Die Bad Religion Story

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Für eine Band, der man nachsagte, sie würde aus Intellektuellen bestehen, machten sich die Mitglieder von Bad Religion erstaunlich wenig aus formaler Bildung. Greg tat sich nach seinem Umzug nach Kalifornien als Schüler nicht sonderlich hervor und Brett konzentrierte sich auch mehr auf seine Musik als auf seine Studien. Obwohl Brett versuchte, für Bad Religion und Epitaph Records Einnahmen zu generieren, lieh er sich gelegentlich Geld von seinem Vater. Laut Richard Gurewitz pumpte er seinem Sohn „1.500 oder 1.700 Dollar“, um die erste EP von Bad Religion zu finanzieren.

Wichtiger als die Summe des geliehenen Geldes war aber der Zeitpunkt, zu dem er sie Brett borgte. Ende 1980 war Brett so gut wie fertig mit der El Camino Real. „Ich schlug mich nicht gut in der Schule und kämpfte mich durch. In der elften Klasse legte ich meinen General Education Development Test ab und ging von der High School ab.“

Dass Bretts Vater ihm Geld lieh, damit Brett eine Punk-Platte produzieren konnte, nachdem er die Schule verlassen hatte, kann zweierlei bedeuten. Entweder teilte er Bretts Vision, oder er glaubte daran, dass man Dinge auf die harte Tour lernen muss.

„Er war kein schlechter Junge“, so Richard. „Ich wusste, dass er sich echt Mühe gab. Es entging mir nicht, mit welcher Leidenschaft er bei der Sache war.“

Brett sah die Unterstützung seines Vaters entspannt: „Mein Dad ist Unternehmer. Sein Dad war auch schon Unternehmer. Der Vater meiner Mom war ebenfalls Unternehmer. Das liegt bei uns irgendwie in der Familie. Mein Dad meinte nur: Echt? Du willst Unternehmer werden?“

Allerdings stellte es sich als kluger Schachzug heraus, die Debüt-EP von Bad Religion zu finanzieren – trotz des provokanten Namens und des kontroversen Logos. Die EP enthielt eine mysteriöse Botschaft. Auf der einen Seite waren die Worte „We’re not Bad Religion …“ eingraviert, während die andere Seite „UR!“ (also „You are“) verkündete. Anders als Namen wie Ramones, Sex Pistols oder Weirdos gab Bad Religion keine Auskunft darüber, um wen es sich hier handelte, sondern war vielmehr ein Kommentar zum Weltgeschehen. Bad Religion hielt denjenigen, die sich Antworten von ihnen erhofften, und der Gesellschaft einen Spiegel vor. „Unser Name“, erklärt Brett, „sollte genauso wie unsere Songs provozieren und die Menschen zum Denken anregen.“

Die Band selbst war extrem chaotisch. Als die EP Anfang 1981 erschien, wusste keiner von ihnen, was man nun damit machen sollte. Jay Ziskrout verschickte Exemplare an Punk-Zeitschriften und College-Radiosender, doch das war auch schon das ganze Ausmaß ihrer Marketing-Bemühungen. Weder schalteten sie Anzeigen, noch planten sie irgendwelche Veranstaltungen. Brett entschied sich für einen hemdsärmeligen Ansatz, um die Platte an den Fan zu bringen. „Ich schnappte mir eine Kiste mit Platten und brachte sie zu Middle Earth Records in Downey, Moby Disc Records in Van Nuys, Zed’s Records in Long Beach und Poobah Records in Pasadena. Ich unterhielt mich mit dem Einkäufer und zählte 15 Exemplare ab. Dann rief ich irgendwann mal an und fragte, ob sie noch mehr wollten. Und siehe da: Sie hatten alle verkauft und wollten noch mehr. So fuhr ich dann wieder hin. Darin bestand unser ganzer Vertrieb. Ziemlich überschaubar, aber so haben wir das eben gemacht.“

Trotz der bescheidenen Verkaufszahlen, die auf diese Weise zustande kamen, waren die Kontakte, die Brett knüpfte, auf lange Sicht profitabel. Langsam, aber sicher etablierte sich die EP. Die Band verkaufte die erste Pressung von 500 Stück innerhalb relativ kurzer Zeit. Mit der zweiten Pressung korrigierte die Band ein Problem, das zur Folge gehabt hatte, dass die Platte hüpfte, und erhöhte die Auflage auf 1.500 Stück.

