Immer über die Kimm

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Bereits beim dritten Bier wieder vor der Hütte sitzend, kam zunächst Hering und ein wenig später Dieter, die beide, erfahrener in dieser Sache, sich mehr Zeit gelassen hatten und hochzufriedener Stimmung waren. Es wurde ein lustiger Abend, an dem Lagerfeuer entzündet wurden und als sie besoffen waren, intonierten sie grölend schmutzige Lieder auf deutsch. Man war ihnen gegenüber sehr zuvorkommend, bewirtete, kassierte wenig ab und begann, sie aus dem Gebiet zu verjagen, als Bernd auf eine schräg wachsende Palme hangelte und Kokosnüsse abschlug, die noch nicht reif sein mochten. Die Männer kamen und drohten mit Messern und trieben sie den Pfad hoch, an dessen Ende kein Taxi wartete und wo die schwärzeste Nacht eingekehrt war, so dass sie sich mit leisen Rufe verständigen mussten, beisammen zu bleiben, und sich nicht zu verlieren. Gegen Mittag erreichten sie, nunmehr stocknüchtern, Goa und charterten ein Taxi, das sie zur Anlegestelle an der Bucht brachte.

Die Inder waren schnell und präzise. Nach vier Tagen und Nächten war der Zement ausgeladen. Der Dampfer verholte zur Erzpier und das Laufband benötigte einen weiteren Tag, eine Teilladung in die Räume zwei und vier zu schütten. Beim Seeklarmachen der Luken auf dem Vorschiff bekam der

Matrose Lange einen Hitzschlag und setzte sich auf das Deck. Sein Nacken

schwoll beachtlich an und er begann wirres Zeug von sich zu geben, während er mit kugelrunden Augen ins Leere starrte. Die Schiffsführung entschloß sich, ihn von Bord zu geben und ließ ihn mit einem Taxi in ein Krankenhaus fahren, wo er verblieb und nie wieder auftauchte.

Ohne Schlepperhilfe legten sie ab und suchten das offene Meer, auf dem mit Kurs Süd und dann Ost, der Malaccastrasse zugestrebt wurde. Der Seetörn mit seinen Wachgängen war in den Alltag zurückgekehrt.

Japan war das nächste Ziel. Japan war das Gesprächsthema in der Messe. In Japan hatten die Mosese Tom Have und Bernd den üblichen Schaufick

hinzulegen. So war es Sitte der Decksmannschaft in der deutschen

Handelsmarine. Und wer einen Fotoapparat besaß, begann die Linse zu putzen und nach dem Film zu schauen.

Die Malacca Straße wurde erreicht und begann an ihrem südöstlichen Ende schmal zu werden. Steuerbord Sumatra, Backbord Malaya. Das Thermometer stieg auf fünfzig Grad im Schatten. Wer Hängematten besaß, spannte diese an Deck. Alle anderen schliefen auf den Matratzen ihrer Kojen die in allen Winkeln und auf dem Sonnensegel ausgelegt wurden. Beiderseits begannen sich die urwaldbewuchsenen Küsten heranzuschieben und bald wurde Singapur auf der Backbordseite , von dem sie nicht viel sahen, außer den Lichtern, denn es war Nacht geworden, passiert. Dezember 1959. Silvester. Abdrehend in das Südchinesische Meer bei sanfter Dünung. Die Uhr wurde zum neunten Mal vorausgestellt. Die Hitze mäßigte sich zu erträglichen Graden. Vor Chile sollte ein Seebeben stattgefunden haben, wie der Funker meldete. Dann kam der Bootsmann von Mittschiffs in die Mannschaftsmesse, in der die Freiwachen Kaffee tranken und zum Abendbrot Marmeladenbrote futterten und stellte ein besorgtes Gesicht zur Schau.

