Aus meinem Leben - 2. Teil

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»Schweitzer hatte, obgleich ich ihn anfangs ignorierte, sich an mich herangeschlängelt, als ich mit einem anderen Kollegen eine Unterhaltung hatte. Beim Schluß der Sitzung hat er mich eingeladen, mit ihm, Fritzsche und Hasenclever zu speisen. Diese Einladung auszuschlagen war unmöglich, ohne grob zu erscheinen. Schweitzer ließ darauf seine elegante Equipage mit Livreebedienten vorfahren und fuhr mit uns nach dem Lokal, in dem wir speisten. (Wir aßen bei Olbrich, damals ein bayerisches Bierlokal, auf der Leipzigerstraße in der Nähe der Linden.) Nach dem Essen ließ er es sich nicht nehmen, mich mit der Equipage nach dem Anhalter Bahnhof zu fahren, woselbst ich Liebknecht abholen wollte.« Nebenbei bemerkt, sein Essen zahlte jeder selbst.



Während des Essens wurde über Waffenstillstandsbedingungen verhandelt. Ich erklärte mich zu solchen bereit, könnte mich aber auf nichts Bestimmtes einlassen, bevor nicht Liebknecht mit dabei sei. Mit dreien gegen mich allein zu verhandeln, war mir bedenklich. Die folgenden Tage setzten wir die Verhandlungen im Reichstag fort. Schweitzer verlangte, daß nicht nur die gegenseitigen Angriffe in den Blättern und Versammlungen eingestellt würden, sondern daß auch die Mitglieder der beiden Parteien nicht miteinander politisch verkehren oder gemeinsame Aktionen unternehmen dürften. Das letztere lehnten wir ab, wie wir denn überhaupt wiederholt sehr heftig aneinander gerieten und Schweitzer nichts schenkten. Es sei eine Beleidigung für uns und auch eine solche für die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, sich gegenseitig wie Feinde anzusehen. Daß weder die Personen noch die Organisationen gegenseitig angegriffen werden dürften, sei selbstverständlich. Auch kamen wir überein, künftig im Reichstag die von der einen oder anderen Partei gestellten Anträge gegenseitig zu unterstützen. Darauf veröffentlichte der »Sozialdemokrat« in der Nummer 45 vom 16. April die Ankündigung, wonach er von jetzt ab weder Angriffe gegen Liebknecht und mich, noch gegen unsere Partei bringen würde, und forderte die Vereinsmitglieder auf, im gleichen Sinne zu handeln. Umgekehrt veröffentlichten wir im »Demokratischen Wochenblatt« eine ähnlich lautende Erklärung.



So schien alles in schönster Harmonie zu sein. Aber Schweitzer konnte sich der neuen Ordnung nicht fügen; eine demokratische Organisation, wie sie die Barmen-Elberfelder Generalversammlung geschaffen hatte, war für ihn der politische Tod. Dieselbe legte ihm in einer Weise Fesseln an, daß die bisher geübte politische Zweideutigkeit für künftig unmöglich wurde. Außerordentlich bezeichnend für sein damaliges Verhalten ist auch, daß er das ausführliche Protokoll, das über die Elberfelder Verhandlungen erschienen war, unterschlug und verschwinden ließ, wie er das gleichfalls mit dem Protokoll der Hamburger Generalversammlung aus dem vorhergehenden Sommer getan hatte. Es sollte nichts, was ihn kompromittierte, den Vereinsmitgliedern bekannt werden und in die Oeffentlichkeit dringen.



Da erschien wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine Proklamation in Nummer 70 des »Sozialdemokrat« vom 18. Juni, überschrieben: Wiederherstellung der Einheit der Lassalleschen Partei, und unterzeichnet von Schweitzer und Mende. Wiederholt sei hier, daß seit Anfang 1867 sich ein Teil der Mitglieder vom Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein unter dem Einfluß der Gräfin Hatzfeldt losgelöst und unter dem Namen »Lassallescher Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein« organisiert hatte, dessen Präsident Mende war. Das Organ des letzteren Vereins war die »Freie Zeitung«. Die beiden Vereine lagen sich seitdem gegenseitig in den Haaren. Jetzt hatten sich die feindlichen Brüder, soweit ihre Präsidenten und die Gräfin Hatzfeldt in Frage kamen, auf einmal gefunden und traten Hand in Hand vor ihre Anhänger.



