Za darmo

Wie Satan starb

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»Inwiefern?«

»Nun, jedenfalls befindet sie sich zurzeit auf Zimmer Nr. 43.«

»Bei Rittmeister von Droste!« rief der Oberst laut und lief mit rotem Kopf den Korridor hinunter.

Der Direktor klärte inzwischen Frau Julie auf, und während sie am Arme Johanns und der Zofe die Treppe hinaufstieg, hörte man, wie der Oberst mit beiden Fäusten an die Tür von Zimmer 43 klopfte und laut rief:

»Herr von Droste! Herr von Droste! schämen Sie sich! Bedenken Sie, was das für einen Skandal gibt! Wo wir doch alles vermeiden sollen, was irgendwie Aufsehen macht.« Gleich darauf öffneten sich die meisten Flurtüren und neugierig äugten die Hotelgäste beiderlei Geschlechts nach dem Zimmer, vor dem mit krebsrotem Gesicht Hände ringend der Oberst stand.

»Da haben wir’s!« sagte er entsetzt, als er die vielen Menschen sah. Und in das Zimmer hinein rief er: »Wenn Sie wüßten, was Sie angerichtet haben!«

Frau Julie war inzwischen an der Tür ihres Sohnes angelangt. Von den Vorgängen im unteren Stock hatte sie in ihrer Bewegtheit kaum etwas verstanden.

»Soll ich nicht . . .?« fragte Johann.

»Nein! nein!« erwiderte Frau Julie. »Ich bin schon . . .« Und sie klopfte zaghaft an und schloß die Augen, als sie die Stimme ihres Sohnes hörte, der laut »Herein!« rief. Und da sie nicht öffnete, so sagte er es noch einmal.

Frau Julie griff mit zitternder Hand nach der Klinke. Sie versuchte, sie herunterzudrücken. Es gelang ihr nicht. Sie wandte sich an Johann. Der nahm mit Takt ihre Hand herunter und öffnete die Tür.

»Jean!« rief Peter erfreut und sah Frau Julie nicht, die dahinter stand. »Guter, alter Freund!« sagte er und ging auf ihn zu, nahm ihn bei beiden Händen und zog ihn ins Zimmer. Frau Julie war zur Seite getreten. Die Tür blieb offen. »Also Sie leben noch! Sehn Sie mal an! Jünger sind Sie nicht geworden. Aber der brave, alte Jean sind Sie doch geblieben. Innerlich unverändert! Was, Jean? Wir sind einander nicht fremd geworden?«

»Will’s nicht hoffen, Herr Doktor,« erwiderte Johann.

Und draußen stand Frau Julie und lauschte beglückt der Stimme ihres Sohnes, die sie fünf Jahre lang nicht mehr gehört hatte.

»Ja, was bringen Sie? Kommen Sie allein? Haben Sie mir was auszurichten?« fragte er lebhaft.

»Ich bringe Ihnen etwas sehr Wertvolles,« erwiderte Johann und Peter verstand sofort und rief:

»Die Mutter! Wo ist sie?«

Johann wandte sich zur Tür.

»Mutter!« rief Peter laut und innig auf den Flur hinaus. Die stand zitternd an der Wand und sagte ganz leise:

»Mein Junge!«

»Mutter!« rief Peter und stürzte hinaus. »Da! da bist du! – Ja, ja, du bist es! Mütterchen, mein Mütterchen, so komm doch! – So! Ganz fest in meine Arme. Ich bin ja da! – Du! – Bei dir! Mein bestes, gutes Mütterchen! – Wie das wohl tut! So! so! fest schmiege dich an mich. – Und so bleiben wir nun für immer. Ganz dicht beieinander, Mutter! hörst du? Unser ganzes Leben lang.«

»Ja, mein Junge!« erwiderte Frau Julie leise und streichelte ihn mit zitternden Händen. »Das wiegt die ganze Trennung und alle Schmerzen auf. Halte sie nur fest, deine alte Mutter.«

Umschlungen, wie sie gestanden hatten, gingen sie jetzt in Peters Zimmer. Er half Frau Julie in einen tiefen Sessel und setzte sich ihr zu Füßen. Johann ging diskret aus dem Zimmer und schloß die Tür. Peter legte den Kopf in Frau Julies Schoß und sie streichelte ihn mit ihrer weißen, schmalen Hand, lächelte beglückt vor sich hin und flüsterte lautlos:

»Ich habe ihn! Ich habe ihn, Ferdinand! Unsern guten Jungen! Du kannst ganz ruhig sein. Er ist bei mir!«

Und Peter, in dem alles aufgewühlt war, schmiegte sich fest an Frau Julie. Er fühlte sich geborgen. Hatte er doch einen Ort, zu dem er von nun an jederzeit sein Leid tragen konnte.

