Die Bad Religion Story

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Auf der High School begeisterte sich Greg für ein Thema, das als noch uncooler galt als Punk, die Paläontologie. Zwar war er immer schon ein wissbegieriger Junge gewesen, doch als er heranwuchs, stellte er sich immer mehr Fragen hinsichtlich der Welt und des Lebens lange Zeit vor seiner Geburt. Im letzten Schuljahr an der El Camino Real arbeitete er ehrenamtlich im paläontologischen Labor des Naturhistorischen Museums von Los Angeles County. Seine Aufgabe bestand darin, die Gesteinsbrocken, die die Mitarbeiter des Museums gesammelt hatten, mithilfe geheimnisvoller Werkzeuge zu bearbeiten, um darin verborgene Fossile freizulegen.

Diese Arbeit war mühsam und monoton. Auch musste Greg eine lange Busfahrt in Kauf nehmen, um zu einem Job zu gelangen, für den er nicht einmal bezahlt wurde. Mitunter arbeitete er stundenlang an einem simplen Zahn oder Knochenfragment. Sobald er fertig war, wurde ein Fossil auf Nimmerwiedersehen in ein anderes Labor weitergeschickt. Greg blieb zurück und rätselte, wie die einzelnen Bruchstücke wohl zusammenpassen mochten und was all dies zu bedeuten hätte. Diese dringlichen Fragen sollten die Songtexte seiner Band Bad Religion nachhaltig beeinflussen.

Die Laborarbeit ließ in Greg den Wunsch aufkeimen, mehr über die Fossile zu erfahren, die er zutage bringen half. Woher stammten sie? Was war mit ihnen passiert? Doch ihn faszinierte nicht nur die Taxonomie dieser Fossile, nicht nur das Wer und das Was, sondern auch das Wie und das Warum lagen ihm am Herzen. Kurzum, es interessierte ihn die ganze Geschichte dieser prähistorischen Fragmente, die gleichzeitig die Historie der geologischen Vergangenheit unseres Planeten preiszugeben vermochten.

Diese Erfahrungen am naturhistorischen Museum motivierten Greg, dessen Urgroßvater noch geglaubt hatte, die Erde sei gerade einmal 6.000 Jahre alt, Geologie zu studieren. Allerdings reichten Gregs Noten an der El Camino Real nicht aus, um ihm einen Studienplatz an der University of Wisconsin zu sichern, wo ihm die Studiengebühren erspart geblieben wären, da sein Vater dort ordentliches Fakultätsmitglied am Englisch-Institut war. Stattdessen inskribierte er im Herbst an der California State University in Northridge und besuchte Vorlesungen in Geologie und Biologie. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte Greg den Drang, außerordentliche schulische Leistungen zu erbringen.

Bad Religion gaben weiterhin Konzerte, traten zum Beispiel mit den Bad Brains im Ukrainian Culture Center in L.A. auf und unternahmen gelegentlich Ausflüge nach San Francisco. Allerdings traten sie nicht öfter als zwei-, dreimal im Monat auf. Dennoch fühlte sich die Band durch den Erfolg von How Could Hell Be Any Worse? bestätigt und ermutigt. Im Verlauf des Jahres wurde das Album mehrmals nachgepresst, um der Nachfrage gerecht zu werden. Ende 1982 hatten Bad Religion 10.000 Exemplare verkauft, was die ursprünglichen Erwartungen bei Weitem übertraf. „Das war damals in der Punk-Szene eine große Sache“, betont Brett.

Außerdem liefen sie nun regelmäßig in Rodney Bingenheimers Radioshow und konnten sich somit der Aufmerksamkeit der bunt gemischten Punkrock-Klientel in L.A. sicher sein. Die Band wurde sogar erneut zu New Wave Theatre eingeladen, wovon auch Greg Hetson Wind bekam. Am Tag der Aufzeichnung kreuzte er im Studio auf, um kostümiert mit Trenchcoat und Schlapphut „Part III“ mit der Band zu spielen. (Tragischerweise wurde Peter Ivers, der Moderator der Show im März 1983 erschlagen in seiner Wohnung aufgefunden. Der Mord wurde niemals aufgeklärt.)

Wann immer Hetson bei einer Show von Bad Religion zugegen war, sprang er bei „Part III“ auf die Bühne, um die Jungs zu unterstützen – bis er eines Tages de facto zu einem festen Mitglied der Band avancierte.

