Der Sinn des Unsinns

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“Das kommt mir nicht aus dem Haus,” kreischte sie und hielt am anderen Ende der kleinen Truhe, die der Vertreter von oben, dem Dachgeschoß gerade herunterschleppte, krampfhaft fest.

Bernd unterstützte und zog am vorderen Ende die Truhe vor die Haustür. Sie wird noch über die Strasse brüllen, sie werde beraubt, dachte er sich.

Nachdem sich allmählich ein kleines Häuflein an privaten Gegenständen vor dem Haus angesammelt hatte, darunter auch ein Seil, auf das der Vertreter zu verzichten nicht überredet werden konnte, verluden sie das Zeug ins Auto und machten, daß sie davonkamen.

“Mein lieber Schwan,” sagte Bernd während der Fahrt, ”das ist ja ein Drachen. Wohin?”

“Keine Ahnung, ich wohne in einer Pension am Stutti. Aber die werden mir kaum erlauben, all das in der Stube zu stapeln.”

“Wie konntest du sowas nur heiraten, so eine Sirene. Wohin mit dem Zeug.”

“Sie war zunächst wie alle anderen. Schmeißen wir das Zeug irgendwo hinter die Büsche.”

Bernd nahm das Zeug mit nach hause. Einiges war durchaus

brauchbar, das Haus auszugestalten.

“Da hat man dich aber reich beschenkt.” sagte Jacqueline und besah sich die Utensilien, ”Schmeißen wir es hinter die Büsche.” “Nicht hinter unsere Büsche.”

Die wirtschaftliche Lage verfiel zusehends mehr. Auch wenn die Personalkosten mit Jackys Einstieg als Verkäuferin erträglicher geworden waren, es reichte einfach nicht mehr, alle Rechnungen auch nur ansatzweise pünktlich zu bezahlen. Da auf das Zeitungsgeschäft keinesfalls verzichtet werden konnte, machte sich der Mangel zunächst erneut bei den Tabakwaren bemerkbar. Die Anzahl der feilgebotenen Marken und die Vorratshaltung der verbliebenen Marken wurden eingeschränkt. Der Kreditvertrag war notleidend geworden. Jackys Kreditvertrag begann Anzeichen der Notleidigkeit aufzuweisen. Bei VV und BPV, den wesentlichen Lieferanten von Presseartikeln baute sich ein Schuldkonto auf, das beharrliche Verhandlungskunst erforderte. ”Etwas schwach derzeit mit den Finanzen. Wird sich ändern.”

“Sie sind schon lange schwach mit den Finanzen. Es muß sich etwas ändern. Sie müssen regulieren. Wir müssen die Lieferungen einstellen.” Drohscenarien dieser Art häuften sich und wurden zu alltäglichem Ärgernis. Süßwaren und Flachmänner wurden reduziert.

“Was ist mit meinem Geld,” meinte Köwenick besorgt. “Mein Geld.”

Der Herr Jakumeit kam wieder. “Der VV Fahrer sagt mir, daß du knapp bei Kasse bist.”

“Er wird sich irren. Sieht das so aus, als ob ich knapp bei Kasse bin?” “Ja,” sagte er, ”Es sieht so aus, als ob du knapp bei Kasse bist. Wieviel willst du für den Kiosk haben?”

“Siebzig, aber ich habe keine Intention zu verkaufen.”

“Kann sich ändern,” meinte Herr Jakumeit,” wir könnten einen Optionsvertrag schließen.”

“Jetzt?”

“Warum nicht jetzt.”

Sie schlossen einen Optionsvertrag über siebzigtausend Mark und Bernd hatte ein Papier, es Köwenick unter die Nase zu schieben.

“Du fürchtest um dein Investment?”

“Ich habe kein Investment. Ich habe einen Kreditvertrag.”

“Ist das was anderes?”

“Ja.”

Der Vertreter des Landesveterinäramtes kam und unterbreitete Bernd seine Vorstellungen.

“Ein Esel,” sagte er, damit man wusste worum es ging, ”ein Esel braucht Licht, Wasser, Unterkunft und Unterhaltung. Ich sehe hier Licht, Wasser von oben, aber keine Unterkunft und keine Unterhaltung. Ich war schon einmal da und habe sie nicht angetroffen,” setzte er erklärend hinzu und lehnte sich behaglich zurück, die Wirkung seiner Worte studierend.

“Der Esel ist ein Hengst und der Hengst weilt im Tierheim,“ klärte Bernd

den Beamten auf.

“Ich weiß,” sagte der, ”man hat uns benachrichtigt.”

