Der Sinn des Unsinns

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Der Sinn des Unsinns
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Bernd – Wolfgang Meyer

DER SINN DES UNSINNS

eine satirische Gegenwartsabhandlung

copyright by Bernd-Wolfgang Meyer

published by epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-8442-4083-2

KAPITEL I
ETABLIERT

“Sicher. Setzen wir ein Inserat in die Zeitung. Fliesenarbeiten, preiswert.”

Bernd hatte seinen Zeitungskiosk vor zwei Monaten verkaufen müssen. Für 35 000 Mark, von denen 500 Mark nach der ethischen Verpflichtung den Gläubigern gegenüber verblieben waren. Die Gläubiger waren Freunde. Bis dahin.

Der anschließende Pornohandel im Direktvertrieb mit Anja hatte außer Benzinkosten nichts gebracht. Die Leute wollten Magazine ansehen; nicht dafür zahlen.

Backe war fortwährend pleite. Ganz besonders, wenn die Autoversicherungen beharrlich die Zahlung verweigerten. Karambolagen waren zu einem schwierigen Geschäft geworden.

So hatten sie sich an diesem Tag bei trübem Wetter in dem Haus, das Bernd bewohnte und mit eigenen Händen errichtet hatte, in der festen Absicht getroffen, der Armut ein rasches und nachhaltiges Ende zu bereiten.

“Wird 20 Mark kosten. Hast du 20 Mark?”

“Nein”

“Wir geben die Annonce über Telefon auf. Dann kommt die Rechnung später”.

“Mein Telefon ist abgestellt. Reinrufen geht noch”.

Backes Mutter half mit 50 Mark aus, die für Werbung und ein wenig Benzin ausreichten. Das Inserat brachte Erfolg. Eine ältliche Rentnerin beauftragte sie gegen Pauschalpreis einschließlich Material, ihre Küchenwand oberhalb der Arbeitsplatte zu befliesen.

“Wir suchen einen Kleber für Fliese auf Fliese” erkundigte sich Bernd hoffnungsvoll bei dem Berater im Baumarkt.

“Fliesenkleber” erkannte der sofort.”Fliesenkleber klebt auf Fliesen”

“Darunter und darüber?”

“Aber sicher, da könnt ihr Dispersionskleber im Eimer nehmen”.

“Wird das auch richtig sein?”Fragte die Rentnerin. “Ich möchte das das alles hält”.

Nachdem die Kundin die Material Rechnung bezahlt hatte, fuhren sie gemeinsam in Bernds altem Ford 12M, der Badewanne, zur Baustelle und richteten diese unverzüglich dergestalt ein, daß sie von jedem beiläufigen Besucher als solche nicht zu verkennen war.

“Wie soll ich in die Küche kommen, wenn auf dem Flur sich all die Oberschränke und Küchenmöbel stapeln. Wie kann ich kochen. Wie lange wird das noch dauern.”Die Bauherrin trug ihre Entmutigung zur Schau.

“Es ist eine Baustelle,” gab Backe nicht gerade geistreich von sich und schwitzte stark.

Sie stapelten die Möbel im Wohnzimmer und im Schlafzimmer zu gleichen Teilen auf. So konnte die gute Frau beginnen, Kaffee zu brühen und Kekse zu reichen.

Beim Bauabschlußbier in einer Eckkneipe machten sie Kassensturz, nachdem die Rentnerin ohne Abzug gezahlt und den avisierten Anschlußauftrag, Überfliesung des Küchenbodens sorgsam aus dem Abschiedsgespräch herausgehalten hatte.

“Was ist mit dem Küchenboden?” Backe mangelte es in solchen Dingen an Takt.

“Die Fugen der darunterliegenden alten Fliesenschicht schienen mir aber irgendwie glatter” Die Rentnerin setzte einen zweifelnden Gesichtsausdruck auf und zog die Stirn in Falten.

“Das wird noch. Die Fugenmasse muß erst aushärten. Dann wird sie schön glatt”.

“Wir werden jetzt gehen müssen,”hatte Bernd gesagt, in der Absicht guten Willen zu bekunden,”Wir werden anderswo erwartet” Und zog Backe am Arm aus der Tür.

“Wieviel Geld haben wir jetzt?” Backe nippte an seinem Bier.

“Gar nichts”entgegnete Bernd “ Es reicht für eine neue Annonce, etwas mehr und besseres Werkzeug, einen halben Tank voll Benzin und ein wenig Brot und Fett”

“Wir müssen unsere Telefonrechnungen bezahlen bevor die Post sie abklemmt.”

“Ein neuer Auftrag muß her. Rasch.”

