Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer

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»Auch das ist richtig. Aber daraus folgt doch noch nicht, daß ich mich, wie Sie sich auszudrücken belieben, unter meinem Stande unterhalten hätte.«

»Ich bitte um Verzeihung, meine Gnädigste. Einem gesellschaftlich vollwertigen Besuch empfiehlt die Hausfrau vielleicht, sich auf den Weg eine Zigarre mitzunehmen –, eine! Natürlich ohne Betonung. Eine Handvoll zu geben oder – zu nehmen, das deutet schon auf einen gewissen gesellschaftlichen Abstand.«

»Sie sind wirklich der reine Kriminalkommissär, Dagobert!«

»Auf einen Abstand und doch auch auf eine gewisse Sympathie.«

»Es ist auch ein ganz netter, liebenswürdiger junger Mann. Haben Sie sonst noch etwas herausgebracht?«

»O, noch eine ganze Masse! Ich legte mir die Frage vor: Was kann das für ein junger Mann sein, der so oft, vielleicht täglich, ins Haus kommt, ohne daß es irgendwie auffiele? Die Antwort darauf war nicht schwer. Es konnte nur ein Beamter aus dem Bureau Ihres Mannes sein, wohl einer, der die Aufgabe hat, jeden Tag am Abend dem Chef die Kassaschlüssel oder den Tagesrapport zu überbringen.«

»Er bringt allerdings nach Geschäftsschluß die tägliche Abrechnung nach Haus. Mein Mann hat sich das so eingerichtet.«

»Woran er sehr recht getan hat. Das weiß ich übrigens nun auch. Denn ich war inzwischen bei Ihrem Direktor.«

»Nein, was Sie nicht alles treiben, wenn Sie eine Spur verfolgen!«

»Man fängt entweder nicht an, meine Gnädigste, oder man fängt an, dann aber muß man auch bis ans Ende gehen, sonst hätte es keinen Sinn.«

»Und was haben Sie bei dem Direktor ausgerichtet?«

»Alles, was ich wünschen konnte.«

»Lassen Sie hören, Dagobert!«

»Ich sagte ihm, daß ich gekommen sei, einen jungen Mann zu protegieren –, er solle mich nur dem Chef nicht verraten. Der Direktor lächelte. Er wisse ganz gut, daß, wenn ich vom Chef etwas wolle, es von vornherein bewilligt sei. Wohl möglich, gab ich zu, es wäre mir aber lieber, ihn nicht direkt um den Freundschaftsdienst zu bitten. Der Direktor begriff oder tat, als begriffe er, und stellte sich mir zur Verfügung.«

Um was handelt es sich? fragte er.

Sie haben da einen jungen Mann im Kontor, erwiderte ich, – na, wie heißt er doch nur? Ich habe so ein scheußliches Namensgedächtnis! Tut übrigens nichts; werde schon draufkommen. Also ein auffallend großer junger Mann mit liebenswürdigen Manieren – sonst hätte er Ihnen nicht gefallen, meine Gnädigste –, mit einem schönen schwarzen Bart und guten Zähnen. Abends bringt er gewöhnlich dem Chef –

Ach, das ist ja unser Sekretär Sommer! unterbrach mich der Direktor.

Sommer, natürlich Sommer! Daß mir der Name entfallen konnte! Sehen Sie, lieber Direktor, Sommer ist ja ein ganz begabter Mensch, aber er ist in der Kanzlei, bei der Korrespondenz nicht am richtigen Platze. Es fehlt die letzte Genauigkeit und Exaktheit bei der Arbeit. Dagegen müßte er sich vortrefflich verwenden lassen für den Verkehr mit den Parteien. Ich weiß, daß Sie schon geraume Zeit nach einer geeigneten Persönlichkeit suchen zur Leitung der Verkaufsfiliale in Graz. Wäre das nichts für Sommer?

Der Direktor schlug sich mit der Hand auf die Stirne.

Donnerwetter, das ist eine Idee! Da suchen wir uns die Augen aus dem Kopfe und haben den Mann in nächster Nähe! Natürlich ist Sommer wie geschaffen dafür! Sie üben da nicht Protektion an ihm, sondern erweisen uns einen Dienst mit Ihrem Vorschlag. Er geht nach Graz. Die Sache ist abgemacht.

