Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter

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3.6 Verlauf

Am häufigsten beginnen Zwangsstörungen bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren, ein Auftreten ist jedoch bereits mit 2 bis 5 Jahren möglich (Geller, 2006; Garcia et al., 2009; Renner & Walitza, 2006). Der Beginn der Störung in der Kindheit oder Adoleszenz kann zu einer lebenslangen Zwangsstörung führen bzw. führt zu einem chronischen Verlauf (Falkai & Wittchen, 2015). In manchen Untersuchungen wurde ein um zwei bis drei Jahre früherer Beginn der Störung bei Jungen als bei Mädchen beobachtet (Vloet, Simons, & Herpertz-Dahlmann, 2012). Somit sind in der Kindheit mehr Jungen als Mädchen von Zwangsstörungen betroffen, im Erwachsenenalter sind Frauen hingegen geringfügig häufiger betroffen (Falkai & Wittchen, 2015).

Ein früher Beginn (vor dem 7. Lebensjahr) ist öfter mit anderen Zwangssymptomen als den häufigen Wasch- und Kontrollzwängen verbunden, etwa dem zwanghaften Einhalten eines bestimmten Atemmusters oder dem Bestehen auf die Verwendung bestimmter Gegenstände (z. B. von Bleistiften einer bestimmten Farbe).

Die Zwangssymptome können entweder abrupt auftreten oder sich allmählich über einen längeren Zeitraum entwickeln. Bei einem schleichenden Beginn kommen die Kinder oft erst nach einigen Jahren in Behandlung (Adams, 1973). Bei einem größeren Teil der PatientInnen wurde außerdem beobachtet, dass einige Jahre vor dem eigentlichen Krankheitsbeginn Mikroepisoden auftreten, in denen die Kinder eine auffällige Rigidität des Verhaltens und repetitive Rituale zeigen (Rapoport & Swedo, 2002).

Akute auslösende Umstände sind retrospektiv nur bei einem Teil der Fälle zu ermitteln. Dies können sowohl Belastungen in der Familie (Streit und Spannungen zwischen den Eltern) als auch in der Schule sein (Henin & Kendall, 1997).

Obwohl sich insgesamt eine hohe Persistenz der Zwangsstörung feststellen lässt, ändert sich die Art der Symptome bei einem größeren Teil der Kinder und Jugendlichen über die Zeit: Neue Anzeichen können sich ausbilden, während frühere in den Hintergrund zurückgehen, um nach einiger Zeit wieder stärker hervorzutreten. So entdeckten etwa Rettew, Swedo, Leonard et al. (1992), dass von über 70 Kindern im Verlauf einer längeren Nachuntersuchungszeit keines das gleiche Symptomprofil beibehielt.

3.7 Ursachen

Familiäre Belastungen

Bereits in früheren Berichten wurde betont, dass in den Familien von Kindern und Jugendlichen mit einer Zwangsstörung oft auffällig stark auf Sauberkeit geachtet wird und dass sich zwanghaftes Verhalten häufig auch bei anderen Familienmitgliedern findet (Adams, 1973). Untersuchungen der letzten Jahre konnten dies bestätigen. Die Häufigkeit der Beeinträchtigung ist bei Vätern deutlich größer als bei Müttern. Dies betrifft sowohl eine Zwangsstörung im engeren Sinn, deren Häufigkeit bei Eltern von Kindern mit Zwangsstörungen insgesamt auf etwa ein Sechstel geschätzt wird, als auch eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung (Lenane et al., 1990). Neben der Zwangsstörung sind bei den Eltern auch andere psychische Störungen, etwa Depressionen, häufig festzustellen (Rapoport, Elkins, Langer et al., 1981).

Es wurde darauf hingewiesen, dass die Ähnlichkeit der Symptome von Eltern und Kindern selten so groß ist, dass eine direkte Nachahmung einzelner Kennzeichen angenommen werden kann. Die Möglichkeit einer Prägung eines allgemeineren Verhaltensstils in der Erziehung durch die Eltern wird hingegen nicht ausgeschlossen (Henin & Kendall, 1997). So wird darauf hingewiesen, dass die Familien oft isoliert sind und wenig Kontakte nach außen aufweisen und dass nicht nur besonderer Wert auf Sauberkeit gelegt wird, sondern dass die Eltern auch hohe Erwartungen an die Leistungen der Kinder haben und die Erziehung durch relativ viel Strenge und Rigidität gekennzeichnet ist.

