Die letzten Kinder Bessarabiens. Neuanfang nach Krieg Flucht und Vertreibung in der DDR

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An den Werktagen war ich mit Simon meist allein, weil wir denselben Weg zur Arbeit hatten. Hugo war immer noch bei seinem Bauern beschäftigt. Für Simon und mich näherte sich das Ende unserer Lehrzeit, was uns mit einem gewissen Stolz erfüllte. Es war doch eine schwere Zeit, bei gutem und schlechtem Wetter jeden Tag pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Darauf legte Meister Gottwald großen Wert. Zu ihm hatte ich von Anfang Vertrauen und eine fast väterliche Beziehung. Vielleicht lag es daran, dass bei mir die Vaterstelle verwaist war, woran der Zweite Weltkrieg die Schuld trug. In der Berufsschule wurde derzeit die Vorbereitung zur schriftlichen Gesellenprüfung getroffen, ich wusste, dass sie mir schwer fallen wird. Ich konnte die Schule nicht regelmäßig besuchen. Was die praktische Prüfung betraf, hatte ich ein gutes Gefühl, denn Schmieden hatte mir mein Meister beigebracht.

Unaufhaltsam kamen die beiden Berufsschultage im September 1950 heran, an denen in den verschiedenen Fächern Prüfungsarbeiten geschrieben wurden. Nach der Überprüfung der Arbeiten durch die Lehrkräfte erreichte ich 60 von 100 Punkten. Damit waren meine Erwartungen übertroffen. Auf die praktische Prüfung freute ich mich deshalb, weil ich mich hundertprozentig sicher fühlte, diese zu bestehen. Am 15. September 1950 standen 12 Prüflinge mit mir am Schmiedefeuer und Ambos, um ihre Gesellenstücke zu schmieden. Es sind die verschiedensten Stücke geschmiedet worden. Die Prüflinge konnten sich verschiedene Stücke zum Schmieden selbst wählen.

Meine Prüfstücke waren: eine Linz Tülle, eine Geschirrkappe und ein Hufeisen, die ich der Prüfungskommission zur Begutachtung vorlegte. Beim Schmieden meiner Stücke fühlte ich mich vom Schaumeister auffällig beobachtet. das Schmieden der Linz Tülle war mit einem hohen Schwierigkeitsgrad verbunden (Feuerschweißen).


Meine Gesellenstücke: Hufeisen Geschirrkappe Linz Tülle


Beim Schmieden der Linz Tülle

Es lag Spannung in der Luft. Jeder gab sein Bestes, um möglichst gut abzuschneiden. Im Verlauf des Vormittags übergaben alle ihre Arbeiten der Prüfungskommission. Jeder hatte die Möglichkeit, 100 Punkte zu erreichen. Dann ergriff der Obermeister das Wort und rief namentlich nach dem Alphabet die Prüflinge auf und nannte jedem die erreichte Punktzahl. Als Letzten rief er den Namen Weiß auf mit der Punktzahl 100. Ich war erschrocken, als schallender Applaus den Raum erfüllte. Die Krönung war, dass mir eine Prämie, verbunden mit einer Urkunde für besonders gute Leistungen, übergeben wurde. Ich war sichtlich gerührt, weil zum ersten Mal in meinem Leben meine Arbeit Anerkennung fand. Als Sachwert wurde mir unter anderem ein Fahrradschlauch überreicht, was 1950 nicht mit Gold aufzuwiegen war. Mein Freund Simon bestand seine Gesellenprüfung auch. Sein Gesellenstück war ein Paar Halbschuhe für sich. Die bestandene Prüfung feierten Simon, Hugo und ich ausgiebig, wozu auch unsere Mädels eingeladen waren. Hochprozentiges war zur Genüge vorhanden.


Es erfüllte uns mit Stolz, mit 19 Jahren Fachmänner unseres Berufes zu sein und wir freuten uns auf unseren ersten Gesellenlohn, der für einen Schmiedegesellen immerhin 290 DDR-Mark betrug.

Als Meister Gottwald mir zur bestandenen Prüfung gratulierte und die Auszeichnung lobend erwähnte, bot er mir an, zu gegebener Zeit sein Nachfolger zu werden, was ich freudig zur Kenntnis nahm.

Dann wünschte sich der Meister, dass meine Schmiedestücke einen gebührenden Platz in seiner Werkstatt bekommen.

