Immer über die Kimm

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“Das ist unsere Mühle.“ Schrie plötzlich jemand durchdringend.

Alle glaubten an einen Scherz. Aber dann kam der Alte aus dem Flugplatzhaus und brüllte: „Alles aufsitzen. Das da ist unser Flugzeug.“

Wie auf Kommando sprangen alle mehr als achtzig Leute auf, hechteten über den Jägerzaun, fielen dabei teilweise auf die Fresse und rannten in einer Horde über die Grasnarbe und dann über die Betonpiste, denn niemand wollte am Mittelgang sitzen, wo es nichts zu sehen geben würde und jeder wollte an Bord, da alle pleite waren und es keinen Sinn machte, in Japan zu verbleiben, wenn man pleite war und keine Bars und Nutten mehr besuchen würde können. Das dieses Flugzeug zu klein war, alle Mann aufzunehmen, war jedermann bewusst. Wie eine Lawine wälzten sie sich die Treppe zur Flugzeugtür hoch, schleiften die Gepäckstücke hinter sich her und in der Tür erschien ein Mann in Khakiuniform, der der Pilot sein mochte und begann wild mit beiden Armen zu rudern und schließlich laut zu schreien, was niemand in dem allgemeinen Getöse verstehen konnte und was niemanden irritierte. Bernd war flink und gehörte zu den ersten, die die Leiter erreichen konnten und begann zu verstehen, was der fuchtelnde Mann mitzuteilen hatte, als er oben auf der Treppe ankam und von der schiebenden Masse in die Flugzeughülle katapultiert wurde. Zusammen mit dem Piloten, so er denn der Pilot wäre, was er sagte, dass er es sein würde.

„Das Flugzeug kippt hinten über,“ brüllte er aus Leibeskräften, “das Flugzeug wird hinten überkippen. Ihr müsst einzeln und nacheinander das Flugzeug betreten. Sonst kippt das Ding hinten über. Und fällt auf die Piste.“

Er hatte Recht und alle bemerkten, dass das Flugzeug hinten überkippte und auf der am Heck baumelnden Stange mit einem Ruck aufsaß. Aber nun war es eh geschehen und es gab keinen Grund, zu verweilen und die Zeit zu vertrödeln. Bernd stürzte auf einen Segeltuchstuhl an Steuerbord in der Mitte, knapp hinter den Schwingen zu und pflatschte sich hinein, sich krampfhaft an dem Rohrrahmen festzuklammern, damit er nicht in letzter Minute fortgeschwemmt werden würde, auf einem schlechteren Sitz zu landen. Harry kam neben ihm zu sitzen und bemerkte zu spät, dass er keinen Fensterplatz ergattert hatte. Aber es war nun zu spät und alle Plätze, alle Segeltuchstühle, die aussahen wie die Regiestühle der Filmemacher und die Regiestühle der Filmemacher waren, waren in Beschlag genommen.

„Ich werde dir erzählen, was unter uns vorbeihuscht,“ sagte Bernd zu Harry, „mach Platz, damit ich meinen Seesack unter den Stuhl schieben kann.“

Die Mannschaft, zwei Piloten und zwei geile Stewardessen, die nach achtern an die Wand der Pantry gedrückt waren, alles Deutsche und im Dienste der Lufthansa befindlich, bemühten sich mit der Flugplatzmannschaft, die zwei Mann stark war, das Flugzeug wieder ins Lot zu wippen, da man so nicht starten konnte, weil die Eisenstange am Heck die Piste aufreißen würde, was niemand haben wollte. Die Mannschaft wurde von dem Alten aufgefordert, Hilfe zu leisten, aber niemand hörte und alle hatten sich auf den Stühlen behaglich eingerichtet und die Flaschen begannen zu kreisen und die Stimmung wuchs. Es gelang den vereinten Kräften, das Flugzeug in die Waage zu schubsen und der eine Pilot stellte sich vorn auf und hielt eine kurze Ansprache, weil es keine

Lautsprecher gab, über die er aus seinem Flugzeugführerschapp heraus hätte kommunizieren können. Alle lauschten andächtig.

„Meine Herren,“ sagte er aufgeräumt, „eine kleine Vorstellung. Und eine Beschreibung unseres gemeinsamen Vorhabens.“

Er machte eine Pause und sammelte sich,“ Wir sind ein Flugzeug der Lufthansa und fungieren als Chartermaschine für die Rickmersen Reederei. Es ist unsere letzte Reise. Es ist die letzte Reise der Maschine, die in Hamburg außer Dienst gestellt und verschrottet werden wird. Wir sind von Australien. herbeigeflogen und fliegen jetzt gleich nach Hamburg. Die Maschine ist eine DC 3, hat aber vier Motoren, so dass alle beruhigt einer ruhigen Reise entgegensehen werden können.

