Die Bad Religion Story

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Als Punk-Band musste man sich 1980 in L.A. mit dem Problem herumschlagen, dass es nur sehr wenige Auftrittsorte gab. Das lag zum Teil an den Vorurteilen. Wenn man sich nicht schon einen Namen gemacht hatte, war es sehr schwierig, ernstgenommen zu werden. So musste Keith Morris Veranstalter und Booker buchstäblich anflehen, seine Band Black Flag auftreten zu lassen. Als nun seine Gruppe endlich eingeladen wurde, im ehrwürdigen Masque zu spielen, wurde die Show abgesagt und das Konzertlokal schloss für immer seine Pforten. Ältere Szenegrößen aus den Siebzigerjahren begegneten den Hardcore-Bands und ihren Fans aufgrund der vermeintlichen Negativität, die sie in die Szene einschleppten, mit großem Misstrauen. Es war ihnen entweder zu brutal und reaktionär, oder sie verstanden es einfach nicht. In ihren Augen verkörperten Bands wie Bad Religion alles, was mit der Punk-Szene falsch lief.

Hardcore-Bands mussten deshalb kreativ vorgehen. Sie begriffen, dass sie ihre eigene Szene innerhalb der Szene erschaffen und sich gegenseitig unterstützen mussten. Eins ihrer ersten Konzerte gaben Bad Religion zusammen mit einer relativ unbekannten Formation aus Fullerton namens Social Distortion, die Bad Religion eingeladen hatte, mit ihr bei einer Party in Santa Ana zu spielen. „Unsere erste Show fand in einem Lagerhaus statt“, berichtet Brett. „Das war damals nicht unüblich, weil es nicht so viele Auftrittsmöglichkeiten für Hardcore-Punk-Bands gab.“

Am Tag des Konzerts war Jay so nervös, dass er sich übergab. Steve Soto, der aus Fullerton stammte und Bass für die Adolescents spielte, gab Jay einen gutgemeinten Ratschlag.

STEVE SOTO: Du bist ja richtig nervös.

JAY: Ich weiß. Ich bin immer so aufgeregt, bevor wir spielen.

STEVE SOTO: Bevor du spielst, solltest du immer mindestens ein Sixpack trinken.

JAY: Okay, das habe ich nicht gewusst.

Greg erinnert sich, dass sich das Publikum besonders feindselig verhielt, weil das Versprechen, es gäbe Freibier, sich als glatte Lüge herausgestellt hatte. Dennoch schaffte es die Band unversehrt durch ihr Set. Als sie die Bühne verließ, erhielt Brett Zuspruch von einem vertrauten Gesicht, das die Reise von Woodland Hills nach Orange County auf sich genommen hatte, um seinem Auftritt beizuwohnen. „Nach der Show“, so Brett, „sagte mein Freund Tom Clement ganz ernst: ‚Egal, was ihr tut, löst euch bloß nicht auf. Wenn ihr zusammenbleibt, dann werdet ihr richtig groß. Ernsthaft. Ihr Jungs seid richtig gut.‘“

Ein anderer früher Auftritt war sogar noch schräger. Sie fand im Rahmen einer Studentenverbindungsparty statt, bei der Bad Religion für die Circle Jerks den Anheizer gaben. Die Circle Jerks waren Keith Morris’ neue Band nach seinem Ausstieg bei Black Flag und galten in den Achtzigerjahren als eine der angesagtesten Punk-Bands in Los Angeles. Eine Studentenverbindung an der University of Southern California veranstaltete eine Sause unter dem Motto „Punk“ und buchte dafür naiverweise echte Punks. Sobald der Gig abgemacht war, luden die Mitglieder von Bad Religion und der Circle Jerks ihre Freunde ein und verteilten wie für jedes andere Konzert Flyer. Die Studenten verkleideten sich als Punks und die Punks benahmen sich, nun ja, wie echte Punks eben.