Für Bad Religion lief alles so gut, dass sich Brett einen Synthesizer, einen Roland Juno-6, leisten konnte. Wenn Greg seine Songs schrieb, hatte er oft das hoffnungslos verstimmte Klavier seiner Mutter benutzt. Das neue Keyboard bot hingegen eine Vielzahl an Effekten und war auch tragbar. Das Gerät war nicht nur ein praktisches Werkzeug, sondern sollte auch noch umfangreiche Auswirkungen auf die Band haben.

1982 waren Synthies in der Popmusik allgegenwärtig. Wenn man das Radio aufdrehte, gab es kein Entkommen. Die meisten Punk-Bands sträubten sich aus ästhetischen Gründen gegen sie. Sie lehnten Synthesizer vehement ab, weil sie in der Mainstream-Musik eine so dominante Rolle spielten.

Brett wusste genau, auf was er sich einließ, als er den Roland Juno-6 erstand: „Damals tendierten viele Kollegen in der Hardcore-Szene zu einem Post-Punk-Sound, der von englischen Gruppen wie Joy Division oder Public Image Limited beeinflusst war – und dass obwohl Synthies als verpönt galten. Mir war das Risiko bewusst, aber ich dachte, dass es Spaß machen könnte, ein bisschen zu experimentieren.“

Dann veröffentlichten T.S.O.L. ihr Album Beneath the Shadows auf Alternative Tentacles und Greg Kuehn spielte Keyboards darauf. Ein Song war sogar ein Instrumentalstück. Mit ihrer zweiten LP pushten T.S.O.L. ihren Death-Rock-Sound weiter in Richtung jener trostlosen Stimmung, die sie zuvor schon mit ihrer EP Weathered Statues angedeutet hatten. Für Brett veränderte Beneath the Shadows die musikalische Landschaft bemerkenswert.

„Zumindest auf mich hatten T.S.O.L, die zu meinen Lieblingsgruppen in der Hardcore-Szene von L.A. zählten, besonders großen Einfluss. Sie hatten gerade Beneath the Shadows veröffentlicht, worauf Synthies zu hören waren. Das war eine echte Innovation. Es kennzeichnete eine Weiterentwicklung des sehr aggressiven Hardcore-Punks hin zu einem fast schon postmodernen Sound.“

War Punk nun passé, oder war er einfach nur in eine neue, experimentelle Phase eingetreten? Manche Bands wollten brutale Hardcore-Fans davon abhalten, ihre Gigs weiterhin ins Chaos zu stürzen, indem sie Musik machten, die diese Fans hassen würden. Andere Bands wiederum entschärften ihren Ansatz, um in Konzerthallen auftreten zu dürfen, in denen Punk auf dem Index stand. Für Greg gehörte kontrollierte Gewalt zum Erlebnis Punkrock dazu. „Ich war sportlich und liebte Slamdance. Das war eine belebende Erfahrung.“ Brett sah das ähnlich. „Brutalität spielte für das, was Greg oder ich taten, nie eine zentrale Rolle, aber das aggressive Tanzen genoss ich jedes Mal. Das war so befreiend. Der Pit mit den chaotisch durcheinander wirbelnden Körpern gab einem die Möglichkeit, sich fallenzulassen und in Kontakt mit anderen zu treten – wenn auch nur für ein paar Minuten. Das war ein guter, sauberer und brutaler Spaß.“

Bis es eben aus dem Ruder lief. Ihre körperliche Größe und ihr Status als Bandmitglieder von Bad Religion half ihnen, sie vor Auseinandersetzungen mit gewaltbereiten Punks bei Shows abzuschirmen. Auch wenn sie nicht so hünenhaft und ungezügelt waren wie T.S.O.L., überragten sie andere Bands wie die Circle Jerks deutlich. Allerdings hatte sich die Atmosphäre unleugbar verändert. Als Brett und Greg begannen, neues Material für die nächste Platte zu schreiben, unterschied sich die Szene mittlerweile von jener, die dereinst die Screamers, die Weirdos und X hervorgebracht hatte. Greg schrieb einen Song und nahm ihn zur nächsten Probe mit. Zu Bretts Überraschung machte die neue Nummer auch vom Roland Juno-6 Gebrauch. Greg hatte den Synthesizer nicht nur für den kompositorischen Prozess verwendet, sondern ihn auch als Instrument vorgesehen.

