Za darmo

Wie Satan starb

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»Jetzt bin am Ende noch ich daran schuld!« rief Frau Julie.

»I Jott bewahre! Schuld is Peter. N’ Verhältnis – verzeiht, aber mir scheint, daß das doch ’mal jesagt werden muß – also so ’n Verhältnis is doch nichts weiter als ein auf materieller Verständijung beruhender körperlicher Zusammenschluß auf Widerruf.«

»Laß das!« befahl Frau Julie.

Aber dem Landrat gefiel die Formel.

»Wenn ein Teil widerruft, is es aus. Da jibt’s nichts! Und so wenig das Jesetz aus so ’ner Art Verbindung rechtliche Folgen herleitet, so wenig anerkennt der jesellschaftliche Kodex Pflichten moralischer Art – was ja auch sinnlos wäre, da das Janze ’ne höchst unmoralische Anjelejenheit is.«

»Ich bin auch der Ansicht,« sagte der Justizrat, »daß es in unser aller Interesse und nicht zuletzt in dem Peters liegt, wenn wir diese unglückselige Angelegenheit endgültig ad acta legen.«

Frau Julie, deren Nerven seit einer Stunde übermäßig angespannt waren, rückte ein wenig nach vorn, legte die weiße, gepflegte, noch immer schöne Hand auf den Tisch, sah ihre Schwiegersöhne an und sagte mit starker Betonung:

»Gut, es mag das letztemal sein! Aber entgegen dem Gesetz, dem gesellschaftlichen Kodex, und vor allem entgegen deinem Urteil, Anton, wonach ein derartiger Fall eine höchst unmoralische Angelegenheit ist, will ich, daß der armen Aenne wenigstens einmal ihr Recht wird. Dann mag der Fall zwischen euch und mir begraben sein.«

»So laß es doch ruhn, Mama,« bat Ilse, »und reg’ dich nicht auf!«

»Nein! nein!« wehrte Frau Julie heftig ab. »Ich dulde nicht, daß man sie noch über das Grab hinaus kränkt. Ganz kurz! Was war dann? Ist der Oberpedell eines Gymnasiums ein anständiger Mensch?« fragte sie laut.

»An sich – warum nich,« erwiderte der Landrat.

»Ja oder nein?« fragte Frau Julie.

»Er kann es sein.«

»Genau so gut und so schlecht, wie es ein Landrat sein kann.«

»Erlaube! erlaube!« widersprach Anton heftig. »Mir scheint doch, daß der Vergleich . . .«

» . . . i Gott bewahre!« fiel ihm Frau Julie ins Wort. »Ich erlaube gar nicht: es gibt anständige Pedells und unanständige, genau so wie es anständige und unanständige Landräte gibt.«

». . . und – unanständige . . . Land . . . räte!« wiederholte Anton. »Na, da muß ich doch sagen, daß man bei der Auswahl der Landräte denn wohl doch etwas sorgfältiger verfährt, als bei der Auswahl von Schuldienern. – Verzeih, Mama, aber der Vergleich ist grotesk.«

»Ist es durchaus nicht. Denn ich spreche nicht von der Herkunft, von der Kinderstube, von der Bildung, die neben verschiedenen andern weniger wichtigen, meist rein äußern Formen die Voraussetzung für die Ernennung eines Landrats sind: sondern ich spreche von der rein menschlich moralischen Seite, und da wirst du mir zugeben, daß ein Pedell ein ebenso anständiger Mensch wie ein Landrat sein kann.«

»Diese Nebeneinanderstellung!« wehrte Anton verdrießlich ab. »Fühlst du denn jar nich, wie unanjenehm und kränkend das für mich is.«

»Ganz und gar nicht. Ich für meine Person wenigstens ziehe einen anständigen Schuldiener einem unanständigen Landrat vor.«

»Das sind doch rein jesellschaftlich jar nich miteinander komparable Begriffe.«

»Wir sprechen ja jetzt von höheren als gesellschaftlichen Werten,« lenkte Frau Julie ein ohne es zu wollen, »nämlich von menschlichen. Jedenfalls, du gibst mir zu, ein Pedell kann bei allem, was ihn gesellschaftlich vom Landrat trennt, ein anständiger Mensch sein.«

»Jewiß!«

»War nun Oberpedell Hoffmann ein anständiger Mensch?«

»Das war er wohl.«

»Und seine Frau?«

»Die war es wohl auch.«

»Diese Aenne war demnach achtbarer Leute Kind.«

»Ja, ja, aber was soll das nur?« fragte der Landrat ungeduldig.