„Es war eine witzige, bizarre und tragische Nacht, wie ich sie von Greg Hetson, Roger Rogerson und Keith Morris gewohnt war“, meint Lucky Lehrer, der Schlagzeuger der Circle Jerks. „Gegen Ende der Fete war Roger vom Freibier so besoffen, dass er versuchte, die halbe Angriffslinie des Football-Teams der Universität in die Mangel zu nehmen. Sie hauten ihn daraufhin windelweich.“

Offenbar hatte es Roger aber nicht anders verdient. Brett erinnert sich, dass er die Sportskanonen sturzbetrunken mit einem Nunchaku, einer japanischen Schlagwaffe, attackierte.

Trotz des Schabernacks war es ein wegweisender Gig für Bad Religion. Der Punk-Fotograf Gary Leonard dokumentierte das Konzert und die Band hinterließ einen positiven Eindruck bei Lucky Lehrer. „Ich fand einen Draht zu Bad Religion, als wir unsere Ausrüstung in unseren Autos und Lieferwagen verstauten, weil ich spürte, dass diese ‚Kids aus dem Valley‘, wie ich sie nannte, nicht so durchgeknallt waren wie die Circle Jerks.“

Lucky meinte das keineswegs herablassend. Sie waren Teenager, die trotz ihrer Intelligenz und ihres Ehrgeizes noch über wenig Lebenserfahrung verfügten. „Damals sah ich zum ersten Mal eine Bier-Bong“, erinnert sich Ziskrout an die Party.

Auch Keith Morris denkt gerne an dieses Konzert zurück. Als das Bier auf der Punk-Party versiegte, ergriff Keith die Initiative und begab sich auf die Suche nach Nachschub. Unterwegs fiel ihm auf, dass er nicht der einzige Späher war. „Meine liebste Erinnerung an diese Nacht ist nicht der Gig mit den Circle Jerks und Bad Religion zu sehen, sondern die, dass ich so viel Bier ergaunerte, wie ich nur trinken konnte. Wir spielten in der Straße mit den Verbindungshäusern und überall ging die Post ab. Genau gegenüber gab es eine Party, die unter dem Motto „Landleben“ stand. Da lagen Heuballen im Vorgarten herum. Ich wollte mir die Sache mal näher ansehen und traf auf einen großgewachsenen blonden Surfer, der sich als Ricky Nelsons Sohn entpuppte und sich mit Darby Crash unterhielt.“

Die Anwesenheit von Darby Crash und Pat Smear von den Germs entging auch Brett nicht. Brett, der Darby vergötterte, staunte nicht schlecht. „Die erste Hardcore-Band, die ich je sah und in die ich mich förmlich verliebte, waren die Germs. Sie unterschieden sich ganz markant von jenem Punk, den ich bis dahin gehört hatte. Sie waren anders als die Buzzcocks, die Sex Pistols oder die Ramones, die einen sehr zugänglichen Power-Pop-Sound spielten, der schon fast an die Fünfzigerjahre erinnerte. Die Germs waren düster und fühlten sich gefährlicher an.“

Als autodidaktischer Student der Philosophie erkannte Brett, was Darby mit seinen Songtexten beabsichtigte. Seine Worte waren sowohl poetisch als auch philosophisch – ein Versuch, die Dinge, die er gelesen hatte und über die er nachdachte, zu kombinieren und diese Ideen dann in seinen Songs zum Ausdruck zu bringen. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck bei dem jungen Songwriter. „Er versuchte herauszufinden, was es mit dem Menschsein auf sich hatte“, so Brett. „Songs wie ,Lexicon Devil‘, ,Manimal‘ und ,What We Do Is Secret‘ sind kraftvoll und potent. Sie hatten großen Einfluss auf mich, als ich mich als Teenager für die Germs begeisterte.“

Zwar waren schon Darbys Songtexte einigermaßen mysteriös, doch sein Benehmen auf der Bühne erstaunte Brett noch mehr. Die Live-Shows der Germs waren berüchtigt für ihren, gelinde gesagt, Mangel an Struktur. So war Darby bei seinem Auftritt im Film The Decline of Western Civilization so zugedröhnt, dass er es versäumte, ins Mikrofon zu singen. Bei den Gigs, die Brett besuchte, versuchte Darby nicht einmal, die Texte zu singen. Er schrie und jaulte und gab Tierlaute von sich. „Er sang gar keine Texte. Ich liebte seine Texte. Ich kannte jedes Wort und jede Betonung seiner Phrasierung auswendig. Im Auto sang ich sie mit. Dann sah ich die Germs live und Darby sang kaum mal einen Text. Er machte einfach nur Krach!“

