Der Sinn des Unsinns

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“Und sie wissen wo der Esel steht?”

“Gewiß, wollen wir gleich hinfahren? Wir müssen uns beeilen. Wir können nur langsam fahren, weil die Bremse kaputt gegangen ist.”

“Sie haben ein Auto ohne Bremse? Wollen sie meine Gesundheit riskieren?”

“Unsinn, das geht schon,” warf Karl Hannes, der bisher geschwiegen hatte ein, ”der wird mit der Handbremse gestoppt.” Kasic sah ihn überrascht an, als zweifelte er an seinem Verstand.

“Ein Auto ohne Bremse? Das gibts noch nicht mal hier in Yugoslawien. Das wird vermutlich verboten sein. Wie sieht es mit den Gebühren aus. Ich hatte Unkosten.” Er sah Bernd erwartungsvoll an.

“Deutsche Mark,” sagte Bernd ,“Devisen. Wenn es jetzt rasch über die Bühne geht einhundert. In Zwanzigern. Was immer das hier wert sein mag.”

“Bar?” “Natürlich, in Zwanzigern, sofort.” “Erschien der Esel ihnen gesund? Sie haben ihn doch schon aufgesucht?” “Sicher,” log Bernd,

”wir waren soeben dort, er ist kerngesund und tobt auf der Wiese umher.”

“Na dann können wir die Sache abkürzen, wenn er gesund ist, wäre es überflüssig ihn sich erneut anzusehen. Gehen wir in mein Büro. Wegen der Stempel und Formulare.” Sagte er unternehmungslustig. ”Das sind ein paar Minuten zu Fuß.”

Zwei Stunden später war es Nacht geworden und sie mußten den Bauern, bei dem Esek vier Monate gelebt hatte, aus dem Bett pochen. Mißtrauisch öffnete der die Tür, erkannte Bernd und den fünfzig Markschein den ihm dieser unter die Nase hielt, holte seine Petroleumlampe und bedeutete ihnen ein wenig zu warten.

Nach einer Weile kam er mit dem kleinen Esel, dem er einen Strick um den Hals gebunden hatte wieder und übergab ihn. Das Fell war völlig verdreckt. Rund um den Hals gab es eine große kahle Stelle. Aber gut genährt schien er zu sein. Die Wampe war rund.

“Der Amtsveterinär kommt morgen wieder,” sagte der Posten an der österreichischen Grenze.

“Oh scheiße auch, wie konnte ich das nur vergessen. ”brüllte Bernd wütend, ”der Amtsveterinär arbeitet ja nur am Tag. Wie konnte ich das nur vergessen. Wann wird er kommen? Morgen?”

“So ab zehn ist er für gewöhnlich im Grenzpunkt,” sagte der Grenzwächter korrekt. ”Wir haben hier nur selten tierische Passagiere.”

“Wir warten,” sagte Bernd mürrisch.

“Sie müssen das Benzin deklarieren,” sagte der Grenzbeamte.

“Welches Benzin?” Fragte Bernd irritiert.

“Das Benzin, das sie in Yugoslawien getankt haben. Folgen sie mir bitte in die Grenzstation.”

“Benzin, daß sie von Yugoslawien in Österreich einführen ist steuerpflichtig,” sagte der Beamte hinter dem Tresen in der Grenzstation und nahm eine Liste in die Hand. ”Wir werden feststellen müssen, wieviel Benzin sie importieren wollen.”

“Ich will kein Benzin nach Österreich importieren,” sagte Bernd, ”ich habe nur das getankt, was ich brauche um weiter zu kommen.”

“Sehen sie? sagte der Beamte, ”sie haben Benzin getankt. Das ist steuerpflichtig. Wieviel Benzin paßt in diesen Wagen? Achtzig Liter, nicht wahr. Davon haben sie fünfundsiebzig Liter in Yugoslawien getankt.” Der Beamte blätterte in seiner Liste und nahm den auf dem Tresen liegenden Taschenrechner in die Hand. “Achtzig mal ..”Murmelte er und gab dann das Ergebnis seiner Bemühung bekannt.

“Das macht dreihundertundzwanzig Schilling. Darauf kommt noch die Steuer.”

“Was?” Entfuhr es Bernd, ”was? Dreihundertzwanzig Schilling? Und darauf kommt die Steuer?”

“Ganz recht, darauf kommt die Mehrwertsteuer,” sagte der Beamte hilfreich. ”dann können sie unverzüglich weiterreisen.”

“Dann kann er nicht unverzüglich weiterreisen,” sagte der erste Beamte. ”Er kann nicht einreisen.”

“Er kann nicht einreisen?” Der zweite Beamte blickte erstaunt.