„Alle Mann mal herhören,“ sagte er feierlich, nachdem er sich gesetzt hatte, „man wird uns eins überbraten. Von Osten soll eine zehn Meter hohe Flutwelle heranrollen. Ein Tsunami. Eine Springflut. Von dem Erdbeben in Chile. Japan hat sie schon passiert und alles in Klump gehauen. Sollen hunderte von Fischerbooten und etliche Schiffe abgesoffen sein. Sagt der Funker. Wir werden morgen früh auf sie treffen. Oder umgekehrt. Sagt der Alte. Einen Hafen können wir nicht mehr erreichen. Also.“ Er nahm einen Schluck Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. “Also. Wir hetzen alle Mann an Deck. Auch Ausguck und Bereitschaft der Wache. Alle Bäume werden mit Drahtstropps zusätzlich gelascht, damit sie nicht hochschlagen und das Schiff zertrümmern. Die Matrosen fertigen die Stropps an. Alle Lukenkeile nachschlagen. Richtig rein damit. Alle Bullaugen, überall verriegeln. Panzerblenden vorsetzen. Persenning Hauben auf die Windhutzen schnüren. Wenn die abhauen, steht hier alles im Nu unter Wasser. Meterhoch. Schotten dicht. Die beiden Manilaleinen auf der Back ins Kabelgatt schießen. Boote laschen. Auch wenn sie festgerostet sind. Seht auf dem Bootsdeck nach. Alles was sich losreißen könnte, extra laschen. Der Alte sagt, er nimmt den Kawendsmann mit dem Steven, damit wir nicht kentern. Oder jedenfalls nicht gleich. Wenn das also über uns rüberschwappt, hat kein Mann an Deck zu sein. Sehen wir also, was passieren wird. Gibt keine Erfahrungswerte. Sowas hat noch niemand von uns erlebt.“

„Werden schon auf dem Planeten bleiben,“ sagte Björn trocken.

„Fertigessen und dann raus. Feierabend, wenn alles erledigt ist. Und wenn ich das abgenommen habe.“

Hektik brach herein. Bis weit nach Mitternacht laschten alle alles, was auch nur entfernt losgerissen werden konnte. Dann keilten alle die Messeausstattung und die persönliche Habe. Von vier bis acht hatte Bernd Wache und konnte die Meldungen hören, die der Funker kontinuierlich in die Brücke rief. Die Flutwelle wurde gegen zehn Uhr erwartet und kam pünktlich. Bei strahlendem Sonnenschein baute sich über die gesamte Kimm im Osten ein Wasserwall auf, der wuchs, wuchs und rasch heranrollte. Da kam eine Wand aus Wasser daher. Kaum Gischt, kristallischgrün glitzernd. In praller Sonne.

„Rein ins Deckshaus,“ brüllte der Bootsmann, „es ist soweit. Wenn wir kentern, Luft anhalten und raus aus dem Deckshaus.“

„Dann kann jeder machen, was er will,“ grinste Dieter mit blasser Nase und sprang durch das Schott.

„Das ist doch mehr als zehn Meter hoch,“ sagte er und zog als Letzter die Eichentür hinter sich zu.

„Wir werden sehen,“ sagte der Bootsmann gepresst und griff nach einem Wasserrohr, sich festzuklammern.

Dann war das Gebirge heran. Der Bug stieß jäh steil in einem Ruck in die Höhe, so dass die, die sich nicht irgendwo festhielten durcheinander fielen und auf das Deck des Ganges stürzten.

Das Schiff zitterte und bog sich merklich durch. Wasser schlug mit Wucht und Donnergetöse, wie ein rasender Güterzug, über das Achterdeck und prallte auf der Poop auf die Wände des Deckshauses mit der Messe. Stahl kreischte. Das Schiff stellte sich noch steiler auf. Das Bullauge der Eichentür, das keine Blende hatte, stand plötzlich unter grünlichem Wasser. Das Wasser spritzte unter Druck durch die Seiten des Eichenschotts auf den Gang, auf dem auch Bernd stand und sich zusammen mit dem Bootsmann an dem Wasserrohr festklammerte und sofort standen alle bis zum Bauchnabel in der See. Es gurgelte den Niedergang zu den Kammern hinunter. Alles dröhnte und bebte und ächzte. Dann kam Licht. Das Bullauge war wieder über Wasser. Der Wassereinbruch versiegte. Das Schiff kam achtern hoch. Schoss achtern in die Höhe, wie ein rasender Fahrstuhl. Es krängte weit nach Steuerbord über und alle dachten, dass es jetzt kentern, umschlagen, würde. Aber dann fing es sich.

Langsam kam es wieder hoch und schließlich pendelte es sich auf ebenem Kiel aus.

