Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«

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– Silhouette d’artiste, in La Revue d’art dramatique.

– Sur M. Alphonse Daudet, in La Presse.

– Adieux, in La Presse.

1898 Die Dreyfus-Affäre gelangt mit Zolas J’accuse auf ihren Höhepunkt; am Tag nach dem Erscheinen unterzeichnet Proust eine Petition für die Revision des Verfahrens; stattdessen findet ein Verfahren gegen Zola statt. Seine Mutter durchleidet eine Krebsoperation; er begleitet sie anschließend nach Trouville. Im Oktober Reise nach Amsterdam zur Rembrandt-Ausstellung. Im November besichtigt er das Haus Moreaus, das zu einem Museum umgewandelt wurde.

– Robert de Flers, in La Revue d’art dramatique.

1899 Proust gibt den Jean Santeuil auf und widmet sich ganz seinen Ruskin-Studien und der Übersetzung von dessen The Bible of Amiens. Urlaub in Évian. Er lernt Hauptmann Picquart kennen und freundet sich mit Antoine Bibesco an. Urlaub mit seinen Eltern in Évian.

– Lettres de Perse et d’ailleurs, in La Presse.

1900 Ruskin stirbt; Proust veröffentlicht mehrere Artikel über ihn. Er gibt seine Stelle in der Bibliothèque Mazarine auf und fährt mit seiner Mutter nach Padua und Venedig, wo er Marie Nordlinger und Reynaldo Hahn trifft. Im Herbst fährt er noch einmal, jetzt allein, nach Venedig, während seine Familie vom Boulevard Malesherbes Nr. 9 in die Rue de Courcelles Nr. 45 umzieht; diese zweite Venedigreise wird heute allerdings angezweifelt.

– John Ruskin, in La Chronique des arts et de la curiosité (27. Januar).

– Pèlerinages ruskiniens en France, in Le Figaro (13. Februar).

– Ruskin et Notre-Dame d’Amiens, in Mercure de France (April).

– John Ruskin (I), (II), in La Gazette des beaux-arts (1. April, 1. August).

1901 Mit Léon Yeatman nach Amiens und nach Abbeville. Im Dezember bietet Proust dem Verlag Ollendorff seine Übersetzung von Ruskins Bible of Amiens an.

1902 Wiederaufnahme der Arbeit an Jean Santeuil. Proust hört Tristan und Isolde. Charles Haas stirbt. Kurze Reisen nach Amboise, Chartres und Brügge, wo er die Ausstellung flämischer Malerei der Renaissance besichtigt; später eine Reise mit Bertrand de Fénelon nach Brügge und dann allein weiter nach Holland, wo er in Haarlem die Gemälde von Frans Hals besichtigt und in Den Haag zum ersten Mal Vermeers Ansicht von Delft sieht. Im Dezember verabschiedet sich Fénelon zu Prousts großem Schmerz nach Konstantinopel.

1903 Robert Proust heiratet Marthe Dubois-Amiot, die sich nach Marcels und Roberts Tod um eine Vernichtung des Angedenkens an ihren verhassten Schwager bemühen wird. Proust lernt den Herzog von Guiche, den Prinzen Léon Radziwill und den Marquis von Albufera kennen. Urlaube in Trouville, in Burgund und mit den Eltern in Évian; Ausflüge mit dem Auto nach Laon, Senlis und Coucy-le-Château. Tod des Vaters.

– Auszüge aus La Bible d’Amiens, in La Renaissance latine.

– Un salon historique. Le Salon de S.A.I. la princesse Mathilde, in Le Figaro.

– Le Salon de Mme Lemaire, in Le Figaro.

– Le Salon de la princesse de Polignac, in Le Figaro.

1904 Beginn der Übersetzung von Ruskins Sesame and Lilies gemeinsam mit Marie Nordlinger, worin er auch Maeterlincks Le double jardin zitiert. Beim Mercure de France erscheint La Bible d’Amiens. Nach einer Reise durch die Bretagne und die Normandie und einer Kreuzfahrt entlang der bretonischen Küste und nach Guernsey erscheint im Figaro Prousts Betrachtung La Mort des cathédrales.

– Le Salon de la comtesse d’Haussonville, in Le Figaro.

– Fête chez Montesquiou à Neuilly, in Le Figaro.

– Le Salon de la comtesse Potocka, in Le Figaro.