Vorerst blieb alles beim Alten, bis ich auf eine kleine Wanderschaft ging, um Land und Leute kennen zu lernen. Insbesondere war es meinem Beruf dienlich, in einer alten Dorfschmiede war ich ernsthaft gefordert, wo es noch urig zuging und dem Schmied wirklich nur das Schmiedefeuer, Schmiedehammer, Ambos und diverses Hilfswerkzeug zur Verfügung stand. Der Meister zeigte mir, wie mit primitivem Werkzeug alte und schöne Schmiedearbeit hergestellt wird, was mir später sehr nützlich wurde. Ich bemerkte auch, dass er mir seine Tochter schmackhaft machte, um so zu einem Nachfolger zu kommen. Dazu war aber das Feuer nicht heiß genug und die Proportionen zu gewaltig. Mein Desinteresse ihr gegenüber trübte das Für- und Miteinander, so dass ich mich um eine andere Arbeit bemühte.

Zu dieser Zeit hatte ich bereits meine zukünftige Frau Irene kennen gelernt. Im Mai 1951 kam es zu unserer Verlobung, weil wir uns sicher waren, gemeinsam durch das Leben zu gehen. Bei meiner Verlobung lernte mein Freund Simon seine Freundin Lina kennen, die Freundin von Irene. Es bahnte sich eine Freundschaft an, die langen Bestand hatte.


So festigte sich die Freundschaft und es folgte eine abwechslungsreiche Zeit, die viel Freude Vergnügen mit sich brachte. Auch meine Schwester lernte ihren Hermann kennen und verliebte sich in ihn. Zu einem festen Verhältnis hat es aber nicht gereicht. Hermann war Schmiedelehrling in der Dorfschmiede zu Mörz und auch ein Freund von mir.

Bislang wohnte ich immer noch in Mörz. Das änderte sich am 18. Februar 1951, als mir eine Arbeit in Treuenbrietzen angeboten wurde. Meine Wohnung war die Gesellenstube, die über der Schmiede lag. Die Wochenenden verbrachten wir gemeinsam in Mörz. Mutter und Irma waren noch immer des Bauern Mägde und die Arbeit war nicht leichter geworden, worüber beide sich bei mir des Öfteren beklagten. Aber Freude kam auf, als Mutter mitteilte, dass unser Bruder Helmuth als 14-Jähriger in der Osterzeit konfirmiert wird und sich auf den Schulabschluss vorbereitet. Erfreut waren wir, als sie uns erklärte, dass Helmuth auch eine Lehrstelle hat, die sie im Dorf beim Schuhmachermeister Paul für ihn gefunden hatte. Als Helmuth das hörte, machte er einen Luftsprung, fiel seiner Mutter um den Hals und rief dabei: „Hurra, ich werde Schuster.“ Irma fügte mit trauriger Miene hinzu: „Ich wäre so gerne Schneiderin geworden.“ Daraufhin nahm Mutter sie mit den Worten in die Arme, du wirst einen Mann finden, der dich auch ohne Beruf lieben wird. Nun war es Zeit, meine Sachen zu packen und Simon sowie Hugo Auf Wiedersehen zu sagen, von nun an werden wir uns nur noch an den Wochenenden sehen. Mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem Pappkarton auf den Gepäckhalter fuhr ich mit meinem Fahrrad die 32 km nach Treuenbrietzen. Bei Schmiedemeister Baitz angekommen, führte er mich in meine Gesellenstube und wies mich anschließend in seine Werkstatt ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war sie bis 1951 geschlossen. Seiner Frau gehörte ein mittelgroßes Hotel, in dem sich auch die Wohnung des Meisters befand. Die Mahlzeiten wurden gemeinsam im Gastzimmer eingenommen. Den Rest des Sonntags nutzte ich, um meine Stube einzurichten und um die nähere Umgebung der Stadt zu erkunden. In den Jahren der Stilllegung wurde die Schmiede als Abstellraum genutzt, das abzuändern wurde mir zur Aufgabe gemacht. Für die Wiedereröffnung der Schmiede hat Meister Baitz großzügig investiert, so war die Werkstatt auf dem neuesten Stand. Als er dann noch einen Lehrling einstellte, konnte die Arbeit aufgenommen werden und aus der Schmiede ertönte wieder ein Pochen und Hämmern. Da sich der Meister mehr um das Hotel kümmern musste, war ich mit dem Lehrling meist allein in der Schmiede. So reifte in mir eine gewisse Selbständigkeit heran, was sich für mich später auszahlte. Zum anderen hatte ich die Absicht, die Stelle längere Zeit zu halten, weil der Meister es mir überließ, die Arbeit selbst einzuteilen.

