Der Sinn des Unsinns

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“Die ist in meiner Wohnung in Neukölln,” sagte Köwenick,“ ich fahr gleich hin. „

“Ich komm in die Wohnung nicht rein. Sie hat von innen abgeschlossen. Sie sagt sie will jetzt nicht, weil sie mit Selbstmord beschäftigt ist. “ Sagte Köwenick zwei Stunden später durch das Telefon im Revier, an das man Bernd geholt hatte.

“Sag ihr sie soll die Quittung unter der Tür durchschieben. Sag ihr, daß es Unrecht ist, mich in der Zelle in Moabit schmoren zu lassen. Das wird sie ihren Platz im Himmel kosten. Sag ihr daß das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist. Sag ihr irgendwas, und frag sie ob sie das Geld auch tatsächlich überwiesen hat. Brech die Tür nieder, ich bin in Notlage.” Der Beamte, der das Gespräch überhört hatte, grinste breit.

Kurz vor achtzehn Uhr kam Köwenick mit einer Citroen Ente und befreite Bernd aus der überraschenden Zwangslage.

“Laß uns saufen gehen und dann mit dieser Schüssel nach Hamburg auf die Reeperbahn schaukeln. Laß uns dort auch saufen gehn und hernach in den Hafen kotzen.”

“Benzin brauchen wir,” stellte Karl Hannes sachkundig fest,” ein Kanister Benzin.”

“Wo machen wir das?”

“In Spandau. Am Senatskohlenlager ist eine einsame Strasse neben den Schienen. An den Kohlenhalden. Wenn es finster ist, traut sich da kein Mensch in die Nähe. Wenn es finster ist.”

Die Motorhaube war hochgeklappt. Karl Hannes kippte Benzin aus dem Kanister über den Motor, Bernd warf ein brennendes Streichholz hinterher. Beide machten einen Satz zurück.

Der Daimler 230, Bernds Privatwagen mußte dran glauben. Nicht so richtig, natürlich. Hernach sollte Hark die Schäden beseitigen und den

Wagen wieder fahrbar herrichten. Köwenick hatte gesagt, daß die Schläuche und Kabel schon richtig verbrannt sein müßten.

“Nichts,” stellte Bernd sachlich fest, als er die Haube wieder öffnete, weil das Feuer erloschen war. “Noch mal das Ganze.”

Karl Hannes schwappte erneut Benzin über den Motor, Bernd zündete noch einmal. Eine Stichflamme fauchte auf. Bernd ließ die Haube herunterfallen.

“Das wirds bringen”, sagte Karl Hannes und trat drei Schritte zurück.

“Dein Kanister brennt,” sagte Bernd

Ungläubig schaute Karl Hannes an seinem linken Arm nach unten. “Mein Kanister brennt,” er warf ihn flach auf die Strasse neben dem Auto.

“Du wirst das Auto anzünden, mach ihn aus.” Karl Hannes sprang wie Donald Duck mit beiden Füssen zugleich auf den Plastik Kanister und presste mehr Benzin heraus. Alles war gleißend hell erleuchtet.

“Mach ihn aus, Mann, du illuminierst die ganze Gegend.” Bernd kratzte Erde am Straßenrand mit den Fingernägeln zusammen, trat den Kanister die Strasse hinunter und verstopfte den Füllstutzen.

Das Feuer erlosch. Das auf der Strasse ebenso. Das im Motorraum auch. Aus dem Motorraum qualmte es.

“Kaum Schäden zu sehen,” sagte Bernd nach Öffnung der Haube.

”Köwenick sagt, es müsse schon alles schön zu Pulp verschmort sein.“

“Machen wir es nochmal,” Karl Hannes schüttelte den Kanister,”ist noch was drin. Erfahrung haben wir ja jetzt.”

Beim dritten Mal klappte es vorzüglich. Sie schleppten den Daimler hinter dem mitgebrachten Corsair auf das Grundstück von Köwenick, der nicht weit entfernt wohnte und stellten ihn dort ab.

Den anderen Tag, als Bernd kam, den Daimler zu besuchen, standen zwei Herren an Köwenicks Tor und lugten hinüber.

“Da stehen zwei Leute an deinem Tor und lugen hier her. Zu dir herüber.” Sagte er zu Köwenick, den er in seiner Werkstatt fand, wo er seine neueste Erwerbung ausprobierte.

“Ein Dozer, mit dem ziehe ich jedes Blech gerade. Jedes Autoblech.”

„Zwei Leute lugen über den Zaun.“

“Ich weiß, die sind von der Allianz. Die kommen seit drei Tagen, schauen jeweils eine Stunde, stumm und starr und gehen dann wieder fort.”

