Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie

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5.

Ein Jahr und viele, viele Tote später

Phill Jerkoff saß vor seinem Fernseher und tat, was Leute gemeinhin tun, wenn sie vor einem Bildschirm saßen und ihr Hirn geistig über eine Wäscheleine hing:

Er glotzte dumm drein.

Gerade lief ein Bericht über die Serienkillerin Mariam Karkuffian, die mindestens einen erwachsenen Mann und vier Kinder ermordet haben sollte. Unter anderem vielleicht auch seinen Sohn Klax, der vor einem Jahr spurlos verschwunden war. Zumindest deutete einiges darauf hin, oder es ließ sich zumindest bequem in die Handlung hineindichten.

Das Einzige, was von ihm zurückgeblieben war, war das olle Borgraumschiff, das Phill seither über eBay Kleinanzeigen für 200 € als „Raumschiff vom Mordfall Klax Jerkoff“ verkauft hatte.

Sein Sohn war in der Nacht vor einem Jahr verschwunden, hatte früh Morgens das Haus verlassen, und ward nie mehr gesehen. Er und seine Frau hatten keine Mühe gescheut, ihn zu suchen. Sie waren gleich einen Tag danach, schließlich nützte es nichts, unausgeschlafen jemanden zu suchen, runtergegangen, um nachzusehen, ob Klax vor dem Haus stand. Da war er aber nicht. Ihn anzurufen, ergab keinen Sinn, denn Klax besaß kein Smartphone, und jegliche Versuche, ihn zu suchen, wurden so lange auf später vertagt, bis die Polizei klingelte und sachkundige Beweise lieferte, dass Klax tot war und man den Mörder gefunden hatte: Mariam Karkuffian. Man hatte seine Leiche in einem ihrer Folterkeller gefunden, oder zumindest etwas, das gut seine Leiche hätte sein können. Da die Sache recht eklig und prekär war, erkannte man die naheliegendste Vermutung als absolute Wahrheit an, machte früh Feierabend und ließ den lieben Herrgott einen guten Mann sein.

Seine Frau Olga hatte Phill verlassen und ihre Tochter, deren Namen er schon längst vergessen hatte, mitgenommen.

Ihm war ein langer Bart gewachsen. Sein Haupthaar reichte ihm die Schultern herab. Er sah aus wie ein Obdachloser, der zu etwas Geld gekommen war, und roch auch so.

„Du musst es dir ansehen“, sagte eine Stimme aus dem Dunkeln.

Ihm gefror das Blut in den Adern. Sein Penis kroch innerhalb der Vorhaut zurück in seinen Körper und versteckte sich hinter seiner Blase. Da war jemand im Raum. Hatte er schon wieder die verdammte Tür offen gelassen? Wie damals, als er Klax die Nase blutig geschlagen hatte? War Klax etwa wieder da?

Wehmütig dachte er zurück an diese schönen Zeiten.

Seine Frau und seine Tochter fehlten ihm kein bisschen. Doch sein Sohn, der irgendwie unterhaltsam war und wusste, welche Biermarke er vom Kiosk bevorzugte, der fehlte ihm durchaus. Ein Gaffel Kölsch schmeckte einfach anders, wenn es ein Achtjähriger ungefragt mit dem Geld aus Mamas Brieftasche für seinen Vater kaufte, um ihn damit zu überraschen.

„Wer ist da?“, rief Phill unsicher.

„Ich bins nur“, sagte ein Mann und trat aus dem Schatten der Wand. „Der Wahnsinn.“

„Sehr witzig, Horst“, sagte Phill. „Was machst du denn hier?“

Horst Seenot war Phills Exschwager. Der Bruder seiner Exfrau, Olga. EX-KGB-Agent und inzwischen ehemaliger BND-Mitarbeiter, der sich als Kommissar oder Privatdetektiv oder jemand, der den Leuten die Socken vom Wäscheständer klaute, sein Geld verdiente. So richtig hatte Phill das nie verstanden. Hauptsächlich, weil es ihn nicht interessierte.

