Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 3

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Arbeitsprinzipien im KoKoDe-Ansatz

Diese Arbeitsweise ist nur sinnvoll, wenn die Einrichtungen und Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe sich – etwa mithilfe der GEBe-Methode – auf die lebensweltlichen Themen, Interessen und Konflikte der Kinder und Jugendlichen einlassen. Die einzelnen Einrichtungen müssen insofern eine demokratische Partizipationsorientierung haben. Dabei geht es darum, die Betroffenheit der Kinder und Jugendlichen zum Thema einer gemeinsamen demokratischen Aushandlung zu machen, Rechte und Verfahren der Mitentscheidung und des Mithandelns zu klären und den Kids – zumindest in Projekten – die Möglichkeit einzuräumen, sich als Mitbestimmende der kleinen Gesellschaft in der Einrichtung zu erfahren.

Ist das der Fall, werden die Fachkräfte entdecken, dass viele Themen und Interessen der jungen Menschen nicht auf die Einrichtung beschränkt sind, sondern sich auch auf andere Handlungsfelder beziehen: auf Familie, die Schule, den öffentlichen Raum, den kommerziellen Raum, den virtuellen Raum und so weiter. Die Beschränkung liegt oft eher aufseiten der Fachkräfte, die nur auf ihre Pädagogik in ihrer Einrichtung fixiert sind und die Vernetzung und Verhaftung ihrer Teilnehmenden mit dem umgebenden sozialen und politischen Raum kaum wahrnehmen, geschweige denn aufnehmen. Bei der KoKoDe-Methode geht es also darum zu differenzieren, welche lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen für diese auch eine wichtige Bedeutung außerhalb der Einrichtung haben und sich damit auf soziale und politische Räume und Verhältnisse im Stadtteil, im Dorf und der politischen Kommune beziehen.

Ein Beispiel: In einer Jugendeinrichtung beobachteten die Fachkräfte, dass die Jugendlichen – meist minderjährige Jungen arabischer oder türkischer Herkunft – auf der Straße vor dem Jugendhaus Shisha rauchten, damit in der Öffentlichkeit auffielen und vom Ordnungsamt des Platzes verwiesen wurden. Die Fachkräfte versuchten, mit den Jungen in ein Gespräch zu kommen, und erfuhren, dass die Beteiligten das Shisha-Rauchen als zentrales Symbol eines persönlichen und teilkulturellen Selbstentwurfs betrachteten. Das Verbot, in der Einrichtung zu rauchen, wurde allerdings von den Fachkräften durchgezogen und es entstanden damit mehr Konflikte als vorher, die letztlich zur Ausgrenzung des Themas führten.

Das Thema „Shisha-Rauchen“ beinhaltet also ein großes Spektrum offenliegender, aber auch unterschwelliger Bedeutungen. Schon in seiner Entstehungsgeschichte zeigt es einen erkennbaren politischen Bezug zur Öffentlichkeit: Die Jungen haben sich mit dem sie präsentierenden und repräsentierenden kulturellen Symbol öffentlich gezeigt, sind damit aber nicht anerkannt, sondern verbannt worden. Ihre ohnehin bestehenden Erfahrungen gesellschaftlicher Marginalisierung oder gar Exklusion wiederholten sich. Das setzte sich auch im Jugendhaus fort, weil ihre Interessen dort zwar zunächst dialogisch entfaltet, dann aber auf die Frage von Regelbruch und Regeleinhaltung reduziert wurden. Letztlich lautete die Botschaft, die Jungen sollten sich anpassen; in der Öffentlichkeit der Kommune und in der Binnenöffentlichkeit des Jugendhauses. Die Chance, sich über das Thema als anerkanntes und berechtigtes Mitglied der sozialen und politischen Kommune vor Ort zu erkennen, wurde verpasst. Das Ziel von KoKoDe, sich in die öffentliche Aushandlung von Interessen und Regeln einzubringen, konnte nicht realisiert werden. Ebenso wie der Versuch misslang, mindestens in der kleinen Gesellschaft Jugendhaus die eigenen Lebensverhältnisse zu gestalten und nicht Objekt von Regeln – und regelnden Interventionen der Fachkräfte – zu sein, sondern Subjekt der gemeinsamen Gestaltung von Regeln.