“Schauen die den Daimler an?”

“Warum sollten die nicht den Daimler anschauen. Ist ja unübersehbar ein KFZ Schaden, nachdem ihr die Haube aufgeschmort habt. Läuft der auch über die Allianz?”

„Ist mein Auto bei dir auch sicher ?“

Es wurde weitergebaut. “Bring mir schnell den Eimer. Halt mal. Du mußt die Dachpfannen mit der Drahtbürste sauberer abkratzen, und schneller. Reich mir den Balken. Das Brett und die Latte. Hast du Nägel in der Hosentasche? Wo ist die verdammte Wasserwaage?”

Jacky zeigte sich zunehmend genervt und wurde zickig. Ihre Dienstzeit im Hospiz wurde länger. Die Heimfahrt mit Bahn und Bus zog sich hin.

Sie hatte viele wichtige Dinge zu erledigen. “Ich kann nicht unentwegt am Haus bauen. Ich kann meine Hände nicht mehr sauber bekommen. Ich kann mit solchen Händen nicht im Hospiz antreten.”

“Eines Tages wird das Haus fertig sein. Bring schnell zwei Sack Zement her, dann hab ich was zum Anrühren.”“ Wenn du noch einmal schnell sagst, gehe ich.” “Fort?” “Ja.” “Für lange?”

“Ja.” “In die Tropen? Zu den Inseln unter dem Wind? Und wenn ich schnell nicht mehr sage?” ”Dann nicht.” “Würdest du rasch einen Sack Zement holen?” “Nein.” “Warum nicht? Ich habe schnell nicht erwähnt.” “Weil du nicht bitte gesagt hast.” “Würdest du mir rasch bitte einen Sack Zement holen?” “Nein.” “Und wenn das eine Order ist?” “Nein, für Zement bist du zuständig.”

Disziplin ist der Notnagel der Zivilisation, dachte Bernd zu sich, vor dem brennenden offenen Kamin, der jetzt nicht mehr qualmte, auf einer Bretterkiste inmitten der Baustelle sitzend. Zivilisation ist der Sargnagel des Menschen. Wo sind die glücklichen Tage des Neanderthal Bewohners nur geblieben. Was war aus uns allen nur geworden. Was nageln und schichten wir wie die Besessenen in jeder freien Minute. Wie alt wollen wir damit werden. Wie alt dürfen wir werden. Wer bestimmt das. Die Zeit? Die Umstände? Das Unverständnis der Realitäten? Wer bestimmt die Zeit? Gott. Aber wenn Gott wollte, daß ich Handwerker in meiner Freizeit wäre, hätte er mir nicht eine dritte Hand gegeben? Hätte er nicht gewollt, daß ich neben der Kelle in der einen, dem Hammer in der anderen, der Verwünschung im Hals, den Eimer mit dem Mörtel in der dritten Hand durch die Baustelle tragen könnte? Haben wir nicht das glückliche Leben im natürlichen Reichtum des Allbesitzes einem fadenscheinigen Sicherheitswunsch vor dem fantasievollen Bild der Bedrohung durch Finsternis und Bison geopfert? Haben wir nicht unsere natürliche Behaarung dem Ofen und der Baumwolldecke preisgegeben? Konnten wir nicht ahnen, daß wir für Schuhe mit vergänglichen Sohlen zur Fron uns zwingen müssen werden? Ist Zivilisation das Ergebnis von Intelligenz?

Jacky und Bernd gingen jetzt im Sommer oft in den Niederungen des Fließes entlang der Mauer reiten. Die Pferde vermietete der Herr Bauk, der im Dorfkern einen Resthof betrieb, dem politische Intrigen mit dem Bau der Mauer das Kornfeld abgetrennt hatten. Es gab kilometerlange sandige Wege, die für Pferde ideal und für Trecker geeignet waren. Eine unberührte idyllische Landschaft mit Buschwerk und Bäumen, kleinen Seen, Weiden und Wiesen, durch die der Fließ mit starker Strömung westwärts zog und an der einen seichten Furt zu einsamem Bade bar aller Wäsche einlud. Hier lagen sie anschließend in der Sonne im Gras und trockneten, die Köpfe der weidenden Pferde nah den eigenen.