„Was gibt’s Neues?“, fragte Phill, der viel lieber mit einem Menschen redete, als in ein doofes Display zu schauen. Den Fernseher schaltete er aus. Ein Kunstgriff, der heutzutage leider größtenteils in Vergessenheit geraten war.

Sofort ging der Fernseher von alleine wieder an.

„Verflixtes Aldi-Teil“, murmelte Phill. Ein Nachrichtensprecher flimmerte über den Schirm, über den ja gar nichts flimmern konnte, denn es war ein LCD-Bildschirm und keine Röhre, aber egal. Es klang halt so schön. Also flimmerte er, der Nachrichtensprecher.

„Die Serienmörderin Mariam Karkuffian ist heute aus der Haft in die geschlossene Psychiatrie verlegt worden. Sie wurde vor sieben Monaten von ihrem ältesten Sohn verraten, dem sie nicht erlauben wollte, auf das Konzert einer Black-Sabbath-Coverband zu gehen. Mariam ist verantwortlich für den Tod zahlreicher Kinder und sonstiger Menschen. Genaue Details und ob das alles nur von der Polizei, die keine Lust hatte, in großem Umfang zu ermitteln, so hingedreht wurde, ist uns nicht bekannt. Frau Karkuffian wird in die von Dr. Volker Bieder finanzierte und betreute Klinik in Berlin-Tegel verlegt. Dr. Bieder selbst ist Chirurg und nach eigenen Angaben Hobby-Psycho- und Proktologe. Er sagte, man müsse in den menschlichen Abgrund blicken, völlig egal, wie tiefschwarz er sei oder an welchem Ende er sich befinde, um eine Seele, die erkrankt ist, wieder zu heilen.“

„Wieso hat eine psychiatrische Anstalt einen Chirurgen?“

„Vielleicht verletzen sich die Insassen oft?“, merkte Horst Seenot an.

„Da reicht doch ein normaler Arzt, bei allem anderen: ab ins Krankenhaus. Das ist bekloppt. Man baut doch auch keinen Bestatter neben ein Altersheim, nur weil dort jemand sterben könnte.“

„Das würde sogar einen morbiden Sinn ergeben“, sagte Horst.

Recht hatte er. Phill überlegte. Der Nachrichtensprecher im Fernsehen wartete brav mit dem Weiterreden, bis die beiden Herren sich ausgesprochen hatten. „Es würde ja auch kein Kinderpsychologe“, setzte Phill erneut an, „seine Praxis neben einem Kindergarten eröffnen und Flyer an die Eltern verteilen: ‚Ist Ihr Kind schon ungeniert traumatisiert? Vertrauen Sie mir und lassen Sie es bei mir behandeln, ich werde es verwandeln und gibt es Beschwerden, wird mir was unterstellt, gibt’s zurück das Geld!‘“

„Irgendwie ergibt das auch Sinn.“

„Tut es nicht, Horst. Du warst schon immer ein schlechter Lügner.“

Der Nachrichtensprecher schaute ertappt von seinem Smartphone auf und bemerkte, dass er weiterpalavern konnte: „Ah es geht weiter. Dr. Bieder unterstellte der Serienmörderin Schizophrenie sowie bipolar zu sein und beides gleich praktisch zu einer Schizoaffektiven Störung zu vereinen. Ferner erwähnte er, Frau Karkuffian sei generell gelangweilt, antriebslos, Ich-bezogen und bestimmt auch Opfer einer Induzierten Wahnhaften Störung, welche durch den Wahnsinn eines Lebenspartners oder Ehepartners ausgelöst wird, mit der Trennung aber wieder verschwindet. Besonders Letzteres merkte Dr. Bieder als interessant an, da er mit einem Fachartikel mehr als ein Jahr auf Ärztetagungen teure Reden halten könnte. Man müsse aber sehen, was man aus der Frau alles rausschlagen könne, so seine Worte. Frau Karkuffian soll sich momentan nicht so gut fühlen, da sie von einer Mitinsassin im Gefängnis eins mit der Pinkelpfanne über den Kopf bekommen hat. Was uns hier im Sender allen furchtbar leidtut.“

„Mir nicht“, brummelte Phill.