Brett nahm diesen neuen Ansatz interessiert zur Kenntnis. „Er griff auf den Synthie anders zu, als das T.S.O.L. taten, die mehr so in Richtung Joy Division gingen.“ Bis dahin waren Synthesizer nur an der Peripherie des Punkrocks zum Einsatz gekommen, um ein musikalisches Ambiente von Trostlosigkeit und Verzweiflung zu suggerieren. Doch Gregs Song „It’s Only Over When …“ war unverschämt fröhlich und munter, so ähnlich wie eine Auftaktmelodie zu einem zeitgenössischen Kinofilm aus jenen Tagen.

„Der Roland-Synthie, den ich für die Band gekauft hatte, war für diese neue Rolle vielleicht nicht das ideale Instrument, da er monophon war. Aber Greg brachte eine Prog-Nummer mit. Statt zu jammern, dass das lahmarschig wäre, nahm ich die Herausforderung an und wollte nun auch so einen Song schreiben.“

Zur nächsten Probe steuerte Brett „The Dichotomy“ bei, einen Song, den er als Ergänzung zu Gregs Song sah. „Das war im Grunde genommen meine Version des Pink-Floyd-Songs ,Dogs‘.“ Der Schreibprozess für das nächste Album der Band schritt in ähnlicher Manier voran. Greg und Brett achteten jeweils darauf, Material zu kreieren, das gut zu den musikalischen Ergebnissen des jeweils anderen passte.

Bretts Song „Billy Gnosis“ spielte auf Billy Pilgrim an, den Protagonisten aus Kurt Vonneguts Roman Schlachthof 5. Eine Nummer, die sich hingegen ganz offenkundig vom Rest abhob, war Gregs „Time and Disregard“. Immerhin war der Song in vier Passagen unterteilt und ganze sieben Minuten lang. „Greg liebt Jethro Tull“, erklärt Brett. „Ich bin auch mit Jethro Tull aufgewachsen, aber Greg fährt noch mehr als ich auf sie ab.“

Für Brett war klar, was sie da machten: Definitiv kein Punk-Album, sondern eine Prog-Platte. „Greg und ich haben eine Affinität für Progressive Rock. Was wohl auf niemanden sonst in der Band zutrifft“, gesteht Brett. „Bevor wir Punk für uns entdeckten, hörten wir beide jede Menge Prog-Rock: Yes und Emerson, Lake & Palmer. Oder King Crimson. Das war keine Mainstream-Mucke. In den Siebzigerjahren hörten die anderen Kids Peter Frampton, Led Zeppelin, Black Sabbath oder weiß der Geier was. Prog stellte damals die Avantgarde dar. Das war eben Musik für uns Spinner.“

 

Trotz ihres unterschiedlichen Alters und ihrer familiären Hintergründe teilten Greg und Brett ihre Leidenschaft für gleich mehrere Prog-Rock-Bands. Zur Entscheidung, sich vollends auf Punk einzulassen, gehörte seinerzeit eigentlich auch, sämtlicher Musik, die man zuvor gemocht hatte, den Rücken zu kehren und sich von den Platten zu trennen, die nun nicht länger als cool galten. Der Schmerz, eine vormals geliebte Platte aufzugeben, war aber immer noch besser als das Drama, das abging, wenn andere Punks sie im Plattenregal vorfanden. Doch wie gegenüber vielen anderen Trends erwiesen sich Bad Religion auch hier als immun.

„Das war vermutlich der Grund dafür, dass ich mich so gut mit Greg verstand“, erinnert sich Jay. „Wir waren eben beide Fans von Musik an sich – und nicht nur von Punkrock. Manchmal kamen andere Jungs in der Schule auf uns zu, um mit uns über Punkrock zu quatschen, und wir nickten bloß mit dem Kopf. Ja, ja … Sobald sie dann wieder abgezogen waren, unterhielten wir uns wieder über ELP.“ Sie sagten sich nicht von der Musik los, die ihnen in der Vergangenheit so viel bedeutet hatte, sondern feierten sie weiterhin ab.