“Wollen wir uns mit unanständigen Dingen beschäftigen?” Fragte Bernd, eine Zigarette rauchend und die Zirruswolke auf ihrem Weg um den Erdball mit den Augen verfolgend. “Gleich jetzt in den Büschen da?” “ Warum nicht gleich jetzt in den Büschen da.” “Werden die Pferde zusehen?” “Probieren wir Stellungen aus?” “Sind wir geübt in

welchen?” “Du liegst unten, ich steige herüber, ich besteige dich. Der alte Bauernfick. das wird den Pferden gefallen. Kurz, heftig, ökonomisch. Das werden die Pferde kennen.” “Soll ich wegen der Ameisen unten liegen?” “Sind Ameisen vorhanden?”“ Ich weiß nicht.” “Sollten wir welche suchen gehen?” “Was ist mit dem Wasser? Wir könnten es mal im Wasser machen. Dann schwimmt der Samen in den Ozean.”

Manchmal wurde es den Pferden zu langweilig und sie trotteten auf bekannten Wegen nach hause, ihre Boxen aufzusuchen und sich mit Hafer zu mästen. Manchmal auch wurde die Beschäftigung mit unanständigen Dingen frühzeitig durch Insekten beendet. Dann warteten die Pferde.

Auf der dem großen Fenster abgewandten Wand des Kaminzimmers trug Bernd sechs dicke Schichten Putzmörtel, der zuvor mit verschiedenen Farbtönen eingefärbt worden war, mit einem Reibebrett auf einem Putzträger aus Draht auf. Mittels Schnur, Lot, Zollstock, Rechner und Mercator Weltkarte ritzte er sodann die Umrisse der Kontinente an und schabte die Gebirge, Seen und Flüsse, zuletzt die Wüsten und Ozeane aus. Es wurde ein grandioses Putzgemälde in das überall dort, wo Bernd zuvor auf Besuch gewesen war, eine farbige Fixiernadel gesteckt wurde. Ein Wald von Nadeln, Blau für eine Woche oder länger, Rot für einen Monat oder länger, Weiß für drei Monate oder länger, Weiß mit blauem Kopf für Seenot; hiervon gab es drei Nadeln mit den Standorten Nordatlantik - Hallifax, Ostsee - Dagö und Norwegen

- Lofoten. Weiß, mit braunem Kopf wies auf Gefängnisaufenthalt hin - Malaya Penang- zwei Jahre.

Geringfügigere Aufenthalte wurden nicht berücksichtigt, Aruba, Ipswich, St. John, Saigon, Manila und andere Standorte. Ein Nadelmeer, das sich über siebenundsiebzig Staaten hinzog. Zwölfeinhalb Jahre waren dabei draufgegangen.

Der Kaminzimmerboden wurde mit dicken Marmorplattenstücken, die Bernd mit dem Hammer weiter zerkleinerte, in Beton verlegt und verfugt. Die Marmorbruchstücke, dunkelrot mit Maserung, kamen aus dem Abriß eines alten Friseursalons und wurden in vielen Fahrten im Kofferraum heran transportiert.

 

Auch auf dem Boden der offenen Küche wurden Fliesen in der Version Französich Mosaik verlegt. Ebenso auf dem Podest, das in das Anbauzimmer, in dem Bernd mit Jacqueline seit Monaten lebten, und das bei der Zertrümmerung ohne Beschädigung geblieben war. Von dem Podest führte eine selbstkonstruierte und gefertigte Raumspartreppe aus schweren Kieselwaschbetonplatten in das Dachgeschoß. Das Podest hatte eine Reling, deren Stützen aus Nähmaschinen Standteilen, die vom Schrottplatz daherkamen, an einer Seite erhalten .

Das Vorzimmer, der Boden, wurde mit geflammten Fliesen belegt, die vom Baumarkt stammten und billig waren. Die Fassade war nunmehr rundum verputzt und weiß gestrichen worden. Ein Balkon kragte nach Norden hin aus und war halb von dem Giebeldach überdeckt, so daß an

Schlafen auch bei Regen zu denken war. An draußenschlafen. Auf dem

Haus war eine eingefasste Plattform in Größe von fünfzehn Quadratmetern entstanden, auf der sie sich im Sommer zwischen den Baumkronen sonnen konnten. Auf der Südseite gab es in Höhe des Dachgeschosses einen weiteren, größeren Balkon, der ebenfalls mit Fliesen belegt wurde, aber nie wasserdicht wurde, so daß er bald zu rotten begann.

Mit insgesamt etwa einhundertfünfundachtzig Quadratmetern Wohn-, Nutzfläche war ein gemütliches, hübsches Heim entstanden.

“Jetzt sind wir bald fertig,” sagte Bernd zu Jacqueline, ”und du hast einen Anteil und ein Recht hier zu leben erworben.”

“Wir könnten nach Indien fahren und dann wieder zurück,”sagte Bernd zu Köwenick beim nächsten Essen in der Stadt.