“Wenn er kommt, voraussichtlich in zwei Wochen, richte ich ihm die Wohnung in dem kleinen Keller ein. Ein Stück rechts neben und hinter dem Haus wird als Gehege abgezäunt.”

“Sehr schön,” sagte der Beamte zufrieden, ”dann fehlt noch Licht und Unterhaltung. Wir Landesveterinäre überwachen die ordnungsgemäße Unterbringung der Tiere.”

“Licht?” Fragte Bernd interessiert, ”was verstehen sie unter Licht?”

“Ein Stall mit ein bis zwei Fenstern, hell und luftig. Würden sie in einem Keller leben wollen? Und gesicherte Betreuung. Das heißt es muß eine Person anwesend sein. Morgens, Mittags, Abends.”

“Karl Hannes,” sagte Bernd am Telefon, ”du als der Patenonkel hast die Verpflichtung, die Sache mit dem Hengst zu einem vorläufigen Ende zu bringen. Hilf mir einen Schuppen bauen. Mit zwei Fenstern.”

“Du und ich,” erklärte Bernd des nachts Jacqueline, ”müssen jetzt weniger essen. Wir müssen einen Anbau erstellen. Einen Stall.”

“Noch weniger essen? Ich werde Uta häufiger besuchen müssen. Was mag so ein Stall kosten?”

“Ich hab keine Ahnung, drei, viertausend Mark an Material.”

“Und wie willst du die auftreiben?”

“Weiß ich nicht. Muß irgendwie auch noch gehen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Der Esel kostet jeden Tag im Tierheim. Ich denke das wird jetzt schon so sechs, siebenhundert Mark ausmachen. Vielleicht kommen noch Arztkosten dazu.”

“Was ist wenn VV und BPV nicht mehr liefern?”

“Dann ist alles zu Ende. Aber deinen Kredit können wir mit dem Verkauf der Bude begleichen.”

“Die Steine kriegen wir vom Senatslager. Große Holblocksteine, Stück eine Mark bei Selbstabholung.” Karl Hannes hatte sich erkundigt. ”Was brauchen wir noch?”

“Kies, Zement, Kalk, Zement, Balken, Latten, Paneele, Kabel, Bretter, zwei Fenster, stabile Tür, Zarge, und das komplette Satteldach. Farbe und weiteres Zeug. Dann eine Menge Zaun.”

“Paneele?”

“Kann nicht viel teurer kommen. Dann ist es aber hübsch.”

Der Bau wuchs rasch und nahm Gestalt an. Die Größe bemaß sich an einer Geländevertiefung, die in eine Geländestufe ragte. Der Boden der Streifenfundamente war gewachsener Lehm, so daß auf eine Betonierung verzichtet werden konnte. Bernd schleppte die schweren Steine heran und reichte sie Karl Hannes durch den Buschsaum herunter. Drei Kellen Mörtel, wapp den Stein drauf, das Gleiche erneut.

“Sieht alles krumm und schief aus von hier oben,” mäkelte Bernd.

“Sieht man alles nicht mehr wenn die Paneele dran sind,” rechtfertigte sich Karl Hannes.

“Wir haben eine Wasserwaage,” sagte Bernd.

“Sieht alles gerade aus von hier unten,” sagte Karl Hannes, ”wird ein

schöner Stall.”

“Kommt ein Satteldach drauf,” keuchte Bernd, ”im Giebel dann Platz für eine kleine Sauna. Wollte ich schon seit der Grundschule haben.”

“Wir müssen ihnen den Bezug unserer Tageszeitungen versagen,” sagte die Tante von VV wenige Tage später durch den Telefonapparat,” sie können aber ihre Ware direkt bei uns in der Kurfürstenstrasse abholen. Gegen Barzahlung.”

“Wir werden Ihnen den Bezug unserer Magazine versagen müssen,” sagte die Tante von BPV, “wenn sie von jetzt ab nicht immer die Rechnung unseres Fahrers bezahlen.”

“Ich muß die Ware wieder einpacken,” sagte der Fahrer von BPV, ”wenn du die Rechnung nicht voll bezahlst.”

“Das Telefon ist abgestellt,” sagte Bernd zu Jacqueline. „Ganz plötzlich.“

“Hast du nichts mehr zu rauchen in der Bude?” Fragte Köwenick. “Wie könnte ich Nachtruhe finden, wenn du den Kaufvertrag nicht hättest.”

“Das Spiel läuft noch,” überlegte Bernd; ”ich muß den verdammten Stall fertigstellen, Esek holen und die Sache mit VV regeln.”

“Ein sehr schöner Stall,” sagte der Amtsveterinär bei der Abnahme, auf der er bestanden hatte. ”Ein sehr schöner Stall. Wann decken sie das Dach?”