Andererseits traf das auf manche Bandmitglieder eben mehr zu als auf andere. „Ich war in der KISS Army“, so Jay, der kein Fan von Prog war, aber wusste, dass jeder in der Band seine eigenen musikalischen Vorlieben pflegte. Ihn interessierten vor allem die Schnittstellen dieser unterschiedlichen Einflüsse. „Unsere Geschmäcker waren ein wildes Durcheinander. Brett kam mit den Ramones an und Greg stand auf die Dead Boys. Ich fuhr wiederum auf The Jam ab. Wir hatten allesamt unsere eigenen Vorstellungen davon, was wir sein wollten. So verschmolzen wir zu jener Band, zu der wir uns letztendlich entwickelten. Wir sagten nie, dass wir wie Black Flag oder die Germs sein wollten. Das waren nicht wir. Ich fand heraus, dass sowohl Brett als auch ich Elton John besonders schätzten. Die Band, die Greg und ich beide mochten, war Discharge. Und wir standen alle auf Elvis Costello. Vielleicht hörte Greg etwas mehr Jethro Tull als wir anderen, aber wir alle besaßen Platten von Genesis.“

Mochten ihre individuellen Interessen auch vielschichtiger Natur gewesen sein, so lässt sich auch der Einfluss lokaler Bands nicht von der Hand weisen. Der Reiz von Bad Religion lag für ihre Fans darin, dass sie ihnen die perfekte Synthese südkalifornischen Punkrocks boten. Sie kombinierten die Energie und Dynamik der in den Strandgemeinden beheimateten Hardcore-Bands wie Black Flag oder Circle Jerks mit den intelligenten Songtexten von X oder den Germs, den Vorzeige-Bands der Hollywood-Szene. Und sie ergänzten sie durch gefühlvolle Melodien und einen gekonnten Harmonie- und Hintergrundgesang – Stilmittel, die man eher mit Bands aus Orange County wie den Adolescents assoziierte. Bad Religion fügten all diese Vorzüge zu einem für Los Angeles exemplarischen Sound zusammen. Doch mit ihrem aktuellen Material beschritten sie neue Pfade.

Zunächst machte sich Jay noch keine Gedanken darüber, was sie da fabrizierten. „Wir hatten die Songs einstudiert und daran herumgebastelt. Für mich ergaben sie einen Sinn.“

Die Zeiten hatten sich geändert und das traf auch auf Punk zu. Brett liebte David Bowie, der sich offenbar mit jedem neuen Album neu erfand – und Bowies Einfluss machte sich auch im Auftakt-Riff von Bretts Song „Chasing the Wild Goose“ bemerkbar. Greg glaubt, dass diese musikalische Vorliebe auch Bretts Entscheidung beeinflusste, im Rahmen des neuen Albums Prog gegenüber Punk den Vorzug zu geben. „Für Brett war es keine große Sache, seine Identität von Album zu Album über den Haufen zu werfen. Vermutlich dachte Brett eben: Ich bin Künstler, verdammt. So macht man das eben.“

Abgesehen davon hatten T.S.O.L. einen Präzedenzfall geschaffen. Als Bad Religion ausreichend Material für eine Platte gesammelt hatten, wandten sie sich an den in Südkalifornien hochangesehenen Punkrock-Produzenten Thom Wilson, der für die Produktion etlicher Platten aus ihrem musikalischen Umfeld verantwortlich war. So hatte Thom zum Beispiel das Debütalbum der Adolescents und Only Theatre of Pain von Christian Death betreut. Auch hatte er mit T.S.O.L. gearbeitet und deren Alben Dance with Me und Beneath the Shadows produziert. Wilson war ein Experte, der offenbar seinen Finger am erratischen Puls des Punkrocks hatte, was ihn für Brett zu einem idealen Kandidaten für den Job machte. „Seine Platten klangen am besten, also engagierten wir ihn.“

Bad Religion begaben sich in ein von Thom präferiertes Studio namens Perspective Sound in Sun Valley. Die Probleme starteten praktisch in dem Moment, als sie mit der Arbeit am ersten Song begannen. Nachdem sie die einzelnen Spuren zu „It’s Only Over When …“ aufgenommen hatten, nahm Jay an, dass anschließend die nächste Nummer an die Reihe käme. Doch stattdessen wurde stundenlang an Overdubs gebastelt und an Synthie-Parts herumgefrickelt. „Das war mir einfach zu hoch“, so Jay. „Sobald wir im Studio waren, glitt alles zusehends in Absurdität ab. Hier muss noch etwas von diesem Effekt hin, da gehört noch mehr Echo drauf … Was taten wir da bloß? Man konnte gut hören, was für ein Schrott dabei entstand.“

Pete erinnert sich noch gut an Jays Unbehagen: „Das ist schrecklich! Ich hasse diesen Mist! Das hat doch nichts mit Bad Religion zu tun!“

Jay argumentierte, dass sie eine Punk-Band mit einer Fangemeinde wären und ihr Anhang nichts mit dieser neuen Musik würde anfangen können. Brett und Greg entgegneten, dass es eben eher der Punk-Attitüde entspräche, das zu tun, worauf man Bock hat, als das, was gerade angesagt war. Ganz egal, Jay wollte nichts damit zu tun haben. Er verabschiedete sich aus dem Studio und kehrte auch nicht wieder zurück.