“Ganz recht,” sagte der erste Beamte und fügte erklärend hinzu, ”er hat einen kleinen fetten Esel im Auto und kann nicht einreisen.”

“Er hat einen kleinen fetten Esel im Fahrzeug?” Der zweite Beamte trat unwillkürlich einen Schritt zurück und musterte Bernd argwöhnisch und mißtrauisch über die Theke, ”einen fetten Esel?”

“Ganz recht,” gab der erste Beamte zu, ”er kann, er darf nicht einreisen, bis der Amtsveterinär kommt. Und er darf nicht einreisen, wenn der Amtsveterinär kommt und es nicht will.”

“Ja dann, ”sagte der zweite Beamte, ”dann ist die Lage geklärt. Sie schulden, ”er schaute auf seinen Rechner, ”dem Österreichischen Fiskus dreihundertvierundachtzig Schilling an unterschlagenen Steuern. Wir nehmen auch Deutsche Mark.”

“Was,” meinte Bernd sprachlos, ”dreihundertvierundachtzig Schilling für was? Und Steuern auf Steuern? Wo gibts sowas.”

“Hier,” sagte der zweite Beamte. ”Wenn sie nicht zahlen, dürfen wir sie nicht einreisen lassen.”

“Aber sie lassen mich doch sowieso nicht einreisen,” Bernd zeigte auf den ersten Beamten.

“Ganz recht,” sagte der, ”sie dürfen nicht einreisen.”

Bernd gab auf: ”Dann fahren wir wieder nach Yugoslawien zurück. Ich kenn da ja noch eine Schlafstelle im Gebirge wo man mit der Maschinenpistole aufgeweckt wird.”

“Wir dürfen sie nicht nach Yugoslawien ausreisen lassen, bevor sie nicht die säumigen Steuern bezahlt haben.” Stellte der zweite Beamte sachlich fest.

Bernd staunte: ”Und wenn ich die bezahle, nach Yugoslawien fahre und morgen wiederkomme, was ist dann?”

“Dann müssen sie das Benzin bezahlen, das sie nach Österreich importieren. Sie kennen die Bestimmungen ja bereits.”

“Aber wo ich übernachte, im Wald am Berghang gibt es gar keine Tankstelle.”

“Darauf können wir keine Rücksicht nehmen,” unterstützte der erste Beamte den zweiten Beamten.

“Unsere Erfahrungswerte sagen uns,” setzte der zweite Beamte hinter seinem Tresen zu einer umfassenden Erklärung an, ”dass Touristen die heute nach Yugoslawien fahren und heute aus Yugoslawien zurückkommen Schieber sind. Daran halten wir uns.” Nach kurzer Pause setzte er hinzu: ”Weshalb sonst sollte jemand dem Wunsch verfallen, in solch ein Land einzureisen.”

“Irrenhaus, irgendwie wie im Irrenhaus, bild ich mir das nur ein?” Murmelte Karl Hannes kaum hörbar.

“Was machen wir,” fragte Bernd ihn, ”wenn wir zahlen und nach Yugoslawien fahren müssen, zum Schlafen, haben wir morgen das gleiche Problem. Ich bin beinahe pleite. Wir werden kaum noch zurückkommen. Und todmüde bin ich auch. Steuern auf Steuern? Die Steuer auf die Steuer zahl ich in keinem Falle. Bleiben wir hier auf dem Parkplatz und schlafen erst mal.”

“Sie können hier nicht auf dem Parkplatz bleiben und schlafen. Sie sind

nicht eingereist,” gab der erste Beamte zu verstehen.

“Wir parken nur um uns zu einer Entscheidung durchzuringen,” entgegnete Bernd und rutschte auf dem Fahrersitz zusammen, als der erste Beamte zu dem zweiten Beamten in das Gebäude ging um mit diesem zu einer eigenen Entscheidung zu gelangen.

“Ein Irrenhaus.” Hörte er Karl Hannes noch sagen, ”wir sind in einem Irrenhaus,” dann war er fest eingeschlafen. Es war mittlerweile Zweiuhrdreissig geworden. Der Esel lag auf seiner Decke und bewegte sich nicht.

Die Beifahrertür wurde aufgerissen, Karl Hannes im Schlaf aus dem Wagen gezerrt und über den Parkplatz zu dem Gebäude geschleift. Bernd war aufgewacht und sah, daß der erste Beamte und der zweite Beamte Verstärkung erhalten hatten. Er sah auf die Uhr; dreiuhr- dreißig und schlief sofort wieder ein.