“Vor dem Monsoon. Ich decke das Dach, wenn ich den Estrich eingebracht habe.”

“Fein, dann komme ich also wieder.”

„Ich ziehe heute noch eine Plane drüber, dann ist alles trocken.

”Fein, dann komme ich also nicht wieder.” Sie schüttelten sich die Hände und verloren sich aus den Augen.

Eine Front weniger, dachte er, es kann noch werden.

Esek wurde gegen siebenhundertfünfzig Mark in bar ausgelöst und zog ein, nachdem Bernd aus billigen Baustahlmatten und auf dem Grundstück anfallenden Stöckern eine Umfriedung hergestellt hatte, an die der Hengst sich nur gelegentlich hielt. Der Boden des Stalles wurde mit Lehm, der sich reichlich fand, geebnet.

Jacqueline hatte es immer mehr in die Nähe ihrer Mutter gezogen, die näher wohnte und warmes Essen herstellen konnte. Sie begann die bisher vage Beziehung zu ihrem leiblichen Vater, der erneut geheiratet hatte, zu pflegen und sich mit dessen derzeitigen Frau anzufreunden.

Bernd fütterte Oinky, der von seiner Wildheit nichts verloren hatte und Esek, der an Wildheit rasch zulegte und jeden Tag wuchs.

Die morgendlich täglichen Fahrten zu VV, die bar zu bezahlenden Warenpakete abzuholen, erlaubten eine Öffnung der Bude erst um neun Uhr, was sich drastisch im Umsatz niederschlug und die Kunden verunsicherte. “Gehen sie pleite?”

BPV lief noch, aber wiederum auf Kosten der Tabakwaren. Köwenick kam häufiger, sich zu vergewissern, ob Bernd noch in der Stadt weilte.

Schließlich stellte der Abendverlag seine Lieferungen ein. Naschwerk konnte nicht mehr angeboten werden. Mit Wein war Schluß. Es ging halt nicht mehr. “Verkauf endlich,” drängte Köwenick, der seit anderthalb Monaten keine Zinsen mehr gesehen hatte, ”bevor sie dir noch den Strom abstellen.”

Um zehn Uhr morgens an einem Dienstag trafen sie sich in einem kleinen Cafe in der Kantstraße. Bernd war mit der Bahn gekommen, da der Corvair den Geist aufgegeben hatte und nicht mehr anspringen wollte. Die Zeitungsbude war geräumt, die Remissionen hatten einen Warenwert von noch elftausend Mark erbracht, die unverzüglich mit den Außenständen verrechnet wurden, der Käufer war als neuer Pächter vom Tiefbauamt akzeptiert worden. Der Käufer wollte bar bezahlen und hatte das Geld bei sich., wie er eingangs behauptete.

 

Man einigte sich dahingehend, zunächst einen Kaffee zu bestellen und zu trinken.

“Laß machen,” sagte Bernd, nachdem er die Tasse geleert hatte, ”du hast die siebzigtausend bei dir?”

“Nein,” sagte Jakumeit. ”ich habe fünfunddreißigtausend bei mir.”

“Wie wäre das zu verstehen?” Fragte Bernd leicht irritiert. “Was ist mit dem Rest?”

“Was ist mit dem Rest?” Fragte Köwenick mit alarmierter Stimme.

“Nachdem du nunmehr die Kunden so lange mit zu geringem Warenbestand verprellt hast, bin ich nur noch bereit, die Hälfte zu bezahlen.” Jakumeit war sich seiner Sache sicher.

“Wir haben einen Vertrag,” sagte Bernd. ”Und da steht siebzigtausend drin. Und nichts von den Kunden.”

“Genau,” sagte Köwenick überflüssigerweise. ”Ihr habt einen Kaufvertrag.”

“Ich habe unter Vorbehalt unterschrieben, ”sagte Jakumeit, ”unter Vorbehalt.”

Bernd nahm den Vertrag aus der Tasche und faltete ihn auseinander, ”hier steht nichts von Vorbehalt. Den Text habe ich aufgestellt, du hast nur unterschrieben.”

“Aber mit Vorbehalt.”

“Wo.”

“U V Jakumeit,” sagte Jakumeit, ”das heißt unter Vorbehalt Jakumeit.” “Für mich ist das Ulrich Virgendwas Jakumeit. ”Sagte Bernd.

“Laß mich machen,” mischte sich Köwenick in den Wortwechsel, ”ich ruf meinen Vater in Düsseldorf an. Der ist Rechtsberater des Kruppkonzerns.”

Er telefonierte vom Tresen aus und schüttelte dann den Kopf. ”Er sagt das wäre rechtens,” flüsterte er, als Bernd herangetreten war. ”Was willst du jetzt machen?”

