Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie

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7.

Dr. Volker Bieder

Dr. Bieder saß am Schreibtisch und überlegte, wo er sich heute Abend volllaufen lassen würde. Als Alkoholiker war man immer am Planen. Und wie beim Einkaufen für ein Festtagsessen fehlte immer das eine oder andere. Er überlegte noch kurz, auf der Heimfahrt beim Feinkostladen zu halten, um eine Flasche Wild Turkey für einen Fear und Lothing in Las-Vegas-Themenabend mitgehen zu lassen. Durch den Diebstahl schmeckte der Schnaps nur noch süßer. Äther hatte er schon zur Genüge in der Anstalt geklaut. Mescalin war auch da und Adrenalin ließ er sich eigens vom Schweinebauer liefern. Er wollte gerade den Rest seines Biers leer trinken (von Wasser hielt er nicht viel, er schwamm gerne darin, es zu trinken wäre ihm im Leben nicht in den Sinn gekommen), als das Telefon läutete.

„Isch hab“, setzte er an und räusperte sich, „ich habe gesagt heute keine Anrufe mehr.“

„Aber es ist Ihr Bruder“, sagte die Sekretärin vor seinem Büro. Er hatte sie erst vor Kurzem eingestellt und genoss es, sie Briefe von Hand an einer Schreibmaschine vervielfältigen zu lassen. Auch ihr Outfit hatte er selbst entworfen und vorgeschrieben. Die Vorschrift lautete: Ein Rock, der mindestens bis über die Knie ging, Strumpfhose, biedere schwarze Schuhe und dazu eine bis oben hin zugeknöpfte hässliche Blümchenbluse. Die Haare waren im Dutt zu tragen, wozu sich die Frau Anfang zwanzig extra Verlängerungen hatte einflechten lassen müssen.

Er hatte schon immer ein Faible für Frauen gehabt, die wussten, wie man versteckte, wonach es sich zu frohlocken lohnte.

„Ich wusste gar nicht, dass ich einen Bruder habe?“, fragte er.

„Jetzt ruft es Sie auf jeden Fall an.“

„Na geben Sie mal her, Peggy.“

Es knackte in der Leitung.

„Wer spricht da?“, forderte Dr. Bieder.

„Hier ist Phill Jerkoff“, sagte die Stimme.

Ach du Kacke, dachte er sich. Der Vater eines der Kinder, die meine Patientin Mariam Karkuffian ermordet hat.

„Willkommen bei Dr. Bieder, Psycho- und Anal-yse“, gluckste er lachend. „Ihre Bestellung bitte.“

„Ich muss Sie etwas fragen.“

Dr. Bieder fiel auf, dass die Stimme des Mannes merkwürdig blechern klang.

„Haben Sie Ihr Telefon auf Lautsprecher gestellt?“

„Ja. Ich wollte dieses Gespräch aufzeichnen, falls Sie etwas Belastendes von sich geben, und hab es zuerst mit einer App probiert. Hat nicht funktioniert. Habs mit einem Anruf bei der Auskunft getestet. Na ja, also viele Versuche später läuft jetzt der alte Kassettenrekorder meines Sohnes mit. Darum der Lautsprecher.“

„Ich verstehe. Wir alle erreichen unsere Ziele auf unterschiedlichstem Wege. Aber sagen Sie, Herr Jerkoff, haben Sie auch eine Kassette eingelegt?“

„Ja und das war gar nicht so einfach. Wo gibt’s heute schon noch so was? Mir ist da die alte Tanke eingefallen, am Stadtrand. Musste ’ne Stunde hin und zurück fahren, der hat noch Kassetten zum Aufzeichnen verkauft. So ein Murks sag ich Ihnen.“

„Warum haben Sie kein zweites Smartphone als Diktiergerät verwendet? Dann wäre alles gleich digital aufgezeichnet.“

Stille am anderen Ende der Leitung.

