Die Zähmung der wilden Lorinda

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Am späten Morgen wachte Lorinda aus einem tiefen Schlaf auf. Als ihre Zofe die Vorhänge vom Fenster zurückzog, erinnerte sie sich sofort an die Aufgabe, die vor ihr lag. Angesichts der großen Probleme verhielt sie sich dennoch gelassen. Das Bewußtsein um die Unfähigkeit ihres Vaters, ihr bei der Lösung zu helfen, gab ihr Kraft. Sie dachte an ihre Mutter, sie war gestorben, als sie gerade zwölf Jahre alt gewesen war. Ihre Erinnerungen an sie waren liebevoll, gleichzeitig spürte sie, daß sie wenig Ähnlichkeit mit dem sanften, zärtlichen Wesen ihrer Mutter hatte. Sie hatte ihren Mann angebetet, war mit seinem zweifelhaften Lebenswandel einverstanden gewesen, sie hatte nichts unternommen, um das zu ändern.

Lorinda ähnelte mehr ihren Camborne-Ahnen, diesen harten Männern aus Cornwall, die große Schlachten gegen unzählige Feinde geschlagen hatten. Cornwall war das letzte Gebiet im englischen Süden gewesen, das sich damals den angelsächsischen Eindringlingen unterwarf. Und die Cambornes waren die tapfersten Kämpfer gegen König Egbert und seine Herrschaft gewesen.

Durch all die Jahrhunderte hindurch hatten die Cambornes ihre Unabhängigkeit leidenschaftlich verteidigt. In Lorindas Adern war das Feuer erhalten geblieben, das bei ihrem Vater nicht überlebt hatte. Sie würde sich niemandem unterwerfen. Sie rebellierte seit ihrer Kindheit gegen alles, was ihr einen fremden Willen aufzwingen wollte.

Ihre alte Kinderfrau pflegte zu sagen, daß sie sich drehe und wende wie ein kämpfender Ringkämpfer aus Cornwall. Genauso erging es ihr jetzt, da sie sich weigerte, sich in das Unvermeidliche, das ihr Vater jetzt heraufbeschworen hatte, zu fügen.

Lorinda ließ sich schweigend von ihrer Zofe beim Ankleiden helfen und ihr Haar in die modischen, wie vom Wind zerzausten Locken legen, die wie geschaffen dazu waren, ihr kleines, herzförmiges Gesicht vorteilhaft zur Geltung zu bringen.

Sie war nicht klein, im Gegenteil, sie war größer gewachsen als die sonstigen Frauen. Ihre Erscheinung aber war so schlank und graziös, daß in jedem Mann, der ihr begegnete, die Beschützerinstinkte wachgerufen wurden. Und das stand in schroffem Gegensatz zu ihrem erst danach zu entdeckenden eisernen Willen und zu ihrem unbesiegbaren Stolz, der ihre weiche, feminine Schönheit Lügen strafte.

Daß sie eine Schönheit war, konnte nicht in Abrede gestellt werden, und doch bezweifelte Lorinda, als sie jetzt in den Spiegel blickte, ob ihr diese Schönheit irgendein Glück beschert hatte. Sie wußte, daß der einzige Rat von den Damen der Gesellschaft lauten würde: ,Heirate einen reichen Mann!‘

Ihr war, als hörte sie die Worte, und sie wußte, daß es nur zu einfach wäre, dem Werben von Edward Hinton, Anthony Dawlish, Christopher Conway oder den anderen jungen Aristokraten, die ihr ihr Herz zu Füßen gelegt hatten, nachzugeben. ,Jeder von ihnen würde allzu gerne zu mir eilen, wenn ich ihm nur einen kleinen Wink gäbe’, dachte sie, während sie ihre Toilette beendete.

Ihr Stolz bäumte sich auf bei dem Gedanken daran, daß sie einen von ihnen als Ehemann akzeptieren sollte, nur weil es zweckmäßig war. Sie ging die Treppe mit hocherhobenem Kopf hinunter. Nein, sie würde nicht heiraten. Sie machte Pläne für die nächste Zukunft und fühlte sich wie ein Mann, der in den Kampf zog.

Als sie die Bibliothek betrat, sah sie, daß ihr Vater nicht im Bett gewesen war. Er schlief in einem Ohrensessel neben dem Kamin, und die leere Karaffe zu seinen Füßen sprach eine eigene Sprache.

Sie schüttelte ihn hart an den Schultern.

„Wach auf, Papa!“ Sie bemerkte, daß er nach Schnaps roch. „Wach auf, Papa!“ sagte sie noch einmal.

