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Das Mormonenmädchen Erster Band

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5
An Bord des Leoparden

Während in der Matrosenschänke Jim Raft die Gesellschaft mit der Schilderung des Unterganges der schwedischen Brigg unterhielt und demnächst den beiden Mormonen nachspähte, saßen auf dem Quarterdeck des Leoparden Hertha Jansen und Demoiselle Corbillon, deren Erzieherin, in vollen Zügen den zauberischen Abend genießend, der sich mit der, jenem Himmelsstriche eigenthümlichen, milden Frische auf den Hafen und die Stadt senkte.

Verschieden, wie die Empfindungen sein mochten, welche die theils liebliche, theils großartige weitere Umgebung in den Seelen der beiden Auswanderinnen erweckte, war auch ihre äußere Erscheinung. Sie bildeten in der That einen seltsamen Contrast zu einander, der um so krasser und hervortretender wurde, je länger man die beiden dicht neben einander sitzenden Gestalten betrachtete. Ja, man gelangte dabei unwillkürlich zu der sehr nahe liegenden Vermuthung, daß das Geschick sie mit der neckischen Absicht zusammengeführt habe, die Vorzüge der einen dadurch in ein helleres Licht zu stellen, die Mängel der andern dagegen in gleichem Grade hervorzuheben.

Schönheit, gepaart mit holder Anmuth, ist ein freundliches Geschenk der Natur; diesen Vorzügen aber einen entsprechenden Ausdruck zu verleihen, ist die Aufgabe Desjenigen, dem diese Vorzüge zu Theil wurden, Dem Einen wird diese Aufgabe leicht und er löst sie unbewußt, indem er nur den edlen Regungen eines reinen Herzens zu folgen braucht, während es dem Andern erst nach harten Kämpfen und sorgfältiger Selbstüberwachung gelingt, im Ausdruck und in der Handlungsweise die Veredlung des Charakters erkennbar zu machen und in Einklang mit der äußern Bevorzugung zu bringen.

Eben so vermag auch da, wo die Natur den äußern Menschen vernachlässigte, die Seele ihre Hülle in eine gewinnende, mit zauberischem Reiz umflossene umzuwandeln. Wo aber darnach getrachtet wird, die willkommenen, jedoch flüchtigen Gaben der Natur nur durch äußere Kunstmittel glänzender zu entfalten und ihnen eine längere Dauer zu verschaffen, oder gar unverschuldet anheimgefallene Mängel nur durch unedle Nachhülfe zu verdecken und zu verschönen, da entsteht auf der einen Seite höchstens eine in sinneberauschende gefällige Formen verkleidete Häßlichkeit, auf der andern dagegen ein lächerliches Gebilde. —

Die beiden größten, in Obigem ausgesprochenen Gegensätze waren also verwirklicht in Hertha Jansen und ihrer Gouvernante.

Hertha, ein junges Mädchen von kaum siebenzehn Jahren, zeigte nämlich das entzückende Bild unschuldiger, eben erschlossener Jungfräulichkeit, die, auf der äußersten Gränze des Kindesalters angelangt, schüchtern und befangen über jene Gränze hinüberblickt.

Ihre Gesichtszüge hatten nur edle Formen und Linien, dabei jene üppige Fülle und Zartheit, wie sie gewöhnlich nur der zartesten Jugend eigenthümlich; doch vermißte man den Ausdruck schalkhafter Fröhlichkeit, der so häufig aus den Kinderjahren, auf längere oder kürzere Zeit, mit in das reifere Alter hinübergenommen wird.

Ihre großen blauen Augen besaßen etwas Schwärmerisches, man hätte sagen mögen, Schwermüthiges, wenn sie aber lächelte, dann war es, als ob ein Sonnenblick das ganze liebliche Antlitz erhelle und noch nie ein schmerzlicher, ernster Gedanke hinter demselben gewohnt habe. Es war das Lächeln eines Kindes, ein inniges, glückliches Lächeln, welches man auf ewig hätte festbannen mögen; und doch war sie auch wieder so schön, wenn sinniger Ernst auf der reinen Stirn thronte und jene wunderbare Schwärmerei aus ihren Augen strahlte.

Die hellblonden Haare, welche sich in dichten Flechten an ihre blaugeaderten Schläfen schmiegten, hatte sie am Hinterkopf nachlässig in einen Knoten verschlungen, und kein anderer Schmuck umgab das edel geformte Haupt, als eben die wellenförmig gekräuselten, seidenähnlichen Haare, welche von einer schwarzen Sammetschleife zusammengehalten wurden.

