Hackes kleines Tierleben

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Hackes kleines Tierleben
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Axel Hacke


Hackes kleines

Tierleben

Bilder von Michael Sowa

Verlag Antje Kunstmann

Inhalt

Der Bär 5

Der Wellensittich 9

Der Flamingo 13

Das Krokodil 18

Der Wal 22

Die Hyäne 26

Das Huhn 30

Die Kröte 34

Der Hering 38

Der Hase 43

Die Giraffe 46

Der Kakerlak 50

Der Regenwurm 53

Der Kuckuck 57

Der Maikäfer 61

Der Pinguin 66

Das Chamäleon 70

Der Elefant 74

Für Ursula

Der Bär

Die meisten von uns wachsen mit einem kleinen, stummen Bären auf, essen von einem Tellerchen mit ihm und schlafen im selben Bettchen, und wenn er frech wird, hauen wir ihm in die Schnauze. Aber dann küssen wir ihn wieder saftig und herzlich und haben ihn lieb, und wenn es dunkel wird, muss Bärchen weich sein und uns beschützen.

Dann werden wir groß, und die Bären werden uns fremd. Jeden Tag fahren wir mit der U-Bahn ins Büro, und dort sind wenig Bären, eigentlich überhaupt keine. Aber irgendwo müssen sie doch sein! Die vielen kleinen Bären müssen auch erwachsen geworden sein – und wo sind sie? Was tun wir, wenn wir ihnen begegnen? Sollen wir sie hauen oder küssen, und werden sie für uns da sein, wie sie früher immer für uns da waren? Oder werden sie uns umarmen und mit einem einzigen Biss den mürben Schädel zerknacken?

Es gibt eine große Unsicherheit im Umgang zwischen den Menschen und den Bären, und deshalb gilt unsere Dankbarkeit der niederösterreichischen Landesregierung, welche eine Broschüre mit dem Titel »Mensch und Bär – Ein Leitfaden für ein faires Zusammenleben« veröffentlichte. »Was tun, wenn ich einen Bären treffe?« lesen wir da, und die Antwort lautet: »Sprechen Sie ihn an und machen Sie auf sich aufmerksam. Vermeiden Sie hektische Bewegungen und laufen Sie nicht weg. Der Bär wird vor Ihnen weglaufen.«

Wird vor Ihnen weglaufen … Schade! Was mag er fürchten? Die Rückkehr zu uns? Das Knutschen und Sabbern? Das Pupsen und Plappern? Oder: ein Schicksal als Tanzbär, immerzu tanzen nach dem Schlag der Trommel, jeden Tag das gleiche Menuett in abgemessenen Schritten und dann einen Bückling machen und dem Meister die Pfote geben? Einen Ring durch die Nase, Folter mit glühenden Eisen und den schweren Alkoholismus, der ihn gefügig macht? Ist es das, wovor er Angst hat? So voller Niedertracht können wir ja auch sein, wenn wir groß sind, das ist wahr, einige von uns jedenfalls, ganz wenige, Entschuldigung, Entschuldigung! (Es gab aber auch den Herrn Permaneur, berühmtester Dompteur des ausgehenden 19. Jahrhunderts, welcher dich, Bär, ohne Ring, mit viel Honig und guten Worten erzog, weil er wusste, dass bei deiner Dressur »mehr als bei irgendeinem anderen Thier die Methode der Überredung am Platz ist«, wie Hachet-Souplet 1895 schrieb.)

In den alten Zeiten bat man den Bären noch um Verzeihung, wenn man ihm etwas antun musste, bei den Ainu zum Beispiel, die dort lebten, wo heute Japan ist. Sie erklärten dem Bären in umständlicher Zeremonie, wie warm sein Fell sei und wie gut sein Fleisch schmecke, und manchmal beging der Bär dann aus Mitleid Selbstmord, weil er den Armen helfen wollte. In den ganz alten Zeiten kamen die Bären dann und wann aus den Wäldern hervor, verschleppten die schönsten Prinzessinnen und machten stark behaarte Kinder mit ihnen – Suens, einst König der Dänen, war der Enkel eines solchen, und umgekehrt ist der Ahnherr der Tungusen, welche im Kinghan-Gebirge siedeln, Spross der Vergewaltigung eines Jägers durch eine Bärin.


