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Die Symbolik der Melancholie


„Was wir üblicherweise die ‚äußere Realität‘ nennen, scheint Tiefe und Transparenz zu haben. Nichts ist nur so, wie es zu sein scheint.”16

Die Lehre der Elemente und ihrer Korrespondenzen könnte noch detaillierter abgehandelt werden, aber da unser Hauptinteresse auf der Melancholie liegt, sollten wir nun einen näheren Blick auf die Symbolik werfen, die dieses mystische Phänomen betrifft. Die unten stehende Liste ist keineswegs vollständig und es gibt offensichtlich viele weitere Korrespondenzen, die hinzugefügt werden könnten, doch sie deckt die meistgenannten Charakteristika ab und liefert das traditionelle Bild der Melancholie sowie der esoterischen Bedeutung.

Element: Erde

Körpersaft: schwarze Galle (Choler)

Charakteristika: Dunkelheit, Dicke, Langsamkeit, Schwerfälligkeit, Schlaf, Tod, Erneuerung, Stille, Schmerz, Langeweile, Wahnsinn, Traurigkeit, Eigensinn, Starre, Blasphemie, Habsucht, Materialismus, Eifersucht, Neid, Konservismus, Trägheit

Wesensart: langsam, sicher

Farbe: Schwarz und alle durchscheinenden, irdenen, bleiernen oder braunen Farben

alchemistische Phase: Nigredo

Planet: Saturn, Erde

Qualität: kalt und trocken

Element des Menschen: der Körper

Körperteil: Knochen

Lebensstadium: Alter, Tod

Körperlicher Sinn: fühlen

Geschmack: sauer

Dimension: die materielle

Chakra: Wurzel (Muladhara) oder Vishuddha (das Halschakra, das mit saturnischem Einfluss assoziiert wird)

Jahreszeit: Winter oder Herbst

Sitz: Milz

Tageszeit: Nacht

Quadrant: nördlich

Pflanzen: Knöterich, Farn, Geißblatt, Beifuß, Narzisse, Eisenkraut, Eichenmoos, Andorn, Nachtschatten, Schierling, Baldrian

Metall: Blei

Tiere: Würmer, Maulwürfe, Katzen, Krähen, Wölfe, Kröten, Wildschweine, Bären, Kamele, Basilisken, Hasen, Affen, Drachen, Maultiere – einsame, nächtliche, abseits lebende, traurige, in sich gekehrte, stumpfe, begehrliche, ängstliche Tiere; Schlangen und Kriechtiere, Skorpione, Ameisen, Mäuse und viele Arten von Ungeziefer, die sich von Dingen ernähren, die aus Fäulnis in der Erde entstehen oder die in Ruinen leben; der Skarabäus

Steine: Onyx, Obsidian, Hämatit, schwarzer Turmalin, brauner Jaspis, Calzedon und alle dunklen, schweren, irdischen Dinge

Pflanzen und Bäume: Osterglocke, Drachenwurz, Raute, Kreuzkümmel, Christrose, Alraune, Opium, Passionsblume, Anemone, und solche, die nie gesät werden und niemals Früchte tragen, und jene, die dunkle Beeren oder schwarze Früchte hervorbringen; Schwarzfeigenbaum, Pinie, Zypresse, Eibe

Pflanzenteil: Wurzeln

Vögel: Schreieule, Fledermaus, Kiebitz, Krähe, Wachtel

Fische: Der Aal, der abseits von anderen Fischen lebt, das Neunauge, der Hundshai, der seine Jungen frisst

Juristische Stärke: Erfahrung

Moralische Tugend: innere Stärke

Infernaler Fluss: Acheron

Elementaler Dämonenkönig: Amaymon

Kabbalistische Ebene: Binah (Verständnis)

Qliphothische Ebene: Lilith (die Welt der Materie), Thagirion (die schwarze Sonne), Satariel (die Sphäre des Saturn)

Ägyptische Plage: Wasser wird zu Blut

Elementale Geister: Gnome

Magisches Axion: Schweigen

Magisches Werkzeug: Pentakel, Spiegel, Rahmentrommel, Schild

Tierkreiszeichen: die Erdzeichen – Steinbock, Stier und Jungfrau

Verpflichtung: Disziplin

Fest: Samhain (das Fest der Toten)