„Der Pressesprecher der Polizei gab an, froh zu sein, aus dem Redakteursdasein beim Privatfernsehen in eine derart gute Beamtenstelle gewechselt zu haben, und merkte ferner an, dass Frau Karkuffian vehement darauf bestand, dass der Arzt Dr. Bieder schuld an ihrer Misere sei. Er habe ihr eine Gerätschaft in den Kopf getackert, die ihr Befehle schickt und welche mit einer SIM-Karte versehen ist, damit sie jederzeit erfolgreich ferngesteuert werden kann. Detaillierte Baupläne des Geräts sowie eine Kopie des SIM-Karten-Vertrags wurden nicht als Beweismittel in den Fall einbezogen, weil ein Praktikant die Kiste, in der die Sachen verstaut waren, verloren hat.“ Der Nachrichtensprecher holte Luft. „Angeblich, so mutmaßte der Pressesprecher, könne Mariam Karkuffian noch für weitere Morde verantwortlich sein. Da man momentan aber eh schon genug zu tun habe, so der diensthabende Ermittler, werde man vorerst keine Fragen mehr stellen und keine weiteren Leichen suchen. Und jetzt zum Sport!“

Der Fernseher ging von allein wieder aus. Was Phill kein bisschen unheimlich war.

„Erinnerst du dich an deinen Sohn Klax, der verschwunden ist?“, fragte Horst und ignorierte die Details des Nachrichtensprechers, welche die Handlungsweichen für den Rest dieses Buchs gestellt hatten.

„Sicher. Als wäre er mein eigen Fleisch und Blut gewesen.“

„Also äh die Polizei wird aufhören, nach ihm zu suchen.“

„Verständlich“, sagte Phill. „Ressourcen sind begrenzt und um ehrlich zu sein, hab ich aus dem Kinderzimmer längst einen Raum für meine Dego-Mäuse gemacht.“

„Degos sind keine Mäuse, sondern eine Art Meerschweinchen. Nur süßer.“

„Was willst du, Horst?“, fragte Phill energisch. „Bist du hierhergekommen, um mir das zu sagen?“

„Nein. Pass auf, jetzt wird es kompliziert. Die Frau, die unter Umständen den Mörder ermordet hat, der diverse Kinder und das VFB-Maskottchen1 ermordet hat, hat vielleicht auch etwas mit der Entführung deines Sohnes zu tun.“

„Na und?“

„Genau die Frau wird jetzt auf das Anraten von Dr. Herbert Torfstecher in eine eigentümliche psychiatrische Klinik verlegt.“

„Was ist denn das für ein komischer Name?“

„Na, er wollte sich wohl beweisen, dass in ihm mehr steckt als ein Landschaftsgärtner und ist Arzt geworden. Auf jeden Fall hat Mariam Karkuffian behauptet, sie habe aus gutem Grund gemordet und würde nicht verstehen, was der Quatsch eigentlich solle. Sie würde Kinder und Menschen nur dann blutrünstig meucheln, wenn diese ihre Kriterien

erfüllen, welche Hand und Fuß besitzen, Sinn ergeben und überhaupt wäre es ihr viel zu blöd, Staatsgelder derart zu verschwenden. Man solle sie vergasen oder erschießen oder was man sonst so mit Mördern in Ländern macht, denen Gift zu teuer ist und die jeglichen Strom importieren müssen.“

„Woher weißt du das alles?“

 

„Hat mir ein Kollege erzählt. Es sind Auszüge aus ihrer Aussage. Man hat sie letztens neu befragt, bevor sie endgültig verlegt wird.“

„Ein wenig verrückt klingt sie schon.“

„Ein wenig? Die ist total krank im Kopf. Wer weiß. Vielleicht hat sie deinen Sohn entführt und hält ihn irgendwo versteckt? Könnte aber auch sein, sie hat ihn in einem anderen Bundesland ausgesetzt und er lebt jetzt in irgendeiner kirchlichen Jugendeinrichtung, der arme Steppke. Wie ich dich kenne, hat dein Kind wieder kein Halsband getragen und einen Chip hat Klax wohl auch nicht in den Nacken implantiert bekommen.“

„Ne, das war uns damals zu teuer.“

„Für die eigenen Kinder ist nie etwas zu teuer, Phill! Ich selbst habe sechs und bin froh um jedes einzelne.“

Stille schlich sich in die Unterhaltung. Und niemand flüsterte dazwischen. Dann brachen beide Männer in Gelächter aus.