Im Verlauf des Frühjahrs und Sommers gaben Bad Religion gerade mal ein halbes Dutzend Konzerte, die aber dafür umso denkwürdiger waren. Am 3. März traten sie mit den Cheifs und China White im Vex auf, einem legendären Veranstaltungsort in East L.A., der ein Ableger von Self Help Graphics war. Die Fotos, die Gary Leonard schoss, zeigten Jay Bentley und Jay Ziskrout mit sehr kurzen Haaren, während Brett offenbar einen Irokesenschnitt zur Schau trägt. Am 30. April spielte die Band erneut im Vex, dieses Mal mit T.S.O.L., und dann am 29. Mai noch einmal, nun mit den Adolescents, Social Distortion und Saccharine Trust. Diese Show markierte einen besonderen Meilenstein für die Band, da Bad Religion nun zum ersten Mal an zwei aufeinanderfolgenden Abenden gespielt hatte. Denn am Vorabend hatte die Band noch ihre Heimpremiere in Tarzana im Valley West gefeiert.

Im Mai quetschten sich die Jungs mit ihrem Equipment in Bretts VW-Bus und fuhren zu einem Konzert in San Francisco, das an einem Sonntagabend stattfand und vom „Punk-Papst“ Dirk Dirksen veranstaltet wurde. Auf der Fahrt zum Mabuhay hatte Ziskrout Grippe-Symptome und musste sich hinten im Bus hinlegen. Er gab sich die allergrößte Mühe, nicht die Anlage vollzukotzen. Pete Finestone, ein Punk aus dem San Fernando Valley, der ein Fan der Band war und als Roadie aushalf, musste Ziskrouts Schlagzeug für ihn auf- und abbauen, doch das Konzert fand trotzdem statt.

Zu Beginn des Sommers erlitt die Punk-Szene einen herben Rückschlag, als das legendäre Starwood am 13. Juni 1981 für immer dichtmachte. Das Starwood, am Santa Monica Boulevard in Crescent Heights gelegen, war eine wichtige Auftrittsmöglichkeit für Punk-Bands aus L.A. und Acts von außerhalb wie Blondie, The Damned, Devo und The Jam. Die Germs hatten am 3. Dezember 1980 dort ihren letzten Gig gespielt, bevor Darby Crash vier Tage später an einer Überdosis starb.

Greg und Jay ließen sich gerne von Pete ins Starwood kutschieren. „Ich hatte ein Auto“, so Pete. „Jeden Dienstag und Mittwoch, wenn Shows im Starwood stattfanden, fuhr ich durchs Valley, um Greg und manchmal auch Jay abzuholen. In erster Linie aber Greg. Dann ging es weiter zu den Konzerten. So wurde ich schließlich ihr Roadie.“

Das Ende des Starwood war eine große Sache, da der zugehörige Parkplatz so wie der Club selbst ein wichtiger Treffpunkt für die Szene war. Dort hingen die Punks vor einer Show ab und schauten anschließend noch auf einen Sprung bei Oki-Dog vorbei, das unweit davon lag und noch lange nach der Sperrstunde des Clubs geöffnet war. In der Regel fanden dort die Punk-Konzerte an Wochentagen statt. Als das Starwood in diesem Sommer seine Pforten schloss, hinterließ es eine riesige Lücke in der Szene.

Am 4. Juli spielten Bad Religion ihr erstes Konzert in einem Club in Hollywood, dem legendären Whisky a Go Go, zusammen mit den Alley Cats und den Dickies. Die Setlist enthielt neue Songs wie „Fuck Armageddon … This Is Hell“, „We’re Only Gonna Die“, „Part III“, „Latch Key Kids“ und „New Leaf“. Das Konzert war vor allem für Greg eine denkwürdige Angelegenheit.

„Wir spielten „Only Gonna Die“ und ich werde nie vergessen, dass meine Mom in Begleitung ihrer Freundinnen zu unserer Show kam. Jemand kletterte auf die Bühne, um zu stagediven. Dabei rannte er in mich hinein und ich schnitt mir die Lippe am Mikrofon auf. Ich war so sauer, dass ich den Mikroständer nahm und dem Typen, den ich vor der Bühne ausmachte, eine mit dem Standfuß verpasste. Genau auf seinen Schädel! Nach dem Auftritt meinte der Roadie, ich hätte den falschen Kerl erwischt. Ich fühlte mich daraufhin total mies. Auch wenn ich den richtigen Typen getroffen hätte, hätte ich mich mies gefühlt. Ich wies den Roadie an, den Typen zu holen, damit ich mich entschuldigen konnte. Der Kauz meinte aber, dass schon alles in Ordnung wäre und ließ mir ausrichten, dass ich mir keine Sorgen machen sollte. Er hatte sich so prächtig unterhalten und gedacht, dass es eben dazugehörte, mal eine mit dem Mikroständer übergebraten zu bekommen. Das war ihm völlig egal!“