Ein Hilferuf weckte ihn eine halbe Stunde später. Jemand schrie mit der Stimme Karl Hannes Hilfe, Hilfe, und noch einmal Hilfe, über den nächtlichen, verwaisten Parkplatz. Bernd mußte lachen. Werden ihn wohl piesacken dachte er sich und versank erneut, grinsend, in Tiefschlaf.

So gegen fünf Uhr wurde die Beifahrertür erneut aufgerissen und Bernd aufgeweckt. Karl Hannes war zurück. “Sie haben mich nackend ausgezogen,” gab er mit zitternder Stimme von sich, ”sie sagten, sie ziehen Schmuggler immer nackend aus.”

“Schlaf endlich,” murmelte Bernd, ”wir werden einen langen Tag vor uns haben.”

“Was haben sie heut Nacht mit dir gemacht?” Fragte Bernd grinsend als sie etwa um neun Uhr aufwachten.

“Sie haben mich nackend ausgezogen,” sagte Karl Hannes mit vor Empörung vibrierender Stimme.

“Und da hast du Hilfe geschrien? Du hast mich aufgeweckt. Du hättest Elvis wecken können.”

“Ich dachte sie würden mich jetzt vertrimmen. Sie machten Anstalten. Sie sagten, daß sie mich windelweich prügeln würden. Sie drohten, die Scheiße aus mir herauszuquetschen.”

Bernd lachte, ”na und? So wird das immer gemacht mit Schmugglern. An den Grenzen. Du bist ein Glückspilz. Sie hätten einen Besenstiel finden können.”

“Einen Besenstiel?”

“Wie kannst du nur so pingelig sein.”

“Sie kenn ich, sie hab ich schon mal gesehen,” rief der Amtsveterinär schon aus der Ferne und schritt rasch näher.” Sie kenn ich.” Er reckte den Arm und zeigte auf Bernd.

“Du scheinst vielen bekannt zu sein,” gab Karl Hannes von sich,” dich kennt man überall.”

“Hab schon gehört,” sagte der Amtsveterinär geschäftig, ”sie haben diesen Esel im Auto. Fett soll er sein.”

“Welche Papiere wollen sie sehen, damit man uns hier durchlässt?”

“Hab auch schon gehört, daß sie Schmuggler sind, die man auf frischer Tat erwischt hat. Sie schmuggeln Benzin über die Grenze? Haben sie das nötig? Bei dem Wagen?” Er schaute genauer auf den Wagen und sagte ;”Zweiter Gedanke, ja, sie haben das nötig. Er soll aussteigen.” Esek stieg aus und der Amtsveterinär stellte mit Kennerblick fest, ”dreckiger habe ich noch nie einen Esel gesehen. Sie müssen ihn waschen. Er wird sonst krank, wenn er noch nicht krank ist.” Er hob den Schwanz Eseks und lugte auf das Arschloch. Alle hoben offenbar den Schwanz von Esek und lugten auf sein Arschloch.

 

“Haben sie ihn bezahlt? Starrt vor Dreck, aber keine Pickel am Arsch,” sagte er.” Wird uns Genüge tun, so sie alle Papiere haben.”

Bernd gab ihm die Papiere, die Bescheinigung aus Edirne und die Bescheinigung, daß die Quarantäne negativ abgeschlossen war, die Bescheinigung, daß der Esel jetzt als Yugoslawe galt, die Bescheinigung des bayrischen Agrarministers und die Bescheinigung des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

“Ist das alles?” fragte der Amtsveterinär und arbeitete Zweifel in seine Stimme, ”das ist alles?”

Bernd rutschte das Herz in die Hose. Das hier wollte kein Ende nehmen.

“Haben sie ihre Brille gefunden?”

“Sehen sie das nicht? Ich habe sie auf der Nase.”

“Ich dachte es wäre vielleicht eine neue Brille.”

“Und ich dachte, sie hätten sie mir gestohlen. Nun weit weg war das ja nicht, wie sich jetzt herausstellt. Bei einem Benzindieb.”

“Nicht Dieb,” korrigierte Bernd,” nicht Dieb, wir sind Schmuggler.”

“Macht nicht viel Unterschied. Oder? Man wird ein Portrait von ihnen anfertigen und es in der Wache an die Wand heften.” Bernd mußte lachen. Der Amtsveterinär war ein Komiker, ein Kasper.

“Ich muß mich setzen,” sagte der und ging auf das Gebäude zu. Drinnen grinsten neue Beamte von Ohr zu Ohr als Bernd und Karl Hannes die Wachstube betraten.

“Das ist der, der beinahe meine Brille gestohlen hätte,” sagte der Amtsveterinär zu dem neuen Beamten hinter der Theke,” macht ein Portrait und heftet es an die Wand.” Der Beamte grinste.