Wie sich nun in dem ganzen Aeußern der lieblichen Erscheinung, in ihrer Haltung, wie in ihren Bewegungen eine gewisse anspruchslose Bescheidenheit bekundete, so verrieth sich dieselbe nicht minder in ihrem Anzug. Ein einfaches Kleid von schwarzem wollenem Stoff, welches an den Oberkörper eng und züchtig anschloß, umgab die hohe tadellose Gestalt, und wenn irgend etwas auf Reichthum deutete, so war es vielleicht nur das mit den feinsten Spitzen eingefaßte weiße Tuch, welches lose um den weißen Hals geschlungen war, oder die blitzende Busennadel, von welcher an einer kunstvoll gearbeiteten Kette ein kleines goldenes Medaillon bis auf die schlanke Taille niederhing.

Ganz entgegengesetzt nahm sich dagegen Demoiselle Corbillon aus, eine hagere Französin, mit kleinen, lebhaften braunen Augen und scharfen Zügen, deren Alter in den unbestimmten Zeitraum zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig fiel, aber, allem Anschein nach, letzterer Zahl näher wie der ersteren sein mußte. Ihre Haltung war gerade und steif, wie die eines radschlagenden Pfauen, mit welchem ihr, betrachtete man den farbenreichen Ueberfluß an seidenen Gewändern, Schleifen, Halsketten, Armspangen und sonstigen Schmuckgegenständen, eine große Aehnlichkeit nicht abgesprochen werden konnte. Ueberhaupt zeichnete sie sich durch eine geschmacklose Ueberladung von allen möglichen zur Toilette gehörenden Kleinigkeiten aus, die offenbar den größten Theil ihrer ganzen irdischen Habe bildeten, wie Hertha gerade durch ihre sinnige Einfachheit angenehm berührte. Sie mußte einst, in der Blüthe ihrer Jugend, nicht ohne Reize gewesen sein; allein die langjährige Gewohnheit, dieselben zur Schau zu tragen und durch auffallende Stoffe und den ebenso auffallenden Schnitt ihrer Kleider Aufsehen zu erregen, wie auch die ohnmächtigen Versuche, dem zerstörenden Einfluß der Zeit siegreich zu begegnen und unwiederbringlich Verlorenes durch Kunst zu ersetzen, hatten ihrem ganzen Wesen etwas so Geziertes und Gezwungenes verliehen, daß man bei ihrem Anblick nicht wußte, ob man mehr Widerwillen empfinden, oder mehr dem Lachreiz Folge geben sollte.

Daß sie einem so jungen, unschuldvollen Mädchen zur Begleiterin und Lehrerin beigegeben worden war, ließ sich vielleicht nur durch ihre Kenntniß der französischen und englischen Sprache erklären. Und dennoch würden Herthaʼs Eltern, hätten dieselben noch gelebt, um eine Entscheidung zu treffen, jedenfalls gezögert haben, ihre Tochter der Leitung einer Person anzuvertrauen, deren Einfluß auf ein junges unverdorbenes Gemüth sich nur zu leicht als gefährlich und verderblich ausweisen konnte.

Demoiselle Corbillonʼs Einfluß auf Hertha war indessen ganz entgegengesetzt dem gewesen, welchen ein klarblickender und überlegender Freund des heranwachsenden Kindes vielleicht zu befürchten sich bewogen gefunden hätte.

Das junge Mädchen hatte mit Eifer und Leichtigkeit gelernt, was die Erzieherin zu lehren vermochte, war aber im Uebrigen ganz den eigenen Neigungen gefolgt und allmälig zu einer lieblichem mit allen Vorzügen des Herzens und der Seele begabten Jungfrau herangereift.

Daß Demoiselle Corbillon ihre Schutzbefohlene beständig wie ein Kind behandelte und, um sie nicht neben sich selbst als erwachsen hinzustellen, weniger auf Beobachtung der im geselligen Verkehr von ihr für maßgebend erachteten Formen drang, mochte ein Glück gewesen sein; dafür aber war es um so leichter geworden, das harmlose Kind der neuen Lehre des Mormonenthums in die Arme zu führen, wie es kurz vorher schon mit ihrer einzigen, nach dem Salzsee übergesiedelten und dort verheiratheten Schwester geschehen, und worin Demoiselle Corbillon ihr mit gutem Beispiel vorangegangen war.