Mochte die Musik der Germs nicht sonderlich zugänglich gewesen sein, so war es zumindest ihr enigmatischer Sänger. Brett sah ihn im Publikum bei Konzerten und anschließend auf dem Parkplatz – eine Erfahrung, als wäre er in den Sechzigerjahren Jim Morrison im Whisky a Go Go auf dem Sunset Strip begegnet. „Er war ein Halbgott in meinen Augen“, erzählt Brett. „Er war nicht viel älter als ich. Vielleicht Anfang zwanzig, und ich war 17, was in diesem Alter ein unüberbrückbarer Unterschied ist.“

Am Abend der Verbindungsparty fasste sich Brett ein Herz und quatschte Darby an.

BRETT: Hey, Darby.

DARBY: Hey.

BRETT: Darf ich dich was fragen?

DARBY: Klar.

BRETT: Wenn du live auftrittst, warum singst du da nicht die Texte?

DARBY: Weil ich mich nicht an sie erinnern kann.

Dieses Treffen mag für Brett vielleicht eine kleine Enttäuschung gewesen sein, dass Darby zu ihrem Auftritt gekommen war, bedeutete dem Teenager aber eine Menge. Es verdeutlichte ihm, dass das, was sie da machten, Gewicht hatte – sogar auf einer lächerlichen Studentenparty. Leider verstarb Darby nur wenige Wochen später, nachdem er sich absichtlich eine Überdosis verabreicht hatte. Sein Tod wurde aber von der Ermordung John Lennons am Tag darauf überschattet.

Das Konzert war der Auftakt zu einer langjährigen Verbindung zwischen Bad Religion und den Circle Jerks. Keith Morris zählte Bad Religion zu den – wie er es ausdrückte – „kleinen Brüdern“.

Mit Bad Religion und den Circle Jerks verhielt es sich seiner Meinung nach so: „Wir schätzten die Musik der jeweils anderen Gruppe. Es gab in ihrer Band keine Arschlöcher. Keine Pissnelken. Alle waren cool. Wir wollten auf die Party gehen und die Punk-Rock-Piñata aufschlagen. Aufgrund unserer Freundschaft fingen Bad Religion an, zusammen mit uns aufzutreten.“

Noch am gleichen Abend erfuhren Bad Religion, dass die Circle Jerks live im Studio von KROQ in Rodney Bingenheimers Radioshow Rodney on the ROQ interviewt werden sollten. Rodney war eine lokale Szenegröße, die sowohl mit dem Musikbusiness in Verbindung stand, als auch die Bedeutung von Punkrock begriff. (Auf Greg Shaw von Bomp! Records traf das ebenfalls zu.) Er war ein Eklektiker, der in den frühen Siebzigerjahren mit Rodney Bingenheimer’s English Disco seinen eigenen Nachtclub betrieben hatte. Außerdem aß er jeden Tag in derselben Denny’s-Filiale in Hollywood zu Mittag. Leute aus der Musikindustrie brachten ihm Schallplatten vorbei und Musiker bemühten sich um eine Audienz beim „Mayor of Sunset Strip“.

 

In seiner Show spielte er oft Musik lokaler Punk-Bands. Für frühe Fans war dies die beste Möglichkeit, die neueste Klänge aus der Szene zu hören. Die Kids nahmen Rodneys Show auf und tauschten ihre Tapes mit anderen Punks in der Schule. So seltsam es heute im Zeitalter des Kommerz-Radios auch anmuten mag: 1980 konnte man Rodney on the ROQ aufdrehen und bekam dort die Adolescents, die Circle Jerks und die Germs zu hören. Der Adolescents-Song „Amoeba“ schaffte es auf diese Weise sogar ins reguläre Programm von KROQ und mauserte sich zum Underground-Hit.