1 Heraclitus. Quoted in: Tatarkiewicz, Władysław: Historia Filozofii

2 Tillyard, E.M.W: The Elizabethan World Picture

3 Ebenda

4 Agrippa, Heinrich Cornelius. Die magischen Werke

5 Ebenda

6 Tatarkiewicz, Władysław: Historia Filozofii

7 Agrippa, Henry Cornelius. Die magischen Werke

8 Tatarkiewicz, Władysław: Historia Filozofii

9 Ebenda

10 Ebenda

11 Jung, C.G. : Mysterium Coniunctionis

12 Arikha, Noga: Passions and Tempers: A history of the humours

13 Später wurde die schwarze Galle/Melancholie mit Winter und Alter identifiziert, wie ich das hier auch halten werde.

14 Bardon, Franz: Die Praxis der magischen Evokation

15 Opsopaus, John: The Pythagorean Tarot

16 Moore, Thoma: The Planets Within: The Astrological Psychology of Marsilio Ficino

Kapitel II - Die Welt der Melancholie
Die Entstehung der Säfte


„Der Ursprung der Säfte ist mit den frühesten Aufzeichnungen über die Ursprünge des Lebens selbst vermischt.”1

Die ersten Aufzeichnungen über die Lehre der Säfte stammen aus dem alten Babylon und den Überlieferungen des fernen Ostens. Die Tradition des Ayurveda, die in Indien im ersten und zweiten Jahrhundert v.u.Z. entwickelt wurde, basierte auf einer Theorie von den fünf Elementen (bhuta) Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther sowie drei Säfte (dosha): Wind, Galle und Schleim. Auch in der altchinesischen Medizin ist die Überzeugung zu finden, dass die Gesundheit vom richtigen Fluss bestimmter Energien (Pneuma oder Qi) im Körper aufrecht erhalten wurde, deren Ungleichgewicht in Gesundheitsproblemen aller Art resultieren konnte, was höchst aufrüttelnd für die griechische und arabische Humoralpathologie war. Psychische Störungen wurden mit dem negativen Einfluss böser Geister erklärt, aber es gab auch Versuche rationalerer Erklärungen. Zum Beispiel wurden sie einer falschen Ernährung, mangelnder Hygiene oder schlechtem Benehmen zugeschrieben. Frühe Texte der hinduistischen Medizin nennen auch unglückliche Liebe als Ursache von psychischen Erkrankungen und Depressionszuständen. Berichte über Depression gibt es in medizinischen Papyri Altägyptens ebenso wie in der frühen jüdischen Literatur. Eine der ersten literarischen Beschreibungen von Depression ist im biblischen Buch Hiob enthalten.

Die eigentliche Lehre der Säfte wurde jedoch im antiken Griechenland auf der Basis des Glaubens an die Existenz der Elemente als Grundlage der gesamten Schöpfung entwickelt. Die Lehre der Elemente und ihrer Korrespondenzen mit den wichtigsten Prozessen im Makro- und Mikrokosmos wurde bereits im vorherigen Kapitel dieses Buches erklärt. Wir haben auch die grundlegenden Charakteristiken der vier Säfte / Lebensessenzen im menschlichen Körper betrachtet. Diese Lehren wurden von vielen Philosophen und Ärzten entwickelt, interpretiert und geändert, was eine große Menge von Texten und Abhandlungen lieferte und in einer langen Tradition resultierte, die bis zum Aufkommen der modernen Psychologie weitergeführt wurde. Der Glaube an die Variationen der schwarzen Galle diente dazu, eine Ordnung und Zusammenstellung von Wesensarten, Verhaltensweisen und inneren Erfahrungen von Individuen, Neigungen, Charakterzügen, psychischen und emotionalen Störungen oder diversen Reaktionen auf Stress zu erstellen. Mehr als zweitausend Jahre lang wurde die Humoralpathologie verwendet, um die Funktionen des menschlichen Organismus zu erklären, und der Überzeugung, dass der Körper und der Geist innig miteinander verbunden waren, unterlag die ganze Entwicklung der westlichen Medizin mit all ihren Praktiken wie dem Ansetzen von Blutegeln, Aderlässen, Kompressen und Umschlägen als Mittel gegen die Unausgewogenheit der Lebensenergien. Der größte Teil der medizinischen Philosophie des Westens gründete sich auf die alte Idee von Flüssigkeiten, die im Körper zirkulieren, Energieflüsse, die Verbindung von Körper und Geist, und den Ausgleich von heißen und kalten oder trockenen und feuchten Qualitäten.