“Nach Indien.” “Klar, mit dem Auto, einem Auto. Dem Opel A Rekord. Der ist stabil und nicht mehr zu vermieten. Die Kunden wollen doch eher etwas zeitgemäßeres.”

“Mit einem Auto? Fragte Köwenick ungläubig und sah Bernd zweifelnd an.

“Ganz recht, vier Wochen, jeder achthundert Mark. In Persien ist das Benzin und das Öl billig. In Afghanistan spottbillig.”

“In vier Wochen? Wieviel Kilometer sind das?”

“Siebentausendundfünfhundert nach Kabul von etwa München aus. Von Kabul nach Hussainiwala ungefähr anderthalbtausend.”

“In vier Wochen. Mit achthundert Mark? Mit einer deiner Schüsseln?”

“Wenn das Auto erst mal läuft, läuft es. Wir nehmen Draht und ein paar Ersatzteile mit.”

“Das wären dann so achtzehntausend Kilometer.” Köwenick rechnete argwöhnisch,

” Macht sechshundertfünfzig am Tag.”

“Ganz recht, wir machen achthundert Kilometer am Tag und haben dann ein paar Tage Zeit, zu ruhen, saufen, baden. Saufen geht da nicht, allenfalls in Pakistan. Schwimmen geht da auch nicht. Auch nicht in Pakistan. Es sei denn, du willst in das Gebirgsgewässer neben der Strasse Kabul Kyber Paß tauchen um zu erfrieren und zu ersaufen.”

“Achthundert macht dann knapp dreißig Mark am Tag. Wie soll das gehen, wo wir andauernd tanken müssen.”

“Mit Geld ist nichts ein Abenteuer. Und mit fehlerfreier Ausrüstung ist nichts ein Risiko. Fünf Mark für Fressen. Schlafen werden wir im Auto. Bei achthundert Kilometer bleibt eh keine Zeit lange anzuhalten. Ich dachte du wolltest mal ein kleines Abenteuer erleben. Das geht am Besten, wenn man knapp bei Kasse ist. Macht die Sache interessanter.”Bernd wußte, daß Köwenick, der satt mit Geld ausgestattet war, wie seinerzeit in Korea auch auf dieser Reise bündelweise Geld und Schecks mitschleppen würde. Köwenick hatte ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. “Geht die Knete aus, schlagen wir uns über Karatschi auf einem Dampfer nach Mosambik durch und fahren per hitsch hike heim.”

“Dampfer?” “Sicher, wir schleichen uns nachts auf einen Dampfer der

nach Mosambik geht und verstecken uns in den Rettungsboten. Wenn sie welche haben.” “Und wenn sie uns entdecken?” “Oh, sie werden uns ganz sicher entdecken. Wir wollen doch nicht verdursten und verhungern. Nicht wahr?” “Und dann?” “Dann schmeißen sie uns über die Seite. Auf halbem Wege.” “Seite? Schmeißen?” “Über Bord. Sie müssen uns schließlich wieder los werden.” “Du meinst, sie ermorden uns?” “Oh nein, das siehst du falsch. Sie ermorden uns nicht. Das würden sie sicherlich nicht tun.” “Aber wir ertrinken.” “Natürlich. Du ertrinkst, ich warte.” “Auf was?” “Auf dein ertrinken. Wenn du dann in der brüllenden Sonne des Äquators aufgebläht bist, habe ich was zum Festkrallen.”

Eine Woche später ging es los. Herr Weber würde die Zeitungsbude, Jacqueline das Haus hüten. Auf Herrn Weber war Verlaß. Anja, die Dauerfreundin Köwenicks, hatte eine hohe Dosis Schlaftabletten genommen und ihr war der Magen ausgepumpt worden. “Die Gefahr einer Dauerlähmung besteht nach wie vor. Hat der Arzt gesagt.” Erklärte Köwenick. Startplatz war der Parkplatz auf Bernds Grundstück.

Der Wagen wurde mit dem Nötigsten beladen, Ölwechsel hatte Bernd zuvor bereits gemacht,

sie nahmen Platz, der Motor lief wie eine Nähmaschine. Bernd versuchte den Rückwärtsgang einzulegen, aber der klemmte. Beim erneuten Versuch brach der Hebel der Lenkradschaltung ab. Ungläubig hielt Bernd den stabilen und kompakten Schalthebel in der Hand.

“Der Schalthebel ist abgebrochen.”

“Von sowas hab ich noch nie gehört,” staunte Köwenick, “was machen wir jetzt?”

“Keine Ahnung, wir müssen das Ding wieder anschweißen. Hark hat ein Schweißgerat. Wenn Hark zuhause ist.”