Wir müssen Zwischenlandungen machen, um Treibstoff zu tanken, denn wir haben nicht viel Treibstoff an Bord. Die erste Zwischenlandung machen wir in Taipeh. Das liegt auf Formosa. Ich bitte zu beachten, dass wir keine Druckkabine haben. Das hier ist ein Transportflugzeug und Transportflugzeuge haben in der Regel keine Druckkabinen. Wenn der Druck auf den Ohren wächst, hilft schlucken.“

„Das hilft immer,“ brüllte jemand.

„Ich bitte um Ruhe, um meine Ausführungen rasch zu beenden. Der Druck auf den Ohren wächst aber nur, wenn wir uns im Sinkflug befinden. Nicht wenn wir uns im Steigflug befinden. Die Stewardessen werden gleich Papiertüten an jeden Passagier austeilen. Ich bitte nicht auf den Boden zu speien, sondern in die Tüten, die ausgewechselt werden, sobald sie voll sind. Wir haben ausreichend Tüten an Bord. Nunmehr bitte ich alle Passagiere, sich entspannt zurückzulehnen und die Stahlrahmen der Sitze fest zu fassen. Wir werden jetzt starten.“

Er blickte zufrieden über die Horde seiner Passagiere hinweg und die Stewardessen eilten mit den Papiertüten heran, sie zu verteilen.

„Wir hoffen in drei Tagen wohlbehalten Hamburg zu erreichen. Ich wünsche angenehmen Flug,“ setzte der Pilot hinzu und begab sich in das Cockpit, die Motoren anzulassen.

„Haben Flugzeuge eigentlich nicht immer Halteriemen oder so?“ Fragte Harry, „Haben wir keine Gurte oder so ?“

„Wozu,“ sagte Bernd, lehnte sich entspannt zurück und griff mit beiden Händen nach dem Stahlrohrrahmen, wie empfohlen.

Sie gewannen Höhe und der Pilot war so freundlich, dem allgemeinen Wunsch zu entsprechen und flog zunächst nach Nordosten, damit alle zum Abschied von den japanischen Inseln den Fuji Yama mit seiner Schneekappe sehen konnten, denn alle Welt wusste, dass wenn man beim Verlassen der Inseln den Fujiyama sah, kam man wieder. Und alle wollten unbedingt wiederkommen.

Es war heiß in dem Flugzeug und stickig. Alle zogen ihre Hemden aus und saßen in bester Stimmung auf ihren Segeltuchstühlen.

„Schroffe Felsen, Harry,“ sagte Bernd zu Harry erklärend,“ unter uns. Vielleicht fünf Kilometer unter uns. Wie bei dir zuhause.“

„Bei mir gibt es keine schroffen Felsen zuhause. Alles ist platt. Ich wohne in Wien.“

Dann wurde gesungen - Einmal dein Badewasser schlürfen, die Stewardessen wurden rot und verzogen sich in ihre achtern abschließende Pantry, Tee zu brühen. Alsbald wurde gespeist. Dreiecke aus pampigem Weißbrot ohne Rinde und mit einer Scheibe Käse dazwischen, wurden zu starkem Ostfriesentee gereicht. Die Papiertüten wurden zurückgegeben und sauber aufgestapelt, da niemand kotzen wollte und auch kein Grund zum Kotzen bestand. Das Flugwetter hätte besser nicht sein können. Als Taipeh mit vielen Lichtern unter ihnen in Sicht kam und mit dem Abstieg begonnen wurde, der sich langwierig gestaltete, denn Taipeh liegt in einem Kessel, der von Gebirge umsäumt, wie ein kreisender Adler anzusteuern ist, war es stiller geworden. Die Besoffenen schliefen und die nicht ganz so Besoffenen starrten leere Flaschen an, die über den Boden kullerten und bald von der Bedienung aufgelesen wurden, sobald sie deren Füße erreichten. Die letzten Lieder waren verstummt. Die Ohren fingen an zu sausen und zu dröhnen. Manche hielten ihre Köpfe zwischen beiden Händen. Andere schluckten beharrlich, was half. Der Druck stieg diametral zu dem recht senkrechten Abstieg. Dann stand der Flieger auf der Betonpiste und der Tankwagen rollte herbei.

„Der Tankwagen rollt heran,“ sagte Bernd zu Harry, dem schlecht schien, von all dem Schnaps.