„Kannst echt froh sein. Du bist wieder Single, Phill, und hast keine Verpflichtungen.“

„Ja, ich kann mein Glück kaum fassen“, sagte er und wischte sich eine Lachträne aus den Augen. „Frau weg, Kinder weg. Keiner will Geld von mir und ich hab ein ordentliches Sümmchen mit Bildern und Storys von Klax verdient, während der Medienrummel angehalten hat. Schon ziemlich aufdringlich diese Parasiten von der Presse, aber ich nehme es ihnen nicht übel. Als Blutsauger muss man auch überleben. Aber, Horst, komm, warum bist du wirklich hier?“, fragte Phill.

„Du erinnerst dich, dass Hannah und ihr Freund etwas mit dem Verschwinden deines Sohnes zu tun haben?“

„Haben sie das? Das ist mir neu. Um ehrlich zu sein, bin ich nicht unbedingt das, was man als Blaupausen-Vatermaterial bezeichnet. Mehr so Güteklasse ‚kein Kondom mehr im Haus, aber lass mal trotzdem bumsen‘.“

„Tja ha…“, sagte Horst gedankenverloren, „wenn nur noch die Dummen sich vermehren, wird die Welt untergehen. Aber egal“, sagte er und gewann seine Konzentration zurück. „Wir haben die beiden gefunden. Hannah und Mike.“

„Aber ihr habt aufgehört, nach Klax zu suchen?“

„Richtig.“

„Hä?“

„Wir haben wichtige Informationen erhalten.“

„Ne du, das will ich alles gar nicht wissen. Mir geht’s hier gut mit dem Degos und meinem Fernseher. Bin glücklich arbeitslos und Hartz-IV-Empfänger. Der Staat zahlt die Wohnung, mein Bier und nebenher verdiene ich was, indem ich im Altersheim Pornos an die Opas verhöker, die die eh nie angucken können, weil keiner von denen Ahnung hat, wo genau man den USB-Stick hineinstecken muss, damit die Tittenfilmchen abgespielt werden.“

„Ich habe noch eine Erkenntnis für dich.“

„Raus damit.“

„Ich werde die Suche nach Klax persönlich fortsetzen.“

1 Oder Uli Hoeneß vom FC Bayern beziehungsweise Ihre selbst eingefügte Fußball-Figur, Sie erinnern sich? Nein? Na auch egal …

6.

„Ach komm, Horst“, sagte Phill und gestikulierte seinem Exschwager, es bleiben zu lassen. „Lass ma gut sein“, wehrte Phill ab. „Ich beleidige dich nur ungern, aber deine Inkompetenz scheint geradezu grenzenlos zu sein. Dein Karrierelebenslauf sieht noch schlimmer aus als meiner. Schau dich doch an in deinem Trenchcoat und Hut mit Krempe. Wie oft musst du Columbo gucken, damit du am nächsten Tag weißt, was du zu tun hast?“

„Ich verbitte mir diese Anschuldigungen“, fuhr ihn Horst Seenot streng an. „Ich will dir helfen. Und außerdem musste ich mir die Columbo-DVDs kaufen, seitdem ZDF Info die Folgen nicht mehr wiederholt.“

„Hast du keinen Blu-Ray-Player?“

„Einen was?“

„Egal“, sagte Phil.

