Von Casanova bis Churchill

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Auszüge aus Karl Friedrich Schinkels Reisetagebuch, 1824

Den 22. Juli. Nach Basel ist’s von Freiburg eine mittelmässige Tagereise; wir machten auch diese Fahrt noch mit unserm Fuhrmann aus Baden. Das Land bleibt angenehm, aber ganz überraschend ist der Anblick, wenn man auf dem Abhang vor Basel ankommt. Man sieht hier noch keine Alpen, aber die Gebirge hinter Basel nehmen sich schon ganz ausserordentlich schön aus, und von dem Abhange, welcher die Schwarzwaldgebirge schliesst, bis zu jenen Gebirgen dehnt sich ein reiches Tal, welches der Rhein in vielen Krümmungen durchströmt. Man sieht Basel und auf der französischen Seite Hüningen liegen. Um zwei Uhr waren wir im Wirtshause, nachdem wir die Rheinbrücke passiert hatten, welche, teils von Holz, teils von Stein, verschiedene Schicksale erlebt hat. Der Rheinstrom mit grüner Alpenwasserfarbe stürzt reissend durch die Brücke. Zu beiden Seiten bildet die alte Stadt sehr malerische Ufer; man sieht hochaufgemauerte Terrassen mit Lauben, Wein- und Blumengärten, unter denen die hohe, mit Lindenbäumen besetzte Terrasse, worauf der alte, die Altarnische gegen den Strom kehrende Dom liegt, die schönste ist. Nicht minder anziehend ist die Aussicht von derselben auf die Stadt und die Gebirge; altertümlicher rücksichtlich der Gebäude und grandioser in Beziehung auf die Landschaft, übertrifft dieses Panorama noch den Blick, den man von der Dresdener Terrasse hat. Nach Tisch gingen wir in die Bibliothek, wo eine Sammlung schöner Handzeichnungen und Bilder des jüngern Holbein gezeigt wird. Am trefflichsten darunter sind: erstens das Porträt einer Mutter mit ihrem Kinde und einem Knaben; ein schmerzlicher Familienausdruck ist darin herrlich aufgefasst; zweitens Holbeins Porträt, mit Kreide gezeichnet, nebst andern Porträts in gleicher Manier; drittens ein Porträt von Erasmus von Rotterdam, und viertens ein paar Porträts, Mann und Frau darstellend, welche in duplo hier existieren. Der alte Dom ist nicht gross, aber die byzantinischen Teile daran sind interessant und mit mancherlei sonderbaren Skulpturen versehen. In einem der angenehmen Gärten, welche die reichen Leute in der Stadt besitzen, finden sich mancherlei Antiquitäten, als Zeugnisse für die alte römische Gründung der Stadt. – Bei den teuren Preisen, die durchgehends in der Schweiz herrschen, sahen wir uns genötigt, unsern alten Fuhrmann auch auf morgen und übermorgen noch bis Bern zu mieten.

[…] Den 24. Juli. Wir reisen von Solothurn nach Bern, wo wir zu Mittag eintreffen. Der Weg bleibt reizend, wie er angefangen; man sieht immer von Zeit zu Zeit die schönen Alpenlinien vor sich, und die Schweizerhäuser mit allen ihren Wohnlichkeiten liegen überall in der Gegend auf anmutigen Rasenhügeln zerstreut, hinter denen die Berge aufsteigen. Rauschende Wasser umströmen uns in Menge.