Der gänzliche Mangel an näher stehenden Verwandten und Freundinnen, und die Abgeschiedenheit, in welcher sie auf der Besitzung ihres verstorbenen Vaters gelebt hatte, waren Ursache, daß sie sich mit voller Hingebung der neuen Lehre, so weit man für rathsam gehalten, ihr dieselbe zu erklären, zuwandte und in ihr das zu finden meinte, was ihr in allen Lagen des Lebens eine sichere und treue Stütze gewähren würde. Die etwas exaltirten Briefe ihrer Schwester, die ihr vom Salzsee aus zugegangen waren, die ernsten Gespräche mit dem fanatischen Bruder ihres Vaters und dem listigen und berechnenden Vormunde, die Beide schon den amerikanischen Continent auf kurze Zeit besucht hatten, ferner deren Schilderungen der Verfolgungen, welche die Mormonen seit der ersten Gründung ihrer Kirche erduldet, befestigten sie in ihrem Glauben und boten ihrem regen Geiste reichen Stoff zum Nachdenken. Sie betrachtete sich selbst schon mit als eine Märtyrin der neuen geläuterten Lehre, und es gehörte endlich nicht viel Ueberredung dazu, sie zu dem Entschluß zu veranlassen: nach Verkauf des ihr und ihrer Schwester zugefallenen sehr beträchtlichen Erbtheils, sich der Gemeinde der »Heiligen der letzten Tage« am Salzsee zuzugesellen, in deren ungestörtem Verkehr sie das irdische Paradies zu finden erwartete. —

Die Sonne berührte eben die höchsten Giebel einiger Häuser, und wie eine blutrothe Scheibe lugte sie durch den über der Weltstadt lagernden Steinkohlendunst zu dem Leoparden hinüber.

Hertha war versunken im Anschauen der lieblichen, wechselvollen Einfassung des umfangreichen Hafenbeckens, während Demoiselle Corbillon ihre stechend lebhaften Blicke mit einem Ausdruck erwartungsvoller Neugier bald auf die verworrenen Häusermassen richtete, bald auf den mit der Reinigung des Verdecks beschäftigten Seeleuten rasten ließ.

Ein tiefer Seufzer Herthaʼs veranlaßte die Gouvernante, sich ihrer Pflegebefohlenen zuzuwenden, und ein mitleidiges Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen, als sie in deren Augen Thränen gewahrte, die nach ihrer Ansicht nur in einer kindischen Furcht ihren Ursprung haben konnten.

»Ist das die Freude, welche Du bei der Ankunft im sichern Hafen, nach glücklich überstandener gefahrvoller Seereise äußerst, mein Kind?« fragte sie nach kurzem Sinnen, indem sie ihre Stirn in ernste Falten legte. »Ich erwartete, Dich von Glück erfüllt zu sehen, daß wir uns dem gelobten Lande und der friedlichen Gemeinde unserer Brüder und Schwestern schon wieder um einen so bedeutenden Schritt genähert haben.«

 

Hertha war bei der Anrede ihrer Gouvernante emporgeschreckt. Ein ganz leises Lächeln glitt über ihr schönes Antlitz, um gleich darauf einem tiefen enthusiastischen Ausdruck zu weichen.

»Gewiß, meine liebe Corbillon, erfüllt mich die reinste Freude, mich unserm gemeinsamen heiligen Ziel wieder um so viel genähert zu haben, und wenn Sie anders von mir denken, so haben Sie die Thränen, die mir unwillkürlich in die Augen drangen, falsch gedeutet. Thränen sind nicht immer Kinder des Schmerzes, und diejenigen, welche ich eben unbewußt weinte, galten der Allmacht Gottes, die so viel wunderbar Schönes zu schaffen und auf einem verhältnißmäßig so kleinen Raum, ohne das Gleichgewicht und Ebenmaß zu beeinträchtigen, zusammenzudrängen vermochte. O, was haben wir in den letzten Monaten gesehen! Den Ocean, bald in feierlicher, erhobener Ruhe, wie das Bild der Ewigkeit, bald sturmbewegt und wild empört, als wolle er den schwachen Sterblichen mit Gewalt zur Verehrung seines Schöpfers zwingen. Dann wieder hier die lieblichen meerumspülten Landschaften mit dem heitern Grün der lachenden Fluren und Haine, aus welchen die reizenden Villas so zauberisch emportauchen.«

»Vorwärts richte Deine Blicke, mein Kind,« entgegnete Demoiselle Corbillon mit einer theatralischen Handbewegung gegen Westen, wo der letzte Rest der gerötheten Sonnenscheibe zwischen den rauchenden Häuserhaufen wie ein wunderbares Meteor glühte und leuchtete und purpurne Strahlen bis zum Zenith hinauf sendete.