Brett verstand Rodneys bedeutsame Rolle für die Szene. „Er war ein Typ, der stolz darauf war, genau zu wissen, wer die neuesten coolen Bands waren, weil er ihre Konzerte besuchte. Rodneys Radiosendung startete um Mitternacht und er spielte Importe aus England, an die wir nicht herankamen sowie lokale Gruppen, die man nur schwer fand. Aber die Bands steckten ihm ihre Tapes zu, damit er sie im Radio spielte.“

Rodneys Show ließ Gregs Traum vom Musikmachen ein wenig realistischer erscheinen. Die Musik, die Rodney im Radio spielte, umfasste nämlich auch krude Demos. Was zur Erkenntnis führte, dass man nicht bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag stehen musste, um es ins Radio zu schaffen. Alles, was man dafür tun musste, war, es eben einfach zu versuchen.

Auch für Jay Ziskrout stellte Rodneys Radiosendung eine vitale Verbindung zur Punk-Szene in Hollywood dar. „Damals hatte KROQ ein echt schwaches Signal. Wir saßen draußen im westlichen San Fernando Valley und konnten KROQ bei uns zuhause nur selten empfangen. Ich besuchte dann Brett, weil er auf einem Hügel wohnte. Manchmal musste man dann die Antenne hochhalten, damit man einen klaren Empfang hatte.“

Die Circle Jerks nahmen das Demo von Bad Religion mit zum Radiosender. (Sowohl Hetson als auch Lucky reklamieren diese Ehre für sich.) Keith stellte die Band vor und Rodney schickte „Politics“ über den Äther. Obwohl Ziskrout wusste, dass es passieren könnte, war er nicht auf seine eigene Reaktion vorbereitet, als es tatsächlich soweit war. „Der Nervenkitzel, sich selbst zum ersten Mal im Radio zu hören, ist unbeschreiblich. Man kann das mit nichts vergleichen.“

Rodneys Hörer waren von der neuen Gruppe aus dem San Fernando Valley überaus angetan. Sie wollten mehr davon und Rodney entsprach diesem Wunsch. „Daraufhin verzeichneten wir einen Popularitätsanstieg in L.A.“, sagt Brett. „Rodney war ein echter Förderer. Er mochte den Song und fand uns gut. So machten wir uns einen Namen, da die Kids seine Show aufzeichneten. Auf diese Weise konnten die Leute unsere Songs hören, noch bevor sie überhaupt auf Platte erschienen waren.“

Bad Religion traten außerdem in New Wave Theatre auf, einer Show im Kabelfernsehen, in der man Live-Auftritte von Underground-Bands verfolgen konnte. In der der relativ kurzen Laufzeit der Sendung spielten Bad Religion dort gleich zwei Mal. Ihre Premiere feierten sie Ende 1980 mit drei Songs: „Bad Religion“, „Slaves“ und „Oligarchy“. Der Gastgeber Peter Ivers kleidete sich stets in topaktueller New-Wave-Manier, obwohl er schon ein bisschen älter war als die jungen Leute aus der Szene.

Der Anfang und das Ende der Show sorgten dafür, dass der Auftritt von Bad Religion unvergesslich blieb. Ivers, der gerne locker-flockig und spontan daher plauderte, stellte Bad Religion als „highspeed tough guys from Purgatory Beach“ vor – als Hochgeschwindigkeits-Schlägertypen vom Strand des Fegefeuers. Es muss ihm bewusst gewesen sein, dass er es mit ein paar Jugendlichen zu tun hatte, die noch nie im Fernsehen gewesen waren, aber indem er die Band als „Schläger“ ankündigte, vermittelte er dem Publikum den Eindruck, Punk wäre brutal und gewalttätig, mehr Sport als Kunst.

Nach ihrer Darbietung schlüpfte Ivers während eines kurzen Interviews erneut in die Rolle des Provokateurs. Es war ein faszinierender Austausch, der nicht nur die jugendliche Energie von Bad Religion und ihren Charme, sondern auch ihre intellektuelle Seite offenbarte. Greg wirkte ruhelos und unfähig, während des Interviews stillzustehen. Trotz Ivers’ konfrontativer Art lächelte er die ganze Zeit. In der Mitte des Interviews stieß Jay Greg versehentlich mit seiner Bassgitarre an, was Greg aus der Konzentration brachte. Ivers stellte Greg eine Frage zu „Slaves“, der darauf sagte, es handle sich um einen sehr „inspirativen“ Song.