Genetische Belastung

Trotz früher Hinweise auf die Bedeutung genetischer Faktoren liegen bisher keine größeren Adoptions- oder Zwillingsuntersuchungen vor. Erste kleinere Familienuntersuchungen, die die Häufigkeit von Zwangsstörungen bei Verwandten ersten Grades verglichen, zeigten allerdings eine deutlich höhere Belastung als in Familien anderer psychiatrischer PatientInnen (10 % vs. 1,9 %) (Pauls, Alsobrook, Goodman et al., 1995). Im DSM-5 wird bestätigt, dass Personen mit einer Zwangsstörung (im Vergleich zu Personen ohne Zwangsstörung) zweimal so häufig einen Verwandten/eine Verwandte ersten Grades mit einer Zwangsstörung haben. Sollte die Zwangsstörung im Kindesalter begonnen haben, ist der Anteil der Verwandten ersten Grades mit einer Zwangsstörung zehnmal so hoch (Falkai & Wittchen, 2015). Rapoport und Swedo (2002) legten erste Ergebnisse vor, die auf eine höhere Konkordanz unter ein- als unter zweieiigen Zwillingen hinwiesen. Sie berichteten auch, dass die genetischen Risiken die Zwangsstörung mit den Tic-Störungen zu verbinden scheinen. Neuere Untersuchungen gehen von einer Konkordanzrate von 0,57 bei monozygoten und von 0,22 bei dizygoten Zwillingen aus (Falkai & Wittchen, 2015). Ein Überblick über die involvierten Gene geben Pauls und seine Mitarbeiter (2014).

Psychologische Mechanismen

Zur Erklärung der Zwangsstörung haben die verschiedenen Schulen der Klinischen Psychologie jeweils unterschiedliche Mechanismen betont. In der verhaltenstheoretischen bzw. behavioristischen Tradition werden die Zwangssymptome als gelernte Reaktion zur Verhinderung von Angst verstanden. Diese Erklärung gilt als zu kurz gegriffen, sie erwies sich jedoch als bedeutsam für die Entwicklung therapeutischer Maßnahmen. Die größte Bedeutung für die Erklärung psychologischer Mechanismen bei der Entstehung der Zwangsstörung wird heute den kognitionspsychologischen Ansätzen zugesprochen.

Der kognitionspsychologische Ansatz betont einerseits das magische Denken sowie bestimmte kognitive Verzerrungen, die überall eine Bedrohung sehen, welche nur durch Zwangshandlungen aufgehalten werden kann. Andererseits wird nach Abweichungen im Denken gesucht, die das wiederholte Ausführen von Kontrollhandlungen und anderer Teilhandlungen im Rahmen einer Handlungssequenz erklären können. Als Mechanismen, die zur Ausbildung dieses Denkstils beitragen, werden drei Prozesse diskutiert:

– Verzerrungen in der Begriffsbildung,

– Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen und

– Unzulänglichkeiten in den Gedächtnisfunktionen.

Die Hinweise auf allgemeinere Beeinträchtigungen dieser kognitiven Prozesse sind bisher jedoch nicht sehr eindeutig. Die meiste Evidenz liegt für gewisse Beeinträchtigungen der Gedächtnisfunktionen vor, wodurch etwa bereits vollzogene Handlungen weniger behalten werden oder der Zugriff auf die Gedächtnisrepräsentationen dieser Handlungen weniger leicht fällt.

Neurobiologische Mechanismen

Mehrere Befunde deuten darauf hin, dass für die Entstehung der Zwangsstörung auch neurobiologische Mechanismen verantwortlich sein dürften. Hier sind einmal die Ergebnisse pharmakologischer Studien zu erwähnen, die für eine Regulationsstörung in Neurotransmittersystemen sprechen. Im Besonderen weisen sie auf die Bedeutung des Serotonins als zentralnervöse Übertragungssubstanz für die Zwangsstörung hin, da diese Störung durch Medikamente, die die Wiederaufnahme des Serotonins in die Nervenendigungen hemmen, gebessert werden kann, während sie umgekehrt durch Substanzen, die eine ähnliche Wirkung wie Serotonin haben, verschlechtert wird.