“Was bleibt mir schon übrig,” sagte Bernd, ”ich hab keine Ware mehr, der Ofen ist aus. Weg damit. Für fünfunddreissig. Was kriegst du?”

“Fünfunddreissig.”

“OK, vierunddreissigfünf und Schwamm drüber. Ich brauch was zu

fressen. Mir ist übel.”

Köwenick fuhr Bernd in seiner Taxe nach hause.

“Was willst du jetzt machen?” Fragte er, nachdem Bernd ihm an einer Ampel die vierunddreissigtausendfünfhundert Mark hingeschoben hatte.

“Brot und Fett kaufen, ich hab die letzten anderthalb Tage nichts zu fressen gehabt,” gutgelaunt fuhr Bernd fort, eine Woche Urlaub, dann was Neues. Mir gehts ja jetzt gut. Ich hab fünfhundert Mark.”

“Du kannst vom Arbeitsamt was kriegen.”

“Glaub ich nicht, bin immer selbständig gewesen.”

KAPITEL II
ES WIRD WERDEN

“Besuch,” sagte Backe erfreut und wischte, auf den Knien rutschend, mit seinem eigenen Handtuch den letzten Staub von den Bodenfliesen, ”Besuch, der Herr Meister Meysel in Person.”

“Ist das euer Meister?” Fragte der Kunde, der, zufrieden mit der Arbeit, gerade Bernd den Lohn vorzählte.

Der Meister Meysel trug sich nicht in der Absicht, lange zu verweilen. ”Lasst uns das rasch draußen regeln,” meinte er geschäftig, ”ich muß noch wohin.”

“Ich mach jetzt zwei Monate für euch, ”führte er, kaum vor dem Haus angelangt aus. ”das macht achthundert.”

“Achthundert?” Staunte Backe, etwas laut.

“Achthundert?” Staunte Bernd etwas leiser.

“Vierhundert Monat,” gab sich der Meister Mühe, zu erklären, ”das ist billig. Fünfhundert ist normal für eine Meisterkonzession. Ich bin Meister. Ohne mich werdet ihr weggefangen und vollstreckt. Vierhundert ist billig.”

“Wir haben für diesen Job tausend gekriegt,” unterbrach ihn Backe.

“Wir haben für diesen Job tausend gekriegt,” bekräftigte Bernd, ”fünfhundert ist die Hälfte. Fünfhundert hört sich besser an. Fünfhundert muß reichen. Aber wir gehen diese Woche noch zur Handwerkskammer und richten die Sache legal ein.”

“Dreihundert,” sagte der Meister. “Nichts unter dreihundert.”

“Quittung?” Fragte Bernd.

“Klar, könnt ihr von der Steuer absetzen. Macht sechshundert. Ihr führt doch Bücher?”

“Allemal,” behauptete Backe. “Von welchem Gewinn?”

“Donnerstag bei der Handwerkskammer, Punkt vierzehn Uhr. Gestriegelt.” Sagte Bernd und zählte dem Meister sechs Scheine auf die gierige Hand.

“Und zwei Scheine für dich und zwei Scheine für mich,” sagte Bernd zu Backe, ”lass uns tanken gehen und den Rest im Cafe bei einem Kännchen verprassen.”

“Scheiße,” sagte Backe, ”dafür haben wir fünf Tage gearbeitet. Geschuftet.” Auf den Knien herumgerutscht,” erbesserte er. “Nicht alle, die auf den Knien umherrutschen kriegen für so eine Beschäftigung Geld.” Belehrte Bernd ihn. „Du bist ein Glückspilz.”

“Wir werden einen neuen Auftrag brauchen, solange wir noch bei Kräften sind.”

“Ganz recht,” sagte die Kundin, die sich auf die neue Anzeige gemeldet hatte,” das Bad soll neu gefliest werden, aber so viel Baudreck kann ich nicht haben.”

“Ausreichend glatt,” führte Backe aus und gab sich fachlich beschlagen,” die Wände. Und der Boden auch. Wir werden das

überfliesen können. Dann haben sie so gut wie keinen Dreck.”

“Wenig Dreck ist gut,” sagte die Kundin zufrieden, ”und wieviel wird man mir dafür abverlangen wollen?”

“Das werden wir errechnen müssen,” sagte Backe, ”wir messen die Flächen aus und sagen ihnen nachher den Preis.”

“Wir werden sie anrufen,” ergänzte Bernd geistreich.

Im Cafe um die Ecke rechneten sie den Lohn und die Materialkosten aus.

“Ein Tag für überfliesen, ”kalkulierte Bernd ,”am gleichen Tag muß der Boden rein. “Zweiter Tag fugen und fertig.”

