und ein Befehlsübermittler dazwischen. Wasser Stop.“

Zum Ersten gewandt sagte er leiser :“ Was brennt da eigentlich. Nur der Salon des Alten oder auch der Gang?“

„Woher soll ich das wissen,“ sagte der Erste mürrisch, “so lahm wie ihr das angeht, brennt mittlerweile auch der Gang.“

„Feuer im Salon des Alten,“ brüllte der Bootsmann über Deck,“ und der Gang brennt nunmehr auch. Tauchretter anlegen. Norbert, schaff den Tauchretter herbei. Mit Schlauch. Zwanzig Meter. Und Blasebalg.“

„So ein Arschloch,“ sagte verhalten Timmy,“ Als ob es auf diesem Kahn zwei Salons gäbe.“

„Was für ein verdammter Tauchretter,“ fragte Norbert. „Wo zum Teufel soll ich einen Tauchretter finden. Haben wir Tauchretter an Bord?“ „Er meint den Lufthelm,“ erklärte der Matrose Erwin, „das Ding aus Leder. Mit der Glasscheibe zum umherschauen. Liegt alles in der Leinentruhe im Kabelgatt. Wenn es nicht gestohlen worden ist. Vergiß den Blasebalg nicht.“

 

Nachdem Norbert mit der gesuchten Ausrüstung wieder achterkante Mittschiffs erschien und der Erste aufhörte, nervös von einem Fuß auf den anderen zu tippeln :“Jetzt brennt schon das ganze Mittschiffs,“ und Timmy grinsend meinte, “dann lohnt das Löschen ohnehin nicht mehr, setzen wir wieder das Boot aus, Und holen wir uns was zu fressen aus der Kombüse,“ brüllte der Alte aus der Brückennock an Steuerbord :“Jetzt brennt schon der ganze Mittschiffaufbau. Ihr versenkt mein Schiff.“

Aber dann ging es professionell zur Sache. Norbert wurde der Lederhelm über den Kopf gestülpt und am Hals zugeschnürt. Erwin übernahm breit grinsend den Blasebalg und versprach Norbert auf dessen Vormarsch zum Brandherd mit frischer Luft zu versorgen. „Wenn du richtig schreist, kann man das durch den Schlauch hören,“ sagte er und grinste noch breiter. „Aber nuscheln höre ich nicht.“

„Haben wir eigentlich keinen zweiten Helm?“ Fragte der Erste den Bootsmann, „wie sollen wir die Kommunikation mit dem Mann aufrechterhalten, wenn der im Qualm des Ganges außer Sicht kommt ?“

„Wenns qualmt,“ sagte der Bootsmann bedächtig, „sieht der noch nicht mal seine Finger. Wenn wir Befehlsübermittler einsetzen wollten, bräuchten wir auf zwanzig Meter Entfernung vom Brandherd einen Mann alle fünf Meter. Und dazu die Schlauchführer und die Blasebalgleute. da wäre das Personal rasch erschöpft.“

Das sah der Erste dann auch ein und brüllte zur Nock hoch, “Personalmangel, wenn wir genug Leute hätten, würden wir BÜs in den Gang schicken.“

Der Alte tippte sich an die Stirn und verschwand in der Brücke.

So krochen dann alle abwechselnd unter dem Lederhelm auf allen Vieren den Gang entlang und hofften, dass Erwin für ausreichend Luft sorgen würde, um unbeschadet den Rückzug anzutreten und wohlbehalten wieder das Deck zu erreichen. Der Brandherd konnte nicht ermittelt und bekämpft werden, weil es keinen Brandherd gab und weil der Bootsmann vergessen hatte, Wasser Marsch zu brüllen.

„Sie haben vergessen Wasser Marsch zu brüllen,“ tadelte der Erste den Bootsmann.

„Wollen sie ganz Mittschiffs unter Wasser setzen ?“ Verteidigte sich der Bootsmann.

„Immer schön flach auf dem Boden bleiben,“ instruierte der Kapitän Bernd, als dieser die Schuhe des Alten direkt vor seiner Nase entdeckt hatte und die mitgeführte Schlauchspritze jäh hochreckte. „Immer schön auf dem Boden bleiben. Auf den Brustwarzen kriechen. Dafür sind sie da. Dann versengt sie die Flamme nur unwesentlich und sie bleiben uns erhalten.“ Bernd nickte verstehend mit dem Kopf.

Ordaz wurde unter voller Fahrt mit zwölf Knoten den Orinoco hinauf in zwanzig Stunden erreicht, denn die Faltermassen blieben dieses Mal aus.

„Die Indianer werden sie gefressen haben,“ sinnierte Timmy.