Das folgende Ziel war Hong Kong. Auch hier kam rasch der Tankwagen und füllte ab. Die Stimmung war gereizt. Kein Bier. Kein Schnaps. Dann landeten sie in Saigon. Über den Urwäldern Vietnams oder Kambodschas, so genau war das nicht auszumachen, wurde ein Motor an Steuerbord abgestellt, weil er Probleme machte, wie der zweite Pilot aufklärte, als er schwitzend vor die Tür des Pilotenschapps trat und die Neuigkeit verbreitete.

“Aber das macht nichts. Wir haben ja noch drei andere Motoren.“

„Wir haben noch drei Motoren übrig,“ sagte Bernd zu Harry.

„Ich habs gehört,“ entgegnete der mürrisch.

Es wurden pampige Weißbrotdreiecke mit Käse dazwischen serviert.

In Kalkutta ließ man sie auf dem Rollfeld in einer Ecke stundenlang in praller Sonne schmoren, bevor man sich entschloß, die Betankung vorzunehmen.

Das dauerte dann zwei weitere Stunden, denn von hier aus wollten sie in einem Satz nach Karachi gelangen, das sehr weit entfernt war. Nach Bahrain und nach Damaskus landeten sie in Napoli, wo zum fünften Mal pampige Weißbrotdreiecke ohne Rinde, aber mit der Scheibe Käse dazwischen gereicht wurden und über den Alpen geriet der Transport endlich in schlechtes Wetter und die Stimmung hob sich abrupt. Sie fielen in ein Loch ohne Balken, stiegen mühsam und fielen in das nächste. Die Mannschaft war begeistert und johlte. Es ging fünfzig Meter wie ein Stein nach unten und riß die Leute aus den Regiestühlen, die am Boden festgeschraubt waren, dann wieder fünfzig Meter verbissen und mühselig nach oben. Die Stewardessen hatten blasse Stellen um die Nasen und klammerten sich achtern an ihre Stühle, krampfhaft Papiertüten zwischen weißen Knöchelchen festklammernd. Aber auch diese Freude währte nicht sehr lange und nach sechzig Stunden Flug, der Vogel bewältigte nur zweihundertfünfzig Sachen in der Stunde, kam Hamburg in Sicht.

„Hamburg kommt in Sicht,“ brüllte Bernd Harry ins Ohr, damit er verstehen möge, bei dem Motorenlärm. „Hamburg in Sicht.“

„Ja, ja, leck mich am Arsch.“

„Hamburg kommt auf. Man wird dich erwarten und wegschliessen.“

„Halt die Fresse.“

Man landete gekonnt in Fuhlsbüttel, wo ein Spalier aus Menschenmassen weilte, die alle gekommen waren, weitest reisende Fluggäste zu bestaunen. Es war 1960. Und es wird die erste Flugreise von Japan nach Hamburg gewesen sein.

 

Harry, den man überraschenderweise nicht erwartete, Tom und Bernd gingen mit ihren Seesäcken in das Flughafenrestaurant und tranken die letzten drei Biere. Tom würde nach Hause an der Elbe fahren und sich in Ruhe überlegen, ob er immer noch zur See fahren wollte. Harry war wieder da, wo seine Flucht vor wenigen Monaten begonnen hatte und beabsichtigte, unauffällig zu verschwinden, sobald er morgen sein Restgeld von der Reederei abgeholt haben würde, um sich in Wien eine neue Existenz als Zuhälter aufzubauen.

„In Wien wird auch gefickt,“ sagte er zum Abschied und sie schüttelten sich die Hände und grinsten.

Bernd fragte sich durch und fuhr mit Straßenbahnen auf die Reeperbahn und quartierte sich abseits in der schäbigsten Pension ein, die sich finden ließ.

Am nächsten Morgen würde er noch vor der Abrechnung bei der Reederei, die schlappe sechzig Mark in bar bringen würde, beim Heuerstall einkehren und nach dem nächsten Schiff Ausschau halten müssen.

Als Decksjunge, der er ein Jahr lang bleiben würde, konnte sich Bernd keinen Leerlauf erlauben, da von den sechzig Mark Monatsheuer auch noch die Marketender Waren wie Zigaretten, Zahnpasta, Bier und Seife abgezogen werden würden. Er würde das erstbeste Schiff nehmen müssen, das man ihm vorhielte.

Der Aufenthalt in Hamburg währte nur zwei Tage und ließ einen beschränkten Bummel auf der Reeperbahn zu.