»Sie sehen, meine Gnädigste, ich war glücklich genug, ein wenig Vorsehung spielen zu können.«

»Aber Dagobert, wie konnten Sie die Behauptung riskieren, daß der junge Mensch nicht fürs Bureau tauge?«

»Da war nichts riskiert dabei. Ich verließ mich auf mein bißchen Psychologie. Der richtige Bureaumensch ist immer mehr oder minder – bis zu einem gewissen Grade – Pedant. Er wird es durch seine Beschäftigung, die unausgesetzte minuziöse Genauigkeit erfordert. Ein Pedant ist unser Freund nicht. Der richtige Bureaumensch beißt die Spitzen der Zigarren nicht mit den Zähnen herunter, sondern er schneidet sie säuberlich ab mit dem Federmesser oder mit einer besonderen Maschinerie, die er sicher bei sich trägt, wenn er Zigarrenraucher ist. Und noch etwas tut der richtige Bureaumensch nicht. Er legt Zigarrenstummel nicht auf Marmorkamine. Er bemüht sich vielmehr zum Aschenbecher und deponiert den Rest dort, immer bestrebt, darauf zu achten, daß nicht etwas von der Asche daneben gehe. Unser sorgloser junger Freund, der es mit einem Zigarrenstummel nicht so genau nimmt, wird es wahrscheinlich auch mit der Bureauarbeit nicht gar zu genau nehmen. Er hat's nicht in sich!«

»Und daraus haben Sie dann gleich geschlossen, daß er der richtige Mann für den Parteienverkehr ist?«

»Nicht nur daraus, sondern auch aus der Bevorzugung, die Sie ihm haben zuteil werden lassen, meine Gnädigste. Er muß ein sehr angenehmes Mundwerk haben, wird wohl auch ein kleiner Schwerenöter sein. Das alles ist ganz vortrefflich, wenn man mit der Kundschaft in persönliche Berührung zu treten hat.«

»Eines müssen Sie mir noch aufklären, Dagobert. Sie haben sich bemüht, den jungen Mann wegzubringen, weil Sie um meine Tugend besorgt waren?«

»Aber, Frau Violet! Sie wissen doch, welches Vertrauen ich in Sie setze! Da ich aber wußte, daß die abgängigen Zigarren durch Ihre Hände gegangen waren, und Sie daraus Ihrem Manne gegenüber ein Geheimnis machten, mußte der Raucher notwendigerweise verschwinden. Das mußte sein!«

»Ein Geheimnis! Da steckt ja die Ungeschicklichkeit von mir. Ich hatte es meinem Manne nicht gleich gesagt; hatte nicht daran gedacht, und als er dann eine Affäre daraus machte, da wäre es so merkwürdig herausgekommen. Es wäre mir peinlich gewesen.«

»Geradeso habe ich es aufgefaßt, gnädige Frau ... Für mich dürfte übrigens der Wagen vorgefahren sein. Sollte der junge Mann noch kommen, sich zu verabschieden, dann bieten Sie ihm zur Abwechslung eine Zigarre von einer anderen Sorte an, und dann wird diese wichtige Affäre für alle Zeit erledigt sein.«

Der Falschspieler

Andreas Grumbach hatte eigentlich immer ein recht zurückgezogenes Leben geführt. Seine Ehe mit der Schauspielerin Moorlank hatte sich, entgegen der ursprünglichen Annahme der abratenden Freunde, zu einer durchaus ungetrübten und glücklichen gestaltet. Die blonde Frau Violet führte das Hauswesen mit tadelloser Sorgfalt und Geschicklichkeit, und Grumbach fühlte sich zu Hause so wohl, daß er an besondere gesellschaftliche Zerstreuungen gar nicht dachte, obschon vielleicht Frau Violet nicht abgeneigt gewesen wäre. Sie war aber zu klug, da auf Änderungen zu dringen, wo ohnedies alles zu allseitiger Befriedigung sich abwickelte.

Tagsüber hatte Grumbach genug zu arbeiten, und da war es ihm doch am liebsten, wenn er die Abende in seinem Heim verbringen konnte, das ihm Frau Violet mit aller Umsicht, mit Takt und Geschmack ganz in seinem Sinne eingerichtet hatte. Einmal in der Woche besuchte er seinen Klub, das war er sich schuldig; und für einen Abend in der Woche hatte er eine Loge in der Oper, das war er Frau Violet schuldig. Sonst aber blieben sie fein zu Hause, wo es nach seiner Auffassung doch am schönsten war.

