Gesprächsführung im Jobcenter: Die Kunst, wirksam zu beraten und gesund zu bleiben

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Warum Arbeitslosigkeit krank macht

Die Mehrzahl der Betroffenen leidet an den negativen psychischen Folgen von Erwerbslosigkeit (Iversen/Sabroe 1988; Pelzmann et al. 1985). Die Untersuchungen zeigen auch, dass es für diese Veränderungen keine eindeutigen geschlechtsspezifischen Ausprägungen gibt (Mohr 1997, 27). »Die Folgen von Arbeitslosigkeit werden verbunden mit Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Angststörungen, Depression, physiologischen Stressreaktionen, verringertem Gesundheits- und Vorsorgeverhalten bis hin zu erhöhter Sterblichkeit« (Fritsch 2002, 15). »Eine Verschlechterung der psychischen Verfassung wurde vor allem in Bezug auf Selbstwertgefühl, Ängstlichkeit, Depressivität und psychologische Gesundheit festgestellt, wenngleich auch widersprüchlich erscheinende Befunde vorliegen. Diese beziehen sich insbesondere auf die Veränderung des Selbstwertgefühls« (Mohr 1997, 16). Erhöhter Alkohol- und Nikotinkonsum, zu viel Schlaf und zu wenig Bewegung führen außerdem zu weiteren Folgeerkrankungen (Ackermann 1997). Im Durchschnitt ist die Inanspruchnahme medizinischer Dienste bei Arbeitslosen erhöht (ebd.), was zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem führt (Madry/Kirby 1996).

Insbesondere längere Erwerbslosigkeitszeiten führen zu gesundheitlichen Schäden (Grobe/Schwartz 2003). Dazu zählen sinkende Konzentrationsfähigkeit, Depressionen, Ängstlichkeit, Reizbarkeit und allgemeine Nervosität (Ackermann 1997; Deem 1988; Fryer 1992; Kieselbach et al. 2000; Spieß 2005). Die so erkrankten Arbeitslosen haben dann geringere Chancen auf eine Wiedereinstellung (Grobe /Schwartz 2003). Negative Folgen für die Psyche treten vor allem bei Personen auf, die über ein Jahr arbeitslos sind und damit als langzeitarbeitslos gelten. Andauernde Misserfolge bei der Stellensuche schwächen die Kontrollüberzeugung (das Gefühl, das eigene Leben selbst zu bestimmen) und lassen Selbstzweifel aufkommen (Ackermann 1997). Zudem verursacht Langzeitarbeitslosigkeit Gefühle der Abhängigkeit, Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Wertlosigkeit, verringert das Selbstbewusstsein und führt sowohl zu Pessimismus als auch zum Verlust einer Karriereperspektive durch die Verbitterung über die erfolglose Arbeitsuche (Spieß 2005; Kieselbach et al. 2000). Hält dieser Zustand länger an, ist von einem Zusammenhang zwischen der Dauer der Arbeitslosigkeit und einem Anstieg des Mortalitätsrisikos auszugehen (Gmünder Ersatzkasse Deutschland 2001; Grobe/Schwartz 2003; Grobe et al. 1999; Hollederer 2002).

Zum einen können die mit Langzeitarbeitslosigkeit verbundenen psychischen Belastungen (Ängste und Stress) physische Beschwerden hervorrufen; zum anderen geht Arbeitslosigkeit häufig mit gesundheitsriskantem Verhalten einher (Kieselbach 1991). Demnach mangelt es oft an sportlicher Betätigung und gesunder Ernährung. Dafür wird gehäuft Alkohol und Nikotin konsumiert. Durch den Verlust der Zeitstruktur im Alltag entstehen suboptimale Schlafgewohnheiten. Das Zusammenspiel zwischen ungesunder Ernährung, ungünstigem Schlafrhythmus, mangelnder Bewegung und schädlichem Substanzkonsum führt häufiger zu Übergewicht und zu einer allgemein schlechteren physischen Konstitution (Robert-Koch-Institut 2006). Arbeitslosigkeit muss keinesfalls nur die Ursache von schlechterer Gesundheit sein, sondern kann auch als deren Folge betrachtet werden. Gesundheit ist also ein Moderator für die Einstiegschancen in den Arbeitsmarkt. Dies bestätigt sich auch im Rahmen des Modells der Beschäftigungsfähigkeit (Employability) von Ilmarinen/Tempel (2002). Dieses Modell umfasst neben der Gesundheit (1) drei weitere Säulen der Beschäftigungsfähigkeit: Ausbildung und Kompetenz (2); Motivation, Einstellungen und Werte (3) sowie Arbeitsbedingungen (4). Mithilfe des Employability-Modells lassen sich Ansatzpunkte finden, um durch Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit zu schaffen.