„Das sagen Sie mir jetzt …“

„Sicher. Einfach kurz den Nachbar gefragt oder einen Freund oder Verwandten, der vor Kurzem erst bei Ihnen war.“

„Das war wirklich hilfreich.“

„Natürlich, ich bin Arzt. Die Leute kommen mit ihren Problemen zu mir. Das ist mein Beruf. Also, was kann ich für Sie tun?“

„Der Fernseher hat gesagt, dass Mariam Karkuffian mit einer Pinkelpfanne gehauen wurde.“

„Korrekt. Wir werden sie deswegen gleich operieren.“

„War die Verletzung schlimm?“

„Es ist eine Kopfverletzung, Herr Jerkoff, und ich fürchte, dabei sind die Batterien des Geräts äh … ich meine, ist es zu einem internen Schaden gekommen, den wir uns genauer ansehen müssen. Sind ja aus Edelstahl diese Bettpfannen. Da rummst es schon ordentlich im Oberstübchen.“

„Und deswegen wird gleich operiert, ja?“

„Natürlich. Ich bin Chirurg. Wenn Sie nur was gegen die Kopfschmerzen hätte haben wollen, wäre sie mal besser in eine Apotheke eingewiesen worden anstatt in meine Anstalt. Ist heute Abend endlich angeliefert worden die gute Frau. Sehr interessantes Objekt.“

„Na, dann strengen Sie sich mal an.“

„Ach, das ist nur eine kleine Knopfzelle, die gewechselt werden muss. Keine Sorge. Aber woher überhaupt die Sorge?“

„Sie muss unbedingt überleben.“

„Hätte nicht gedacht, dass wir da einer Meinung sind.“

Das Freizeichen ertönte.

Phill Jerkoff hatte aufgelegt.

„Komisch“, sagte Dr. Bieder und legte auch auf. „Wie unhöflich.“

Er nahm seine Porsche-Schlüssel aus der Schublade, gönnte sich noch eine halbe Flasche Whiskey, und enthielt sich beim Rausgehen jeglichen Blick auf seine Sekretärin.

Sein Mentor hatte einst gesagt: „Bier und Wein sind für Piloten. Schnaps ist das Öl für das Getriebe eines Mediziners.“

Und diesem Rat wollte Dr. Bieder auch treu bleiben.

8.

Verfolgungsjagd ohne Verfolger

Nachdem sein Exschwager die Wohnung verlassen hatte, erreichte Phill der Anruf, dass alles noch heute Abend stattfinden würde.

Horst hatte tatsächlich einen Weg gefunden, ihn in die Psychiatrie zu schleusen. Er hatte die Anweisung erhalten, in einer Stunde vor seinem Haus zu stehen. Nur er, kein Gepäck. Man würde ihn vor Ort eh neu einkleiden und entlausen. Entsprechende Stellen könnten potenziell aus Sicherheitsgründen auch enthaart und gebleicht werden.

Da war er also, Phill, und stand vor seiner Haustür. Er hatte ein Taxi erwartet oder gar Horst, der in seinem rostigen alten VW Jetta vorfuhr. Nichts dergleichen.

Ein Polizeiwagen donnerte mit gut hundert Sachen aus der Fünfzigerzone neben seinem Haus, rutschte um die Kurve, zwang den Gegenverkehr zum Abbremsen und wendete mit quietschenden Reifen. Die Mercedes E-Klasse kam vor ihm zum Stehen.

Die Tür wurde aufgeworfen.

Er erkannte Horst auf der Rückbank.

„Steig ein, wenn du bescheuert genug bist, dich hierauf einzulassen“, rief er.

Phill stieg samt Winchester zu Horst auf die Rückbank. Er trug noch immer das verquere Outfit aus dem letzten Kapitel.

„Los geht’s“, sagte Horst und klopfte dem Fahrer auf die Schulter. Der trat das Gaspedal durch und donnerte davon. Das Blaulicht wurde zwischen den Häuserwänden umhergeworfen.

Horst hielt sich fest.

Phill tat es ihm gleich. Sie schossen mit 150 Sachen durch Berlin-Kreuzberg, immer am Abbremsen und Gas geben. Neben dem Fahrer saß seine Kollegin mit einer Google-Maps-Karte, immer mal wieder sagte sie Dinge wie: „115 Meter scharf rechts. Dreihundert Meter dann links.“

Der Fahrer knallte die Bremse rein, kurbelte das Lenkrad herum und trat das Gaspedal wieder durch. Man hätte meinen können, sie wären im Auftrag von Leben und Tod unterwegs.

„Wir wissen, dass Dr. Bieder demnächst Mariam Karkuffian operieren muss“, fing Horst an und wurde von links nach rechts geworfen, das Einzige, was ihn davon abhielt, wie wild durch die Gegend zu fliegen, war der Haltegriff über dem Fenster.

„Sind wir deswegen so schnell unterwegs?“, fragte Phill.