Sie sammelten sich, das waren ein Teil der Deckmannschaft und der Maschinenmannschaft, an einer angewiesenen Straßenecke und bestiegen einen pünktlich vorfahrenden Bus, der sie nach Cuxhafen bringen würde, wo der Massengutfrachter Clyde zu bemannen war. Bernd war am Morgen nach der Ankunft in Hamburg in die Mattentwiete, eine Strasse, gegangen, nachdem ihm das Heuerbüro versicherte, dass die dortige Reederei nach einem Deckjungen Ausschau hielt und hatte einen Jahresvertrag unterschrieben. Nachmittags erhielt er von der Rickmersen Reederei ordnungsgemäß die Restheuer, die ausreichte, das Loch in der Pension für zwei Tage zu bezahlen. Den ominösen Seesack konnte er nicht fortwerfen, da das Geld für einen Koffer nicht ausreichen wollte.

Der Bus brachte die Mannschaft direkt auf das Steubenhöft, wo an der Pier die gerade fertiggestellte Clyde, ein nagelneues Schiff mit achttausendzweihundert Bruttoregistertonnen und zwanzigtausend Tonnen Ladefähigkeit, mit wehender Flagge Liberias, lag, und gerade in einer Feierstunde unter Anteilnahme einer großen, festlich gekleideten Menschenmenge, in Dienst gestellt wurde, die der Ankunft der Besatzung wenig Beachtung schenkte und Platz machte, sie an Bord zu lassen.

Unverzüglich wurde mit der Herstellung der Seebereitschaft, denn das Schiff sollte nicht verweilen, sondern sofort nach Abschluß der Feierlichkeiten in See stechen, begonnen.

Wenige Stunden später stampfte es bereits auf der hochgehenden Nordsee mit Kurs auf den Ärmelkanal und etliche der Mannschaft, Bernd eingeschlossen, hingen über der Reling und kotzten um die Wette in das Meer. Es herrschte Windstärke zehn und der Dampfer brach sich mit elementarer Gewalt seine

Bahn gegen die Brecher, schlingerte stark von Seite zu Seite und wippte mit dem Heck, sobald der Bug frontal in eine Woge einbrach, um alsbald aufzuschwimmen. Die ab Biskaya ruhigere See, wurde mit Pönen der Abschnitte, die in der Werft nicht mehr fertiggestellt worden waren, genutzt. Zwei Wochen später kamen voraus die gelben Fluten in der Mündung des Orinoco in Sicht und dann dampfte die Clyde mit sechzehn Knoten, ein schnelles Schiff, den breiten Fuß stromaufwärts, um fünfzehn Stunden später und dreihundert Kilometer mitten im Urwald von Venezuela, in dem Dreieck eines zufließenden Stromes mit nicht bekanntem Namen die Anker zu werfen und auf einen freien Platz an der Pier, an der Eisenerz mit Laufbändern verladen wurde, zu warten.

Zuvor hatte ein tieffliegendes Flugzeug der US Coastguard des Nachts, östlich des Sargassomeeres stehend, unversehens angemorst und zwei Hurrikane in Aussicht gestellt, von denen der eine den Kurs zu kreuzen drohte und der andere an Steuerbord aufholte und ihnen nachlief. Das hatte die Nachtruhe unterbrochen und alle an Deck gerufen, wo alles weggestaut wurde, das nicht niet- und nagelfest erschien und alles gelascht wurde, das nicht wegzustauen war. Einschließlich des Radarmastes. Jedoch hatte sich der eine Hurrikan woanders hin verzogen, in Richtung Caracas und der zweite war schwächlich in Auflösung begriffen, wie zwei Bodenstationen der Funkortung, die das Schiff eingepeilt hatten, meldeten.

Sie lagen nur kurz vor Anker und verholten am gleichen Tag an die Pier, wo unverzüglich zwei breite Laufbänder den Erzdreck in die tiefliegenden Gruben der Räume zu schütten begannen, und das Schiff sichtbar in das Brackwasser preßten. Nach gerade einmal drei Stunden waren in allen Räumen kleine, spitze Erdhäufchen zu sehen und der Erste Maat kam herbeigeeilt und meinte : „Das wars. Das sind unsere zwanzigtausend Tonnen Eisenerz. Da unten. Macht die Luken dicht und seeklar.“