Ja, vielleicht sind wir alle Bärenkinder, tränken gerne Bärenmilch, wie Beowulf es tat, und wären dann wild und gefährlich. Und es sind die Teddybärchen und die Tanzbären nichts als der Versuch, uns stets aufs Neue zu beweisen, dass dies Wilde, Rohe, unüberlegt Gierige, offen Gewalttätige, Unberechenbare, das der Bär seit altersher verkörpert und der Mensch in sich trägt, doch beherrschbar ist? Dass man es klein machen kann bis zur Possierlichkeit?

Ach, Bär! Wir war’n uns so nah und sind uns so fern. Du warst unser einziger Vertrauter, und nun lebst du in den Ländern der hyperboräischen Finsternis oder an den Strömen Kanadas, in der Hohen Tatra oder im niederen Österreich. Hol dir mal wieder eine Prinzessin, es gibt noch genug! Entführe auch uns, Bär, und lehre uns das korkleichte, gelassene Sich-Treiben-Lassen im Wasser, den schlendernden Gang im dunklen Wald, das Angeln von Lachsen und das Plündern eines Bienenstockes – alles, was sonst nur »Marlboro-Reisen« bietet! Zeig uns auch das lautlose Beschleichen des Pelzjäger-Camps und den umstandslosen Biss in einen Polarforschernacken! Steig in die U-Bahn, komm in unser Büro, tu was du willst, nur …

Nur lauf nicht weg!

Der Wellensittich

Vom Wellensittich heißt es, er habe ursprünglich die Ebenen im Inneren Australiens bewohnt, in großen Scharen lebend, morgens und abends ausfliegend, um sich zu nähren vom Samen der Gräser, die Hitze des Tages im Schatten der Gummibäume verzwitschernd. Das ist falsch.

In Wahrheit fand der britische Forscher Gould, der 1840 das erste Wellensittichpärchen nach London brachte, ebendiese Vögel in Australien schon im Käfig lebend vor. Ja, er beobachtete mitten in der Wildnis Hunderte von Wellensittichen, in kleinen Volieren an Gummibäumen hängend, stets zu zweit. Im Chor begrüßten sie den Reisenden: »Wo warst du denn, mein liebes Mätzchen? Wo warst du?«

Niemals wagte Gould, diese schockierende Begebenheit zu erzählen, aus Furcht, man würde ihm künftig keinen seiner Forschungsberichte mehr glauben, zumal er ja außerstande war zu erklären, wie die Vögel in Käfige gekommen waren, wer sie mit Nahrung versorgt und sie sprechen gelehrt hatte. Aborigines? Deutschstämmige Großmütter? Der Herr selbst?

Gould beobachtete die Szenerie wochenlang, sah aber nichts. Doch war er erschöpft in Schlaf gefallen, fand er beim Aufwachen Futternäpfe und Wasserbehälter gefüllt und die Käfige vom Sittichkot gereinigt.

Wie das geschah? Nie wird dies Rätsel gelöst werden. Schon kurze Zeit nach Goulds Besuch wurden sämtliche Käfige von habgierigen Papageienhändlern aus den Bäumen gepflückt und in die Wohnstuben der Welt verkauft. Ein Wunder der Natur – vom Menschen zerstört!

Geblieben ist ein freundlicher Narr in der Mitte unserer Familien, imstande, in seinem Körperlein alle Geräusche der Umgebung zu archivieren: knarrende Türen, rauschende Wasserleitungen, jödeldüdelnde Telephonklingeln. Der berühmteste deutsche Wellensittich, Putzi Ragotzi, dessen Besitzerin Berta Ragotzi die Fachbücher Wellensittich – Wundervogel (1935) und Freude am Wellensittich (1956) veröffentlichte, war in der Lage, Geräusche vorauszuahnen und vorwegzunehmen. Frau Ragotzi schrieb, »daß er schon zu mahlen begann, wenn ich nur die Hand nach der Kaffeemühle ausstreckte, und näherte ich mich dem Büfett, schon quietschte er, wie wenn ich die Tür öffnete. Ging einer sich waschen, seifte er, nahm einer das Glas mit der Zahnbürste, begann er zu gurgeln. Wurde dagegen bei Tisch ein Glas genommen, so dachte er nicht an das Gurgeln, sondern flog auf die Schulter des Durstigen, hob den Schnabel hoch, ahmte das Schlucken nach, variierte es, als wäre es die prächtigste Melodie…«