1905 Proust verfasst das äußerst einfühlsame Vorwort zu Sésame et les Lys und eine weitere Studie über Robert de Montesquiou, Un professeur de beauté. Er beginnt, Saint-Simon und Homer zu lesen. Anfang September begleitet er seine Mutter nach Évian, die jedoch in einem Nottransport nach Paris zurückgebracht werden muss, wo sie Ende September stirbt. Sein Beitrittsgesuch zum Cercle de l’Union wird abgelehnt. Er begibt sich von Anfang Dezember bis Ende Januar in das Sanatorium des Charcot-Schülers Paul Sollier (1861–1938): »Meine Kur hat mich nur noch kränker gemacht.«

– La vie à Paris: la comtesse de Guerne, in Le Figaro.

– Sur la lecture, in La Renaissance latine.

– Un professeur de beauté, in Les Arts et la vie.

1906 Sésame et les Lys erscheint im Verlag des Mercure de France. Proust hält sich von Anfang August bis Ende Dezember im Hôtel des Réservoirs in Versailles auf. Danach wohnt er bis September 1908 in der Wohnung seines verstorbenen Großonkels Georges Weil am Boulevard Haussmann Nr. 102. Er liest André Gide, Francis Jammes und Dickens.

1907 Verschiedene Studien über die Dichterin Anna de Noailles, über den Salon der Prinzessin von Polignac und über die Mémoires der Madame de Boigne, von denen Teile auch in die Recherche eingeflossen sind. Er liest über Carpaccio. Im Sommer unternimmt Proust von Trouville aus verschiedene Ausflüge mit dem Automobil in die Bretagne und die Normandie, die sich im November im Figaro in dem Artikel Impressions de route en automobile niederschlagen, der bereits »Balbec« als Ausgangspunkt nimmt und mit einer Vorform des »Martinville-Aufsatzes« in Combray beginnt, die dann in Le Côté de Guermantes als »spätere Überarbeitung« ausgegeben wird. Bei diesen Fahrten hatte Alfred Agostinelli als Chauffeur fungiert, der ihm von dem Autovermieter zur Verfügung gestellt worden war.

– Sentiments filiaux d’un parricide, in Le Figaro.

– Une grand-mère, in Le Figaro.

1908 Proust beginnt mit dem Essay Contre la méthode de Sainte-Beuve, der sich jedoch zunehmend zur Novelle entwickelt. Im Frühjahr wird er in den Polo-Club aufgenommen. Im Sommer lernt er in Cabourg Marcel Plantevigne kennen und sieht mit ihm im Hotel eine Kinovorführung, die er jedoch als »Kasperltheater«10 abtut. In den Monaten September bis November wohnt Proust erneut im Hôtel des Réservoirs in Versailles, danach zieht er endgültig in die Wohnung am Boulevard Haussmann 102 ein, obwohl es ihm dort eigentlich zu laut ist (teppichklopfende Nachbarn; siehe Lettres à sa voisine, 2013). Er liest die Memoiren von Chateaubriand.

– Serie von Pastiches von Balzac, Goncourt, Michelet, Faguet, Flaubert, Sainte-Beuve, Renan für den Figaro.

1909 Er gibt das Zwitterprojekt des essayistisch-novellistischen Sainte-Beuve auf und beginnt mit einem eigentlichen Roman, den ersten Entwürfen zu Combray und zu Le Temps retrouvé. Im Herbst hat er bereits 200 Seiten beisammen und veranschlagt seinen zukünftigen Roman Le Temps perdu auf drei Bände.

– L’affaire Lemoine, par Henri de Régnier, in Le Figaro.

1910 Urlaub in Cabourg, wo Proust an Un amour de Swann arbeitet und die Grundlagen für Le Côté de Guermantes entwirft. Er lernt Jean Cocteau kennen. Lektüre von Henri Bergsons Matière et mémoire und Thomas Hardys A Pair of Blue Eyes (1873; frz. Deux Yeux bleus, 1913).

1911 Proust macht in Begleitung seines Sekretärs Albert Nahmias Urlaub in Cabourg, wo er eine Maschinenabschrift seines Textes herstellen lässt, die den Titel Les Intermittances du cœur, Le temps perdu, 1ère parti trägt. In Paris hört er Wagner und Pelléas et Mélisande am »Theatrophon« (Drahtfunk). Zur Jahreswende erleidet er empfindliche Spekulationsverluste an der Börse.

1912 Er legt seinen Roman erst dem Verlag Fasquelle und dann der Nouvelle Revue Française vor, die beide ablehnen. Im Figaro erscheinen Auszüge aus Combray. Cocteau liest ihm aus seinem La Danse de Sophocle vor. Erneut schwere Spekulationsverluste.

– Zwei Auszüge aus Combray, in Le Figaro.

– L’Église de village, in Le Figaro.