Die Band beschloss daraufhin, ohne Jay weiterzumachen, sah sich aber sogleich mit dem nächsten Besetzungswechsel konfrontiert. Brett informierte Pete, dass Thom der Meinung sei, das neue Material würde Petes Fähigkeiten übersteigen. Ein anderer sollte seinen Part übernehmen.

Das war für Pete ein Schlag in die Magengrube. Immerhin hatte er fleißig Unterricht bei Lucky Lehrer genommen, um am Schlagzeug mithalten zu können. Doch die neuen Songs waren komplexer als die Punk-Nummern, die sie bis dato gespielt hatten. „Ich hatte mir den Arsch abgeprobt“, so Pete. Aber es reichte einfach nicht aus. „Das brach mir das Herz.“

Als Ersatz für die bisherige Rhythmussektion wandte sich Greg an den Bassisten Paul Dedona und an Davy Goldman, einen Jazz-Drummer, mit dem Jay noch vor der Gründung von Bad Religion gelegentlich gespielt hatte. Den Rest von Into the Unknown einzuspielen, nahm nicht übermäßig viel Zeit in Anspruch, da ja insgesamt nur acht Songs auf dem Album vertreten waren. Andererseits waren die Songs aber auch länger als alles, was die Band bis dahin je aufgenommen hatte. Sobald die Platte im Kasten war, ließen Bad Religion sie bei Gold Star mastern. Brett wartete nun darauf, die neue LP ausliefern zu können.

Das ganze Jahr 1983 über spielte die Band Material von Into the Unknown bei ihren Konzerten. Aber eben ohne Synthies. So enthielt die Setlist für ein Konzert im März im Starlite in Long Beach drei der Songs des Albums. Auch ein Flyer für ihren Gig im Vex in East L.A. kündigte Into the Unknown bereits an. Da Davy für diesen Auftritt nicht zur Verfügung stand, trat die Band erneut an Pete heran. Schließlich war er ja nicht gefeuert worden – seine Mitgliedschaft war ja bloß vorübergehend auf Eis gelegt. Pete ließ sich breitschlagen, doch am Abend vor dem Gig geriet er in einer Bar in eine Schlägerei, bei der auch Alkohol im Spiel war. Er zog sich Verletzungen zu, die einen plastischen Eingriff unumgänglich machten. So fand das Konzert letztlich ohne Pete statt.

Im Herbst, während Brett die Veröffentlichung vorbereitete, kehrte Greg nach Wisconsin zurück und wechselte von der California State University in Northridge an die University of Wisconsin. (Milo Aukerman von den Descendents besuchte ebenfalls diese Uni, nachdem er an der University of California in San Diego seinen Abschluss in Biochemie gemacht hatte. Allerdings überschnitt sich seine Studienzeit nicht mit Gregs.)

Zu den Vorzügen, die eine Fortsetzung seines Studiums dort so reizvoll machten, zählte die Gelegenheit, Kurse bei John Talbot Robinson zu besuchen, einem renommierten südafrikanischen Paläontologen, der Anthropologie unterrichtete. Greg besuchte bei ihm ein Taxonomie-Seminar und verfasste eine von Robinson betreute wissenschaftliche Arbeit.

Zuhause in Los Angeles ging es auch ohne Greg mit Bad Religion weiter. Into the Unknown erschien am 30. November 1983. Das Plattencover zierte eine Weltall-Perspektive. „Ich hatte dieses Gemälde bei einer Kunstmesse in Phoenix erstanden“, erinnert sich Brett. „Ich traf dort einen Künstler, der mit Airbrush-Technik auf Glas arbeitete. Das sah richtig cool aus.“ Nach einer Punk-Platte sah das Cover aber nicht aus. Selbst der Titel des Albums, Into the Unknown, signalisierte den neuen Kurs.