Die Humoralpathologie wurde im frühen sechsten Jahrhundert v.u.Z. von einer Anzahl von Denkern im griechischen Ionien ins Leben gerufen.2 Aus ihrer Analyse von Universum, Materie, Seele, Göttlichkeit und der menschlichen Natur selbst entwickelten sie die Lehre der Elemente und der elementaren Einflüsse auf die ganze Natur. Dies waren die Theorien, die von den frühen Philosophen formuliert wurden: Thales von Milet, Anaximander, Heraklit von Ephesos und Parmenides von Elea. Einer der ersten Denker, die ein Hauptinteresse auf den menschlichen Körper und die Seele richteten, war Alkmaeon, ein Anhänger von Pythagoras, der um 500 v.u.Z. tätig war. Er war einer der Ersten, die behaupteten, dass das Universum aus Gegensätzen zusammengesetzt sei und deshalb gegensätzliche Qualitäten enthielte. Dies war ein Gedanke, der später eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Säfte spielen sollte. Alkmaeon analysierte auch die Verbindung zwischen Körper und Geist und nahm an, dass das Gehirn der Sitz der psychischen Energien war, während um dieselbe Zeit Empedokles von Agrigento (495-435 v.u.Z.) die Lehre der vier Elemente formulierte, die das hippokratische Konzept der vier Körperflüssigkeiten inspirierte. Hippokrates (460-377 v.u.Z.) ist als einer der ersten Ärzte und als Vater der Medizin bekannt.

 

In der gesamten antiken Welt wurden die meisten Krankheiten und körperlichen Gebrechen von den Priestern der verschiedenen Religionen als von Göttern oder Geistern verursacht angesehen. Die hippokratische Medizin konzentrierte sich auf die organischen Prozesse und das Verständnis, dass Krankheiten eher durch die Natur als durch Einwirkung äußerer Mächte auf den Körper verursacht wurden. Seine Säftelehre der vier Flüssigkeiten bildete die Grundlage der ersten medizinischen Theorie über psychische Störungen. Jede Krankheit wurde nun als ein Zustand der Unausgeglichenheit oder Dyskrasia zwischen den Säften angesehen, wobei der schwarzen Galle besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Melancholie wurde als eine somatische Krankheit betrachtet, die von der schwarzen Galle verursacht wurde, obwohl sie durch psychische Störungen charakterisiert wurde: Schwermut, Apathie, Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit. Die Wissenschaft der Medizin, die allmählich auf der hippokratischen Lehre aufgebaut wurde, umfasste körperliche Krankheiten ebenso wie Leidenschaften, Launen und das ganze spirituelle Innenleben des menschlichen Wesens.

Platos Idealismus und die Idee des inspirierten Wahnsinns hatte in den folgenden Jahrhunderten einen signifikanten Einfluss auf die idealistischen und astrologischen Bezüge der Melancholie, aber noch einflussreicher waren die Lehren von Aristoteles (384-322 v.u.Z.). Aristoteles‘ Werk war nach dem Niedergang von Rom im Westen verloren gegangen, überlebte jedoch dank des islamischen und jüdischen Interesses an seiner Philosophie und wurde in Europa im frühen Mittelalter wieder eingeführt.3 Aristoteles und seine Schüler untersuchten die Verbindung zwischen Melancholie und Inspiration mit allen möglichen positiven und negativen Einflüssen, die aus den variablen Qualitäten der schwarzen Stimmung resultierten. Er führte auch die Idee ein, dass die melancholische Furcht und Traurigkeit „grundlos”, ohne Ursache ist, ein Thema, das häufig beim Studium der Melancholie von der Renaissance bis ins neunzehnte Jahrhundert auftaucht.