Dabei wäre selbstverständlich die Debatte über öffentliches Rauchen von Minderjährigen zu führen gewesen – aber eben mit einer Thematisierung der Jugendlichen als artikulationsfähige und vernünftige Mitbürger*innen, die versuchen, ein Problem des Gemeinwesens zu lösen. Zudem wurden auch die anderen lokal am „Shisha-Problem“ beteiligten Personen und Gruppierungen nicht einbezogen; weder das Ordnungsamt noch Anwohner*innen, die sich beschwert hatten. Die Fachkräfte des Jugendhauses zogen das Projekt aus der Öffentlichkeit heraus, quasi hinter die Mauern der eigenen Einrichtung. Kommunikation und Kooperation mit anderen in der Kommunalöffentlichkeit fanden nicht mehr statt. Damit ging es nicht mehr um Interessen von jungen Mitbürger*innen, sondern um ein pädagogisches Problem mit jugendlichen Klient*innen innerhalb der Einrichtung.

In einem nächsten Schritt von KoKoDe gilt es, die Grenzen der eigenen Einrichtung zu überschreiten und zunächst auf Ebene der Fachkräfte eine Vernetzung mit anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe herzustellen. Vernetzung bedeutet, dass man sich kennt, sich kontaktieren kann und sich auch – zumindest gelegentlich – trifft und austauscht. Die einzelnen Einrichtungen müssen also zunächst feststellen, welche anderen entsprechenden Institutionen lokal nahebei tätig sind, um mit ihnen Kontakt aufnehmen zu können.

Der KoKoDe-Ansatz sieht vor, zunächst hauptsächlich andere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ins Zentrum von Vernetzung und gemeinsamer Demokratiebildung zu stellen. Das hat folgende Gründe:

Es geht zunächst um die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, für die insgesamt die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zuständig sind. Ohnehin verlangt das SGB VIII, dass sich die Kinder- und Jugendhilfe in die Gestaltung der Lebensverhältnisse der Kinder und Jugendlichen einbringt und dabei auch kooperieren soll. Die lokale Zuständigkeit verdichtet sich im örtlichen Jugendamt, das als Verwaltung und Jugendhilfeausschuss nicht nur den Übergang in die Kommunalpolitik bietet, sondern auch die Kinder- und Jugendpolitik kommunal betreiben muss. Mithilfe der Jugendhilfeplanung sollen Bedarfe erhoben und angemessene Einrichtungen und Dienste geplant und realisiert werden. Es gibt also immer schon eine eigene Schnittstelle der Kinder- und Jugendhilfe zwischen den sozialpädagogischen Einrichtungen (auch Trägern) und kommunaler (Jugendhilfe-)Politik. Die einzelne sozialpädagogische Einrichtung ist damit ohnehin Element einer kommunalpolitischen Struktur, die sie mit den anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe teilt.

Neben der formalen Zuständigkeit ist zudem zu erwarten, dass es viele konzeptionelle Gemeinsamkeiten zwischen den sozialpädagogischen Handlungsfeldern gibt. Obwohl sich Felder der Frühpädagogik, der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Hilfen zur Erziehung als getrennt voneinander erleben und dies auch in eigenen Theorie- und Konzeptentwicklungen gespiegelt sehen, gibt es doch einen großen geteilten Bestand fachlicher Grundannahmen und Arbeitsprinzipien: zum Beispiel die Bildungsorientierung, die Subjektorientierung und die Lebensweltorientierung, in denen große Schnittmengen der professionellen Wissensbestände und Deutungsmuster der Fachkräfte bestehen. Es ist also anzunehmen, dass eine sozialpädagogische Verständigung eine gewisse gemeinsame fachliche Basis hat, die sich auch eignet, gemeinsam Perspektiven der Demokratiebildung in und zwischen den Einrichtungen und in der Kommune zu entwickeln.