Der Fahrer bremste von 120 auf fünfzig ab.

Ein nicht angeschnallter Polizeiteddybär flog vom Rücksitz gegen die Windschutzscheibe. Die Beifahrerin öffnete das Fenster und warf den Bär auf die Straße.

Der Fahrer lenkte ein und erteilte dem Verbrennungsmotor sofort wieder den Befehl, auf hundert zu beschleunigen. Phill und Horst wurden in die Sitze gepresst.

„Nein“, sagte Horst, „die Geschwindigkeit dieser Fahrt dient lediglich der Dramaturgie der Situation. Theoretisch hätten wir auch mit der Stadtbahn zur Anstalt fahren können. Das hier macht aber mehr her.“

„VORSICHT“, schrie die Beifahrerin und zeigte auf ein Kind vor ihnen.

Der Polizist bremste. Trat sogar mit einem zweiten Fuß die Bremse nach. Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen. Der Rotzbengel zeigte ihnen den Mittelfinger und nuckelte weiter an seinem Tetra Pak Kakao.

„Puh“, machte Phill. „Das war knapp“, sagte er und beobachtete den Jungen, der um die zwölf sein musste.

Ein schwarzer Van kam ebenso rasant wie ihr Fahrzeug angeschossen, hielt neben dem Jungen, öffnete die Schiebetür. Ein Mann mit Skimaske packte den Jungen, zog ihn ins Innere und setzte an seiner statt einen verwirrt dreinblickenden Hund auf die Straße. Mit durchdrehenden Reifen raste der schwarze Van davon.

„Es hat mich schon immer gewundert, wieso man in Berlin mehr Straßenhunde als Kinder sieht“, sagte Phill. „So was.“

„Dafür haben wir jetzt keine Zeit“, sagte Horst und klopfte dem Kutscher wieder auf die Schulter.

Der Motor röhrte. Die Tachonadel zuckte wie unter Stromstößen. Der Mercedes preschte weiter, als würde hinter ihm Roland Emmerich die Zerstörung der zivilisierten Welt per CGI einläuten.

„Pass auf, Phill. Du bist ein ehemaliger Soldat, solltest den Stress, der auf dich zukommt, daher gewöhnt sein. Wir hatten ursprünglich vor, dich unter der Identität eines Toten einzuschleusen, doch das wäre etwas riskant. Zu viele Stellen, an denen etwas hätte durchsickern können, und da du Torfkopf eh schon mit Dr. Bieder telefoniert hast, gehst du als du selbst.“

Phill nickte.

„Du wirst drinnen eine Kontaktperson haben.“

„Ihr habt noch mehr Leute in der Anstalt?“

„Na ja, nicht wirklich. Wir haben mal das Münztelefon dort angerufen und dem Erstbesten, der ran ging, einen Vorschlag gemacht.“

„Es gibt dort noch ein Münztelefon?“

 

„Erzähl ich gerade oder du?“, fuhr ihn Horst energisch an, während sie von links nach rechts geschüttelt wurden.

„Tschuldige“, sagte Klax’ Vater kleinlaut.

„Ihr Name ist Freda und sie ist unberechenbar. Eine Konifere Koryphäe auf dem Gebiet der Verrückten.“

„Und die soll wofür gut sein?“

„Sie ist deine Kontaktperson.“

„Zu dir?“

„Nein, dafür haben wir in einem Buch in der Bibliothek, in Enid Blytons Unter dem Roten Dach, ein Smartphone versteckt. Mit Powerbank, eine große, also mach dir keine Gedanken, wenn du damit das Internet besuchst, wenn dir langweilig wird.“

„Sehr gut. Aber wozu brauche ich dann Freda?“

„Du wirst es erkennen, wenn es so weit ist.“

„Aha“, machte Phill skeptisch.

„Denk dran, dich da rauszuholen, ist recht einfach. Dich wieder reinzubringen, weil du zu früh Hilfe geschrien hast, nicht. Das ist eine Psychiatrie, kein Bahnhof. Du kannst nicht kommen und gehen, wie es dir beliebt, also äh in diesem Beispiel bist du der Fahrgast, verstanden? Die Züge kommen und gehen wirklich, wie sie wollen.“

„Verstanden.“

Der Mercedes wurde langsamer.

„Sind wir da?“, fragte Phill. Er konnte durch die verdunkelten Scheiben kaum etwas sehen.