Endlich öffnete der Earl seine blutunterlaufenen Augen.

„Oh, du bist es, Lorinda, was willst du?“

„Ich will, daß du dich wäschst und umziehst“, antwortete sie. „Es ist Morgen und es gibt Frühstück, falls du etwas essen willst.“

Der Earl schauderte.

„Gib mir was zu trinken!“

Lorinda wußte, daß es keinen Sinn hatte, mit ihm zu streiten. Sie ging zu einem Tablett mit Flaschen und schenkte ihm ein Glas Kognak ein, dann hielt sie ihm das Glas verächtlich hin.

Er nahm es und trank es in einem Zug leer.

„Wie spät ist es?“

„Es ist neun Uhr. Wirst du nun nach Cornwall reisen oder willst du hier bleiben? Ich will dich aber warnen. Es wird nicht sehr bequem hier sein. Ich habe die Absicht, die Diener nach dem Frühstück zu entlassen.“

Gestärkt von dem Kognak erhob sich der Earl. Die Sonne schien durch die Fenster, die zu dem kleinen Garten führten. Die Blumen in den Beeten blühten, und Lorinda dachte daran, wie viel Arbeit es gekostet hatte, den Garten in Ordnung zu bringen.

„Es gibt noch etwas, was ich dir letzte Nacht nicht gesagt habe“, hörte sie den Earl sagen.

„Was hast du mir nicht erzählt?“

„Du hieltest mich davon ab, die ehrenvolle Lösung aus dem Unglück zu wählen“, sagte er. „Nun, dann kannst du auch die Wahrheit erfahren.“

„Die Wahrheit?“ fragte Lorinda scharf.

„Ich bin dabei beobachtet worden, wie ich gegen Ende des Spiels falschgespielt habe.“

„Du hast falschgespielt!“

Es war ein Schrei, kein Ausruf.

„Ich war betrunken und verzweifelt, ich bin nicht einmal geschickt dabei vorgegangen.“

„Wie viele Leute wissen davon?“

„Fox und drei andere Mitglieder des White’s-Clubs, die mit am Tisch saßen. Es sind alles meine Freunde, und ich nehme an, daß sie es für sich behalten werden. Ich würde es aber nicht wagen, den Club in den nächsten Monaten wieder zu betreten.“

Das war ein unerwarteter Schlag für Lorinda. Ihr war klar, daß ein Mann, der beim Falschspiel ertappt wurde, ein Ausgestoßener war und so etwas wie einen Geächteten für seine Freunde darstellte. Es gab nur die kleine Chance, daß die Freunde, die Zeuge dieses Vorfalles gewesen waren, diesen auf die Trunkenheit ihres allgemein beliebten Vaters zurückführten und nicht darüber sprechen würden. Einen Augenblick lang bedauerte sie es, daß sie ihren Vater am Selbstmord gehindert hatte, denn im Grunde war dies tatsächlich die einzig ehrenvolle Reaktion, die ihm noch übrig geblieben war.

Lorinda wußte aber auch, daß das eine noch größere Feigheit gewesen wäre. Und so sagte sie in möglichst normalem Ton: „Dann gibt es für dich gar keinen anderen Ausweg, Papa, als sofort nach Cornwall zu reisen. Nimm dir einen von den Pferdeburschen und zwei gute Pferde mit. Der Rest wird verkauft.“ In unpersönlichem Ton fuhr sie fort: „Ich werde, wenn ich mit der Reisekutsche nachkomme, deinen persönlichen Besitz mitbringen.“

„Und was geschieht mit meiner kleinen einspännigen Kutsche?“

„Da sie noch am besten von allen anderen Kutschen erhalten ist, wird sie etwas mehr Geld bringen und muß also auch verkauft werden. Ich gehe jetzt frühstücken, danach lasse ich die Diener rufen, um sie über ihre Entlassung zu informieren. Falls du mich sprechen möchtest, ich bin im Frühstückszimmer.“

Sie ging zur Tür und hörte ihren Vater leise sagen: „Es tut mir leid, Lorinda.“

Ohne sich nach ihm umzublicken, verließ sie den Raum.

2

Lorinda blickte auf den leeren Tisch in der Halle und lächelte ironisch. Fast wollte es ihr unglaublich erscheinen, daß er noch vor einer Woche voll von Einladungskarten und Blumensträußen ihrer glühenden Verehrer gewesen war.