“Und jetzt,” sagte der Amtsveterinär geschäftig und legte eine Sprechpause ein, ”jetzt sehe ich, daß sie sich Mühe gegeben haben. Die Papiere sind in Ordnung, aber erklären sie den Sachverhalt der Beschaffung. Ein türkisches Kaufpapier für einen yugoslawischen Esel, der nie in der Türkei gewesen sein durfte, wollte er unsere Gebirgsgrenze hier überqueren.”

“Das Papier von Edirne betrifft einen anderen Esel, den ich dort gekauft und zurückgelassen habe.”

“Machen sie das oft?”

“Pardon? Was mache ich oft?”

“Oh sie sprechen französisch? Schmuggeln sie auch in Frankreich?”

“Oh nein.”

“Dann schmuggeln sie also vorwiegend in Österreich,” stellte der Amtsveterinär mit Befriedigung fest. ”Sie können passieren. Kommen sie nicht so bald wieder. Sie kosten mich Nerven.”

“Sie können nicht passieren,” sagte der Beamte hinter dem Tresen, der neu war. ”Sie müssen die Steuern bezahlen.”

Bernd zahlte entnervt und sie stiegen ins Auto, langsam zu dem ersten Beamten vorrollend, um die Quittung über bezahlte Steuern vorzuweisen.

“Sehen sie,” sagte der, ”Querulantentum lohnt sich bei uns einfach nicht. Hätten sie gestern bezahlt, hätten sie auch wieder nach Yugoslawien ausreisen dürfen. Das hätte ihnen niemand verwehrt.”

“Wir wollen nach Deutschland, nicht nach Yugoslawien. Wenn wir dann heute morgen wieder zurückgekommen wären, hätten wir erneut Steuern auf Benzin zahlen müssen und Steuern auf die Steuern.”

“Natürlich.” Sagte der erste neue Beamte, ”Schmuggler müssen eine Strafsteuer zahlen. Mangelt es ihnen an Rechtsempfinden?”

“Los jetzt,” sagte Karl Hannes wutentbrannt, ”du wirst dich um unseren Kopf schwätzen.”

Die erste Herausforderung bestand in der Abfahrt vom Wurzelpass, die einer der steilsten in ganz Europa und ziemlich lang ist.

“Müßte eigentlich auch bremsen, wenn wir den Motor abstellen, geht aber nicht bei Automatic.”

Möglichst sachte fuhren sie steil bergab, im ersten Gang und mit halbdurchgetretenem Handbremsenpedal.

“Wir müssen endlich etwas zu fressen kriegen,” sagte Karl Hannes, ”mir ist schon ganz schwindelig.” “Der Mensch muß nicht jede Woche fressen,” sagte Bernd nachdenklich und konzentrierte sich auf die Abfahrt und die engen Kurven, ”wir werden anhalten und nach- schauen, ob die Hinterräder heiß werden. Nicht daß sie Feuer fangen. Oder die Bremsbeläge so stark abgenutzt werden, daß wir auf der Autobahn nichts mehr haben. Zum Bremsen.”

“So einen Scheiß hab ich auch noch nicht erlebt,” sagte Karl Hannes. ”Laß uns was zu fressen besorgen.”

Bernd hielt auf einem Stückchen Randstreifen der Strasse und sie stiegen aus, sich die Hände an den Felgen der Hinterreifen zu verbrennen.

“Mein lieber Schwan, ”zuckte Karl Hannes zurück, ”noch einen Kilometer und das fackelt alles ab. Bist du versichert?”

“Scheiß auf Versicherung. Der Esel muß nach Hause.”

“Wie weit geht das noch so steil runter? Die Kühlwassertemperatur ist auch auf rot.”

“Ich denke wir haben mehr als die Hälfte. Wir müssen das abkühlen lassen. Sowas dauert.”

Sie rupften Gras für Esek, der das Kraut gierig hinunterkaute und rauchten. Einige Autos keuchten hoch, andere kamen herunter. “Laß fühlen,” Bernd stieg aus. Die Felgen waren immer noch heiß, aber nicht so heiß, daß man sich noch die Finger verbrennen konnte.

“Fahren wir langsam weiter,” schlug Karl Hannes vor.

“Wir fahren die ganze Zeit langsam,” berichtigte Bernd ihn, ”wir sollten etwas schneller fahren, dann sind wir eher unten.”

“Denk daran, daß wir einen irre langen Bremsweg haben.”

Ein weiterer Halt wurde erforderlich. Eine weitere Stunde Wartens verging. Als sie die Talsohle erreichten, wurde es bereits düster.