Nicht verweilend und herumlungernd, wurde rasch abgelegt und Puerto de la Ordaz, so hieß der Ort, der auf der anderen Seite des Flusses sichtbar war und den sie späterhin in San Syphillis umtauften, flussabwärts verlassen. Das Schiff drehte erneut in den Orinoco ein, auf dem mit abfließendem Wasser im Rücken rascher die Mündung in den Atlantik erreicht werden konnte, als bei der Auffahrt. Rechts und links dichter, unwegsamer Urwald. Einige Affensippen wagten einen Wettlauf, gaben aber rasch auf, hier und da eine Hütte mit Schilfdach und gelegentlich ein paar Eingeborene mit Einbäumen, die gefährlich schlingerten und in dem aufgewühlten Heckwasser zu kentern drohten und die die Deckmannschaft mit leeren Blecheimern aus der Farblast und aus der Kombüse, nachdem der Koch die Vierfruchtmarmelade herausgekratzt hatte, bombardierten. Sie droschen im Streit schon mal mit ihren Paddeln auf einander ein, wenn nicht ganz klar war, wem der treibende Eimer gehören sollte. Dann waren zu dem Leidwesen anderer Indianer hinter anderen Flußbögen die Eimer ausgegangen und dann gingen auch die Indianer zur Neige.

Bei strahlendem Sonnenschein wurde der Anker auf der Reede von Port of Spain geworfen. Hier in Trinidad wären alle gerne an Land gegangen, aber nur Post und Order wurden übernommen und mit den Wurfleinen auf zuhauf an der achteren Bordwand schaukelnde Kanus gezielt, die an die Enden der Leinen

Flaschen mit schwarzem Rum knüpften und versicherten, dass niemand nach dem Genuß keinesfalls erblinden müsse, nachdem alle vertrauensvoll Gegenwerte in Form von Banknoten US amerikanischer Prägung, die mittschiffs zu erhalten waren, so man auf Vorschuß drängelte, hinunterließen, damit die braungebrannten Einheimischen sie über die nahen Strände ins Innere der Insel Trinidad und der anderen Insel Tobacco, die außer Sichtweite hinter dem Horizont lag, zu schmuggeln sich beschäftigen konnten.

Die See hatte das Schiff nach wenigen Stunden Aufenthalt zurück, nachdem auch noch ausreichend Öl gebunkert worden war. Bernd hatte Post von Maren bekommen, die er aus Hamburg angerufen und der er seine künftige Adresse durchgesagt hatte. Maren war seine zweite Jugendfreundin, nach Dörte, an der er seinerzeit nach den Titten gesucht hatte, die noch nicht vorhanden waren und die ihm die strenge Verwarnung ihrer drei großen Schwestern eingebracht hatte, ihn kräftig auf den Hinterhöfen der Fabrik in Elmshorn zu verprügeln, sollte er die kleine Schwester noch einmal in sexueller Absicht abtasten und dabei erwischt werden. Maren war seine zweite Jugendfreundin und schrieb gern und schickte ihm eine goldene Kette mit einem goldenen Amulett, in dem er ein Foto von ihr fand. Bernd trug fortan alles an seinem Hals und sah sorgsam darauf, den oberen Knopf des Hemdes nicht zu schließen, damit alle sehen konnten, dass er ein Amulett besaß. Er schloß den Kragen auch nicht bei einbrechender Kälte. Aber eines Tages kam er nicht umhin, festzustellen, dass das Amulett und die Kette irgendwann und irgendwo abhanden gekommen sein musste und das war der Beginn des Endes dieser Beziehung, die allmählich einschlief.

Vierzehn Tage benötigte das Schiff, den Atlantik, der sich ruhig verhielt und die Irische See, die glatt war, zu queren, bevor es bei dichtem Nebel die Clyde hinaufdampfte. Vor Greenock wurde der Anker geworfen und auf Order gewartet. Nach Eingang nahm das Schiff Fahrt auf und machte am Nachmittag des Folgetages an einer Pier im Hafen von Glasgow fest, wo bereits gewartet wurde. Eine Menschenmenge, in deren Mitte der amtierende Bürgermeister Glasgows um die Gunst der Zuhörer bat, hatte sich auf dem Kai versammelt und nahm Teil an der folgenden festlichen Ansprache, denn das Schiff führte den Namen des Drecksflusses, der sich grau und träge durch die Stadt und hinunter in die Irische See wälzte. Der Namenspatron.

Gegenüber der Erzpier lag Bettys Inn. Gut sichtbar vom Schiff aus. Man traf sich dort wieder, so man Wachfrei hatte, mit Vorschuß in der Landeswährung in der Tasche und es kam zu einem kollektiven Besäufnis, in dessen Verlauf immer mal wieder zwei Mann Pause machen mussten, eine Schnapsleiche zum Wachantritt an Bord zu schleppen, wo diese regelmäßig an dem Fallreep einschlief, was niemanden störte, der über sie nicht stolperte.