In der Folge ging es schleppend, jedoch mit einiger Beständigkeit voran. Sie hatten gelernt, daß man das Fugenmittel nach Einhaltung einer gewissen Trocknungszeit mit dem Handtuch beinahe mühelos abzuwischen vermochte.

“Ihr könnt doch nicht eure Kleberschmiere mit meinem Badetuch abwischen,” brüllte der Rentner des nächsten Auftrages plötzlich los, nachdem er reglos, wie erstarrt, einige Sekunden auf der Türschwelle gestanden hatte.

“Fugenmittel. Das ist Fugenmittel.” Backe versuchte zu beruhigen, “man kann das ausschütteln”. Er wedelte heftig mit dem Tuch um darzustellen, wie einfach das war. Eine erstickende Wolke feinsten Staubes begann von der Küche über den Flur in die Wohnstube zu wabern und sich auf den Möbeln niederzulassen.

Der Rentner prallte zurück, hustete und wechselte die Gesichtsfarbe in ein tiefes Rot.

“Meine Wohnung. Mein Heim. Ihr zerstört mein Heim,” brüllte er mit schrill sich steigerndem Zorn, den man ihm gar nicht zugetraut hätte. “Die Gesellenbriefe. Ich will die Gesellenbriefe sehen. Ich will gar nichts zahlen. Ich werde auf Schadensersatz pochen. Wie heißt ihr. Die Polizei wird sich für euch interessieren.”

Im Treppenhaus hörte man schon die Türen aufklappen.

“Die Polizei wird sich für Sie interessieren, “Der Anrufer klang erbost und verbittert, “Sie inserieren ohne Berechtigung. Das ist illegal und

strafbar. Sie führen unerlaubterweise Bauarbeiten aus. Wir sind die Handwerkskammer. Wir haben Vollmacht, Mißbrauch zu ahnden.”

“Ich mache nur eine Marktanalyse,” beschwichtigte Bernd.

Aber Marktanalysen empfand der Mann von der Handelskammer nicht wesentlich sympathischer.

In der unverzüglich anberaumten Krisensitzung wurde ein Entschluß gefasst.

“Wir müssen ein Gewerbe anmelden. Bautenschutz. Und wir brauchen einen Meister als Konzessionsträger.”

“Wir müssen unsere Telefonrechnungen bezahlen,” drängelte Backe.

“Sie suchen einen Konzessionsträger Fliesen,” sagte der Mann am Ende der Leitung,

“Ich habe ihr Inserat gelesen. Ich bin Meister. Wir müssen uns treffen.”

Bernd traf den Meister Meysel auf dem Parkplatz hinter dem Mietshaus in dem er wohnte.

“Schön,” sagte der Meister, “schön daß wir jetzt ein Auto haben. Sowas ist sehr nützlich.”

Er betrachtete wohlwollend Bernds Rostlaube. “Fahren wird es wohl?””Kommen Sie, ich muß ihnen meine Frau vorstellen.”

Die Frau des Meisters schüttelte Bernds Hand herzlich und überschwenglich und setzte einen Topf Kaffee auf.

“Ich bin Rentner und habe ein Holzbein,” sagte Meister Meysel.

“Die Auftragslage ist zur Zeit sehr schlecht,” sagte Bernd.

“Ich habe Verbindungen zur Kirche. Da können Sie Maurerarbeiten machen.”

“Maurerarbeiten?”

“Maurerarbeiten!”

“Es ist so schön wieder einen Gesellen zu haben,” unterbrach die Frau des Meisters die Monotonie des Dialogs.

“Fliesenarbeiten.”

“Fliesenarbeiten?”

“Ja ich mache Fliesenarbeiten,”

“Fliesenarbeiten ? Das hätten Sie mir sagen sollen. Ich bin Fliesenmeister. Ich habe Verbindungen zur Kirche. Da können Sie Fliesenarbeiten machen.”

“Im Turm?”

“Warum nicht im Turm? Bekommt ihnen die Höhe nicht?”

“Es ist so schön, daß wir jetzt wieder einen Gesellen haben.” Die Frau des Meisters strahlte und reichte Gebäck.

“Morgen,” sagte der Meister,” morgen gehen wir los und verschaffen Ihnen einen Auftrag.”

“Sie kommen dann immer zum Essen,” sagte Frau Meysel, “alle unsere Gesellen haben wir immer wie Familienmitglieder aufgenommen. Sie mögen doch sicher Erbsensuppe?”

Bernd fuhr irritiert nach hause. Andererseits hatte der Meister nicht von Geld gesprochen.