„Nein, wir gehen etwas essen.“

Ein gelbes „M“ leuchtet plötzlich durch die schwarze Scheibe.

„Wie?“, fragte Phill, „McDonalds?“

„Was hat denn sonst abends um die Uhrzeit noch offen? Es geht schon auf Mitternacht zu. Du wirst froh drum sein. Dein größtes Problem da drin wird nicht die mentale und körperliche Folter, die schlechten hygienischen Umstände, die anderen Patienten oder der Dauer besoffene Chirurg, welcher die Anstalt leitet, sondern das furchtbare Kantinenessen. Glaub mir, nach einer Woche wird dein Verstand Land unter anmelden. Ich weiß nichts Genaueres, oder ich habs wieder vergessen, Quintessenz ist, das Essen da drin könnte unter Umständen nicht sooo toll sein.“

„Da hätte ich wirklich andere Sorgen.“

Tüten wurden ins Auto gereicht. Niemand hatte Phill gefragt, was er wollte. Die Polizistin vor ihm reichte ihm wortlos ein Happymeal. Er öffnete es und fing an zu essen. Horst biss in einen Royal mit Käse.

„Ich habe etwas aus meinem persönlichen Drogenkoffer dabei“, sagte Horst, „damit du schön zugedröhnt wirkst, wenn du bei der Anstalt ankommst.“

Phill winkte mit einer Hand ab und schleuderte dabei ein paar Pommes in den Fußraum.

„Oh“, machte er.

„Egal“, brummelte der Fahrer mit einem Cheeseburger in der Gosche. Die abenteuerliche Fahrt ging schon weiter. Sie schossen dahin wie eine Rakete, die versuchte, die Schallmauer zu durchbrechen.

„Die Tabletten werde ich nicht brauchen“, sagte Phill. „Da habe ich eine bessere Idee“, er lehnte sich vor zum Fahrer.

„Bringen Sie mich zum nächstbesten Gestüt. Diese Situation erfordert vier Hufe und einen Sattel!“

Der Polizist nickte, wendete mit einer Vollbremsung mitten auf der Straße und heizte den Wagen unter Verlust von Reifengummi in die andere Richtung.

Am Ende ihrer halsbrecherischen Fahrt war der Tank leer, die Reifen abgefahren und die Bremsen glühten wie Eisen im Feuer.

Doch Phill bekam, was er wollte.

Einen Gaul.

9.

Armes Hottehü

Während sich irgendwo zu Halloween ein Psychopath mit Benzin übergoss, in einen Elternabend platzte und sich mit den Worten „Schaut mal, was ich kann!“ anzündete, ritt Phill Jerkoff gemächlich auf die psychische Heilanstalt von Dr. Bieder zu.

Der Gaul, den er sich besorgt hatte, sollte eigentlich morgen früh geschlachtet werden und trug den Namen Till der Träge. Sie kamen zwar nicht sonderlich schnell voran, doch voran kam er.

Sein Schwager hatte ihm geraten, er sollte dort auftauchen und schön den Bekloppten markieren. „Kassengelder hat noch keine vernünftige Anstalt abgelehnt“, so Horsts Worte, „selbst wenn sie dich in die Besenkammer sperren, nur um dich abrechnen zu können.“

Aufgrund dessen hatte Phill das einzig Richtige getan. Er war in vollem Jamie-Lee-Curtis-Outfit losgegangen, hatte sich noch einen Cowboyhut besorgt sowie Till den Trägen und ritt durch Berlin bis zu der Irrenfarm draußen in ländlicher Gegend (sehr präzise, nicht wahr). Dabei hatte er den Fehler gemacht, davon auszugehen, ein Pferd wäre ein Langstrecken-Tier. Weit gefehlt. Der halb blinde Ackergaul, den man ihm als Reitpferd erster Klasse verkauft hatte, war schon nach der Hälfte der Strecke vom Galopp in den Trab und jetzt zum Schritt übergegangen. Die ungeschlachtete Salami schlappte dahin in der Hoffnung, dass es bald vorbei war.

Und das war es auch!

Phill konnte die helle Schrift am Eingang der Anstalt bereits lesen. Eine Beleuchtung so prunkvoll wie die eines alten Theaters verkündete den Namen der Einrichtung „Dr. Bieders Hilarious House of Madness.“

Die Gruselbahn, in der jeder mitspielen durfte, der versichert war.