Bereits am ersten Tag wurden 10.000 Exemplare der neuen Scheibe ausgeliefert. Um in die Nähe solch einer Auflage zu gelangen, hatte How Could Hell Be Any Worse? fast ein Jahr gebraucht. Als die Veröffentlichung nun anstand, dachte sich Brett: „Wow, die Platte wird richtig einschlagen!“

Das war leider nicht der Fall. Das Album floppte. Es dauerte nicht allzu lange, bis Brett begriff, dass die neue LP seiner Band ein Ladenhüter war. Als nächstes setzten die Retouren ein. Brett scherzte später, das Album wäre auf so wenig Gegenliebe gestoßen, dass „10.000 und eine Platte“ retourniert wurden, nachdem 10.000 Stück ausgeliefert worden waren. Die Mundpropaganda ließ ebenfalls kein gutes Haar am neuen Album. Fans rümpften ob der neuen musikalischen Ausrichtung die Nase und beklagten, dass es zu soft war. Ein Auszug aus einer Rezension in Maximum RocknRoll ist ein gutes Beispiel für die Ablehnung, mit der sich Into the Unknown konfrontiert sah: „Im Grunde genommen kann man sagen, dass das neue Album von Bad Religion total für den Arsch ist – außer ihr steht auf glatt produzierten Weicheier-Rock aus den frühen Siebzigern. Nachdem ich sie mir zu Ende angehört hatte, habe ich die Platte aus dem Fenster geschleudert, hinaus ins Ungewisse …“

Jedem fiel auf, dass Punk sich veränderte – und eingefleischte Fans zögerten nicht, Bands dafür anzuprangern, dass sie der Szene den Rücken kehrten. Into the Unknown fehlte in jeglicher Hinsicht die Intensität der bisherigen Aufnahmen von Bad Religion. Außerdem hatten sie das neuartige Material ohne jegliche Vorwarnung veröffentlicht. Im Gegensatz dazu hatten T.S.O.L., bevor sie Beneath the Shadows herausbrachten, bereits auf einer EP angedeutet, wohin die Reise ginge, und ihren düsteren Weg zumindest angekündigt. Zudem enthielt das neue T.S.O.L.-Album auch ein paar laute, schnelle Songs. Somit konnten sie, wenn sie das wünschten, auch neue Songs bei ihren Konzerten spielen, die sich tadellos in ihr bewährtes Repertoire einfügten. Dasselbe traf auch auf Bad Religion zu. Sie mussten ja nur das Keyboard zuhause lassen.(Es sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Fans von T.S.O.L. keine Loblieder auf deren neues Album anstimmten.)

Wie ging es nun also weiter? Waren Bad Religion ihrer Zeit voraus, oder hatten sie schlichtweg ein schlechtes Album abgeliefert?

Jay ist der Meinung, dass der Erfolg von How Could Hell Be Any Worse? Gregs und Bretts Fähigkeit zur Selbstkritik stark einschränkte. „Ach, was sind wir toll! Alle lieben uns! Wir müssen bloß in ein Mikro furzen und die Leute werden es uns abkaufen.“

Das ist eine schonungslose Einschätzung, doch Brett stimmt damit weitgehend überein. Als Epitaph Records über die Jahre hinweg immer weiter expandierte, offenbarte sich ihm die Möglichkeit, mit vielen jungen Musikern zusammenzuarbeiten, die schon mit ihrem ersten Album Erfolge hatten feiern dürfen und sich nun mit der Frage befassen mussten, wie der nächste Schritt auszusehen hätte. Ihm zufolge fehlt es den meisten jungen Bands an der nötigen Reife, um zu erkennen, dass eine erfolgreiche Platte das Resultat vieler Faktoren ist, die sich alle zur richtigen Zeit ergänzen. Die Band selbst war eben nur ein Faktor, wenn auch ein sehr wichtiger, aber letzten Endes eben auch nur ein Rädchen im Getriebe. „Sie wollen sich ja gar nicht neu erfinden“, so Brett. „Sie begreifen aber auch nicht, dass sie sich von Anfang an gar nicht selbst erfunden haben. Wenn ein paar talentierte Teenager ihre erste Platte aufnehmen und die sich als phänomenal gut herausstellt, dann denken sie oft: Cool, das war ja einfach. Ich schreibe einfach irgendetwas, das mir durch den Kopf geht, und das wird dann automatisch großartig. Sie realisieren nicht, dass ihr Erfolg einem bestimmten Timing geschuldet ist. Es ist verdammt schwer, einen Schritt zurückzutreten und einen prüfenden Blick auf das zu werfen, was man geschaffen hat, um sich die wichtige Frage zu stellen: ‚Wow, wie zum Teufel ist das denn passiert? Und was macht die ganze Sache überhaupt aus?‘“