Einer der Gründe, warum sie so wenige Konzerte absolvierten, war der, dass Greg für den Sommer nach Wisconsin zurückkehrte. In seiner Abwesenheit erhielt die Band Briefe aus Amsterdam, Kopenhagen, München und Rom. Zu diesem Zeitpunkt dachte sich Brett nicht sonderlich viel dabei: „Ich ging davon aus, dass europäische Jugendliche eben mehr Briefe schrieben als amerikanische Kids.“

Manchen Briefen lagen Rezensionen ihrer EP bei, die in europäischen Zeitschriften und Fanzines erschienen waren. Zwar konnte die Band sie nicht lesen und nahm an, dass die Hörer in Übersee ihre Songtexte ebenso wenig verstehen würden, doch mit ihrem Logo verhielt es sich von Anfang an anders. Bretts Vater zufolge druckte eine italienische Musikzeitschrift das Crossbuster-Emblem auf der Titelseite ab. „Noch mehr als der Name“, so Brett, „half uns das Logo, bekannt zu werden. Wir wollten ja bloß besonders punkig rüberkommen, aber das Logo hinterließ auf der ganzen Welt einen Eindruck. Es verbreitete sich wie ein Flächenbrand in L.A., weil man es auch an Wände sprayen konnte. Als die EP in Italien, Deutschland und Spanien eintraf, erregte unser Logo dort große Aufmerksamkeit.“

Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass die Briefe von Fans stammten, die in Ländern wohnten, in denen der Einfluss der Katholischen Kirche besonders ausgeprägt war. Während Songtexte unterschiedlich interpretiert werden können, kommuniziert ein effektives Logo seine Botschaft auf einer psychologischen Ebene. Die Bedeutung des Crossbusters ist allgemeingültig und unmissverständlich. Falls Bad Religion es nicht erfunden hätten, wäre es vermutlich jemand anderem eingefallen.

„Es war nicht nur extrem“, spekuliert Brett. „Die Tiefsinnigkeit des Logos spricht die Leute auf eine intensiv psychologische Art und Weise an. Sie sehen es und erinnern sich daran. Es ist nicht nur einfach und eindringlich, sondern auch ein Weckruf.“

 

Im Herbst jenes Jahres kam Greg in die zwölfte Klasse. Ziskrout hatte bereits seinen Abschluss in der Tasche, während Brett und Jay der El Camino Real endgültig den Rücken gekehrt hatten. Jay wurde aufgefordert, von der Schule abzugehen, und beabsichtigte wie Brett den General Education Development Test abzulegen. Obwohl Schulbildung bei den meisten Bandmitgliedern keine Priorität genoss, blieben sie wissbegierig und interessierten sich für die komplexen Rätsel der Welt. „Ich sage immer, dass ich von der Schule abgegangen bin und meine ganze Bildung von Bad Religion erhalten habe“, betont Jay. „Ich lernte eine Menge von diesen Typen. Die Diskussionen, die wir führten, über Themen wie Geologie oder Astrophysik, waren für einen 16-Jährigen von phänomenalem Wert. Ich lernte so viel mehr von dieser Band, als ich jemals in einem Klassenzimmer in Erfahrung gebracht hätte.“

Die Band hatte inzwischen genug Material für eine Langspielplatte beisammen und einen Großteil der Songs auch schon live getestet. Außerdem spülten die Verkäufe ihrer EP und gelegentlich auch die Live-Auftritte Geld in die Bandkasse. Brett schätzte, dass es für die Aufnahmen einer LP reichen würde. Wie er das Presswerk bezahlen könnte, wollte er sich später überlegen. Ungefähr zu dieser Zeit erhielt Brett einen Anruf von Bob Say, der als Einkäufer des Plattenladens Moby Disc in Woodland Hills gearbeitet hatte. Er erklärte, dass er inzwischen bei Jem Records, einem unabhängigen Vertrieb und Importunternehmen im Valley beschäftigt war. Er lud Brett zu einem Meeting in sein Büro ein. Brett erinnert sich:

BOB: Eure EP hat sich bei Moby Disc gut verkauft. Nehmt ihr eine LP auf?