»Ja, der Sonnenuntergang ist prachtvoll,« versetzte Hertha, mit den Augen der angedeuteten Richtung folgend.

»Nicht den Sonnenuntergang meine ich dieses Mal,« unterbrach die Gouvernante das junge Mädchen, wobei sie den Mißmuth, den sie über dessen Enthusiasmus empfand, nicht verhehlte. »Ich wollte Deine Gedanken dahin lenken, wo unsere Heimath, das gelobte Land, liegt. Auch dort geht die Sonne unter, und zwar prachtvoller und majestätischer, als hier für die Gentiles. Deine Bewunderung wird reiner, edler sein in der Mitte der Heiligen der letzten Tage, und deshalb sagte ich: Vorwärts richte die Blicke, und nicht zurück auf das ewige Sodom und Gomorrha.«

»Warum sollte die Sonne sich vor den Ungläubigen in geringerem Glanze zeigen, als vor den Gläubigen?« fragte Hertha mit einem leisen Vorwurf im Ton ihrer Stimme. »Ich bin dankbar für die Offenbarungen, welche uns durch unsere Propheten zu Theil geworden, ohne Denjenigen zu zürnen, welchen die neue Lehre bis jetzt fremd blieb. Auch glaube ich nicht, daß der Mormonismus dergleichen gebietet, bis jetzt wenigstens weiß ich nur, daß die Nächstenliebe mit zu seinen Hauptgeboten gehört. Und wären die Gentiles nicht gewesen,« fuhr sie hocherröthend fort, denn indem sie auf die auf dem Vordertheil des Schiffes beschäftigten Seeleute wies, hatten ihre Blicke die hohe, kräftige Gestalt des Lieutenant Weatherton gestreift, »ja, dann – dann lägen wir jetzt auf dem Boden des Meeres gebettet.«

»Und dennoch bleiben es Ungläubige,« versetzte Demoiselle Corbillon, den Kopf verächtlich zurückwerfend, denn das Erröthen des jungen Mädchens war ihr nicht entgangen, wie sie auch den Grund desselben ahnte. »Hier strecken sie den Bekennern der geläuterten Lehre hülfreich die Hand entgegen, um sie an einer andern Stelle dafür mit doppelt durchdachter Bosheit zu verfolgen. Wer weiß, ob sie sich herbeigelassen hätten, uns Rettung zu bringen, wäre es ihnen bekannt gewesen, daß die Mehrzahl der Passagiere Mormonen seien —«

»Nicht doch,« unterbrach Hertha, mit sonst an ihr nicht gewöhnlicher Heftigkeit, ihre Gouvernante, »sie sind uns beigesprungen, weil wir Menschen waren, die am Rande des Verderbens standen, ohne zu fragen, wer wir seien und woher wir gekommen, wie es nicht nur einem Christen und Mormonen, sondern sogar auch einem Heiden geziemt —«

»Und dennoch bieten sie jetzt Alles aus, um unsere heilige Gemeinde zu vernichten, wie sie einst den Tempel in Nauvoo zerstörten. Das Wachsen unserer Gemeinde flößt ihnen Besorgniß ein; sie fürchten den großen Anhang, welchen unsere Propheten unter allen Völkern gewinnen, und sehen in Gedanken schon das Mormonenthum über den ganzen Erdball verbreitet, als die allein seligmachende und regierende Religion, und deshalb, mein liebes Kind, gerade deshalb wünschen sie, das üppig wuchernde, wahre Wort Gottes im Keime zu ersticken.«

»Der Ausbruch eines Krieges kann freilich nicht mehr fortgeläugnet werden,« sagte Hertha traurig, »allein ich hoffe noch immer mit Zuversicht, daß unsere Feinde in sich gehen und die in frommer Ueberzeugung dargereichte Hand nicht zurückweisen. Es wäre zu grausam; nein, Gott kann es nicht wollen, daß unsere Gemeinde von Neuem verfolgt werde, und zwar nur, weil die Bekenner unseres Glaubens jetzt schon nach vielen Tausenden zählen; unser Wachsthum ist doch kein Verbrechen!«

»Und dennoch geschieht es nur deshalb,« eiferte Demoiselle Corbillon, und der Zorn färbte ihre sonst so bleichen Züge dunkelroth; »sie räumen den wahren Grund indessen nicht ein, und bedienen sich des Vorwandes, daß unsere heiligen Gebräuche, die schon zu der Patriarchen Zeiten geheiligt waren, gegen die Gesittung verstießen und deshalb nicht geduldet werden dürften. Sie wollen uns zwingen, den in unserm Glaubensbekenntniß enthaltenen Hauptvorschriften zu entsagen, weil durch dieselben eine gewisse Gleichheit hergestellt wird, und nicht mehr die mit irdischen Glücksgütern gesegneten Menschen allein die wahren, von Gott selbst eingesetzten irdischen Freuden genießen!«