 

Eine Erklärung für das Scheitern von Into the Unknown könnte sein, dass Bad Religion nicht begriffen, mit welcher Leidenschaft manche Leute ihrer Musik begegneten. Pete stimmt dieser Sichtweise zu. „Wahrscheinlich waren Greg und Brett ganz aufrichtig der Ansicht, dass die Leute sich denken würden: Na ja, ist schon ein wenig anders für Bad Religion und so, aber trotzdem cool … Ich bezweifle, dass sie auf die Ablehnung dieser Platte seitens der Fans eingestellt waren. Da lag richtig Hass in der Luft.“

Wenn Bad Religion Songs von Into the Unknown bei ihren Shows anstimmten, verzichteten sie auf den Roland Juno-6. Das machte einen großen Unterschied aus. Sobald die Fans aber den Synthesizer auf dem Album hörten, drehten sie durch. Jay, dem die Fanbase der Band durchaus bewusst war, sieht das ebenso. „Ganz ehrlich, das Problem mit Into the Unknown lag zu 50 Prozent am fehlenden Verständnis dafür, dass sich rund um die Band eine Gruppe von Fans gebildet hatte. Wenn man eine Platte veröffentlicht hat, die die Leute mögen, kann man nicht auf einmal ankommen und sagen: ‚Ach, wir haben uns schnell mal neu erfunden und sind jetzt ganz anders.‘ Die Leute werden das nicht schlucken. So funktioniert das nicht. Die anderen 50 Prozent hatten wohl mit Drogen zu tun.“

Auf der High School hatte Brett mit psychedelischen Drogen experimentiert. In Interviews deutete er immer wieder an, dass sein damaliger LSD-Konsum zumindest teilweise für Into the Unknown verantwortlich war. „Ich mochte psychedelische Drogen und als Junge fuhr ich auch auf psychedelische Musik ab. Diese beiden Dinge lassen sich gut miteinander kombinieren. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit.“

Trotzdem entstammte die Inspiration für das Album keiner übernatürlichen Dimension. Vielmehr verwies Brett auf seinen Sänger: „Als mir Greg seinen neuen Song vorspielte, fand ich, dass ich etwas schreiben sollte, das dazu passte. Also brachte ich einen Prog-Song mit. Es ist sicher nicht seine Schuld, dass ich mich darauf eingelassen habe, aber er hat damit angefangen. Ich hätte wohl noch einmal darüber nachdenken und fragen sollen, warum wir das machten. Damals in den Achtzigern hat irgendwann jede Punk-Band ein Synthie-Disco-Album aufgenommen, sogar The Clash. Aber keine andere Punk-Band hat jemals ein Prog-Album aufgenommen. Außer uns eben!“

Damals war Brett noch davon überzeugt, dass Bad Religion sich deshalb von anderen lokalen Bands abhob, weil sie eine Platte aufgenommen hatten – und nicht weil die Platte so gut war. Er glaubte, jeder könnte bis zu einem gewissen Grad populär werden, indem er einfach eine Platte veröffentlichte. „Es erschien mir schlichtweg nicht plausibel zu sein, dass wir in irgendeiner Hinsicht etwas Besonderes waren. Ich verstand nicht, warum es so selten vorkam, dass eine Band ohne Plattenvertrag ein Album machte, das den Leuten auch gefiel. Ich hatte ja keine Ahnung, dass wir, um es mit Steve Jobs zu sagen, eine Delle ins Universum geschlagen hatten.“

Anders ausgedrückt, sie hatten unterschätzt, wie viel die Band und ihre Musik ihren Fans tatsächlich bedeutete. „Ich war ja erst 18 oder 19 Jahre alt“, erinnert sich Greg. „Also dachte ich über solche Dinge nicht nach. Es war ja nicht ‚Punk‘, sich seiner Fans bewusst zu sein. Vielmehr musste man eins mit seinen Fans sein – offen und tolerant gegenüber den jeweiligen Schrullen und Entscheidungen.“

Bad Religion hatten viel Zeit und Energie darauf verwendet, die bestmögliche Punk-Band zu sein. Als Teenager galten sie bereits als routinierte Szene-Veteranen. Sie hatten sich alles selbst beigebracht und sich so eine große Schar von Anhängern erspielt. Unzählige Stunden hatten sie in suboptimalen Räumlichkeiten unter keineswegs idealen Bedingungen geprobt, gespielt und aufgenommen. Als Punk-Band hatten sie ihre Hausaufgaben gemacht und sich alles hart erarbeitet. Als Prog-Band jedoch nicht.