BRETT: Yeah.

BOB: Okay, dann bestelle ich 3.000 Stück.

BRETT: 3.000?

BOB: Ja, ich nehme 3.000.

BRETT: Wie treibe ich das Geld auf, um 3.000 Platten pressen zu lassen?

BOB: Nun, wenn du Jem als exklusiven Vertrieb einsetzt, werde ich dir das Geld vorschießen.

BRETT: Na gut. Wie viel wäre das dann?

BOB: Wir zahlen euch fünf Dollar pro Platte.

BRETT: Ihr gebt mir 15.000 Dollar?

BOB: Yeah.

Bad Religion waren somit offiziell im Geschäft. Mit dem Geld, das sie mit der EP gemacht hatten, kalkulierte Brett, konnten sie sich ein professionelles Studio leisten. „Meine Eltern haben mich immer sehr unterstützt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich meinen Dad um einen kleinen Zuschuss gebeten habe. Wenn das so war, kann er aber nicht allzu groß gewesen sein.“

Als nächstes wandte sich Brett an Jim Mankey, der ein Studio namens Track Record in der Nähe der Paramount-Filmstudios in Hollywood kannte. Dort konnten sie zum Billigtarif von 22 Uhr bis 8 Uhr morgens aufnehmen. Das war in mehr als nur einer Hinsicht eine überaus aufschlussreiche Erfahrung für Brett. „Wenn ich über Hollywood spreche, dann meine ich nicht das Hollywood, das wir heute kennen. Auch nicht das Hollywood aus der Hochzeit des Sunset Strips in den Sixties. Vermutlich verwechseln Leute, die nicht aus L.A. stammen, Hollywood und Beverly Hills in ihren Köpfen. Deshalb denken sie bei Hollywood an Palmen und Villen. In den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren war Hollywood aber eine verwahrloste, vom Verbrechen geprägte Gegend. Eine sehr ungemütliche Ecke. Überall Nutten, Junkies und Kriminalität. Strip-Schuppen, Schnapsläden und heruntergekommene Veranstaltungslokale. Im Prinzip ein Tummelplatz für Punkrocker. Aber wenn man seine Gitarre im Auto ließ, wurde eingebrochen. Die Scheibe war zerbrochen und die Gitarre war auch futsch. So kamen mir zwei oder drei Gitarren ­abhanden.“

Mit Mankey auf der Kommandobrücke machte sich die Band an die Arbeit, nahm die neuen Songs auf und mischte sie ab. So nahmen sie die halbe Platte auf, darunter die Songs „Voice of God Is Government“, „We’re Only Gonna Die“ und „Fuck Armageddon … This Is Hell“, die Greg auf dem Klavier im Studio begleitete. „Ich wusste gar nicht, dass wir das aufnahmen“, beteuert Greg. „Aber ich bin froh, dass Mankey das Klavier bereits mit einem Mikro versehen hatte. Ich hörte über die Kopfhörer mit. Das war das erste Mal, dass ich mich selbst Klavier spielen hörte. Das war überraschend und sehr anspornend. Wir waren ja noch so unerfahren, dass wir gar nicht auf die Idee gekommen wären, es mit ein wenig Klavier auf dem Album zu versuchen. Allerdings war ich ein großer Fan von Sham 69 und sie brachten ungefähr zu dieser Zeit ein Album namens The Adventures of Hersham Boys auf, auf dem man auch ein Klavier zu hören bekam. Das reichte mir als Motivation, um ein wenig Punk-Piano auf unserem Album zu spielen.“

Die Aufnahmen nahmen etwas länger als erwartet in Anspruch, weshalb der Band das Geld ausging. Jay erinnert sich, dass er Mankey erklärte: „Wir müssen ein paar Konzerte geben, ein bisschen Geld verdienen und dann kommen wir wieder.“ Sie buchten eine Reihe von Gigs in diesem Winter, damit sie die Platte fertigstellen konnten. Doch dann ereignete sich eine Serie von bizarren Vorfällen.

Die Band heuerte Edward Colver an, damit er die Band in Hollywood und an anderen Orten in L.A. fotografierte. Colvers Bilder zierten etliche Platten vieler südkalifornischer Punk-Bands, darunter die von Black Flag, den Circle Jerks, von China White, Suicidal Tendencies und T.S.O.L. Wenn man in den Achtzigerjahren in Los Angeles in einer Punk-Band spielte, standen die Chancen nicht schlecht, dass Colver das Coverfoto für deine Platte beisteuerte. Colver geleitete Bad Religion zum Hollywood Cross, einem neun Meter hohen christlichen Kreuz, das über der Hollywood Bowl und dem Hollywood Freeway aufragt, um die Band dort abzulichten.