Wenn es irgendetwas hätte geben können, das sie die Männer nun noch mehr hassen machte als sie es bis dahin schon tat, dann waren es die Reaktionen ihrer Freunde auf die Neuigkeit, daß der Earl of Camborne und Cardis seine Gläubiger nur noch durch den Verkauf aller Habe befriedigen konnte. Obwohl sich Lorinda sagte, daß sie es nicht anders erwartet hatte, war die Art, wie die gesellschaftliche Ächtung einsetzte, doch eine schockierende Erfahrung.

Noch am Tage nach dem Fest in Hampstead Heath hatte sie wie üblich Briefchen und Blumensendungen in Hülle und Fülle erhalten. Da ihr Vater noch in keinem reisefähigen Zustand war, hatte sie ihn veranlaßt, Charles Fox einen Brief zu schreiben, aus dem hervorging, daß er den Erlös aus dem Verkauf des Besitzes von dem Agenten überreicht bekäme, der mit dem Verkauf beauftragt worden war.

„Es sollte mich wundern, wenn er jemals den Rest des Geldes zu Gesicht bekäme“, knurrte der Earl, während er an dem Brief schrieb.

„Ich werde es nicht zulassen, daß du sein Schuldner bleibst“, antwortete Lorinda. „Wir werden das restliche Geld auftreiben, auch wenn es Jahre dauern sollte.“

Der Earl murmelte leise einen Fluch und goß sich einen Kognak ein. Das war zwei Tage vor seinem Aufbruch nach Cornwall gewesen.vEr nahm die zwei besten Pferde und den zuverlässigsten Pferdeburschen mit sich. Selbst das erschien Lorinda schon wie eine Art Betrug an ihrem Gläubiger, da aber Zugeständnisse gemacht werden mußten, protestierte sie nicht. Verwundert aber war sie darüber, daß ihr Vater nicht einmal gefragt hatte, ob sie ganz alleine mit allem zurechtkäme. Da sie aber wußte, daß er eher ein Störfaktor als eine Hilfe sein würde, sah sie ihn erleichtert abreisen.

Sie widmete sich nun ganz den Vorbereitungen zum Hausverkauf und ordnete an, was in ihrem Besitz verbleiben und was mit nach Cornwall kommen sollte. Zwei von den älteren Dienern, die schon lange in ihrem Haus arbeiteten, hatten sich bereit erklärt, so lange zu bleiben bis alles abgewickelt sei. Alle anderen Diener waren bereits außer Dienst und hatten von Lorinda ausgezeichnete Zeugnisse erhalten, so daß es ihnen nicht schwerfallen würde, neue Stellungen zu erhalten.

Die Firma, die sie mit dem Verkauf und der Auktion beauftragt hatte, war ganz optimistisch und machte ihr Hoffnung auf einen guten Verkaufserlös. Sie hatte ursprünglich befürchtet, daß das Haus wegen seiner Größe schwer verkäuflich sein würde. Doch bereits am nächsten Tag schickte der Agent Kaufinteressenten, die sich den Besitz ansahen.

 

Auch ein großer Teil der Bilder und der guterhaltenen Möbel konnte ohne Schwierigkeiten Käufer finden. Für die alten, abgewetzten Teppiche und Vorhänge allerdings, die sie seit Jahren nicht erneuert hatten, würden sie nichts bekommen.

Lorinda war so beschäftigt mit diesen praktischen Vorgängen, daß sie kaum die Zeit dazu fand, darüber nachzudenken, was außerdem noch geschah. Die zwei Diener, die die Kisten für Cornwall packten, und die Männer des Verkaufsagenten, die die Inventarlisten aufstellten und die Möbel nummerierten, die verkauft und versteigert werden sollten, standen sich gegenseitig im Wege.

Ein Vorfall aber verletzte Lorinda mehr als sie wahrhaben wollte. Nach all den Liebesschwüren des Lord Edward Hinton hatte sie angenommen, daß er trotz allem zu ihr halten würde. Aber schon zwei Tage nach dem Fest in Hampstead Heath erhielt sie einen Brief von ihm, der folgendermaßen lautete:

Lorinda.

Aufgrund von Umständen, über die ich keine Kontrolle habe, bin ich gezwungen, London zu verlassen. Ihnen ist ja im Verlaufe dieses Jahres nicht verborgen geblieben, welcher Art meine Gefühle zu Ihnen sind. Sie aber haben keinen Hehl daraus gemacht, daß ich Ihnen absolut nichts bedeute, dennoch möchte ich nicht abreisen, ohne mich zu verabschieden.

Leben Sie wohl, wunderschöne, grünäugige Lorinda. Ich werde Sie nie vergessen.