Doch Ivers war noch nicht fertig mit Greg und drängte ihn, sich zu rechtfertigen. Unsicher, was er sagen sollte, antwortete Greg: „Ich schreibe bloß den Text.“ Einen Augenblick lang schien es, als wäre die Band in eine Falle getappt. Als ob er gespürt hätte, dass Ivers beabsichtigte, die Band als Narren zu entlarven, eilte Brett, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „SMUT MONGER“ trug, seinem Sänger zu Hilfe.

BRETT: Zunächst einmal, jede organisierte Denkschule ist eine schlechte Religion. Jede Regierung ebenso. Jegliche vorbestimmte Vorstellung davon, wie man sich benehmen soll, ist eine schlechte Religion … Eigentlich haben wir uns Bad Religion genannt, weil wir unsere Ideen zum Ausdruck bringen wollen. Wir haben uns nicht Good Religion genannt. Wir nennen uns Bad Religion, weil wir Religion für schlecht halten und im Grunde genommen sämtliche organisierte Denksysteme Religionen sind.

IVERS: Ihr präsentiert euch auf eine sehr primitive, fast schon animalische Art und Weise, doch das, wovon du da sprichst, ist sehr anspruchsvoll.

BRETT: Ich finde nicht, dass man Leute nach ihrem Verhalten bewerten sollte. Ich glaube nicht, dass das eine Auswirkung auf das hat, was sie im Kopf haben.

GREG: Genau, sieh dich doch mal an.

Obwohl sie sich auf der Bühne als rotzfreche Maulhelden gaben, enthüllte die Show, wie scheu sie abseits davon waren. Sie waren die letzte Generation von Kindern, denen nicht ständig eine Videokamera ins Gesicht gehalten wurde. Ihr Unbehagen ist gleichermaßen charmant und albern. Gregs kindische Stichelei – „Sieh dich doch mal an“ – war ein krasser Kontrast zu seinen nachdenklichen Texten und jener Art von Dialog, zu der er später als Akademiker anregen würde.

„Wir waren super-nervös“, kommentiert Jay die Show ganz unumwunden. „Wir waren ja so unfassbar schräg!“

Ein Auftritt in einer lokalen Kabelfernsehsendung war nun kaum der ganz große Wurf, doch markierte er zumindest einen vielversprechenden Abschluss eines eindrucksvollen Jahres. Sie hatten ein Demo produziert, das sehr gut ankam, ein paar Konzerte gespielt und eine EP aufgenommen. Damit hatten sie schon mehr geschafft als andere Bands in ihrer gesamten Karriere. Dass sie ein paar ihrer frühen Auftritte mit Social Distortion und den Circle Jerks absolvierten und diese von Leuten wie Darby Crash frequentiert wurden, legte nahe, dass sie gut vernetzt waren. Das traf aber nicht zu. Obwohl Punk in L.A. nun populärer als je zuvor war, gab es nach wie vor nur wenige Auftrittsmöglichkeiten. Deshalb reisten Punk-Fans aus der ganzen Gegend um Los Angeles an, um Auftritte auf Gartenpartys und in Lagerhallen zu erleben. Gleichzeitig waren Punk-Bands immer auf der Suche nach gleichgesinnten Bands, die darauf brannten, live zu spielen, und dann auch wirklich aufkreuzten – selbst wenn sie ihre Ausrüstung in irgendein Haus oder eine gemietete Lagerhalle in Oxnard, East L.A. oder San Pedro schleppen mussten. Diese Beschreibung traf auf Bad Religion zu.

„Die Szene war ziemlich klein“, so Jay. „Somit traf man ständig auf die immer gleichen Leute. Man besuchte ein Konzert und sah sich die Band an. Das nächste Mal spielte man dann wiederum selbst.“

In jenen Tagen konnte ein jugendlicher Punk, der noch nie in Hollywood gewesen war, ein Konzert besuchen und direkt neben seinen Helden stehen. Natürlich beruhte das Gefühl der Wertschätzung nicht immer auf Gegenseitigkeit. So etwa bei Jays erstem Treffen mit John Doe. „Zur Seite, Junge“, blaffte ihn der Bassist von X an. „Er war vielleicht 21“, berichtet Jay. „Ich war 15 und er dachte sich vermutlich, dass ich die Szene ruinieren würde. Womit er richtig lag.“