In einer Studiopause trafen irgendwann Colvers Druckfahnen bei Brett ein. Jay und Greg waren gerade zufällig dort, als das Paket eintraf. Sie sichteten das Material und suchten sich ihre Favoriten heraus. Sie waren sehr zufrieden mit dieser Fotosession. Letztlich sollten Bad Religion für das Cover ihrer Debüt-LP How Could Hell Be Any Worse? einen Schnappschuss der Innenstadt von L.A. verwenden.

Als Jay nachhause kam, erhielt er einen Anruf von Ziskrout.

ZISKROUT: Ich habe gehört, ihr habt euch ohne mich Fotos angeguckt.

JAY: Ja, na und?

ZISKROUT: Fickt euch doch selbst, ich steige aus!

Offenbar hatte Ziskrout den Eindruck, dass er mit voller Absicht von diesem Treffen ausgeschlossen worden war. Jay war perplex. „Er schmiss hin, weil wir uns ohne ihn Fotos angesehen haben. Kein Witz. Er rief mich an und stieg aus, weil wir ohne sein Beisein Fotos sichteten.“

Ziskrout ist nicht sonderlich stolz auf diese Anekdote. „Aus irgendeinem Grund saßen die Jungs zusammen und schauten sich Fotos an – und aus irgendeinem Grund war ich nicht dabei. Das machte mich stinksauer und ich stieg aus. Das war echt saublöd. Statt ihnen zu sagen, dass ich nicht glücklich darüber war, stürmte ich wutentbrannt davon. Das war schon sehr kindisch. Das gehört auch zu den Dingen in meinem Leben, die ich bereue. Gleich aus mehreren Gründen. Man verschwindet nicht einfach von der Bildfläche, so reagiert man nicht auf eine Kränkung. Außerdem wünschte ich, länger bei Bad Religion gespielt zu haben – wenn nicht sogar bis heute.“

Bad Religion standen nun ohne Schlagzeuger da. Das brachte die Band schwer in die Bredouille. Sie befanden sich nicht nur inmitten der Aufnahmen eines Albums, sondern waren auch für mehrere Konzerte gebucht, mit denen sie genug Geld zusammenbekommen wollten, um die Platte fertigzustellen. Also wurde dringend ein Drummer gesucht.

Greg rekrutierte daraufhin ihren Freund aus dem Valley, Pete Finestone, ihren Roadie, der Ziskrout auch als Schlagzeugtechniker unterstützte – obwohl diese Titel vielleicht ein wenig dick auftrugen. „Seit jeher verfolgen Punks die gleiche Taktik“, erklärt Jay. „Wenn man früh genug bei einem Club aufkreuzt und einen Gitarrenkoffer oder ein Kabel hineinträgt, kommt man umsonst rein.“ Das reichte auch schon aus, um in der Punk-Szene von L.A. 1981 als „Roadie“ durchzugehen. In Jays Augen war Pete aber nicht nur ein Typ, auf den man sich verlassen konnte, dass er einen Gitarrenkoffer unbeschadet in einen Club schleppte. Er war auch ein Freund. Pete einzuladen, sich Bad Religion anzuschließen, lag somit auf der Hand.

„Pete war immer mit dabei und wir waren alle gut mit ihm befreundet. Niemand wäre auf die Idee gekommen, einen anderen Weg zu beschreiten“, meinte Jay. „Pete ist unser Mann. Er hat ein Schlagzeug und kennt alle unsere Songs. Nehmen wir gleich den!“

Pete kannte vielleicht alle Songs, aber er wusste nicht, wie man sie spielte. Auch besaß er kein vollständiges Schlagzeug und hatte nie irgendwelchen Unterricht gehabt. Aber er wusste, wie man das Schlagzeug auf- und abbaute. Das war ungefähr so, als würde man den Tontechniker als Sänger engagieren, weil er wusste, wie man das Mikrofon aufstellt. Doch man muss Pete zugutehalten, dass er bereit war, alles zu lernen, was von ihm verlangt wurde – und das war das Allerwichtigste.