»Unsere Gebräuche?« fragte Hertha befremdet, indem sie ihre großen unschuldvollen Augen auf ihre erbitterte Gefährtin heftete; »welche unserer Gebräuche sind es denn, die aus den Patriarchenzeiten herstammen und in so hohem Widerspruch zu allen übrigen christlichen Gebräuchen stehen, daß sie auf solche Weise angefeindet werden dürften?«

Demoiselle Corbillon biß sich auf die schmalen Lippen. Sie fühlte, daß sie im Eifer zu weit gegangen war und einen Gegenstand berührt hatte, der sie selbst zwar vorzugsweise dazu bestimmte, der neuen Lehre zu huldigen, aber auf alle Fälle den Ohren des jungen Mädchens fern gehalten werden mußte. Diese Entdeckung rief eine solche Verlegenheit bei ihr hervor, daß sie im ersten Augenblick gar nicht wußte, wie sie die Frage beantworten sollte, und deshalb, um ihre Verwirrung zu verbergen, sich abwendete.

»Wenn ich von Gebräuchen sprach,« sagte sie endlich nach einer längeren Pause, »so bezog ich mich auf die Ceremonien des Taufens, ferner auf die patriarchalische Art der Gottesverehrung und auf die Stellung unserer Propheten, welche, zugleich religiöse und politische Oberhäupter unserer Gemeinde, für die vollständige Gleichberechtigung aller Mitglieder, der Armen wie der Reichen, einstehen. Wir sollen ja eine einzige große Gemeinde von Brüdern und Schwestern bilden.«

»Und dies erscheint in den Augen der Gentiles so gefährlich, daß sie für nöthig halten, unser armes Volk mit Krieg zu überziehen und uns auf gehässige Art zu verfolgen?« fragte Hertha zweifelnd. »Ich kann es mir nicht erklären, denn auch unter ihnen giebt es edeldenkende Menschen, denen man, ich bin davon überzeugt, nur die Reinheit unserer Lehre auseinanderzusetzen brauchte, um sie nicht nur duldsam zu stimmen, sondern sie auch in unsere Freunde umzuwandeln, die bereitwillig ihre ganze Beredtsamkeit aufbieten wurden, das Unheil von uns abzuwenden und Blutvergießen zu verhüten. O, meine liebe Corbillon, der Mormonismus lehrt eine unerschütterliche Zuversicht in Gott, und es wäre sündhaft, an seiner Barmherzigkeit und der Erhörung unserer innigen Gebete zu zweifeln.«

»Denjenigen, mein Kind, welche Du edeldenkende Menschen nennst, und die als unsere Vertheidiger auftreten möchten, wird man keinen Glauben beimessen,« erwiderte die Gouvernante mit einer energischen Handbewegung, und ihre Blicke suchten verstohlen Weathertonʼs hervorragende Gestalt; »man wird in ihnen gefährliche und verächtliche Mormonen entdecken, bei denen es nur eines geringen Anstoßes bedarf, mit ihren Gesinnungen offen vorzutreten und sich taufen zu lassen. Wie würde es mich beglücken, und wie würde meine Hoffnung auf das ewige Leben sich befestigen, gelänge es mir, unserer Kirche, wenn auch nur einen einzigen Proselyten zuzuführen!« rief sie aus, und wiederum hefteten sich ihre Blicke flüchtig auf Weatherton, wobei ein tiefer Seufzer sich ihrer Brust entrang.

»Ich möchte der ganzen Welt verkünden, aus vollem, überfließendem Herzen verkünden, wie mit der Lehre des Mormonenthums der wahre Seelenfriede in meine Brust eingezogen ist,« versetzte Hertha mit frommer Begeisterung, »ich möchte ihr verkünden, wie der Glaube in den Stunden der Gefahr mir eine feste Stütze gewährte, und wie er mich jetzt übersehen läßt die Beschwerden und Entbehrungen, die meiner vielleicht noch harren, ehʼ ich wirklich in unsere heilige Stadt am Salzsee einziehe und dort meine Schwester wieder an mein Herz schließe; aber zu einer Aufgabe, wie Sie sich eine solche wünschen, fühle ich mich zu schwach. Ich halte es für den schönen Beruf des Mannes, zu lehren und zu überzeugen —«

Hier wurde die junge Schwärmerin unterbrochen, indem auf der nach dem Quarterdeck hinaufführenden Treppe die festen Schritte eines Mannes hörbar wurden und gleich darauf Weatherton, höflich grüßend, vor die beiden Damen hintrat.