Edward

Lange blickte sie auf die Zeilen dieses Briefes. Da ihr Vater noch nicht nach Cornwall abgereist war, ging sie zu ihm in die Bibliothek.

„Papa, bitte sage mir genau, wer die Freunde waren, die dich im White’s Club beim Falschspiel beobachtet haben.“

Sie konnte es dem Gesicht ihres Vaters ansehen, daß er sich über die Frage ärgerte, da sie aber stehenblieb und auf seine Antwort wartete, sagte er nach einem Augenblick übel gelaunt: „Davenport und Charles Lambeth waren dort.“

„Und der Herzog von Dorset?“ fragte Lorinda.

Ihr Vater nickte. Sie verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Nun hatte sie die Erklärung für Edwards Brief.

Der Herzog und die Herzogin von Dorset hatten sie stets ihre Mißbilligung spüren lassen, und Lorinda wußte, daß sie die letzte Frau war, die sie sich zur Schwiegertochter wünschten. Der Herzog war ein sehr geradliniger Mann, und er würde dafür sorgen, daß er nicht in irgendeiner Form mit einem Falschspieler familiär werden würde. Da Edward völlig von seinem Vater abhängig war, hatte er sicherlich dem Druck nicht länger standhalten können. Lorinda wußte, ohne daß er es ihr mitgeteilt hätte, daß Edward von seinen Eltern entweder ins Ausland oder für die nächste Zeit auf den Landsitz der Familie geschickt worden war.

,Wie kann ich glauben, daß irgendjemand zu mir halten würde’, fragte sie sich und fühlte sich so einsam und verlassen wie nie zuvor. Nun, da niemand mehr vor der Haustür stand außer Transport- und Handelsleuten, sagte sie sich mit einem bitteren Lächeln: ,Wer hoch steigt, fällt tief.’

In diesem Augenblick war der Klopfer an der Eingangstür zu hören. Lorinda nahm an, daß es wieder einer der Männer von der Verkaufsfirma wäre, und da die Diener im ersten Stock die Kisten packten, ging sie zur Tür und öffnete.

Draußen stand mit einem zynischen Lächeln Lord Wroxford.

Lorinda sah ihn an und sagte: „Ich bin nicht zu Hause, Ulrich.“

„Ich muß mit Ihnen sprechen, Lorinda“, erwiderte er. „Darf ich eintreten?“

Sie zögerte, öffnete aber dann die Tür.

„Sind Sie gekommen, um die Lage auszuspionieren?“ fragte sie. „Oder wollen Sie sich etwas von den Möbeln reservieren lassen?“ Ihr Ton war ironisch.

Das Haus des Lords in Hampstead war angefüllt mit Schätzen und Kostbarkeiten, doch nichts im Hause ihres Vaters hätte das Kennerauge des Lords interessieren können.

„Ich möchte mit Ihnen reden“, sagte er noch einmal und legte seinen Hut auf ein Tischchen.

„Ich werde versuchen, einen Stuhl zum Sitzen für Sie zu finden“, antwortete Lorinda, „sie sind nämlich schon alle für die Auktion morgen zusammengestellt.“

Sie führte ihn in die Bibliothek, die einen deprimierenden Eindruck mit ihren leergeräumten Bücherregalen machte. Die Teppiche waren zusammengerollt, die Stühle übereinander gestellt, die Bilder abgenommen und an die Wände gelehnt.

Lord Wroxford hatte keinen Blick für das Durcheinander, er sah nur Lorinda, die ihm schöner denn je erschien mit ihrem feurig roten Haar, das ihre weiße Haut umspielte.

Sie stand noch immer mitten im Raum.

„Nun, was haben Sie mir Wichtiges zu sagen?“ fragte sie in unverbindlichem Ton.

„Ich bin gekommen, um Sie aus all diesen Unannehmlichkeiten herauszuholen.“

Lorinda warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts.

Er fuhr fort: „Wir könnten zusammen ins Ausland gehen, um all diesen lästigen Klatsch hinter uns zu lassen. Ich bin noch immer überzeugt, daß wir ausgezeichnet zusammenpassen.“

Lorinda lächelte und antwortete: „Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich um so etwas zu bitten, Ulrich, ich bin aber der Meinung, daß Sie meine Antwort kennen.“

„Was könnten Sie denn noch verlieren?“ fragte er. „Doch nur dieses Chaos, in das Ihr Vater Sie gestürzt hat.“

Lorinda legte ihren Kopf etwas auf die Seite.