Zu jener Zeit wurde das Thema von Melancholie, Wahnsinn und Depression oft in den Werken der Literatur präsentiert, insbesondere im antiken griechischen Drama. Aeschylos, Euripides oder Sophokles präsentierten ihre Protagonisten als besessen von Verzweiflung oder Verrücktheit. Das Wort „Melancholia” war bereits weit verbreitet, besonders in Bezug auf jegliche Geistesstörung oder exzentrisches Verhalten und u.a. Aristophanes bezeichnete einen Verrückten als Melancholon. Andere Lehren über den Zusammenhang von Verrücktheit und melancholischen Zuständen wurden von Asklepiades im zweiten und ersten Jahrhundert v.u.Z. formuliert. Zu jener Zeit war auch der Begriff Hypochondria in Philosophie und Medizin in Gebrauch. Er wurde ursprünglich von Hippokrates in der Annahme geprägt, dass viele Beschwerden von der Bewegung der Milz verursacht wurden, einem Organ, das sich nahe dem Hypochondrium befindet (der oberen Region der Bauchhöhle direkt unter den Rippen). Der Begriff wurde oft in Bezug auf die Melancholie gebraucht. Aëtios von Amida, ein alexandrinischer Arzt des sechsten Jahrhunderts v.u.Z., nennt als Symptome von Hypochondria Furcht vor dem Tod und grundlose Ängste in dem Sinne, den die moderne Psychologie als Phobien bezeichnet.

Die Theorie der vier Säfte, wie sie im Hippokratischen Corpus erschien, wurde später außerhalb Griechenlands verbreitet, in Alexandria und Rom, und der berühmteste Vertreter der neuen Medizin war der Arzt und Gelehrte Galen von Pergamon (130-200). Noch mehr als fünfzehn Jahrhunderte nach seinem Tod blieben die wichtigsten Konzeptionen der Anatomie, Physiologie, Gesundheit und Charakterzüge des menschlichen Wesens „galenisch”. Galen entwickelte die Säftetheorie aus den Werken früherer Autoritäten weiter und stellte die Lehre der vier Temperamente vor. Seiner Ansicht nach war Hypochondria eine Art von chronischer Melancholie und wurde durch eine Vielfalt von Symptomen charakterisiert, insbesondere Depressionszustände. Ein großer Teil seines Werkes4 ist der Analyse der schwarzen Galle gewidmet, die er „atrabilen Saft” oder atrabiles Blut” nannte. Er empfahl eine Klassifizierung der Melancholie in drei Arten, abhängig vom Sitz des schwarzen Saftes im Körper – im Gehirn, im Blutstrom oder im Magen. Als eine der primären Qualitäten der schwarzen Galle betrachtete er ihre saure Natur (Aciditas). Vielleicht inspirierte dies andere Lehren, die sich mit einer sehr speziellen Form der Melancholie befassten, der Acedia. Er betonte auch die subjektiven Zustände von Schwermut und Furcht, die die Melancholie begleiteten und schlug verschiedene Behandlungsmethoden vor.

Der Melancholie als einer geistigen Krankheit widmete ein Zeitgenosse Galens große Aufmerksamkeit: Arataeus von Kappadokien (1. Jahrhundert). In seinem Werk Von den Ursachen und Symptomen der chronischen Krankheiten beschreibt er Personen, die an Melancholie und Manie leiden, als stumpfsinnig oder ernst, niedergeschlagen oder unvernünftig starr ohne eine erkennbare Ursache. Sie sind von unvernünftiger Furcht ergriffen und neigen dazu, ihren Sinn bereitwillig zu ändern und werden selbstsüchtig, boshaft und intolerant. Sie beschweren sich über das Leben und wünschen zu sterben, und bei manchen Leuten führt dieser Zustand zu Gefühllosigkeit und Torheit: Sie werden allen Dingen gegenüber ignorant, vergessen sich selbst und leben das Leben niederer Tiere.5