“Wir müssen was zu fressen finden,” sagte Karl Hannes. ”Ich krepiere.” “Der Mensch muß nicht jede Woche fressen,” erinnerte ihn Bernd, ”laß uns aus diesem Land verschwinden. Fressen wir in ein paar Stunden wenn wir in Bayern sind.”

Weit nach Mitternacht erreichten sie die DDR Grenze bei Hof. Der Übergang Österreich Bayern war zügig und ohne Komplikationen verlaufen.

“Wird es Schwierigkeiten an der DDR Grenze geben?” Fragte Karl Hannes, aus tiefem Schlaf erwachend.

“Nach meinen Informationen nicht,” sagte Bernd, ”das Bundesagrarministerium sagte am Telephon, daß die Abnahme Verfügung Berlins ausreicht. Die hab ich.”

“Was für ein Aufwand. Der Esel muß ja mittlerweile ein paar tausender gekostet haben.”

Als die Autoschlange kurz geworden war und sie an der Reihe waren, stellten sich die Kommunisten von ihrer besten Seite vor. Ein Esel, toll, nach Westberlin, toll. Sie brachten Wasser und ein paar Scheiben Brot. Sie machten die Bahn frei und dirigierten den Wagen zu einem Gebäude abseits der Passkontrolle, in dem das Veterinäramt stationiert war. Alles ging zügig und fix über die Bühne. Bahn frei, der Esel musste aus dem Auto raus. In Westberlin.

“Hätte ich nie gedacht, daß die so freundlich sein können.” Stellte Karl Hannes fest, als sie wieder auf der Autobahn waren.

”Richtige Tierfreunde,” sagte Bernd.

In der Frühe erreichten sie Westberlin und Bernd fuhr Karl Hannes vor dessen Haustür. Zuhause angelangt wuschen er und Jacqueline, die anschließend mit dem Bus loszog, die Bude zu öffnen, den Esel, oder versuchten es jedenfalls.

“Das wird Wochen dauern,” sagte sie mit der urweiblichen Kenntnis über Hygienie, ”das ist total verfilzt und muß hundertemal gestriegelt werden.”

Bernd wusch Esek fertig, der sich der Prozedur zu entziehen trachtete und ging zu Bett. Hundemüde, völlig übermüdet, konnte er jedoch nicht einschlafen und horchte auf den Rabatz, den Esek unten im Wohnzimmer veranstaltete. Da das Fell bereits einigermaßen getrocknet war, machte er die Haustür auf und entließ den kleinen Racker in den Garten.

Mittags, als Bernd aufwachte, war Esek nirgendwo zu sehen und zu finden. Da Sonntag war, konnte die Sache nicht geklärt werden. Am Montag Vormittag rief Bernd das Tierheim Lankwitz an und erfuhr, daß der Eselhengst, umherstreunend, von der Polizei aufgegriffen und im Tierheim abgegeben worden war. Im Tierheim am Dienstag wurde Bernd von einer weiblichen Person mit strenger Blickgewohnheit empfangen.

“Wir werden den Esel nicht herausrücken und ihn hier behalten. Wir

überlegen, eine Anzeige wegen Tierquälerei und Tiermißhandlung gegen sie zu erstatten,” sagte sie, nachdem sie sorgsam Bernds Personalien aufgenommen und mit seinem Paß verifiziert hatte.

“Was reden sie da Frau,” sagte Bernd ungehalten. “Wo ist er, ich will ihn sehen.”

“Der Hengst ist auf unserer Intensivstation. Sie haben ihn verhungern und unglaublich verdrecken lassen. Sie müssen ihn monatelang an einer kurzen Kette gehalten haben.”

“Ich? Verhungert? Ich hab ihn grad geholt.” Sagte Bernd hilflos.

“Der ganze Hals ist wund und die Hufe zweigen Rehhuf Symptome. Ich sollte mich garnicht mit ihnen unterhalten.”

“Jetzt halten sie mal die Luft an.” Sagte Bernd und fühlte die aufsteigende Wut, zumal noch Pflegepersonal hinzugetreten war und ihn feindselig betrachtete. ”Ich habe den Esel vorgestern aus Yugoslawien abgeholt. Da war er noch rund und gut genährt. Daß mit dem Fell stimmt natürlich. Aber das ist nicht mein Verschulden. Er stand vier Monate in Quarantäne bei einem Bauern auf dem Lande.”

Die weibliche Person mit dem strengen Blick sah ihn mißtrauisch an, ”Entschuldigungen werden immer vorgebracht. Sie glauben garnicht wie erfinderisch die Leute sein können. Wir kennen das.”