Draußen stand Johann und wischte sich mit seinem Leinentuch dicke Tränen aus den roten Augen.

VI

Was Frau Julie an ihrem Sohne erst rührte, dann nachdenklich stimmte und schließlich beängstigte, war die Weichheit und Schwere, mit der er an alle Dinge herantrat. Die Tiefgründigkeit, mit der er auch Belanglosigkeiten bis auf die letzten Zusammenhänge nachspürte, trug deutlich schon die Spuren von Schwermut an sich. Ganz im Gegensatz zu früher, wo sie ihn oft übereilter Entschlüsse und seiner gar zu schnellen Urteile wegen, die er über Menschen und Taten fällte, tadeln mußte, sagte sie ihm jetzt immer wieder:

»Nimm doch nur nicht alles so entsetzlich schwer.«

Peter seufzte dann nur und sagte:

»Ach, Mutter, wenn du wüßtest!«

Und wenn sie ihn dann fragte:

»Was denn, mein Sohn?« dann gab er zur Antwort:

»Wie die Menschen leiden müssen.«

»Du hast soviel durchgemacht, mein Junge, und mußt nun zunächst mal an dich denken.«

»Was gibt es da zu denken, Mutter? Ich bin doch da, mir fehlt nichts; es quält mich niemand und ich habe dich. Es ist fast zuviel für einen Menschen.«

»Gewiß, Peter, du hast es gut. Aber du mußt auch weiter denken. Jeder Mann in Deutschland zählt jetzt doppelt. In ein paar Wochen wirst du vermutlich wieder in der Heimat sein und eine deinem Berufe entsprechende Verwendung finden.«

»Soweit bin ich noch nicht, Mutter. Weißt du, am Tage, da geht es schon; obschon es mir auch da noch oft so ist, als wenn mein Körper und mein Geist nicht eins wären.«

»Wie meinst du das?« fragte Frau Julie.

»Ich weiß wohl und fühle es ja auch, daß ich hier bin; körperlich bestimmt. Das steht ja fest. Aber das bin nicht ich. Denn das, was den Menschen ausmacht, das Gefühl, das Geistige, das ist da unten bei ihnen.«

Frau Julie suchte es ihm auszureden. Aber er blieb dabei.

»Ich fühle es ja doch, wenn ich aus Not hier mit Freunden, Kameraden oder Fremden bin. Dann komme ich mir vor wie eine leblose Masse. Worüber die andern sich unterhalten, was sie wichtig nehmen und womit sie sich freuen, das empfinde ich überhaupt nicht. Selbst wenn ich Musik höre, auf die ich doch früher so stark reagierte – gewiß! es entgeht mir keine Note und ich merke auch jeden falschen Ton – aber es bleibt außen, es trifft mich nicht. Ach, Mutter, ich weiß ja nicht, ob du mich verstehst; mir ist, als wenn Seele und Körper sich in mir getrennt hätten. Und die Seele, die da unten blieb, sehnt sich nun den Körper herbei; genau wie der Körper unter der Trennung leidet und sich nach der Seele sehnt.«

Geisteskrank! hätten vermutlich die Psychiater erklärt. Frau Julie aber verstand ihren Sohn und wußte, daß er das nicht war. Sie war feinfühlig genug, um den Gedankengängen ihres Sohnes zu folgen. Zur Ergründung seines Zustandes bedurfte es keiner tiefgründigen Psychoanalyse. Die Synthese war ja doch sonnenklar. Ganz kraß gedacht, befand sich im Unterbewußtsein Peters aufgepeitschte Seele noch immer an dem Ort ihrer Leiden; nicht infolge krankhafter Vorstellung; vielmehr, wenn Unterbewußtsein Leben bedeutet, in Wirklichkeit. Genau wie die Hunderttausende, die man als unheilbar hinter verschlossenen Gittern hielt, weil sie die Schrecken der Schlachten nach Jahren erneut und verstärkt erlebten, nicht geisteskrank in dem bisher üblichen Sinne waren. Es galt nur, die in der Vorstellung der Schlachtengreuel befangen gebliebene Seele durch andere, möglichst noch stärkere Vorgänge zu befreien. Gewiß waren die schwer zu finden. Und es bedurfte für jeden einer besonderen Analyse, um zu ergründen, wodurch man die gefangene Seele aus ihrer Gebundenheit löste. Wege und Mittel waren bei jedem verschieden. Und man mußte, war man nicht Psychoanalytiker von Rang und Beruf – und auch dann noch konnte man irren! – die Menschen schon vor dem Eintritt innerer Konflikte gekannt haben.