Das glich einiges aus. Und er wollte lukrative Aufträge beschaffen. Man

könnte mal wieder die Pacht für das Grundstück leisten. Und den Strom bezahlen.

“Wir lassen das Auto hier stehen und gehen zu Fuß,”sagte der Meister am nächsten Mittag in guter Laune,”ich bin Rentner und habe ein Holzbein. Ich kann gut laufen.”

“Hier in Neukölln gibt es überall Kirchen,”stellte der Meister mit Befriedigung fest und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas der zweiten Runde, “Da brauchen wir nicht zu hetzen. Der Küster wird auch da sein, wenn es finster wird.”

“Der Küster?”

“Warum nicht der Küster? Du wirst doch nichts gegen Küster haben? Ich darf Dich doch duzen ? Bestell noch eine Runde.”Er lehnte sich behaglich zurück und zündete eine Zigarette an.

“Gib mir 50 Mark ,” lallte Bernd am Abend in den Hörer.

“Du versäufst alles mit dem Holzbein - Meister,” entgegnete Backe.

“Ich richte die Firma legal ein und besorge Aufträge. Bei der Kirche. Die wollen Rechnungen.”

“Aufträge vom Küster?”

“Ganz recht. Was hast Du gegen Küster?”

“Im Turm? 300 Stiegen? Fliesen? An der Glocke? Katholisch?”

“Bring mir die verdammten 50 Mark, du Lump. Ich treff den morgen Nachmittag um 16 Uhr in der Hermannstrasse.”

“Grad rechtzeitig. Die Kneipen und Bordelle öffnen zu der Stunde.”

Der Meister war etwas spät. Sein Beinstumpf machte Geschichten. Es war das Wetter.

“Ich kann aber nicht auf jede Baustelle kommen, die wir haben,” meinte er beim ersten Bier, das bestellt wurde, um den Tag in Ruhe anzugehen, wie er meinte.

“Nicht auf jede Baustelle,” wiederholte er.

“Wir haben keine Baustelle,” sagte Bernd, dem bewußt wurde, daß es auch am zweiten Tag nicht weit kommen würde mit den Beziehungen zu den Küstern.”Katholische.”

Katholische was?”

“Küster. Katholische Küster?”

“Wollen wir die nach der Konfession befragen oder wollen wir Aufträge reinholen?”

 

Er übermittelte liebe Grüße der Frau Meysel.

Die 50 Mark reichten gerade noch für die Heimreise mit der UBahn.

Am Ende des Tunnels erschien ein Licht. In einer Kolonie hatte ein älterer Heimwerker Schwierigkeiten mit dem Fliesenbelag auf dem Boden. Sie wollten einfach nicht Festwerden.

“Haben Sie die Fliesen in Teer gelegt?” Fragte Backe.

“Oh nein, das ist Bitumen. Ich würde doch keine Fliesen in Teer legen. Seid ihr auch Fachleute? Ich brauche Fachleute.”

“Bitumen ist gut. Schützt vor Nässe und vor Rost. Läßt kein Wasser

durch.” Bernd setzte den rechten Fuß auf die erste große Fliese, die unverzüglich wegrutschte und alle anderen zusammenschob. Das Pech quoll aus den Fugen. Die Platten begannen zu sinken.

“Mein Werk,” lamentierte der Pfuscher, “mein Werk.”

Es vergingen die Wochen. Die Armut blieb beharrlich; wie festgeklebt. Es gab einige Kleinaufträge, die den Hungertod auf Distanz zu halten vermochten. Es wurde ihnen Lehrgeld abverlangt. Einige Aufträge wurden garnicht, andere teils bezahlt. Backe hatte schließlich einen sauberen Auftrag an Land gezogen. Neubau, alles schön glatt und gerade. Diverse Böden waren zu befliesen.

“Diagonal ?”

“Er sagt, er will die Fliesen diagonal verlegt haben.”

“Was genau soll das sein?”

“Frag den Meister.”

“Diagonal ?” fragte der Meister als Bernd ihn am Telefon erreichte, mit wie ihm schien besorgter Stimme, “Da müßt ihr aber mehr Geld verlangen. Diagonal gibt Zuschlag.”

“Du mußt kommen und dir das ansehen. Der Bauherr wird einen Meister sehen wollen.”

Der Meister kam mit dem Bus und hielt die Hand auf. 500 Mark sagte er. Ihr müßt mich mal bezahlen. “Ich komm am Wochenende wieder. Wenn ihr Abschlag geholt habt. Nächste Woche gehen wir zur Handwerkskammer und schließen den Vertrag. Versucht hier einigermaßen rauszukommen. Der Boden ist glatt und plan. Erwähnt meinen Namen nicht, wenn der Bauherr fragt. Ich muß einen Ruf schützen. Nur zu, auch Pfuscher legen mal vernünftig. Wenn alles so glatt ist. Ihr zahlt. Ich habe Verbindungen.”