„Ich frage mich nur, wie lange es dauern wird, bis ich Sie langweilen werde? Ich glaube nämlich nicht, daß Sie das Gesellschaftsleben wegen einer Liebelei lange missen könnten.“

„Wenn Sie mich liebten“, antwortete er,„wäre ich ganz bestimmt immun gegen die Sehnsucht, England jemals wiedersehen zu wollen.“

„Ja, wenn“, sagte Lorinda. „Das ist der springende Punkt. Sie wissen so gut wie ich, daß ich schon die Geduld verlieren würde, bevor wir überhaupt gestartet wären.“

„Ich muß Sie besitzen, Lorinda. Ich werde Sie lehren, mich zu lieben.“

Lorinda lachte.

„Sind Sie wirklich so verrückt, so etwas zu glauben? Ich verachte alle Männer, niemals werde ich einen lieben. Liebe ist etwas, was ich nicht kenne und woran ich nicht interessiert bin.“

Er trat einen Schritt auf sie zu.

„Zum Teufel, Sie strapazieren meine Geduld, das würde ein Heiliger nicht aushalten.“

„Und Sie sind kein Heiliger!“ sagte sie voller Schadenfreude. „Außerdem weiß ich, daß Sie mir dieses Angebot nur machen, weil Sie im Grunde wissen, daß ich nie ja sagen würde.“

„Das ist nicht wahr!“ widersprach er. „Ich bin verrückt nach Ihnen, Sie wissen, wie lange schon. Wenn Sie nur etwas vernünftig wären, würden Sie mit mir kommen und sich von mir beschützen lassen.“

„Ich war noch nie sehr vernünftig“, erwiderte Lorinda. „Ich weiß aber, im Gegensatz zu Ihnen, daß wir uns schon streiten würden, bevor wir den Kanal überquert hätten. Sie würden mich umarmen wollen, aber ich hasse es, von einem Mann berührt zu werden.“

Sie sprach mit einer solchen Heftigkeit, daß das Feuer in seinen Augen erlosch.

„Hat es schon jemals eine so eigenwillige, aber auch so dumme Person gegeben?“ fragte er.

Sie antwortete nicht, und er wanderte ruhelos über die Fußbodendielen, auf denen kein Teppich mehr lag.

„Haben Sie sich einmal überlegt, wie Ihr Leben in der Zukunft aussehen wird? Wie Sie in Cornwall festsitzen werden, zusammen mit Ihrem übel gelaunten Vater, der nun nicht mehr Kartenspielen kann?“

An dem Ausdruck ihres Gesichtes konnte er ablesen, daß er sie getroffen hatte.

„Keine Feste, keine Verehrer“, fuhr er fort, „außer ein paar Bauerntölpeln.“ Und nach einer wirkungsvollen Pause fügte er gehässig hinzu: „Unter solchen Umständen ist Schönheit nicht allzu lange zu halten.“

Er fühlte es mehr, als er es sah, daß so etwas wie Verzweiflung in ihrem Blick stand. Er ging zu ihr und legte seinen Arm um ihre Schultern.

„Kommen Sie mit mir“, sagte er leise. „Wir werden uns schon irgendwie verstehen. Wenn Sie wollen, können wir sogar in den Fernen Osten reisen, dort wollte ich schon immer einmal hin.“

Sie wehrte sich nicht, aber er spürte, wie sie unter seiner Berührung steif wurde.

„Und wenn wir alles im Fernen Osten erkundet und kennengelernt haben, was dann?“

„Meine Frau könnte inzwischen sterben, ihre Gesundheit ist nicht die beste.“

Lorinda lachte leise und entfernte sich von ihm.

„Oh, Ulrich, das ist genauso eine Redensart wie der Satz: Meine Frau versteht mich nicht. Haben Sie noch nie bemerkt, daß die Leute nicht auf Befehl sterben?“

Lord Wroxford betrachtete sie etwas unsicher. Die Sonnenstrahlen, die durch die Fenster fielen, flimmerten auf ihrem Haar und erweckten den Eindruck, als wäre sie ganz von Licht umhüllt.

„Mein Gott, wie sind Sie schön!“ rief er aus. „Ich muß Sie besitzen, Lorinda. Meine Sehnsucht nach Ihnen ist größer denn je. Ich hätte nicht geglaubt, daß ich zu einem solchen starken Gefühl zu einer Frau imstande wäre. Sie müssen mein werden.“

Lorinda warf ihm einen übermütigen Blick zu.