Frau Julie war eine kluge Frau und wußte, daß mit gutem und vielem Zureden hier nicht zu helfen war. Auch die Ansicht des Arztes, der sich von sexuellem Erleben Heilung versprach, teilte sie nicht. Im Gegenteil befürchtete sie nach augenblicklichem Vergessen um so stärkere Reaktionen. Es galt, etwas zu finden, was auf Peter tiefere Wirkung übte als die Franzosengreuel gegenüber den Gefangenen.

»Gab es das?« fragte sie sich immer wieder. »Kann es das überhaupt geben?« Immer wieder legte sie sich diese Frage vor, suchte und erwog und sagte: »Nein! Der ganze Jammer, der über die Welt kam, Tote, Krüppel, Witwen und Waisen, alles, was die Welt an Schmerzen trug, es war nichts gegen den tiefen Abscheu, der sich angesichts der französischen Gefangenengreuel unauslöschlich in die Seele jedes gesitteten Menschen grub.«

So beschränkte sie sich denn darauf, ihn abzulenken und zu zerstreuen, führte ihm interessante Menschen zu, trieb ihn zum Musizieren an, ließ wertvolle Bücher kommen, suchte irgendeine Sammelleidenschaft in ihm zu entfachen, regte ihn zu Bergtouren an, ja, sie verleitete ihn sogar zum Spiel – aber sein Interesse für alle diese Dinge blieb rein äußerlich. Wenn er auch nicht viel von dem sprach, was ihn bewegte – Frau Julie, die jede Veränderung an ihm wahrnahm, sah und fühlte es doch.

Der Arzt, der sich noch immer in freundschaftlicher Weise um Peter mühte und Frau Julie hilfsbereit zur Seite stand, war der Meinung, daß irgendein Ereignis, auf das er innerlich stark reagieren würde und das in seiner Bedeutung nicht einmal überragend zu sein brauchte, ihn würde heilen können. Und da man trotz der lückenlosen Analyse und der genauen Kenntnis seines inneren Menschen durchaus im Unklaren darüber sei, welcher Art dies Erlebnis sein müsse, das ihn innerlich ablenkte und befreite, so müsse man es dem Zufall überlassen.

Es war klar, daß eine sorgende und besorgte Mutter die Heilung ihres Sohnes nicht dem Zufall überließ, sondern handelte. Und nachdem sie erfolglos Hunderte von Möglichkeiten erschöpft hatte, entschloß sie sich, Margot Rosen kommen zu lassen, die längst wartete, daß man sie rief.

Frau Julie wußte, daß es ein Wagnis war. Es konnte Peters Zustand ebensogut verschlimmern; ja, es sprach sogar manches dafür. Aber der Arzt, der das sexuelle Moment für den Heilungsprozeß höher wertete als Frau Julie, willigte ein, nachdem sie ihm folgende Beschreibung von Margot gegeben hatte:

 

»Hübsch ist sie! Auffallend, ja ungewöhnlich hübsch. Lebhaft, gescheit, gewandt. Und was vielleicht ihren Hauptreiz ausmacht: von erlesenem Geschmack. Ich kenne keine Frau, die sich so zu kleiden und jeden ihrer äußeren Vorzüge so geschickt und scheinbar unabsichtlich zur Geltung zu bringen weiß, wie sie.«

»Ich gratuliere zu dieser Schwiegertochter,« sagte der Arzt und küßte Frau von Reinhart die Hand.

Die schüttelte den Kopf, wehrte ab und sagte:

»Aber das Wesentliche fehlt ihr, das, worauf es ankommt und ohne das ich keinen Tag länger leben möchte: Gemüt! Da, wo Sie und ich das Herz haben, hat sie nichts.«

»Am Ende ist das in diesem Falle kein so großes Unglück,« sagte der Arzt. »Wie gesagt, es ist, wie alles, was wir unternehmen, ein Experiment. Mißglückt es, so wird es keine tiefen Spuren hinterlassen.«

Das leuchtete Frau Julie ein und so telegraphierte sie denn an ihre Tochter:

»Bitte veranlasse Margot Rosen in deiner oder Hildes Begleitung möglichst bald nach hier zu kommen. Peters Befinden unverändert.«

Und sie war nicht wenig erstaunt, als die Antwort kam:

»Bin mit Fräulein Rosen übermorgen in Engelberg. Viele Grüße von uns allen. Landrat Anton Moll.«

Von allen war der Landrat derjenige, den sie sich für Peter am wenigsten herbeiwünschte. Aber die Hauptsache blieb: Margot kam! und die Möglichkeit bestand, daß sie mit ihren Reizen Peter einfing. Wurde der dadurch von seinen krankhaften Gedanken frei, so blieb sie als Frau und Schwiegertochter immer noch das kleinere Uebel. Nur die Gewißheit hätte sie gern gehabt, daß mit dem Schwinden der Leidenschaft nicht die alten Gedanken wiederkehrten.