Bern ist ein reicher ansehnlicher Ort auf einer von der Aare gebildeten Halbinsel, die ziemlich hohe Ufer hat. Die Hauptkirche liegt auf einer herrlichen Terrasse, die mit Lindenalleen besetzt und etwa einhundertunddreissig Fuss hoch über dem Fluss erhaben ist. Man sieht in dessen grünes Wasser hinab, wo derselbe in seiner ganzen Breite von vielleicht vierhundert Fuss über ein Wehr sanft hinabstürzt und ein köstliches Rauschen, wie das des Meeres, verursacht. Die jenseitigen Ufer, schöne Rasenabhänge, sind mit Landhäusern besetzt; darüber erblickt man den grössten Teil der Gletscherkette. Es war vor Tische gerade noch Zeit, ein Bad zu nehmen. Die öffentliche Badeanstalt liegt unter der Terrasse der Kirche an dem stürzenden Wehr des Flusses. Hier führte uns Brandt hinunter; die Treppe ist neben der Terrassenmauer bedeckt angelegt, welches bei der Mittagshitze sehr wohltätig erscheint. Entsetzlich war es aber, dass wir beim Eintritt ins Bad gefragt wurden, ob wir ein bain garni, das heisst mit einem Frauenzimmer, verlangten; auch zeigten sich viele dergleichen in den Korridoren, in allerlei Schweizertracht ausgeputzt. Wären die Bäder nicht schon für uns präpariert gewesen, so würden wir, bei dieser öffentlichen Frechheit, einer vom Staate beschützten Einrichtung, umgekehrt sein. Während des Badens hörten wir draussen das Gesindel den Jungfernkranz aus dem Freischütz singen und sich sonst noch sehr laut machen. Wir waren froh, aus dieser Wirtschaft wieder herauszukommen, obwohl die Bademeister und die bejahrten Frauen, welche die Wäsche bringen, ganz solide und ordentlich schienen. […]

Den 25. Juli. Brandt ist gestern abend schon mit einem Char-à-banc (das ist ein kleiner, baldachinartig bedeckter Wagen mit einem Pferde, wo die Personen seitwärts sitzen) voraus nach Neuchâtel gereist. Sein Fuhrmann war ein Junge von fünfzehn Jahren, der alle Sprachen fertig sprach und angenehm aussah. Wir wollten nachkommen, hatten aber heut morgen noch keinen Vetturin, denn der Italiener war nicht gekommen. Endlich engagierten wir einen ziemlich teuren Berner Kutscher mit einem schon nach südlicher Art sehr breiten und grossen Wagen, was in der Hitze höchst behaglich ist. In Aarberg wird Mittag gemacht. Viele angenehme französische Bürgerfamilien aus der Gegend der Vogesen treffen auf der Reise mit uns zusammen, deren harmlos leutselige Weise uns anspricht. Die Kinder sind liebenswürdige Geschöpfe voller Lebendigkeit, jugendlichen Übermuts und dabei doch von reizender Bescheidenheit. Abends gelangen wir nach Neuchâtel, dessen Lage an dem weiten grünen See vortrefflich ist. Brandt hat uns Herrn Mereau, einen Landschaftsmaler und begüterten Besitzer des Orts, zugeführt, der sich ein Vergnügen daraus macht, uns die Stadt zu zeigen. Unterdessen ist Brandt nach La Chaux-de-Fonds gefahren, fünf Lieues weit, um seine Verwandten zu sehen, und will morgen nachmittag wieder bei uns sein, um die Reise nach Lausanne fortzusetzen. Die Promenaden am See sind herrlich; man hat eine enorme Wasserfläche vor sich, hinter derselben die Gebirge der Schweiz, die ganze Gletscherkette, und zur Seite die Stadt mit dem alten Schlosse, hinter welcher das Juragebirge aufsteigt. Der Menschenschlag in dieser französisch-preussischen Provinz ist durchaus ein anderer als der zu Bern, und der Wechsel tritt vom letzten Berner Orte bis zum ersten Neuchâteler ganz entschieden auf. Hier spricht alles französisch, und auch die Trachten sind französisch, die Weiber besonders weit angenehmer und zierlicher als sonst in der Schweiz.

Den 26. Juli. Herr Mereau holt uns um acht Uhr zu einem Frühstück in seinem Hause ab, welches nach hiesiger Art erstens in schönen Hammelkoteletts, Wurst, weichen Eiern und Wein, dann aus Kaffee, Früchten, besonders schönen Erdbeeren und Gebackenem besteht. Wir sehen des Malers hübsche Arbeiten, mehrere Landschaften und Studien aus der Schweiz, machen dann einen angenehmen Spaziergang um die Stadt aufs Schloss, in die alte von innen und aussen gut erhaltene byzantinische Schlosskirche, besuchen mehrere schöne Landsitze der Herren Mereau, Pourtales und so weiter, welche, von wohlgeordneten Terrassen umgeben, einer vortrefflichen Aussicht über die Stadt weg auf den See und die Schweizer Gebirge sich erfreuen. Die Terrassen sind herrlich unterhalten, mit steinernen Treppen verbunden und mit Lauben, schattigen Bäumen und den schönsten Blumen geschmückt, reizende Aufenthalte. Die Landhäuser selbst sind meistenteils sehr komfortabel eingerichtet. Das Rathaus der Stadt, ein ansehnliches Gebäude aus Quaderstein mit einem reichen Säulenvestibül, einer sehr kühnen Treppe und prächtigen Sälen ist eine würdige Stiftung eines reichen Einwohners und wird herrlich unterhalten. Die Bilder unserer Könige sind in den Sälen aufgestellt. Prächtige Öfen im grossen Sitzungssaal aus azurblauen enorm grossen Kacheln, die mit vergoldeter wirklicher Bronze aufs reichste verziert sind, machen eine schöne Wirkung und sind in ihrer Art ganz neu, indes auch höchst kostbar. Wir nehmen von unserem freundlichen Wegweiser Mereau Abschied, nachdem ich noch viel mit ihm über seinen und meinen Freund Catel in Rom gesprochen habe, dessen Manier er in der Kunst gefolgt ist.