Den Bandmitgliedern fiel schon bei ihren ersten Konzerten auf, dass viele der jungen Konzertbesucher die Texte ihrer Songs kannten, obwohl die erste EP noch gar nicht erschienen war. Als die Leute bei ihren Shows mitsangen, begriffen Bad Religion, dass dieses schräge Projekt, das sie nach der Schule in der Garage von Gregs Mom betrieben, über ihren unmittelbaren Freundeskreis hinaus Anklang fand. Was sie da taten, bedeutete den Fans offenbar etwas und wurde von ihnen geschätzt. Langsam dämmerte es ihnen, dass diese Kids sich ihre Songtexte deshalb merkten, weil sie etwas Bedeutungsvolles zu sagen hatten.

Da sich das Publikum teilweise aus ihren Helden und Kollegen aus anderen Bands zusammensetzte, kam Jay nicht umhin, seine Darbietung überaus kritisch zu bewerten: „Ich weiß noch, dass ich immer dachte: Das war ein guter Song, der war auch gut. Aber der war jetzt wieder beschissen.“

Jay war aber nicht der Einzige, der mit seinen Nerven zu kämpfen hatte. Auch Brett gesteht, dass er sich auf der Bühne unsicher fühlte. Dass sie das Publikum für sich gewinnen konnten, begründet er mit Gregs Charisma. „Greg war von Anfang ein richtiger Performer. Das machte einen großen Teil des Erfolgs von Bad Religion aus. Ein charismatischer Sänger ist sehr wichtig für eine Punk-Band, und Greg war schon immer ein toller Performer gewesen, während ich das erst viele Jahre später von mir behaupten konnte.“

Greg mochte vielleicht selbstsicher gewirkt haben, doch innerlich war er nicht weniger nervös als die anderen. „Es war richtig nervenaufreibend, aber ich hatte großes Vertrauen in unsere Musik. Meiner Ansicht nach steckten wir alle zusammen in dieser Sache. Also erfüllte ich meine Rolle. Aber wenn ich allein dort oben gestanden hätte, hätte ich mir wahrscheinlich in die Hosen geschissen. Und so habe ich mich bislang noch bei jedem Konzert gefühlt. Ein großer Teil meines Selbstvertrauens beruht auf den Jungs hinter mir.“

Auch schadete es nicht, dass die drei Musiker, die vorne am Bühnenrand standen, alle weit über einen Meter achtzig groß waren. Mit seinen gefärbten Haaren, den Motorradstiefeln und seiner Lederjacke entsprach Greg der gängigen Vorstellung eines Punkrock-Frontmannes. Brett mied das Rampenlicht und strahlte eine Aura aus, die zu sagen schien: Mach mich bloß nicht an. Jay, mit 195 Zentimeter Gardemaß das größte Bandmitglied, fokussierte sich wiederum auf seine Bassgitarre. Seine versteinerte Miene brachte seine intensive Konzentration auch optisch zum Ausdruck.

Brett, der sich selbst stets als „Nerd“ beschrieb, war überrascht, dass Leute ihn nun in Ruhe ließen, bloß weil er in einer Band spielte. „Als wir langsam populär wurden, bedrohten mich oft irgendwelche Schläger-Punks. Dann fragte irgendjemand, ob ich nicht bei Bad Religion spielte.“ Sobald er das bejahte, war die Konfrontation zumeist schon wieder vorüber.

Innerhalb der Subkultur herrschte Misstrauen gegenüber Außenstehenden, während Gleichgesinnte beschützt wurden – selbst wenn es sich dabei um nerdige Punks wie Bad Religion handelte. Ein Konzert zu besuchen, konnte mitunter gefährlich sein, wenn man nicht jeden kannte und nicht jeder einen selbst kannte. Für Brett gehörten solche Begegnungen zum Aufnahmeritual. „Was mich zur Punk-Szene hinzog, war das Gefühl, es mit einem Stamm von Außenseitern zu tun zu haben. Ich fühlte mich wie ein Mensch, der einfach nirgendwo Anschluss fand. Mich der Punk-Szene anzuschließen, war eher eine bewusste Wahl und nichts, was mir aufgedrängt wurde.“

Jedes Bandmitglied hatte bei Punkrock-Konzerten Dinge erlebt, die sich nur schwer verstehen oder erklären ließen. So gelang es den Medien, Punk zu vereinnahmen und es als Gewaltorgie in Misskredit zu bringen. Gewalt war aber bedauerlicherweise tatsächlich ein Thema.