Pete stammte aus dem San Fernando Valley und seine Eltern arbeiteten beide an der California State University in Northridge. Seine Eltern kannten Gregs Eltern aus den akademischen Zirkeln, in denen sie verkehrten, noch lange, bevor sich ihre Söhne über den Weg liefen. Pete hatte einen leichten Sprachfehler und fühlte sich von den anderen Jugendlichen ausgegrenzt. Er geriet in Prügeleien und musste sogar die Schule wechseln. „Ich fühlte mich damals sehr unwohl in meiner Haut und hatte nicht viele Freunde. Mein Bruder war Sportler. Ich war hingegen ein sehr einsamer Junge. Mir waren meine Einsamkeit und der Umstand, dass ich eben anders war, schmerzlich bewusst.“

Ein Freund, der London besucht hatte, versuchte Petes Interesse an Punkrock zu wecken und spielte ihm die Sex Pistols vor. Er konnte aber nichts damit anfangen. „Ich dachte: ‚Was ist denn das für ein Mist?‘ Ich hielt es für richtig dämlich.“ Petes Erleuchtung in puncto Punkrock sollte im Sommer 1978 folgen. Er hatte Konzertkarten für Jethro Tull, die auf ihrer Bursting Out-Tour in der Long Beach Arena auftraten, doch sein Freund drängte ihn, stattdessen The Clash im Santa Monica Civic zu sehen. „Ich überlegte hin und her. Letztlich habe ich mich für The Clash entschieden. Wenn ich mich nicht irre, war das ihre erste oder zweite Tour durch die USA. Das veränderte alles für mich. Was war das bloß? Das sprach mich direkt an!“

Punkrock eröffnete Pete eine neue Gemeinschaft von Außenseitern. Er besuchte zwar nicht die El Camino Real, doch kannte er Arnel Celestial, den ersten Fan von Bad Religion. Arnel stellte Pete Greg an jenem Tag in Hollywood vor, als die Band ihr Demo im Studio 9 aufnahm. Seit damals gehörte Pete zu ihrem Freundeskreis.

Doch all das änderte nichts am Umstand, dass Pete nicht spielen konnte. Greg stärkte ihm jedoch unablässig den Rücken. „Du bist unser Freund“, erinnert sich Pete an Gregs Worte. „Es wird schon alles gut werden.“

Pete überredete seine Mutter, ihm ein Schlagzeug zu kaufen. „Wir hatten nicht viel Geld. Sie hatte aber etwas gespart, und so fuhren wir zu Pro Drum, wo sie mir ein kleines Schlagzeug kaufte. Ich nahm es mit nachhause und lernte all ihre Songs, indem ich zu einer Cassette spielte. Aber ich wusste nicht wirklich, was ich da tat. Ich hatte keine Ahnung, wie man spielte. Ich lernte die Schlagzeug-Parts wie im Blindflug, ohne eigentlich spielen zu können.“

Die nächsten paar Wochen entpuppten sich für Pete als Achterbahnfahrt der Gefühle. Er freute sich zwar riesig, ein Mitglied dieser Band zu sein, die er so liebte, doch er stand auch mächtig unter Druck. Der Tiefpunkt war sicher seine erste Bandprobe im Hell Hole. „Ich baute meine Drums auf und fing an zu spielen. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so nervös gewesen … Brett und Jay hatten bestimmt ihre Zweifel, ob das mit mir funktionieren würde. Doch Greg meinte, es klänge großartig und ich sollte einfach weiterhin üben. Nach einem Monat oder so stand ein Konzert mit Fear und China White im Godzilla’s an. Obwohl ich nicht spielen konnte, verloren sie nicht die Geduld mit mir.“

Das Konzert mit Fear war zugleich die große Eröffnungsfeier des Godzilla’s, eines Clubs, den die Brüder Mark, Adam und Shawn Stern von Youth Brigade im Ostende des San Fernando Valleys betrieben. Das Godzilla’s war riesig, was bedeutete, dass jeder, den Pete kannte, kommen würde, um seinem Debüt bei Bad Religion beizuwohnen. „Ich hatte in meinem Leben noch nie ein Konzert gegeben“, gesteht Pete. „Und auf einmal stand ich mit Fear vor tausend Kids auf der Bühne. Alle schienen sich königlich zu amüsieren. Ich schwebte auf Wolke Sieben. Zum ersten Mal sprachen Mädchen mit mir. Das war zuvor noch nie passiert. Selbst in der Punk-Szene gab es eine Hackordnung, und ich wurde nun akzeptiert, weil ich bei Bad Religion spielte, die die Leute gut fanden.“

 

Lange konnte sich Pete jedoch nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, da es nun gleich die nächste Prüfung zu meistern galt. Als Bad Religion Anfang 1982 mit ihrem neuen Drummer ins Studio zurückkehrten, hatten sie bereits acht Nummern aufgenommen und abgemischt, die alle auf ihrem ersten Album erscheinen sollten, das How Could Hell Be Any Worse? heißen sollte. Der Name des Albums war einer Textzeile des Songs „Fuck Armageddon … This Is Hell“ entlehnt, den Greg auf dem Klavier seiner Mutter komponiert hatte.