Andererseits gibt es Hinweise, dass eine Dysfunktion der Stirnhirnregionen sowie der Basalganglien an der Entstehung der Zwangsstörung beteiligt ist. Diese Hinweise kommen aus Untersuchungen über die Stoffwechselaktivität in verschiedenen Hirnregionen (PET), die einen erhöhten Glucose-Metabolismus im orbitalen Stirnhirn und im Nucleus caudatus bei PatientInnen mit Zwangsstörungen, die in der Kindheit begonnen haben, beobachtet haben (Swedo, Shapiro, Grady et al., 1989). Zudem gibt es auch Anzeichen, dass sich PatientInnen v. a. bei Aufgaben schwertun, die den Funktionen des Frontalhirns entsprechen (wie etwa „Money’s Road Map“; Otto, 1992). Weiters wurde gezeigt, dass Zwangssymptome bei PatientInnen mit Sydenhams Chorea, einer neurologischen Störung, die mit unwillkürlichen plötzlichen Bewegungen der Arme und Beine verbunden ist und vermutlich auf einer Störung der Basalganglien beruht, deutlich häufiger auftreten als in einer Kontrollgruppe (Swedo, Rapoport, Cheslow et al., 1989). Symptome einer Zwangsstörung treten bei zwei Dritteln bis drei Vierteln aller PatientInnen mit Sydenhams Chorea auf, wobei diese Symptome meist einige Wochen vor dem Auftreten der Chorea beginnen und ihr Schweregrad parallel zur motorischen Symptomatik verläuft. Es wird vermutet, dass es sich um eine Autoimmunreaktion auf die Basalganglien handelt (dafür spricht eine erfolgreiche Behandlung mit Immunglobulinen; Rapoport & Swedo, 2002).

Neurologische Auffälligkeiten

Beim Großteil der Kinder und Jugendlichen zeigen sich bei der neurologischen Untersuchung vermehrt sogenannte „soft signs“, also Zeichen, die nicht eindeutig auf eine neurologische Schädigung hindeuten, wie z. B. Mitbewegungen beim Gang auf den Zehenspitzen, leicht choreiforme Bewegungen, aber auch ein geringes linksseitiges Halbseitensyndrom. Darüber hinaus gibt es auch neuropsychologische Auffälligkeiten, etwa schlechte visuomotorische Fähigkeiten oder eine abnorme Sprechmelodie. Solche Auffälligkeiten standen mit einer schlechteren Prognose im Zusammenhang (Rapoport & Swedo, 2002).

 

3.8 Behandlung und Prognose

In verschiedenen kontrollierten Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die kognitive Verhaltenstherapie sowie die Pharmakotherapie als wirksame Therapien bei Zwangsstörungen angesehen werden können (Torp et al., 2015; Franklin et al., 2015; Wewetzer & Wewetzer, 2014).

Das Behandlungsverfahren der Wahl bei Zwangsstörungen ist eine kognitive Verhaltenstherapie. Bestandteile einer kognitiven Verhaltenstherapie sind eine tägliche Exposition gegenüber den unangenehmen Reizen bzw. der gefürchteten Situation, eine Reaktionsprävention, bei der keine Rituale oder Reaktionen (etwa Waschen von Händen bei einem Waschzwang) über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden dürfen (für wenigstens eine Stunde bzw. bis die Anspannung nachlässt). Ein weiterer Bestandteil ist das Training von Entspannungstechniken, um ein Unbehagen bei der Exposition zu reduzieren. In Anbetracht der Bedeutung von kognitiven Verzerrungen für das Entstehen von Zwangsgedanken ist die Erweiterung dieser klassischen verhaltenstherapeutischen Ansätze durch eine kognitive Therapie, die auf eine Klärung von widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen in Bezug auf die im Vordergrund stehenden Befürchtungen sowie die Korrektur der Verzerrungen durch Testung der Annahmen in der Realität zielt (Henin & Kendall, 1997), Erfolg versprechend. Daneben dürfte auch eine Verbesserung der sozialen Interaktionen mit anderen Kindern bzw. Jugendlichen ein wichtiger Bestandteil der Behandlung sein. In einer Metaanalyse – zur Prüfung der Effekte von Verhaltenstherapie und kognitiver Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen – konnten acht randomisierte kontrollierte Evaluationsstudien mit 343 TeilnehmerInnen einbezogen werden. Die Autoren bestätigten, dass diese Therapie ebenso effektiv war wie eine medikamentöse Therapie alleine und dass zudem bessere Ergebnisse erzielt werden konnten, wenn CBT zusätzlich zur Psychopharmakotherapie erfolgte, als wenn nur Psychopharmaka alleine verabreicht wurden (O'Kearney, Anstey, von Sanden, & Hunt, 2006). Bei Erwachsenen konnten für psychologische Interventionen sogar noch wesentlich deutlichere Effekte gezeigt werden. Im Vergleich zwischen psychologischen Interventionen und keiner Behandlung, Warteliste oder der üblichen Behandlung mit Psychopharmaka konnte gezeigt werden, dass die PatientInnen, die eine kognitive Verhaltenstherapie oder Verhaltenstherapie erhielten, nach der Behandlung eine deutlich stärkere Reduktion der klinischen Symptome erlebten als die PatientInnen der anderen Behandlungsformen. Allerdings waren keine Aussagen über die längerfristigen Effekte möglich (Gava, Barbui, Aguglia et al., 2007).