Herthaʼs liebliches Antlitz, welches noch vor innerer Erregung glühte, erhellte sich zu einem freundlichen Willkomm; sogar aus den scharfen Zügen der Gouvernante wich der strenge Ausdruck, als sie des stattlichen Seemanns Gruß durch ein vornehm zurückhaltendes Neigen ihres mit Schleifen und Blumen phantastisch geschmückten Hauptes erwiderte.

Lieutenant Weatherton war aber auch eine Erscheinung, welche diese rücksichtsvolle Beachtung wohl verdiente, und Jim Raft, sein erster Lehrmeister, hatte nicht zu viel gesagt, als er behauptete, daß Richard oder Dickie Weatherton ihm selbst und seinem Vater alle Ehre mache.

Sein Gesicht trug zwar nichts von jener Schönheit, welche an ein verweichlichtes Geschlecht erinnert, dagegen lag in demselben ein so fester männlicher Ausdruck und eine solche Achtung gebietende Entschlossenheit, daß man ihn nicht ansehen konnte, ohne freundliche Theilnahme für ihn zu empfinden. Die Theilnahme steigerte sich aber zu einer warmen Vorliebe, wenn man ihm in die braunen Augen schaute und in denselben einen hohen Grad von wohlwollender Gutmüthigkeit entdeckte. Ein starker rothbrauner Schnurrbart beschattete seine Lippen, doch verdeckte er nicht die schönen weißen Zähne, wenn er beim Sprechen oder Lachen den Mund öffnete. So weit der Schirm seiner goldverbrämten Mütze die Stirn geschützt hatte, war dieselbe auffallend weiß, dagegen hatte der übrige Theil des Gesichts allmälig in Wind und Wetter, tropischer Sonnengluth und nordischer Kälte eine dunkelbraune Farbe angenommen. Diesem letztern Umstande war es auch wohl am meisten zuzuschreiben, daß man, bei einem oberflächlichen Hinblick, über sein Alter in Zweifel blieb und ihn schon für einen Dreißiger hielt, anstatt sein wirkliches Alter von fünfundzwanzig Jahren zu errathen.

Seine schwarzen Haare hatten, trotz der auf der amerikanischen Marine herrschenden Freiheit in nichtssagenden Kleinigkeiten, einen militärischen Schnitt, während eine einfache dunkelblaue Uniform seine schlanke, jedoch kräftige hohe Figur mit jener eigenthümlich malerischen Marine-Nachlässigkeit umschloß.

Indem er herantretend sich vor den Damen verneigte, verschwand der ernste Dienstausdruck, welchen er vom Vordertheil des Schiffes mitgebracht hatte, plötzlich wie durch Zauber aus seiner Physiognomie und Haltung, und er bewies durch ein leichtes, gewandtes Benehmen, so wie durch die Gewähltheit in seiner Ausdrucksweise, daß die nothwendige Folge des rauhen Seelebens nicht immer ein Rückschritt in der gesellschaftlichen Bildung sei.

»Nur noch eine Nacht werden die Damen die Unbequemlichkeiten an Bord eines Kriegsschiffes zu ertragen haben,« begann er, nachdem er auf ein einladendes Zeichen selben einen Stuhl herbeigeholt und Hertha gegenüber Platz genommen hatte.

Hertha, an welche Weathertonʼs Worte vorzugsweise gerichtet waren, wollte antworten, doch kam Demoiselle Corbillon ihr zuvor.

»Die Unbequemlichkeiten auf einem Kriegsschiffe und das geräuschvolle Wesen der Schiffsmannschaft wirken in der That störend auf ein Gemüth, welches sich nach geistiger Ruhe sehnt,« versetzte sie, einen mißfälligen Blick nach dem Vorderdeck hinübersendend, wo mehrere der vom Dienst befreiten Matrosen sich zum muntern Chorgesang vereinigt hatten, »doch je länger ich mich hier befinde, um so romantischer erscheint mir die bevorstehende Reise durch die wunderbaren westlichen Urwildnisse, um so verlockender das Ziel, welchem wir entgegeneilen. Es muß gewiß eine große Selbstverläugnung dazu gehören, die ganze Lebenszeit auf dem Wasser und in dem beschränkten Raume eines Schiffes hinzubringen.