Sein Schwager, immerhin jemand, der viel Polizeifunk hörte und auch Polizist sein könnte, war oder gewesen war, hatte ihm gesteckt, dass Mariam im Hochsicherheitstrakt eingesperrt war. Also war alles, was er tun musste, da drin einen Feueralarm auszulösen oder mit einem Terroranschlag zu drohen, und schon würden sie das Gebäude räumen.

Letztere Idee hinkte zwar etwas, da er sich dafür theoretisch nicht als Verrückter inhaftieren lassen musste, doch wie oft bekam man im Leben schon die Chance, einfach mal zu machen, ohne die Konsequenzen zu spüren.

Till der Träge zuckelte dahin.

Phill hatte schon immer ein Pferd haben wollen. Der Wunsch reihte sich gleich hinter dem ein, eine Korvette zu besitzen, welcher daraus erwachsen war, dass Phill in seinem Leben bisher doppelt so viele Runden Schiffe versenken gespielt hatte als jeder normale Mensch.

Vor dem rechteckigen riesigen Gebäude, über das es kaum mehr zu sagen gab, denn es hatte wie jedes andere Haus auf dem Planeten Türen, Toiletten und Fenster, erstreckte sich ein großer Rasen mit einem Springbrunnen. Gerade war Phill dabei, sich zu überlegen, wo er am besten seinen vierbeinigen Freund parken sollte, als sich ein Garagentor öffnete und ein Porsche herausgeschossen kam.

Der Fahrer kam mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zu.

„HEY“, schrie Phill, „BIST DU BESOFFEN ODER WAAAAAAA…“

Der Porsche rammte den Gaul.

Phill wurde durch die Luft geschleudert.

Dr. Bieders Kopf knallte gegen das Lenkrad und die Airbags sprangen an (den Drink in seiner Hand verschüttete er nicht).

Das Pferd jedoch fungierte wie eine massive Wand aus Fleisch, das dem enorm schnellen Objekt, das es getroffen hatte, keinen wirklichen Widerstand bot. Seine Beine brachen wie morsche Zweige und die Schnauze rammte es durch die Frontscheibe ins Innere des Wagens.

So kam es, dass Dr. Bieder einem höchst irritierten Ackergaul in die Augen sah, der ihm den letzten Atemzug seines Pferdelebens ins Gesicht blies und dabei dachte: Karotte.

Phill rappelte sich auf und versuchte erfolglos, sich die Schürfwunden vom Körper zu klopfen. Die Perücke saß noch immer, nur den Hut hatte er eingebüßt. Er ging zurück zu seinem Pferd. Beim Anblick des toten Tiers drehte sich ihm der Magen um. Der Bauch war aufgeplatzt und Gedärme quollen dampfend auf den kalten Asphalt der Herbstnacht.

„Verfluchte Spesenadel“, rief Phill und hielt sich den Arm gegen den Gestank vor die Nase. Ohne weiter zu zögern, griff er nach der Winchester hinten am Pferd und lud sie durch.

Eine volle Patrone flog aus dem Lauf auf den Boden, aber es war einfach cooler, wenn die Waffe dieses Ritsch-Ratsch-Geräusch machte.

„Um Siegfrieds willen, Mann“, sagte der Arzt besorgt. Er trug einen Nadelstreifen-Anzug und sein Gesicht war ausgezehrt, wie es nur harter Alkohol und ein unendlicher Geldvorrat schafften, der einem über viele Jahre über jede Dummheit hinweg geholfen hatte. „Ist Ihnen etwas passiert?“, fragte er. „Haben Sie Durst?“, legte er nach und zeigte auf seinen Whiskey mit Eis, den er noch immer in der anderen Hand hielt.

„Wer sind Sie?“, forderte Phill ein.

„Dr. Bieder“, sagte er und zeigte auf die Leuchtreklame, „das hier ist mein kleines Scheusal.“

„Oh“, sagte Phill und senkte die Waffe.

Schnell, tu was Verrücktes, flüsterte ihm sein Unterbewusstsein zu. Er dachte daran, sich Haare auszureißen, damit ihm das Blut aus den Wunden schoss und über das Gesicht lief. Das kam ihm dann aber doch zu bescheuert vor. Außerdem tat so was weh, und Schmerzen waren nicht sein Ding.

Er richtete die Winchester auf den Pferdekopf und drückte zweimal ab.

BANG!

Ritsch-Ratsch

BANG!

Dann warf er die Waffe auf den Rasen, hielt beide Hände in die Höhe und rief „Ich ergebe mich und möchte gestehen“, sagte er und stand da.