Der Song startet mit einem Basslauf, der so leise und unterdrückt daherkommt, dass man ihn kaum wahrnimmt. Vor diesem akustischen Hintergrund wehklagt eine einzelne Gitarre, getragen und trist zugleich, als stünde das Ende der Welt unmittelbar bevor. Daraufhin nimmt der Song Fahrt auf, die Drums steigen ein und wir befinden uns wieder auf dem vertrauten Terrain eines Bad-Religion-Songs. Der Kontrast zwischen der langsamen Einleitung und der plötzlichen Schubkraft des Gesangs verleihen „Fuck Armageddon“ eine epische Qualität.

There’s people out there that say I’m no good

Because I don’t believe in things that I should

In the end the good will go to heaven up above

The bad will perish in the depths of hell

How could hell be any worse, when life alone is such a curse?

Fuck Armageddon . . . this is hell!

Dieser Songtext führt gekonnt ein weiteres Markenzeichen von Bad Religion ein, Ironie, vor allem in Bezug auf religiöse Themen. Greg, aus dessen Feder der Song stammt, glaubte garantiert nicht, das „die Guten in den Himmel emporsteigen“ würden. Vielmehr gaben diese Texte eine gängige Meinung wieder, um sie auf sarkastische Weise zu hinterfragen.

Da der Erzähler nicht zum erlauchten Kreis jener gehört, die in den Himmel abberufen werden, muss er mit den anderen Verdammten zurückbleiben. Doch da die Länder hier im Diesseits ununterbrochen Kriege führten und Konzerne Grund und Boden vergifteten, war das Leben auf der Erde ohnehin schon kein Picknick.

Vergesst das Jenseits, legt der Song nahe, wir sind doch schon längst in der Hölle!

Die Ironie und der Sarkasmus führen einen auf Umwegen zu einer spannenden philosophischen Fragestellung: Was hat man überhaupt in einer Welt ohne moralische Beschränkungen davon, „gut“ zu sein? Die letzte Zeile des Refrains, die zugleich der Songtitel ist, beantwortet den Weckruf der Gitarre im Anfangsteil: Vergesst das Leben nach dem Tode und seht euch bloß das Inferno an, das wir aus dieser Welt gemacht haben. Hier zumindest meint es der Sänger todernst und drängt uns, uns der Realität zu stellen. Trotz all seiner Endzeit-Thematik verzichtet der Song auf Nihilismus. Fuck the World wäre nihilistisch, „Fuck Armageddon“ funktioniert hingegen als Weckruf.

Jay spielte bei der ersten Session mit Ziskrout immer noch seinen händisch aufgemotzten Jazzmaster-Bass, der aber schon bald bei einer Show gestohlen wurde. „Ich weiß nicht mehr, wo wir auftraten, aber ich erinnere mich, dass der Bass im einen Moment noch da stand und schon im nächsten Augenblick verschwunden war. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen.“ Das stellte sich als Glück im Unglück heraus, da er sich nun mit der finanziellen Unterstützung seiner Eltern einen Rickenbacker-Bass zulegte.

„Wir befanden uns mitten im Aufnahmeprozess zu einer Platte. Es war meinen Eltern nicht entgangen, dass ich es ernst meinte. Ich würde das durchziehen, egal ob es ihnen gefiel oder nicht. Also willigten sie ein, mir einen echten Bass zu kaufen.“ (Viele Jahre später gestand Jack Grisham von T.S.O.L., dass er Jays Bass gestohlen und vom Dach des Veranstaltungsorts geworfen hatte.)