Eine weitere Beschreibung der Melancholie als einer geistige und emotionalen Störung stammt aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung und erscheint in den Schriften von Rufus von Ephesos. Er betonte die künstlerischen Talente, die aus dem melancholischen Temperament und depressiven Zuständen resultieren, stellte ihre Verbindung zu Frühling und Herbst fest und beschrieb die Symptome der melancholischen „Krankheit”. Seine Lehren wurden zu einer großen Inspirationsquelle für die spätere arabische Medizin und die mittelalterlichen Vorstellungen des Westens. Die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung brachten einen zunehmenden Einfluss der mystischen und magischen Praktiken Ägyptens und des Ostens, die allmählich mit den Elementen der klassischen Vorstellungen und den neuen religiösen Lehren des Christentums verschmolzen. Diese Mischung von Ideen resultierte in einer völlig neuen Ansicht über die Melancholie, die während des größten Teils des Mittelalters vorherrschte.

Mittelalterliche religiöse Lehren und der Aufschwung der Medizin


„Galle ist schwarz, bitter und setzt alles Böse frei.”6

Im vierten Jahrhundert wurde das Christentum als offizielle Religion im römischen Imperium etabliert. Seitdem spielte es eine vorherrschende Rolle bei der Gestaltung der westlichen Zivilisation und Kultur. Die klassische Medizin wurde durch die dämonologische Lehre von psychischen Störungen ersetzt und die medizinischen Vorstellungen kollidierten oft mit den neuen religiösen Lehren. Das Studium von Aristoteles und Plato wurde verboten und die Götter und Geister der antiken Mythen wurden nun als Teufel und Dämonen in der infernalen Hierarchie klassifiziert. Menschen, die an geistigen oder emotionalen Störungen litten, wurden nicht mehr von Ärzten behandelt, sondern in die Hände von Kirchenvertretern gegeben. Die Philosophie setzte sich für Kontemplation, Mystizismus und Askese als Lebensgrundlagen ein. Krankheiten wurden in Klöstern behandelt und die frühen Asyle wurden in den folgenden Jahrhunderten zu Hospitälern.

Medizinischen Schriften aus dieser Periode mangelt es oft an eigenen Ideen und sie basieren auf Wiederholungen und Interpretationen der antiken Inhalte. Viele frühmittelalterliche Autoren betrachteten die antiken Philosophen als Autoritäten und stellten ihre Lehren nicht in Frage. Unter den Schriften, die besondere Aufmerksamkeit verdienen, sind die Werke des hl. Augustinus zu nennen, die stark vom Neoplatonismus Plotins beeinflusst sind. Die Bekenntnisse, die ein persönlicher Bericht seines Lebens sind, präsentieren eine tiefe introspektive Einsicht, die oft mit den Werken moderner Autoren wie Kierkegaard oder Freud verglichen wird.

Der galenische Hippokratismus und die Säfteorientierte Medizin befanden sich zwischen dem vierten und dem siebenten Jahrhundert in einem langsamen Niedergang und wurden in den darauffolgenden paar Jahrhunderten in der europäischen Kultur auch nicht wiederhergestellt. Die Theorien über Melancholie und psychische Krankheiten wurden erst nach der arabischen Eroberung des mittleren Ostens und bestimmter Teile Europas wiederbelebt. Das erste Asyl für geistig Kranke wurde in Byzanz im vierten Jahrhundert gegründet. In Jerusalem wurde ein ähnliches Hospiz am Anfang des fünften Jahrhunderts eröffnet, und in Bagdad zu Beginn des achten Jahrhunderts. Die Jahre 900-1150 waren die Zeit des Aufschwungs und zunehmenden Einflusses der arabischen Medizin und des Interesses an psychischen Störungen. Arabische Autoren führten die antiken medizinischen Vorstellungen in Philosophie und Ethik fort. Ihre Werke über den Körper waren eigentlich Studien der Seele, Reflektionen über die Natur ihrer Substanz und ihr Verhältnis zum Göttlichen.7 Unter den Gelehrten, die viele ihrer Schriften der Melancholie widmeten, waren u.a. Hunayn ibn Ishaq, bekannt als Johannitius, Ahmed ibn Sahl al-Balkhi, Najab ud-din Muhammad, Muhammad ibn Zakarya Rzi, Abu al-Qasim (Abulcasis), Ibn al-Haytham, and Ibn Sina, allgemein bekannt unter seinem latinisierten Namen Avicenna. Diese arabischen Autoritäten waren in einem großen Ausmaß für die Wiederherstellung der antiken galenischen und hippokratischen Ideen im westlichen Europa verantwortlich.