1913 Der Verlag Ollendorff lehnt den Roman ab; am 11. März schließt Proust mit Grasset einen Vertrag zu Selbstkosten. Sein früherer Chauffeur und jetzt angebeteter (»je l’adorais«; Corr. XIV, S. 358) Sekretär Alfred Agostinelli zieht am 30. Mai mit seiner Verlobten Anna Square in Prousts Wohnung ein. Vorveröffentlichungen im Figaro aus Un amour de Swann und aus Le Côté de Guermantes. Proust korrigiert nacheinander fünf Fahnensätze für den ersten Band, in dem zwei weitere Bände angekündigt werden. Am 12. November publiziert Le Temps (datiert 13. November) ein Interview von Élie-Joseph Bois mit Proust, in dem das »morgige« Erscheinen von Du côté de chez Swann im Buchhandel angekündigt wird. Proust überwirft sich mit Agostinelli, der am 1. Dezember zu seiner Familie in Nizza zurückgeht und in Antibes seine Pilotenausbildung fortsetzt. Proust versucht, ihn zur Rückkehr nach Paris überreden zu lassen und ihn mit finanziellen Angeboten zurückzulocken. Erneut schwere Spekulationsverluste.

– Auszüge aus Du côté de chez Swann in Gil Blas, Le Temps und Les Annales.

1914 Proust bereitet den zweiten Band für Grasset vor, der Mitte des Jahres die Fahnen fertig hat. Am 30. Mai verunglückt Agostinelli tödlich mit einem Schulflugzeug. Proust führt die Figur Albertines in sein Manuskript ein und arbeitet an den Teilen von Sodome et Gomorrhe, die später La Prisonnière und Albertine disparue werden; dabei erweitert er auch Vinteuils Sonate zu einem Quartett und später einem Septett. Céleste Albaret zieht als Haushälterin in Prousts Wohnung ein. Im September fährt Proust mit seinem neuen Kammerdiener Ernst Forssgren nach Cabourg. Am 3. August erklärt Deutschland Frankreich den Krieg; am 17. Dezember fällt Bertrand de Fénelon an der Front, Proust erfährt davon jedoch erst am 15. März 1915.

– Vorabdrucke aus dem geplanten zweiten Band in La Nouvelle Revue Française.

1915 Der kriegsbedingte Stillstand bei Grasset gibt Proust Gelegenheit, das Kapitel über Sodom und Gomorrha wie auch die Albertine-Episode zu eigenständigen Bänden auszuarbeiten.

 

1916 Proust wechselt zu Gallimard. Er vertieft seine Bekanntschaft mit Jean Cocteau und mit Paul Morand und beginnt, wieder auszugehen, unter anderem auch in Le Cuziats Männerbordell. Die dort gesammelten Erfahrungen wie auch die Eindrücke von Paris während des Krieges werden in Le Temps retrouvé eingearbeitet.

1917 Sodome et Gomorrhe und Le Temps retrouvé werden weiter ausgearbeitet. Die Fahnen für À l’ombre des jeunes filles en fleurs und für eine Neuauflage von Du côté de chez Swann werden korrigiert. Diners bei Larue und im Ritz mit der Prinzessin Soutzo. Am 27. Dezember bewundert er von einem Balkon des Ritz aus den Luftkampf über Paris.

1918 Proust engagiert den Schweizer Henri Rochat, einen ehemaligen Angestellten des Ritz, als Sekretär. Er lernt François Mauriac bei einem Empfang bei Francis Jammes kennen. Am 30. November (Druckvermerk) liegt À l’ombre des jeunes filles en fleurs vor. Proust konsultiert den anerkannten Neurologen Joseph Babinski (1857–1932) wegen einer Gesichtslähmung und wegen Sprachstörungen.

1919 Das Haus des verstorbenen Großonkels Georges Weil am Boulevard Haussmann 102, in dem er seit 1906 gewohnt hatte, wird von der Erbengemeinschaft verkauft, und Proust muss ausziehen; er findet Unterschlupf im Haus der Schauspielerin Réjane in der Rue Laurent-Pichat Nr. 8bis. Da ihm die Wohnung zu laut ist (Toilettenspülung des Nachbarn) und sich auch ungünstig auf sein Asthma auswirkt (zu nahe am Bois de Boulogne), zieht Proust nach drei Monaten weiter in die Rue Hamelin Nr. 44. Pastiches et mélanges erscheint sowie die Neuauflage von Du côté de chez Swann. Am 10. November wird Proust der Prix Goncourt verliehen.

– Mme de Villeparisis à Venise, in Le Matin vom 11. Dezember.