Hans, der Leichtmatrose und Kurt, der Matrose nahmen Bernd in einem Taxi mit, den Tanzpalast Locarno aufzusuchen, von dem einheimische Trinker erzählt hatten und der sich als riesige Halle auftat, in der sie sich verliefen. Locarno - Dancing - Palace, wie Leuchtziffern über dem Eingangsportal grell verkündeten, teilte sich zu fünfundsiebzig Prozent in Tanzfläche, zu vierundzwanzig Prozent in Sitzgelegenheit und zu ein Prozent in Bar ein. Es gab nur Fruchtsaft zu trinken, aber sie waren gewarnt worden und hatten eine Flasche Rum mitgeführt und als sie kernige Lieder zu brüllen begannen wurden sie des Platzes verwiesen und unter Verwünschungen auf die Strasse gedrängt.

Der nächste Tag brachte bereits morgens beim schwarzen Kaffe und großer Übelkeit vor Wachantritt, Bernd hatte seine Wache getauscht und musste um zwölf Uhr Mittags antreten, eine gute Nachricht. Die Hafenarbeiter hatten beschlossen, in den Streik zu treten. Sie blieben eine Woche und Bernd traf eine Gwen mit blonden Haaren, mit der er sich anfreundete, jedoch nicht zum Stich kam. Sie begannen zu schreiben, aber es führte zu nichts und so verloren sie sich nach ein paar Monaten aus den Augen.

Aus den Augen verloren sie auch Glasgow, das wenig nach Streikende in dem Nebel hinter ihnen versank, als das Schiff wendete und flussabwärts Fahrt aufnahm, Venezuela und dem anderen Kontinent zu zueilen.

Der Törn lief wieder an. Zurück nach Ordaz, dann Port of Spain, Öl und Post und Schnaps auflesen, dann nach Gibraltar. In Gibraltar war die ganze Mannschaft so besoffen, dass am nächsten Tag niemand sagen konnte, wo genau sie standen und ob Gibraltar schon passiert war. Das hatte Folgen. Die Obrigkeit verkündete einen Alkoholstopp und schloß die Bierlast ab. Schnaps wurde einer möglichen medizinischen Notwendigkeit vorbehalten, wenn der zunächst zu reichende Esslöffel Rizinusöl nicht wirken sollte, was niemand zu versuchen sich überwinden konnte. Ausgeruht und nüchtern lief die Mannschaft in Genua ein und machte an der Pier fest, riß die Patentluken Mac Gregor auf und forderte penetrant den nächsten Vorschuß ein.

Erhard, der andere Moses und Bernd fuhren zu einem Strand, den sie bei der Einfahrt in den Hafen rechter Hand gesehen hatten und legten sich in die Sonne, nachdem sie geschwommen hatten. Genauer, Bernd ging Baden und Erhardt ging in den Pavillon und begann Martinis zu kippen. Dann reichte Bernd das mit dem Baden und er setzte sich zu Erhardt und versuchte, seinen Vorsprung mit Gin einzuholen, der fürchterlich schmeckte aber hübsch auszusprechen war, wobei er in der Folge ein Gespräch mit Gloria, der Tochter des Pavillon Besitzers, begann und der hernach einfiel, ihn zu erneutem Bade einzuladen. Als sie getrocknet zurückkamen, fanden sie Erhardt vor, der vom Hocker gefallen war und mit glasigem Blick, umherlallend, auf den Fliesen des Bodens hockte.

„Du bist besoffen Erhardt,“ stellte Bernd fest ,“du siehst aus wie eine Mumie.“ „Mir ist schlecht. Sauschlecht. Ich vertrag diese Sorte Schnaps nicht.“

„Du verträgst keine Sorte Schnaps. Martini ist Wein, oder so. Du verträgst auch keinen Wein. Du wirst es niemals ins Bordell machen, wenn du schon am Nachmittag breit bist. Was soll nur aus dir werden. Du bist eine furchtbare Enttäuschung für deine Familie.“

 

„Looks like hes bad off.“ Fand Gloria, die perfekt in englisch sprechen konnte und keinen Hehl daraus machte, Eingang in die Konversation.

„Du bist eine fürchterliche Enttäuschung für deine Familie, Erhardt.“ sagte Bernd erneut. „Sag niemandem, dass du auf der Clyde lebst.“

„Ich weiß.“ Lallte er. “Deswegen haben sie mich ja auch zur See geschickt.“

Aber Erhardt war jenseits der Realitäten angelangt und konnte nicht mehr einer schlüssigen Konversation folgen und Bernd bestellte ihm ein Taxi, als er zu würgen begann und drohte, vor die Theke zu kotzen.

„Fall nicht in das Hafenbecken,“ riet er ihm beim Abschied.