Schulentlassung von Helmuth (Konfirmation)

Seit Wochen wurde im Frühling 1951 über die anstehende Konfirmation der Schulabgänger geredet - für die betroffenen Dorfbewohner ein wichtiges Ereignis. Auch in unserer Familie war eine gewisse Hektik zu spüren, ist es doch die dritte Konfirmation, die meine Mutter in der noch immer schweren Zeit ausrichten muss. Weil wir aber eine gewisse Eigenständigkeit hinsichtlich der Selbstversorgung unserer Familie erreicht hatten, sahen alle frohen Mutes dem Fest entgegen. Wie schon bei Irma und mir hat Mutter auch für Helmuth die Garderobe selbst genäht, wobei meine Schwester ihr half. Immer nach der täglichen Arbeit auf dem Bauernhof arbeiteten Mutter und Irma abends am Gelingen des Festes. So hat Mutter als ehemalige Weinbäuerin wie in Bessarabien Wein angesetzt, um zu dem guten Braten, den es zur Feier des Tages gab, mit einem Gläschen Wein anstoßen zu können.

Helmuth sah dem ganzen Treiben ruhig und gelassen zu, was seine Freunde ihrerseits auch taten. Sie alle waren halt im Gegensatz zu mir unbelastet. Mein Bruder hatte sich auch schneller integriert und hatte problemlos Freunde im Dorf gefunden. Traditionsgemäß zur Osterzeit kam das Wochenende, an dem Helmuth seinen auf den Leib geschneiderten Anzug anziehen durfte. Sichtlich zufrieden betrachtete er sich im Spiegel. Er konnte mit den anderen mithalten. Vor allem war Mutter stolz und bekam beim Betrachten feuchte Augen.


Ein Freund rief Helmuth und unterbrach damit die momentane Stille in unserer Stube, das Glockengeläut holte die Gemeinde zur Andacht zusammen. Mit dem Gesangsbuch in den Händen lief der Konfirmand eilig die Treppe hinunter zu den anderen, gemeinsam begaben sie sich zu ihrem Stelldichein.

 

Die feierlich gekleideten Bewohner des Dorfes folgten dem Klang der Glocken und wir als Familie schlossen uns an. Pastor Maier zelebrierte wie üblich in der gut besuchten Kirche die Messe, darin ging er massiv auf die gegenwärtige Zeit ein, die uns Menschen keine rosige Zukunft bringen wird. Seine Predigt war äußerst gewagt in dem zu dieser Zeit herrschenden System, aber Geistliche hatten derweil noch Schonzeit.

Trotz landesweiter Unzufriedenheit ließen sich die Familien von ihrem Vorhaben nicht abbringen, die Konfirmation ihrer Kinder zu feiern.

Die Feier begann bei uns mit einem deftigen Schweinebraten, den Mutter vorbereitet hatte, dazu gab es den selbst gekelterten Wein, der hochprozentig ausfiel. Zur Konfirmation durfte Helmuth den Wein auch probieren, was er ausgiebig tat und zum ersten Mal ins Schwanken geriet. Wir alle fanden das lustig, weil es in die gesellige Runde passte und der Konfirmand nur noch lallend Fragen beantworten konnte.

Etwas später holten seine Freunde ihn ab, um ihre Runde durch das Dorf zu machen. Zur gegebenen Zeit gab es Kaffee und Kuchen, sogar eine Torte, die Mutter mit Müh und Not hat backen können. Eine Torte auf den Tisch zu bringen war zu dieser Zeit etwas Besonderes und eine Köstlichkeit zugleich. Langsam neigte sich der Tag zum Ende, Mutter und Irma bemühten sich, das Abendbrot anzurichten. In dem Moment kam Helmuth mit dem Pfarrer die Treppe hoch. Mutter begrüßte ihn mit einem „Grüß Gott“ und lud ihn zum Abendbrot ein. Er willigte ein und Helmuth bot ihm einen Platz am Tisch an. Es wurde während des Essens über vieles geredet, auch über unsere Herkunft. Mutter berichtete von den schrecklichen Erlebnissen während des Krieges, von Flucht und Vertreibung. Sie verschwieg auch nicht, dass der Vater ihrer Kinder im Krieg geblieben ist und durch den Suchdienst immer noch nicht gefunden wurde. Während des Gespräches wurde so manches Gläschen Wein getrunken. Der Pfarrer probierte auch von meinem Spezial-Likör, was seine Wirkung nicht verfehlte. Es kam schließlich dazu, dass Simon und ich den Pfarrer zu später Stunde nach Hause begleiteten, weil er es nicht allein schaffte. So endete der Abend und auch Helmuths Konfirmationsfest, wobei alle zufrieden waren, da wir so etwas Lustiges schon lange nicht mehr erlebt hatten.