Mit sehr hübschen französischen Damen speisen wir zu Mittag. Nachmittags erscheint Brandt, in Schweiss gebadet. Es werden noch Wechselgeschäfte gemacht, und dann geht es weiter, immer am Rande des herrlichen Sees von Neuchâtel hin. Wir sehen eine Lieue5 von Neuchâtel eine schöne steinerne Brücke in einem Halbkreisbogen von achtzig bis einhundert Fuss über einen Bach gesprengt, über welche die Strasse fortläuft. Die prächtigsten Weingärten in Nusswäldern, mit angenehmen Häuschen besetzt, liegen an den Abhängen neben der Strasse am See; hinter ihnen türmt sich das düstere Juragebirge auf. Der bedeckte Himmel, welcher uns einigemal ganz gelinden Regen sandte, brachte einen ernsthaften, aber milden Ton in die Gegend, wobei die Farbe des Sees immer saphirgrün leuchtete. Es wurde spät, als wir in einem kleinen Örtchen an der Grenze des Pays de Vaud ankamen, wo wir etwas zu Nacht assen. Unser Vetturin wollte uns trotz der Dunkelheit doch noch nach Yverdon bringen, und wir willigten ein, weil er die Strasse hundertmal gemacht zu haben vorgab; die Sache ging auch glücklich ab, obgleich wir uns, bei der Finsternis und dem Wetterleuchten in der Feme, nicht ganz gemächlich dabei fühlten. Das Bier, das uns abends halb elf Uhr zu Yverdon angeboten und als etwas Neues von uns angenommen wurde, erhitzte uns sehr; ich schlief schlecht und verdarb mir einen Teil des künftigen Tages. […]