Avicenna (980-1037) ist als ein Pionier der Psychophysiologie und der psychosomatischen Medizin bekannt. Er war auch der Erste, der zahlreiche neuropsychiatrische Zustände beschrieb, einschließlich Halluzinationen, Schlaflosigkeit, Manie, Albträume, Demenz, Epilepsie, Paralyse, Schlaganfall, Höhenangst und Zittern. In seinem Kanon der Medizin setzt er die Melancholie mit dem Einfluss von abnormer schwarzer Galle gleich, insbesondere als ein Ergebnis von Überhitzung und Ablagerung. Seine Liste von Symptomen ist fast identisch mit denen der antiken griechischen Ärzte: Er schreibt von körperlichem Unwohlsein (Blähungen, Kribbeln, Schlaflosigkeit), unvernünftigen Äng-sten und Befürchtungen, Störungen der Vorstellung, falschen Glaubensvorstellungen, gestörter Wahrnehmung, Schwermut, Entfremdung, Ängstlichkeit und Trägheit. Seiner Ansicht nach stammen alle psychologischen Effekte wie Wahnvorstellungen, Verwirrung, Launen und Ängste von überhitzter schwarzer Galle in Verbindung mit anderen Säften.8

Vom elften Jahrhundert an wurde die Humoralpathologie auch in den Schriften anderer Philosophen und Ärzte wiederbelebt. Einer der größten jüdischen Denker seiner Zeit, Moses Maimonides (1135-1204) widmete einige seiner Werke der Beschreibung der melancholischen „Krankheit” und ihrer Beziehung zur Manie, und er empfahl mögliche Behandlungsmethoden, um die körperliche und geistige Gesundheit zu erhalten. Zur Behandung sah er therapeutische Methoden vor wie Musik und diverse Formen von Unterhaltung. Um dieselbe Zeit schrieb ein anderer Autor, Bartholomeus Anglicus (1203-1272) eine populäre Enzyklopädie des mittelalterlichen Wissens: De proprietatibus rerum (Von den Eigenschaften der Dinge), worin er die Melancholie als eine Krankheit beschreibt, die Hypochondrie, Depression, Furcht und Wahnvorstellungen beinhaltet. Wie viele andere christliche Autoren widmet er einen großen Teil seines Werkes religiösen Vorstellungen. Andere religiöse Autoren, deren Werke das Konzept der Melancholie als einer „Krankheit der Seele” vorstellen, waren Hildegard von Bingen (1098-1179), die die Melancholie mit der Erbsünde gleichsetzte, und Thomas von Aquin (1225-1274), der die dualistische Ansicht von Körper und Seele wiederbelebte.

 

Krankheiten wurden wieder oft durch den Einfluss äußerer Kräfte wie böser Geister erklärt, man hielt sie aber auch für eine Bestrafung durch die Heiligen. Der Glaube an Heilige war ein Überbleibsel der alten heidnischen Religionen, und so wie die alten Götter den Menschen halfen oder sie für Ungehorsam bestraften, erwartete man auch von den Heiligen, dass sie ihre Anhänger heilten oder mit Krankheiten schlugen. Das nahende Ende des ersten Jahrtausends wurde von einer signifikanten Zunahme von Pessimismus und der Überzeugung von einem unvermeidlichen Weltende (Chiliasmus) begleitet. Weltliche Angelegenheiten wurden vernachlässigt und die Menschen befassten sich mit Buße und Erlösung. Ähnliche Einstellungen und die Welle von Pessimismus waren in Zeiten von Hungersnöten, Epidemien oder Kriegen zu beobachten. Die Melancholie war in der allgemeinen Weltanschauung vorherrschend, obwohl sie in den Augen der Kirche eine Sünde war.