Der veröffentlichte Aufruf war ein ungemein phrasenreiches Schriftstück, das mit einer Verherrlichung Lassalles begann. Wieder wurde das Wort Lassalles: »Ihr sollt die Organisation aufrechterhalten, sie wird euch zum Siege führen«, zitiert. Weiter hieß es in hochtrabenden Worten:



»Die erwählten Führer der beiden Vereine sind von dieser Erkenntnis durchdrungen; mit gehobenem Gefühl treten sie heute vor die Mitglieder der beiden Vereine und fordern sie auf, ein stolzes Werk ihnen bauen zu helfen, ... einen wahrhaft Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, mächtig über ganz Deutschland.... Unseren Vorschlag unterbreiten wir den gesamten Mitgliedschaften beider Vereine, das heißt dem souveränen Volk selbst unmittelbar zur sofortigen Entscheidung. (Auch im Original gesperrt.)



Das alte Lassallesche Statut ist es, unter dem wir dereinst einig waren und zu dem wir zurückkehren müssen, um diesmal in einheitlicher Entwicklung, von diesem Boden aus gemeinsam voranzuschreiten....«



Dann wurde gefordert, daß bis zum 22. ds. Mts. – der Ausruf, vom 16. datiert, erschien am 18. Juni im »Sozialdemokrat« und gelangte erst am 19. oder 20. in die Hände der meisten Mitglieder – über ihren Vorschlag abgestimmt werden solle und am 23. das Abstimmungsresultat in Berlin angelangt sein müsse.



Des weiteren wurde erklärt, daß, wenn die Abstimmung zugunsten des Mende-Schweitzerschen Vorschlags ausfalle – in berechnender Bescheidenheit trat Schweitzer hinter den stupiden Mende zurück – , sollten am 24. Juni beide Vereine aufgelöst werden, worauf noch an demselben Tage einige Parteifreunde zusammentreten und die Wiederherstellung des ursprünglichen Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins unter dem alten Lassalleschen Statut beschließen sollten. Die Präsidentenwahl sollte am 30. Juni stattfinden und am 3. Juli das Resultat verkündet werden. Bis zur Wahl des Präsidenten sollte Mende als Präsident, Tölcke als Sekretär, Bracke als Kassierer fungieren. Der Aufruf schloß:



»Macht es möglich, Parteigenossen, daß, wenn der Todestag Lassalles wiederkehrt, wir alle, alle über seinem Grabe uns die Hände reichen und uns sagen können: Wir haben uns des Meisters würdig gezeigt.«



Dieses Vorgehen der beiden Präsidenten war der Staatsstreich. Damit war die demokratische Organisation, welche die Elberfelder Generalversammlung dem Schweitzerschen Verein gegeben hatte, mit einem Schlage vernichtet. Schweitzer hatte die ihm angelegten Fesseln mit einem Ruck zerrissen und war wieder unumschränkter Herr und Diktator. Um den befürchteten Widerstand des in Hamburg domizilierten Vorstandes zu brechen, schickte Schweitzer seinen Vertrauensmann Tölcke nach dort, dem die Ueberredung des Vorstandes gelang. Geib telegraphierte: »Vorstand befürwortet einstimmig nach Erwägung der ihm von Tölcke vorgetragenen Gründe Wiedervereinigung. Mitgliederversammlung stimmte zu.«



Aber nun galt es auch die zwischen Schweitzer, Fritzsche, Hasenclever und uns getroffenen Vereinbarungen aufzuheben. Zu diesem Zwecke erklärte Schweitzer in der Nummer 72 des »Sozialdemokrat« vom 22. Juni: Wir hätten diese Abmachungen gebrochen, indem wir erneut wissentlich und in böswilliger Weise einen Eingriff in die von uns gehaßte Organisation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins versuchten. Damit hätten wir die getroffenen Vereinbarungen gelöst, und nun hielten auch sie sich nicht mehr daran gebunden.



Das begangene »Verbrechen« fiel zunächst auf mein Haupt. Ich hatte im Laufe des Juni in zwölf thüringischen Städten Versammlungen abgehalten, darunter auch in Apolda, Erfurt und Gotha. Hier hatten die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, indem sie mich dazu einluden, Versammlungen einberufen, und deren Bevollmächtigte führten darin den Vorsitz. Alle Versammlungen waren überfüllt und verliefen ausgezeichnet. In jenen Versammlungen war eine Resolution angenommen worden, dahin lautend, daß nur die sozialdemokratischen Prinzipien es seien, welche die Lage der arbeitenden Klassen verbessern könnten, und daß eine Einigung der sozialdemokratischen Arbeiterfraktionen herbeigeführt werden müsse.