„Der Taxifahrer hofft, dass er ihm nicht ins Auto speien wird,“ übersetzte Gloria hilfreich.

„Kotz auf die Pier,“ rief Bernd Erhardt nach.“ Warte bis du auf der Pier bist. Stopf dir die Socke in den Schlund.“

Gloria war ein niedliches, junges Mädchen, sicherlich Jungfrau, und Bernd beschloß sich zu verabschieden und in der Stadt eine Nutte aufzusuchen, bevor die Liegezeit sich dem Ende nähern und der Taxifahrer zurückeilen und Schadensersatz fordern würde.

Über die Uferpromenade und einen Marktplatz, den er etwas unsicher im Gang überquerte, kam Bernd zur Texas Bar, in die er einkehrte und dann zur Mosambique Bar, die gleich daneben lag und in die er auch einkehrte, um sodann in die Sansibar Bar zu wanken, hallo zu rufen und den Nachmittag in der Tiger Bar, die auch gleich daneben lag, ausklingen zu lassen und zu sinnieren, wo er die Tür wohl gesehen haben konnte, durch die er herein gekommen sein musste und durch die nun alsbald das Lokal zu verlassen wäre. Nichts war los. Und es war wohl noch zu früh am Tage. Bernd begann, aus der mitgeführten Schachtel die Streichhölzer zu lesen und die Schwefelköpfe abzubrechen, um die Hölzer zum wachsenden Erstaunen des irritiert am anderen Ende der Theke lungernden Barkeepers zu verzehren. Ein alter Trick, den ihm der Matrose Björn in Kawasaki nahegelegt und den er seither mehrmals mit Erfolg angewendet hatte.

„Freß ne Schachtel Streichhölzer auf, wenn du das Weib noch ficken willst. Das macht nüchtern. Schön richtig durchkauen und runterschlucken. Kannst du die nächsten vier Schnäpse bestellen. Aber probier nicht die japanischen Streichhölzer. Die sind aus Wachspapier. Das schmeckt nicht. Das liegt im Magen. Wie Brikett.“ Björn war danach hastig aufgestanden und vor die Tür geeilt, um auf den Bürgersteig zu kotzen. „Siehst du, so macht man das,“ hatte er gesagt, als er sichtlich erfrischt zurückkam und ein Folgebier in Auftrag gab.

Nachdem der Barkeeper Bernd ausreichend angeödet und er fast die ganzen Streichhölzer verzehrt hatte, wechselte er zurück zur Mosambique Bar, die ihm angenehmer in Erinnerung war. Als er die Tanzfläche auf dem Weg zur Bar überquerte, fiel ihn von hinten etwas an, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte, so dass er um ein Haar zu straucheln drohte. Vorn links entdeckte er eine Abordnung der Decksmannschaft, die um eine Tisch herum saß und Bier trank. Timmy, ein Matrose, der auf seiner Wache ging, war dabei. Anita, hieß das kleine hübsche Mädchen, das ihn von hinten angefallen hatte und das ihn nunmehr zum äußersten rechten Rand der Theke schob, wo sie Bernd auf den Hocker half und daneben intim Platz nahm. Bernd erntete kein Hallo von der Mannschaft an dem Tisch, sondern finstere Blicke, denn Anita, die Anita hieß, weil sie sich als Anita vorzustellen begann, war das einzige Mädchen in der Kneipe und alle hätten sie gern gefickt. Anita hatte lange schwarze Haare und Bernd bestellte sich ein Bier und einen Kaffee und machte ihr radebrechend klar, dass er pleite und im Besitz eines sehr begrenzten Vorrats an Scheinen wäre, worauf sie ihm Rabatt einräumte und er ihr einen Martini bestellte, der ihr zusagte und wenig später verließen beide, nachdem Einigkeit über das Honorar und das Vorhaben erzielt werden konnte, die Taverne und suchten eine enge, parallel gelegene Gasse auf, in der ein altes Haus gefunden wurde und eine dunkle Treppe hinaufzusteigen war. Anita klopfte an eine Tür, die unverzüglich von einer alten Schlampe mit wirren Haaren aufgezogen wurde und nach Austausch einiger Wortfetzen in der Landessprache, fanden sie sich allein in einem düsteren Zimmer wieder, in dem das Bett neben der Beistellkommode die einzige Möblierung ausmachte.