Dass Arbeitslosigkeit krank macht, wurde nun ausführlich dargestellt. Doch welche konkreten Einflussfaktoren wirken innerhalb der Erwerbslosigkeit auf die Gesundheit? Arbeitslose scheinen ihre Situation als »berufliche Gratifikationskrise« wahrzunehmen. Nach Siegrist (1996) liegt eine Gratifikationskrise dann vor, wenn den von außen oder durch eine handelnde Person selbst gesetzten Anforderungen kein positiv erlebter Gegenwert gegenübersteht. Als positive Gegenwerte bzw. Gratifikationen gelten Aspekte der »Statuskontrolle« wie beispielsweise Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit oder eine qualifikationsgemäße Beschäftigung. In verschiedenen Studien konnte Siegrist (1996) zeigen, dass Gratifikationskrisen Prädiktoren für kardiovaskuläre Krankheiten sind. Weitere Einflussfaktoren auf die Gesundheit innerhalb der Erwerbslosigkeit beschreibt das »Vitamin-Modell« von Warr (1987). Mit diesem Modell postuliert Warr die Theorie, dass der Mensch zum Erhalt seiner psychischen Gesundheit neun »Vitamine« brauche: Entscheidungsspielräume, Möglichkeiten zur Anwendung von Fähigkeiten, Ziele, Vielfalt, Durchschaubarkeit, finanzielle Ressourcen, physische Sicherheit, soziale Beziehungen und eine wertgeschätzte soziale Position. Dabei ist egal, woher diese »Vitamine« kommen. In diesem Sinne können andere Formen von Arbeit als Ersatz für die Funktionen der Erwerbsarbeit dienen.

Der Verlauf von Arbeitslosigkeit – was Berater im längeren Kontakt beachten müssen

Bei der Beratung im Jobcenter kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit der Kontakt mit einem Kunden beginnt. Die Entwicklung unseres Wissens zum Verlauf von Arbeitslosigkeit hat in den letzten Jahrzehnten verschiedene Phasen durchlaufen. Noch in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde Erwerbslosigkeit vor allem als Verlust (der Funktionen von Erwerbsarbeit) betrachtet, auf den eine Bewältigungsreaktion in verschiedenen Phasen erfolgt (Eisenberg/Lazarsfeld 1938). Ein Ergebnis war die Beschreibung von »Haltungstypen« (Jahoda et al. 1933, 1975). Später wurde angenommen, dass Arbeitslosigkeit als eine Kombination von Massen- und Dauererwerbslosigkeit ein konjunkturelles Problem sei. Dass dem nicht so ist, zeigen die Daten der letzten Jahrzehnte. Eine frühe, jedoch bis in die heutige Zeit aufschlussreiche Studie über Folgen der Arbeitslosigkeit mit dem Titel »Die Arbeitslosen von Marienthal« wurde in den 30er-Jahren in einem österreichischen Dorf, welches sehr stark von Arbeitslosigkeit betroffen war, durchgeführt (Jahoda et al. 1975). Die Forschergruppe um Marie Jahoda und Peter F. Lazarsfeld stellten unter den Arbeitslosen sinkende Aktivitätslevel und den Verlust des Gefühls für Zeit fest sowie familiäre Disharmonie, Entmutigung, Verzweiflung, Depression und Apathie bis hin zur vollständigen Passivität. Illustrierende Zitate von Marienthalern sind: »Ich hab früher weniger Zeit für mich gehabt, aber mehr für mich getan« (ebd., 86) oder »Das Nichtstun beherrscht den Tag« (ebd., 88). In dieser Zeit entstand auch die Annahme, dass der Umgang mit Arbeitslosigkeit in verschiedene Phasen eingeteilt werden kann. Bereits 1938 wurde aus verschiedenen Studien eine solche Verlaufsform ermittelt. Eisenberg/ Lazarsfeld (1938) beschrieben die folgenden vier Phasen:

1. Phase: Schock über den Verlust des Arbeitsplatzes

2. Phase: Optimismus

3. Phase: Pessimismus

4. Phase: Fatalismus

In Abb. 1 wird dargestellt, dass die Bewertung der Situation von einer zunächst negativen (Schock) über eine positive Einschätzung (Optimismus) in eine dauerhaft negative Situationseinschätzung mündet. Veränderte Lebensbedingungen begünstigen den negativen Verlauf innerhalb der genannten Phasen.