Den Schluß meiner Agitationsreise bildete eine Konferenz in Eisenach, an der außer unseren Anhängern auch Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und Mitglieder der Demokratischen Partei teilnahmen. Es sei hier erläuternd bemerkt, daß zu jener Zeit eine Anzahl bürgerlicher Demokraten in Thüringen vorhanden waren, die sämtlich auf dem Standpunkt Jacobys standen, so Professor Abbe und sein Schwiegervater Professor Snell, weiter Dr. Sy in Jena, der später der Partei sich anschloß, Rechtsanwalt Creuznacher in Eisenach usw. Ferner zählte diese Partei Anhänger in Weimar, Gotha und Altenburg. In Eisenach war in einer Resolution erklärt worden:



»Zur gemeinsamen Arbeit für die Lösung der sozialen Frage ist es nicht nur erforderlich, daß die Spaltung unter den verschiedenen Fraktionen der Demokratischen Arbeiterpartei aufhört, sondern auch, daß die demokratischen Arbeitervereine mit der gesamten demokratischen Partei geeint seien, daß namentlich bei gemeinsamen politischen Angelegenheiten, insbesondere bei Wahlen, die demokratische Partei und die sozialdemokratischen Arbeitervereine zusammengehen.«



Das war also das Verbrechen, das Schweitzer zu seinem Vorgehen gegen uns veranlaßte.



Das Agitieren machte mir übrigens trotz aller Erfolge und Beifallsbezeigungen wenig Vergnügen. Am 7. Juni hatte ich meiner Frau von Ronneburg aus geschrieben: »Bei aller Liebe und Freundschaft, die einem die Leute erweisen, ist das Agitieren kein angenehmes Geschäft.« Und wie lange habe ich es nachher noch betrieben. Die Pflicht gebot es, das genügte.



Die Rebellion im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.



Schweitzers und Mendes Staatsstreich machte in weiten Kreisen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins böses Blut. Ein Teil der intelligenteren Mitglieder sah ein, daß es kein Auskommen mehr mit Schweitzer gebe und er das Hindernis einer Einigung sei. Bracke ließ durch Vermittlung von Bremer-Magdeburg Liebknecht und mich wissen: sie wünschten eine Zusammenkunft mit uns. Auf diesen Wunsch gingen wir bereitwillig ein. Am 22. Juni abends trafen wir uns – Bracke, Bremer, Spier-Wolfenbüttel, York-Harburg, Liebknecht und ich – in einem Gasthaus dritter Güte in Magdeburg. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge. Bracke und Bremer waren für sofortiges Losschlagen gegen Schweitzer und Austritt aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Spier und York hatten große Bedenken. Man müsse versuchen, den Verein von »innen heraus« zu reformieren, meinten sie; worauf wir antworteten, daß gerade die Vorgänge von Barmen-Elberfeld zeigten, wie es mit einer Reformierung von innen heraus aussehe. Solange Schweitzer Präsident sei und den »Sozialdemokrat« in der Hand habe, sei es unmöglich. Schließlich wurden wir einig. Es war Mitternacht, als der prächtige Bracke sich über das in der Wirtsstube stehende Billard streckte, um auf demselben den Aufruf niederzuschreiben, für den alsdann Unterschriften für die Einberufung eines Kongresses gesammelt werden sollten. Nachdem wir den Aufruf nochmals gründlich durchberaten, gingen wir gegen 3 Uhr zu Bette. Aber, o weh! Wir waren in ein Wanzennest geraten. Keiner von uns konnte schlafen. Bereits um 4 Uhr erhoben wir uns und fuhren mit den ersten Frühzügen nach unseren Heimatorten zurück. Beschlossen war worden, einen Kongreß nach einer mitteldeutschen Stadt – Gotha oder Eisenach – zu berufen und zur Beschickung desselben auch die deutsch-österreichischen und die deutschen Arbeitervereine der Schweiz einzuladen, ebenso die deutsche Abteilung der Internationale um eine Vertretung zu ersuchen.

 



Wegen seiner historischen Bedeutung bringe ich den Aufruf von Bracke und Genossen wörtlich zum Abdruck:



An die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.