“Da muß die ganze Säule demontiert werden um überhaupt dran zu kommen,” sagte Köwenick, der seine Taxen selbst reparierte und Ahnung hatte.” Das ist ein irrer Aufwand. Ein kapitaler Schaden. Da brauchen wir Ersatzteile.”

“Gehen wir rein und rufen Hark an.” Sagte Bernd niedergeschlagen. Ein schlimmes Omen. Die Reise war vor dem Beginn erledigt. Wo grad die alten Zeiten anstanden. Die Unternehmungslust erstarb.

Hark war, wie zu vermuten stand, nicht mit dem Telefon zu erreichen.

“Er wird sich auf der Arbeit befinden. Er ist Kranführer.”

Sie tranken einen Kaffee und grübelten, ob ein anderes Auto verfügbar wäre, als das Telefon klingelte. Weber war am Apparat und gab die Nummer eines Kunden der Autovermietung durch, der in Michendorf auf dem Rasthof auf Anweisung und Trost wartete.

“Der Wagen hat Feuer gefangen,” sagte der Kunde mit eisiger Stimme am Telefon, “Motorbrand, einfach so.” “Brennt er noch?” fragte Bernd. “Natürlich nicht,” entgegnete der Mann wütend ,”ich würde doch nicht telefonieren, wenn die Kiste noch brennen würde. Ein Stück Scheiße ist das,” brüllte er los, “ich wollte nach Sizilien und stehe jetzt hier. Was ist das für eine Krücke. Was vermieten sie da eigentlich.”

“Ja Scheiße,”sagte Bernd,”ich würde ihnen einen Ersatzwagen geben, habe aber keinen zur Zeit.” “Ich würde von ihnen keinen Ersatzwagen wollen, auch wenn sie ihn mir schenken würden.” Er erhob seine Stimme. “Ich fahre jetzt nach Berlin zurück und miete mir bei einer richtigen Autovermietung einen richtigen Wagen, mit dem ich ruhig nach Sizilien reisen kann.” “ Ohne abzubrennen,” fügte er hinzu. “Ich geb ihnen ihr Geld zurück,” sagte Bernd, der wußte, daß der Kunde Polizeibeamter war und ihm Schwierigkeiten, die er nicht brauchen konnte, die er gerade jetzt überhaupt nicht brauchen konnte, zu machen in der Lage und in der Stimmung sein würde. “Michendorf ist in der DDR. Können sie ihn an jemanden anhängen und nach Dreilinden schleppen? Da könnte ich ihn abholen. Dann wären wir auseinander, ich geb ihnen das Geld zurück und nehme sie mit nach Berlin.” “Na gut, ich probiers. Sagen wir in zwei Stunden in Dreilinden.”

“Ruf jemand an, eine deiner Taxen zu schicken. Wir fahren nach Dreilinden. Das ist ein Notfall. Motorbrand. Ist eine Chance. Kennen wir ja vom Daimler. Ist ein Ford 12 M. Alte Schüssel, aber ich hab hier allerlei Schläuche und Kabel die passen könnten und passend gemacht werden können.” Bernd hielt Köwenick den Hörer hin, “Und wir müssen zur Bude das Geld für den Kokler holen.”

“Ich kann ihnen kein Geld geben,“ sagte Herr Weber bestimmt,” ich muß morgen früh die Rechnungen begleichen. Sie wissen das.” “Geben sie mir das verdammte Geld,” knurrte Bernd, ”ich hab keine Zeit lange zu debattieren,” das ist ein Notfall. Ich sollte jetzt schon in Istanbul sein.” “Ja wenn es ein Notfall ist,” murmelte Herr Weber und machte die Schublade mit der Kasse auf.

Der Polizist war pünktlich. “Sie schulden mir weitere dreißig Mark, die ich dem Schleppknaben hab geben müssen, ihn bei Stimmung zu halten. Ich hab mir die Nummer aufgeschrieben. Ich werde den Wichser schon noch mal wiedertreffen.”

“Ich hab mir ihre Nummer aufgeschrieben,” sagte er beim Abschied, nun besser gelaunt,” Ich werde sie schon mal wiedertreffen.”

Die Taxe schleppte den 12M auf Bernds Parkplatz und sie begannen mit der Reparatur. Der Schaden war vernachlässigbar. Ein paar Kabel waren versengt und verschmort. Und ein paar Schläuche, die aus dem Vorrat ersetzt werden konnten. Um achtzehn Uhr sprang der Wagen an und lief. Um achtzehn Uhr dreißig begannen sie die Fahrt nach Indien. Um einundzwanzig Uhr standen sie in Michendorf und der Motor kochte.