Bei Jays erster Punk-Show spielten Black Flag und die Circle Jerks im Hideaway, als jemand mit seinem Auto in die Lagerhalle raste, in der das Konzert stattfand. Brett wiederum erinnert sich an einen Gig, den auch Jack Grisham von T.S.O.L. besuchte, der einen Freund mitbrachte, den er an einer Hundeleine hielt. Jack stellte Fremden seinen Kumpel vor und verklickerte ihnen, dass sie jetzt mit seinem „Hund“ kämpfen müssten. Wenn sie abwinkten, mussten sie gegen Jack selbst, der fast zwei Meter groß war und Gewalt genoss, in den Ring steigen.

Jay beschrieb die frühen Konzerte mit Bad Religion als „aufregend, beängstigend und kathartisch“. Punk-Bands trieben ihr Publikum zur Ekstase, und wenn das Publikum diese Energie dann wiederum zurück auf die Bühne schickte, geschahen unvorhersehbare Dinge. Bad Religion zapften diese Energie an Orten an, die nicht genehmigt, unbeaufsichtigt und unsicher waren. Viele, wenn nicht sogar die meisten Punkrocker nahmen Drogen und tranken, um der Situation gewachsen zu sein oder um mit den Emotionen zurechtzukommen. Für manche Bands wie die Circle Jerks drehte sich alles ausschließlich um die Party. Bad Religion waren hingegen keine Party-Truppe. Auch hatten sie kein Interesse daran, streitlustige Songtexte zu schreiben, nur um damit anzuecken. Vielmehr schwebte ihnen ein höheres Ziel vor.

 

„Es gab einen Grund, warum wir uns Bad Religion nannten“, erklärt Brett. „Greg und ich versuchten, Intellektuelle zu sein. Für unsere erste EP schrieb ich einen Song mit dem Titel „Oligarchy“ und Greg kam mit einer Nummer namens „Politics“. Wir machten keinen Fun-Punk. Wir waren zwar noch Teenager, naiv und ziemlich unreif, aber wir gaben uns Mühe.“

Obwohl sie intelligent waren, ließ sich nicht leugnen, dass sie aus einem Vorort kamen und nicht wussten, was sie da taten oder auf was sie sich da einließen. Schon als sie nur Fans gewesen waren, galten sie als Außenseiter, doch dass sie nun auf der Bühne standen, machte die Dinge nicht weniger verwirrend. „Ich hatte das Gefühl, dass wir in die Welt der Erwachsenen vordrangen, die wir nicht verstanden“, so Jay. „Es gab andere Leute, die sich ums Geschäftliche kümmerten. Ich wollte nichts davon wissen. Ich wollte nur spielen und dann wieder abhauen. Es war weder Business noch Party für mich. Es hieß, dass das irgendwie wichtig sei, aber man wusste nicht wieso. Vielleicht war ich zu jung und hatte noch keinen Überblick, aber das Party-Ding war wirklich nichts für mich. Vermutlich lag das auch an den Diskussionen, die wir in Gregs Garage führten: ‚Was wollen wir als Band darstellen? Was wollen wir aussagen? Wie wollen wir uns präsentieren?‘ Keine Ahnung, über was sich andere Bands so unterhalten, wenn sie sich gründen. Ich weiß nur, dass wir dieses Gespräch führten. Wir wollten uns nicht auf die Bühne stellen und Sachen krakeelen wie ‚Scheiß auf die Bullen!‘ oder ‚Ich hasse meine Eltern!‘ … Es musste doch etwas geben, das ein bisschen sinnvoller war. Das war meine Einstellung zur Band. Sie war kein Vehikel, um Drogen zu nehmen. Sie war auch kein Vehikel, um Kohle zu scheffeln. Stattdessen war sie ein Vehikel, um unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Das war wichtiger als alles andere.“