»Das wird davon abhängen, wie lange die Neigung anhält,« hatte der Arzt gesagt. »Ist er erst einmal darüber hinaus, ohne rückfällig zu werden, dann schwindet die Erinnerung schnell und der Gedanke ist tot für immer.«

Frau Julie, die ihren Sohn kannte und Margot zu kennen glaubte, nahm sich daher vor, sie so zu leiten, daß ihre Schwächen Peter möglichst lange verborgen blieben.

»Weißt du, wer kommt?« fragte sie Peter. »Da lies!« und sie reichte ihm das Telegramm.

Peter starrte ein paar Sekunden lang auf den Bogen, dann fragte er:

»Ist er noch immer so?«

Frau Julie nickte und sagte:

»Er hat sich nicht verändert.«

»Trotz allem, was in den Jahren geschehen ist?« – Er schüttelte den Kopf. »Man sollte es nicht für möglich halten. Die ganze Welt ist aus den Fugen. Alles hat umgelernt. Der Kgl. preußische Landrat steht unwandelbar und unverrückbar, steif und steil wie ein Fels im Meer. – Mußte das sein?« fragte er nach einer Weile.

»Du mußt sie doch näher kennen lernen.«

Peter wehrte ab und sagte:

»Ich meine ja ihn! Gegen diese Margot habe ich nichts. Ich kenne sie kaum. Und nach allem, was du mir von ihr erzählst, freue ich mich sogar auf sie. Obschon ich mit meinem Gefühl, soweit ich überhaupt noch für Dinge dieser Art empfänglich bin, noch völlig an dieser Aenne hänge. Und das wird, scheint mir, auch so bleiben. – Aber mit diesem Schwager hätte man mich verschonen können.«

»Mir wäre auch lieber, Ilse oder Hilde kämen. Aber sie werden ja ihre Gründe haben!« —

Die Beschaffung der Pässe machte dem Landrat bei seinen Verbindungen keine Schwierigkeiten, und er fuhr am nächsten Morgen mit Margot Rosen, deren Koffer seit Tagen gepackt standen, von Berlin ab.

In dem Kupee erster Klasse blieben sie trotz der Fülle im Zuge bis Regensburg allein. Das kam daher, daß der noch in der alten Weltauffassung ergraute Schaffner den Landrat nach der Art seines Auftretens für einen jener Höhenmenschen hielt, denen ein gütiges Geschick Geist und Gemüt versagt, dafür aber die siebenzackige Krone und die Gardelitzen in die Windeln gelegt hatte. Und da ihm Hochmut und Beschränktheit in dem degenerierten Gesicht stand, so brauchte er nur an jeder Station den Kopf aus dem Fenster zu stecken und »Be . . . setzt!« auf den Bahnsteig hinauszuschnarren, um ein Oeffnen seines Abteils zu verhindern.

»Zu was allem so ein Aeußeres nicht gut ist,« sagte Margot, die neben ihm stand, als auf dem Bahnsteig die Reisenden in respektvoller Entfernung an ihnen vorbeifluteten.

»Wie meinen Sie das?« fragte der Landrat.

Margot, die sich sonst selten beherrschte, wollte in diesem Augenblick nicht ungezogen sein und sagte:

»Nun, ich glaube, wenn ich allein am Fenster stände, würde ich kaum solange allein bleiben.«

»Sie meinen, ich wirke abschreckend?«

»Na, einladend grade nicht.«

»Sie haben also nicht den Wunsch, mit mir allein zu sein?«

»Aber ja, Sie glauben doch nicht, daß ich mich vor Ihnen ängstige?«

»Die Braut meines Schwagers steht für mich hors concours.«

»Und wenn ich die Braut nicht wäre? – Uebrigens so ausgemacht ist das doch noch gar nicht.«

»Dann würde ich bedauern, eine so seltene Jelegenheit unbenutzt jelassen zu haben.«

»Sie setzen also voraus, daß es nur von Ihnen abhängt?«

»Ich will mich nicht überheben. Aber man hat so seine Technik.«

»Und Sie glauben, auf die fliege ich?«

»Ich darf es leider nicht darauf ankommen lassen.«

»Sie dürfen, edelster Landrat! Ganz unbesorgt dürfen Sie’s! Aber ich sage Ihnen gleich: es gibt eine Abfuhr!«

»Eine Frau, die aussieht wie Sie, pflegt für jewöhnlich doch Sinn und Verständnis für Männer zu haben.«

»Mit Unterschieden, Herr Landrat. Und ich kann Sie versichern, daß ich sehr wählerisch bin.«

»Dazu haben Sie auch alle Berechtigung.«

»Gar nicht so dumm!« sagte Margot.

»Wie? . . . Was?« fragte der Landrat.