Auch Brett kaufte sich eine neue Gitarre, sodass die Band mit neuen Instrumenten und einem neuen Drummer ins Studio zurückkehrte. Sie mussten noch sechs Songs aufnehmen, darunter auch „Part III“, einer von zwei Songs auf dem Album, die von Jay stammten. (Der andere war „Voice of God Is Government“.) „Part III“ handelt vom Dritten Weltkrieg, aber da sie ja schon einen Song namens „World War III“ hatten, einigten sie sich auf ein Synonym, um zu betonen, dass solche verheerenden Konflikte als Teile einer fortlaufenden Saga eintreten. Jay wünschte sich für die Nummer einen zweiten Gitarristen, der gegen Brett anspielen sollte, um das Thema Kriegsführung hervorzuheben. Dafür lud er Greg Hetson von den Circle Jerks ein. Das war Hetsons inoffizieller Auftakt zu seiner Laufbahn bei Bad Religion – eine Beziehung, die über 30 Jahre andauern sollte.

Pete hatte zuvor noch nie in einem Studio aufgenommen und war der Ansicht, dass die Band sich besser jemanden anderen suchen sollte, um die verbleibenden Songs für das Album einzuspielen. Doch auch dieses Mal blieb Greg unerbittlich in seiner unterstützenden Haltung. Die Aufgabe fiel wohl oder übel Pete zu. „Wenn man sich diese Platte nochmals anhört“, so Pete, „dann kann man genau hören, wann Ziskrout spielt und wann ich. Ziskrout spielt auf ,Fuck Armageddon … This Is Hell‘, dem wohl beliebtesten Song auf dem Album. Ich spiele ,Oligarchy‘. Der Unterschied zwischen Jays jazzigem Punk-Stil und meinem abartigen Spiel war schon sehr markant.“

Zusätzlich zur Tatsache, dass zwei unterschiedliche Schlagzeuger zu hören waren, spiegelte die LP den unorthodoxen Zugang der Band auch noch anderweitig wider. „We’re Only Gonna Die“, „Damned to Be Free“ und „Fuck Armageddon … This Is Hell“ glänzten alle mit einer Klavierbegleitung, was für eine Punk-Band außergewöhnlich war. Bei „We’re Only Gonna Die“ gab es dazu noch eine Akustikgitarre. Interessanterweise schrieb Greg gleich vier der ersten fünf Songs auf dem Album, wohingegen Brett für vier der letzten sechs Nummern verantwortlich zeichnete. Dennoch hinterlässt das Album einen zusammenhängenden, stringenten Eindruck in Bezug auf die Vision und den Sound der Gruppe.

How Could Hell Be Any Worse? strotzt nur so vor brutalen Bildern voller Tod und Zerstörung. Trotz der apokalyptischen Grundstimmung ist die Menschheit der Urheber dieses Chaos’ und nicht etwa ein höheres Wesen. Das Album startet mit „We’re Only Gonna Die“, das darauf „We’re Only Gonna Die from Our Own Arrogance“ heißt. Es handelt sich dabei um eine Parabel über den modernen Menschen und seine primitiven Bedürfnisse. Das Schlüsselwort lautet hier „Arroganz“: Die Menschheit verfügt über das Wissen und die Macht, eine Katastrophe zu vermeiden, doch ihre monströse Überheblichkeit und ihr kriegerisches Verlangen führen uns wieder und wieder auf einen Pfad der Zerstörung. Übrigens coverte später die legendäre Band Sublime aus Orange County diesen Song.

Sowohl „Faith in God“ als auch „Pity“ schäumen geradezu über vor Wut auf die ignoranten Massen. „Damned to Be Free“ nimmt sich noch einmal der Themen an, die bereits „Fuck Armageddon … This Is Hell“ angeschnitten hat, wobei Greg keine Zweifel an seiner Ablehnung repressiver religiöser Dogmen aufkommen lässt. Wenn sich die Frage zwischen ewiger Verdammnis und Freiheit stellt, kann die Antwort einzig und alleine Freiheit lauten! Doch „Damned to Be Free“ handelt als Song nicht davon, für das Heute zu leben. Vielmehr betont er die Verantwortung, die Freiheit mit sich bringt.

Die Band nahm How Could Hell Be Any Worse? An einem einzigen Wochenende auf. Das Artwork war fertig. Da auch die Frage des Vertriebs bereits geklärt war, konnte die Band ihre Platte nun pressen und ausliefern lassen. Zu diesem Zeitpunkt belegte gerade der Song „Centerfold“ der J. Geils Band die Spitze der Charts. Am goldenden See war der meistgesehene Film. Ronald Reagan befand sich im zweiten Jahr seiner ersten Amtszeit als Präsident der USA. Und Bad Religion hatten gerade ihre erste LP veröffentlicht. Doch würde das irgendjemanden auch interessieren?