“Hundertfünfzig für dich und hundertfünfzig für mich den Tag. Macht sechshundert, dann haben wir die Meisterkosten wieder drin.”

“Material holen. Saubermachen, hundert für den Nachtwächter. Macht neunhundert. Also Tausend,” verbesserte Bernd. “Dann bleibt was fürs Fressen übrig.”

“Was fürn Nachtwächter?” Fragte Backe, ”gehen wir sie anrufen. Tausend.”

“Das macht tausend Mark,” sagte Bernd in den Hörer der Telefonzelle an der Straßenecke und horchte aufmerksam nach entmutigenden Geräuschen.

“Tausend?” Die Stimme der Kundin klang zufrieden.

“Tausend plus Material. Das macht etwa dreihundert aus. Je nach den Fliesen die sie sich aussuchen werden.”

“Tja,” hörte Bernd die Kundin sagen,” und wann vermögen sie zu beginnen?”

“Sobald sie das Material zusammen und die Fliesen ausgesucht haben.”

Backe, der mit gespitzten Ohren am Telefonhörer gelauscht hatte, stieß Bernd mit dem Ellenbogen in die Rippen und flüsterte kaum hörbar, ”wir treffen sie morgen bei Kluwe und holen das Material.”

“Wir können sie morgen im Baumarkt treffen,” sagte Bernd, ”und das Material gleich mitnehmen. Nachdem sie sich die Fliesen ausgesucht haben. Verfügen sie über ein Fahrzeug?”

“Nein, ich halte kein Auto,” sagte die Kundin. “Das hört sich gut an, machen wir das so. Sie werden mich sicher abholen können. Ich wüsste auch nicht, wo ich den Baumarkt fände.”

Bernd hängte auf. ”Sie sagte, sie wüsste, wenn sie ein Auto besäße. Wir haben den Job. Tausend. Wir müssen deine Karre nehmen. Meine fällt zusehends auseinander. Die Kupplung rutscht.”

“Ein weiterer Schritt bergauf,” sagte Backe zufrieden, ”jetzt kommt Knete ins Haus.”

Die Kundin war pünktlich und kam gleich herunter, als sie am nächsten Morgen klingelten. Sie fuhren ins Bauhaus, wo es all das gab, was die Befriedigung der Kundin förderte. Es sammelten sich vierundzwanzig Pakete an, die im Kofferraum nicht Platz fanden und auf dem Rücksitz und unter den Füssen des Beifahrers verstaut werden mußten. Der alte Ford ächste und die Kundin blickte mißbehaglich. “Ist wohl nicht das richtige Fahrzeug für so eine Aufgabe.”

“Wir hätten den Laster nehmen sollen,” sagte Bernd beiläufig zu Backe, der verstand.

“Hauptsache, die Türen gehen zu. Dann zieht es nicht so. Während der Fahrt.”

“Soll ich nicht besser den Bus nehmen?” Bot die Kundin hilfreich an. ”Das sieht mir alles nicht so recht verkehrssicher aus. Sie können das Material ja erst mal vor der Wohnungstür ablegen.”

Schließlich ließ sie sich überreden, doch noch auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen und ein überzähliges Paket auf dem Schoß zu ballanzieren.

“Normalerweise machen wir so was mit dem Laster,” regte Bernd die Unterhaltung während der Fahrt an, ”aber der hat einen Auspuffschaden und steht in der Werkstatt.”

“Dann werden sie den Auftrag ja dringend brauchen.”

“Bitte?”

“Um das große Auto aus der Werkstatt auszulösen. Bekomm ich eigentlich eine Rechnung und eine Gewährleistung?”

“Ja natürlich. Wir bringen ihnen morgen auch die Auftragsbestätigung mit. Haben wir heute vergessen.”

“Sie sind also eine Firma? Ich bin Buchhalterin. Ich möchte das schon korrekt haben.”

“Aber sicher doch,” sagte Backe vom Rücksitz aus, ”wir sind ein Meisterbetrieb. Für Fliesen.”

“Sie sind Fliesenmeister? Alle beide?”

“Nein, nein,” warf Bernd dazwischen, ”wir sind Gesellen. Aber wir arbeiten mit einem Meisterpartner. Wären wir Meister, hätten wir ihnen den doppelten Preis abverlangen müssen. Das ist ihnen doch sicherlich bewußt, daß sie recht preiswert zu einem neuen Bad kommen werden.”

“Zu einem nagelneuen Bad.” Ergänzte Backe überflüssigerweise von der Rückbank, unter den drei Fliesenpaketen auf seinen Knien.

“Dann wird die Auftragslage wohl nicht so berauschend sein? Ich werde noch blaue Flecken von diesem Paket hier bekommen.”