Es war bereits Nachmittag und Phill steckte noch immer in seinem besten Anzug. Das Einzige, was noch sauber war. In der Ecke lag ein riesiger Haufen an ungewaschener Wäsche. Er war inzwischen zwar arbeitslos und etwas verbittert, wie ein Schwein stinkend im eigenen Saft sitzen wollte er dennoch nicht. Das hielt er für ein Klischee. Trotzdem versuchte er, nicht allzu fröhlich zu wirken, was, wie er wusste, gesellschaftlich nicht gebilligt wurde. Denn wenn man ein Kind verlor und auf die Nachfrage nach dem werten Befinden mit „besser als je zuvor“ reagierte, hielten einen die Leute schnell für verrückt. Und wer wusste, wo Phill dann landete. Er hatte keine Lust, dass ein Fremder mit der Macht, seinen Geisteszustand zu beurteilen, ihn für immer irgendwo einsperren konnte. Deshalb hatte er sich eine Krücke geschaffen. Ein DIN-A0-Poster. Groß drüber die Aufschrift „Das ist Klax“. Ein Pfeil zeigte auf ein Bild darunter. Die Bildunterschrift lautete: „Vermisst seit UNBEKANNT.“ Phill war schon immer schlecht mit Details wie Tagen und Uhrzeiten. Darunter stand noch: „Du liebst ihn und vermisst ihn.“

Manchmal stand er vor dem Poster und las den Text nach, um sich zu erinnern. Dann konnte er auch wahrheitsgetreu zu allen sagen, die fragten: „Ich schaue mir jeden Tag sein Bild an. Ich liebe und vermisse ihn.“

Und da soll mal noch jemand behaupten, er wäre ein Trottel.

„Wenn du nicht willst, dass ich dir bei der Suche helfe“, sagte Horst Seenot, „dann halt nicht.“ Trotzig verschränkte er die Arme und schaute in eine andere Richtung.

„Alte Schmollbacke“, sagte Phill und pikte ihn in die Rippen. „Was ich aber wirklich dringend brauche, ist die Leiche des Kleinen.“

„Du willst ihn begraben, trauern. Ich verstehe schon, die fünf Phasen durchlaufen.“

„Quatsch. Für die Versicherung. Ohne Todesurkunde keine Prämie und die wird erst ausgestellt, wenn seine Leiche gefunden wurde.“

„Wie bitte?“, fragte Horst entsetzt.

„Olga und ich haben eine Lebensversicherung für Kinder abgeschlossen. Ist der neuste Schrei. Kostet nur 100 € im Jahr und wenn jemand dein Kind ermordet oder psychisch derart vergacklemmert, dass es nur noch sabbernd in der Ecke hockt und mit den Bauklötzen das Wort ‚töten‘ bildet, gibt’s Geld.“

„Ich verstehe, für die Beerdigung und Therapie. Vielleicht um das Kinderzimmer für ein Adoptivkind neu einzurichten. Eine makabere Idee, aber ein hilfreicher Schritt auf dem Weg zurück ins Normale.“

„Auch alles Quatsch. Will mir von dem Geld eine Korvette kaufen. Wollte schon in meinen Jugendjahren so ein Ding, aber dann wurde deine Schwester schwanger und meine Träume sind bei der Geburt mit der Soße, die daneben dem Baby aus ihr rausgeschwappt ist, weggespült worden.“

„Du willst dir ein Kriegsschiff kaufen?“

„Warum sollte nur ein Staat mit einem eigenen Militär so etwas besitzen? Ich habe schon immer eins haben wollen, seitdem ich Waterworld gesehen habe.“

„Es ist mir ein Rätsel, wieso meine Schwester dich verlassen hat“, sagte Horst in sarkastischem Ton.

„Mir nicht. Sie wollte schon seit einer Weile zurück nach Russland und versuchen, die UDSSR wieder aufzubauen. Ich will gar nicht wissen, wie oft sie Lenins Biografie gelesen hat. Am Ende landet sie bestimmt in irgendeinem Arbeitslager. Wenigstens ist sie dann unter Gleichgesinnten.“

„Hast du eigentlich die Zeitungen mal durchgeblättert?“

„Schon. Hab aber irgendwann aufgehört. Mir ist schleierhaft, wer diesen Papiermüll kauft, nur um den Cartoon zu lesen. Ich hol mir immer alte Comics aus den eBay Kleinanzeigen.“

„Dann kennst du gar nicht die Geschichte von Herbig, dem Mörder, den die potenzielle Mörderin deines Sohnes getötet hat.“

„Ne? Und was heißt hier potenziell. Die hat Klax auf dem Gewissen, ist doch logisch. Die Puzzleteile passen ineinander wie bei äh …einem Puzzle.“