„Meine Fresse,“ brachte der Bootsmann mit zugepressten Lippen hervor. “Meine Fresse. Ich dachte schon, das wars. - Gut, gehen wir schauen, was so alles zu Bruch gegangen ist.“

Er riß das Schott auf und trat auf das Poopdeck. Die See war spiegelglatt. Als ob nichts passiert wäre. Die Sonne strahlte. Der Ozean war von einer tiefblauen Farbe. Die Schäden hielten sich erstaunlicherweise in Grenzen. Zwei Seiltrommeln waren losgerissen und lagen hinter einem Lukensüll. Ein Rettungsboot war leckgeschlagen, die drei anderen voll Wasser gelaufen, einige Windhutzen waren weggerissen, aber noch an Bord. In zwei Räumen schwappte das Seewasser und in der Maschine hatten sie einen Wassereinbruch durch die Oberlichter zu verzeichnen, mit dem aber die Lenzpumpen fertig wurden. Eine Menge Geschirr war in der Offiziersmesse zu Bruch gegangen und in dem Wohndeck der Decksmannschaft und der Heizer stand das Wasser knietief und hatte alles durchweicht. Einige Bäume waren aus den Lagern gerissen, hingen aber in den Drahtstropps.

„Schwein gehabt,“ sagte der Bootsmann zufrieden. “Wir haben Schwein gehabt. Ich geh jetzt in meine Kammer und mach eine Flasche auf. Ihr räumt das hier alles fein säuberlich auf. Und schöpft das Wasser aus dem Wohndeck. Bevor unsere Kakerlaken ersaufen.“

In Bernds Freiwache lief der Dampfer Tage später in die Tokio Bucht ein und erreichte zur Mittagszeit den Hafen von Kawasaki, wo auf der Binnenreede Anker geworfen wurde. Das Paradies aller Seefahrer war erreicht. Unzählige kleine Fischerkutter tuckerten auf der Binnenreede umher und füllten diese bis in die Winkel aus. Geschäftiges Treiben, das sich rasch auf die Solveig ausdehnte. Rund um das Schiff legten sie an der Aussenhaut an, gestikulierten und riefen. Sie wollten alles kaufen und alles bezahlen. Die Mannschaft verkaufte alles und der Bootsmann kassierte alles.

„Das wird nachher alles gleichmäßig aufgeteilt,“ sagte er aufgekratzt. „Der Bootsmann kriegt den größten Anteil. Der Bootsmann bin ich. Dann kriegen die Matrosen den zweitgrößten Anteil. Zum Schluß kriegen die überbezahlten Decksjungen den kleinsten Anteil. Wir verkaufen alles. Aber wir verkaufen alles so, dass die Mittschiffs, die Offiziere, das nicht mitkriegen. Also, kommt einer von denen nach achtern, herrscht hier Handelsruhe. Alles, was wir verhökern geht ganz achtern über die Reling in die Boote. Die Manilaleinen aus dem Kabelgatt lasst ihr unauffällig durch die Ankerklüsen laufen. Anker verkaufen wir nicht. Oder erst, wenn wir an der Pier liegen. Die Rettungsboote verkaufen wir auch nicht. Das würde dem Alten auffallen, wenn sie nicht mehr da wären. Aber alle Hutzen und auch etliche Blöcke, Teil vom Ladegeschirr. Wenn wir das Eisenerz gelöscht haben, laufen wir nach Osaka, wo der Kahn verschrottet wird. Alles kann verschwinden, was wir da nicht zum Festmachen und zum Hinkommen brauchen.

 

Also los, fangt an zu schrauben und zu demontieren. Ich handel derweil die Preise aus.“

Sie schwärmten aus und schleppten alles auf das Achterdeck, was nicht angenietet und angeschweißt war. Achtern entwickelte sich ein reger Güterverkehr über die Reling in die unten schaukelnden Boote. Gezahlt wurde in japanischen Yen, die in den Hafenbars versoffen und verhurt werden sollten. Die Taschen des Bootsmanns begannen sich zu füllen. Harry kam aus seiner Messe und wollte wissen, ob die Japaner auch von ihm etwas kaufen würden. „Wollen die auch was von mir kaufen?“ fragte er den Bootsmann, der gewichtig hinter dem Deckshaus an der Reling stand und Geldscheine zählte. „Was würden die wohl von dir kaufen wollen. Du hast doch nichts.“

„Ich hab Verbindungen in die Maschine. Gute Verbindungen.“

„Und? Wollt ihr denen den Schornstein verkaufen?“ Der Bootsmann lachte. „Mein Gewährsmann meint, dass im Maschinenraum eine Menge Zeug steht, das wir nicht unbedingt für die letzte Reise nach Osaka brauchen werden.“ „Dein Gewährsmann? Der Maschinenassi? Was wollt ihr den Japsen aufschwatzen. Die Lenzpumpe?“

„Würden die eine Lenzpumpe haben wollen?“

„Woher soll ich das wissen. Die können alles gebrauchen.“

„Ich habe schöne Teller. Kaufen die Teller?“

„Woher soll ich das wissen. Bring mir ein Musterexemplar. Wir machen Hälfte Hälfte. Sag der Decksmannschaft davon nichts.“

„Klar.“ Harry brachte ein Musterexemplar und die Japaner fanden Gefallen.