In der Ecke des Wallisertals, im Örtchen Martigny, machen wir Mittag. Wir sitzen auf einer Wiese, ringsum von hohen Alpen umgeben und schreiben das Tagebuch. Lange Strecken waren wir durch Wasser gefahren, da eine Überschwemmung das Rhonetal heimgesucht und dem ohnehin höchst ärmlichen Volke, welches von Saint-Maurice ab hier wohnt, grossen Schaden zugefügt hatte. Schrecklich ist dieses Volk anzusehen in seiner abgemagerten, gelben Gestalt; die dritte Person, besonders unter den Weibern, hat einen scheusslichen Kropf, oder auch zwei und sogar drei, und ausserdem sieht man Crétins in Menge. Den Genuss der Pissevache störte uns eine Gesellschaft solcher Missgestalten, die Almosen forderten oder Gestein, Kristall und so weiter zum Kauf, als Erinnerung an die Kaskade, anboten. Das Tal wird hinter Martigny rauher und eintöniger, bis man sich der Hauptstadt des Valais nähert, Sion. Dieser abenteuerliche Ort kündigt sich schon aus der Ferne auffallend an. Auf beiden Seiten des Valais steigen die Berge bis zu Alpenhöhe auf, und im Tale erheben sich zwei kleinere Berge, wovon der eine, etwas niedrigere, mit wunderbar durcheinander getürmten, alten, halbverfallenen Klostergebäuden gekrönt ist, den höheren aber die weitläufige Ruine des alten Schlosses Tourbillon ziert. Etwas tiefer liegt ein zweites zerstörtes Schloss, Valeria genannt, und an den gedachten zwei Bergen klettert die Stadt Sion mit ihren sonderbaren Kirchen und befestigten Turmmauern hinauf. In der Stadt sind wenig Häuser, die bewohnt aussehen; alles scheint auf Ruinen und alten Gewölben zusammengebaut, mehr der Aufenthalt von Ratten, Eulen und Fledermäusen als von Menschen zu sein. Wir waren neugierig, wie für uns, die wir gut serviert werden sollten, hier ein Unterkommen zu finden sein würde. Dies war auch nur so eben möglich in einem Wirtshause, welches sich im Charakter nicht viel von allen übrigen Gebäuden unterschied. Nach der Ankunft bestiegen wir den höheren Schlossberg. Die ehemaligen Besitzer des Schlosses verloren allmählich ihre Rechte und ihr Land gegen den Bischof des alten Klosters auf der danebenliegenden Höhe. In den Ruinen des Schlosses fanden wir eine alte Schlosskapelle, in welcher die Wände noch mit Freskobildem von der frühesten Zeit (aus dem dreizehnten Jahrhundert) bemalt waren. Die Marmorplatte auf dem Altar schien erst kürzlich herabgestürzt worden zu sein, und die Räume wurden, nach dem vielen Dünger zu urteilen, der darinnen lag, dazu gebraucht, die auf den Felsabhängen weidenden Kühe bei Nacht aufzunehmen. Die Kreuzgewölbe waren zum Teil eingestürzt. Das Herabsteigen von diesen felsigen Höhen ist nicht bequem, und man muss wegen des Gleitens bei den Abgründen sehr achtsam sein. Eine Grotte im Felsen, welche weiter unten, zwischen den angelehnten Häusern, unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, weil vielerlei Menschen herauskamen, lockte uns hineinzugehen. Es war ein Durchgang durch den Felsen, um nach einer anderen Seite der Stadt zu gelangen. Zwischen den Trümmern der Schlösser und des Klosters und ein paar neuen bewohnten Gebäuden, die indes auch das Ansehen von Ruinen hatten, vermehrten einige Pfauen, welche hier und da auf den Schornsteinen sassen, den wunderlichen Eindruck dieses schauerlichen Ortes.

 

Quelle: Karl Friedrich Schinkel: Reisen in Italien, der Schweiz, Frankreich und England. Aus Tagebüchern und Briefen. Aarau: Sauerländer 1968, S. 61–70.

1828
James
Fenimore
Cooper

Paris —

Neuchâtel —

Bern —

Berner Oberland —

Bern —

Schaffhausen —

Rigi —

Luzern —

Bern —

Bad Pfäfers —

Chur —

Bern —

Lausanne —

Genf —

Bern —

Florenz

Die Taminaschlucht, die «Unterwelt», die James Fenimore Cooper 1833 besuchte. Gemalt von Édouard Pingret, lithografiert von Gottfried Engelmann (1826).

Ich murmelte fast immer das Wort «unterweltlich» vor mich hin, und ich glaube, dies Beiwort bezeichnet diesen Ort am besten.

James Fenimore Cooper (1836)

Wer den Namen James Fenimore Cooper hört, denkt sogleich an die Lederstrumpf-Abenteuer, an Indianer, Prärie, Pioniere und Scouts – etwa in dieser Reihenfolge oder einer anderen. Der Amerikaner Cooper hat wie später Karl May die Vorstellungen vom «Wilden Westen» massgeblich mitgeprägt. Er war aber auch ein Kenner des Alten Europa, das er im Rahmen einer sehr ausgedehnten Grand Tour bereiste, die insgesamt sieben Jahre dauerte, von 1826 bis 1833. Der Anlass war Coopers Wunsch, seinen fünf Kindern eine europäische Erziehung und Ausbildung angedeihen zu lassen. Und so schiffte sich die kleine Reisegesellschaft am 1. Juni 1826 in New York ein: Cooper, seine Ehefrau Susan, die vier Töchter Susan, Caroline, Anne und Marie, der Sohn Paul und der Neffe William, der als Sekretär und Kopist tätig war.

Zweimal besuchte Cooper im Lauf dieser sieben Jahre die Schweiz, 1828 und 1832. Dabei blieb ihm genug Zeit, das Land in alle vier Himmelsrichtungen zu erkunden. Er absolvierte ein gewaltiges Programm auf den kanonischen Routen, inzwischen vorgespurt durch Generationen von Reisenden: Zürich, Luzern, Genf, Einsiedeln, die Hohle Gasse Tells, Rousseaus Sehnsuchtsorte am Genfersee, die Schlachtfelder von Morgarten und Sempach, die Blüemlisalp, die Taminaschlucht und dazu ein paar Dutzend weitere Wasserfälle, Seen und Berge.