“Es macht keine Mühe, sie von dem Gegenteil zu überzeugen. Ich werde ihnen die Einfuhrpapiere bringen. Da steht das Datum drauf. Jetzt bestehe ich darauf, meinen Esel zu sehen.”

Er wurde auf den Hof hinter dem Gebäude geführt, wo Esek, offensichtlich fidel und guter Laune in einem klinisch sauberen Stallgebäude in einem rundum gefliesten Zimmer auf Lagen von Stroh stand und damit beschäftigt war, andere Lagen von Heu zu verzehren.

“Hallo Esek,” sagte er, ”was machst du für Sachen.”

“Ist das der Besitzer?” fragte mit abschätzigem Ton eine hinzutretende Pflegerin im Overall.

Milder gestimmt und mit weniger stechendem Blick sagte die Empfangsdame, die seine Personalien aufgenommen hatte :”Sollte es sich um ein Mißverständnis gehandelt haben, sind wir dennoch nicht befugt, ihnen das Tier auszuhändigen.”

“Inwiefern?” Erkundigte Bernd sich.

“Das, was ich ihnen zuvor sagte, war keine Übertreibung. Der Hengst ist stark unterernährt und leidet an Kreislaufschwäche. Er muß unter ärztlicher Aufsicht zu seinem normalen Gewicht aufgefüttert werden. Die Hufe haben wir schon geschnitten. Eine Kreislaufstabilisierende Injektion hat er auch schon bekommen, deshalb geht es ihm gerade relativ gut.

Der Hals muß behandelt werden. Und natürlich das Fell. Der Bauch ist ein Wasserbauch. Praktisch ein Hungerödem.”

Bernd fühlte seine eigenen Felle davonschwimmen. Der Esel lebte eindeutig über Bernds Verhältnisse.

“Wie lange wird das dauern?”

“Er ist ein junger Esel. Er wird sich rasch regenerieren. Wenn keine Komplikationen eintreten. Drei Wochen, mindestens.”

“Lassen sie mich die Unterlagen einsehen,” rief sie ihm nach, als er sich verabschiedet hatte und ging.

“Was macht Esek?” Karl Hannes kam zu Besuch in die Zeitungsbude, ”alles wohlauf? Hat er sich schon eingelebt?”

“Dazu hatte er keine Zeit. Er ist verschwunden.” Bernd klärte Karl Hannes über die eingetretenen Entwicklungen auf.

“Verhungert? Bei dem Bauch?”

“Alles Wasser, oder so. Wie die farbigen Kinder auf den Plakaten der Schnorrer. Ich kann mir das alles nicht mehr leisten. Ich werde unter der Brücke in einem Pappkarton enden.”

“Du lebst über deine Verhältnisse.”

“Du lebst über meine Verhältnisse,” sagte Bernd nachts zu Jacqueline.

“Ich?” fragte sie verblüfft über die unerwartete Feststellung, ”ich? Du lebst über meine Verhältnisse. Was ist mit dem Kredit. Du wirst doch die Rate bezahlen?”

“Nur ein Scherz, Nudelmaus, nur ein Scherz. Ja, die Rate für deinen Kredit ist in der Rubrik sehr wichtig.”

“Du sollst mich nicht Nudel nennen. Wenn du mich noch einmal Nudel nennst, geh ich.”

“Für lange?”

“Ich komm dann nie wieder,” drohte sie und Bernd überlegte, wie er die Rate für ihren Kredit zusammenbekommen könnte.

“Wir müssen mal wieder was mit der Versicherung machen,” sagte er zu Köwenick den anderen Tag. ”Ich muß die Rate für den Kredit von Jacky zahlen.”

“Fahr mir in die Taxe. Hol eine Schüssel von Ostendorf.”

Bernd nahm eines der letzten Autos aus seiner Autovermietung, fuhr Köwenick in die Taxe und bezahlte die Monatsrate von Jacquelines Kredit.

Die verbliebenden Fahrzeuge übergab er gegen geringes Entgeld an neue Besitzer und sparte somit die Versicherungsraten ein, die gerade wieder fällig wurden und die unter der Rubrik gar nicht wichtig landeten.

 

Den Daimler, dem Hark mittlerweile wieder zu Bremsvermögen verholfen hatte, versah er mit einem neuen TÜV, der mittels einer Rasierklinge und einer Kartoffel zustande kam. Die Rasierklinge wurde gebraucht, um vorsichtig und sorgsam die Plakette von einem parkenden Auto in der Nacht zu trennen und die Kartoffel gab einen verwischten, aber schön anzuschauenden Stempel im Kraftfahrzeugschein ab. Für den Wagen zahlte ihm ein persischer Teppichhändler, der auch Autos schacherte, einen Tausender und stand drei Tage später mit seinen drei Brüdern vor dem Tor, als Bernd zu später Stunde nach hause kam.