Gäste sahen sie selten bei sich. Dagobert Trostler, der gediente Lebemann, der im ruhigen Genusse seiner Renten jetzt nur noch seinen Liebhabereien lebte, der zählte kaum mit. Er konnte kommen und gehen, wann er wollte. Man war auf den alten Freund des Hauses immer vorbereitet, und er gehörte sozusagen zum Hause. Seine großen Passionen wurden ja vielfach belächelt, aber er war zu sehr Philosoph, um sich das sonderlich anfechten zu lassen.

Für Grumbachs war er geradezu unentbehrlich geworden, schon durch die Macht der Gewohnheit; aber auch sonst. Er war ein treuer und sorglicher Freund, auf den man sich in allen Lebenslagen unbedingt verlassen kannte. Er war aber auch der Mittler für die Außenwelt; er brachte die Neuigkeiten des Tages ins Haus, sorgte dafür, daß man in Sachen der Kunst aus dem laufenden blieb und wußte in einemfort allerlei Räuberromane und Kriminalgeschichten zu erzählen, bei denen man sich auch ganz gut unterhalten konnte.

Dieses Idyll hatte aber nun ein Ende gefunden, und Grumbachs wurden mit einem Male hineingerissen in den Wirbel des gesellschaftlichen Lebens der Reichshaupt- und Residenzstadt, sehr gegen die Neigung des Mannes, nicht so auch gegen die von Frau Violet, die da fand, daß sie nun erst die Rolle spiele, die ihr eigentlich und von Rechts wegen schon lange gebührt hätte.

Das war so gekommen: Freiherr Friedrich von Eichstedt, der Chef der altberühmten Firma Eichstedt & Rausch, war der eigentliche Begründer des Klubs der Industriellen gewesen und dessen alljährlich neugewählter Präsident durch volle zehn Jahre. Als die zehn Jahre um waren, wurde das Jubiläum unter großartigen Ovationen gefeiert. Es gab ein denkwürdiges Bankett, zu dem auch die Damen der Mitglieder eingeladen waren, – die Toilette von Frau Violet war sehenswert. Die große Überraschung für den Präsidenten war die feierliche Enthüllung seines von Leopold Horowitz für den Sitzungssaal gemalten Porträts. Er hatte dem Künstler natürlich dazu gesessen. Es wurden prachtvolle Reden gehalten, und alles war sehr schön. Nur eines schien bedauerlich. Der Präsident wollte nicht mehr. Er hatte genug; er wollte durchaus und durchaus nicht mehr. Er habe seinen Dienst zehn Jahre gemacht, nun solle ein anderer 'ran.

Es war nichts zu machen, und in der nächsten Generalversammlung wurde einstimmig zum Präsidenten – Andreas Grumbach gewählt. Nun war sie da, die Bescherung! Ablehnen ging nicht. Zu Hause redete Frau Violet zu, und sie hatte sich sogar hinter Dagobert gesteckt, daß er ihrem Mann die etwaigen Bedenken austreiben möchte. Aber auch ohne das – es ging wirklich nicht, abzulehnen. Die Wahl bedeutete eine Auszeichnung, die reichlich auch einen hohen Orden aufwog. Der erste Klub der Stadt, der Klub der Millionäre, wie er im Volksmund hieß! Der Mann, der da an die Spitze berufen wurde, der stand damit eigentlich an der Spitze der Industriellen überhaupt. Dazu mußte einer doch schon, figürlich gesprochen, von guten Eltern sein, das will besagen, daß sein persönlicher und geschäftlicher Ruf über allen Zweifel erhaben, sein Kredit ein unbeschränkter und dementsprechend auch sein Reichtum ein sehr wohlfundierter sein mußte. Für einen Geschäftsmann war also eine solche Berufung nicht mehr und nicht minder als ein Adelsbrief.

 

Derlei lehnt man nicht ab, zumal die Würde auch ihre Bürde hatte, welche die Übernahme in doppelter Hinsicht als Ehrenpflicht erscheinen ließ. Es war bekannt und durch die Amtsführung des ersten Präsidenten förmlich zur Tradition geworden, daß mit der Leitung des Klubs ganz erhebliche materielle Opfer verbunden waren. In Wien haben die Klubs von jeher einen sehr schweren Stand gehabt. Die unzähligen eleganten Kaffeehäuser, die London, der klassische Boden des Klubwesens, nicht hat, bieten da mit ihren Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten eine schier unbesiegliche Konkurrenz. Darum vegetieren denn auch alle Klubs nur notdürftig und arbeiten mit Defizit, solange es eben geht. Trotzdem wollten die Industriellen ihren Klub haben, und bei dem mußte natürlich von vornherein jeglicher Zweifel an seinem Bestande ausgeschlossen bleiben. Da nun aber auch die Industriellen nicht zaubern können, so verließ man sich ruhig darauf, daß der jeweilige Präsident schon für die Ehre des Hauses, also auch dafür sorgen werde, daß da kein Defizit zum Vorschein kam.