„Fresst mehr Vierfruchtmarmelade,“ brüllte der Smutje in die Mannschaftsmesse, “dann haben wir leere Eimer, ein Kanu auf der Rückfahrt zu versenken.“

Baden traute sich niemand, man konnte ja nicht wissen, ob die Pyranhas in der Nähe weilten und die Zitteraale gute Laune hatten, überdies blieb wenig Zeit, wollte man noch die preiswerten Bordelle im Dschungel besuchen und rasch eine Nummer schieben und zuvor auch noch saufen, was nicht zu vernachlässigen war. Überdies war von der Schiffsleitung bekannt gegeben worden, dass in den braunen Fluten lange Aale lauerten, die mühelos die Ladung Strom produzieren konnten, die ein Seemann kaum überleben würde. So zogen also sechs Mann der Deckmannschaft und zwei Mann des Maschinenpersonals an Land und zwängten sich in einen VW Käfer, zusammen mit dem eingeborenen Fahrer und bretterten über die Schlaglöcher der gewunden durch den Urwald führenden Sandpiste, wobei der Mann auf dem Dach den Halt verlor und verloren ging, während die Mehrzahl wohlgemut und bester Stimmung in dem ersten Bordell ankam und mit Biersaufen begann, hernach in gehobener Stimmung und mit Liedern auf den Lippen Bordell Nummer zwei und dann drei und vier aufzusuchen, um den verlorenen Mann viel später in Bordell Nummer eins wiederzufinden und dort die letzte Nummer zu schieben. Die Bräute waren, wie gewöhnlich nicht pingelig und fickten auch schon mal für das Oberhemd, wenn kein ausreichendes Kapital mehr in der Hosentasche zu finden war. San Syphillis war ein Seemannstraum und niemand bekam Syphillis und noch nicht mal ein Tripper wurde gemeldet, obschon die verhütende Tube mit der Paste nicht mehr verfügbar war, da die Last sich erschöpft hatte, wie der Dritte nicht müde wurde, zu erklären.

„Die Tuben sind jetzt alle. Lasst euch was anderes einfallen.“

Stromabwärts wurde die Einmündung des Rio Marconi noch rascher erreicht und nach achtzehn Stunden dampfte das Schiff in das Mündungsdelta und hinfort in die glatte, kaum durch Dünung bewegte Platte des Nordatlantik mit Kurs auf Port of Spain in Trinidad, wo es schwarzen Rum und Post gab, so jemand jemanden anderswo hatte, der mal schrieb. Dann Kurs nach Genua. An Bord wurde munter rund um die Uhr gesoffen, sowohl achtern, als auch Mittschiffs, und alle gelangten volltrunken irgendwie auf Brücke, Wache zu schieben und der Alte, ebenso voll, die ganze Reise, verbot Gesang am Ruder und stand eines Mittags in der Backbord Brückennock, fuchtelte mit der Kapitänspistole in der Luft umher, gab einen Schuß ab, damit alle an Deck aufmerksam wurden und brüllte aus Leibeskräften : „Das Gesetz bin ich und meine Pistole.“ Worauf er erschöpft nach hause torkelte und in seine Koje fiel. „Drei Mann auf einem Haufen ist Meuterei,“ brüllte der ebenfalls volltrunkene Bootsmann und hangelte sich an der McGregor Luke nach achtern, in seine Koje zu fallen :“Ihr habt gehört, was er gesagt hat.“

„Leck mich am Arsch,“ brüllte Erwin hinterher, „Feiern heute in meiner Kammer.“

In Genua ging der Erste Offizier von Bord und der neue Erste Offizier kam forsch die Gangway zum Deck hoch und verkündete, seinen Koffer absetzend : „Ich bin jetzt der neue Erste Offizier,“ damit auch alle verstanden, was er so meinte. Seine allererste Handlung war der Verschluß der Bierlast :

„Zwei Dosen Bier pro Mann pro Tag,“ ließ er verlauten, „täglich abzuholen vor der Bierlast. Das Saufen nimmt jetzt ein unverzügliches Ende.“ „Woher weiß der, dass wir saufen,“ fragte verständnislos Timmy in der Mannschaftsmesse, „wo er grad erst angekommen ist.“

„Wenn ich nicht mehr saufen darf, “sagte Norbert verzagt, „will ich hier nicht länger leben .“

„Du hast einen Vertrag, Norbert. Ein Jahr. Wir alle haben einen Vertrag. Daran fehlen noch fünf Monate,“ belehrte der Bootsmann.

So wurde es einstweilen nichts mit dem Abmustern und bald hatte der Mittelatlantik sie wieder. Rasmus tobte und ein Sturmtief jagte das nächste. Wie gewöhnlich waren die Strecktaue über Deck zu spannen, auch bei der Westfahrt in Ballast, aber Doppelausguck wurde nur bei voller Ladung angeordnet.

„Wenn der Schlurren in Ballast auseinanderknickt,“ sagte der Dritte auf Wache, „dann wollen wir ihn auch nicht mehr haben. Ein paar Orkane muß ein Schiff schon aushalten.“

„Wenn der Arsch von Erstem meint, dass man sich nicht von zwei Dosen Bier besaufen kann, irrt er.“ Sagte Norbert und ließ sich bei der nächsten Ausgabe der Marketenderwaren zehn Tafeln Schokolade aus dem Schapp reichen.

„Wir machen jetzt eine Saufparty. In unserer Kammer. Wer seine zwei Dosen Bier und einen Suppenteller mitbringt, kann zum Feiern kommen.“