Putzi hatte dreihundert Wörter zur Verfügung, und er war in der Lage, »Schnupperle« und »Pupperle« eigenständig zu »Schnuppupperle« zusammenzufügen. Andererseits verkürzte er gern Worte durch Weglassung von Silben: »Pagei« statt »Papagei« – eine Angewohnheit, die allen Wellensittichen gemein ist und die politisch Interessierte von dem früheren Bremer Bürgermeister Koschnick kennen, dem einzigen Menschen, der imstande ist, die Wortfolge »Sozialdemokratische Partei Deutschlands« schneller auszusprechen, als unsereiner SPD sagen kann. (Das Handbuch Unser Kind wünscht sich ein Tier gibt den Rat, sich Wellensittich-Reden durch langsam ablaufende Tonbänder verständlich zu machen. Hätte man das doch gewusst, als Koschnicks Karriere begann!)


Zu Putzi Ragotzis Zeiten mussten Vogelfreunde ihren Gefiederten das Sprechen umständlich selbst beibringen; heute bieten Volkshochschulen Sprachlabors für Papageien an. Dort werden ihnen die wichtigsten Sätze fürs Sittichleben (»Wo ist denn mein Hansi?«, »Guten Morgen, du Depp!«) vom Endlos-Tonband vorgesprochen. Der Besitzer kann später Spezialsätze erarbeiten (»Mach den Fernseher an, Doktor Schibulsky!« oder »Achte auf deinen Cholesterinspiegel!«) beziehungsweise sein Tier mit Sondervokabular versehen, wie es die Telekom tut, die seit längerem die Fernsprechauskunft mit Wellensittichen besetzt hat.

 

Wie sehr dem Wellensittich das Sprechen aber in Fleisch und Blut übergehen kann, soll uns Berta Ragotzi zeigen, in deren Haus einmal eine Hausangestellte beim Rückwärtsgehen einen Vogel, der auf dem Fußboden umhertrippelte, mit dem Fuß zerquetschte, so dass er sterbend in der Hand der Herrin lag: »Heiße Tränen fielen auf das sich in Schmerzen krümmende Tier nieder«, schrieb Frau Ragotzi. »In dieser Todesnot wandte das kleine Geschöpf jene Worte an, deren Sinn es erfasst hatte: ›Kussel geben! – Kussel geben!‹ schrie es so lange, bis die Todeszuckungen einsetzten. Ein Hilferuf, der ergreifend ans Herz rührte. Sollte ihm Liebe die Schmerzen lindern?«

Der Flamingo

In unserem Zoo sind die Flamingos gleich rechts hinter dem Eingang zu finden –

»und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht,

beisammen, blühend, wie in einem Beet«.

Genau wie Rilke es beschrieben hat.

Und warum sind wir dann immer traurig, wenn wir die Flamingos dort sehen: gleich am Eingang schon wieder so traurig?

Vielleicht, weil es so wenige sind? Da, wo die Flamingos zu Hause sind, leben sie zu Hunderttausenden zusammen. »Wenn man des Morgens von Cagliari aus gegen die Seen sieht, scheint sie ein Damm von roten Ziegeln zu umgeben«, zitiert Brehm einen Bericht aus Sardinien, »oder man glaubt, eine große Menge von roten Blättern auf ihnen schwimmen zu sehen. Es sind aber die Flamingos, die daselbst in ihren Reihen stehen und mit ihren rosenroten Flügeln diese Täuschung bewirken. Mit schöneren Farben schmückte sich nie die Göttin des Morgens, glänzender waren nicht die Rosengärten des Pästus als der Schmuck, den der Flamingo auf seinen Flügeln trägt.« Brehm selbst schreibt: »Ich schaute über den weiten Mensalehsee hinweg und auf Tausend und andere Tausend von Vögeln, buchstäblich auf Hunderttausende. Das Auge aber blieb haften auf einer langen Feuerlinie von wunderbarer, unbeschreiblicher Pracht. Das Sonnenlicht spielte mit den blendendweiß und rosenrot gefiederten Tieren, die sie bildeten, und herrliche Farben wurden lebendig.«

Und hier sind es eben nur zwanzig oder dreißig, und manchmal denken wir, es werden weniger. Wir stellen uns vor, dass es eine Einbrecherorganisation gibt, die im Auftrag superreicher Krimineller nachts in den Zoo einbricht und Tiere klaut, damit die verwöhnten Verbrecher Festessen mit Gorillabraten, Tapirgulasch und Giraffenkoteletts veranstalten können für ihre Bandenmitglieder und deren Frauen. Und dass diese Einbrecher immer, kurz bevor sie abhauen, noch einige Flamingos mitnehmen, weil sie denken, es seien Blumen, eine seltene afrikanische Nelkenart. Sie knicken die Vögel einfach ab, stellen sie bei den Festessen in einer Vase auf die Tafel – und dann verwelken die armen Tiere binnen Stunden.