»Diese Aenne besuchte eine höhere Schule, eine Handelsakademie, sprach mehrere Sprachen und bekleidete in einem der ersten Anwaltsbüros eine durchaus nicht untergeordnete Stellung.«

»Jewiß! jewiß! ’n Bürovorsteher oder ’n Volksschullehrer wäre wahrscheinlich sehr glücklich mit ihr jeworden.«

»Peter, der kurze Zeit bei demselben Anwalt arbeitete,« fuhr Frau Julie fort, »erkannte ihre außergewöhnlichen Qualitäten und die beiden Menschen verliebten sich ineinander.«

»Was man so lieben nennt,« warf Baron Zobel ein.

»O nein!« widersprach Frau Julie, »vielmehr eine Liebe, wie man sie heutigen Tages leider nur noch selten findet. Sie vertraute ihm und er hatte den ernsten Willen, sie zu seiner Frau zu machen.«

»Das is ja doch der Wahnsinn!« erwiderte der Landrat. »Um es dazu nich kommen zu lassen, um diese Mesalliance zu verhindern, veranlaßten wir seine Versetzung nach Südwest.«

»Weil wir keine Ahnung von der Tiefe des Gefühls hatten, das die beiden Menschen miteinander verband,« sagte Frau Julie, und der Medizinalrat ergänzte:

»Weil wir uns einredeten, diese Trennung würde genügen, um sie auseinander zu bringen.«

»So hattet ihr es mir wenigstens dargestellt,« sagte Frau Julie, »ich sehe euch beide« – wandte sie sich an ihre Schwiegersöhne – »noch vor mir, als wenn es heute wäre. ›Laß uns nur machen‹ sagtet ihr, ›das geht ganz schmerzlos. Man macht ihr klar, daß Peter für die nächsten Jahre fort ist, für ihre Zwecke also ausscheidet, legt auf die Wunde ein Pflaster und verabschiedet sie an den Nächsten, mit dem es ihr ein paar Monate später dann genau so geht.«

»Das ist ja doch so üblich,« erwiderte Zobel, und Frau Julie sagte:

»Ich, die ich von den Dingen natürlich keine Ahnung hatte, war entsetzt und fragte: ist es denn möglich, hat so eine Frau denn kein Gefühl? worauf ihr nicht ohne Spott erwidertet: ›Gewiß! das hat sie schon. Aber die Person spielt dabei keine so große Rolle. Wen sie hat, auf den konzentriert sie’s.‹ »

»Tut se’ auch,« bestätigte der Landrat, »wenigstens im allgemeinen.«

»Aber ihr nahmt euch nicht die Mühe, festzustellen, ob euer Wald- und Wiesenrezept auch auf diese Aenne zutraf. Bei ihr war die Liebe nicht das Primäre, für das sie nur einen Gegenstand der Betätigung suchte: gleichviel, wer es war. Peter war es, der jenes Gefühl in ihr zum Erwachen brachte, das eine Frau nur einmal und nur an einen zu vergeben hat. Für eine Frau von Wert wird das ihr Schicksal bedeuten. Aenne war so eine! Ihr kamt ihr erst in moralischer Pose und suchtet mit Geld und sachlichen Argumenten ein Gefühl, wie einen Vertrag oder eine Sache wegzudiskutieren. Und der Erfolg? Und das Ergebnis? Es stellte sich heraus, wieviel tiefer und moralischer ihr Gefühl war, als euer Zorn und eure Entrüstung. Ihrem einfachen und unverfälschten Wesen gegenüber, den schlichten Worten, die ihr Herz als Antwort auf alle eure spitzfindigen Reden fand, wirktet ihr in eurer Gespreiztheit und mit euren gesellschaftlichen Phrasen, verzeiht, possenhaft. Aller Schmutz, den ihr, da euer so erprobtes System bei Aenne nicht zum Ziele führte, in eurer gekränkten Eigenliebe auf sie abzuladen suchtet, glitt von diesem reinen Kinde, das nichts wußte und nichts wollte, das nur liebte und geliebt sein wollte, ab wie von einer Heiligen. Ich übertreibe nicht und die Zeit hat ihr Bild nicht verklärt – aber nie in meinem langen Leben habe ich die Gegensätze und gesellschaftliche Lüge stärker empfunden als in jenen peinlichen Stunden, da ihr über diese Aenne zu Gericht saßt, und ihre reine Liebe trotz aller Liebesnächte über eure anempfundene Moral und künstliche Erregung triumphierte.«