»Ich habe Sie mir noch ungeschickter gedacht.«

Der Landrat stutzte.

»Leicht machen Sie’s mir nicht.«

»Das wäre doch auch kränkend. – Also, bitte, fahren Sie fort!«

»Sie wünschen es?«

»Wenn ich nicht irre, so war es Ihr Wunsch.«

»Jewiß! jewiß! Ich jestehe das zu. Durchaus mein Wunsch.« – Und er rückte näher an Margot heran, die ihre Beine kokett auf die Bank ihr gegenüber legte. »Im übrigen; ich lerne gern und mich interessiert Ihre Technik.«

»Wenn ich sie an Ihnen erproben dürfte.«

»Aber ja! das sollen Sie! Man kann nie wissen, ob sich nicht eines Tages mit denselben Mitteln ein Mann um mich bemüht, der mir gefährlich werden könnte.«

Der Landrat fuhr zurück.

»Das soll doch nicht heißen, daß ich . . .?« Er stockte.

»Wie bitte?« reizte ihn Margot.

»Daß ich nicht gefährlich werden könnte.«

»Doch! doch! Das soll es heißen.«

»Sie meinen als Schwager Ihres in Aussicht genommenen Gatten,« sagte der Landrat, fühlte aber, daß er geschlagen war und trat, indem er sichtlich von Margot abrückte, den Rückzug an.

»Auch das,« billigte ihm Margot zu.

»Aber als Mensch – wie? – Da bin ich Ihnen doch nicht unsympathisch?« erwiderte der Landrat und suchte seine Position zu verbessern.

»Ich kann mir vorstellen, daß Sie mir gefallen würden, wenn Sie anders wären.«

»Stört Sie das Monokel?« fragte der Landrat und nahm das Glas aus dem Auge.

»I Gott bewahre! Ihr ganzes Gesicht schreit danach. Sie sehen unanständig nackt aus ohne die Scherbe. Irgendwas muß der Mensch doch im Gesicht haben.«

»Sie lieben Männer ohne Bart nicht?«

»Doch! doch!« widersprach sie so lebhaft, daß der Landrat wieder näher rückte. »Aber: wissen Sie, sie müssen Ausdruck haben und dürfen nicht kalbig aussehen.«

»Sehe ich etwa . . . kalbig aus?« fragte der Landrat empört.

»Sie?« erwiderte Margot und wandte sich zu ihm. »Wie kommen Sie darauf. Ich habe Sie mir als meinen künftigen Schwager daraufhin noch gar nicht angesehen.«

»Tun Sie es!« forderte der Landrat und wandte ihr das Gesicht in seiner ganzen Blödheit zu. »Nun, was sagen Sie?«

»Daß Ihnen der Adel im Gesicht geschrieben steht.«

»Finden Sie?« fragte der Landrat etwas unsicher.

»Und ich begreife, wenn ich Sie ansehe, nicht, daß in Ihrer Familie nicht schon durch Generationen hindurch Inzucht getrieben wurde.«

Der Landrat wußte noch immer nicht recht, wie er sich zu Margots Reden stellen sollte. Sie brachte das alles mit einer so rührenden, harmlosen Selbstverständlichkeit heraus, daß eine kränkende Absicht ausgeschlossen schien.

»Jedenfalls«, fuhr sie fort, »haben Sie ein außerordentliches Anpassungsvermögen.«

Da wurde der Landrat, dessen Großvater noch Jude gewesen war, blaß und sagte mit belegter Stimme:

»Wie meinen Sie das?«

Margot sah ihn verschmitzt an und sagte:

»Daß, wer Sie sieht, glauben muß, Ihr Großvater sei schon im dritten Gliede ge . . .«

Der Landrat schloß die Augen und hätte gern auch die Ohren geschlossen. Margot sah’s und lachte in sich hinein.

»Haben Sie keine Angst,« unterbrach sie ihre Rede, »ich wollte sagen: im dritten Gliede ge . . . adelt worden.«

Der Landrat atmete auf. Aber Margot verdarb’s gleich wieder und sagte:

»Denn, wann Sie getauft sind, weiß ich gar nicht.«

»Das kann Sie ja wohl kaum interessieren,« erwiderte der Landrat ungehalten.

»Ich bitt’ Sie, wo Sie doch mein Schwager werden. Man muß doch wissen, wie man sich den einzelnen Verwandten gegenüber zu verhalten hat, um nicht anzustoßen. Was man sagen darf, was nicht.«

Der Landrat rückte unruhig auf seinem Platz umher.