Hinzu kommt, dass ein – wie auch immer konzeptionell konkret verstandener – Sozialraumansatz in vielen Kommunen und Jugendämtern verbreitet ist, der sich mindestens in gemeinsamen Sozialraumkonferenzen oder Ähnlichem niederschlägt. Es gibt also schon Vernetzungssettings, in denen man sich trifft und kennenlernen kann. Häufig betreiben solche Konferenzen eher Steuerungspolitik von oben. Sie arbeiten daran, Defizite bei Kindern und Jugendlichen abzubauen, deren soziale und gesellschaftliche Lebenslage zu verbessern, Konflikte zu bewältigen und Benachteiligungen auszugleichen. Obwohl solche Arbeitsweisen unverzichtbar sind, beinhalten sie doch das Risiko, dass Kinder und Jugendliche zu Objekten wohlmeinender sozialpädagogischer Strukturen und Zugriffe werden. Um nicht bei einer solchen Verkürzung sozialpädagogischer Sozialraumarbeit stehen zu bleiben, schlägt der KoKoDe-Ansatz vor, dass sich die lokalen Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe und ihre Fachkräfteteams Arbeitsweisen aneignen, in denen die Orientierung an den lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen im Zentrum der Kooperation steht. Damit startend, kann eine demokratiebildende kommunale Sozialpädagogik entwickelt werden, in denen die jungen Menschen als Subjekte und als Bürger*innen der Einrichtungen und des Gemeinwesens unterstützt werden, sich selbst für ihre Anliegen einzusetzen und demokratische (Jugend-) Politik mitzugestalten.

Selbstverständlich kann eine sozialpädagogisch kommunale Orientierung die anderen Akteure vor Ort nicht ignorieren. Sie muss auch weitere pädagogische Organisationen, besonders die Schule, und sicher auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie Vereine und Initiativen einbeziehen, ebenso wie die lokale Kommunalpolitik. Hinzu kommen religiöse Organisationen und Einrichtungen, die unter Umständen für die Zielgruppen wichtig sind. Immer wieder haben Kinder und Jugendliche auch mit Polizei und Ordnungsamt zu tun, die dann ebenfalls einzubeziehen wären. Da für Kids auch die kommerziellen Welten große Bedeutung haben, wird man auch diese nicht grundsätzlich ignorieren oder vermeiden können. Aber auch ganz normale Mitbürger*innen vor Ort, die nicht in irgendeiner Weise organisiert sind, können zu Partner*innen von Kooperation und Demokratiebildung werden.

Dennoch wird hier vorgeschlagen, zunächst mit Vernetzungen in der Kinder- und Jugendhilfe zu beginnen und auf der Basis einer gemeinsamen sozialpädagogischen Fachlichkeit demokratiebildende Kooperationen zu entwickeln. Weil eine solche Arbeitsweise die lebensweltlichen Themen und Handlungsweisen der Kinder und Jugendlichen in der Kommune ins Zentrum stellt, werden sich von dort immer Bezüge zu anderen Akteur*innen ergeben. Die Vernetzung sollte in zwei Schritten vorgenommen werden:

 

Man beginnt mit den räumlich und inhaltlich nah beieinander liegenden Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Einzugsgebiet. Für sie richtet man ein regelmäßiges Vernetzungstreffen ein, bei dem es ausschließlich darum geht, sich über die aktuellen beobachteten Themen der Kinder und Jugendlichen auszutauschen und Ansatzpunkte für Kooperationen und Projekte zu finden.

Hat man einen solchen Inhalt benannt, ergeben sich daraus oft Bezüge zu thematisch bedeutsamen anderen Partnern aus den lokalen Strukturen. Wer diese inhaltlich relevanten Player jeweils sind oder sein können, kann mit einer thematischen Netzwerkkarte der Kinder und Jugendlichen herausgefunden werden (siehe dazu den methodischen Vorschlag unten). Man schafft dann für das jeweilige Projekt notwendige und geeignete Kooperationsgremien. Doch Vorsicht: Es geht darum, dass die jungen Menschen sich selbst als Akteur*innen in ihrer Kommune erfahren. Die Fachkräfte und ihre Gremien müssen also immer aufpassen, dass sie den Kids solche Handlungsspielräume eröffnen – statt sie ihnen durch eigene Intervention zu nehmen.