Bemerken möchte ich auch noch, dass nun schon die dritte Konfirmation ohne unseren Vater stattfand, was uns alle sehr traurig stimmte. Unser jüngster Bruder Herbert wird wohl auch ohne ihn den Schulabschluss und die Konfirmation begehen müssen. Bei all den fröhlichen Tagen und Stunden, aber auch Zeiten der Besinnung, vergingen die Wochen und Monate bis zu den Sommerferien. Dies ist die Zeit für alle Schulabgänger, in der sie die Abschlussprüfungen ablegen müssen und letztendlich das ersehnte Zeugnis in den Händen hatten.

Für Helmuth und seine Freunde begann nun ein neuer Lebensabschnitt, nämlich der Einstieg ins Berufsleben. Am 1. September 1951 trar der angehende Schuhmacher seine Lehre beim Schuhmachermeister Paul in seinem Heimatdorf Mörz an. Der Meister, ein großgewachsener und freundlicher Mann, band Helmuth eine Schürze um, zeigte dann auf einen Hocker: „Das wird für die nächsten drei Jahre dein Arbeitsplatz sein.“ Schüchtern, wie Helmuth damals noch war, machte er ein Probesitzen, wobei er den Meister und seine Mutter zufrieden lächelnd ansah. Daraufhin verließ Mutter die Werkstatt mit den Worten: „Sei immer fleißig und höre auf deinen Meister!“

Nun standen wir zu viert in Arbeit und verdienten unser Geld. Wenn auch der Lehrlingslohn von Helmuth im ersten Jahr 20 DDR-Mark, im zweiten 30 DDR-Mark und im dritten 40 DDR-Mark betrug, war es für Helmuth dennoch ein Erfolg. Für das tägliche Mittagessen bei seinem Meister wurden ihm 10 Mark monatlich abgezogen.

Allgemeines und Familiäres

Nach dem Trubel der letzten Tage im Dorf wandten sich die Bauern wieder der Kartoffelernte zu, Mutter und Irma hatten Schwerstarbeit zu leisten. Täglich verbrachten die beiden bis zu 12 Stunden auf dem Kartoffelfeld und hatten danach noch das Vieh zu versorgen. Es kam nicht selten vor, dass Helmuth und Herbert schon schliefen, wenn Mutter und Irma nach Hause kamen. Das Gute daran war, dass sich meine Brüder nun schon mit 14 und 12 Jahren selbst versorgen konnten. Da ich meinen Beruf in Treuenbrietzen ausübe und nur noch an den Wochenenden zu Hause bin, haben die beiden schnell gelernt, für sich selbst zu sorgen. Seit längerem machte ich mir Sorgen um meine Mutter und Schwester, die ihren Unterhalt aufs Schwerste verdienen müssen. Sie brauchen unbedingt eine leichtere und lohnendere Arbeit. Vorerst gab es keine Möglichkeit, dies zu realisieren. Arbeit in der Stadt zu verschaffen war kein Problem, die Schwierigkeit war eine Wohnung zu bekommen. Bis sich eine Möglichkeit fand, dieses familiäre Problem zu lösen, verging noch einige Zeit.

So wende ich mich zunächst meiner Weiterentwicklung zu. Seit langem bin ich aus meinem Konfirmandenanzug herausgewachsen. Dies veranlasste mich, bei einem Schneider einen Zweireiher anfertigen zu lassen. Es war notwendig geworden, mich von Kopf bis Fuß einzukleiden. Die Schuhe dazu fertigte Simon an. Meine Mutter und Geschwister waren sichtlich überrascht, als ich mich an einem Wochenende mit meinen neuen Errungenschaften vorstellte. Ein bisschen Stolz war auch dabei, weil ich alles von meinem Ersparten bezahlt hatte. Mutters Bemerkung dazu war: „Du siehst nicht nur so aus, sondern bist ein richtiger Mann geworden und kannst ab jetzt für dich selbst sorgen.“


Die momentane Sorglosigkeit in unserer Familie führte dazu, dass kaum bemerkt wurde, wie schnell die Zeit verging und mein 20. Geburtstag am 11. Dezember 1951 vor der Tür stand.