„Meine alte Kinderfrau pflegte zu sagen: Laß deine Wünsche immer nur von deinen Bedürfnissen bestimmen! Das ist auch meine Antwort.“

„Sie können doch nicht so dumm sein, das einzige ernstzunehmende Angebot, daß Ihnen in Ihrer jetzigen Lage gemacht wird, auszuschlagen!“ Seine Augen wurden kleiner, als er fortfuhr: „Wie ich hörte, ist Edward auf das Land geschickt worden, und die anderen Verehrer, die sich Ihnen zu Füßen geworfen haben, sind bereits auf der Suche nach einem neuen Idol.“

Als er das Lächeln auf Lorindas Lippen sah, rief er wütend aus: „Ich bin ein sehr reicher Mann, Lorinda, und ich bin bereit, jeden Pfennig dieses Vermögens für Sie auszugeben! Können Sie wirklich so unglaublich dumm sein, mich abzulehnen?“

„Sie haben völlig recht, Ihren Reichtum ins Gespräch zu bringen“, sagte Lorinda wütend. „Wenn es morgen um den Verkauf meiner Person ginge, bin ich ganz sicher, daß Sie jede Summe für mich bieten würden. Vielleicht könnten Sie mich sogar preisgünstig ersteigern. Aber da die Entscheidung glücklicherweise bei mir liegt, sage ich Ihnen, daß ich nicht interessiert bin.“

„Wenn ich jetzt ganz Herr meiner Sinne wäre, würde ich ohne ein weiteres Wort gehen“, sagte Lord Wroxford verbittert. „Da ich aber auch nicht ganz vernünftig bin, will ich Ihnen eine weitere Chance geben. Wollen Sie mit mir kommen?

Lorinda streckte ihre Hände aus.

„Mein lieber Ulrich, ich werde es Ihnen nicht vergessen, daß Sie mir immerhin ein Angebot gemacht haben. Das ist jedenfalls mehr, als ich von all den anderen bekommen habe.“

„Sie bestehen also auf Ihrer Ablehnung?“

„Wenn ich demnächst in der Wildnis von Cornwall hocken werde und mit hungrigem Magen auf das Meer hinaus starre, werde ich zweifellos an Ihren Reichtum denken, nicht ohne mich glücklich zu schätzen, daß auch dieser Reichtum nicht ausreicht, mich zu kaufen.“

„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte Lord Wroxford.

„Ich meine ganz einfach, daß Sie nichts zu bieten haben, was ich haben möchte, nichts, wofür ich mich verkaufen würde.“

„Ich verstehe Ihre Worte nicht.“

„Was vielleicht ganz gut ist. Leben Sie wohl, Ulrich.“

„Ist das Ihr Ernst?“

„Ja, mein voller Ernst. Danke für Ihren Besuch.“

Er konnte sich nicht länger beherrschen. Lord Wroxford machte einen Schritt nach vorn und wollte sie in seine Arme reißen. Aber Lorinda gelang es, ihm zu entwischen.

„Jetzt beginnen Sie mich zu langweilen“, sagte sie scharf. „Gehen Sie, Ulrich. Ich habe viel zu erledigen und kann keine Zeit mehr vergeuden.“

„Sie können mich doch nicht so einfach fortschicken, verdammt noch mal!“ fluchte er.

„Sie könnten auch von selber gehen.“

Lorinda öffnete die Tür und schlüpfte hinaus. Lord Wroxford hörte ihre sich entfernenden Schritte auf der teppichfreien Treppe. Er stand einen Augenblick mit ungläubigem Gesicht an der Tür. Er war fast sicher gewesen, daß Lorinda sein Angebot annehmen würde, jedenfalls eher, als sich in der Wildnis von Cornwall zu vergraben.

Er stand noch immer da, als erwarte er, daß sie zurückkäme. Aber alles blieb still. Und so ging er mit schweren Schritten durch die Halle und verließ das Haus durch die Eingangstür, die ihm von keinem Diener geöffnet wurde.

Die Auktion war noch besser besucht als der Agent es angenommen hatte. Obwohl der Verkauf nicht vor 11 Uhr vormittags beginnen sollte, strömten die Interessenten bereits eine Stunde vorher ins Haus.

 

Die Auktion sollte im großen Salon stattfinden, die Stühle, die dort dafür aufgestellt waren, waren schon lange vor Beginn bereits besetzt. Lorinda war sich durchaus darüber im Klaren, daß die Hälfte der Anwesenden aus Neugier gekommen waren. Sie konnte im Gedränge einige ihrer Feinde erkennen und wußte, daß sie sich an der Situation, in der sie sich befand, weideten.