Voraussetzungen für die Einführung von KoKoDe

Welche Voraussetzungen sind notwendig, um Kooperationsgremien zur Demokratiebildung im kommunalen Sozialraum einzurichten und zu vernetzen? Zunächst einmal muss es eine aktive Kerngruppe von mindestens zwei Fachkräften einer Einrichtung oder eines Trägers geben, die KoKoDe betreiben wollen, die für den Arbeitsansatz brennen, also hoch motiviert sind, ihn zu realisieren. Diese Mitarbeiter*innen im Kern des Projekts müssen verstanden und erprobt haben, worum es bei GEBe geht; das heißt, sie müssen in der Lage sein, in ihrer eigenen Einrichtung bei den lebensweltlichen Themen der Kids anzusetzen und deren demokratische Mitgestaltung des Lebens und Arbeitens in der Einrichtung zu ermöglichen. Es müssen also gewisse Vorerfahrungen mit GEBe oder mit der Umsetzung einer Subjekt- und Partizipationsorientierung vorhanden sein.

Ein solches Kernteam muss dann planen und entscheiden, wie es welche anderen Organisationen und Fachkräfte vor Ort in KoKoDe einbeziehen will. Dazu braucht man zunächst einen Überblick über die grundsätzlich vorhandenen anderen Einrichtungen im Einzugsgebiet und eine Bewertung der bisher bestehenden Beziehungen, Vernetzungen und Kooperationen. Auch dazu erstellt man eine Netzwerkkarten-Grafik. Anhand eines solchen bewertenden Überblicks über die Netzwerke der Jugendhilfeorganisationen kann man entscheiden, wen man auf welche Weise einbeziehen möchte. Dabei ist empfehlenswert, eher klein und qualifiziert zu beginnen, also nicht das gesamte Spektrum abzubilden, sondern die Organisationen einzubeziehen, mit denen es bereits positive Kontakte und Erfahrungen gibt oder die räumlich so nahe liegen, dass sie einbezogen werden müssen. Zu Beginn unseres Modellprojekts mit dem Nachbarschaftsheim Schöneberg ging es darum, dass Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen dieses Trägers, die teils in Sichtweite liegen, als Erstes sich vernetzten und kooperierten. Obwohl sie sich räumlich so nah waren, hatten sie sich vorher nur bei großen Sitzungen oder Konferenzen des gemeinsamen Trägers gesehen und nicht über die Grenzen der Handlungsfelder hinweg zusammengearbeitet, schon gar nicht zur Förderung kommunalen demokratischen Engagements der eigenen Adressat*innen.

Wenn klar ist, wen man beteiligen will, müssen diese Fachkräfte und Einrichtungen für das Projekt gewonnen werden. Das scheint am besten zu gelingen, wenn man bereits über erfolgreiche Demokratiebildung mithilfe der GEBe-Methode aus der eigenen Einrichtung berichten kann und auch Beispiele für Möglichkeiten demokratischer Partizipation in den Handlungsfeldern der angepeilten Partnerorganisationen hat. Zudem sind Rahmenbedingungen zu klären wie Zeitbedarfe, Zeitrhythmen, Räume und Personalressourcen. Für das Kernteam selbst und für die anderen zu Beteiligenden muss klar sein, welche Zeit allein die Kooperation der Fachkräfte in Anspruch nimmt und was daraus auch an Aufwand für mögliche Projekte folgen könnte. Das heißt, man muss auch eine Diskussion darüber führen, ob die Beteiligten Arbeitsansätze wie KoKoDe für fachlich so zentral halten, dass sie dafür Ressourcen einbringen wollen. Das Projekt muss also von Leitungen und Trägern aktiv gefördert werden.