»Unter uns,« fuhr die bestgelaunte Margot fort, »mir ist es ganz lieb, daß ich nicht die einzige Jüdin in Ihrer Familie bin.«

Der Landrat wollte widersprechen. Margot kam ihm zuvor. »Auch Mama, die mit ihrem Herzen doch noch immer am Alten hält, freut sich besonders auf Sie.«

Der Landrat weitete, wohl um sich Luft zu machen, mit dem langen Zeigefinger den Kragen, schob dann den Oberkörper nach vorn, stand auf, trat vor Margot hin, klemmte das Monokel ein, räusperte sich und sagte:

»Wenn ich Sie bitten darf, da Sie doch demnächst in ein näheres Verhältnis zu uns treten wollen, sich zu merken: Ich, Landrat Doktor von Moll, bin Christ; überzeugter Christ! Wie es auch mein Vater und meine Mutter waren. Was vorher war, ist ausjelöscht, jeht niemanden was an. Auch Ihre Frau Mutter nicht.«

»Da kennen Sie meine Mutter schlecht. Ich sage Ihnen, die spürt den Dingen nach und geht ihnen auf den Grund. Die hat darin eine unglaubliche Routine. Und grade das Aufdecken verkappter Juden ist ihre Spezialität.«

»Erlauben Sie,« widersprach der Landrat laut, den das Wort verkappter Jude wie eine Ohrfeige traf.

»Sie werden es ja erleben. Sie hat darin ihre eigene Methode. Wenn Sie es mit Rücksicht auf Ihre Umgebung am wenigsten wünschen und ahnen, platzt sie damit heraus. Aber nicht etwa aus Berechnung. Dazu ist Mama viel zu dumm. Nein aus Zufall. Sie hat damit in manchen Familien schon verheerend gewirkt.«

»Das . . . ist . . . ja . . . aber . . . furchtbar!« erwiderte der Landrat. »Katastrophal ist das! Die Frau sollte man festsetzen. Einsperren sollte man sie im allgemeinen Interesse.«

»Wieso? Ich finde es sehr lustig! Ich habe oft schon Tränen gelacht, wenn jahrelange, intime Freundschaften durch Mamas Indiskretion in die Brüche gingen. Auf die Art lernt man die Menschen doch kennen.«

»Dann möchte ich Sie doch bitten, Ihre Frau Mutter davon zu unterrichten, daß ich konservativer Landtagsabgeordneter und Antisemit bin, und nicht den Wunsch habe, durch sie an Dinge erinnert zu werden, die ich längst vergessen habe.«

»Ich werde es ausrichten. Aber für die Wirkung kann ich nicht garantieren.«

»Ihre Frau Mutter scheint ja eine jradezu jefährliche Frau zu sein.«

Margot sah ihn groß an und sagte laut:

»Alle dummen Menschen sind gefährlich.«

»Vielleicht interessiert es Sie, daß mein Großvater schon Reserveoffizier bei den Rathenower Husaren war.«

»Durchaus nicht.«

»Und daß das Rittergut Mosheim schon im dritten Gliede in unserer Familie ist.«

»Wieso glauben Sie, daß mich das interessieren sollte?«

»Weil ich für mich durchaus das Recht herleite, mich sozial jenem Kreis als zujehörig zu betrachten. Die Jesinnung is sozusagen durch drei Jenerationen hindurch jezüchtet worden. Mein Sohn is die vierte. Es is daher lächerlich, schändlich, niederträchtig, äußerlich und innerlich längst Abjestreiftes einem aus Neid oder Spott oder aus bloßem Vergnügen am Skandal wieder anzuhängen. Ich für meine Person verbitt’ mir das! Sagen Sie das Ihrer Frau Mutter.«

Er stand noch immer in derselben Stellung vor Margot und sah sie an.

»So! nun können Sie sich wieder setzen,« sagte sie, als ob nichts vorgefallen wäre. »Diese kleine Lektion wird Ihnen ja wohl die Lust, mir nachzustellen, ein für allemal genommen haben.«

 

Der Landrat riß verdutzt den Mund auf.

»Wa . . . wa . . »» stammelte er, und nachträglich noch empfand er Margots Rede wie eine körperliche Züchtigung.

An der nächsten Station steckte er den Kopf nicht mehr aus dem Fenster. Er ließ sich auf die Bank gleiten und wünschte sich, daß möglichst viel Reisende zu ihnen ins Abteil stiegen. Auch Margot, die sich nach einem andern Gesicht sehnte, hatte diesen Wunsch. Und da sie eine gute Psychologin war, wohl auch aus Erfahrungen schöpfte, so stellte sie sich bei der nächsten Station ans Fenster und steckte weit den Kopf hinaus. Ein paar Reisende, denen der Schaffner eben das Nebenabteil öffnete, stiegen wieder vom Trittbrett herunter und ließen sich beim Anblick Margots trotz seines Einspruchs nicht davon abhalten, in ihr Kupee zu steigen.