“Der Kühler ist gerissen,” stellte Köwenick sachkundig fest.

“Was sonst,” sagte Bernd wütend. “Sind sie schon wieder da?” Fragte mißtrauisch ein Vopo der mit seinem Funkwagen herangefahren war, ”wollen sie sich hier niederlassen? Sie werden diesen Schrott von diesem Parkplatz entfernen,” drohte er, ”bald. Ich komme wieder.”

“Laß uns hier verschwinden,” sagte Bernd , “ gib mir ne Flachzange aus dem Kofferraum.”

Mit einer simplen Flachzange drückte er die lecken Lamellen zu; das kannte er von früheren Fahrten. “Piß da jetzt rein,” damit wir

weiterfahren können. Wir haben heute noch keine achthundert Kilometer geschafft.” Köwenick holte Wasser von der Tankstelle.

“Ein leichterer Wagen,” sagte Bernd während der Fahrt, ”da können wir mehr fressen weil wir weniger tanken müssen.” “Das du sowas den Mietkunden zumuten kannst.” Staunte Köwenick.

Im Raum Belgrad, in einem Waldstück neben der Strasse, wärmten sie die letzte Büchse Bohnen in Tomatensoße, die standesgemäße Fahrtenverpflegung, über einem Lagerfeuer auf.

“Das war die letzte Dose. Wir müssen haushalten. Das Zeug hätte bis zur persischen Grenze reichen sollen. Du frißt zuviel.” Stellte Bernd besorgt fest, “was hab ich mir hier zugeladen.”

“Ich muß telefonieren,” sagte Köwenick. “Wir sind erst den zweiten Tag unterwegs,” sagte Bernd, “ Und hier sind wir im Wald. Du kannst in Istanbul telefonieren. Die werden Telefon haben.”

“Hinter Sofia hatte die bulgarische Polizei des nachts die Strasse abgesperrt und sammelte die Pässe der Reisenden ein. Sie warteten mit ein paar Türken, die Kühlschränke und Matratzen auf ihren Schrottmühlen transportierten, in einer Hausruine ohne Glas in den Fenstern. Die Türken waren unruhig. ”Alles Banditen die Bulgaren.” Die Bulgaren in Uniform, die die Pässe der Reisenden eingesammelt hatten, sie zu überprüfen, waren jetzt verschwunden. Die Sperre auch.

“Alles Banditen die Bulgaren.” Sagten die Türken und wurden noch unruhiger. “Muß man hier aufpassen, alles Diebe.”

Nach mehreren Stunden waren die Polizisten urplötzlich wieder in der Finsternis aufgetaucht.

“Paß, Paß,” riefen die Türken wild durcheinander. “ Leva, Leva.” Echoten die Polizisten und feilschten um Deutsche Mark. Hier wurden sie des Verpflegungssatzes der nächsten Woche beraubt und mußten beim Antritt der Weiterfahrt feststellen, daß ihnen einer der zwei Ersatzreifen von dem Dachgepäckträger gestohlen worden war.

“Es muß ein Ende haben mit deiner Gefräßigkeit,” sagte Bernd. “Noch so ein Aderlaß und wir werden verhungern,” meinte Köwenick unsicher. “Iwo,” sagte Bernd, ”nicht so lange wir Borke und Gras finden können.”

In Istanbul kollabierte die Batterie. Eine neue wurde von einem Halsabschneider erworben, der ihnen fünfzig Mark und viel Zeit abnahm.

“Es muß jetzt ein Ende haben mit deiner Gefräßigkeit,” sagte Bernd auf der Straße nach Ankara, auf der die wilde Jagd der Elefanten tobte, die sich alle gegenseitig zu überholen und ins Abseits zu drängen trachteten.

“Ich muß dringend telefonieren. Ich hab versprochen, jeden Tag anzurufen.” “Du kannst in Ankara telefonieren. Die werden Telefon haben. Allerdings streifen wir Ankara nur am Rande auf dem Weg nach Sivas. In Sivas fahren wir durch, weil wir es eilig haben. Telefonier in Erzerum. Die werden Telefon haben.” “Wann kommen wir da an?” “Nachher.”

Auf der Strasse nach Sivas sagte Bernd beiläufig:” Hier herrschen alte

Sitten. Wenn du jemand plattfährst schneiden sie dir den Kopf ab und

 

stecken ihn auf einen Zaunpfosten an der Straße.”

Nach Sivas, vor Erzerum, kamen sie durch einen Ort und entdeckten neben der Strasse viele Kinder die mit einem Auto spielten, das einen Unfall gehabt hatte und ein wahres Fundstück war. “Ein Fundstück,” sagte Bernd und trat auf die Bremse, ”ein 12M. Der einzige im Orient. Wir sind Glückspilze. Laß ihn uns schlachten gehen.”