Es gab auch völlig entgegengesetzte Reaktionen: Man suchte Erleichterung und Vergessen in orgiastischem Trinken und Berauschung, in Liederlichkeit und Promiskuität, und oft in Verbrechen oder anderem „verbotenem Zeitvertreib.” Bestimmte Bewegungen oder Phänomene wie das Flagellantentum oder die Tanzmanie sollten der Erleichterung der Anspannung, des Gewissens und der Angst vor der Verdammung sowohl bei den Ausübenden als auch bei den Zuschauern dienen. Das Flagellantentum begann als eine Art von Pilgertum, bei dem die Pilger ihr eigenes Fleisch peitschten. Einer der ersten dieser Vorfälle fand in Perugia im Jahre 1259 statt, einem Jahr, das einer schweren Missernte und Hungersnot in ganz Europa folgte. Mehrere Chronisten berichten, wie die Manie sich unter fast allen Leuten in der Stadt ausbreitete, die sich zu großen Prozessionen mit Kreuzen und Bannern versammelten und singend und sich selbst peitschend durch die Straßen marschierten. Es erreichte seinen Höhepunkt während des schwarzen Todes, der um 1347 begann.

Obwohl das Flagellantentum als religiöse Bewegung begann, wurden seine Ausübendenden der Häresie bezichtigt, des Zweifels an der Notwendigkeit der Sakramente, der Ablehnung der üblichen kirchlichen Rechtsprechung oder des Anspruchs der Wundertätigkeit, und wurde von der Kirche unterdrückt. Die moderne Psychiatrie bezeichnet dieses Phänomen als Massenhysterie oder Massendepression. Massenhysterie beginnt typischerweise in einer Zeit des Stresses oder Traumas und wird durch solche Symptome wie Übelkeit, Muskelschwäche, Anfälle oder Kopfschmerzen charakterisiert – Symptome, die von der mittelalterlichen Medizin als Melancholie klassifiziert wurden.

In den 1230ern richtete Papst Gregor IX die Inquisition ein, die einen fatalen Einfluss auf das Schicksal von geistig Kranken haben sollte. Es gab auch verschiedene Versuche der zeitgenössischen Dämonologie, die Symptome dämonischer Besessenheit zuzuschreiben. Im elften Jahrhundert sammelte Michael Psellos Glaubensvorstellungen und Praktiken der byzantinischen Dämonologie in seinen Essays Die Operationen der Dämonen und Die Ansichten der Griechen über Dämonen. Das berüchtigtste Kompendium über Dämonologie und Hexerei, Malleus Maleficarum, wurde im fünfzehnten Jahrhundert (1486) von Heinrich Kramer und Jacob Sprenger geschrieben, zwei Inquisitoren der katholischen Kirche in Deutschland. Wahnsinn wurde als Krankheit angesehen und oft wurden Leute, die unter Depressionen litten, von der Anklage der Hexerei freigesprochen. William von Auvergne, ein scholastischer Philosoph des dreizehnten Jahrhunderts, erklärte, dass Leute, die verrückt und melancholisch sind, für ihre Sünden nicht verantwortlich gemacht werden könnten. Der Begriff „Melancholie” taucht in den Aufzeichnungen der Hexenprozesse auch nicht auf. Viele andere Menschen jedoch, die an Depressionszuständen und Schuldgefühlen litten, wurden Opfer der neuen Gesetze und Ermittlungen der Inquisition. Auch wenn die Melancholie eine etwas privilegiertere Stellung im Vergleich zu anderen psychischen Krankheiten hatte, stand die Kirche diesem Phänomen ablehnend gegenüber und betrachtete es als eine Bedrohung für die religiösen Vorstellungen und Bestimmungen. Es gab auch christliche Mystiker und Autoren, die glaubten, dass die Melancholie ein Werk des Teufels selbst sei und Melancholiker unter der Dunkelheit der Seele litten, weil sie von Dämonen besessen waren, eine Überzeugung, die eine signifikante Rolle in der Magie der Renaissance und des Barock spielen sollte.