– À Venise, in Feuillets d’Art vom 15. Dezember.

1920 Le Côté de Guermantes I erscheint im Oktober bei Gallimard; im gleichen Jahr erscheint auch der aufschlussreiche Essay À propos du style de Flaubert. Proust wird zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

– Pour un ami: remarques sur le style, in La Revue de Paris.

1921 Le Côté de Guermantes II suivi de Sodome et Gomorrhe I erscheint im Mai bei Gallimard; ein Vorabdruck Jalousie aus Sodome et Gomorrhe II erscheint im November in der seit Juli bestehenden Reihe Les Œuvres libres bei Fayard. Der nutzlose Sekretär Henri Rochat wird nach Argentinien komplimentiert. Besuch der Ausstellung holländischer Maler im Jeu de Paume, wo auch Vermeers Ansicht von Delft gezeigt wird. Im Herbst kränkelt Proust besorgniserregend aufgrund eines Irrtums seines Apothekers.

– À propos de Baudelaire, in der Nouvelle Revue Française.

1922 Yvonne Albaret, eine Nichte der Haushälterin Céleste Albaret, übernimmt die Maschinenabschrift der Manuskripte für La Prisonnière und La Fugitive. Anfang des Frühjahrs verkündet Proust Céleste, dass er soeben das Wort »Fin« geschrieben habe. Sodome et Gomorrhe II erscheint (Druckvermerk 10. November). Beginn des Briefwechsels mit Ernst Robert Curtius. Am 18. Mai findet nach der Uraufführung von Strawinskys Renard die verunglückte Begegnung zwischen Proust und James Joyce sowie Igor Strawinsky bei einem Diner des Ehepaars Schiff statt. Im September erscheint der erste Band, Swann’s Way, von Scott-Moncrieffs Übersetzung Remembrance of Things Past der Recherche, doch Proust ist mit den Titeln unzufrieden. Im Oktober erkrankt er an einer Bronchitis, die sich zu einer Lungenentzündung auswächst, an der Proust am 18. November stirbt. Er wird auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise in der Section 85 beigesetzt.

– Vorabdrucke aus La Prisonnière in der Nouvelle Revue Française.

1923 La Prisonnière (Druckvermerk 14. November).

– Vorabdruck Précaution inutile im Februar aus La Prisonnière in der Reihe Les Œuvres libres.

1926 Albertine disparue (Druckvermerk 30. November 1925).

1927 Le Temps retrouvé (Druckvermerk 22. September).

1927 Chroniques. Eine Sammlung kleinerer Schriften, hrsg. von Robert Proust.

1929–36 Erste Gesamtausgabe in der Reihe »À la gerbe«, in 18 Bänden, bei Gallimard.

1952 Jean Santeuil (s. unten).

1954 Erste kommentierte Ausgabe von À la Recherche du temps perdu, hrsg. von Pierre Clarac und André Ferré, bei Gallimard (Bibliothèque de la Pléiade).

1954 Contre Sainte-Beuve (s. unten).

1971–89 Kommentierte Gesamtausgabe in sechs Bänden, hrsg. von Pierre Clarac und Yves Sandre (Jean Santeuil précédé de Les Plaisirs et les Jours sowie Contre Sainte-Beuve précédé de Pastiches et mélanges suivi de Essais et articles) bzw. von Jean-Yves Tadié (À la recherche du temps perdu, 4 Bde.), bei Gallimard (Bibliothèque de la Pléiade).

1988–2007 Erste deutsche kommentierte Gesamtausgabe, hrsg. von Luzius Keller bei Suhrkamp.

1991 Écrits de jeunesse, 1887–1895, hrsg. von Anne Borrel beim Institut Marcel Proust International (nicht in den frz. und dt. Gesamtausgaben berücksichtigt).


II FRÜHE WERKE

Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge Prousts Veröffentlichungen aus den Jahren 1892–96 sind 1896 unter dem Titel Les Plaisirs et les Jours gesammelt erschienen (s. unten) und die aus den Jahren 1900–07 in Pastiches et mélanges 1919 (s. unten). Prousts zahlreiche Literatur- und Theaterkritiken aus der Zeit 1882–1922 finden sich gesammelt im dritten Teil des Bandes Contre Sainte-Beuve, précédé de Pastiches et mélanges et suivi de Essais et articles, Gallimard (Bi­bliothèque de la Pléiade) 1971 (dt. Essays). Unveröffentlichtes oder nur in Schülerzeitschriften erschienenes Material aus Prousts Jugendtagen gab das Institut Marcel Proust International 1991 unter dem Titel Écrits de jeunesse 1887–1895 heraus.