Die Mitgliedsbeiträge waren recht ansehnlich, zweihundert Gulden jährlich, und dazu kamen noch Einnahmen aus den Kartengeldern, die im Jahre doch an die zwanzigtausend Gulden ausmachten. Aber auch an Ausgaben fehlte es nicht. Zehntausend Gulden Miete, zehntausend Gulden das Personal, zehntausend Gulden für Heizung, Beleuchtung, Zeitungen und sonstige Anschaffungen, zehntausend Gulden Verlust bei Küche und Keller; denn es mußte alles erstklassig und dabei billig sein, um die Mitglieder heranzulocken und zusammenzuhalten. Und so ging das fort. Da läppern sich die Ausgaben doch schon zusammen.

Mit all diesen Sorgen war nun Andreas Grumbach beladen, und das war noch nicht einmal alles. Die neue Würde legte auch Repräsentationspflichten auf, vor denen er früher so schön Ruhe gehabt hatte. Früher hatte er so bequem abseits gesessen, und nun riß ihn der gesellschaftliche Strom mit. Gab der Minister des Kaiserlichen Hauses und des Äußeren einen Rout oder der Ministerpräsident eine Soiree, wurde ein Denkmal enthüllt oder ein General begraben, eine Schule eingeweiht oder eine Ausstellung eröffnet, – der Präsident des Klubs der Industriellen wurde eingeladen und mußte dabei sein, was dann natürlich auch immer zum ewigen Gedächtnis ins Protokollbuch der Vorstandssitzungen eingetragen wurde. Dann kamen auch noch die privaten Einladungen, für die man sich revanchieren mußte. Kurz, es ging recht bunt zu, und Frau Violet war's sehr zufrieden.

Die Hauptschuld an allem trug eigentlich Baron Eichstedt. Erstlich einmal, weil er überhaupt das Präsidium niedergelegt hatte, und zweitens, weil er sich in Frau Violet ganz verliebt hatte – natürlich und selbstverständlich in allen Ehren. Das war die Dame, wie er sich sie schon lange gewünscht und lange gesucht hatte. Seine eigene Frau war ihm schon vor zwölf Jahren gestorben, und seit der Zeit hatte alles gesellschaftliche Leben in seinem Hause geruht. Er hatte sich ganz seinem Klub gewidmet, der ihm das Heim ersetzte. Nun regte sich aber doch das Gewissen in ihm; das mußte anders werden. Als seine Frau gestorben war, hatte sie ihm ein einziges Kind hinterlassen, eine kleine Tochter, Gretl. Das war jetzt eine junge Dame von achtzehn Jahren, an deren Zukunft man doch denken mußte. Er mußte Leute bei sich sehen, und er mußte das Mädchen in die Welt einführen. Dazu brauchte er eine befreundete Dame, die liebenswürdig genug war, an seiner Seite in seinem Hause bei festlichen Anlässen mit die Honneurs zu machen und außer Hause seine Tochter mit der nötigen Anmut und Würde zu chaperonieren. Weit und breit hätte er da keine geeignetere Persönlichkeit finden können als Frau Violet. Das war eine Dame von Welt, die sich anzuziehen, sich zu benehmen und zu repräsentieren wußte, und dabei war sie niemals steif und langweilig, sondern immer gut aufgelegt und munter. Gretl konnte von ihr schon etwas lernen. Daß sie Schauspielerin gewesen, tat ihr gesellschaftlich keinen Abbruch. Wenn es anfänglich vielleicht hier und da Bedenken gegeben haben mochte, so hatte diese das Schwergewicht des gesellschaftlichen Ansehens ihres Mannes doch sehr bald beiseite gedrückt.

Dagobert Trostler tat bei alledem immer mit. Grumbach hätte ihn um keinen Preis aufgegeben, und auch Frau Violet war so an ihn gewöhnt, daß er ihr sehr gefehlt hätte. Er hatte also, als Grumbach Präsident wurde, nicht nur in den Klub einzutreten, er mußte es sich auch gefallen lassen, auf Vorschlag des Präsidenten in den Ausschuß kooptiert zu werden. Die Freundschaft war eine notorische, und man richtete sich danach. Man wußte, daß man dem Herrn Präsidenten gefällig sei, wenn man mit ihm auch seinen Freund einlud.