„Aus der Schüssel?“ Brüllte des abends die Stimme eines Heizers aus der Maschinenmesse nebenan. „Aus der Schüssel? Ich freß doch nicht mit all den anderen aus einer Schüssel.“

„Wo sind die Teller !“ Brüllte ein anderer, den Tumult, der entstanden war, zu übertönen, „Hatten wir nicht Teller gehabt?“

„Es ist schwierig,“ raunte Harry am nächsten Tag dem Bootsmann, der wie eine Säule nicht von der Reling des Achterdecks wich, seine Handelsbeziehungen mit Weinbrand pflegte und seine Warenströme argwöhnisch im Auge behielt, zu,“ ich habe schöne Tassen.“

„Bring mir ein Exemplar.“

„Hör mal Erich,“ räusperte sich der Assi, der den Bootsmann dutzte, weil beide beinahe den gleichen Rang bekleideten, “ich habe schöne Werkzeuge. Fragst du deine Geschäftspartner, ob sie schöne Werkzeuge kaufen wollen? Du kriegst die Hälfte ab.“

„Bring mir ein Muster.“

„Bootsmann, wollen die Japsen Keramikteller ?“ flüsterte Tom Have mit abwesender Miene, als er sich unauffällig von hinten an den Bootsmann herangepirscht hatte, der herumwirbelte und aus Leibeskräften brüllte :“Wen glaubst du hast du vor dir, du Arschloch. Wenn auch nur ein Löffel fehlt, wirst du gekielholt.“

„Ich dachte nur. Man kann ja mal fragen.“ sagte Tom Have mickrig und zog sich zurück in seine Mannschaftsmesse.

„Ich hab auch noch Matratzen,“ sagte Harry als er mit der Mustertasse zurückkam.

„Sehen ganz so aus, wie die Tassen in unserer Messe,“ sagte der Bootsmann argwöhnisch, „bist du sicher, dass das deine sind?“

„Absolut.“

„Bring mir ein Muster von deiner Matratze. Aber eins ohne Piß und Kotzflecken. Meine Kundschaft will erstklassige Ware. Und schüttel die Kakerlaken und die Wanzen raus. Meine Kunden zahlen schlechte Preise.“ „Dieter,“ rief der Bootsmann anschließend, als er sich umdrehte und Dieter an der Reling hinter sich stehend bemerkte,“ lunger da nicht rum. Komm mal näher heran und lehn dein Ohr an mich.“

„Du bist doch ein smarter Leichtmatrose nicht wahr? Also überleg dir, wie wir ein Rettungsboot verschwinden lassen können, ohne dass die Lücke auffällt. Für Rettungsboote zahlt meine Kundschaft recht ordentlich.“

„Bootsmann,“ rief der Dritte, der das Deckshaus umrundete und den Bootsmann, den er suchte, an der Reling entdeckte, “Bootsmann, was ist hier los. Der Erste schickt mich. Der Erste meint, ich solle erkunden, wieso das Deck so kahl aussieht.“

„Das ist mir auch schon aufgefallen,“ sagte der Bootsmann, „ich habe den Eindruck, dass hier geklaut wird. Was fällt ihnen denn auf, was fehlen könnte?“

„Wo sind die ganzen Windhutzen abgeblieben. Hatten wir nicht immer sehr viele Windhutzen?“

„Ich glaube schon. Ich glaube hier wird geklaut.“

„Ich hab vorhin mit dem Assi gesprochen. Der sagt, der Maschinenjunge sagt, dass ihm die Teller abhanden gekommen sind.“

„Das mag angehen. Ich hab das Gebrüll aus der Heizermesse gehört, als sie alle aus einem Topf fressen mussten.“

„Sie werden mir kräftig einen ausgeben,“ sagte der Dritte versonnen und schaute auf das Treiben hinunter, „eine Nutte für die Nacht muß drin sein. Wenn ich mir was Passendes für den Ersten ausdenken möchte.“

„Würde ein verschwundenes Rettungsboot arg auffallen?“

„Wollen Sie die Mannschaft absaufen lassen wenn wir in Seenot geraten?“

„Wo. Hier?“

Harry bekam dann doch Bedenken, die Matratzen der Heizer und der Öler zu verkaufen und meinte, “ich werde mir eine billigere Nutte nehmen. Die haben ja verschiedene Preisklassen.“ Es war aber doch wohl eher so, dass niemand die durchgelegenen und gefleckten Unterlagen haben wollte.