Beim ersten Aufenthalt im Jahr 1828 richtete er sich mit seiner Familie für drei Monate in Bern ein. Er mietete ein Landhaus ausserhalb der Stadt, «La Lorraine» genannt, und unternahm von dort aus sternförmig mehrere ausgedehnte Exkursionen und Märsche, ausgerüstet mit Regenmantel, Wanderstock, Ebels Reiseführer und einem Vorrat an Schokolade. Eine erste Kurzreise führte ihn ins Berner Oberland, eine zweite an den Rheinfall und auf die Rigi, eine dritte nach Bad Pfäfers und Chur, die vierte an den Genfersee. Auf seinen Streifzügen verglich Cooper immer wieder die amerikanischen Landschaften mit den schweizerischen, ja für sein daheim gebliebenes amerikanisches Lesepublikum dachte er sich ganz besondere Strategien aus, wenn er etwa den Walensee ausgehend vom Panorama der Catskill Mountains beschreibt: «Sie brauchen nichts, als den höchsten Gipfel, den Round Top, abzuschlagen, bis eine etwas unregelmässigere Abdachung entsteht, sodann seiner Höhe noch die Hälfte hinzuzufügen, und ihn alsdann, längs dem Rand eines vollkommen klaren Gewässers, etwa zehn englische Meilen weit an beiden Seiten auseinander zu dehnen, die Felsen danach gelegentlich mit einigen Hütten, Dörfern, Alpenmatten zu verzieren, noch ein paar Dörfer unter den zackigen Abstürzen hinzubauen, dann wird Ihre Ansicht des Wallenstädtersees ziemlich vollständig dastehen.»

1832 weilte er für vier Wochen in Vevey und schrieb dort an einem Roman mit dem verheissungsvollen Titel Der Scharfrichter von Bern oder das Winzerfest (1833). Cooper hat darin wortgewaltig einen Schneesturm auf dem Grossen Sankt Bernhard (er unternahm extra eine Tour dorthin, um alles authentisch schildern zu können) und ein Gewitter über dem Genfersee beschrieben – das konnte er, war er doch selber jahrelang bei der Marine und hatte auch eine Reihe von Seeromanen geschrieben. Er galt als ein zweiter Vernet, als ein Maler von Seestürmen, wie ein Rezensent lobend anerkannte. Und bei seiner Beschreibung des Winzerfests in Vevey zeigt er wahrhafte Reporterqualitäten. Der Plot an sich ist dagegen nicht gerade als Meisterwerk zu bezeichnen; kein Wunder, wird der Roman heute kaum mehr gelesen. Schon ein zeitgenössischer Kritiker mokiert sich über die Länge des Romans und darüber, dass der «langweilige Mann aus den Vereinigten Staaten» nicht fertig werden kann: «Schon hundert Seiten sind wir damit beschäftigt, uns in den Kahn zu setzen und über den See zu fahren, aber immer hält noch etwas auf.»

Was hingegen die Lektüre sehr lohnt, ist seine Schilderung der Taminaschlucht bei Bad Pfäfers, die er konsequent als Gang in die Unterwelt gestaltet (siehe Originaltext). Als Cooper 1828 nach Bad Pfäfers kam, waren die grossen Modernisierungen noch nicht im Gang. Ein Bäderführer aus dem Jahr 1868 schildert die damaligen Zustände im Umfeld der heissen Quellen, dort, wo sich die Schlucht zu einem domartigen Gewölbe weitet: «Einzelne Bretter, meist nass und schlüpfrig, ohne Befestigung, ohne Geländer gegen die zu Füssen tobende Tamina, bildete den zitternden Steg, so dass noch Ebel, in seiner Anleitung, die Schweiz zu bereisen› dem Fremden anräth, den Besuch nur zwischen zwei hintereinander gehenden Männern, die nach der Tamina-Seite eine Stange tragen, dem Fremden zum Schutze dienend, zu wagen. Später wurde ein fester Brettersteg mit einer schützenden Rampe erstellt, allein er schwebte immer noch frei auf Tragbalken über der Tamina, war dem Steinfall ausgesetzt und wurde im Winter von herabfallenden Eismassen meist zertrümmert, endlich, war er zu schwach, die immer umfangreicheren Wasserleitungen für Pfäfers und Ragaz zu tragen.» Erst 1857 wurde ein Weg in den Fels gesprengt.