“Er hat Verbindungen,” sagte Backe nachdem der Meister gegangen war.”Wir werden zahlen müssen.” “Wegen dem Küster?”

“Wenn wir noch bumsen wollen, müssen wir damit rasch beginnen,” unterbrach Jacqueline Bernds Redeschwall unerwartet und entschieden, “Uta kommt gleich.”

Sie hatten die ganze Nacht gezecht, Country Musik gehört und geschwätzt. Bernd hatte gezecht und geschwätzt. Jacqueline hatte zugehört.

Jacky war ein bildschönes Mädchen. Seidigschwarze, lange Haare, herrliche schlanke, perfekte Figur, wahnsinnige Titten mit seitwärts aufstrebenden ausdrucksvollen und steifen Nippeln in farbigen, nicht zu großen Höfen. Alles jungmädchenhaft fest und grabschfähig. Sehr hübsches ebenes Gesicht. Wild, stolz. Krankenschwester. So 16 bis 17 Jahre alt. Jacqueline wusste um ihren Wert. Lange schwarze Haare.

“Uta kommt um sechs,” sagte Bernd und machte sich an den oberen Knöpfen seines Hemdes zu schaffen.

“Es ist fünf Uhr,” Jacqueline zog an ihrer Bluse. Sie kopulierten das erste Mal. Ohne langes Vorspiel und in der Standard - Stellung des bäuerlichen Umfeldes. Man musste sich sputen.

Uta, Jacquelines Mutter, wie Bernd um vierzig Jahre alt, würde es nicht

gefallen können ihren Freund und ihre Tochter beim Akt zu überraschen. Uta war Bernds Freundin. Jacqueline auch. Aber die Freundschaft zwischen Bernd und Uta hatte den Charakter der unverwechselbaren Intimität. Die Freundschaft zwischen Jacky und Bernd hatte platonisch zu sein.

Es pochte an die Wohnzimmertür als sie gerade anfingen ihre Blößen zu bekleiden. Die Klinke gab nach, bevor Bernd sie erreichen konnte. Ein Kopf lugte durch den Türspalt.

“Bin ich hier richtig?”fragte der Taxifahrer.

“Bernd?” rief hinter ihm Uta aus dem Vorzimmer.

“Hallo, ja,ja,” keuchte Bernd und versuchte die Unterhose hochzuziehen während er aus den Augenwinkeln sah wie Jacqueline ihren Busen vor den gierigen Blicken des Taxifahrers mit den Händen zu verbergen suchte.

“Gleich, Moment,”

“Hier sind wir richtig,” meinte der Taxifahrer, sich zu Uta hinter ihm wendend. Jacky suchte nach ihrem Unterhemd, fand es und streifte es über als Uta sich an dem Kutscher vorbeidrängelte und die Tür aufstieß, die jener taktvoll gehalten hatte.

“Was macht ihr?” fragte sie mit einem argwöhnischen Ausdruck im Gesicht, wohl wissend um die ridikule Gestaltung ihrer Frage.

“Tanzen. Puh, warm hier,” jappste Jacky und zog den Rock hoch.

“Nackend?,” “Ja, ein wenig, du kannst ja gleich weitermachen.”

Uta kam vom Nachtdienst, hatte sich auf die kleine Party im Morgengrauen gefreut und war bester Laune.

“Ich möchte nicht, daß du ihr Geschlechtsverkehr beibringst,” sagte sie nachdem Jacky gegangen war, um ihrerseits den Dienst im Krankenhaus in Charlottenburg anzutreten.

“Woher weißt du, daß sie das nicht schon kann?” “Sie ist 14.” “Sie ist 16 oder 17.” “Sie ist ein frühreifes Kind.” Uta nahm einen tiefen Schluck Cognac und zog Bernd an sich heran, um mit dem Vorspiel zu beginnen.

“Kommt noch jemand zu Besuch?”fragte Bernd,”Wollen wir nicht erst was trinken und ruhen?”

Uta nahm die Konkurrenz der Tochter gelassen hin. Sie trank gern und häufig, war attraktiv und konnte immer jemanden finden, Bernd zu ersetzen.

Jacqueline zog in Bernds Haus nachdem die Sache mit Dexling unproduktiv geworden war.