Der Bootsmann verkaufte das Schiff leer und sagte in der Messe :“Wir haben genug. Wenn wir mehr verkaufen wollen, müssen wir das Schiff auseinanderschweißen.“ Er verteilte das Geld gerecht nach seinem Verteilerschlüssel, nach dem er ein Drittel nahm und die anderen sich um den Rest balgen ließ.„Ich muß auch noch den Dritten bewirten. Der hat was spitz gekriegt. Der besteht auf einer Edelnutte. Bernd, geh an Deck und stülp Eimer über die Löcher, wo jetzt die Windhutzen fehlen. Gibt überall und immer Idioten die über alles stolpern und in jedes Loch fallen.“

„Wir werden nicht genug Eimer haben,“ sagte Bernd.

„Stülp was anderes drüber. Irgendwas. Wir haben noch Zinkeimer? Die Japsen werden sicherlich Zinkeimer haben wollen.“

Der Erste meinte zu dem Dritten, “sieht ja recht aufgeräumt auf. Macht gute Arbeit, unser Bootsmann.“

Der Assi aus der Maschine passte den Bootsmann auf dem Gang ab und verlangte heimlich seinen Anteil aus den Erlösen für die Werkzeuge, der beträchtlich war. Bernd bekam einen Anteil von zwanzigtausend Yen, der für zwei Nächte Trunkenheit und weibliche Begleitung ausreichen würde. Harry war zufrieden mit dem Erlös für die Teller der Heizermesse. Die Heizer, die sich nicht an das Essen aus einem Topf gewöhnen mochten, pachteten bei Tom Have gegen Zigaretten einen zweiten Topf und gaben Ruhe.

Die Deckmannschaft machte löschklar, zog die beiden Anker aus dem Schlick und verholte das Schiff mit Schlepperhilfe an die Eisenerzpier, an der es schon von leichtbekleideten Damen erwartet wurde, die Werbung mit Tittenschaukeln für die Nachtbars, in denen sie arbeiteten, machten und in die die Mannschaft nach Arbeitsschluß am Abend einzufallen beabsichtigte.

„Hier bin ich zuhause,“ sagte Dieter, der Leichtmatrose, als Bernd mit ihm über die Piers der Hafenanlage in Richtung der roten Lampen wanderte, die sich am Hafenrand aneinander reihten und zu Schuppen gehörten, aus denen ihnen beim Näherkommen Rockn Roll und Brunftgeschrei entgegentönte. „Hier würde ich sogar tot über dem Zaun hängen wollen. Ich war schon mal in Japan.“

Bernd wusste, dass Dieter schon mal in Japan gewesen war. Er hatte in den letzten Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, davon ausschweifend zu berichten. Sie fingen, wie es sich geziemte, mit der ersten, der sechs sichtbaren Kneipen an und betraten einen dämmerigen, rot erleuchteten Raum, in dem sich ein langer Tresen, einige Tische und Bänke und ein auf dem Boden liegender dicker schwarzer Teppich zu materialisieren begannen. Hinter dem Tresen an der Wand standen glitzernde Gläser auf glitzernden Glasregalen vor spiegelndem Hintergrund.

„Kirin,“ sagte Dieter, der schon mal in Japan war und wusste, das Kirin Bier hieß und ließ sich voller Zufriedenheit auf einem Barhocker nieder. „Na ? Hab ich zuviel versprochen ? So saubere Hafenkneipen hast du noch nie gesehen. So sind sie alle in Japan. Gemütlich, rotgedämpftes Licht. Die Musik kommt aus dem Radio. Die haben hier eine Radiostation, die nur Musik für die Nachtbars spielt. Wenn du hier bei Elvis rausgehst, gehst du nebenan bei Elvis etwas weiter, wieder rein. Wirst schon sehen. Verpaßt du keinen Schlager.“

Die geile Braut hinter dem Tresen stellte zwei Literflaschen Kirin auf die Theke und schob zwei Wassergläser hinterher. Zwei junge Mädchen standen von den Tischen auf und eilten heran, das Bier einzuschenken und sich an Dieter und Bernd zu heften.

„Na ?,“ sagte Dieter, mit rotem Kopf in roter Beleuchtung, von Ohr zu Ohr grinsend und das Glas Bier zum Salut hebend, „Na ? Hab ich zuviel versprochen ? Verstehst du jetzt, warum Japan das Paradies der Seefahrer genannt wird ? Campai.“

Er leerte das Glas in einem Zug und stellte es auf die Theke zurück, wo es unverzüglich erneut bis über den Rand gefüllt wurde.