Wie jedem großen Manöver die Kritik folgt, so folgte jeder mitgemachten Unterhaltung, und wenn man noch so spät heimkehrte, im Hause Grumbach die kritische Besprechung derselben. Dagobert mußte immer noch »auf einen kleinen Schwarzen und eine Zigarre« mitfahren. Frau Violet wollte es so. Man könne doch nicht gleich schlafen gehen. Ein kleiner Plausch, ein kleiner Tratsch, ein bisserl Leutausrichten – das beruhigt die Nerven wunderbar.

So saßen die drei wieder einmal zu nächtlicher Stunde beisammen und übten Manöverkritik an der eben absolvierten Soiree bei Eichstedts.

»Es war doch sehr hübsch,« bemerkte Frau Violet, die da allerdings interessierte Partei war.

»Es war tadellos,« bekräftigte Dagobert, seinen Schwarzen schlürfend. »Sie waren einfach bewunderungswürdig, Frau Violet, wie Sie die Honneurs machten.«

»Mein Gott, es ist so schwer, wenn so viele Leute da sind!«

»Ja, ein wenig zu voll war es doch wohl.«

»Sie haben sich darüber nicht zu beklagen, Dagobert. Sie liegen ja immer auf der Lauer mit Ihren Beobachtungen. Je mehr Leute, desto besser für Sie.«

»Das ist nicht richtig, Frau Violet. Es beobachtet sich besser, wenn das Gewühl nicht so groß ist.«

»Also gar keine Ausbeute heute?«

»O doch, eine Kleinigkeit schon! Ich möchte wissen, ob sie ihn auch liebt.«

»Sie haben so eine merkwürdige Art, Dagobert, die Leute mit unvermittelten Fragen und Behauptungen zu überrumpeln. Wer soll wen lieben? Und wie soll ich das wissen?«

»Nicht so unvermittelt, wie es scheint, Gnädigste. Ich liebe es nur, gelegentlich das Bekannte als bekannt vorauszusetzen und mich damit nicht weiter aufzuhalten. Ich meine wirklich, daß, wenn jemand es wissen könnte, Sie es sein müssen.«

»Etwas deutlicher, wenn ich bitten darf!«

»Ich habe im Vorzimmer, als wir weggingen, eine hübsche kleine Szene beobachtet. Eine Schauspielerin hätte davon lernen können.«

»Sie machen mich neugierig, Dagobert.«

»Die Dienerschaft half den Herrschaften in die Überkleider. Ein junger Mann, unzweifelhaft der hübscheste in der ganzen Gesellschaft – er hat so schöne melancholisch-träumerische Augen – «

»Ich weiß schon – Baron André, der kleine Attaché.«

»Bei welcher Gesandtschaft?«

»Bei keiner vorläufig. Er ist Diplomat von Beruf und wartet nun hier darauf, daß ihn seine Regierung nach Petersburg oder Madrid dirigiere.«

»Gut. Ich bemerkte also, daß dieser junge Mann nicht ohne Geschicklichkeit so manövrierte, daß nicht einer der sechs Lakaien dazu kam, ihm beim Anziehen behilflich zu sein, sondern das einzige im Vorzimmer anwesende Stubenmädchen.«

»Die war eigentlich da, um den Damen zu helfen.«

»Verstehe vollkommen. Kein schlechter Geschmack; hätte mir auch lieber von ihr helfen lassen. Ich beobachtete weiter. Und nun kommt die kleine Szene; sie war allerliebst. Er drückt ihr etwas in die Hand, das Trinkgeld. Da hätten Sie das Gesicht des Kammerkätzchens sehen sollen; es war zu reizend. Im ersten Moment Verblüffung, eisige Kälte, ja geradezu Entrüstung. Dann ein rascher Blick und darauf sofort hellster Sonnenschein. Rasch fuhr die ordnende Hand noch einmal über seinen Überrrock, dann ein freundliches Lächeln und eine devote Verbeugung. Das Mädel hat mir gefallen!«

»Wenn sie Ihnen nur gefallen hat, Dagobert! Und was hat es weiter auf sich mit Ihren interessanten Vorzimmerstudien?«

Frau Violet sagte das in nicht gerade sehr gnädigem Tone. Freund Dagobert hätte wissen können, daß man bei einer schönen Frau, vielleicht bei einer Frau überhaupt, sehr selten Glück damit hat, wenn man über ein anderes weibliches Wesen besonders entzückt ist. Und nun erst, wenn dieses andere Wesen ein Stubenmädchen ist! Ernste Forscher sind zwar längst darüber einig, daß unter Umständen auch Stubenmädchen ihre ästhetischen Vorzüge haben können, aber über gewisse Dinge ist mit Frauen einmal nicht zu reden.