Damals, bevor die Brandstiftung es zerlegte, war es ein einfacher Bungalow mit Flachdach, Dachpappe und vier Wänden um das ganze zu halten. Bernd wohnte zur Pacht. Es gab ein Wohnzimmer, ein Vorzimmer, eine Küche und ein Bad, das ein Bad geworden wäre, hätte der Besitzer nicht zuvor die Arbeit eingestellt. Ein Klosett stand drin und wackelte. Isolierung gab es keine. In der Küche und in der Wohnstube stand jeweils ein Ölofen der aus dem Kanister befüllt wurde. Beide waren genügsam, da sie selten brannten und häufig schwelten. Recht verlässlich verpufften sie des nachts mit gewaltigem

Knall und folgendem Echo, wenn der gusseiserne Deckel zurück auf die Konstruktion klatschte, nachdem die übliche Wolke schwarzen Rußes entwichen war, um sich im Haus zu verteilen.

“Du mußt die Öfen zum Verpuffen bringen,”sagte Dexling der Taxiunternehmer und rieb sich die klammen Hände, um den Becher heißen Tee verlässlich greifen zu können. “Dann wird der Schornstein frei und sie brennen.”

“Sie puffen automatisch. Jede Nacht, wenn ich sie brennen lasse. Sieh dir den Ruß überall an.”

Dexling war ein friedlicher, gutmütiger Charakter, der wie Rasputin aussah und zu einem guten Freund geworden war. Er war stets hilfreich und schüttete eine Tasse kalten Wassers in den rasch angezündeten Küchenofen um eine kontrollierte Verpuffung zu haben.

“Donnerwetter”, meinte er atemlos,” das war aber Zunder. Das hätte ich nicht glauben wollen.”

“Du hast meine Küchendecke versengt.”Warf Bernd ein und hustete gegen die mit Ruß geschwängerte Raumluft. “Ich werde hier nicht mehr leben können.”

“Hätte ich mir die Augenbrauen und das Haupthaar abgesengt, hätte ich nicht mehr Taxe fahren können.” Nach einer Pause meinte er ”vielleicht finde ich diese Woche noch eine kleine geile Schlampe ohne Dach über dem Kopf und ohne Geld eins zu bezahlen.” Damit ging er und hinterließ das Chaos.

Dexling versorgte Bernd gelegentlich mit Frischfleisch. Wenn irgendwelche Veranstaltungen oder Messen in Berlin stattfanden, kamen auch stets weibliche Wesen aus dem Westen, von denen die jungen weiblichen Wesen hin und wieder nicht über Barschaften in geforderter Höhe für ein Pensionszimmer aufzubringen sich in der Lage sahen. Er sammelte sie nachts in den Gegenden auf in die es sie in der Regel verschlug. Stutti und Zoo. Und Potsdamer Strasse. Er bot uneigennützige Hilfeleistung und man vertraute ihm, weil er wie Rasputin aussah, oder vielleicht Rasputin war.

So schlich er sich nach Mitternacht mit seinem Opel C Rekord mit Taxischild auf dem Dach die sandigen Wege der nachts tristen und finsteren Dauerkolonie auf den Berg hinauf, auf dem Bernd mit 800 Quadratmeter Grund und einem schäbigen Bungalow unter mächtigen Silberpappeln, die den Mond ausblendeten, zur Pacht lebte.

“Bernd,” wisperte er, damit die Nachbarn nicht erschreckt werden würden, “Bernd.” Er pochte leise mit spitzem Zeigefinger gegen die Wohnstubenscheibe. “Du mußt mir einen Gefallen tun. Sie hier, wie heißt du noch, kommt aus der Fremde und hat keine Bleibe. Kannst du sie für die Nacht aufbewahren?” “Aber sicher, wo sie hier fremd ist.” “Danke.”

“Wir telefonieren.”

“Wie heißt du? Wollen wir ficken?”

Manchmal war Bernd direkt. Das hing von später Stunde und Schläfrigkeit ab. Aber drei, vier Mal gab es mit zielstrebiger Direktheit spontane Erfolge. Welch unerwartetes Vergnügen. Es war wie im Bordell. Man wußte nie was da so daherkam.

Zu morgendlicher Stunde fuhr Bernd sie dann nach Dreilinden um sie neben der Autobahn auszusetzen, sich per Anhalter auf die Heimreise zu begeben. Bernd begab sich hernach zu seinem Zeitungskiosk um den Einarmigen mit dem alten Gesicht und der pechschwarzen Perücke abzulösen, der als leidenschaftlicher Frühaufsteher den Laden um fünf Uhr früh eröffnete, obwohl er erst ab sieben Uhr bezahlt wurde und der immer mehr Geld in der Tasche zu haben schien , als ihm eigentlich zustehen konnte. Zunächst war das Chaos zu ordnen das der Einarmige hinterließ; denn der Einarmige hatte nur einen Arm und wollte nie sagen in welchem Krieg er den anderen gelassen hatte. Um achtzehn Uhr würde Frau Schacke antreten und den Laden um Mitternacht schließen. Aber der Einarmige machte richtig kräftig Umsatz. Auch Frau Schacke schien häufig überraschend flüssig zu sein, wie Bernd mit Argwohn bemerkte. Hier verbrachte Bernd seine Tage.