„Ficki Ficki ?“ Fragte Bernd seine Freundin, die neben ihm auf dem nächsten Hocker Platz genommen und den einen Arm um ihn geschlungen hatte.

„Ficki, ficki?“ Sie lächelte und verstand nicht. Dankbar, dass Bernd in der Schule englisch gelernt hatte, suchte er die passenden Brocken zusammen und ergänzte : “Wanna go for a fuck?“

„Was sabbelst du da für einen Quatsch,“ sagte Dieter, der schon mal in Japan war und neigte sich Bernds Weib zu,“ shorttime.“ Er zeigte mit spitzem Finger auf Bernd.

„Oh, shorttime. Yes. Yes. Shorttime. Yes, very good shorttime. Me.” sagte sie, sich erfreut auf dem Hocker aufreckend und einladend über alle Backen grinsend.

„Na ?,“ sagte Dieter und zog selbstbewusst die Mundwinkel unter die Ohren. “Na ? Weißt du jetzt wie das hier abläuft? Manche brauchen halt etwas länger.“

Er beugte sich vor und adressierte das neben Bernd sitzende Mädchen, das lange schwarze Haare aufwies und deren Hand auf seinem Schenkel, nicht fern des Geschlechtsteiles, ruhte: „How much. How much money. For shorttime. Grabsch ihre Titten. Die mögen es, wenn du ihre Titten grabschst. How much money, ficki, ficki, shorttime.“

„Oh ja, shorttime,“ sagte sie erfreut und Bernd grabschte ihre Titte, die linke. „Ficki ficki,“ sagte die Braut, die hinter dem Tresen bediente und auch lange schwarze Haare hatte. „You ficki ficki.“ Sie streckte den Finger aus und zeigte auf Dieter. Bernds Braut stieß ihn an und malte in den imaginären Staub der Theke etwas was wie tausend aussah. Okay, sagte Bernd und sie verschwanden durch eine Tür im hinteren Teil der Bar, wo eine Leiter erklommen und in einem kleinen Zimmer ficki ficki veranstaltet wurde, während die Schlager aus den Lautsprechern der Bar durch den Boden dröhnten. Sie machte gut ficki ficki. Es war keine Eile geboten. Als Bernd wieder herunterstieg, öffnete sich die zweite Tür neben der Treppe, aus der Dieter hervortrat.

„Na? Gut gefickt ? Was hab ich dir gesagt.“

Sie tranken ein weiteres Bier und zogen in die nächste Kneipe, dann in die nächste, wo sie einen Teil der Decksmannschaft beim gemeinsamen Gesang antrafen und bei dem Madagaskar Lied lautstark einstimmten. In der vierten Kneipe, in die Bernd sich mühsam schleppte, nachdem Dieter ihm abhanden gekommen war, fand er Harry, der sich am Tresen festgeklammert hatte und mit glasigem Blick auf die Schnapsflaschen auf den funkelnden Regalen starrte.

„Na, Harry, gut gefickt,“ rief Bernd, damit er ihn verstehen möge, aber Harry war jenseits allen Verständnisses angelangt.

Am folgenden Abend war Bernd gleich nach Wachende wieder in der ersten Bar, wo er Mitziko, so hieß sie, fickte und etliche Biere trank, um pünktlich um vier Uhr morgens erneut die Wache anzutreten, denn es hieß, dass das Schiff an diesem Morgen auslaufen und Yokohama ansteuern würde, wo auf Außenreede vor Anker gegangen werden sollte, auf Order des Agenten zu warten.

Eine Woche verbrachten sie in den Kneipen in Yokohama, die denen in Kawasaki um nichts nachstanden. Die ganze Mannschaft war besoffen und in allen Bars trafen sie auf Bekannte. Die Weiber waren vortrefflich und willig und billig und überaus anhänglich. Bernd fand sich eines morgens kurz vor Sonnenaufgang in einem Bungalow auf einem Hügel außerhalb der Stadt auf einem Bett zwischen zwei Mädchen wieder, mit denen er Wein in einer Bar getrunken und die ihn, als er volltrunken war, eingeladen hatten, bei ihnen zu Hause zu nächtigen. Er entsann sich, dass die Stadt Yokohama hinter ihnen zurückgeblieben war und das Taxi Dörfer auf dem Lande auf schmalen Strassen durchquerte, bis sie vor einem steilen Hügel hielten, den sie in nachtschwarzer Dunkelheit über Treppenstufen erklommen, wobei er an der Hand geführt wurde und auf das Gekläff der Nachbarshunde lauschte. Ob Bernd sie gebumst hatte, wusste er nicht mehr. Jedoch sah es nach dem Arrangement, welches er beim Aufwachen vorfand danach aus, denn ihm schien, dass sie alle drei nackt umherlagen, wie er im Mondlicht zu erkennen glaubte.