 

Ich denke, eine einzige Fahrt durch die so zauberisch geschilderten Prairien wäre im Stande, auch den leidenschaftlichsten Seemann in einen friedlichen Landbewohner umzuwandeln.«

Weatherton lächelte bezeichnend vor sich hin. Es war ihm nicht fremd, daß die aufgenommenen Schiffbrüchigen zum Theil dem Mormonenthum anhingen, und welches Ziel namentlich Jansen und die zu ihm gehörende Gesellschaft vor Augen hatten. Er besaß aber auch einen hinlänglichen Begriff von der neuen Lehre, um einzusehen, welcher Zweck jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft in der Verfolgung des einmal eingeschlagenen Weges leitete. Leicht durchschaute er das offene, fromme Gemüth Herthaʼs, welches, wie ein schönes Buch, vor Jedem, mit dem sie in nähern Verkehr trat, aufgeschlagen dalag. Er durchschaute es um so leichter, weil die unschuldvolle, liebliche Mormonin mit ihren schwärmerischen, etwas überspannten Ideen von dem Augenblick an, in welchem sie zuerst den Fuß an Bord des Leoparden stellte, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf ihn ausgeübt hatte, und jedes ihrer Worte, ja, jeder Blick von ihr eine so lange nachhallende Saite in seiner Brust berührte. Daß das arglose Kind das Opfer einer wohlüberlegten Täuschung sei, bezweifelte er nicht, eben so wenig, daß den jugendlich überspannten Träumen dereinst ein bitteres Erwachen folgen werde. Trotzdem er aber Alles dieses ahnte, wagte er doch nicht, Herthaʼs heiteres, zufriedenes Gemüth durch das Erwecken von Zweifeln zu trüben. Ueberredete er sich aber, daß es seine Pflicht sei, sie über das Geschick aufzuklären, welchem sie, im vollsten Vertrauen auf den klaren Blick und die Rechtlichkeit der ihr zunächst stehenden Menschen, blindlings entgegeneile, dann scheiterten seine Pläne, sobald er ihr gegenübertrat und in ihre frommen, unschuldvollen Augen blickte. Er hätte ja ihr keusches Ohr, ihr jungfräuliches Gemüth auf das tiefste verletzen müssen. Gegen das Mormonenthum aber im Allgemeinen zu zeugen und zu eifern, das kam ihm nicht in den Sinn. Seine Versicherungen wären von Hertha doch nur für ähnliche Verleumdungen gehalten worden, wie diejenigen, von welchen Jansen und Rynolds ihr ja täglich erzählten und sogar die Beweise lieferten, und das wachsende Vertrauen, welches sie ihm so deutlich, aber unbewußt bei jeder Gelegenheit entgegentrug, wäre dadurch vielleicht unheilbar erschüttert worden.

Wenn nun Herthaʼs Gemüth wie ein klarer, von keinem Hauch getrübter Spiegel vor ihm lag, so war ihm noch weniger eine Seite in dem Charakter der Demoiselle Corbillon verborgen geblieben, und wo er vielleicht nicht sogleich deren Neigungen und Wünsche errieth, da trug sie in ihrer geschwätzigen Eitelkeit, wenn auch ohne es zu wollen, dafür Sorge, dieselben recht verständlich durchblicken zu lassen.

Weatherton bebte oft, wenn sie in Gegenwart des jungen Mädchens ihre Zunge nicht zu zügeln wußte, und in dem einen Augenblick sprach, was sie im nächsten widerrief, weil ihr dergleichen Erörterungen von Rynolds streng untersagt worden waren. Dergleichen Giftpfeile prallten indessen harmlos, und ohne Spuren zurückzulassen, an Herthaʼs reiner Seele ab; und widerte ihn auf der einen Seite die niedrige Denkungsweise der Gouvernante an, so erfreute er sich auf der andern doppelt an der bezaubernden Unschuld und der edlen Einfachheit ihrer Schutzbefohlenen.

Doch mehr und begründetere Besorgnisse, als die in steife Formen gehüllte Charakterlosigkeit der Erzieherin, flößten ihm, Jansen und Rynolds für Herthaʼs Geschick ein.

Er erkannte in Ersterem den finstern Fanatiker, in dem Andern dagegen einen gewissenlosen Bösewicht, und schwer fiel es ihm auf die Seele, daß des jungen Mädchens ganze Zukunft vorzugsweise in den Händen dieser beiden Männer ruhe. Zugleich entging es ihm aber auch nicht, daß diese sorgfältig Alles vermieden, was einem unberufenen Beobachter hätte Gelegenheit bieten können, ihnen hindernd entgegen zu treten und ihre Pläne zu durchkreuzen.