Parteigenossen! Unter einer Menge von heuchlerischen Redensarten hat der Präsident unseres Vereins eine Maßregel getroffen, welche jedes denkende Mitglied mit Entrüstung erfüllen muß. In derjenigen Eile, welche diese Vorgänge geboten – weshalb denn auch niemand sich über Zurücksetzung beklagen wolle – , sind die Unterzeichneten zusammengetreten und haben sich über einen Schritt geeinigt, der von den weittragendsten Folgen für die Partei sein wird. Wir bitten Euch, Parteigenossen, aufmerksam und vorurteilsfrei unsere Meinung zu prüfen.



Während noch vor kurzem die Herren Schweitzer und Mende, die sich in der heftigsten Weise gegenseitig beschuldigten, Söldlinge der Reaktion zu sein, von einer Verschmelzung der verschiedenen Fraktionen der Arbeiterpartei nichts wissen wollten, treten sie plötzlich heute (im Einverständnis mit der Gräfin Hatzfeldt) mit rührenden Worten vor die Mitglieder ihrer Vereine, um dieselben aufzufordern, eine Einheit lediglich dieser beiden Fraktionen der Partei herbeizuführen – wobei denn von der Einigung der gesamten sozialdemokratischen Partei keine Rede ist – , und dies alles unter Bedingungen, welche ein Hohn sind auf die Rechte des sogenannten »souveränen Volkes«. Nicht allein ist die Frist der Abstimmung so kurz, daß es unmöglich erscheinen muß, daß die Mitglieder sich über die Frage wirklich ein Urteil bilden können, so daß alles wie die reinste Ueberrumpelung erscheint; nicht allein ist die Form der Abstimmung, bei der man den Mitgliedern einfach die Pistole auf die Brust setzt mit der Aufforderung, ja oder nein zu sagen, also entweder sich in die schmachvollsten Bedingungen zu fügen oder auf die sehnlichst gewünschte, wenn auch nur stückweise Einigung zu verzichten; nicht allein ist diese Form der Abstimmung eine demokratisch gesinnter Männer unwürdige, sondern es ist auch der Präsident so eigenmächtig bei dem allen vorgegangen, wie es fast ohne Beispiel ist. Nie ist über amerikanische Sklaven in willkürlicherer Weise verfügt worden, als hier über die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Wozu auch vorher, ehe man solche im höchsten Grade wichtige Schritte tut, die Mitglieder oder den Vorstand um ihre Meinung fragen?! Wenn die Tatsachen fertig sind, wird die »freie« Zustimmung der Mitglieder durch einige Redensarten erpreßt. Wenn Herr v. Schweitzer diktiert, haben die Mitglieder einfach zu gehorchen, und dann nennt man dieselben noch das »souveräne Volk«. Ein größerer Hohn war nie einem Menschen geboten. Wenn Herr v. Schweitzer es für gut hält, wird den Mitgliedern zugemutet, mit eigener Hand und mit einem Schlage das mühsam in einer Reihe von Jahren aufgebaute Reformwerk zu vernichten und ohne weiteres ein Statut anzunehmen, das früher zu dem erbittertsten Zwiespalt Veranlassung gegeben hat; ein Statut, nach welchem der Präsident die unumschränkteste Gewalt in seinen Händen und der Vorstand nicht den allergeringsten Einfluß hat, und das zu alledem dahin ausgelegt werden kann, daß auf volle drei Jahre hinaus jede Aenderung an demselben unmöglich ist! Das Vorgehen des Präsidenten in diesem Falle – ein Staatsstreich im kleinen – erhebt den schon seit langer Zeit von vielen Mitgliedern des Vereins gehegten Argwohn zur Gewißheit, daß Herr v. Schweitzer den Verein lediglich zur Befriedigung seines Ehrgeizes benutzt und ihn zum Werkzeug einer arbeiterfeindlichen reaktionären Politik herabwürdigen will; sonst würde derselbe jetzt die Einigung der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands suchen. Wer die Einigung eines Teils der sozialdemokratischen Arbeiter empfiehlt, ohne dabei mit aller Energie auf die Einigung der gesamten Partei zu wirken, welche ihr allein Macht und Einfluß verschaffen kann, wer durch Einigung eines Teiles in diesen Formen die Einigung aller Teile unmöglich macht, und wer dies tut mit rührenden, von Bruderliebe überfließenden Worten, der ist ein elender Heuchler; und wer dann diejenigen, welche sich den gestellten schmachvollen Bedingungen nicht fügen, sondern etwas Größeres, etwas Erhabeneres erstreben, als Gegner der Einigung überhaupt brandmarken will, ist ein Jesuit ohnegleichen.