“Ich geh dann schon mal hoch und koche einen Kaffee,” sagte die Kundin, ”sie werden das nach oben bringen nicht wahr?”

“Das macht zwölf mal ins fünfte Geschoß,” Backe sah zweifelnd an der Hausfassade hoch,” je Mann. Warum müssen Häuser so elend hoch sein. Sie hätte auch ein Paket mit auf den Weg nehmen können. Wo sie eh nach oben geht.”

“Wir schleppen das Zeug erst mal in den Hausflur und parken das Auto. Dann schleppen wir es auf die Hälfte hoch und rauchen eine.”

“Na dann haben wir es ja gleich.”

“Mach hinne.“ Sagte Bernd, ”zwei auf zwei Stufen, dann sinds nur noch zweieinhalb Stockwerke. Tausender in zwei Tagen.”

“Dann werden wir es ja gleich haben,” sagte Backe und hob ächzend das erste Paket hoch. ”Wir werden im Schweiß baden. Die Kinder werden mit Fingern auf uns zeigen. Uns wird die Zunge aus dem Hals hängen.”

Nachdem sie die Fuhre auf das Podest der dritten Treppe gewuchtet

hatten, rasteten sie und rauchten erschöpft eine Zigarette.

“Wenn wir das alles oben haben, ist der Tag zu Ende.” Sagte Backe entmutigt, ”Wird drei Tage dauern, das alles. Frag sie nach Vorschuß. Sicherlich wird sie uns Vorschuß geben wollen.”

“Kommt ihr? Der Kaffee wird kalt.” Rief die Kundin von oben, ”ich kann euch reden hören.”

“Werden gleich oben sein,” rief Bernd und drückte seine Zigarette an einem Karton aus. “Laß uns hier verschwinden. Bevor der Feierabend Verkehr auf der Treppe einsetzt. Und das Podest unstabil wird.”

Sie wischten sich den Schweiß von den Gesichtern und tranken den Kaffee, den die Kundin aufwärmen musste.

“Heute fangen wir aber nicht mehr an,” sagte Bernd, nippte an der Tasse und zog die Zigarettenschachtel aus der Tasche. ”Spät geworden, wir müssen auch das ganze Werkzeug noch hochschleppen.”

“Morgen um zehn,” sagte Backe, ”dann ist alles rasch fertig.”

“Sie werden doch wohl nicht beabsichtigen zu rauchen?” Fragte die Kundin irritiert auf die Zigarettenschachtel starrend.

“Warum müssen sie auch so hoch wohnen?” Lenkte Bernd ab.

“Wegen der Aussicht junger Mann,” sagte die Kundin, ”wegen der Luft. Die Luft ist hier oben besser. Reiner. Und ich kann weit blicken. Sie werden doch nicht beabsichtigen zu rauchen?”

“Morgen um zehn Uhr,” sagte Backe.

“Schön, morgen um zehn Uhr,” sagte die Kundin beim Abschied und schloß die Wohnungstür hinter ihnen.

“Noch zwei Tage, dann haben wir einen tausender. Dann wirds gehen,” sagte Bernd, die Treppe hinuntersteigend.

“Dann sinds drei Tage für einen Tausender.”

“Dir mangelt es an der positiven Grundeinstellung.”

Am folgenden Tag klingelten sie pünktlich um zehn Uhr, schleppten allerlei Werkzeuge und Eimer in den fünften Stock und fingen sofort mit der Arbeit an, denn es gab noch keinen Kaffee, den sie erwartet hatten, den Tag in Ruhe zu beginnen. Die Kundin unterschrieb den Auftrag und bemühte sich, im Wege zu stehen.

 

“Pünktlich wie die Maurer,” scherzte die Kundin, gut aufgelegt.

“Schrauben wir zuerst all das Zeugs ab,” sagte Bernd, ”dann können wir metern. Wie funktioniert das hier?”

“Das weiß ich nicht,” sagte die Kundin. ”Ich bin Buchhalterin.”

“Das Absperrventil,” meinte Backe, der schon mal was von einem Absperrventil gehört hatte und vorsorglich in seiner Mietwohnung das seine gesucht hatte. ”Das Absperrventil. Wo ist das Absperrventil?”

“Das weiß ich nicht,” erwiderte die Kundin und schaute hilflos verlegen umher. ”Ich bin Buchhalterin.”

“Sicher,” sagte Bernd gereizt, neue Schwierigkeiten witternd. ”Wir brauchen das Absperrventil um das Kaltwasser abzustellen. Wie machen sie Warmwasser?”