Die Ressourcenfrage muss auch im Kernteam selbst geklärt werden: Man muss also wissen, wer wie viel Zeit in die Koordination der Kooperation, die methodische Vorbereitung und Projektumsetzung investieren kann. Das bedeutet auch, dass man mit dem eigenen Träger eine solche fachliche Schwerpunktsetzung vereinbaren und hinsichtlich der Ressourcen umsetzbar machen muss. Das Kernteam muss unter sich, aber auch in Kooperation mit den anderen Netzwerkpartnern Aufgaben und Rollen der gemeinsamen Arbeit klären. Es wird zunächst Aufgabe dieses Teams sein, Kooperationstreffen der Fachkräfte methodisch anzuleiten und Diskussionen sowie Entscheidungen zu moderieren.

Es empfiehlt sich nicht nur, mit einigen engagementbereiten Fachkräften und Einrichtungen zu beginnen, sondern auch möglichst bald zu den Themen der Kinder und Jugendlichen inhaltlich zu arbeiten. Die KoKoDe-Methoden müssen in der Praxis erprobt werden. Erst dann ist zu erkennen, was wie funktioniert oder auch nicht. Über gemeinsame konkrete Erfahrungen mit der Förderung von – auch noch so kleinen oder zunächst als unbedeutend erscheinenden – Projekten der Demokratiebildung von ausgewählten Kindern und Jugendlichen wird die tatsächliche Kooperation gestärkt sowie das gemeinsame Lernen. Lange Theoriediskussionen zu Beginn – „Wir müssen erst mal ein gemeinsames Demokratieverständnis erarbeiten“ – sind eher hinderlich, obwohl es ohne ein gewisses gemeinsames Grundverständnis auch nicht gehen wird.

Im Zentrum der Kooperation: Die lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen

Hat man eine Vernetzung geschaffen und will tatsächlich in kooperatives Handeln zur gemeinsamen Förderung demokratischen Engagements der Adressat*innengruppe der beteiligten Einrichtungen kommen, müssen die Themen der Kinder und Jugendlichen im Zentrum stehen. Das kann nur funktionieren, wenn die beteiligten Fachkräfte und Einrichtungen in ihrem Alltag das Handeln ihrer Adressat*innen so beobachten, dass sie a) überhaupt die Themen erkennen, welche die jungen Menschen schwerpunktmäßig beschäftigen, und b) entdecken können, inwieweit darin inhaltliche Potenziale des demokratischen Engagements in den Einrichtungen selbst und darüber hinaus in der Kommune enthalten sind.

Der erste gemeinsame Arbeitsschritt wird also darin bestehen, sich klarzumachen, wie solche Beobachtungen angelegt werden (siehe die Anregungen und methodischen Anleitungen zum Beobachten in GEBe-Band 2; Sturzenhecker und Schwerthelm 2015). Einerseits ist zu reflektieren, wie solches Beobachten – auch auf Dauer – gelingen kann. Andererseits geht es darum, die Themen der Kinder und Jugendlichen zu entdecken. Die Fachkräfte sollten sich über die Beobachtungen in ihren Einrichtungen austauschen und sich auch für die Förderung des demokratischen Engagements zunächst nur in den Einrichtungen Anregungen geben.

Ist eine solche Themenfindung alltäglicher geworden, gilt es, die lokale Relevanz der über die Einrichtungsgrenzen hinweg gemeinsamen Betroffenheit zu entdecken und sie kooperativ in ein Projekt umzusetzen. Dazu wird weiter unten eine detaillierte Methode vorgeschlagen. Kurz gefasst geht man so vor:

Verschiedene Themen aus den unterschiedlichen Einrichtungen auf einer Wandzeitung sammeln und sich gegenseitig erklären.

Überschneidungen beziehungsweise Gemeinsamkeiten von Themen entdecken.