Die Einigung der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands herbeizuführen, muß das Streben jedes ehrlichen Sozialdemokraten sein. Angesichts der immer mächtiger sich ausbreitenden Wogen der Bewegung, angesichts der Vorzeichen, welche in allen Kulturstaaten der Welt auf eine baldige mächtige Umgestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse hindeuten, ist ein Verschleppen dieser Einigung Verrat.



Diese Einigung kann aber nur das Werk sein des wirklich souveränen Volkes selbst, und Ihr, Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, werdet Euch nicht verschachern lassen nach der Laune einiger Führer wie eine Herde Schafe, sondern Ihr werdet wie Männer Eures eigenen Geschickes Schmiede sein!



Wir haben eingesehen, daß eine Organisation, in welcher der Wille eines Einzelnen sich hinwegsetzen kann über alle Errungenschaften des Vereins, ja den Verein selber in jedem Augenblicke in Frage stellen, denselben jeden Augenblick auflösen und in anderer ihm passenderer Form wieder ins Leben rufen kann, in welcher dieser Einzelne die Pfennige der Arbeiter gebraucht, um elende Lumpen zu bestechen, daß eine solche Organisation keine Faser von demokratischem Geiste in sich hat. In einer solchen Organisation ferner zu wirken, wäre schmähliche Verschwendung unserer besten Kräfte; wir verzichten darauf!



Geleitet von dem Gedanken, daß nur von der Partei selbst über ihre Organisation beschlossen werden kann, und ferner geleitet von dem Gedanken, die Einigung der sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands, auch was die Gewerkschaften betrifft, herbeizuführen, haben wir den Entschluß gefaßt, in kürzester Zeit einen allgemeinen Kongreß der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands zu berufen, auf welchem der Grund einer wirklich demokratischen Organisation der Partei, im Anschluß an die internationale Bewegung, gelegt werden kann. Parteigenossen, wir rechnen auf Eure Unterstützung! Die sozialdemokratischen Arbeiter, welche nie anders als von einem künstlich erregten Haß gegeneinander erfüllt gewesen sind, werden sich zu einigen und sich eine Organisation zu geben wissen, welche den Geist ihrer Prinzipien mit der Zusammenfassung aller ihrer Kräfte vereint.



Parteigenossen, Ihr werdet Euch nicht verblenden lassen von den heuchlerischen Redensarten von Leuten, denen die Einigung der Partei nie am Herzen gelegen hat; Ihr werdet Euch eine Behandlung nicht gefallen lassen, welche man nur ehrlosen oder gedankenlosen Menschen zu bieten wagen kann; Ihr werdet Euch als das zeigen, was Ihr seid – nicht als die willenlosen Sklaven eines launischen Herrschers – , sondern als das wirklich und wahrhaft souveräne Volk, das allein über die Gestaltung seiner Geschicke zu entscheiden hat. Wagt einmal im Interesse unserer Prinzipien, im Interesse der Demokratie und des Sozialismus eine kühne Tat! Laßt uns die Fahne, auf welcher die Einigung der gesamten Partei geschrieben steht, nicht vergebens erhoben haben! Einig nur sind die Arbeiter eine Macht! Zersplittert sind wir ewig das Gespött unserer Gegner, aber einheitlich und wahrhaft demokratisch organisiert sind wir unüberwindlich.



Wenn Ihr uns zustimmt – und wir hoffen sehr, daß Ihr dies tun werdet – , so sendet Eure Zustimmung an einen der Unterzeichneten ein, damit wir gemeinsam die Einberufung des Kongreß betreiben können.



Aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein werden wir – es ist uns schwer geworden, den Entschluß zu fassen – austreten. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein war uns ans Herz gewachsen, aber im Interesse der Sache muß man das schwerste Opfer zu bringen verstehen; und anders ist keine Rettung!



Vorwärts denn, Parteigenossen, auf der neuen Bahn in heiligem Kampfe für unsere große und erhabene Sache! Begeisterung und Ausdauer verbürgen den Sieg.



Den 22. Juni 1869.



I. Bremer in Magdeburg. Hoffmann in Neustadt-Magdeburg. W. Klees in Buckau bei Magdeburg. Th. Borck in Harburg. C. Müller, S. Spier und A. Viewieg in Wolfenbüttel. W. Bracke junior, H. Ehlers, E. Lüdecke und A. Schrader in Braunschweig. Friedrich Ellner in Frankfurt a.M.