»Ich meine,« fuhr Dagobert fort, »daß dieses wechselnde und ausdrucksvolle Mienenspiel einer Künstlerin auf der Bühne einen Spezialapplaus eingetragen haben würde. Während der Fahrt zu Ihnen, meine Gnädigste, habe ich mir die Sache dann zurechtgelegt. Die Zofe hat in ihrer Hand zuerst die kleine Münze gespürt. Darob die gerechte Entrüstung. Der rasche Blick belehrte sie, daß es keine kleine Münze, sondern ein Goldstück war. Daraufhin –«

»Erlauben Sie, lieber Dagobert,« unterbrach ihn Frau Violet ein wenig ungeduldig, »Ihre Trinkgeldphilosophie mag ja recht interessant sein, aber eigentlich ist es doch nicht das, was ich von Ihnen wissen wollte.«

»Ich bin ganz bei der Sache, meine Gnädigste, aber man muß einen Menschen doch ausreden lassen. Goldstücke als Trinkgelder sind bei uns nicht recht gebräuchlich. In älteren Opern und Tragödien wirft man der Dienerschaft noch einen Beutel Zechinen hin, aber das ist nicht mehr modern. Heutigestags sind nur noch die französischen Dramatiker besonders verschwenderisch. Die lassen ihre Helden gewöhnlich einen ungeheuern Aufwand treiben – aus eine Million mehr oder weniger kommt es ihnen gar nicht an –, und namentlich lassen sie sie gern riesige Trinkgelder verteilen. In unserem bürgerlichen Gesellschaftsleben ist das nicht Stil. Wir geben einen Silbergulden, und ich meine –«

»Aber – Dagobert!!!«

»Werden Sie mir nur nicht ungeduldig, meine Gnädigste!«

»Wie soll da aber ein Mensch auch nicht ungeduldig werden! Sie wollten von einem Herzensroman sprechen, bei dem ich eine Rolle spielen sollte, und nun halten Sie mir einen Vortrag – über Trinkgelder!«

»Ich sagte, daß ich mir die Sache im Wagen zurechtgelegt habe. Die Trinkgeldgeschichte hat mich erst auf die richtige Fährte gebracht. Der junge Mann ist nicht dumm –«

»Hat auch niemand behauptet!«

»Und geht sehr methodisch vor. Baronin Gretl ist die anmutigste und liebenswürdigste junge Dame, die ich kenne. Wer hat ihn denn eigentlich in die Gesellschaft eingeführt?«

»Gretls Vettern, Fredl, der Kavallerist, und Gustl, der Ministerialsekretär, mit denen er intim befreundet ist. Sie müssen ihn übrigens auch vom Klub her kennen, wo er, seitdem er hier ist, als Gast eingeschrieben ist.«

»Er war mir noch nicht ausgefallen. Also er geht methodisch vor. Er liebt Baronin Gretl, und das ist ihm sicher zu verdenken.«

»Woher wissen Sie das, Dagobert?«

»Zuerst bemerkte ich es daran – aber Sie dürfen nicht böse werden – wie er Ihnen den Hof machte, gnädigste Frau.«

»Mir?!«

»Ihnen. Allerdings. Das war ganz richtig kalkuliert. Sie vertreten dort die Hausfrau und, wie ich gleich hinzufügen will, mit bewunderungswürdiger Grazie und unvergleichlicher Umsicht. Er hat Ihren Einfuß nicht zu hoch eingeschätzt. Seine Chancen stünden schlecht, wenn er Sie gegen sich hätte. Er hatte sich also an Sie herangemacht und, wie ich mit Vergnügen bemerkt habe, nicht ohne Erfolg.«

»Was wollen Sie damit sagen, Dagobert?«

»Was ich gesagt habe. Sie haben ihn in Ihr Herz geschlossen.«

»Weil er ein reizender Mensch ist.«

»Das sage ich auch. Es läßt sich nichts Hübscheres und Liebenswürdigeres denken als die Art, wie Sie, gnädige Frau, trotz der vielseitigen Inanspruchnahme die beiden Leutchen wohlwollend zu bemuttern wußten.«

 

»Habe ich damit etwas Unrechtes getan?«

»Gewiß nicht. Mir war es eine spezielle Freude, zu sehen, wie sich auch bei Ihnen der echt weibliche Trieb, Ehen zu stiften, betätigte.«