ABB. 1: DARSTELLUNG DER VIER PHASEN (JAHODA ET AL. 1975): VERÄNDERTE LEBENSUMSTÄNDE UND DIE EINSCHÄTZUNG DER PERSÖNLICHEN LEBENSSITUATION ARBEITSLOSER IM PHASENVERLAUF (SCHMIDT 2008A)

Kieselbach/Schindler (1984) haben die genannten vier Phasen um zwei weitere ergänzt:

1. eine Antizipationsphase bei Bekanntwerden der Arbeitslosigkeit, während der Betroffene noch einen Arbeitsplatz hat,

2. der Schock beim unmittelbaren Eintritt in die Arbeitslosigkeit,

3. die Phase der Erholung während der ersten ein bis zwei Monate,

4. der Übergang in die Latenzphase im dritten bis sechsten Monat, in der die mit Arbeit verbundenen Einflüsse wie ökonomische Sicherheit oder soziale Einbindung zurückgehen,

5. die Phase der pessimistischen Reaktion nach sechs bis zwölf Monaten, in der es zur Verstärkung der bereits bestehenden Belastungen (finanzielle Unsicherheit etc.) kommt,

6. die Phase der fatalistischen Anpassung nach einem Jahr Arbeitslosigkeit, in der es zur Resignation, zum Abfinden mit der derzeitigen Situation und zu einer deutlichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation kommt.

Mit dem Phasenmodell wurde ein Ansatz geliefert, der besonders den Unterschied zwischen Kurz- und Langzeitarbeitslosen verständlich macht und die empirisch belegte negative Wirkung anhaltender Arbeitslosigkeit verdeutlicht (ebd.).

Ein weiterer Ansatz für die Beschreibung des Verlaufs von Arbeitslosigkeit in Phasen ist die Stufentheorie von Kirchler/Kirchler (1993), nach der die psychischen Reaktionen auf Arbeitslosigkeit in den folgenden sechs Stufen verlaufen:

1. heftige affektive Erregungszustände und Gemütsschwankungen,

2. Gefühl der Lähmung,

3. Phase der relativen Beruhigung, erneute Hoffnung; wird die Hoffnung enttäuscht, folgt

4. Zustand der Hoffnungs- und Ausweglosigkeit,

5. erneute Phase affektiver Erregung, Selbstmordgedanken,

 

6. tiefe Apathie.

Empirische Hinweise für die Stufentheorie finden sich unter anderem in Längsschnittstudien, in denen eine kurvenlineare Beziehung zwischen der Dauer der Arbeitslosigkeit und dem damit verbundenen psychischen Stress gezeigt werden konnte (Warr/Jackson 1987). In Studien zu Burnout in der Arbeitslosigkeit wurde der Phasenverlauf ebenfalls als sinnvoller Beschreibungsansatz genannt (Freudenberger/North 1992; Pines 1996).

»Ein Ausbrenner ist ein Mensch im Zustand der Ermüdung, der Frustration. Sie wird hervorgerufen, wenn sich der Betroffene auf einen Fall, eine Lebensweise oder eine Beziehung einlässt, die den erwarteten Lohn nicht bringt […].« (Freudenberger/ Richelson 1983, S. 34, zitiert nach Wüstner 2005, 134)

Pines et al. (1993) definieren Burnout unter anderem als ein Spektrum des negativen Erlebens von nicht erfüllten und oft unrealistischen Erwartungen und als einen Prozess, in dem sich körperliche, geistige und emotionale Erschöpfung entwickelt.

»Es ist zwar kaum zu erwarten, dass der Beginn der Arbeitslosigkeit durch großen Enthusiasmus gekennzeichnet ist, doch wäre es denkbar, dass am Anfang zumindest Hoffnung und Idealismus, bald wieder eine Arbeit zu haben, stehen, die mit der Bereitschaft verbunden sind, sehr viel Energie in die Stellensuche zu investieren. Es kann zu einer Abnahme von Energie und dem nachlassenden Glauben kommen, wieder Teil der Arbeitsgesellschaft werden zu können.« (Wüstner a. a. O.)