„Scheinbar war Mariam besessen vom Töten. Sie hat Flugblätter nach Eheberatungen verteilt. ‚Wie man ihn kalt macht und damit wegkommt‘. Sogar einen eigenen YouTube-Kanal hat sie gehabt, in dem sie verschiedene Methoden des Tötens und der Leichenbeseitigung vorgestellt und an einer Beispielperson demonstriert hat.“

Phill nahm sein Smartphone zur Hand und suchte unter den Kanälen, dem das LKA Berlin folgte, den YouTube Channel von Mariam Karkuffian. Im ersten Video stach sie einen Fahrkartenkontrolleur mit einem Messer nieder, zerteilte ihn mit einer elektrischen Säge in der Badewanne und wies darauf hin, dass man beim Morden auch auf das Budget achten müsse. So ein Mehrfachmord könne ins Geld gehen. Immerhin müssten Messer scharf sein und die Leiche müsse man effektiv verschwinden lassen. Natürlich sei auch die Inflationsrate zu beachten, wenn man um die Jahreswende herum morde, dann sei da der Strom und die Kosten für große Gefrierschränke im Sommer. Phill hätte sich nie träumen lassen, dass es derart aufwendig war, jemanden umzubringen.

„Nett“, sagte Phill und klickte auf die Videoempfehlung, welche ihm nach der Anleitung zu Mord vorgeschlagen wurde. Eine Lesung von Sebastian Fitzek.1

„Das ist doch total verrückt, oder?“, fragte Horst Seenot.

„Aber ich kann dir noch was viel Verrückteres zeigen“, sagte Phill. „Warte hier.“

Phill verließ den Raum. Nebenan zog er sich nackt aus und schlüpfte in einen Slip mit Spitze, Stiefel, eine Jeans und setzte sich einen ausgestopften BH auf. Drüber kamen eine Jeansbluse und auf seine Nase eine Brille mit großen runden Gläsern. Fehlte nur noch die Perücke mit schulterlangen grauen, geriffelten Haaren. Mit einer Winchester dazu trat er ins Wohnzimmer. In voller Travestie.

„Was um alles in der Welt“, sagte Horst und sprang vom Sofa auf.

„Ich bin Jamie Lee Curtis aus dem neuen Halloween-Film von 2018.“

„Und warum?“, fragte Horst entgeistert.

„Klax und ich wollten ins Kino. Weil ich aber nicht zum dritten Mal Incredibles 2 anschauen wollte, haben wir uns Halloween reingezogen.“

„Verdammt, Phill, was denkst du dir bei so was? Der Kleine hat nächtelang nicht schlafen können.“

„Korrekt. Die Michael-Meyers-Puppe mit Maske, die ich in seinen beleuchteten Kleiderschrank gestellt habe, tat ihr Übriges. Bis ich mich verkleidet habe und durch die Tür den bösen Boogeyman erschossen habe.“

„Irgendwie glaube ich“, sagte Horst und betatschte seinen

Kropf am Hals, „dass die Liebe zum Kommunismus nicht

der einzige Grund ist, warum dich meine Schwester verlas-sen hat. Ich muss dir noch was zeigen.“

„Was für ein eindrucksvoller Tag“, sagte Phill und stützte sich auf die Winchester.

„Die ist doch nicht geladen?“, fragte Horst.

„Keine Ahnung, hab ich am Hauptbahnhof bei einem Kerl gekauft, der Waffen aus dem Kofferraum vercheckt hat.“

„Auf jeden Fall“, sagte Horst und griff in seinen Trenchcoat, „hat man das hier letztens in Mariams Zahnputzbecher im Gefängnis gefunden.“ Er hob die Figur eines Borgs hoch.

„Verdammte Scheiße“, schrie Phill, ließ die Winchester fallen und ging auf die Figur los. Ein Schuss löste sich und Glas splitterte.