Sie fielen frenetisch mit Schraubenschlüsseln und heftiger Gewalt über das Fahrzeug her und schraubten alles ab, was nützlich erschien und abzuschrauben war. Zwei gute Räder. Den kompletten Verteiler, Zündkabel, den Kühler kriegten sie nicht raus, weil eine Schraube klemmte. Kühlschläuche. Die Kinder schleppten alles zu ihrem Auto und winkten good by. “Du weißt, daß Dieben in Anatolien die Hand abgehackt wird. Mit der Axt. Aber zunächst nur die Linke. Die Rechte nur, wenn die Linke nicht mehr da ist.”

Erzerum wurde passiert. Sie hatten Kilometer und Zeit wettgemacht. Die Straßen waren wesentlich verbessert worden. Als Bernd hier seinerzeit fuhr, etwa acht Jahre früher, aus Kabul kommend, war das alles noch Schotter und Sand gewesen. Man konnte es etwas gemütlicher angehen lassen.

“Zivilisation ist der Sargnagel des Individualisten,” bemerkte Bernd.

“Was?” “Zivilisation ist der Sargnagel des Individualisten. Disziplin ist der Notnagel der Zivilisation.” “So?” “Ja.”

“Leben wir auf einem Molekül? Einem Quark?” “Was?” “Ob wir auf einem Quark leben.”

“Einem Quark?” “Ganz recht.” “Leben? Wir leben auf Quark? Was für ein Scheiß ist das.”

“Befinden wir uns in der Microwelt? Dem Nanokosmos? Ist der Kosmos ein Molekül? Ein Atom? Sind wir die Viren des Nanouniversums?”

Sie kamen nachts durch das Gebirge. Die Persische Grenze war nicht mehr weit.

“Achte auf Seile,” sagte Bernd gedämpft, ”Seile, sie spannen Seile über die Straße. Wenn es Nacht ist. In Höhe der Lenksäule. Sie schneiden arglosen Leuten die Hälse damit ab. Wenn sie vorbeikommen, die arglosen Leute. Hier lebt ein kleines räuberisches Bergvolk. Das sich davon ernährt, was übrigbleibt. Von dem, was nach den Seilen übrigbleibt. Achte auf Seile.” Und trat voll auf die Bremse. Köwenick, der nach vorn geprallt war, dicht an der Windschutzscheibe auf die Seile zu achten, stieß sich heftig den Kopf. Vor ihnen, mitten auf der Straße, nachdem diese einen Bogen gemacht hatte, stand ein schwarzer Koloss, der als unbeleuchteter Lastwagen identifiziert werden konnte. Sie kamen knapp hinter ihm zu stehen. “Wie tot,” meinte Köwenick. “Totenstill und nichts.” “Wird darin pennen,” meinte Bernd hilfreich. “Kommen wir da vorbei? Sieht eng aus an der Felswand. Laß uns pochen gehen.” Er stieg aus, ging zum Lastwagen und pochte an die Fahrertür. “Tut sich nichts, versuchen wir, ob wir vorbeikommen.” “Wird Bier holen gegangen sein,” meinte Köwenick

geistreich, ”laß uns hier verschwinden. Vielleicht ist das eine sinistre Falle.”

Es war keine Falle und sie kamen ohne Verluste an dem Ungetüm vorbei, die Fahrt zur persischen Grenze fortzusetzen.

“Ich muß unbedingt telefonieren.” “In Täbris. Sie werden da Telefon haben.”

“Wenn wir in einem Nanokosmos leben,” begann Bernd,” dann könnte der Ball Erde ein Staubkorn sein, das am Mantel eines normal großen Menschen hängt. Oder die Erde kann auf der Nase einer normalgroßen Sardine kleben.”

“Und wenn der ihn schüttelt?” “Die Sardine?” “Den Mantel. Wenn er ihn auszieht und ihn schüttelt? Dann fallen wir runter.” “Wir können nicht runterfallen wenn er den Mantel schüttelt, wir kleben auf der Erde. Also können wir nicht runterfallen.” “Aber die Erde fällt runter.” “Mag sein, aber was juckt uns das. Dann sind wir längst wieder zu Staub geworden.” “Und wenn er den Mantel jetzt auszieht und in den Müllcontainer wirft? Was dann?”