Beide fingen sofort an, sich gegenseitig auszuziehen, Bernd tatschte an ihr herum, es kam zum Küssen, was unüblich war und dann fiel sie rücklings auf das Bett, über das die alte Schlampe zuvor eine saubere Tagesdecke gebreitet hatte. Sie fickten in der Art, wie es der Überlieferung nach die Landbevölkerung trieb und lagen dann, schwer atmend, nebeneinander und erzählten sich Anekdoten, während die Kräfte und Säfte zurückkehrten, das Spiel zu wiederholen.

„Du bist gut im Ficken,“ glaubte Bernd dem Gemisch verschiedener Sprachbrocken zu entnehmen.

„Ich weiß,“ sagte er.

„Ich hab einen Sohn zuhause,“ sagte sie.

„Das ist schön,“ sagte Bernd,“ du hast pralle Titten.“

„Ich weiß,“ sagte sie, „sie sind ganz voll.“

„Du hast steife Nippel.“

„Oh ja. Sie sind ganz voll. Sieh mal.“ Sie nahm die linke Brust mit der rechten Hand und drückte sie. Ein dünner Strahl etwas bläulicher Milch spritzte heraus und traf unversehens Bernds rechtes Auge. Sie reichte ihm ein Tempotaschentuch, das auf dem Nachttisch griffbereit lag und lachte. „Alles voll,“ sagte sie. „Laß mich lutschen,“ sagte Bernd und begann zu saugen.

Anita erwies sich als sehr ergiebig. Ihre Milch war recht dünn. Dünner, als Bernd sich das vorgestellt hatte. Vielleicht war sie etwas abgestanden. Aber sie war trinkbar und schmeckte vorzüglich. Ein wenig süßlich. Aber nicht zu süß. Er brauchte einige Schlucke, sich dem Geschmack anzupassen. Das saugen machte sie geil und noch mehr geil. Sie begann Forderungen zu stellen:

“Fick mich noch mal.“

Bernd fickte sie noch mal und saugte anschließend den Rest auch aus der zweiten Brust, die etwas weniger ergiebig schien. Die alte Schlampe im Gang vor der Tür brachte eine Tasse schwarzen Kaffees, nachdem Anita nach ihr gerufen hatte und Bernd reicherte sie mit einem Milchspritzer an. Dann machten sie noch eine dritte Nummer und verabschiedeten sich in der Gasse vor dem Haus, von wo aus Anita nach hause gehen und Bernd noch rasch in die Texas Bar einkehren wollte.

„Komm bald wieder,“ sagte sie hoffnungsvoll und Bernd versprach bald wiederzukommen und fand Norbert, der es bereits zum Leichtmatrosen gebracht hatte, am Tresen sitzend und Charlie, der noch nicht so weit und Jungmann war, was Bernd nächstes Jahr auch sein könnte, ebenfalls auf einem Hocker am Tresen sitzend, vor.

„Sauf einen, Bernd,“ grüßte Norbert und rief nach einem Bier für den Moses. „Man muß immer saufen,“ sagte er unsicher, “man weiß ja nie was kommt.“

Sie kamen bis vor die Tür und Bernd konnte sich nicht mehr entscheiden, wo vorne und hinten bei dem parkenden Taxi war, so dass er nicht wusste, wie herum er wo einzusteigen hatte. Norbert war noch klarer und sah die Dinge noch ganz genau.

„Ich weiß genau wo man einsteigen muß,“ lallte er über den Gehsteig und stolperte über seine Füße.

Nach hundert Metern oder so, riss Bernd umständlich die Autotür auf und kotzte während der Fahrt auf die Strasse, so dass der Fahrer, der dies mitbekam, jäh bremste und beide aussetzte, ohne auch nur den Versuch zu machen, Fahrgeld von ihnen zu verlangen. Bernd wachte auf durch lautes Stimmengewirr und bemerkte, dass er angefasst, aufgehoben und davongetragen wurde. Er schlug die Augen widerwillig auf und sah, dass es hell geworden war und eine Menschenmenge vor einer Straßenbahn stand und wild mit den Armen fuchtelte. Man hatte ihn quer über den Bahnschienen schlafend aufgefunden und setzte Bernd behutsam in einen Hauseingang, um lautstark zu drohen, dass er dort besser zu verbleiben hätte. Sie stiegen alle wieder ein und die Bahn fuhr vorbei, wobei einige winkten. Bernd wusste nicht wo er war. Eine vorhandene Zigarette aus der Hemdtasche nüchterte ihn einigermaßen aus, so dass er bald aufstehen und gehen konnte. Er schlug die Richtung nach Westen ein, wo der Hafen zu vermuten wäre und hoffte, dass Westen da sein möge, wo er Westen vermutete. Einen Häuserblock weiter fand sich Norbert ein, der in einer Einfahrt ruhte und geweckt werden musste.