Der Fragebogen Auch wenn es sich dabei nicht eigentlich um ein »Werk« handelt, ist der »Proust Questionnaire« doch zu bekannt und vor allem zu informativ, als dass man ihn hier übergehen könnte. Es handelt sich eigentlich um eine Salon-Spielerei, die um 1860 in England in Mode kam und dann auf den Kontinent überschwappte. Proust wurde zum ersten Mal 1886 mit einem solchen Fragenkatalog für das »Album to Record Thoughts, Feelings, &c« von Antoinette Faure konfrontiert (der Tochter des späteren Staatspräsidenten), wobei er die englischen Fragen auf Französisch beantwortete. 1891 oder 1892 wurde der Bogen Proust abermals in geringfügig veränderter Form für das Album »Les Confidences de Salon« vorgelegt, diesmal mit den Fragen auf Französisch. Hier die beiden Bögen in Zusammenfassung, wobei die Fragen von 1886 von denen von 1891/92 durch einen Schrägstrich getrennt sind, soweit sie voneinander abweichen:


FrageAntwort 1886Antwort 1891/92
Ihre bevorzugte Tugend.Alle Tugenden, die nicht für eine Sekte spezifisch sind, die universellen.
Der wesentlichste Aspekt Ihrer Persönlichkeit.–––Das Bedürfnis, geliebt zu werden; genauer gesagt, vielmehr das Bedürfnis, gestreichelt und verwöhnt zu werden, als das nach Bewunderung.
Die Qualität, die ich mir bei einem Mann wünsche.Intelligenz, ein Sinn für Moral.Männliche Tugenden, und Offenheit in der Freundschaft.
Die Qualität, die ich mir bei einer Frau wünsche.Sanftmut, Natürlichkeit, Intelligenz.Weiblicher Charme.
Was gefällt mir am besten an meinen Freunden.Wenn sie zärtlich zu mir sind, wenn ihre Persönlichkeit wundervoll genug ist, um den Wert dieser Zu­neigung hoch zu veran­schlagen.
Mein größter Fehler.Dass ich nicht weiß, was ich will; meine Willensschwäche.
Meine Lieblingsbeschäftigung.Das Lesen, Träumen, Gedichte, Geschichte, Theater.Zu lieben.
Mein Traum vom Glück.Nahe bei denen zu leben, die ich liebe, und mit dem Charme der Natur; mit einer Menge Bücher und Partituren, nicht weit von einem Theater.Ich fürchte, er ist nicht groß genug, ich wage es nicht, davon zu sprechen, ich habe Angst, ihn zu zerstören, wenn ich von ihm spreche.
Was wäre mein größtes Unglück?Von Maman getrennt zu sein.Meine Mutter oder meine Großmutter nicht gekannt zu haben.
Wer ich gern wäre.Da ich mir die Frage nicht zu stellen brauche, ziehe ich es vor, sie nicht zu beantworten. Ansonsten wäre ich gern Plinius der Jüngere gewesen.Ich selbst, wie mich die Leute, die ich bewundere, gern hätten.
Das Land, in dem ich am liebsten leben würde.In einem idealen Land, oder vielmehr, in einem Land meines Ideals.Ein Land, in dem gewisse Dinge, die mir gefielen, wahr würden wie von Zauberhand, und wo Zuneigung immer erwidert würde.
Meine Lieblingsfarbe.Ich liebe sie alle.Die Schönheit liegt nicht in den Farben, sondern in ihrer Harmonie.
Meine Lieblingsblume.Weiß nicht.Ihre/Seine [»la sienne«] – und danach alle.
Mein Lieblingsvogel.Die Schwalbe.
Meine bevorzugten Prosa-Autoren.George Sand, Auguste Thierry.Zur Zeit Anatole France und Pierre Loti.
Meine bevorzugten Poeten.Musset.Baudelaire und Alfred de Vigny.
Meine fiktiven Heroen.Die Helden poetischer Romane, solche, die eher ein Ideal als ein Modell sind.Hamlet.
Meine fiktiven Heroinen.Jene, die mehr als nur Frauen sind, ohne dabei ihr Geschlecht zu verleugnen, alles, was poetisch zart, rein, schön in allen Gattungen ist.Beatrice.
Meine Lieblings-Komponisten.Mozart, Gounod.Beethoven, Wagner, Schumann.
Meine Lieblingsmaler.Meisonnier.Leonardo da Vinci. Rembrandt.
Meine Heroen in der Wirklichkeit.Ein Mittelding aus Sokrates, Perikles, Mahomet, Musset, Plinius dem Jüngeren. Auguste Thierry.Monsieur Darlu, Monsieur Boutroux.
Meine Heroinen in der Wirklichkeit / in der Geschichte.Eine geniale Frau, die das Leben einer gewöhnlichen Frau lebt.Kleopatra.
Meine bevorzugten Namen.–––Ich habe immer nur einen auf einmal.
Was ich vor allem verabscheue.Leute, die nicht spüren, was gut ist, die von der Süße der Zuneigung nichts wissen.Was schlecht an mir ist.
Historische Gestalten, die ich am meisten verachte.–––Dafür bin ich nicht gebildet genug.
Die militärische Leistung, die ich am meisten bewundere.Mein Wehrdienst.
Das Talent, das ich am liebsten besäße.Wille, und Verführungskraft.
Wie ich sterben möchte.Gebessert – und geliebt.
Ihr gegenwärtiger seelischer Zustand?–––Überdruss daran, dauernd an mich denken zu müssen, um diese Fragen zu beantworten.
Fehler, mit denen ich die größte Nachsicht habe.Das Privatleben von Genies.Solche, die ich verstehen kann.
Mein bevorzugtes Motto.Eines, das sich nicht zusammenfassen lässt, weil sein einfachster Ausdruck das Schöne, das Gute, das Große in der Natur ist.Ich hätte zu viel Angst, dass es mir Unglück bringt.