Aber das ist es nicht allein, was uns bedrückt, wenn wir die Flamingos sehen.

Es ist die Nähe zu ihnen. Man kann sie beinahe anfassen, sie sind nur ein paar Meter von uns entfernt. Aber eigentlich leben doch die Flamingos zum Beispiel im Lake Natron im Norden Tansanias und sehen alle zusammen von oben aus wie rosafarbene Inseln. Wenn man zu ihnen hin will… also, man kann nicht zu ihnen hin. Es geht nicht.

Der Rand dieses Sees besteht nämlich aus riesigen Flächen von dünnem, hartem Soda über einer zähen, schwarzen, teerartigen Masse, wie Eis über Wasser. Ein Engländer namens Leslie Brown, der später das Buch The Mystery of the Flamingos schrieb, hat einmal versucht, darauf zu gehen, aber er brach durch das Soda ein in den ätzenden Schlamm und hätte durch eine Blutvergiftung beinahe beide Beine verloren. Die amerikanische Fotografin Hara, die das schönste Flamingo-Buch der Welt veröffentlicht hat, unternahm den gleichen Versuch und gab ihn wieder auf, als die schwarze Pampe aus den Ritzen zwischen brechenden Sodaschollen auf ihre Füße spritzte: »Ich fühlte mich, als ob ich einen Horrorfilm sähe«, schrieb sie, »aber der von schwarzem Schleim bedeckte Fuß war meiner!«


So geht es natürlich den Löwen auch, die zu den Flamingos wollen, und den Hyänen, aber sie schreiben keine Bücher, sondern starren bloß hilflos zum unerreichbar-rosafarbenen Horizont, und dann gehen sie wieder und fressen lieber doch eine Antilope. Der einzige Flamingovertilger, der an die Vögel im Natronsee rankommt, ist der schreckliche, kaltherzige Marabu mit dem nackten Hals.

Damit sind die Vögel geschützt vor allen möglichen Geflügelfreunden. Doch der wahre Grund, warum die Flamingos auf der ganzen Erde davon träumen, so abgeschieden wie im Lake Natron leben zu dürfen, ist nicht ihre Angst vor Raubtieren.

Es ist ihr Ekel vor der Hässlichkeit der Welt, vor schlecht sitzenden Perücken und lila-gelben Freizeitanzügen und besonders vor unreiner Haut. Denn die Flamingos empfinden sehr zart und haben einen großen Sinn für Schönheit, und weil sie selbst die schönsten Tiere der Welt sind, sehen sie gar nicht ein, warum sie etwas anderes anschauen sollen als sich selbst. Sie sind alle wiedergeborene Fotomodelle, und die Fotomodelle sind wiedergeborene Flamingos, ein ewiger Kreislauf – nur so können die Models glücklich sein, denn sie leben ja in Paris und New York auch sehr abgeschieden, in Luxusappartements und Fotostudios, den Natronseen unserer Welt, unerreichbar für alles Hässliche und für den gewöhnlichen Geflügelfreund.

Als was die Marabus wohl wiedergeboren werden? Vielleicht als – Karl Lagerfeld?

Im Tierpark aber gehen alle Leute sehr dicht an den Flamingos vorbei, perückentragend, auf ihren Leibern raschelnde Freizeitanzüge. Das macht die Vögel sehr unglücklich, denn nicht alle Zoobesucher können schön sein und reine Haut haben. Deshalb nehmen wir, wenn wir dorthin gehen, nun immer eine Vogue mit oder eine Elle. Dort, wo die Flamingos stehen, halten wir das Titelblatt unauffällig, aber für die Tiere sehr gut sichtbar, über das Geländer. Dann biegen sie ihre Hälse, machen ein Kichergeräusch und drücken ihre Schnäbel verlegen ins weiche Gefieder. Das Rosa ihrer Federn schattiert kurz ins Rote, die Knopfaugen lassen sie nicht von unserem Heft, und auf einmal sind sie ein bisschen weniger traurig und wir natürlich auch.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?