An einem Wochenende feierte ich mit all meinen Freunden den für mich historischen Tag, natürlich wurde dabei manches Gläschen von meinem Selbstgebrannten geleert. Die restlichen Tage des Dezembers 1951 und auch Weihnachten brachten wir hinter uns und unsere Familie sah dem neuen Jahr mit Zuversicht entgegen.

Im Januar 1952 kam es zu einem Gespräch zwischen Mutter, Irma und mir hinsichtlich der Lohnforderungen an den Bauern, die längst fällig waren. Beide Frauen trauten sich nicht, die Forderungen an den Bauern zu überbringen. Somit wurde es eine Aufgabe für mich, die alten Verträge aufzukündigen. Zu dem erhofften Verständnis des Jungbauern kam es nicht, sondern es entstand ein echter Streit, worauf meiner Schwester gekündigt wurde. Dieses Ereignis ermunterte mich, mit Nachdruck für Irma eine Arbeit zu finden. Im Hotel bei Frau Baitz in Treuenbrietzen ergab sich die Gelegenheit. Die Freude war ganz auf ihrer Seite, nun konnte sie als Dienstmädchen leichter ihr Geld verdienen und abends die Freizeit im Städtchen verbringen. Nun hatten wir beide in der gleichen Familie unsere Arbeit gefunden, Irma im Hotel und ich in der Schmiede, unsere Freizeit verbrachten wir oft miteinander. Es blieb nicht aus, dass wir mit der Zeit neue Bekannte und Freunde fanden, mit denen wir nach getaner Arbeit die Abende verbringen konnten.


Irene und Artur haben sich gefunden

Das Wochenende aber gehörte mir und meiner Irene, die ihr Zuhause in der Kreisstadt Belzig hatte. Auch Simon mit seiner Lina verbrachten die Wochenenden oft mit uns. Unsere Freundschaft lockerte sich erst, als Simon eine Arbeit als Schumacher in Werder annahm und dort auch wohnte. Auch Hugo wechselte seinen Arbeitsplatz in das Nachbardorf, wodurch unsere Gemeinsamkeit seltener wurde. Aber seine Arbeit auf dem Bauernhof brachte ihm mehr Verdienst und Komfort. Die zunehmende Einflussnahme der SED-Politik in die Landwirtschaft und die sich anbahnende Kollektivierung setzte die Bauern unter hohen Druck. Es setzte eine regelrechte Kampagne gegen die Landwirte ein, was dazu führte, dass nach 1949 tausende Bauern über Nacht ihre Höfe verließen und den Weg in den Westen suchten. Letztendlich erfasste die diktatorische SED-Politik die Menschen in Stadt und Land, brachte neue Sieger und Verlierer hervor, neues Recht und Unrecht, wodurch sich die Unzufriedenheit der Bürger traumatisch erhöhte. Ein Grund war die Mangelwirtschaft und die immer noch vorherrschende Rationalisierung der Lebensmittel und Wirtschaftswaren. Die kommunistische Politik war für mich immer schon ein Ärgernis, was die Behörden aber nicht daran hinderte, junge Männer wie mich zur KVP (Kasernierte Volkspolizei) zu werben. Diese bewaffnete Organisation war der Vorgänger der NVA (Nationale Volksarmee). Damit begann die Wiederbewaffnung der DDR, viele junge Männer kehrten dem Regime den Rücken, auch mein Freund Simon verließ die DDR. Damit waren unserer Freundschaft Grenzen gesetzt, den Briefwechsel hielten wir aufrecht.