L’Indifférent (1. März 1896 in: La Vie Contemporaine; dt. Der Gleichgültige, in: Freuden und Tage, S. 242–257) Es handelt sich hierbei um eine kleine Novelle, in Prousts Worten eine »nouvelle imbécile« (Corr. X, S. 197), die bald nach ihrem Erscheinen wieder vergessen worden war, bis Proust sich im November 1910 an sie erinnerte und Robert de Flers fragte, ob er ihren Abdruck noch habe, da er sie jetzt brauche. Es handelt sich um die Skizze einer zur Manie gewordenen Liebe, wie wir ihr dann in Eine Liebe von Swann breit ausgeführt wiederbegegnen, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: in L’Indifférent ist es eine große Dame, »Madeleine«, die sich in einen Mann verliebt, der von ihr nichts wissen will – und weil er von ihr nichts wissen will. Wie Kolb in seinem Vorwort hervorhebt, ist es eben diese von Proust beschriebene »berühmte Maxime der Koketterie« des »wenn ich dich nicht liebe, wirst du mich lieben«11, was auch die Beziehung zwischen Swann und Odette, Marcel und der Herzogin von Guermantes, Marcel und Albertine, Saint-Loup und Rachel überschattet. Daneben finden sich auch etliche Einzelheiten aus Un amour de Swann bereits in dieser Novelle, wie etwa die »catléya« oder die Fetischisierung eines Gemäldes, das in den Augen des/der Verliebten der/dem Geliebten ähnelt; auch der Namenwahl »Madeleine« dürfte das gleiche Sündenmotiv zugrunde liegen, das die »Petite Madeleine« in Combray so attraktiv macht. – Diese frühe Fingerübung in der Psychologie der Liebe geriet abermals in Vergessenheit, bis Philip Kolb sie 1978 wieder ausfindig machte und bei der Nouvelle Revue Française erneut publizierte.

 

Les Plaisirs et les Jours (1896 bei Calmann-Lévy; dt. Freuden und Tage) Eine Zusammenstellung früherer Publikationen in den Zeitschriften Le Banquet und La Revue blanche aus den Jahren 1892–96, die von Madeleine Lemaire illustriert und von Reynaldo Hahn mit vier Stücken für Klavier ausgestattet wurde; mit einem Vorwort von Anatole France. Diese in nur kleiner Auflage hergestellte Liebhaberausgabe blieb praktisch unverkauft. 1924 erschien bei Gallimard eine reine Textausgabe. Der Titel des künstlerisch aufgemachten Buches, dessen Texte eine hedonistische Gesellschaft am Ende ihrer Zeit skizzieren und in dessen geistigem Zentrum die schönen Künste stehen, lehnt sich ironisch an Hesiods griechisches Lehrgedicht Erga kai hemerai an (8./7. Jh. vor Chr.; dt. Werke und Tage; frz. Les Travaux et les jours, Übers. Leconte de Lisle), das auf der einen Seite eine Theorie der Weltzeitalter und des unaufhaltsamen Niedergangs entwickelt, jedoch auf der anderen Seite auch die tägliche Problematik der bäuerlichen Überlebenskunst diskutiert.