Das kleine Imperium fing an zu wuchern. Von Köwenick wurde ein Dutzend ZigarettenAutomaten mit Standplätzen gekauft. Die brachten keinen Gewinn, mussten aber stets gefüllt werden und waren hübsch anzusehen.

Dann ließ Bernd sich von Karl Hannes gebrauchte Autos aufschwatzen, bis zweiundzwanzig Stück aller Fabrikate, einschließlich zweier Mustangs, zusammen gekommen waren. Die wurden aus der Zeitungsbude heraus an Selbstfahrer für 22 Mark den Tag und 100 Kilo- meter frei vermietet und in allen Parklücken gehortet.

“Ich hab auf dem Autokino 800 Mark bezahlt, gib mir tausend.” Das war stets ein Schnäppchen. Karl Hannes hatte eine Autohand. Die Dinger funktionierten, waren billig, sauber und stets gewienert und geschrubbt. Er vergaß auch nie den obligatorischen Ölwechsel, der ihm besondere Freude zu bereiten schien.

Hinzu gesellte sich ein Schaumstoffladen in Alt Moabit, in dem Bernd Matratzen verkaufte.

Dann Matratzen und Sitzkissen. Dann Matratzen und Sitzkissen und Stoffe, um alles zu beziehen. Herr Sommer aus Österreich war angestellt worden. Herr Sommer war vielseitig und willig. “Ich nähe auch,” behauptete er eines Tages,” Ich kann das alles beziehen. Wenn man mir eine Nähmaschine gibt.”

Die Geschäfte entwickelten sich prächtig. Der Arbeitsaufwand hielt Schritt. Von 9 bis 18 Uhr war Bernd in der Zeitungsbude, verkaufte Magazine, Tabakwaren, Naschwerk und Wein, bald auch palettenweise Sechserpack Bier. Nebenbei vermietete er die Autos, zahlte die Rechnungen. Von 18 bis 20 Uhr lieferte er die Matratzen, zu Rollen verschnürt, im Kofferraum des Mercedes 230 den Kunden in die Wohnungen. Nach 20 Uhr ging es öfters per Bahn nach Westdeutschland, um die nicht gestohlenen, aber unterschlagenen Mietwagen nächtens bei den Polizeirevieren einzusammeln, sobald sie wieder aufgetaucht waren. Fielen die Bahnfahrten aus, mußten die Mietwagen gesäubert, gewaschen, repariert werden.

“Sie werden uns noch steinreich werden,” behauptete Frau Schacke,

“für den Fall, daß sie zuvor nicht ableben,”

“Meyer,” sagte der Nachbar,” wenn du dich im Spiegel sehen könntest, würdest du deine Lebenserwartung reduzieren wollen.”

Jacqueline wurde als Tagesverkäuferin in der Zeitungsbude eingestellt. Die Bekanntschaft ihrer Mutter gemacht. Der 16 Stunden Arbeitstag wurde auf 12 Stunden reduziert. Da verblieb dann auch wieder Zeit zum Saufen. Die Tradition aufrecht zu erhalten. Bei der Seefahrt hieß es verbindlich : einmal die Woche besoffen oder eine Woche im Monat besoffen.

Ein Gutteil des Konsums wurde in der kleinen Kellerbar, die Köwenick mit dem Erlös aus den Zigarettenautomaten , die viel Arbeit machten, wenig einbrachten, aber hübsch anzusehen waren, mit Anja eingerichtet hatte und die nicht lief, aber praktischerweise neben dem Heimweg lag, getätigt. Die Geschäftsidee war; Paare hinunterzulocken und Mischsex zu verkuppeln.

 

“Kuppelei läuft immer.” Sagte er und überlegte ob er noch Kapital aus seinem Taxigeschäft nachschießen sollte. “Allemal.” Unterstützte ihn Anja überzeugt.

“Na endlich finde ich dich Bernd ,” Jacqueline kam atemlos und erregt in das Restaurant in Moabit, wo Bernd gerade Schach mit Charly dem Kuli aus dem Pelzladen spielte und soeben einen genialen Zug getätigt hatte, was nicht oft vorkam.