»Und was hat bei alledem – das Trinkgeld zu tun?«

»Nicht viel mehr, als daß es mich auf einige Ideen gebracht hat. Ich hätte sonst kaum über die ganze Geschichte weiter nachgedacht. Methodisch – sagte ich. Sie waren gewonnen. Irgendein Lümmel von den Lakaien hätte ihm kaum etwas nützen können, dagegen kann die Zofe unter Umstünden eine ganz verwendbare Bundesgenossin werden.«

Nun war auch Frau Violet befriedigt. Es hatte ihr doch gefallen, wie Dagobert all das herausgebracht hatte, wovon sie geglaubt hätte, daß es noch kein Mensch bemerkt habe. –

Einige Tage später befand sich Dagobert wieder im Grumbachschen Hause. Sie waren nur zu dritt bei Tisch gewesen, dann begaben sie sich ins Rauchzimmer, wo Frau Violet sich's auf ihrem Lieblingsplätzchen beim Kamin bequem machte, während die beiden Herren sich am Rauchtische einrichteten. Man saß erst eine Weile schweigend, und dann begann Dagobert mit ganz harmloser Miene, als spreche er von der natürlichsten und selbstverständlichsten Sache der Welt: »Weißt du übrigens, mein lieber Grumbach, daß in deinem Klub falsch gespielt wird?«

»Um Gottes willen!« rief Grumbach und fuhr wie von der Tarantel gestochen auf. Er war ganz blaß geworden. »Das ist ja entsetzlich! Und das sagst du mir erst jetzt?!«

»Ich weiß es selber erst seit heute vormittag, und ich wollte dir nicht vor Tisch den Appetit verderben.«

»Ich danke ab!«

»Das heißt, du willst dich um nichts kümmern. Dein Nachfolger soll dann sehen, wie er mit der Geschichte fertig wird.«

»Jedenfalls will ich mit solchen Geschichten nichts zu tun haben.«

»Von dir aus soll also dann ruhig weiter falsch gespielt werden?«

»Aber Dagobert, siehst du denn nicht, daß meine Lage furchtbar ist?«

»Angenehm ist sie allerdings nicht, Herr Präsident!«

»Da wird sich ein namenloser Skandal entwickeln!«

»Das ist wohl anzunehmen.«

»Und der Klub wird dabei zugrunde gehen! Was haben wir uns nicht alles auf unsere bürgerliche Ehrbarkeit zugute getan! Mit welcher Beruhigung haben nicht unsere alten Herren uns ihre Söhne zugeführt, – und nun das, das Allerschrecklichste. Ich geh'!«

»Ich denke, daß du gerade bleiben mußt, um den Klub zu retten.«

»Ich danke dir! Wessen Name wird mit der schmutzigen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden? Der meinige! Das Regime Grumbach! Unter seinem Vorgänger war derlei doch nicht möglich! Den Klub retten? Der ist so wie so verloren. Es braucht nur ein Wort davon in die Öffentlichkeit zu dringen, – und wie willst du das verhindern? – und jeder, der nur etwas auf seine Reputation hält, wird sich zurückziehen. Mit Recht. Polizei, Staatsanwalt, ein Skandal, wie er noch nicht da war, – und mitten drin throne ich als Präsident!«

»Es ist eine böse Geschichte, Grumbach, aber eben deshalb müssen wir trachten, den Kopf nicht zu verlieren.«

»Da läßt sich nichts mehr machen, wenn die Sache einmal ins Rollen gekommen ist. Soll ich's vielleicht auf mich nehmen, solche Geschichten zu vertuschen?! Es ist meine Pflicht, die Anzeige zu machen, und damit reiße ich den Klub zusammen.«

»Hja – ehrlich gestanden, bin ich mir in diesem Falle selber nicht klug genug.«

»Was weißt du, Dagobert?«

»Ich weiß zunächst nur, daß falsch gespielt wird, mehr nicht.«

»Hast du Beweise?«

»Ich habe sie in der Tasche.«

Er griff in die Rocktasche und brachte ein Spiel Karten zum Vorschein, das er Grumbach überreichte. Frau Violet, die schon still vor sich hinzuweinen begonnen hatte, weil sie nicht ohne Grund ihre glücklich errungene gesellschaftliche Stellung ernstlich bedroht sah, wenn Grumbach wirklich abdankte, gesellte sich nun zu den beiden Herren und begann mit ihrem Gatten das verhängnisvolle Spiel zu prüfen. Beide waren aber außerstande, irgend etwas Verdächtiges zu entdecken.