“Wie ich Warmwasser mache? Das weiß ich nicht. Es kommt aus der

Leitung. Wenn ich den Hahn aufdrehe.”

“Schön,” sagte Bernd, ”was für ein Kasten ist das hier?”

“Da lagere ich Sachen drin,” sagte die Kundin, ”Schuhcreme und so. Müssen sie da ran?”

“Wir suchen das Absperrventil,” wiederholte Backe, ”ohne Absperrventil können wir das Zeugs nicht abschrauben. Sonst gibt es einen Wasserschaden.”

“Wasserschaden?” Die Kundin prallte entsetzt zurück in die Küche. ”Wasserschaden? Nur keinen Wasserschaden. Einen Wasserschaden wollen wir aber nicht. Nur keinen Wasserschaden.”

“Wir sind hier im fünften Stockwerk,” sagte Bernd grinsend, ”da wird das Wasser lange brauchen, bis es im Keller ankommt.”

“Um Gotteswillen,” sagte die Frau. “Er scherzt nur,” beschwichtigte Backe.

“Ah, da ist es ja.” Rief Bernd erfreut aus.

“Das Warmwasserventil?” “Nein, das Absperrventil. Hier auf dem Flur. In dem Kasten. Unüblich. Aber das wirds schon sein. Wir müssen das Wasser abdrehen, damit wir die ganzen Hähne abdrehen können.”

“Die Hähne abdrehen?”

“Sonst passen die Fliesen nicht,” klärte Backe sie auf.

“Zu,” rief Bernd, ”laß die Wannenbatterie laufen.” Sich der guten Frau zuwendend,” Wo kommt jetzt das Warmwasser her? Aus dem Keller?”

“Aus dem Keller?” Die gute Frau schien alarmiert.

“Hab schon,” rief Backe aus dem Bad, ”Durchlauferhitzer. Hier in der Ecke.”

Alles lief wie am Schnürchen. Die Wannenbatterie wurde abgeschraubt, das Waschbecken samt Batterie konnte in die Küche gestellt werden. Die Toilette wurde abgeschraubt, der Spülkasten, die Kundin war ob der Hektik ins Wohnzimmer ausgewichen, fernzusehen und hatte vorsorglich die Tür geschlossen. Der Strom für den Durchlauferhitzer konnte abgestellt und derselbe abgeschraubt werden. Der Duschvorhang wurde demontiert. Die Seifenschale über der Wanne. Der Spiegel über dem Waschtisch wurde abgehängt. Es war vierzehn Uhr

geworden. Man war in der Zeit und musste eine rauchen. Die Kundin öffnete das Küchenfenster weit und schloß die Küchentür.

“Das ist eine Sucht, das Rauchen.” Sagte sie vorwurfsvoll und kochte endlich Kaffee.

“Jetzt sind wir bald fertig,” gab Backe von sich.

Nach der verdienten Pause sagte Bernd, ”schmier die Mumpe an die Wand. Ich klebe.”

Backe schmierte die Mumpe an die Wand und Bernd klebte. Es ging voran.

“Das ist alles schief und krumm,” sagte die Kundin, plötzlich in der Badtür stehend. “Alles schief und krumm.”

“Was,” sagte Bernd, richtete sich aus den Knien auf und fühlte Wut aufkommen. ”Was ist hier schief und krumm.”

“Die Fliesen,” sagte die Kundin, ”die Fliesen rutschen alle runter.”

“Verdammt noch mal,” sagte Backe, ”die verdammten Fliesen

rutschen.”

Bernd schob eine Fliese wieder hoch ins Lot. Aber die Fliesen rutschten auf der ganzen, bisher gelegten Fläche von etwa zwei Quadratmetern.

“Mist,” sagte er unterdrückt, ”wir müssen da nochmal von vorn anfangen und alles in Lot und Waage schieben.”

“Das muß aber gerade werden,” sagte die Kundin verunsichert, ”nehmen sie keine Fliesenkreuze? Mein Bruder nimmt Fliesenkreuze. Mein Bruder hat eine Laube. Mein Bruder hat sein eigenes Bad gefliest.”

“Handwerker nehmen keine Fliesenkreuze,” sagte Backe gereizt, ”nur Hobbyhandwerker nehmen Fliesenkreuze. Nur Amateure. Und Pfuscher.”

“Wir schieben das jetzt wieder ins Lot,” beruhugte Bernd, ”wenn der Kleber trocknet hält das dann. Der Kleber ist noch zu naß.”

“Das muß aber gerade werden,” meinte die Kundin bestimmt.

“Das wird schon gerade,” sagte Backe. ”Gut Ding braucht Zeit. Oder so ähnlich. Warum lassen sie das Bad nicht von ihrem Bruder fliesen?”