Dr. Bieder beobachtete alles stillschweigend und nippte an seinem Drink.

„Sagen Sie werter Herr“, fragte er, ging um den Porsche herum, holte etwas Scotch aus dem Handschuhfach und füllte sein Glas nach, „Sie sind nicht zufällig Privatpatient?“

„Wie es der Zufall will, ja.“

„Ich glaube, dass ich Ihnen helfen kann“, sagte Dr. Bieder mit einem Tonfall, wie ihn nur Magnaten bekommen, wenn sie einen baldigen hohen Zahlungseingang für eines ihrer Konten witterten.

Phill wollte antworten, da wurde die Unterhaltung jäh unterbrochen. Ein Blitzlicht erhellte die Nacht. Gleich noch eines. Irgendwer schoss Fotos von den beiden und ihrem Unfallszenario.

Dr. Bieder machte einen Schritt nach vorne, trat gegen die Winchester, sodass sie in die Luft flog, fing sie am Repetierhebel auf, lud eine Patrone in den Lauf und schoss, ohne auch nur zu blinzeln, zwei Kugeln in Richtung Blitzlicht.

„Aua!“, schrie eine Stimme.

Ein Fotograf sprang aus dem Gebüsch und gab Fersengeld.

Dr. Bieder legte auf ihn an, doch der Mann war zu schnell. Er rannte, als wäre Robert Murdoch persönlich hinter ihm her.

„So ein Mist“, sagte Dr. Bieder und senkte das Gewehr. „Das steht schon morgen in der Super Illu.“

Er drehte den Kopf zu Phill. „Die sind einfach zu vertreiben, aber bald schon werden die Pressevertreter in Scharen hierher zurückkehren.“ Dr. Bieder schulterte die Winchester. „Kommen Sie mit mir. Wir besorgen Ihnen ein Zimmer. Wer sind Sie eigentlich?“

„Phill Jerkoff“, sagte der und ließ sich auf die Beine helfen.

Dr. Bieder erstarrte. „Der Vater des toten Kindes, mit dem ich gerade eben telefoniert habe?“

„Das ist bereits mehrere Stunden her“, korrigierte ihn Phill.

„So was“, sagte Dr. Bieder erstaunt und nahm einen Schluck Whiskey-Scotch-Mischung. „Muss vor dem Losfahren eingeschlafen sein. Merkwürdig“, sagte er und trank das Glas leer. Schwungvoll feuerte er es ins Gebüsch und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.

„Lassen Sie uns reingehen“, sagte er. Gemächlich liefen sie auf die Anstalt zu. „Wer hat Sie geschickt? Die Polizei?“

„Ach, es ist eine Mischung aus Versicherungsangelegenheiten, Neugier und am Ende geht es um Geld.“

„Ach, das gute alte Geld. Es ist wie mit den Frauen. Oder waren es Kinder? Man kann nicht mit ihnen leben, aber ohne sie schon.“

„Stimmt es, dass Sie viele berühmte Insassen behandeln?“

„Oh ja. Wir sind aber keine von diesen Star-Kliniken. Manch einer tut so, als hätte er Karl Gustav dem Großen persönlich die Ohren geputzt“, seine Stimme nahm comichafte Züge an, „diese Anstalt beherbergt einige der brutalsten Geisteskranken aller Zeiten. Pfffft“, machte er und machte eine abweisende Geste. „Das Potenzial eines Irren liegt nicht in der Ausprägung seines Wahnsinns, sondern was er damit anfängt. Man kann auch nur ein klein wenig wahnsinnig sein, und daraus viel machen.“1

Er zog einen Flachmann aus seinem Jackett und nahm einen Schluck. Wortlos reichte er ihn an Phill weiter, der

zugriff. „Wissen Sie, die meisten Leute, die in einem Hotel zur weichen Birne untergebracht sind, sind alles handelsübliche Irre.“ Er begann, an den Finger abzuzählen: „Alleinerziehende Väter, Politiker, die bei der Wahl gescheitert sind und fleißig an ihrem eigenen Wikipedia-Artikel arbeiten, weil keiner ihre Memoiren will, und natürlich irgendwelche schwachsinnigen Autoren oder Schauspieler, die nur kurz Nachforschungen anstellen wollten, dann aber doch auf Dauer bleiben, weil sie sich bei uns wohler fühlen als in Freilandhaltung.“

 

„Gibt es denn gar niemand Berühmten?“, fragte Phill, nahm einen Schluck Schnaps. Es brannte in seinem Mund und er wollte meinen einen Hauch Duschgel rauszuschmecken. Er schluckte das Gesöff schweren Notes gerade so runter und reichte den Flachmann zurück.