“Dann passiert bei uns auf der Erde garnichts.” “Wieso?” “Weil das nicht unsere Zeit ist. Der mit dem Mantel hat seine eigene Zeit. Was für den eine Sekunde ist, ist für uns ein Jahr mit mehr Nullen als wir uns vorstellen oder aufzählen könnten. Die Kakerlaken. Die Kakerlaken werden erleben wenn er den Mantel auszieht weil Sommer geworden ist. Die Kakerlaken werden so lange durchhalten. Die sind intelligent.” “Laß mich mit solchem Scheiß zufrieden. Das ist krank.”

Sie waren angekommen. Sie standen als letzte hinter einer Reihe aus LKW, deren Spitze trotz des Bogens, den die Strasse zur Grenze hin machte, nicht erkennbar war.

“Das müssen hunderte sein ,”staunte Köwenick, ”tausende.” Sie stiegen aus und Bernd fragte einen der Fahrer, die neben der Fahrbahn etwas köchelten. “Was sagt er? Fragte Köwenick.

“Er sagt es dauert ungefähr drei Tage um bis zum Zoll zu kommen. Er sagt, wir könnten es in der Senke versuchen, aber das wäre tödlich.” Bernd zeigte auf die gelbe Wolke die links der Strasse zum Himmel wallte. Die Strasse befand sich auf einem erhöhten Damm, von dem sie einen guten Überblick über die Senke hatten, die als gelbe flache Scheibe zu erkennen war, als sich der Staub legte, weil da unten der Verkehr einschlief. Und kein LKW von rechts, der persischen Grenze nach links, türkischem Territorium preschte. Die Senke war so etwas wie eine Einbahnstrasse mit zweihundert Metern Breite.

“Hier können wir nicht bleiben,” grübelte Bernd laut, hier verhungern wir. Und verdursten.”

“Und wie willst du an die Senke herankommen? Den Hang runter? Über das Gelände? Mit diesem Gefährt?”

“Hast du eine bessere Idee?”

Sie setzten einige hundert Meter zurück und suchten eine passable Stelle, den Straßnhang hinunterzurutschen. “Wenn wir stecken bleiben, dann was?” Fragte Köwenick besorgt.

“Hast du eine bessere Idee?“ fragte Bernd. “Dann werden wir zu Fuß

weitermachen müssen. Per Anhalter. Indien kann nur noch viertausend Kilometer entfernt sein. In der Richtung.”

Sie schlitterten den Hang hinab und fanden tragfähigen Grund, den Rand der Senke zu erreichen, wo sie auf einer weiteren Böschung außerhalb des Staubs strategischen Halt einlegten um den folgenden Weg zu erkunden und zu beobachten.

“An der Böschung werden wir auch runterkommen. Bergab gehts wohl, wenn die Kiste nicht umkippt. Aber sieh dir das an. Was ist das.”

“Keine Ahnung. Könnte vielleicht Salpeter oder so was sein. Laß uns runtergehen. Hier sind wir sicher, die LKW nehmen alle die Rampe links.”

Die Senke erwies sich als ein Staubbecken, in dem man bis zu den Knöcheln versank, und der so fein und gelb war, daß man allenfalls fünf Meter weit sehen konnte und zu ersticken drohte. Aber unter dem Staub war betonharter Boden. Die LKW fuhren alle mit Vollgas und ohne jegliche Sicht. Sie fuhren im Breitkeil. Einfach durch, ohne irgendeine erkennbare Ordnung. Nur die Richtung hatte zu stimmen um die Rampe zu erreichen.

“Wenn wir da liegen bleiben sind wir tot.” sagte Bernd. “Da würde man uns noch nicht einmal finden. Die würden uns zermalen.”

“Das,” sagte Köwenick, ”das ist Wahnsinn. Das ist tödlich. Und dann noch gegen den Strom. Die fahren uns platt. Da kommen wir nie durch.”

“Kommen wir den Hang wieder hoch, zu warten bis wir verhungert und verdurstet sind?”

“Wir könnten zu Fuß an den LKW auf der Strasse entlang zum Grenzkontrollpunkt gehen,” schlug Köwenick, der praktisch veranlagt war, vernünftigerweise vor. “Können doch nur ein paar Kilometer sein.”

“Wir setzen uns hier hin und beobachten das Treiben,” entgegnete Bernd, ”vielleicht läßt der Verkehr abends nach und schläft nachts ein. Vielleicht erkennen wir eine Art Muster.”

Als es Abend geworden war, hatte sich nichts wesentlich verändert. Immer wieder kamen zwei, drei Lastwagen aus der Staubglocke herausgebraust und suchten den rettenden Hang über die Rampe zu erreichen, alles erneut aufwirbelnd. Sie fuhren stets nebeneinander, in willkürlichen Abständen.