Je schwerer nun die Besorgnisse, welche ihn über die von Gefahren umgebene Zukunft Herthaʼs erfüllten, um so inniger und lebhafter wurde auch die Theilnahme, welche er für sie fühlte; und da ihm jeder Weg, jedes Mittel, eine Wendung in ihrem Geschick herbeizuführen, abgeschnitten war, so keimte in ihm der Entschluß, so weit es in seinen Kräften liege, über sie zu wachen, um endlich dennoch in den Besitz von Beweisen böser, selbstsüchtiger Absichten zu gelangen, welche dazu dienen konnten, sie von Rechtswegen der Macht ihrer Vormünder und mithin dem ihr drohenden dunkeln Loose zu entreißen.

Dergleichen Beweggründe leiteten ihn auch, als er Jansen und Rynolds ausnahmsweise, auf ihre dringenden Bitten, bald nachdem der Anker gefallen war, landen ließ, und als er den Bootsmann, auf dessen unerschütterliche Treue er rechnen durfte, beauftragte, den beiden Mormonen nachzuspähen.

Der Zufall war ihm zu Hülfe gekommen, dies, ohne Aufsehen zu erregen, inʼs Werk setzen zu können; denn da der Capitän des Leoparden sich gleich nach ihrer Ankunft im Hafen, in Begleitung des Capitäns und der Steuerleute der verunglückten Brigg nach der Stadt begab, so war ihm, als dem ältesten Officier, das Commando auf der Cornette übertragen worden, ein Umstand, für welchen er sich in diesem Augenblick mehr als jemals in seinem Leben glücklich pries. —

Als Demoiselle Corbillon also bei seiner Anrede das Wort ergriff und sich mißbilligend über die Unbequemlichkeiten des Seelebens aussprach, zugleich aber sich in indirecten Lobpreisungen des Mormonenthums erging, da lächelte Weatherton bezeichnend vor sich hin. Ihm waren die Gefühle, welche sie zu solchen Aeußerungen veranlaßten, vollständig klar, und er bewunderte nur die Ausdauer, mit welcher sie auf ihre Art immer wieder darauf hin arbeitete, ihn zu bekehren.

»Ihr urtheilt hart, Demoiselle Corbillon,« sagte er, indem er das Lächeln zurückdrängte und einen fragenden Blick auf Hertha richtete, »viel zu hart für eine Dame, welche selbst so oft ihre Bewunderung über die Erhabenheit des ewigen Weltmeers aussprach. Und was die Unbequemlichkeiten an Bord eines Kriegsschiffes anbetrifft, so mögt Ihr überzeugt sein, daß Manches viel anders gewesen wäre, hätten wir geahnt, daß der Leopard durch den Besuch von Damen geehrt werden würde.«

Demoiselle Corbillon, die das Compliment nur auf ihre Person bezog, zwang ihren Oberkörper zu einer steifen Bewegung. Offenbar sann sie darüber nach, wie sie am leichtesten ihr kurz vorher ausgesprochenes Urtheil mildern könne, als Hertha sich in ihrer offenen, ehrlichen Weise an den Officier wendete.

»Ihr sprecht von Unbequemlichkeiten, Lieutenant Weatherton,« hob sie an, und ein herzlicher Ausdruck verschönte ihr edles Antlitz, »dabei vergeßt Ihr aber, daß eine schreckliche Katastrophe uns zu Passagieren des Leoparden machte. Ich habe die Unbequemlichkeiten nicht empfunden, und wenn Ihr glaubt, daß ich mich mit so großer Freude von Eurem Schiffe trenne, so muß ich Euch nothgedrungen widersprechen. Ich für meine Person betrachte den Leoparden, trotz seines drohenden Namens, als einen alten lieben Freund und Wohlthäter, von dem ich nur mit dem innigsten Bedauern scheide, und dessen ich mich bis an das Ende meines Lebens dankbar erinnern werde. O, wenn lange Jahre darüber hingegangen sind, dann wird er, sammt seiner ganzen braven Bemannung, noch oft vor meiner Seele auftauchen, aber dann nicht nebelhaft und undeutlich, sondern gerade so, wie ich ihn jetzt vor mir sehe, mit seinem weißen Deck und seinen schlanken Spieren, das ist originell; Ihr seht, ich habe von Euerm gutmüthigen, aber etwas eigensinnigen Hochbootsmann, dem Master Raft, schon etwas gelernt,« fügte sie schalkhaft lächelnd hinzu.