 

Behutsam schälte er sich aus den Leibern heraus und tastete in dem Wunsch umher, seine Klamotten zu entdecken, die er jedoch nicht auffinden konnte.

Das eine Mädchen, gesegnet mit einem nicht sehr tiefen Schlaf, war mittlerweile aufgewacht und begann ihn zurück auf das Bett zu ziehen, wobei es das andere Mädchen anstieß und es aufweckte. Nunmehr versuchten beide, ihn auf das Bett zurückzudrängen, aber er musste darauf bestehen, das gastfreundliche Haus unverzüglich zu verlassen, denn im Schein des Mondes gelang es, einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen, um in Panik feststellen zu müssen, dass die dritte Morgenstunde angebrochen war, wo er in der vierten seine Wache auf dem Schiff anzutreten hatte, wo immer und wie fern das auch liegen mochte. Sie wollten ihn nicht gehen lassen, gaben aber schließlich, nach ausgiebiger Konversation, die niemand von ihnen verstand und die flüsternd abgehalten wurde, da niemand zu wecken war, der gegebenenfalls ebenfalls in diesem Haus oder in der Nähe ruhen mochte, seine Kleidung und die Schuhe, die im Nebenzimmer aufgefunden werden konnten, nachdem jemand auf die Idee gekommen war, ein Streichholz anzuzünden, denn Strom schien nirgends vorhanden. Noch beim Absteigen von dem Hügel, auf dem das Haus stand, versuchten sie Bernd zurückzuhalten, aber er ließ sich nicht beirren und torkelte die Steinstufen hinab, alsbald unschlüssig auf der schmalen Strasse die korrekte Richtung abschätzend, sich auf die Suche nach dem Schiff zu begeben, das irgendwo ja liegen musste.

Unbewußt hatte er offensichtlich die richtige Richtung gewählt, denn als er unter einer Brücke, deren Pfeiler die Strasse einengten und bei sich fortpfanzendem Hundegebell zu beiden Seiten, passierte und eine Ecke umrundete, sah er in der Ferne den Lichterglanz dessen, das Yokohama sein mochte und Yokohama zu sein hatte, da er bereits ziemlich am Ende seiner Kräfte und immer noch besoffen war und nicht mehr in der Lage sein würde, eine andere Stadt aufzusuchen. Bernd hatte Glück; es war Yokohama. Und eine Stunde Fußmarsches später hatte er erneut Glück. Ein Taxi kam von vorn und beförderte ihn in das Hafengelände, wo er sich auf die Suche nach der Anlegestelle der Barkasse machte, die er endlich auffand. Die Launch war weg und die nächste würde erst um sechs Uhr dreißig ablegen. Es war fünf Uhr dreißig und er hatte seine Wache verpasst. Bernd setzte sich auf einen Poller und ließ die vergangene Nacht Revue laufen.

Die Deckmannschaft hatte sich besonnen. Björn fiel als erstem in der Messe auf, dass irgendetwas vergessen worden war. Die beiden Mosese sollten doch einen Schaufick liefern. Schon in Kawasaki sollten sie ficken. Wozu hatte man die Fotoapparate bereit gelegt. „Wir fahren heute Abend mit der zwanzigdreißiger Launch an Land und suchen ein geeignetes Bordell mit Licht auf dem Zimmer. Damit die Aufnahmen was werden. Wer mitkommen will, kommt mit. Paßt mir auf, dass die beiden Wichser nicht wieder entwischen.“ Alle wollten mit. Auch Harry wollte dabei sein.