In derselben Nummer des »Demokratischen Wochenblatts« vom 26. Juni, in der wir den vorstehenden Ausruf veröffentlichten, erschien auch eine Erklärung von uns an die Parteigenossen, in der die Beschuldigung Schweitzers, wir hätten die mit ihm getroffenen Abmachungen gebrochen, zurückgewiesen wurde. Alsdann unterzogen wir die Einigungskomödie der Mende-Hatzfeldt-Schweitzer einer scharfen Kritik. Wir erklärten: »Wir werden den Kampf aufnehmen und mit aller Kraft und Zuversicht ihn führen, Hand in Hand mit den klarblickenden Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.« Wir schlossen:



»Es wird sich zeigen, ob die Korruption, die Gemeinheit, die Bestechlichkeit auf jener Seite, oder die Ehrlichkeit und die Reinheit der Absichten auf unserer den Sieg davonträgt.



Unsere Losung sei: Nieder mit der Sektiererei! Nieder mit dem Personenkultus! Nieder mit den Jesuiten, die unser Prinzip in Worten anerkennen, in Handlungen es verraten! Hoch lebe die Sozialdemokratie, hoch die Internationale Arbeiterassoziation!«



Daß wir in dieser Erklärung und später wiederholt die Ehrlichkeit unserer Absichten gegen die unehrlichen Schweitzers ins Feld führten, brachte nachher der neu gegründeten Partei von der Gegenseite den Spitznamen »Die Ehrlichen« ein.



Auf meinen Antrag beschloß der Vorortsvorstand einstimmig, sich dem Aufruf von Bracke und Genossen zur Einberufung eines allgemeinen deutschen sozialdemokratischen Arbeiterkongresses anzuschließen und die Vorstände der Arbeitervereine aufzufordern, ein gleiches zu tun. Ein am 28. Juni von mir hinausgesandtes Zirkular verlangte Antwort bis spätestens den 1. Juli mittags, eventuell telegraphisch. Auch schrieb ich an Joh. Phil. Becker in Genf, der Zentralrat der deutschen Sektion der Internationale möge ebenfalls eine zustimmende Erklärung zu dem Einigungswerk einsenden. Ich hoffte, diesesmal gelinge uns ein Hauptschlag. Am 26. Juni hatten auch Geib, Praast und Ockelmann-Hamburg ihren Austritt aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein erklärt und sich Bracke und Genossen angeschlossen.



Der »Sozialdemokrat« beobachtete jetzt die Taktik, ständig zu verkünden, unser Anhang bestehe nicht aus Arbeitern, sondern aus Literaten, Schulmeistern und sonstigen Bourgeois.



Schweitzer suchte weiter mit dem Geschick, das er besaß, die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins an der von ihm systematisch gepflegten schwachen Seite zu fassen. In einem Artikel schrieb er mit Bezug auf die Opposition:



»Ein einziger Punkt entscheidet alles. Seid ihr Demokraten oder nicht? Ihr behauptet: Ja? Wißt ihr oder wißt ihr nicht, daß der Demokrat sich der Mehrheit zu fügen hat – doppelt zu fügen hat, wenn diese Mehrheit an Einstimmigkeit grenzt? Nun denn! Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein-beide bisherigen Vereine – habe nahezu einstimmig mit Ja gestimmt. Unterwerft ihr euch jetzt dem Volkswillen? O nein! In eurer Eitelkeit, ihr 'Demokraten', erklärt ihr das Volk für eine Herde Schafe und eure Meinung für unfehlbar. Geht doch, ihr aufgeblasenen Heuchler, die ihr euch weiser dünkt als das ganze Volk und als Ferdinand Lassalle!

 



Weiser als Ferdinand Lassalle, euer riesenhafter Lehrer und Meister – ja ja. Denn der Stein des Anstoßes liegt euch darin, daß die Lassallesche Organisation in ihrem ganzen Umfang wieder hergestellt wurde ...«



Das Spiel mit der Lassalleschen Organisation ging spaltenlang und fast Nummer um Nummer weiter.



Auf der anderen Seite brachte das »Demokratische Wochenblatt« Nummer für Nummer Erklärungen gegen Schweitzer aus der Mitte des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. So aus Gotha, Hamburg, Hildesheim, Erfurt, Hannover, Solingen, Wiesbaden, Elberfeld, Chemnitz (letztere gegen Mende). Auch H. Roller, der bisherige Sekretär des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, erklärte sich ebenfalls gegen Schweitzer.