Die von Kirchler/Kirchler (1993) genannte sechste Phase der tiefen Apathie stellt in Kombination mit einem möglichen tiefen Erschöpfungszustand eine ungünstige Voraussetzung für eine Wiederintegration in den Arbeitsmarkt dar.

»Maslach (1982) ist in ihren langjährigen Forschungsarbeiten zu dem Schluss gelangt, dass sich Burnout durch drei zentrale Merkmale auszeichnet: emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit. Auch diese Merkmale sind auf die Nicht-Arbeit anwendbar. Es würde u. a. bedeuten, dass Gefühle eines ausbrennenden Arbeitslosen abstumpfen, er auf die Menschen seiner sozialen Umwelt nur noch distanziert und mit steigender Gleichgültigkeit eingeht, und seine Leistungsfähigkeit schwindet. Weiterhin wäre der Prozesscharakter von Burnout hervorzuheben. Burnout ist anders als Stress kein punktuell auftretendes Phänomen, das so schnell wie es gekommen ist, auch wieder verschwindet, sondern es hat eine Entwicklungsgeschichte.« (Wüstner a. a. O.)

Weitere Theorien zum Verlauf von Arbeitslosigkeit beschäftigen sich nicht nur mit der schrittweisen Entwicklung, sondern auch mit dem Vorenthalten von latenten Funktionen der Arbeit.

Deprivationstheorie

Jahoda et al. (1935, 1975) beschreiben bereits in ihrer Deprivationstheorie den Wegfall von wichtigen manifesten und latenten Funktionen der Erwerbsarbeit. Darunter fällt das fehlende Einkommen (manifest) und die fehlende Chance, Berufserfahrung und Qualifikation zu erhalten, um sich diese Faktoren wiederum vom Arbeitgeber entlohnen zu lassen. Gestützt auf die Untersuchungen von Jahoda et al. (1975) sieht Fryer (1992) die Ursache der weitreichenden negativen psychosozialen und gesundheitlichen Folgen der Arbeitslosigkeit in der materiellen und sozialen Deprivation (Deprivation = Entzug oder Vorenthaltung bedürfnisbefriedigender Objekte, im sozialen Sinne beispielsweise Ausgrenzung oder Isolation), denen Arbeitslose ausgesetzt sind. Kritisch anzumerken ist, dass sich Fryers Erklärung für die negativen Folgen von Arbeitslosigkeit durch Deprivation auf die Gesellschaft der 1930er-Jahre bezog, weshalb eine unreflektierte Generalisierung auf unsere heutige Gesellschaft unzulässig ist, da sich die Lebensumstände Arbeitsloser und die staatlich vorgegebenen Rahmenbedingungen zu ihrer Unterstützung erheblich verbessert haben.

Adaptionsmodell

De Witte (1993) hat Arbeitslosigkeit ebenfalls als Prozess beschrieben. Sein Adaptionsmodell beinhaltet einerseits gesundheitsstabilisierende Effekte, andererseitsjedoch abnehmende Wiedereinstiegschancen. Demnach passt sich eine von Arbeitslosigkeit betroffene Person durch Rückzug vom Arbeitsmarkt an die Umstände an, und zwar indem sie sich im Laufe der Zeit immer weniger in Richtung Erwerbsarbeit orientiert und ein dementsprechend reduziertes Arbeitsuchverhalten zeigt. Pernice (1996) zeigte in seiner Studie eine Abnahme der Arbeitsorientierung, die sich darin äußerte, dass sich im Zeitraum eines Jahres der Anteil derjenigen Teilnehmer, die weiterhin eine Erwerbsarbeit anstrebten, von 87 Prozent auf 67 Prozent reduzierte (siehe auch Kinicki et al. 2000). Eine weitere Perspektive zur subjektiven Wahrnehmung von Arbeitslosigkeit liefert Moser (2004), indem er in der persönlichen Wertorientierung in Bezug auf Arbeit einen wesentlichen Einflussfaktor für das persönliche Wohlbefinden sieht. Für ihn bewirkt Arbeitslosigkeit eine Inkongruenz (etwa: Unstimmigkeit, Nichtübereinstimmung) zwischen den arbeitsbezogenen Werten einer Person und ihrem Beschäftigungsstatus. Mit der sogenannten »Inkongruenz-Hypothese« beschreiben Paul und Moser die Verbindung zwischen arbeitsbezogenen Werten und schlechtem seelischen Befinden:

»Die Inkongruenz-Hypothese erklärt die negativen psychischen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit durch die mangelnde Übereinstimmung von arbeitsbezogenen Werten und der realen Erwerbssituation. Typischerweise berichten Arbeitslose eine starke innere Bindung an die Erwerbsarbeit, die aber im Gegensatz zu ihrer realen Lebenssituation steht, was gemäß dieser Hypothese das psychische Befinden beeinträchtigen kann.« (Paul/Moser 2009, 195)

Eine Verringerung der Bedeutung arbeitsbezogener Werte sorgt demnach für ein geringeres Belastungserleben, indem die inneren Unstimmigkeiten reduziert werden. Das heißt, eine Person empfindet weniger innere Spannungen und Unstimmigkeiten (Inkongruenzen), wenn sie ihre Werte an die gegebene Situation anpasst. Arbeit ist in unserer gegenwärtigen Gesellschaft ein hoher Wert, wer aber längere Zeit keine Arbeit hat, kommt mit sich besser klar, wenn er seinen arbeitsbezogenen Werten weniger Priorität einräumt.

Erlernte Hilflosigkeit

»Die Theorie der gelernten Hilflosigkeit von Seligman (1975) wird oft genutzt für die Erklärung der psychischen Auswirkungen, vor allem der Depressionen bei Langzeitarbeitslosigkeit.« (Bergmann 1994a, 215)

Für Seligman ist »Hilflosigkeit […] der psychologische Zustand, der häufig hervorgerufen wird, wenn Ereignisse unkontrollierbar sind«. Situationen sind dann unkontrollierbar, »wenn wir nichts daran ändern können, wenn nichts von dem, was wir tun, etwas bewirkt« (Seligman 1999, 8). In Bezug auf Arbeitslosigkeit ist die Erkenntnis, dass man Hilflosigkeit regelrecht erlernen kann, von zentraler Bedeutung. Erlernte Hilflosigkeit wird nach Seligman definiert als die »Erwartung … Ereignisse nicht kontrollieren zu können« (1975, zitiert nach Meyer 2000, 30). Zu Beginn der Arbeitslosigkeit versuchen Betroffene, durch Bewerbungen und andere Bemühungen eine Arbeit zu finden. Je länger die Arbeitslosigkeit jedoch anhält, desto häufiger wird man durch Absagen enttäuscht. So werden aus zunächst einigen Misserfolgen sich immer wiederholende negative Reize, wie sie sowohl von Seligman (1999) als auch von Hiroto (1980) in ihren Experimenten zur Erforschung der erlernten Hilflosigkeit benutzt wurden. Aus solchen, sich immer wiederholenden negativen Einflüssen entwickelt sich das Gefühl, dass man trotz aller Bemühungen die betreffende Situation nicht beeinflussen kann, wie auch immer man selbst handelt. Die so »erlernte Hilflosigkeit« führt wiederum zu Passivität (Seligman 1999) oder zum »Über-sich-ergehen-Lassen« (Hiroto 1980).

Jedoch gibt es im Hinblick auf erlernte Hilflosigkeit im Arbeitskontext unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale, die einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Enttäuschungen und die Zuschreibung von Ursachen für diese Enttäuschungen haben (ebd.). So übt beispielsweise das Ausmaß an Kontrollüberzeugung (= Gefühl, das eigene Leben im Griff zu haben beziehungsweise kontrollieren zu können) einen starken Einfluss auf die erlernte Hilflosigkeit aus. Wir können davon ausgehen, dass die Strategien, die ein Arbeitsloser bei der Arbeit- oder Ausbildungsplatzsuche anwendet, stark von dem Gefühl der Hilflosigkeit beeinflusst werden. In der Theorie der erlernten Hilflosigkeit sind es nicht die aversiven Ereignisse selbst, die gravierende Mängel im Motivations-, Lern- und Handlungsbereich sowie emotionale Störungen auslösen, sondern die Ursache liegt vielmehr in der Erfahrung, nichts dagegen tun zu können. Die fortwährende Erfahrung der Nicht-Kontrollierbarkeit (Kontrollverlust) führt zur Einübung einer Haltung der Hilflosigkeit, wenn sich ein Mensch die Verantwortung für die Nicht-Kontrollierbarkeit selbst zuschreibt. Wenn er diese Eigenschaft zusätzlich für stabil hält, führt Nicht-Kontrollierbarkeit langfristig zum Entstehen einer depressiven Symptomatik (Seligman 1995). Frese und Mohr (1978, 1987) konnten an Arbeitern, die älter als 45 Jahre waren, zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Depressivität vor allem durch eine solche Art des generalisierten Kontrollverlustes moderiert wird.