»Das ist ja Erster!« rief der Schaffner wütend. Und wie aus einem Munde erwiderten sie:

»Wir zahlen nach.«

Sie grüßten, als sie das Abteil betraten. Margot erwiderte. Der Landrat nicht. Der Zugführer gab eben das Zeichen zur Abfahrt, da rief draußen knarrend eine Stimme:

»Halt! Erster Lindau.«

»Bitte hier!« rief eilfertig der Schaffner und riß die Tür von Margots Abteil, die der letzte Fahrgast eben geschlossen hatte, wieder auf.

In der Tür erschien im Reiseanzug, mit kurzen Hosen, das Monokel im Auge, ein aufgeschossener, etwa dreißigjähriger Herr, wandte sich, in der Tür stehend, nach dem Bahnsteig um und rief einem Soldaten, der schweißtriefend ein paar Handtaschen schleppte, laut zu:

»Verfluchte Bummelei! Trab! Alter Esel!«

Er nahm ihm die Taschen ab und schob sie ohne Rücksicht auf die andern in den Gang.

»Wenn ich laufe, werden Sie wohl auch die Beine rühren können!«

»Verzeihung, Herr Baron! Aber die schweren Taschen . . .«

Bei dem Wort Baron sah der Landrat zum ersten Male wieder auf, schob die Krawatte grade und setzte sich zurecht.

»Schlappier!« schalt der Herr und warf wütend die Tür zu. Der Soldat salutierte. Der Zugführer gab das Zeichen und die Lokomotive zog an.

Der Herr Baron würdigte die Mitreisenden keines Blicks. Verärgert nahm er die Taschen auf und suchte sie in dem Netz unterzubringen. Für die letzte war kein Raum mehr. Ohne zu Überlegen oder um Erlaubnis zu fragen, stülpte er eine der fremden Taschen hoch und schaffte ihr Platz. Der Betroffene wandte sich zu seinem Nachbarn und sagte leise in Schweizer Mundart, die der Baron nicht verstand:

»Unglaublich! Diese Manieren!«

Der Baron fühlte, daß es gegen ihn ging, warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Der Landrat sprang ihm bei und sagte:

»Hier über mir ist noch Platz frei.«

Der Baron verbeugte sich steif und sagte:

»Sehr verbunden,« musterte ihn genau, billigte sein Aeußeres, sah die Krone auf dem goldenen Zigarettenetui, das der Landrat auffällig hervorzog, machte eine halbe Wendung zu ihm hin und sagte:

»Gestatten: v. Siedlitz.«

Der Landrat erhob sich, stand kerzengrade und sagte:

»Erfreut. v. Moll.«

Siedlitz setzte sich Moll gegenüber.

»Schauderhaft!« sagte Siedlitz, und der Landrat erwiderte:

»Scheußlich!«

»So sollten sie heißen,« dachte Margot, sprach es aber nicht aus, sondern sagte zu Moll:

»Was finden Sie scheußlich?«

Der Landrat ließ seine Augen über die Schweizer gleiten und erwiderte:

»Das Janze.«

Jetzt erst würdigte der Baron Margot eines Blicks, sah sie an, kniff die Augen zusammen und billigte auch sie. Da sie Margot Rosen hieß, sah der Landrat davon ab, sie vorzustellen.

»Fabelhaft!« sagte der Baron und sah auf die Uhr. »Auf den Kopp 11 Uhr 3. Nicht eine Minute Verspätung. Genau wie im Frieden.«

Der Landrat nickte, und wieder die Schweizer streifend, sagte er:

»Bei uns klappt’s! Draußen und drin! Das macht uns keiner nach.«

»Sobald man in der Schweiz ist, geht die Schlamperei wieder los.«

»Kein Zug drin!« stimmte der Landrat bei. »Kein Wunder! Bei einem Volke ohne militärischen Schliff.«

»Wir zeigen’s Ihnen ja nu, wie’s jemacht wird. Aber leicht is es nich. Renitente Jesellschaft. Jeder hat seinen Kopp für sich.«

»So ’n Land muß ja still stehen,« erwiderte der Landrat. »Ein Offizierkorps aus Hoteliers und Subalternbeamten.«

Der Baron lachte beifällig und sagte spöttisch:

»Die Wiege der Demokratie! Danke erjebenst für die Art Weltbeglücker!«

Der eine Schweizer stand auf und sagte würdig und ruhig: »Ich darf die Herren wohl bitten, sich über diese Dinge so zu unterhalten, daß wir es nicht zu hören brauchen. Wir sind nämlich Schweizer.«

Der Landrat stand auf und sagte polternd:

»Und wir Deutsche, wenn’s Sie interessiert. Und da wir uns Jott sei Dank hier in Deutschland befinden, so reden wir in der Tonart, die uns paßt.«

»Bravo!« rief der Baron. »Sehr richtig!«

»Ich hatte von Herren Ihres gesellschaftlichen Ranges mehr Takt erwartet,« erwiderte der Schweizer.