“Mein Bruder hat sich verdreifacht. Der hätte Mühe, durch diese Tür zu kommen. Der hat auch Mühe, hier oben anzukommen.” Sie lachte. “Sie müssen Fliesenkreuze nehmen. Mein Bruder nimmt auch immer Fliesenkreuze. Dann wird alles schön gerade.”

“Wir brauchen Informationen,” sagte Bernd als die Kundin wieder das Wohnzimmer aufgesucht hatte, fernzusehen. ”Wir brauchen Informationen. Das muß der verkehrte Fliesenkleber sein. Da muß es was anderes geben. Mit dieser Methode werden wir ewig brauchen.”

“Zwei Tage eh? Ich seh uns hier schon eine Woche herumlungern. Wir sollten uns auf die Flucht begeben. Das wird hier kein Ende nehmen.”

“Laß uns das hier verläßlich richten und Feierabend machen. Ich ruf den Meister an. Mach kleine Pappschnitzel aus den Kartons. Die schieben wir als Abstandshalter in die Fugen. Damit das hier ein Ende nimmt.”

“Das wird hier kein Ende nehmen. Das ist ein Horrorbad. Eine Großbaustelle.”

Mit den Pappschnitzeln ging es leidlich und schleppend voran.

“So sieht das schon besser aus,” sagte die Kundin nachdem sie das Programm nicht mehr ertragen konnte, ”wenn man sich vorstellen kann, daß die Pappschnitzel wieder entfernt werden.”

Die Pappschnitzel entfernen wir morgen,” sagte Backe. ”Dann ist alles schön fest und gerade.

“Wir haben ein Problem,” sagte Bernd, ”wir benötigen einen anderen Kleber. Mit diesem kommen wir nicht so recht voran. Der ist für Fliese auf Fliese nicht geeignet”

“Mit diesem kommen wir überhaupt nicht voran,” ergänzte Backe.

“Es steht doch aber groß auf dem Eimer,” sagte die Kundin, ”drauf und sitzt. Das heißt doch wohl, daß man mit dem Kleber eine Fliese an die Wand kleben kann.”

“Sicher,” sagte Bernd, ”drauf steht immer viel. Aber funktionieren tut es

nicht, wie sie sehen können.”

“Vielleicht haben sie den Kleber nicht richtig umgerührt?”

“Diese Art Kleber wird nicht angerührt,” belehrte Backe. ”Der klebt oder der klebt nicht. Dieser klebt nicht.”

“Dieser Kleber klebt nicht? Werden die Fliesen nicht fest mit der Wand verbunden sein? Sie sind doch aber vom Fach?”

“Oh doch, sicher,” warf Bernd ein, ”eines Tages. Eines Tages werden sie fest sein. Wir können aber nicht so lange warten. Wir brauchen anderen Kleber.”

“Dann geben wir den Kleber zurück? Wenn er nichts taugt?”

“Nun ist der Eimer angebrochen,” stellte Backe sachlich fest, ”die nehmen keine angebrochenen Eimer von uns.”

“Wir geben den zweiten Eimer zurück. Der ist wie neu. Den werden sie nehmen. Geben sie uns die Rechnung. Für den Umtausch. Dann bringen wir morgen neuen Kleber. Wir verrechnen das bei der Abrechnung.”

“Sie wollen schon gehen? Wo kann ich mich waschen? Und auf die Toilette gehen? Ich dachte es würde alles fertig geworden sein.”

“Wir setzen die Toilette wieder ein, dann können sie mit dem Eimer spülen.” Sagte Bernd und nahm das Toilettenbecken im Flur auf, um es im Bad wieder in die Röhre zu schieben.

“Mit welchem Wasser?” Fragte die Kundin interessiert.

“Mit dem Wasser aus der Küche,” sagte Bernd, ”sie haben doch Kaffee gekocht. Mit dem gleichen Wasser.”

“Den Kaffee habe ich mit dem Wasser im Kaffeeautomaten gekocht. In der Küche läuft kein Wasser.”

“Scheiße,” sagte Backe mürrisch, ”eine Großbaustelle. Ich habs gewußt.”

“Wir kriegen das in den Griff,” beschwichtigte Bernd, ”wir schrauben die Wasserhähne wieder an.”

“Dann können sie die Toilette auch wieder spülen,” sagte Backe, wohl wissend aus bereits gemachter Erfahrung, daß Kunden, die noch nicht gezahlt hatten nicht zu verärgern sind.

Nachdem sie alle offenen Rohre wieder mit den dazugehörenden Hähnen verschlossen hatten, stellten sie das Wasser wieder an, um ratlos zu beobachten, wie an allen Anschlüssen das Wasser tropfte.