Von den Gewerkschaftsführern sagten sich Fritzsche, Präsident des Zigarren- und Tabakarbeitervereins, L. Schumann, Präsident des Allgemeinen Deutschen Schuhmachervereins, Th. Bork, Präsident des Gewerkvereins deutscher Holzarbeiter, und Schob, Präsident des Allgemeinen Deutschen Schneidervereins, von Schweitzer los.



Unter dem 5. Juli teilte Mende im »Sozialdemokrat« mit, daß Schweitzer mit absoluter Mehrheit zum Präsidenten gewählt sei. Eine starke Minorität sei auf ihn (Mende) gefallen, trotzdem er wiederholt erklärt habe, er nehme eine Wahl nicht an. Zahlen wurden nicht mitgeteilt. Die Beteiligung an der Wahl war weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. In der schwülstigen Ansprache, mit der Mende die Wahl Schweitzers zum Präsidenten verkündete, hieß es:



»Wie Marat, der größte Revolutionär seiner Zeit, es so treffend bezeichnet: Als Diktator mit der Kugel am Bein soll der Präsident den Verein leiten, und diese Kugel soll sein: Prinzip und Organisation.«



Bekanntlich erwies sich diese Kugel als Attrappe. Und wiederum zitierte Mende:



»Haltet treu und fest an der Organisation, sie muß uns zum Siege führen«, und schloß: »Es lebe Ferdinand Lassalle! Es lebe der von ihm gestiftete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein! Es lebe die Organisation!«



Schweitzer dankte für seine Wahl in einer Ansprache, die ebenso schwülstig und emphatisch war wie jene Mendes. Der Schluß lautet:



»Wohlan denn! Namens des hingegangenen Meisters, der euch alle, ihr Arbeiter, aus dem Schlummer geweckt – namens des souveränen Volkes unserer Partei, das mich zum Führer erkoren – namens eurer leidenden Brüder auf der ganzen Erde, entfalte ich die Fahne und trage sie voran. Festgeschlossen in Reih' und Glied, ihr Arbeiterbataillone, folget dem erwählten Führer.



Hoch die Manen Lassalles! Hoch die sozialdemokratische Agitation!«



So die beiden Auguren, beide, wie sich nachher sehr bald herausstellte, betrogene Betrüger. Darauf ordnete unter dem 10. Juli Schweitzer die Wahl der vierundzwanzig Vorstandsmitglieder an, für die er die Kandidatenliste vorschlug. Der Vorstand wurde wieder in früherer Weise, über Deutschland verteilt wohnend, gewählt.



Im »Sozialdemokrat« vom 14. Juli machte Schweitzer bekannt, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein werde sich auf dem von uns berufenen sozialdemokratischen Kongreß vertreten lassen und veröffentlichte eine Reihe von Resolutionen, die seine Anhänger auf dem Kongreß zur Annahme vorschlagen sollten. Hinter unserem Kongreß, hieß es in der betreffenden Nummer, stehe die ganze liberale Bourgeoisie in allen ihren Schattierungen. Von straffer, einheitlicher Organisation könne natürlich bei uns unter einem Regiment von Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw. keine Rede sein. Jeder dieser Leute müsse Gelegenheit haben, sich recht wichtig zu machen. Die gesamte Bourgeoispresse stehe uns zu Gebot, log er weiter. Er werde dafür sorgen, daß eine entsprechende Anzahl Delegierter auf den Eisenacher Kongreß komme, aber keine Literaten und Bourgeois, sondern wirkliche Arbeiter.



Von den Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw., aus denen allein unsere Partei bestehen sollte, sprach er von jetzt ab nicht anders als von Achtels- und Viertelsintelligenzen.



Unter dem 17. Juli forderte das »Demokratische Wochenblatt« Schweitzer auf, nicht nur seine Werkzeuge nach Eisenach zu schicken, sondern selbst zu kommen. Ein Wort bei der Berliner Polizei, und der Urlaub werde ihm bewilligt, falls Herr v. Schweitzer sich überhaupt noch anstandshalber sollte einsperren lassen.