„Wir zeigten nicht unbedingt viel Fingerspitzengefühl“, erklärt Jay. „Wir dachten nicht allzu viel nach. Wir stießen in Gefilde vor, von denen wir wenig Ahnung hatten. Ganz ähnlich wie damals, als ich ein Junge war, der davon träumte, Astronaut zu werden: Es wäre keine gute Idee gewesen, mich in eine Rakete zu setzen und mit Kurs auf die Sonne ins Weltall zu fliegen. Hey, jetzt bin ich Astronaut! Es gehört schon ein bisschen mehr dazu. Wir waren sehr ehrgeizig und unsere Egos spielten auch eine wichtige Rolle. Vielleicht war es so gesehen gar nicht schlecht, mal in die Schranken gewiesen zu werden.“

Brett machte nie einen Hehl aus den Schwächen von Into the Unknown, bestand aber auch immer darauf, dass es keine kalkulierte Entscheidung war, die Band in eine neue Richtung zu pushen. „Wir gingen völlig naiv an die Sache ran. Es war, ehrlich gesagt,keine gute Entscheidung. Wenn wir über ein Minimum an Weitsicht oder Weisheit verfügt hätten, hätten wir wohl die Finger davongelassen.“

Auch Bretts Vater verschätzte sich hinsichtlich des Potenzials des neuen Albums. „Ich gab ihm wahrscheinlich einen schlechten Rat“, so Richard Gurewitz. „Eigentlich ging ich davon aus, dass er mit Into the Unknown mehr Erfolg haben würde. Ich hielt das für eine bessere Ausrichtung als Punk. Vermutlich beeinflusste ich ihn, und es war kein guter Rat.“

Heute genießt Into the Unknown bei manchen Fans Kultstatus, wobei der Großteil das Album als Kuriosum ansieht. Was eine interessante Frage aufwirft: Würde Into the Unknown als gutes Album durchgehen, wenn nicht ausgerechnet Bad Religion es veröffentlicht hätten?

Brett glaubt das nicht. Noch während des Aufnahmeprozesses fiel ihm auf, dass das Album Defizite aufwies. „Es mutierte zu einem von Prog angehauchten, unkoordinierten, unzusammenhängenden Flickenteppich.“

Jay ist in Bezug auf Into the Unknown über die Jahre hinweg versöhnlicher geworden. „Ich halte es für ein passables Album, das nicht sonderlich geschickt zusammengewürfelt wurde. Die Songs sind nicht schrecklich. Wenn man eine Prog-Rock-Band sein will, muss man das eben durchziehen.“

Rückblickend war es ein kluger Schachzug von Greg, nach Wisconsin zu ziehen. So blieb ihm der raue Gegenwind erspart, der der Band nach der Veröffentlichung von Into the Unknown in L.A. entgegen blies, weitgehend erspart. „Ich hatte ja keine Ahnung, wie sauer die Leute waren.“ Er spielte seinen Freunden an der University of Wisconsin, denen jeglicher Kontext zu Bad Religion fehlte, die Platte vor und sie mochten sie. Greg konzentrierte sich auf sein Studium und begeisterte sich ebenso dafür wie für Musik. Sein Leben bestand also nicht nur aus Bad Religion.

Auf Brett traf das nicht zu. Er war der einzige Angestellte von Epitaph und das Schicksal des Albums lastete schwer auf seinen Schultern. Er hatte gepokert und verloren. „Dieser Fehlschlag schadete Brett mehr als Greg“, sagt Jay. „Greg hatte nichts zu verlieren. Für Brett aber war das Album sowohl in kreativer als auch in kommerzieller Hinsicht eine Niederlage. Seine Psyche war somit gleich doppelt angekratzt. Als hätte ihm jemand ein Messer in die Seite gerammt. Ihm beim Verbluten zuzusehen, war kein schöner Anblick.“

Brett konnte nur Schadensbegrenzung betreiben. „Ich schnappte mir die Rücksendungen und veranstaltete eine rituelle Verbrennung. Ich fackelte die Boxen mit den LPs in meiner Auffahrt ab. Nach ein paar Boxen dämmerte mir aber, was ich da für ein toxisches Todesfeuer entzündet hatte. Es bildete sich ein grässlicher, giftiger Rauch.“

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