Geschniegelt und gestriegelt bestiegen alle die Launch und wanderten dann gemeinsam von der Anlegestelle zu dem großen Taxihalteplatz, wo ein Wagen neben dem anderen stand, die Mosese sorgsam in der Mitte haltend, damit sie nicht überraschend verloren gehen konnten. Bei der ersten Taxe angekommen, wurde Bernd die hintere Tür geöffnet und Tom Have hinterhergeschoben, während Bernd die linke Tür öffnete, ausstieg und in dem nächsten Taxi Platz nahm, gefolgt von dem prüden und etwas tranigen Tom Have, der jetzt jedoch geschickte Behändigkeit entwickelte. Sie fuhren bereits los, irgendwo hin, als die Matrosen und Leichtmatrosen und Jungmänner, die alle in ihrer Blüte als

Deckjungen auch schaugefickt und viele Fotos zurückgelassen hatten, noch mit dem Einsteigen in drei andere Taxen beschäftigt waren. Gleichwohl bemerkte man ihre Flucht sofort und ein Wagen setzte sich beharrlich an ihre hintere Stoßstange, konnte aber an einer Kreuzung glücklicherweise abgeschüttelt werden.

Während Bernds Rekonstruktionen war ein PKW mitten auf der Pier zum Stillstand gekommen, aus dem vier Japaner ausstiegen und auf die Bucht hinausblickten. Man kam beiläufig ins Gespräch und obwohl Bernd zunächst argwöhnisch Schwule vermutete, folgte er dann doch der Einladung und stieg in das Fahrzeug, das sie in ein Barviertel für die bessere Gesellschaft Yokohamas, parallel der Isesake Sho, wie Bernd bei späteren Japanbesuchen feststellen konnte, brachte, vor deren Türen häufig Schilder mit der Aussage „Japanese only“ hingen. Die Bars waren außerordentlich luxuriös eingerichtet. In einer Weise, wie sie zu der Zeit, etwa im Deutschland des Jahres 1960 nicht zu finden waren. Sie unterhielten sich angeregt auf englisch, soweit beide Seiten des Anderen Kauderwelsch verstanden, tranken Tee und Kaffe und um zwölf Uhr dreißig nahm Bernd die Launch, zurück an Bord zu fahren. Schon beim Anlegemanöver der Barkasse an das Fallreep konnte er die an Deck angetretene Deckmannschaft erkennen und ahnte Böses. Von dem Bootsmann erhielt er ohne Ansprache und recht plötzlich die erste Ohrfeige, dann kam der Matrose Jörg, dann stand da Hering. Und so ging es weiter, bis er den letzten Jungmann passiert hatte und Tom Have neben dem Deckshaus stehend mit roter Backe schwach grinsend erblickte.

„Wegen der Flucht,“ sagte der, als Bernd passierte, seine Kammer aufzusuchen, sich umzuziehen.

“Sie sind sauer wegen der entgangenen Schaufickgeschichte.“

Am Abend kam die Order, unverzüglich die Anker zu lichten und nach Osaka zu verholen, wo die Colonia bereits warten sollte und wo das Schiff an die japanische Abwrackmannschaft zu übergeben war. Es galt, seine Sachen in den Seesack zu stopfen und Abschied von den Kakerlaken zu nehmen, die sich einstweilen weiter von den Ölfarbresten an den Wänden ernähren würden.

Mit einem Bus transportierte man die dreiundvierzig Mann von der Pier, an der festgemacht und von den Japanern abgelöst worden war, die das Schiff in die Abwrackwerft verholen sollten, zu einem Flugfeld, das am Rande der Stadt lag und aus einer Betonpiste, einem kleinen gemauerten Gebäude und einem langen Jägerzaun bestand, an dem die Mannschaft der Colonia im Gras lagernd und guter Dinge, vorgefunden wurde. Sie waren bereits seit anderthalb Wochen in einem Hotel untergebracht gewesen und hatten für den Flug nach Hamburg bestens vorgesorgt. So gut wie alle waren reichlich besoffen und schleppten sich mit Flaschen für den kommenden Tag ab. Es passierte nichts und so lümmelten alle in der Sonne und nahmen Teil an den alkoholischen Getränken, die eigentlich auch morgen noch hätten reichen sollen. Morgen oder übermorgen, wenn sie in Hamburg sein und auf der Reeperbahn einkehren würden, gäbe es ohnehin Nachschub.

Ein kleines Flugzeug kam daher, kreiste um den Platz und rollte auf der Bahn aus, um die Motoren abzustellen.

Eine Treppe auf Rädern wurde von zwei Japanern aus dem Haus herbeigeschoben und an das Flugzeug gelehnt. Es öffnete sich eine Tür und eine Frau und ein Mann lugten heraus, zu schauen, ob die Luft rein sein würde.

Die Sonne strahlte von einem tiefblauen Himmel und die nächsten Flaschen wurden geöffnet. Jemand stimmte ein grölendes Lied an. Einer der Offiziere, die auch soffen, meinte laut, dass das Flugzeug nunmehr bald käme.