“Das Haus brennt.” Charly erstarrte und wurde blaß, wie selbstbetroffen. “Dein Zug”, sagte Bernd. “Das Haus brennt,” murmelte Charly. “Das Haus brennt,” wiederholte Jacqueline.

Charly warf das Spielbrett um. “Wie lange?” fragte Bernd.

Als Jacqueline und Bernd in Bernds Auto die Heimstatt erreichten, war die Feuerwehr gerade mit dem Rückzug beschäftigt. Ein Mann stand auf dem Flachdach, das unbeschädigt aussah und schlug mit einer großen Axt große Löcher in das Dach, damit es hineinregnen mochte. “Ich schaue nach Glutherden,” sagte er fröhlich.

Innen sah es wüst und schwarz aus. Die Schaumstoffmöbel waren mit der Tapete und der Decke verbrannt.

“Ich kann ihnen die Miete nicht mehr zahlen. Die Bude ist abgebrannt.”

“Wie soll ich leben. Meine Wäscherei schleppt sich dahin.”

“Soweit mir bekannt, sind sie mit vierzigtausend Mark versichert. Da machen sie aber ein Schnäppchen. Der erste Eindruck, sagt die Polizei ist Brandstiftung.” “Alle meine Geschäftspapiere sind verbrannt,”fügte Bernd sinnierend hinzu.

“Da haben sie aber Glück gehabt.”

Der Verpächter hatte Recht. Schlechte Nachrichten sind immer gute Nachrichten in Verkleidung.

“Was machen sie da? ”Fragte eine Stimme von oben als Bernd alle seine Geschäftspapiere in dem leeren Ölfass am Hang verbrannte.

“Ich entsorge das, was ich verkohlt zusammenharken konnte.”

“Wir sind gekommen, die Brandursache zu ermitteln. Wir sind von der Kripo.” “Sie dürfen keine Beweismittel in ihrer Tonne kokeln,” fügte er

nach kleiner Pause hinzu. Beide Herren schauten mißtrauisch den Hang herunter auf den Stapel Akten neben der Tonne.

Der zweite Eindruck war Brandstiftung. Vermutlich mittels einer Kerze unter dem Bett.

Die erste Nacht verbrachten Jacqueline und Bernd bei Uta.

Die zweite Nacht in Anjas Wohnung in Neukölln.

Die dritte, vierte und fünfte Nacht in einer luxuriösen Wohnung in der Berliner Strasse in Wilmersdorf, die dem merkwürdigen Helmut gehörte. Helmut war Helmut und kam jeden Freitag seit vier Wochen um punkt achtzehn Uhr zu Bernd in den Kiosk um tausend Mark zu borgen, die er verlässlich am Montag um zehn Uhr mit zehn Prozent Verzinsung zurückbrachte. “Ich bin Finanzbeamter, ”pflegte er zu sagen, ”Ich bin verläßlich. Ich bin beim Finanzamt Wilmersdorf. Ich mache über das Wochenende Geschäfte. Ich brauche die tausend Mark um lukrative Geschäfte zu tätigen.”

“Hier,” sagte er mit weltmännischer Geste und öffnete die Wohnungstür, ”hier könnt ihr leben.” Und ging in seine Zweitwohnung.

“Hier,” sagte Jacky, ”schlafen wir mit den Decken vom Bett auf dem Fußboden vor dem Bett.”

“Hier, ”sagte in aller früh des dritten Tages eine erregte weibliche Stimme und weckte sie auf. “Hier, wohne ich.” Und schrill nachsetzend, “wir werden die Polizei haben. Wir werden euch an die bewachten Orte führen lassen.”

“Du Arschloch ,”sagte Bernd zu Helmut als der Geld holen kam. “Sie hat uns aus dem Schlaf gerissen.”

“Ich weiß,” erwiderte der, ”wie konnte ich wissen, daß sie so früh aus dem Urlaub zurückkommen würde. Sie hat die Decken in die Wäscherei gegeben.”

Am nächsten Tag zogen sie nach Alt Moabit in Karl Hannes Wohnung der praktischerweise vor einer Woche umgezogen war und seine Wohnungseinrichtung zurückgelassen hatte, damit andere sie auf den Sperrmüll bringen mochten.

“Gott bin ich froh, aus diesem finsteren Loch herauszukommen. Die Toilette ist auf halber Treppe. Im Winter ist sie zugefroren, im Sommer stinkt sie. Ihr braucht eine Kerze, wenn ihr nachts drauf wollt. Und einen Bindfaden um die Tür zuzuhalten wenn die Kinder auf der anderen Seite ziehen. Achtet auf das Papier. Hier wird geklaut.” Er hatte es eilig.