“Sie haben mich betrogen. Das Auto kann nicht zugelassen werden.”

“Ein schönes Auto, sie haben mich schlecht entlohnt. Neuer TÜV. Sie sind reich beschenkt worden.”

“Ich will mein Geld zurück.” “Wir wollen unser Geld zurück,” wurde er von einem seiner Brüder bekräftigt.

“Ich hab kein Geld,” sagte Bernd, ”sie haben ein schönes Auto. Hübsch anzusehen.” Bernd war müde und ließ sich nicht auf lange Debatten ein. “Verkauft ist verkauft.”

“Das Auto hat keinen neuen TÜV. Das Kraftverkehrsamt sagt, daß das kein TÜV ist. Sie haben uns betrogen.”

“Ist mir egal,” sagte Bernd wütend, ging ins Haus und schloß die Tür.

Die Autovermietung Appel & Ei war Geschichte. Bernd hatte noch den Corvair, ein schönes Amiauto mit der Macke, daß er ansprang wenn er nicht fuhr und nicht ansprang wenn er fuhr. Nach jedem Start mußte der Verteiler neu verstellt werden. Und vor jedem Start mußte der Verteiler erneut verstellt werden. Aber es war ein schönes Auto um daß ihn mancher beneiden mochte.

Die Zeitungsbude war verblieben. Auf sie war jetzt die gesamte Energie zu konzentrieren. Es könnte noch gehen.

Den anderen Tag kam Jakomeit vorbei. “Ich bin an deiner Bude interessiert, willst du verkaufen?” Bernd kannte Jakomeit aus dem Zeitungsfachverband. Jakomeit besaß einen Zeitungsladen an der Bundesallee, der einfach nicht laufen wollte. Hübsch anzusehen und sauber, aber einfach kein Umsatz zu erzielen. “Ich hab noch die Möglichkeit, die Bude am Leniner Platz zu kaufen. Überleg dir das nicht zu lange.”

“Du nibbelst ab,” sagte Köwenick, ”du hast immer weniger Warenbestand. Laß mich nicht hängen. Zieh mich nicht in deinen Untergang.”

Oinky war der kleinen Familie aus Jacqueline und Bernd und Esek recht überraschend beigetreten. Oinky lauerte in der Wassergrube, als Bernd in diese hinabsprang, um nach dem Rechten zu schauen. Bernd sprang sofort wieder hinaus und rief nach Jacqueline, die nach der immer lukrativen Sonntagsschicht, gerade nach hause kam.

“Was ist das,” sagte er erregt. ”Da lauert was in der Wassergrube.” Jacqueline, tapfer wie sie war, lugte vorsichtig über den Rand und prallte zurück. “Das ist ein Marder,” sagte sie. ”Das wird ein Marder sein.” “Der ist da reingefallen und kommt nicht mehr raus,” sagte Bernd.

“Wir müssen ihn retten.” “Wer weiß, wie lange er da schon unten ist,” sagte Jacqueline, die sehr tierfreundlich war, besorgt. ”Du mußt ihn rausholen.”

Bernd zog sich eine Jacke mit Reisverschluß an. “Du mußt vorsichtig sein,” instruierte sie ihn, “Marder sind sehr bissig, sie springen dir an die Kehle.” Bernd wickelte sich einen langen Schal um den Hals und suchte die Arbeitshandschuhe aus Leder. “Sie sollen auch die Hosenbeine hochrennen und beißen.” Ergänzte Jacqueline. Bernd zog sich Gummistiefel an, in die man die Hose stecken konnte. “Du mußt dein Gesicht und deinen Kopf schützen.”

Bernd stülpte sich eine Pudelmütze über den Kopf und zog sie bis zu den Augenbrauen runter. “So wird es gehen,” stellte Jacqueline zufrieden fest und gab ihm eine alte Tasche.

“Tu ihn da rein.”