Die Zeit hat von nun an uns drei Freunden jedem seinen Weg vorgegeben. Uns war klar, das Leben wird noch weitere Schicksalsschläge verabreichen, mit denen wir fertig werden müssen, es bleibt uns nur, ihnen so gut wie möglich auszuweichen. Im Bestreben, in unserer Arbeit und somit im Leben weiterzukommen, war kein Platz für Trübsal, das hat uns die Vergangenheit und Herkunft gelehrt. Um unseren täglichen Ablauf wieder in Schwung zu bringen, half uns das derzeitige Frühlingswetter, was bei Jung und Alt die Lebensgeister weckte. Ganz besonders hatte es meine Schwester Irma erwischt, die schon seit einiger Zeit spät nach Hause kam, was mich beunruhigte. Im Gespräch mit ihr stellte sich heraus, dass sie einen jungen Mann kennen gelernt hatte, der sie begehrte und mit dem es eine ernste Sache sei. Das nahm ich als freudiges Ereignis zur Kenntnis, bis Irma Tage später von ihrem Freund, den ich kennen lernen wollte, abgeholt werden sollte. Zur angegebenen Zeit wartete ich vor dem Hotel, bis mich ein uniformierter Offiziersschüler nach Irma fragte. Erschrocken schickte ich ihn weg. Wenig später erschien meine herausgeputzte Schwester, die mich verdutzt fragte, warum ich hier sei. Ich sagte zu ihr, dass ich ihren Freund kennen lernen wollte. Da die verabredete Zeit längst vergangen war, fragte sie mich: „Hat denn keiner nach mir gefragt?“- „Doch, ein Offiziersschüler!“ Sie meinte: „Aber das war er doch!“ Dann rollten bei ihr die Tränen und ich rief: „Ein kommunistischer Offizier in unserer Familie? Das kann nicht sein!“ Aber Irma war nicht davon abzubringen, sie wollte unbedingt mit diesem Mann zusammen sein.


Irma und Karlheinz - das zukünftige Paar

So nahm das Ganze seinen Lauf, was mir Sorge bereitete. Auch Mutter, die eine Schwiegertochter hatte, wollte auch den künftigen Schwiegersohn kennen lernen. Dies geschah bei einem Familientreffen, bei dem er in seiner Uniform erschienen ist. Die Zurückhaltung ihm gegenüber war groß, Mutter und meine Brüder waren zugänglicher, ich habe ihn als einen Eindringling angesehen. Am

1. Mai 1952 kam es zu einem Treffen zwischen Irma und ihrem Karlheinz, bei dem wir bei einigen Gläsern Bier uns näher kamen. So erfuhr ich, dass er einen Lehrgang der Berufsfeuerwehr mit Offizierslaufbahn in Treuenbrietzen absolviert, um dann die heimische Berufsfeuerwehr als Wehrleiter übernehmen zu können. In einem Gespräch informierte Irma mich darüber, dass sie eine Woche Urlaub habe und diesen bei ihren zukünftigen Schwiegereltern in Reppichau bei Köthen verbringen werde. An einem Wochenende im Mai, das ich mit Irene bei meiner Mutter verbrachte, sprachen wir über Irmas Vorhaben und dass meine Verlobung anstehe. Das nahmen Mutter und meine beiden Brüder mit Freude zur Kenntnis, alles wies auf eine sich anbahnende Veränderung in der Familie hin. Nach dem Weggang meiner Freunde war es etwas einsamer um mich geworden, es entstand eine noch engere Beziehung zu Irene.

Die jahrelange Enge in der Kutscherstube hatte mich sehr belastet, daher war die geräumige Gesellenstube über der Schmiede ein Glücksfall. Immer mehr sehnte ich mich nach einer eigenen Familie und häuslichen Geborgenheit, wozu ich konkrete Vorstellungen habe. Die sind deckungsgleich mit denen meines Vaters, die er in Bessarabien nicht hat vollenden können, weil die Übersiedlung nach Deutschland dies verhinderte. Er wurde nicht nur von den damaligen Machthabern betrogen, sondern musste auch 1943 an einem Krieg teilnehmen, den er nicht wollte. Nur widerwillig und gezwungen beugte er sich der braunen Diktatur, was ihm an der Ostfront im Winter 1945 das Leben kostete.

 

Die Prophezeiung einer alten Zigeunerin in seinem Heimatort Tarutino hatte sich letztendlich bewahrheitet – er sollte das vierzigste Lebensjahr nicht erreichen.

Das letzte Gespräch in seinem Urlaub 1944 werde ich in meinem Leben nicht vergessen, in dem bereitete er mich schonungslos auf die uns bevorstehende Flucht mit Pferd und Planwagen nach Deutschland vor. Dieses Gespräch rettete seiner Familie das Leben. Die schrecklichen Erlebnisse während der Flucht von Polen (Warthegau) nach Deutschland sind in meinem Buch „Von Bessarabien nach Belzig“ ausführlich geschildert.


So endete das Leben meines Vaters im Winter 1945.

Wenn mich auch immer wieder die Geschehnisse während der Flucht einholen und mich des Nachts mit traumatischen Fantasien erschrecken, muss ich nach vorne schauen und meinem jungen Leben einen Sinn geben.