“Ich bin auch arm, ”meinte der vormalige Verpächter, ”fünfzehntausend Mark, dann treten sie die Nachfolge im Grundstückspachtvertrag an und können über ihren Besitz verfügen. Dann wird das alles ihnen gehören.”

“Das geht nur in Raten.”

“Raten sind gut. Dann wird all das ihnen eines Tages gehören. Ich mache den Notartermin.”

Nunmehr wurde gebaut. Nachdem der Ruß, Schutt und Abriß beiseite geschafft war, Werktags von siebzehn Uhr bis Mitternacht. Sonnabends

und Sonntags von Licht bis Licht , nachdem der Einarmige sich erboten hatte, weitere Schichten zu übernehmen.

Das Haus wurde an einem Flügel etwas länger und mit einem Dachgeschoß etwas höher. Die Materialkosten fingen an, die Dienstleistungskette zu überfordern.

“Ich hab noch etwas Geld,” sagte Herr Sommer,” ich kann bis zum 15. warten,”

“Ich muß kassieren,” sagte der Mann von BPV, ”sonst darf ich morgen früh keine Zeitungen abwerfen.”

“Ich muß auf pünktlicher Bezahlung beharren,” sagte Frau Lärmbecher, die immer dieses rassige Weib mit den grünen Augen mit der Tabaksendung, die Bernd beide nicht missen mochte, schickte, durch das Telefon.

“Sie schulden mir bereits fünfhundert Mark Lohn. Ich muß jetzt kündigen,” jammerte Frau Schacke und setzte sich zur Ruhe.

“Ich brauche immer wenig Geld,” sagte der Einarmige zufrieden und weckte Bernds Mißtrauen.

“Ich will nicht mehr,” sagte Dexling der Taxiunternehmer mit dem Opel C Rekord, der zwei alte Transporter in die Firma Appel & Ei, Bernds Autovermietung, eingebracht hatte und damit kein Geld zu verdienen vermochte, weil die Kinder der Kolonie in der er leichtsinnig den einen Transporter abgestellt hatte, die Kiste demontiert hatten. Mit dem anderen Transporter war Bernd in der Nordkurve umgekippt, nachdem er von einem großen blauen Bus an den Hang gedrängt worden war, grad als er um die Ecke kam.

“Es war ein großer blauer Bus.”

“Es war ein solider schöner Posttransporter mit Schiebetür. Nun ist es eine Ziehharmonika mit Schiebetür die sich nicht mehr schieben lässt.”

“Wir ziehen jeden Tag 450 Mark aus dem Geschäft.” Sagte Bernd zu Jacky. “Wir werden in den Pappkarton ziehen.”

“Du ziehst jeden Tag 450 Mark aus dem Geschäft. Du wirst in den Karton ziehen.”

“Wir müssen mal ausspannen,” plauderte Köwenick den anderen Tag durch den Telefondraht. “In sechs Wochen geht ein Flug nach Korea. Charter. Mit all den koreanischen Krankenschwestern. Billig. Hasi hat Beziehungen und kann drei Flugkarten bekommen.

Tausendsiebenhundertfünfzig Mark. Hin und zurück.”

“Gut, in sechs Wochen krieg ich das auch noch zusammen.”

Beim Kaffee in der Stadt einige Wochen später rechnete Köwenick, der sich durch Geschäftstüchtigkeit auszeichnete, vor, wie man durch Tagesgeld der Krankenversicherung die Ausflugskosten nach Korea ersetzt bekommen konnte, so man denn krank sein wollte und rief Tacka an, einen Termin zu vereinbaren.

“Setzen sie sich da drin hin.” sagte die Arztschwester wirsch, als sie die Praxistür öffnete und Bernd bedeutete, einzutreten.

“Wenn sie einen Platz finden, setzen sie sich da drin hin.” Sie verlangte die Papiere.

“Welche Unterlagen, “ verlangte Bernd zu wissen. “Man hat mir nicht gesagt, daß ich Unterlagen haben muß. Ich bin nur krank”

“Hier sind alle krank. Nicht wahr? In ihrem Alter. Waren sie noch nie beim Arzt. Sehen sie sich um. Sie glauben sie haben Probleme? Mit der Gesundheit? Was ist mit mir. Sehen sie all die Horden hier? Wenn hier jeder von diesen Kranken mich anmachen würde. Geben sie ihre Versicherungskarte her und halten sie mich nicht von meiner Arbeit ab.”

“Es ist die Aachener,” sagte Bernd leicht irritiert. “Ich hab die Nummer hier aufgeschrieben. Weil der Vertrag bei einem Brand verschwand.”