Jean Santeuil Während eines Urlaubs 1895 in der Bretagne nahm Proust jenen »deutschen Bildungsroman« in Angriff, den er bereits 1893 in Violante ou la mondanité (dt. Violante oder die mondäne Welt; EA in Le Banquet, Wiederaufnahme in Les Plaisirs et les Jours) angekündigt hatte. Das Manuskript wurde unter den Papieren von Prousts Nichte Adrienne gen. Suzy Mante-Proust aufgefunden und 1952 von Bernard de Fallois unter dem Titel Jean Santeuil, dem Namen der Hauptperson, bei Gallimard herausgegeben. Das Romanprojekt erzählt in der dritten Person in einer Mischung aus Autobiographie und Fiktion von der Jugend Jeans, die er in einem Zustand naturekstatischen Egozentrismus verbringt, verliert sich dann jedoch zunehmend ins Fragmentarische, als es gilt, den Protagonisten in die Welt hinauszuführen und ihn mit deren Wahrnehmung der Wirklichkeit zu konfrontieren. Während sich das Ich des im Ich befangenen jungen Jean noch von außen vom Standpunkt einer dritten Person beschreiben ließ, wird die Er-Form zunehmend problematisch, als es darum geht, das Abbild der Außenwelt in der Innenwelt des Protagonisten zu betrachten. 1899 gab Proust das Projekt auf, benutzte es jedoch als Ideenreservoir bei der Arbeit an der Suche; zahlreiche Schlüsselmotive sind aus dem Romanfragment in wenig veränderter Form übernommen, so der Gutenachtkuss, die Weißdornblüten, der Besuch in einer Garnisonsstadt, das Herzogspaar, die Dreyfusaffäre, sowie zahlreiche Skizzen zum Thema Liebe und Eifersucht. Vor allem aber zeichnet sich in Jean Santeuil bereits Prousts Unterscheidung von zwei Formen von Erinnerung ab, der willentlichen und der unwillentlichen, eine Entdeckung, der er in Contre Sainte-Beuve weiter nachgehen und die er in der Suche endgültig ausarbeiten wird.

Eine deutsche Übersetzung von Eva Rechel-Mertens erschien 1965 unter dem Titel Jean Santeuil bei Suhrkamp; eine Überarbeitung dieser Übersetzung durch Luzius Keller erschien 1992 im selben Verlag.

La Bible d’Amiens (1904, Mercure de France) Auf Ruskin ist Proust vermutlich von seinem Professor an der École libre des sciences, Paul Desjardins, aufmerksam gemacht geworden, der ab 1893 Übersetzungen von Auszügen aus Ruskins Werken publizierte. Als Proust 1899 Urlaub in Évian am Fuß der Alpen machte, überkam ihn ein so dringendes Bedürfnis, »die Berge mit den Augen dieses großen Mannes zu sehen« (Corr. II, S. 357), dass er seinen Urlaub abbrach, um sich in Paris in Robert de La Sizerannes Studie Ruskin et la religion de la beauté (1897) vertiefen zu können. Noch im selben Jahr nahm Proust dann die Übersetzung der Bible of Amiens (1884) in Angriff, die 1903 abgeschlossen wurde. Der Text wird begleitet von einem umfangreichen Vorwort Prousts, das von seiner eingehenden Auseinandersetzung mit der Architektur der Gotik zeugt, von der auch zahlreiche Partien in der Suche profitiert haben; insbesondere das Strukturkonzept, das Proust bei Jean Santeuil noch gefehlt hatte, das des Romans als Kathedrale, hat die Suche sicherlich der Auseinandersetzung mit Ruskins Werk zu verdanken. Wie sehr es Proust aber verstanden hat, bei aller Assimilation doch die Distanz zu Ruskin (und zu sich selbst) zu wahren, zeigt übrigens sein brillanter Ruskin-Pastiche »La Bénédiction du sanglier« aus dem Nachlass (vermutl. 1908; in: La Nouvelle Revue Française, 1. Okt. 1953; dt. »Die Segnung des Ebers«, in: Nachgeahmtes und Vermischtes).