„Gut, oder?“, fragte Dr. Bieder. „Hab ich in der Therapiebadewanne gebraut. Und ja, wir haben da schon ein paar Sonderkandidaten. Da wäre der Buchprüfer. Er fesselt seine Opfer nackt an Händen und Füßen. Lässt sie dabei frei im Raum stehen. Dann rechnet er deren letzte Steuererklärung auf ihrem Körper nach, dabei ritzt er die Zahlen mit einem Skalpell ein. Bei einer Abweichung, die zu hoch ist, schlitzt er ihnen nach und nach die Arterien auf. Wer überlebt, ist für immer grotesk tätowiert. Dann wäre da noch der Zahnarzt.“

„Was hat der verbrochen?“

„Er ist nur ein normaler Zahnarzt. Recht unbeliebt auch unter den Patienten. Weigert sich, eine Betäubungsspritze zu verwenden. Hat mir einmal eine Krone gesetzt. Bezahlt werden wollte er in Reichsmark. Musste auf einen Flohmarkt, um die Währung zu beschaffen. Solange war er im Hungerstreik. Spinnt echt der Kerl. Gehört eingewiesen.“

Phill wollte etwas sagen, belehrte sich aber selbst eines Besseren. Der Kerl war professioneller Alkoholiker. Gerade zauberte er wieder einen neuen Flachmann aus seinem Jackett. Dieser hier war rot. Er zog ihn in einem Schluck leer, nahm sich den linken Schuh ab und klappte vorne die Spitze beiseite, um daraus zu trinken.

„Sie würden sich wundern, wo an meinem Körper ich überall Alkohol versteckt habe.“

„So so“, sagte Phill.

„Und Sie wollen den potenziellen Mörder Ihres Sohnes umbringen?“

„Nein nein“, versicherte Phill und gestikulierte widersprechend mit den Händen.

„Da bin ich aber froh“, sagte Dr. Bieder. „Der Papierkram wäre die reinste Hölle. Wenn Sie jemals irgendwen umbringen wollen, haben Sie bitte genug Anstand und warten Sie, bis wir Sie aus der Ballaballaburg wieder entlassen haben, ja?“

„Ich verspreche es.“

„Können Sie gerne. Sie werden es mir auch noch unterschreiben müssen. Ein Haftungsausschluss.“

„Haben Sie Kinder, Dr. Bieder?“

„Ich? Himmel nein. Habe mir mit dem Doktorat die Leitungen kappen lassen. Menschen haben auf mich schon immer sonderbar gewirkt, müssen Sie wissen. Ich sehe in ihnen keine Personen mit Werten und individuellen Wünschen.“

„Sondern?“

„Potenzial, Herr Jerkoff, Potenzial“, sagte er und klopfte Phill auf den Rücken.

Sie hatten die Treppe zur Haupttür der Anstalt erreicht. Dr. Bieder sprang im Zickzack die Treppe empor, öffnete die gigantischen Flügeltüren und wies Phill an, einzutreten. Als der Arzt die Türen wieder hinter Phill zuzog, konnte er beobachten, wie irgendwer den toten Gaul mit der Kettensäge zerteilte, um ihn wegzuschaffen. Wahrscheinlich der Hausmeister.

Ja, Pferde waren nun mal große Tiere und da kein Bagger zur Hand war, der es hätte anheben können, musste Gustavo zur guten alten Stihl greifen und das Fleisch des toten Tieres von Hand in die hauseigene Schlachterei schleppen. Daraus machte man für Tage und Wochen Eintopf, Steak und Buletten. Dem Fleischwolf war egal, welches Tier er zermalmte.

Nach dieser langen Erklärung war Gustavo mit dem Zerteilen fertig und wuchtete sich einen Schenkel von Till dem Trägen über seine Schulter.

„Ja“, sagte Dr. Bieder, „so ist das Leben. Wir alle haben einen Zweck zu erfüllen. Und ich weiß auch schon, welcher der Ihre sein wird, Herr Jerkoff.“

Er drehte sich um.

Doch Phill war längst verschwunden.

1 Welch wahre Worte …

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