James Fenimore Cooper (1789–1851) auf einem Porträt von 1835.

Bad Pfäfers war eine Entdeckung aus dem Mittelalter (der Überlieferung nach sollen Jäger per Zufall auf das badewannenwarme Wasser von 36,5 Grad gestossen sein), sein Ruhm war weitherum verbreitet, es wurde später in einem Atemzug mit Baden-Baden, Budapest oder den Bädern von Wien genannt und galt als «Königin der Bäder im Abendland». Das kostbare Heil- und Kurwasser wurde in Fässern nach ganz Europa verschickt.

Anfangs badeten die Kranken direkt in der Schlucht, in Felswannen und hölzernen Bottichen. Wer konnte, stieg über Leitern ab, wer sich nicht traute oder körperlich nicht dazu in der Lage war, wurde in Körben herabgelassen. Die Patienten blieben manchmal zehn Tage ohne Unterbrechung im Wasser. Das heilende Nass sollte die Haut so auflösen, dass die Giftstoffe entweichen konnten, war die medizinische Idee hinter diesem Vorgehen. Ab 1350 wurden hölzerne Badehäuser quer über die Schlucht gebaut. Mitte des 15. Jahrhunderts badeten die Kurgäste noch sechs bis sieben Tage ununterbrochen im warmen Wasser. Eine einzige Nacht ausserhalb des Bades diente der Erholung. Unter anderem besuchte der todkranke Reformator Ulrich von Hutten 1523 die warmen Quellen von Bad Pfäfers, und der berühmte Paracelus war hier als Kurarzt tätig. Doch dann wurde der geniale Einfall umgesetzt, das Heilwasser mittels einer hölzernen Leitung über vier Kilometer aus der Schlucht heraus talabwärts zu leiten und dort Badeanlagen und Übernachtungsmöglichkeiten zu schaffen. Das war die Geburtsstunde des Kurorts Bad Pfäfers. 1704 bis 1718 wurden ausserhalb der Schlucht mehrere Gebäude erbaut, die zum Teil noch stehen – eine barocke Badeanstalt. In diesen Gebäuden übernachtete auch Cooper. Noch im 18. Jahrhundert badete man bis zu zehn Stunden täglich. Doch allmählich war das sogenannte Ausbaden überholt. Man liess sich mehr Zeit und fuhr zu einem drei- bis vierwöchigen Kururlaub. Gebadet wurde nun täglich einmal, aber nie länger als eine Stunde, in einem wollenen oder leinenen Badehemd. Danach legte man sich eine Viertelstunde ins Bett.

Der Badebetrieb wurde seit dem Mittelalter von Benediktinermönchen geleitet, bis in Coopers Zeit hinein – erst fünf Jahre nach seinem Ragazer Aufenthalt, 1838, wurde das Kloster säkularisiert. 1838/39 zog man die Leitung bis hinunter nach Bad Ragaz und erbaute zugleich eine neue Fahrstrasse.

Cooper schilderte das Ganze wie gesagt als Ausflug in die Unterwelt. Das funktioniert hervorragend, und der Romancier hat sichtlich Spass an der Ausschmückung mit Details bis hin zum Pferdefuss, den er unter einer schmutzigen Mönchskutte vermutet. Das Beste aber kommt zum Schluss, da geht die Fantasie vollends mit ihm durch. Um dem geneigten Leser, der geneigten Leserin eine möglichst präzise Vorstellung von der Taminaschlucht zu geben, vor allem von deren Tiefe, greift er erneut zu einem schweizerischamerikanischen Vergleich: Man stelle sich vor, der höchste Turm Amerikas stünde in dieser Schlucht, dann bekäme man eine ungefähre Idee. Das ist eine rätselhafte Stelle. Das erste amerikanische Hochhaus über 100 Meter wurde erst 1899 fertiggestellt, die Taminaschlucht ist aber bis zu 200 Meter tief. Welchen Turm könnte Cooper gemeint haben? Ein unterirdischer Wolkenkratzer in Bad Pfäfers, in jener urtümlichen Schlucht, das ist jedenfalls ein filmreifes Bild, das schon weit in die Zukunft weist.