Sésame et les Lys (1906, Mercure de France) Anfang 1904 begann Proust in Zusammenarbeit mit Marie Nordlinger mit der Übersetzung von Ruskins Sesame and Lilies (1865), zwei Vorträgen, deren erster, Of Kings’ Treasuries, vom richtigen Umgang mit Büchern handelt, während der zweite, Of Queens’ Gardens, die Mädchenerziehung zum Thema hat. In der Auseinandersetzung mit dem ersten Thema gab Proust der Übersetzung als Vorwort einen Essay Sur la lecture mit, den er 1905 in La Renaissance latine vorveröffentlicht hatte und 1919 mit geringen Veränderungen unter dem Titel Journées de lecture (dt. Tage des Lesens) in die Sammlung Pastiches et mélanges aufnahm. (Dieser Titel ist etwas irreführend, da Prousts Rezension von 1907 der Memoiren der Madame de Boigne den gleichen Titel trägt.) Darin finden sich bereits die Erinnerungen an Lektüreerlebnisse, die dann auch Eingang in Combray gefunden haben. Ein Faksimile der Handschrift wurde zusammen mit begleitenden Essays und einer Transkription 2004 unter dem Titel Sur la lecture – Tage des Lesens von Jürgen Ritte und Reiner Speck bei Suhrkamp herausgegeben.

Pastiches et mélanges (1919, Gallimard; dt. Nachgeahmtes und Vermischtes) Eine Sammlung von Pastiches um die Lemoine-Affäre, die 1908 und 1909 im Figaro erschienen, einem neuen Pastiche zum gleichen Thema im Stil von Saint-Simon, den Essays »Tage des Lesens« und »Sohnesgefühle eines Muttermörders« von 1905 bzw. 1907 sowie verschiedenen Artikeln zu Ruskin und zur Sakralarchitektur aus den Jahren 1900–04. Die deutsche Übersetzung wurde noch um fünf Pastiches aus dem Nachlass vermehrt. Während die Ruskin-Texte Prousts eigenständige Auseinandersetzung mit seinem Autor unter Beweis stellen, wirken die Pastiches wie Sprechübungen für die verschiedenen Stimmen, mit denen Proust in der Suche einzelne Personen ausstattet: den ›Klang‹ Sainte-Beuves etwa findet man bei Madame de Villeparisis wieder, Renans bei Legrandin, Saint-Simons bei Charlus und Ruskins bei Marcel während seines Venedig-Besuchs in der Entflohenen.

Contre Sainte-Beuve (1954, Gallimard; dt. Gegen Sainte-Beuve) 1908 begann Proust, vermutlich angeregt durch Romain Rollands Roman Jean Christophe, sich näher mit dem Dichter und vor allem Kritiker Charles-Augustin Sainte-Beuve (1804–69) auseinanderzusetzen, dessen Methode, ein Werk von der Biographie des Autors her zu beurteilen, wie Norpois es mit Bergotte in der Suche machen wird, ihm zutiefst suspekt war. Proust hält diesem Supremat des Verstandes die eigentliche Qualität der Literatur entgegen, das Gefühl direkt anzusprechen, und entwickelt in diesem Zusammenhang das Konzept einer »Erinnerung des Gefühls«, die geeignet ist, die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken, in Gegensatz zu der lediglich sezierenden »Erinnerung des Verstandes«. Zur Erläuterung dieser Unterscheidung treten hier bereits die aus der Suche vertrauten Erinnerungsauslöser auf, der Stolperstein in einem Hof, der Klang eines scheppernden Löffels, die in Tee getunkte Madeleine (hier noch »pain grillé« oder »biscotte«, die womöglich auf eine Erinnerung an Wagners Zwieback zurückgehen12). Proust bot im August 1909 dem Mercure de France eine erste Fassung an, der jedoch ablehnte. Danach scheint Proust das Interesse an dem Projekt verloren zu haben; zahlreiche Notizen und Entwürfe, die den verwendeten Namen nach zu urteilen für das Sainte-Beuve-Projekt gedacht waren, wurden nicht mehr eingearbeitet und später für die Suche verwendet, insbesondere der Abschnitt »La Race des tantes« für SG I. Aus diesen Übernahmen erklären sich auch die gelegentlich überraschenden Umbenennungen von Personen der Suche (z. B. General Beaucerfeuil als Beauserfeuil, dann als Saint-Joseph und schließlich Monserfeuil) als übersehene Korrekturen bei der Neuverwendung.

Der Text wurde, wie schon der für Jean Santeuil, in den Papieren von Suzy Mante-Proust entdeckt und 1954 bei Gallimard publiziert. Da es sich nicht eigentlich um ein Manuskript handelt, sondern um eine Sammlung von Fragmenten, erschien 1971 eine Neufassung durch Pierre Clarac und Yves Sandre, die in anderer Weise mit dem Material umgeht. Einen eigenen Weg, der die beiden französischen Ansätze zu vereinbaren sucht, geht die von M. B. Bertini und L. Keller edierte und von Helmut Scheffel übersetzte deutsche Ausgabe unter dem Titel Gegen Sainte-Beuve bei Suhrkamp 1997.