Die Effektivität einer Behandlung hängt von verschiedenen Prädiktoren ab. So zeigte die Pediatric OCD Treatment Study (POTS), dass Kinder mit einer schweren Form der Zwangsstörung, starker funktioneller Beeinträchtigung, geringer Einsicht in die Unsinnigkeit der Symptome und einer größeren Familieneinbindung in die Zwänge eine schlechtere Prognose aufwiesen (Garcia et al., 2010). Die Einsicht in die Unsinnigkeit der Symptome scheint von großer Bedeutung zu sein, da Kinder und Jugendliche mit geringer oder fehlender Einsicht einerseits von sich aus keine Hilfe suchen und andererseits auch nachgewiesen wurde, dass bei diesen Kindern die kognitive Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie nur eine geringe Wirkung gezeigt hatten. Zudem kann sich auch die Dauer der Therapie verlängern (Bloch & Storch, 2015). Nach der Nordic Long-term OCD Treatment Study (NordLOTS) scheint vor allem das Alter ein wichtiger Prädiktor zu sein. Den AutorInnen zufolge sprechen präpubertäre Kinder besser auf die Behandlung an als ältere Kinder (Torp et al., 2015).

Eltern benötigen eine intensive Beratung, um nicht zu sehr als Gehilfen in die Zwänge ihrer Kinder eingebunden zu werden. Hier haben sich Selbsthilfegruppen bewährt, weiters gibt es für die Eltern auch Bücher und Internetadressen zur Selbsthilfe (siehe etwa Rapoport & Swedo, 2002). Spezielle Unterstützungen und Erleichterungen für Betroffene (z. B. mehr Zeit bei Schularbeiten) können auch von den Schulen angeboten werden.

Medikamentöse Behandlung

Bei der Behandlung von Zwangsstörungen bei Kindern mit Psychopharmaka ist eine ganze Reihe an kritischen Aspekten zu bedenken: Zum einen sind die meisten Medikamente lediglich für Erwachsene entwickelt, geprüft und zugelassen worden. Kinder sind jedoch nicht kleine Erwachsene, sie verfügen über eine vollkommen andersartige Physiologie. Von der Wirkungsweise eines Medikamentes bei Erwachsenen kann daher nicht auf die Wirkung bei Kindern geschlossen werden. Dennoch geschieht dies häufig, weil Vergleichsstudien bei Kindern fehlen. Allerdings ist hier besondere Vorsicht geboten.

Deshalb werden in den aktuellen Guidelines des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) sehr klare Richtlinien für die Anwendung einer Psychopharmakotherapie bei Zwangsstörungen vorgegeben, die auf aktuellen Metaanalysen beruhen (NICE, 2005). Grundsätzlich sollte eine Behandlung mit Psychopharmaka bei Kindern und Jugendlichen nur in Erwägung gezogen werden, wenn kognitive Verhaltenstherapie nicht geholfen hat. Und selbst dann sollte parallel zu einer Therapie mit Psychopharmaka eine kognitive Verhaltenstherapie durchgeführt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn einem Kind oder Jugendlichen eine Therapie mit SSRI verordnet wird, da SSRI bei Kindern und Jugendlichen eine Reihe an unerwünschten Nebenwirkungen hervorrufen können. Insbesondere besteht bei manchen Kindern und Jugendlichen die Gefahr eines erhöhten Suizidrisikos. Daher müssen die Kinder und ihre Eltern über mögliche Nebenwirkungen gut in Kenntnis gesetzt und diese Nebenwirkungen inklusive der erhöhten Gefahr für suizidale Gedanken oder Taten während der Therapie genau beobachtet werden (NICE, 2005).