Da gab es diejenigen, die Lorinda verächtlich behandelt oder ignoriert hatte, und solche, die ihrerseits Lorinda verurteilten wegen ihres Lebenswandels. Es gab aber auch eine Anzahl von Leuten, die sie wegen der Freiheiten, die sie sich herausgenommen hatte, heimlich bewunderten. Und es gab doch, wie sie erleichtert feststellte, eine große Anzahl von Käufern und Interessenten, die sich gegenseitig überbieten und somit die Preise hochtreiben würden.

„Wollen Sie wirklich beim Verkauf anwesend sein, Mylady?“ fragte der Auktionator.

„Ja, ich bleibe hier“, antwortete Lorinda.

„Ich glaubte, daß Sie sich unangenehm berührt fühlen könnten“, sagte er. „In den meisten Fällen wird uns alles alleine überlassen.“

„Mich interessiert es, was geboten wird.“

Sie wußte, daß die Leute es ziemlich ungewöhnlich fanden, daß sie dem Ausverkauf ihres Besitzes beiwohnte, aber der Stolz verbot ihr, vor den Tatsachen davonzurennen, wie ihr Vater es getan hatte.

Sollen sie denken, was sie wollen, sagte sie leise zu sich selbst. Ich lasse es nicht zu, daß sie glauben, ich sei zusammengebrochen und weine hilflos in meine Kissen. Sie sah herausfordernd und sehr hübsch aus, wie sie da in einem eleganten Kleid und einem großen Hut, der reich mit Federn geschmückt war, in der Nähe des Auktionators saß und sich die Angebote der Interessenten notierte.

Sie war nicht wirklich an den Summen oder Gegenständen interessiert. Ihr waren die Dinge gleichgültig bis der Schmuck ihrer Mutter auf den Tisch kam. Da zum ersten Mal fühlte sie so etwas wie Bedauern, ungeduldig rief sie sich selbst zur Ordnung und sagte sich, daß das pure Sentimentalität sei.

„Du leuchtest und schimmerst wie eine Fee, Mama“, hatte sie als Kind zu ihrer Mutter gesagt, wenn sie am Abend in das Kinderzimmer gekommen war, um gute Nacht zu sagen.

„Dieses Halsband gehörte meiner Ur-Urgroßmutter“, hatte dann ihre Mutter geantwortet und die Smaragde, die um ihren Hals lagen, berührt. „Eines Tages werden sie dir gehören, mein Liebling, und sie werden genau zu deinen Augen passen.“

Lorinda betrachtete nun die Smaragde und bedauerte es, sie nie getragen zu haben. Sie hatte sie zu auffallend für ein junges Mädchen gefunden, und sie hielt etwas auf ihren vornehmen Geschmack. Zwar hatte sie die Smaragde oft betrachtet, wenn sie sich Schmuck aus dem Safe genommen hatte, aber immer war ihre Wahl auf kleinere Stücke gefallen, und sie hatte entschieden, daß die Smaragde erst an die Reihe kommen sollten, wenn sie verheiratet war.

Sie hatte sich dann vorgestellt, wie eindrucksvoll das grüne Feuer und die großen Steine an ihren Ohren wirken würden. Nun kam der Schmuck unter den Hammer. Lorinda sah sich im Raum um und überlegte, ob unter den anwesenden Damen eine wäre, deren Schönheit dem herrlichen Schmuck gerecht würde.

Sie war sich durchaus bewußt, daß sie den Schmuck eigentlich nicht zum Verkauf hätte freizugeben brauchen. Er war ihr persönliches Eigentum, und seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie es abgelehnt, ihn zu verkaufen oder zu verpfänden, so oft ihr Vater diesen Wunsch auch geäußert hatte.

„Die Smaragde gehören mir, Papa“, hatte sie in solchen Situationen immer gesagt. „Sie stammen aus Mamas Familienbesitz und haben mit den Cambornes nichts zu tun.“

„Laß mich eine Summe auf sie setzen, Lorinda“, hatte dann ihr Vater geantwortet. „Ich werde sie mit hohem Gewinn zurückerhalten.“

Lorinda aber war jedes Mal eisern geblieben. Daß sie sie nun doch zur Versteigerung freigegeben hatte, war nur geschehen, weil ihr Vater sicherlich keine Ruhe gelassen hätte, bis nicht auch sie versetzt waren. Als das Halsband nun dem Meistbietenden zugeschlagen wurde, fühlte sie sich, als wäre ein Teil ihrer Jugend und ihrer Ideale für immer von ihr genommen worden. Diese Steine hatten eine ganz besondere Bedeutung für sie gehabt, obwohl sie das nicht genau hätte beschreiben können. Sie war erleichtert, daß das Halsband und der andere Schmuck wenigstens nicht von einem ihrer Bekannten ersteigert worden waren.