Das letztere zog Schweitzer vor. Er veröffentlichte, datiert vom 17. Juli, einen langen Aufruf »An die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins«, worin er noch einmal einen Ueberblick über die vorhandenen Wirren gab und eine Anzahl Versprechungen machte, die er nach seiner Freilassung aus der Haft erfüllen wolle. Er schloß den Aufruf mit den Worten:



»Behaltet mich in gutem Andenken, wie auch ich inmitten meiner Kerkermauern eurer gern gedenken werde. Ich scheide von euch mit dem Rufe: Auf frohes Wiedersehen bei der alten Fahne! Es lebe der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein!«



Der Rest der Haft, den er jetzt »hinter Kerkermauern« verbüßen sollte, betrug noch acht Wochen, die er in Rummelsburg mit Kahnfahrten auf dem See und anderen Annehmlichkeiten verbrachte.



Man vergegenwärtige sich jetzt folgendes. Ende November ging Schweitzer zur Verbüßung einer dreimonatigen Haft ins Gefängnis. Gegen Ende Dezember wird er wegen Ordnung von Familienverhältnissen infolge seines Vaters Tod auf acht Tage beurlaubt; er bleibt aber sieben Wochen frei, betreibt in dieser Zeit unter den Augen der Polizei und der Behörden eine intensive politische Agitation und tritt erst am 18. Februar wieder die Haft an. Am 4. März erweist ihm die Regierung abermals den Dienst, ihn wegen Eröffnung der Reichstagssession aus der Haft zu beurlauben. Die Session wird am 22. Juni geschlossen, aber Schweitzer bleibt wieder frei und betreibt abermals bis zum 19. Juli unter den Augen von Polizei und Behörden eine intensive politische Agitation. Alsdann beliebt es ihm, die Haft wieder anzutreten.



Dergleichen war weder vor noch nach Schweitzer in Preußen je möglich. Als zum Beispiel 1868 Dr. Guido Weiß wegen Preßvergehen zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt wurde, überfielen ihn einige Polizisten morgens 6 Uhr im Bett und transportierten ihn ins Gefängnis. Diese brutale Methode, politisch Verurteilte in frühester Stunde aus dem Bette zu holen und ins Gefängnis zu schleppen, war jahrzehntelang Sitte bei der Berliner Polizei. Es sind noch nicht viele Jahre her, daß diese Sitte verlassen wurde. Schweitzer hatte sich nie über solche oder ähnliche Mißhandlungen zu beklagen. Er ging ins Gefängnis und verließ dasselbe, als wenn er ins Hotel ging und dasselbe verließ. Und jeden gewünschten Besuch konnte er empfangen. Das Mißtrauen gegen ihn war also zehnfach gerechtfertigt.



Kurz vor dem Eisenacher Kongreß glaubte Tölcke mir eine Stinkbombe an den Kopf werfen zu müssen, in der Hoffnung, mir politisch zu schaden. Er erklärte in Nummer 87 des »Sozialdemokrat« vom 28. Juli, ich beziehe vom Exkönig von Hannover eine jährliche Besoldung von 600 Talern. Die Beschuldigung war blöde, aber es gab Leute im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, die daran glaubten. So beschloß ich, Tölcke wegen verleumderischer Beleidigung zu verklagen. Ich bat den Parteigenossen Wilhelm Eichhoff in Berlin, mit Rechtsanwalt Hirsemenzel, damals der erste Rechtsanwalt Berlins, zu reden und ihn zu fragen, ob er den Prozeß annehmen werde. Hirsemenzel lehnte ab, und zwar weil bei dem Prozeß nichts herauskomme. Der Richter werde in der Behauptung, daß ich im Solde eines Fürsten stehen solle, nichts Ehrenkränkendes finden und eine Beweiserhebung darüber ablehnen. Tölcke würde also höchstens wegen Beleidigung verurteilt, womit mir nicht gedient sein könne. Weiter machte Hirsemenzel geltend, ließe ich den Grafen Platen, den Hausminister des Exkönigs von Hannover, als Zeugen darüber vernehmen, ob die Behauptung Tölckes wahr sei, so werde dieser schon der Konsequenzen halber das Zeugnis verweigern und dadurch erhalte die Behauptung Tölckes einen Schein von Berechtigung. Eichhoff richtete darauf zweimal ein Schreiben an Tölcke mit der Aufforderung, im »Sozialdemokrat« die Beweise zu veröffentlichen, da er behauptete, ich stünde »erwiesenermaßen« im Dienste des Exkönigs. Tölcke schwieg; ich richtete darauf ebenfalls eine Aufforderung an ihn, die Beweise zu ver