Das Tagesgeschehen bringt uns alle immer schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. So erreichte mich eine Nachricht, dass Mutter einen Ernteunfall erlitten hatte. Sie war mit einer Kopfverletzung, die glimpflich verlief, in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Sie hatte einen Schneidezahn verloren, aber alle waren froh, dass sie sich schnell erholte und nach 14 Tagen wieder entlassen werden konnte. Seitens des Arztes wurden ihr einige Wochen Schonung verordnet. Erschrocken waren wir, als die Krankenhausrechnung ins Haus flatterte. Sie betrug 360 Mark, die Mutter nun begleichen sollte. Schnell stellte sich heraus, dass der Bauer unsere Mutter seit Jahren beschäftigt hatte, aber nie Versicherung zahlte. Nun übergab ich ihm die Rechnung und er weigerte sich, diese zu begleichen. Erst als ich mit einer Anzeige drohte, lenkte dieser ein. Dies hatte jedoch zur Folge, dass Mutter schikaniert wurde und es sogar zu Handgreiflichkeiten kam. Das Ganze endete mit einer Kündigung unsererseits, sodass Mutter bei einem anderen Bauern die Arbeit aufnahm und dort auch eine größere Wohnung bezog.

Mittlerweile war es Herbst geworden und in unserer Familie kehrte wieder eine gewisse Ruhe ein, welche wir uns auch redlich verdient hatten. Nach den Turbulenzen der vergangen Wochen hatte ich Anlass zur Freude. Mich erreichte ein Brief von meinem Freund Simon aus Bielefeld. In ihm schilderte er die Gründe seiner Flucht. Es war in Hauptsache die politisch motivierte Einflussnahme auf seine Persönlichkeit. Auch vermisste er hier ein pulsierendes Leben. Seine neue Heimat wurde Bielefeld, weil er dort das fand, was ihm bislang fehlte: persönliche Freiheit, gut bezahlte Arbeit und seine große Liebe. Sein Brief endete mit den Worten: „Komm rüber, du wirst es nicht bereuen.“ Dazu war es aber für mich zu spät. Ich hatte schon alles, was er in Bielefeld gefunden hat – außer gut bezahlter Arbeit und persönlicher Freiheit. Was die gutbezahlte Arbeit und den Verdienst anbelangte, da bin ich mir sicher, dass es bei mir eines Tages auch so sein wird. Bislang war mein Beruf für mich die Erfüllung, was nicht jeder von sich sagen kann. Im Übrigen freute ich mich immer wieder, dass in unserer Familie die Not ein Ende gefunden hatte.

Anlässlich des Umzuges von Mutter in ihre neue Wohnung fand im August 1952 ein Familientreffen statt, an dem auch meine Verlobte teilnahm. Bei einem Spaziergang durch das Dorf unterhielten sich die drei Frauen angeregt. Mir fiel auf, dass Irma weinte, was mir zu denken gab. Im Nachhinein erkundigte ich mich nach dem Grund des Verhaltens meiner Schwester, worauf man mich schweigend ansah. Erregt wiederholte ich meine Frage, indem ich Irma ansah. Ihre Antwort hat mich schockiert: Sie beschuldigte den Schmiedemeister Baitz, dass er sie des Öfteren sexuell belästigt hatte und ihr dafür Geld anbot. Das löste eine unbändige Wut in mir aus, welche eine Klärung des Sachverhalts verlangte.

Tage später stellte ich im Beisein von Irma den Herrn Baitz zur Rede, dieser wies die Anschuldigungen zurück, woraufhin wir ihm mit einer Anzeige drohten. Das hat ihn umgestimmt und er bot uns Schweigegeld an, welches wir strikt ablehnten. Irma machte ihm klar, dass man sich nicht immer mit Geld reinwaschen kann und kündigte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung auf. Vorsorglich hatte sie sich um andere Arbeit bemüht. Irma zog noch am selben Tag in ein anderes Hotel um, dort fand sie bessere Bedingungen. Durch dieses makabre Ereignis wurde auch mein Arbeitsverhältnis getrübt, was sich zunehmend auf das Für- und Miteinander auswirkte. In den vergangenen Wochen hatte ich Überlegungen angestellt, ob es für mich besser wäre, in einem VEB (Volkseigener Betrieb) eine Arbeit aufzunehmen, weil dort die Löhne höher sind als in einem Privatbetrieb.