Mögliche Themen für gemeinsames Handeln nach folgenden Kriterien bewerten: Welche Themen haben Potenzial, die Grenzen der Einrichtung zu überschreiten und in die Öffentlichkeit des Sozialraums, der Kommune zu gelangen? Das heißt, welche Themen spielen nicht nur in den Räumen der Einrichtungen eine Rolle, sondern haben auch draußen Potenziale? Auf welche anderen Orte und Akteure beziehen sich die Themen möglicherweise – welche Akteure sind also über die Einrichtung hinaus davon betroffen? Welche Themen sind für die unterschiedlichen beteiligten Kinder und Jugendlichen warum besonders wichtig oder vorrangig? Welche Themen erscheinen zunächst spaßig und positiv, welche konfliktreich und problematisch? Welche Themen werden noch von anderen Beteiligten im Einzugsgebiet vorangetrieben? Welche Überschneidungen, Unterstützungen, aber auch gegenseitigen Behinderungen und Konkurrenzen kann es da geben? Mit welchen Themen gibt es bereits Erfahrungen demokratischer Partizipation, etwa in Projekten der einzelnen Einrichtungen? Was kann man daraus lernen?

Ein Thema für einen kooperativen Ansatz auswählen.

Erste Möglichkeiten finden, wie das Thema – gerade auch in seinen die Einrichtung überschreitenden Perspektiven – zurück in einen Dialog mit den Kindern und Jugendlichen der eigenen Einrichtung gebracht werden kann.

Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen führen und prüfen, ob und wie das Thema für sie relevant ist und was möglicherweise wie daran geändert werden müsste, um es attraktiver zu machen – dabei muss auch ermöglicht werden, dass sich das Thema im Dialog ändert und das ursprüngliche Thema durchfällt.

In der nächsten Sitzung des Kooperationsgremiums sich über die Ergebnisse des Gesprächs mit den Kindern und Jugendlichen austauschen – oder sie direkt am Gremium beteiligen.

Handlungsansätze zur projekthaften Bearbeitung des Themas sammeln und bewerten; Orte und Settings des Betretens von Öffentlichkeit jenseits der eigenen Einrichtung auswählen; methodischer Entwurf zur Artikulation der beteiligten Kinder und Jugendlichen und zur demokratischen Kommunikation und Auseinandersetzung mit anderen Beteiligten in der kommunalen Öffentlichkeit – dabei muss fachlich entschieden werden, welche Öffentlichkeit für welches Thema und für welche Adressat*innen(gruppe) geeignet ist, denn nicht jeder Konflikt kann öffentlich bearbeitet werden und nicht jede Person ist ohne Weiteres bereit und in der Lage, in beliebigen Formen von Öffentlichkeit zu handeln.

Erste Erfahrungen des öffentlichen demokratischen Handelns mit den beteiligten Kindern und Jugendlichen auswerten.

Nächste Arbeitsschritte im Projekt entwickeln.

Die Themen der Kinder und Jugendlichen sollen bei KoKoDe im Vordergrund der Kooperation stehen. Doch kann es auch sinnvoll sein, Themen an die Kinder und Jugendlichen heranzutragen. Wenn man unter der Perspektive der Förderung gesellschaftlich-demokratischen Engagements Themen entdeckt, bei denen man begründen kann, dass sie für die Beteiligung in der Kommune relevant sind, kann man sie den Kids in den Einrichtungen vorschlagen. Was die Pädagog*innen für wichtig halten, ist zunächst mal immer nur ein Angebot, das im Dialog mit den Adressat*innen geklärt werden muss. Es geht nicht darum, die jungen Menschen zu etwas zu motivieren, was sie nicht wollen. Nur wenn man mit Themenvorschlägen an das für sie Relevante anknüpfen kann, werden sie sich engagiert beteiligen. Daher ist eine dialogische Aushandlung über das Was und Wie der pädagogischen Vorschläge immer geboten.

Themen, die nicht direkt von den Kindern und Jugendlichen kommen, aber für sie wichtig sein könnten, sind die Planungen und Entscheidungen der Kommune, die Kinder und Jugendliche betreffen. Solche Themen werden aber nicht nur von der kommunalen Politik und Verwaltung gesetzt, sondern können auch aus Handlungsstrategien und inhaltlichen Orientierungen anderer Organisationen im Einzugsgebiet kommen, ebenso wie von zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Themen werden aus der Sicht von KoKoDe also potenziell von vier Seiten eingebracht:

von den Kindern und Jugendlichen – diese Themen sind geprägt in teils sehr unterschiedlichen Gruppierungen des Alters, der Lebenslagen, der teilkulturellen Orientierung und so weiter,

von den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe – diese Themen entstehen aufgrund der Aufgabenstellungen,

von den unterschiedlichen im Stadtteil wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren (Initiativen, Vereinen, Projekten) und