»Wie? was? Jesellschaftlicher Rang?« wiederholte der Landrat. »Was verstehen denn Sie von jesellschaftlichem Rang? Bei Ihnen jilt ja ’n Barbierjehilfe soviel wie ’n Landrat.«

»Und im übrigen,« ergänzte der Baron – »was Sie von unserm Takt erwarten, da pfeifen wir drauf, verstanden!«

Margot, die von ihrer Mutter her doch gewiß an Taktlosigkeiten gewöhnt war, überlief es kalt. Anfangs beherrschte sie sich, dann aber riß sie die Empörung hoch, sie sprang auf, stellte sich vor den Landrat und den Baron hin, ballte die Fäuste und rief laut:

»Pack! Pack! Pack!!!«

Der Baron und der Landrat sahen sie verblüfft an. Sie trat jetzt ganz dicht an die beiden heran und brüllte ihnen ins Gesicht:

»Diese Blödheit! Diese Verstiegenheit! Diese saudumme Arroganz!«

»Aber lassen Sie das doch!« suchte einer der Herren sie zu beruhigen. »Uns kränkt das nicht, wir wissen Bescheid.«

»Beurteilen Sie uns Deutsche ja nicht etwa nach diesen beiden Edelgewächsen,« entgegnete Margot leidenschaftlich.

»Das sind nur die durch ihre Blödheit und Abstammung Auserwählten, die uns den schlechten Namen in der Welt gemacht haben. Uns ist das genau so widerwärtig wie Ihnen. Es ist eine zahlenmäßig kleine, aber mächtige Clique. Und den Schaden, den einer von ihnen anrichtet, können nicht Tausende von uns wettmachen.«

»Wir wissen Bescheid,« versicherte einer der beiden Schweizer. »Und Sie können versichert sein, daß Ihr mutiges Auftreten das Verhalten dieser Herren mehr als paralysiert.«

»Wenn nur jeder den Mut hätte, ihnen immer so die Wahrheit zu sagen,« fuhr Margot, die noch immer drohend vor dem Baron und dem Landrat stand, fort. Die hatten sich abgewandt und kehrten ihr den Rücken.

Als Margot, zitternd am ganzen Körper, sich wieder gesetzt hatte, herrschte erst eine Zeitlang Schweigen, dann fragte der Baron halblaut den Landrat:

»Fabelhaft! Was sagen Sie dazu?«

»Beispiellos!« erwiderte der Landrat.

»Wissen Sie, wer die Person ist?«

Der Landrat schüttelte den Kopf und sagte:

»Keine Ahnung.«

»Ich möchte wetten, es ist eine Jüdin.«

»Sehr möglich,« erwiderte der Landrat.

Dann schwiegen sie wieder.

Nach einer Weile flüsterte der Baron dem Landrat zu:

»Nicht einmal vorgestellt hat sich dieser Mensch.«

»Ich bitt’ Sie!« erwiderte der Landrat. »Was können Sie von einer Nation von Hotelportiers anderes erwarten.«

»Unjlaublich! Was heutzutage alles erster Klasse fährt.«

In diesem Augenblick erschien der Schaffner und forderte die Billetts.

Die beiden Schweizer wiesen ihre Billetts Zweiter vor und sagten:

»Wir hatten um Zuschlag gebeten.«

Der Schaffner gab sie ihnen.

Der Baron stieß den Landrat an, wies auf die grünen Fahrkarten der Schweizer und sagte leise:

»Da hätten wir uns nicht zu erregen brauchen.«

An der nächsten Station ließen die Schweizer ihre Koffer in ein anderes Abteil Erster bringen. Margot schloß sich ihnen an.

»Jott sei Dank!« sagte der Baron und atmete auf.

Der Landrat stand auf, öffnete die Fenster und sagte:

»Nu wollen wir mal erst jehörig durchlüften.«

Abstammung, soziale Stellung und nicht zuletzt dies Erlebnis brachte sie schnell einander näher. Der Baron bekuvrierte sich sehr bald und sprach von dem verantwortungsvollen Posten, den er als Diplomat in Bern inne hatte.

»Sie verstehen, mein bester Landrat,« redete er auf Moll ein, »so ’n Posten will ausjefüllt sein. Mit den üblichen Verfügungen is es da nicht jemacht. Das verlangt Takt und eine feine Nase. Was meinen Sie, was wir für Widerstände zu überwinden haben. Die Sympathie eines Landes wie der Schweiz zu gewinnen, das is ’n Heidenstück Arbeit.«