Der Grund, mein Einkommen zu steigern, war, dass sich der Drang, eine eigene Familie zu gründen, enorm verstärkt hatte. Auch meine Verlobte wünschte sich dies. Unsere Verlobung überbrachten wir unseren Eltern, die wenig überrascht waren. Für die Hochzeit wurde der 23. Dezember 1952 festgelegt. Nun setzte in den Wochen bis zur Hochzeit ein emsiges Sparen und Organisieren ein, weil der Lebensstandard derzeit es uns nicht leicht machte, für etwa 30 Gäste Lebensmittel zu beschaffen. Die DDR-Wirtschaft und Politik hatten es immer noch nicht geschafft, das Volk in der russischen Zone ausreichend zu versorgen. Das hatte verschiedene Ursachen. Oft waren zur Durchsetzung vernünftiger Maßnahmen die Hände durch Auflagen der russischen Besatzer gebunden. Immer noch verließen Produkte das Land in Richtung Osten. Diese zur Normalität gewordene Taktik schuf große Unruhe unter der arbeitenden Bevölkerung, was nichts Gutes ahnen ließ. Ich nahm mir vor: Was auch immer uns die Zukunft bringen wird, das Wohl unserer Familie wird immer im Vordergrund stehen.

Fast unbemerkt näherte sich das Ende des Jahres 1952, wo ich mit den mir verbliebenen Freunden am 11. Dezember meinen 21. Geburtstag feierte. Wehmütig stellte ich fest, dass auch Hermann, der Exfreund von Irma, den Weg in den Westen gegangen ist, der, wie Simon mir schrieb, ihn in Bielefeld besuchte. Für mich war inzwischen die Kreisstadt Belzig zur festen Heimat geworden, mit meiner Heirat wollte ich es besiegeln. Ob meine Freunde aus dem Westen Deutschlands meiner Einladung folgen konnten, war unsicher. Man hörte hier und da, dass sie hierzulande wegen Republikflucht belangt werden. Bekanntlich behandeln Diktatoren ihre Bürger wie Leibeigene, was mittlerweile für uns zur Normalität geworden war.

Meine Verlobte mit ihren Eltern und meine Mutter waren zu einem Team geworden, um für die Hochzeit alles Notwendige zu beschaffen. Schließlich sollte ja nicht nur geheiratet, sondern auch gleich Weihnachten gefeiert werden. Mein zukünftiger Schwiegervater sorgte dafür, dass für die etwa 30 Gäste ausreichend Kaninchenbraten auf den Hochzeitstisch kam. Er zog die Kaninchen im eigenen Stall heran. Die Feierlichkeiten in einer Gaststätte abzuhalten war für mich finanziell nicht möglich. So wurde die Feier in den eigenen vier Wänden vorbereitet.

Vorerst aber gingen alle ihrer Arbeit nach und bereiteten sich auf das Weihnachtsfest vor. Auch Irma fand an ihrer neuen Anstellung Freude und konnte wieder lachen, wahrscheinlich hat ihr auch Karlheinz dabei geholfen.

Helmuth, der angehende Schumacher, machte gute Fortschritte, wie sein Meister unserer Mutter berichtete. Herbert aber musste noch die Schulbank drücken. Für meine Brüder wird auch der Tag kommen, an dem beide die Familie verlassen werden und den Weg der Eigenständigkeit gehen. Irma hatte indessen verlauten lassen, dass ihre Beziehung zu Karlheinz sich gefestigt hätte und dass es bald eine weitere Hochzeit geben wird. Diese Veränderungen in der Familie waren vorauszusehen. Den Anfang werde ich machen. Oft dachte ich an Vater, der alles darangesetzt hatte, dass er der Familie gut geht. Er ist mein großes Vorbild.

Nun ging es darum, einen Brautstrauß zu ergattern, was im Winter fast unmöglich war. Es gab zwar Topfblumen, aber keine Schnittblumen. Meine Mühe hat sich nach ein paar Stunden gelohnt, weil es mir gelang, drei weiße Chrysanthemen zu bekommen. Diese wurden zu einem ansehnlichen Strauß gebunden. Dann war er da, der 23. Dezember 1952, an dem wir uns das Jawort gaben und der Standesbeamte unser Stammbuch anlegte. Damit begann ein neuer Lebensabschnitt für uns beide. Die kirchliche Trauung fand am 26. Dezember 1952 in meiner zukünftigen Heimatstadt Belzig statt, 28 Gäste und die Trauzeugen nahmen teil. Wie zu erwarten war, konnten meine beiden Freunde Simon und Hermann aus Bielefeld aus Sicherheitsgründen nicht an unserer Hochzeit teilnehmen.

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