»Aber Mama,« sagte Hilde mit einem ängstlichen Blick auf den Landrat.

»Laß nur, mein Kind,« erwiderte Frau Julie, »wir alle spielen ja das ganze Leben über Komödie. Einmal dürft ihr euch von eurer alten Mutter schon die Wahrheit sagen lassen. Wenn der armen Aenne auch nicht mehr damit geholfen ist, so sollt ihr wenigstens mit Scham und Reue und Achtung an sie denken.«

Der Landrat verzog den Mund, glitt lässig in den ledernen Fauteuil zurück, zog mit großer Nachlässigkeit erst sein goldenes Zigaretten-Etui, dann sein goldenes Gehänge aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an. Frau Julie aber sah an dem Ausdruck seines Gesichts, wie erkünstelt seine Ruhe war.

»Ihr empfandet es ja denn auch als das, was es war,« fuhr Frau Julie fort, »als eine moralische Niederlage, die euch um so schwerer traf, als ihr auf seiten eures Gegners alles vorausgesetzt hattet, nur keine Moral. Auf Wut, Niedertracht, Geldgier, auf alles das wart ihr gefaßt! Denn über diese Mittel verfügtet auch ihr und konntet sie daher mit der Art nach gleichen, an Wirkung aber zehnfach, hundertfach stärkeren Waffen niederkämpfen. Nur über Moral verfügtet ihr nicht! Ich will euch nicht zu nahe treten, gesellschaftliche Moral, gewiß, die besaßet ihr! Darin übertrifft euch niemand! Aber die reine Moral, die unbewußte, die von Gott kommt, davon habt ihr in euren Kindertagen vielleicht einmal einen Hauch gespürt. Nun, da sie in dieser Aenne wieder vor euch hintrat, wart ihr entwaffnet. Und in dieser Bedrängnis – und darin liegt denn auch die einzige Entschuldigung für euch! – wuchs eure Wut ins Ungeheure und ihr verhundertfachtet eure Niedertracht, um das arme Geschöpf zu Tode zu hetzen. Ihr ließt ihr suggerieren, Peter sei ihr untreu geworden, habe sie aufgegeben. Ihr Glaube erwies sich stärker als eure Lüge! Ihr ließt ihr nachstellen, suchtet auf raffinierteste Weise sie zu Fall zu bringen. Auch das gelang nicht. Jetzt hetztet ihr den Vater gegen sein Kind. Damit hattet ihr mehr Glück. Dieser einfache Mann war leicht zu verwirren. Von dem Glauben an einen verbotenen Umgang mit Peter, den ihr ihm wie ein Gift beibrachtet, bis zu der falschen Vorstellung, daß sein Kind eine Dirne sei, war nur ein Schritt. Er warf Aenne aus dem Haus. Aber die Mutter, die zu ihrem Kinde hielt, ging mit. So war es für euch nur ein halber Triumph. Was tatet ihr nun? Ihr stecktet euch hinter die Mutter. Und als die, die das Herz ihrer Tochter kannte, sie zu keinem Verzicht auf Peter bringen wollte, da triebt ihr die Aenne auf infame Weise aus ihrer Stellung und sorgtet dafür, daß sie auch anderswo nirgends mehr ankam. Ihr glaubtet: was Gewalt nicht erreicht, erzwingt am Ende der Hunger. Aber mehr als der Hunger fraßen an der Alten die Sorge um ihr Kind und die Sehnsucht nach ihrem Mann. Es dauerte nicht lange, da setzte eines Tages das gequälte Herz aus. Jetzt schwankte Aenne wohl, die sich für den Tod der Mutter mit verantwortlich fühlte. Aber schließlich erwies sich doch wieder die Liebe zu Peter als stärker. Ein um das andere Mal wiederholte sie: ›Ein Wort von Peter, daß sein Gefühl für mich die geringste Aenderung erfuhr – und ich trete zurück, ohne daß jemand ein Wort zu verlieren braucht‹. – Da setztet