Motivation

Viele Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Abnahme der Motivation. Lawlis (1971) konnte einen generellen Rückgang der Motivation mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit feststellen. Hier sei erwähnt, dass es persönlichkeitspsychologische Unterschiede in Bezug auf die allgemeine Motivation gibt. Erste konkrete Erklärungsansätze zur Motivation gab es bereits bei Atkinson (1964). Er ging davon aus, dass die resultierende Motivation davon abhängt, wie hoch der Erfolgsanreiz sowie die Erfolgswahrscheinlichkeit (Erwartungs-mal-Wert-Modell) sind. Nach diesem Motivationskonzept erfolgt zunächst die subjektive Einschätzung der Wichtigkeit eines gesetzten Ziels (zum Beispiel Arbeit zu finden). Als dann spielen die subjektiven Erwartungen eine Rolle, ob und inwiefern die zur Zielerreichung erforderlichen Handlungen realisiert werden können. Aus diesen Abwägungen resultiert eine Handlungstendenz, welche die Leistungsmotivation charakterisiert. Also fließt bereits das Abwägen von Handlungsfolgen in die Entscheidung darüber ein, ob man überhaupt handeln sollte oder nicht.

Den sogenannten Erwartungs-mal-Wert-Ansätzen liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen vor allem solche Entscheidungen fällen, von denen sie sich einen persönlichen Nutzen erwarten. Kurz gesagt: Menschen tendieren dazu, Handlungsziele dahingehend zu bewerten, ob und wie sie diese Ziele erreichen können. Die wesentliche Aussage der Erwartungs-mal-Wert-Theorie ist, dass Motivation weder nur in Abhängigkeit von der Attraktivität eines Zieles noch nur nach dessen erwarteter Realisierbarkeit entsteht, sondern in der multiplikativen Verrechnung beider Faktoren, wodurch der subjektiv erwartete Nutzen maximiert werden kann (Schneider/ Schmalt 2000, 25; Vroom 1964). So setzen sich Menschen auch Ziele, bei denen der Anreiz einer Zielerreichung allein in dem Stolz liegen kann, etwas persönlich Anspruchsvolles geschafft zu haben. Die entstandene Zufriedenheit darüber wird als »gutes Gefühl« in Bezug auf die eigene Tüchtigkeit erlebt. Ein solches »Erfolgserlebnis« stellt sich aber nur dann ein, wenn wir das Ergebnis auch uns selbst, also den eigenen Fähigkeiten bzw. dem eigenen Bemühen zuschreiben können (Rheinberg 1997, 58).

Die Dauer der Arbeitslosigkeit wirkt sich auf die Ziele der Betroffenen negativ aus. Eine Studie von Crane et al. (1997) ergab, dass Langzeitarbeitslose nicht über klare Ziele verfügen. Es wurde auch gezeigt, dass das Vorhandensein beruflicher Ziele den Berufseinstieg vorhersagen kann. Bei Arbeitslosen vermindert die Unklarheit der Ziele die Chancen auf einen beruflichen Wiedereinstieg. Mit zunehmender Dauer der Erwerbslosigkeit und entsprechend wachsenden Belastungen sinkt zudem das Anspruchsniveau der Ziele (zum Beispiel der Anspruch an eine gewünschte Erwerbstätigkeit) (Ulich et al. 1985; Pietrzyk 2002): »Je höher die Belastung, desto eher wünschen die Arbeitslosen einfach überhaupt nur irgendeine Berufstätigkeit« (Ulich et al. 1985, 251 f.). Es wird deutlich, dass bei anhaltender Erwerbslosigkeit negative Konsequenzen in Bezug auf Ziele zu erwarten sind. Der Anspruchsgehalt und die Konkretheit der Ziele nehmen während der Arbeitslosigkeit ab. Diese beiden Merkmale sind aber eine wichtige Voraussetzung zur Verwirklichung der Ziele überhaupt.

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