 

von den lokal tätigen anderen Organisationen (der Erziehung/Bildung, der Hilfe, der Ordnung, der Wirtschaft, der Freizeit, der Gesundheit und so weiter)

Diese Akteursgruppen sollten nach der Vorstellung einer partizipativen Demokratie ihre Themen, Interessen und Konflikte in öffentliche kommunale Diskurse einbringen, sie gemeinsam – immer unter Einbezug kommunaler Politik – diskutieren, Lösungen aushandeln und Umsetzung sowie Mitverantwortung realisieren. Die Aufgabe der verfassten Kommune mit Politik und Verwaltung wäre, einen solchen bürgerschaftlichen Diskurs zu ermöglichen und zu unterstützen. Dabei ginge es um den Einbezug möglichst aller betroffenen Menschen und Gruppierungen – mit dem Ziel, Ausgrenzungen aus dem demokratischen Prozess zu vermeiden. Zunächst muss immer ein demokratisch-argumentativer Streit um die unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen möglich gemacht werden, der aber schließlich in Entscheidungen münden muss. Sofern das inhaltlich jeweils relevant ist, liegen wichtige Entscheidungen bei den demokratischen Gremien der Kommune, aber vieles wird auch in den Verhandlungen zwischen den Beteiligten lösbar sein.

Kinder und Jugendliche – in der Unterschiedlichkeit ihrer Milieus, Lebenslagen, Bildungsformen und so weiter – sollten so unterstützt werden, dass sie an solchen öffentlichen Diskursen teilnehmen können. Sie müssen sowohl die Möglichkeit haben, ihre eigenen Themen zu äußern, als auch, sie mit anderen Betroffenen diskursiv auszutragen. Die Öffentlichkeit wird zu einer Arena, in der Themen, Interessen und Konflikte eingebracht und ausgestritten werden können. Die Kids müssen aber auch mit Themen anderer Beteiligter in der Kommune konfrontiert werden, die sie als Mitbürger*innen angehen. Das gilt nicht nur für die Themen, die die verfasste Kommune aufgrund politischer Entscheidungen und Planungen setzt – darauf beziehen sich die unten genannten Gemeindeordnungen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen –, sondern auch für die Themenstellungen, die andere Akteure im Gemeinwesen beschäftigen.

Dieses Ideal könnte man grafisch so abbilden, dass es eine Gleichberechtigung der beteiligten Akteure gibt, Themen öffentlich einzubringen und sie – gefördert und gebündelt durch die verfasste Kommune – diskutiert und entschieden zu sehen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Ideale Verbindung von Themen gesellschaftlich-demokratischen Engagements in Öffentlichkeit und Kommune


Quelle: Eigene Darstellung

In der Realität – so die hier aufgestellte Hypothese – läuft es jedoch häufig anders. Gerade wenn man die Perspektive von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betrachtet, stellen diese im Alltag häufig die institutionellen Themen und Aufgaben in das Zentrum ihres Handelns. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf ihre pädagogischen Aufgaben und kaum auf ihre Integration in öffentliche Diskurse und politische Prozesse der Kommune. Die kommunal relevanten Themen der Adressat*innen und der anderen Akteure ihrer sozialräumlich-politischen Umwelt fließen damit nur wenig in das Handeln der Einrichtungen ein. Diese betrachten sich als Inseln in den Öffentlichkeiten der Kommune und höchstens mittels ihrer Träger und in Bezug auf die Aushandlung von Rahmenbedingungen mit der verfassten Kommune als politische Akteure. Nur sehr selten nehmen die Einrichtungen ihre Aufgabe wahr, das gesellschaftlich-demokratische Engagement ihrer Adressat*innen in der Kommune zu fördern, indem sie bei deren Themen ansetzen. Grafisch lässt sich das wie in Abbildung 2 darstellen.