Eine Behandlung mit antidepressiven Medikamenten, die spezifisch die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen (v. a. Citalopram, aber auch Fluoxetin, Fluvoxamin, Sertralin, Paroxetin), kann bei Kindern wie bei Erwachsenen zu einer Abnahme der Zwangssymptome führen. Die Wirkung dieser Medikamente setzt allerdings erst nach einigen Wochen ein, was wahrscheinlich bedeutet, dass sie Folge einer längerfristigen Adaptation auf die geringere Verfügbarkeit von Serotonin ist. Die Wirkung ist nicht auf eine Verbesserung der Stimmungslage und eine allgemeinere Reduktion der Ängstlichkeit zurückzuführen, da sich in kontrollierten Untersuchungen gezeigt hat, dass sich die Zwangssymptome auch dann verringern, wenn keine Besserung in anderen Bereichen eintritt. Für eine Verringerung der Zwangssymptomatik ist die langfristige Einnahme der Medikamente notwendig, nach dem Absetzen kommt es zu einer neuerlichen Verstärkung der Symptome.

In den letzten Jahren sind auch Untersuchungen mit anderen Medikamenten mit dem gleichen Wirkungsmechanismus – Fluoxetin und Fluvoxamin – durchgeführt worden, die gleichfalls eine Verbesserung der Zwangssymptome bewirken, aber nach den bisherigen Berichten weniger Nebenwirkungen haben. Allerdings spricht nur die Hälfte der Kinder und Jugendlichen oder weniger auf die Behandlung mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern („Selective Serotonin Reuptake Inhibitors“, SSRIs) an. Zudem muss mit einer mehrjährigen Dauerbehandlung gerechnet werden. Eventuell kann ein Rückfall beim Absetzen der Medikamente durch eine kognitive Verhaltenstherapie verhindert werden (Rapoport & Swedo, 2002). Ein Review der Cochrane-Gruppe zur Wirkung der neueren Generation der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer versus Placebo bei Erwachsenen, das 17 Studien mit über 3.097 TeilnehmerInnen einschloss, konnte zeigen, dass die SSRI-Behandlung bei Erwachsenen zumindest doppelt so häufig einen deutlichen Rückgang in klinischen Symptomen bewirken konnte. Die unterschiedlichen SSRI-Medikamente glichen sich in ihren Effekten, allerdings waren die Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schlaflosigkeit unterschiedlich häufig und stark (Soomro, Altman, Rajagopal et al., 2008).

Alle weiteren Psychopharmaka sind für die Behandlung von OCD bei Kindern nicht geeignet. Insbesondere besteht für Benzodiazepine kein Nachweis der Wirksamkeit bei OCD (Ipser, Stein, Hawkridge, & Hoppe, 2009). Sie sind hierfür wegen der Gefahr von Abhängigkeit und kritischer Nebenwirkungen ungeeignet.

Nach diesen Leitlinien sollten für Kinder und Jugendliche keine anderen Trizyklischen Antidepressiva verwendet werden als Clomipramin und auch keine anderen Antidepressiva (MAOI, SNRI) (NICE, 2005).

Neben der medikamentösen Therapie gibt es auch eine Reihe an experimentellen Therapieverfahren, über deren Nützlichkeit bei Kindern und Jugendlichen allerdings noch kein abschließendes Urteil möglich ist (etwa die transkranielle Magnetstimulation; Rapoport & Swedo, 2002).

Zusammenfassung

Zwangsstörungen zählen mit einer Prävalenz von 1–3,6 % zu den häufigeren Störungen im Kindes- und Jugendalter. Sie werden unterteilt in Zwangshandlungen und Zwangsgedanken. Sie verlaufen meist chronisch mit geringer Tendenz zur Heilung. Eine Komorbidität mit anderen Störungen, v. a. der Depression, ist häufig. Ursächlich ist in vielen Fällen auch eine genetische Belastung beteiligt.

Hilfe besteht im Bewusstmachen der kognitiven Aspekte der Zwangshandlungen oder -gedanken und der Situationsexposition mit gleichzeitiger Verhinderung der Zwangshandlungen. Entspannungsübungen unterstützen dieses Vorgehen. Verschiedene Metaanalysen konnten die Wirksamkeit der Kognitiven Verhaltenstherapie bei Zwangsstörungen nachweisen. Eine gute Psychotherapie kann dieselben, wenn nicht stabilere und mit weniger Nebenwirkungen verbundene Erfolge erzielen wie eine Behandlung mit Psychopharmaka (O’Kearney et al., 2006).

Eine Behandlung mit Psychopharmaka ist nur dann angezeigt, wenn verhaltenstherapeutische Programme sich nicht als wirksam erwiesen haben. Besondere Vorsicht und eine engmaschige Beobachtung der Kinder und Jugendlichen ist zu Beginn einer Behandlung mit SSRI notwendig.

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