„Die verdammten Sammelfiguren waren im Borgschiff. Natürlich“, sagte er und drehte die Figur in seiner Hand umher. „Es hat ihr nicht gereicht, meinen geliebten Faxe zu töten.“

„Klax“, korrigierte ihn Horst mit kalter Stimme, „Faxe ist ein Bier. Dein Sohn heißt Klax.“

„Hat dieses Scheusal von einem Mensch auch noch die Figuren mitgehen lassen. Damit war das Raumschiff so gut wie nichts mehr wert. Schlappe 200 Euro, aber auch erst, nachdem ich es ‚Mörder Raumschiff‘ genannt habe. Vielleicht kann ich den Deal noch geradebiegen. Wo sind die anderen drei Figuren?“

„Man hat nur die eine gefunden.“

„In ihrem Zahnputzbecher?“

„Richtig.“

„Dann schaut in ihren Nachttisch und in ihr Klo. Klemmt ihr die Pobacken auseinander und lasst Dr. Bieder seinem Hobby nachgehen. Mir egal, findet die Dinger.“

„Ich glaube nicht, dass das irgendwen außer dir interessiert“, sagte Horst, „verstehst du denn nicht, was das bedeutet?“, bangte er, gehört zu werden, „Mariam ist tatsächlich der Mörder deines Sohnes. Na ja, oder es war Herbig, den sie wiederum getötet hat. Auf jeden Fall hat sie danach die Leichen verschwinden lassen, in ihrer Gründlichkeit.“

„Dass sie ihn umgebracht hat oder der andere Kerl, ist doch schon ein alter Hut“, sagte Phill, winkte ab und lud die Winchester durch. Eine Patrone flog ins Zimmer. „So was. Deswegen hat der Kerl also gesagt, die Munition gibt’s pour rien.“

„Das ist Französisch für umsonst.“

„Und so was am Berliner Hauptbahnhof.“ Phill kratzte sich mit dem Lauf der Winchester an der Nase. „Horst?“

„Ja?“

„Was würdest du mit dem Mörder deines Kindes machen?“

„Zu Tode foltern“, sagte der wie aus der Winchester geschossen.

 

„Nett. Aber ich glaube, ich würde Mariam lieber dazu bringen, mir die anderen Sammelfiguren zu geben und mir zu verraten, wo Brax’ Leiche liegt.“

Horst kniff die Augen zusammen und senkte den Kopf, genervt seufzend.

„Ups. Das war schon wieder der falsche Name, oder?“, sagte Phill. „Bitte entschuldige, ich hab das Poster mit seinem Bild heute noch nicht so oft gesehen. Ich wills immer vors Klo hängen oder besser noch hinter die Tür vom Klo, aber du weißt ja, gute Vorsätze sind keine handfesten Taten. Wenn ich die Leiche habe, kann ich mir die Korvette kaufen, und wenn der Sammler, dem ich das Raumschiff vertickt habe, die Figuren noch will, gleich noch das schöne Kriegsschiff volltanken.“

„Laut dem größtenteils sinnentleerten Geschwafel in der Klinik“, setzte Horst Seenot an.

„Klinik?“, fragte Phill.

„Der gegenwärtige Aufenthaltsort der Mörderin deines Sohnes.“

Phill hob einen Finger. „Potenziellen Mörderin.“

„Sie soll weiterhin Videos aufnehmen, die noch nicht veröffentlicht worden sind. Mit dem Smartphone, das sie einem Wärter abgenommen hat und unter ihrer linken Brust versteckt.“

„Bäh“, machte Phill und streckte die Zunge raus, „weniger Details bitte. Wenn du mir jetzt sagst, wo sie das Ladekabel versteckt, schmeiß ich dich raus.“

„In einem der Videos soll ein Kind in einem Schlafanzug mit Monden darauf im Hintergrund auftauchen. Hat Klax nicht so einen getragen, als er verschwunden ist?“

„Ah, und du bist hier, um mir das alles zu sagen? Wirkt eher wie ein Vorwand, um mich zu motivieren. Warum greift ihr der Guten nicht unter die linke Titte und schaut euch das Video an?“

„Mach du doch!“

„Ich?“

„Ja du.“

„Na gut“, sagte Phill in vollem Jamie-Lee-Curtis-Kostüm. „Mal sehen, ob sie mich in die Anstalt lassen, in die Mariam bald verlegt wird.“

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