Abbildung 2: Häufige Realität: Wenige Überschneidungen zwischen Jugendthemen und politischer Kommune, Organisationen und Zivilgesellschaft


Quelle: Eigene Darstellung

Folgt man den KoKoDe-Prinzipien, stellt man die Themen der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum der Förderung gesellschaftlich-demokratischen Handelns durch die Einrichtung. Obwohl aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen genau diese Förderung politischen Handelns ihrer Adressat*innen im Zentrum stehen muss – zumindest was diesen Teil ihres Aufgabenspektrums angeht –, müssen auch die Themen der anderen Akteure und die öffentlichen Aushandlungsprozesse dazu für die Kinder und Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Daher sind auch diese Akteursgruppen in die Förderung gesellschaftlich-demokratischen Engagements seitens der Einrichtungen einzubeziehen. Insgesamt geht es darum, die Einrichtungen (eben auch in Kooperation) mit ihren Adressat*innen in die demokratisch-politische Arena der Kommune einzubringen – auch als Mitakteure der gemeinsamen Verantwortung für die Kommune (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Im Zentrum der Förderung: Themen der Kinder und Jugendlichen zu gesellschaftlich-demokratischem Engagement in der Kommune


Quelle: Eigene Darstellung

Es geht somit auch darum, die Perspektive der Kinder und Jugendlichen nicht nur auf deren Themen, Interessen und Konflikte zu richten, sondern sie auch umgekehrt mit den Themen, Interessen und Konflikten des Gemeinwesens zu konfrontieren. Das bedeutet ebenfalls, sie zu unterstützen, ihre Sicht- und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Denn gerade für Kinder und Jugendliche in benachteiligten Lebenslagen kann es sonst zu einer Einschränkung ihrer Möglichkeiten kommen, Themen zu entwickeln, die ihre Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten stark erweitern würden. Eine solche Grundhaltung und Handlungsweise kann mit Bourdieu als „Habitus der Notwendigkeit“ bezeichnet werden. El-Mafaalani (2014: 19) erklärt das so: „Untere Schichten zeichnen sich nach Bourdieu durch einen Habitus der Notwendigkeit aus, ein Habitus also, der bei der Wahrnehmung einer Situation die Funktionalität, Anwendbarkeit oder eben die Notwendigkeit in den Vordergrund stellt. Dies erscheint plausibel, da die Sozialisationsbedingungen in unteren Schichten durch Knappheit an ökonomischem Kapital (Geld, Besitz) und kulturellem Kapital (Wissen, Bildung), aber auch an sozialem Kapital (soziale Netzwerke, Anerkennung) gekennzeichnet sind und der Habitus auf ein Management dieser Knappheit ausgerichtet ist. Im Zustand höchster Knappheit muss permanent gefragt werden, ob etwas auch wirklich notwendig ist, wofür man etwas macht, ob es ‚etwas bringt‘, welcher konkrete Sinn dahintersteckt. Ein Kind, das in diesen Verhältnissen aufwächst, entwickelt eine ‚Mentalität‘, in der solche Nutzenabwägungen in allen Lebensbereichen handlungsleitend werden, unter anderem auch in der Schule.“

Beschränkt auf solche Notwendigkeiten, haben Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Lebenslagen oft wenige Vorstellungen darüber, was außerhalb des Gegebenen für sie gut, nützlich, einforderbar wäre. Beispielsweise sind die armen Kinder in unserem Berliner Modellprojekt häufig sozialräumlich vollkommen beschränkt auf ein kleines Gebiet ihrer Stadtteile. Sie bewegen sich wenig darüber hinaus und sehen kaum, was es sonst noch in Berlin, in Deutschland oder in der Welt für sie geben könnte. Wenn man nicht auch solche Möglichkeiten an sie heranträgt und für sie erkennbar macht, bleiben sie in den Bedingungen der Notwendigkeit verhaftet. Aus der Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, Bildungsgerechtigkeit auszuweiten und auch den benachteiligten Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten einer breiten Weltaneignung zu eröffnen, erwächst hier zudem die Perspektive, ihre Themen und Interessen zu erweitern. Daraus können dann wiederum Inhalte für ihre eigene demokratische Selbstvertretung in der Kommune erwachsen.