»Die Sache ist ja nicht schlecht gemacht,« gab Dagobert zu, »aber es ist doch die einfachste Form der Maquillage. Es gibt noch bessere Methoden. Diese ist nur die bequemste und für ein Publikum, das nicht argwöhnisch ist, vollkommen ausreichend.«

»So zeigen Sie uns doch,« drängte Frau Violet, »wie und wo diese Karten gezeichnet sind!«

»Aber mit Vergnügen, meine Gnädigste. Zuerst will ich Ihnen aber beweisen, daß sie wirklich markiert sind. Wollen Sie so freundlich sein und das Spiel mischen. Nur noch mehr! So! Haben Sie gut gemischt?«

»Gewiß!«

»Gut, und nun, Grumbach, hebe du ab. Noch einmal! Man kann nicht vorsichtig genug sein. Und nun werde ich Blatt geben. Wie viele Karten soll ich Ihnen geben, Gnädigste?«

»Sagen wir vier.«

»Gut, da haben Sie vier Karten. Halten Sie sie nur recht vorsichtig, damit ich sie nur ja nicht sehe. Hier auch für dich vier Karten, Grumbach. Glauben Sie, daß ich sehen konnte, was ich Ihnen gab?«

»Unmöglich!«

»Natürlich ganz unmöglich, aber Sie, meine Gnädigste, haben Herz Dame, Carreau König, Herz acht und Pique Dame, und du, Grumbach: Pique König, Herz Buben, Treff Aß und Carreau Aß. Stimmt es?«

Es stimmte.

»Und glauben Sie nun,« fuhr Dagobert fort, »daß mir diese Wissenschaft einen recht erheblichen Vorteil über meine Mitspieler sichert?«

»Ob ich das glaube!« rief Frau Violet. »Hören Sie, Dagobert, Sie sind mir unheimlich. Sie sind ja förmlich selber ein vollendeter Falschspieler!«

»Ich könnte es wenigstens sein, meine Gnädige. Denn alles, was dazu gehört, weiß und beherrsche ich vollkommen. Mein Gott, man macht seine Studien. Es gibt nämlich auch dafür eine Literatur. Ein sehr belehrendes Buch über das Falschspiel hat der hervorragende französische Polizist Mr. Cavaillé geschrieben. Unterhaltend ist auch das Buch des Prestidigitateurs Houdin über denselben Gegenstand. Das gründlichste Buch darüber schrieb aber natürlich ein Deutscher, der unter dem Pseudonym Signor Domino sich nur notdürftig verbarg. Sogar eine eigene Zeitschrift war dieser nobeln Disziplin gewidmet. Sie erschien knapp vor Ausbruch der großen Revolution und führte den Titel Diogène à Paris. Das Falschspiel dringt auch in weitere Kreise und höher hinauf, als man gemeiniglich annimmt. Von Kardinal Mazarin wird mit aller Bestimmtheit behauptet, daß er ein Falschspieler gewesen sei. Vielleicht ist das Mythe, sicher aber und beglaubigt ist es, daß im Jahre 1885 Graf Callado, der Gesandte des Kaisers von Brasilien, in Rom beim Falschspielen abgefaßt worden ist.«

»Hören Sie, Dagobert, Sie wissen aber auch alles!«

»An mir ist, vielleicht nicht nur meiner Überzeugung nach, ein Detektiv verloren gegangen, und eine was für klägliche Rolle müßte ein solcher gegebenenfalls spielen, wenn er das alles nicht wüßte und könnte.«

»Jedenfalls mochte ich mit Ihnen nicht spielen,« sagte Frau Violet lachend.

»Ich danke für das ehrende Vertrauen, aber ich möchte es Ihnen selbst nicht anraten. Ich bin nämlich ein starker Spieler und in allen Sätteln gerecht. Ich habe das Spieltalent. Viel tue ich mir darauf nicht zugute, aber es ist einmal da. Ich wäre also auch ohne Mogelei für jeden, geschweige denn für Ihr kindliches Gemüt, meine Gnädige, ein sehr gefährlicher Gegner. Weil dem aber so ist, und weil ich alles weiß und kenne, spiele ich selbst niemals, grundsätzlich nicht. Ich bin nur ein sehr geachteter Kiebitz, der im Zuschauen keine Fehler macht, und gelte bei allen Streitfragen als oberste und inappellable Instanz.«