Ein älterer Mann aus den hinteren Reihen, der wie ein Bürovorsteher aussah, bekam den Zuschlag. Lorinda nahm an, daß er ein Juwelier war, der den Schmuck weiterverkaufen würde. ,So werde ich ihn wenigstens nicht wiedersehen und niemand wird sich schadenfroh darüber äußern können’, dachte Lorinda und sehnte nun das Ende der Auktion herbei.

Als dann endlich alles vorbei war, stellte der Auktionator im nun leeren Salon fest: „Man kann sagen, ein sehr befriedigendes Ergebnis, Mylady.“

„Wie viel hat alles zusammen erbracht?“ fragte Lorinda.

„Über 45 000 Pfund! Wenn Sie einverstanden sind, wird das Haus für 20 000 Pfund verkauft. Das ergibt eine Summe von 65 000 Pfund abzüglich unserer Spesen.“

„Ich hatte Ihnen ja bereits den Auftrag erteilt, über die verbleibende Summe einen Scheck für den Gentleman Charles Fox auszuschreiben und ihm diesen zu überreichen?“

„Es wird so erledigt werden, Mylady.“

Lorinda zog sich ihr Reisecape über.

„Mylady reisen ab?“ fragte der Auktionator.

„Ja, ich reise ab“, antwortete Lorinda und verließ den Raum ohne sich noch einmal umzuschauen.

Die Reisekutsche wartete vor der Tür. Auf dem Bock saß ein sehr junger Kutscher, den sie als einzigen behalten hatte, weil er einen niedrigeren Lohn als die anderen verlangte. Die Kutsche war vollgepackt mit Truhen, Kisten, Koffern und einer Sammlung der verschiedenartigsten Küchenutensilien, die in der Auktion nichts gebracht hätten. Lorinda betrachtete das Durcheinander und lächelte, stieg auf den Bock und ließ sich vom Kutscher die Zügel geben.

Obwohl sich vor dem Haus nicht mehr viele Leute aufhielten, war es doch klar, daß noch bis zur Abendessenszeit die Klatschgeschichte des letzten Streiches der Lady Lorinda of Camborne ihre Runde gemacht haben würde. Denn nicht wenige vor Staunen erstarrte Passanten blieben stehen, als sie mit dem hochbepackten Wagen den Piccadilly entlangfuhr.

Da die Pferde frisch waren, kamen sie schnell durch den Verkehr und erhöhten ihre Geschwindigkeit, als sie die freie Landstraße erreicht hatten. Erst als niemand mehr auf den Straßen war, der sie beobachten konnte, übergab Lorinda dem Kutscher die Zügel.

„Halten Sie die Zügel jetzt kurz, Ben. Wir haben einen weiten Weg vor uns, ich werde es mir etwas bequemer machen.“

Er übernahm auf ihr Kommando die Zügel, und Lorinda nahm ihren großen Hut ab. Sie stopfte ihn unter den Sitz des Kutschbockes und legte sich ein Tuch über ihr rotes Haar, das sie unter dem Kinn zuknüpfte. Dann streckte sie ihre Hände nach den Zügeln aus.

Der junge Kutscher überreichte sie ihr sofort wieder.

„Das ist ein richtiges Abenteuer, nicht wahr, Mylady“, sagte er lachend.

„Ja, es ist ein Abenteuer ins Ungewisse hinein, Ben“, stimmte Lorinda zu. „Und wenn es schon kein Zurück mehr gibt, können wir uns wenigstens dabei amüsieren.“

Während sie sprach, schaute sie zum Horizont im Südwesten. Sie wußte, sie hatte eine bittere Wahrheit ausgesprochen, es würde kein Zurück mehr geben. Dies war das Ende eines Kapitels in ihrem Leben.

Es war eine lange Reise. Lorinda fühlte, wie sie genug vom Fahren bekam, lange bevor sie die Grafschaft Cornwall erreicht hatten. Da sie ihre Pferde an den Poststationen nicht wechseln wollte, konnten sie keine so großen Strecken pro Tag zurücklegen, wie sie es gerne gewollt hätte. Sie mußten Sorge tragen, nicht zu spät am Abend Station zu machen, um den Pferden eine genügend lange Rast zu gönnen und am nächsten Morgen frisch starten zu können.

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