Vorsichtig wagte Bernd den Abstieg in die Grube und bemerkte, daß der Schal sich abzuwickeln begann. Dann rutschte die Mütze in die Augen. “Sei vorsichtig,” sagte Jacqueline besorgt und lugte tapfer über den Rand. “Ich kann nicht sehen,” sagte Bernd und riß die Mütze vom Kopf und entledigte sich des Schals, über den zu stolpern er Gefahr lief. “Was machst du, was machst du.” Fragte Jacqueline vom Rand her. Der Marder saß ruhig in der Ecke der Wassergrube. Fauchen Marder? Dachte Bernd zu sich und hielt ihm die geöffnete Tasche einladend vor die Schnauze. Der Marder schnüffelte in die Taschenöffnung und beherzt griff Bernd mit der behandschuhten Hand zu, schob ihn rein und versuchte den Reißverschluß zuzuziehen. Das mißlang mit dem starren Handschuh. Also riß er sich die Handschuhe herunter und schloß die Tasche ab. “Ich hab ihn,” sagte er triumphierend zu Jacqueline. “ich hab ihn jetzt.“

Oinky stellte sich als waldfarbener Iltis vor, biß wenig, aber glich das aus mit Kratzen. Oinky kratzte für sein Leben gern. Mit den Vorderpfoten. Jacqueline und Bernd pflegten sich unter lautem Kichern unter den Bettdecken zu winden und zu verbergen und Oinky strollte über sie hinweg und suchte nach Schwachstellen in der Abdeckung. Er fand immer welche, kroch zu ihnen unter die Decken und mischte sie auf. Es war ein Höllengaudi. Beinahe jeden Tag. Egal, wie zerkratzt sie schließlich waren. Sie liebten sich alle drei inniglich, einen Tag nach der Errettung des Iltis Oinky. Oinky wurde hinfort das Bindeglied, das das Verhältnis beständig erneuerte.

“Können sie mir einen Gefallen machen?”, fragte der Schnapsvertreter, nachdem Bernd ihm gerade einige Schachteln mit Flachmännern, die gut liefen, abgenommen hatte. ”Ich muß was transportieren. Und den Firmenwagen muß ich immer abgeben.” Nachdem Bernd an Jacqueline, sie wechselten nun ständig die Schichten, abgegeben hatte, fuhren sie mit dem Corvair nach Spandau, wo der Vertreter ein nagelneues, schönes Einfamilienhaus besaß.

“Das ist mein Haus,” sagte der Schnapsvertreter stolz, ”muß ich nur noch abzahlen. Wir müssen da was rausholen. Wir leben in Scheidung.”

Bevor er zu klingeln vermochte, wurde die Tür von innen aufgerissen und eine attraktive, aber sehr erregte Dame trat auf das Podest vor.

”Wie kannst du es wagen, auf meine Schwelle zu treten. Ich will dich nicht mehr sehen du Lump.”

“Ich komme nur, meine Sachen zu holen Irene,” sagte der Schnapsvertreter tapfer. ”Nur meine Sachen. Was mir gehört. Nur das.”

“Dir gehört? Was dir gehört? Dir gehört nichts, hörst du? Dir gehört gar nichts. Das ist alles meins. Alles.”

Sie wurde schriller und Bernd begann zu erkennen, daß er wider Willen in einen Ehestreit mörderischen Ausmaßes verwickelt werden würde.

”Aber,” versuchte er zu schlichten, ”aber.”

“Sie halten sich da raus. Ich kenne sie garnicht. Sie halten sich da raus.”

Sie kreischte mittlerweile und hatte Farbe angenommen.

“Das ist alles meins,” sagte der Schnapsvertreter mickrig,”das ist alles meins. Ich habe alles gebaut. Alles bauen lassen. Sie nimmt mir alles fort. Alles.” “Ich habe alles bezahlt,”ergänzte er.

“Du Wicht wirst alles bezahlen,” ihre Stimme war schrill, Bernd befürchtete, daß die Nachbarn vor die Tür treten würden. “Du wirst zahlen. Mein Anwalt sagt, du wirst alles bezahlen.”

“Nun, nun,” versuchte Bernd zu beschwichtigen.

“Es ist alles meins,” sagte der Schnapsvertreter hinter ihm, ”lassen sie sich nicht einschüchtern. Gehen sie vor.”

“Ich bin doch aber nur der Fuhrmann,” sagte Bernd, sich zu dem Schnapsvertreter umwendend.

“Sie meint es nicht so,” sagte der, ”sie schreit immer.”

“Ich schrei immer? Du Lump. Du kommst näher und ich reiß dir die Eier aus dem Laib.” Sie war offensichtlich zornig und Bernd begann die Gefahrenlage abzuwägen.

“Was jetzt, du Arsch,” sagte er zu dem Schnapsvertreter wütend,” was ist jetzt. In was ziehst du mich hier rein. Meine Zeit ist kostbar. Laß uns zur Sache kommen.”

“Das ist alles meins,” sagte er mickrig, ”ich will nur meine privaten Sachen holen.” Er nahm all seinen Mut zusammen und drängelte sich durch die Haustür.

“Aber sie kommen nicht in mein Haus,” schrie die Frau böse Bernd an. “Es ist mein Haus,” belehrte sie der Vertreter.