ihr die famose Verlobung mit Margot Rosen in Szene, und um sie dem standhaften Peter mundgerecht zu machen, verdächtigtet ihr Aenne. Margot Rosen saß in Berlin, Peter in Südwest: er kannte sie kaum. Und so sagte er nicht ja, nicht nein; und so verlockend nach der für seine Karriere ja nicht gleichgültigen materiellen Seite hin die Partie war – er machte seine Entscheidung von Aenne abhängig. Da wandtet ihr euch an den verkommenen Baron Seifert, um den ihr sonst in einem weiten Bogen herumgingt, und verspracht ihm Geld und hetztet ihn auf sie. Dieser Hund« – Frau Julie zitterte am ganzen Körper – »nie, solange ich lebe, habe ich solch ein Wort für einen Menschen gebraucht, aber es ist zu gut für ihn, denn dieses verkommene Subjekt« – Frau Julie senkte den Kopf, dämpfte die Stimme und sagte: »Es soll nicht über meine Lippen kommen, was er mit ihr tat. – Zu Tode gehetzt, in ihrer höchsten Not flüchtete sie zu dir, Martin,« wandte sich Frau Julie an den Medizinalrat, »und du tatest, was als Mensch deine Pflicht war – du führtest sie zu mir! Und nun erst erfuhr ich all das, was ich eben geschildert habe. Aber darüber hinaus: ich lernte einen Engel kennen, gütig, klug – aber ohne Kraft mehr zum Leben. – Das hattet ihr aus ihr gemacht! Da schämte ich mich – zum erstenmal in meinem Leben. – Nie empfand ich mehr die Sinnlosigkeit aller gesellschaftlichen Vorurteile. Ich verglich Margot Rosen mit ihr und wußte, wo für meinen Jungen das Glück lag. Ich hatte nur noch ein Gefühl: sie ihm zu erhalten und dafür zu sorgen, daß er an ihr gutmachte, was ihr an ihr gesündigt hattet. Auch ich! Denn wenn ich eure Mittel auch nicht kannte, ich kannte euch! Ich hätte mich darum kümmern müssen. Aber mit soviel Liebe ich sie nun umgab, so heilig ich ihr auch versicherte, daß ich sie als Peters Braut und mein Kind betrachte – sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. Und als ich hinausging, um Papier und Feder zu holen und an Peter zu telegraphieren, war sie fort. – Eine halbe Stunde später stand ich in einer kleinen, sauberen Stube vor einer Chaiselongue, fiel in die Knie und küßte die Lippen seiner toten Braut. Ich fühlte in dieser Stunde wie eine Mutter, die ihr Kind verliert. Und als ich ihr die Augen geschlossen hatte und aufstand – ihr wißt, ich bin nicht fromm – da faltete ich die Hände und sagte so laut, daß ich vor mir selbst erschrak: Gott gib, daß wir die Schande überleben.«

 

Alle starrten Frau Julie an und schwiegen. Sie richtete sich hoch auf und sagte:

»Nun, mein Gebet hat sich erfüllt! Wir haben die Schande überlebt! Aber wenn ihr euch noch so hochmütig gebärdet, vergeßt nie, daß wir allesamt schuldig und Verbrecher sind.«

Sie winkte ihrem Bruder, dem Medizinalrat. Er ging auf sie zu und reichte ihr den Arm. An der Tür wandte sie sich um und sagte:

»Das also soll das letztemal gewesen sein! Und nun gute Nacht, Kinder! Ich bin müde.« – Sie bewegte leicht den Kopf, sagte noch einmal »gute Nacht« und ging aus dem Zimmer.

»Gute Nacht, Mama!« sagten gedämpft ein paar Stimmen, als sie am Arme des Medizinalrates durch die Tür schritt.

II

Als Frau Julie draußen war, herrschte zunächst Totenstille. Der Landrat zündete sich wieder eine Zigarette an und sah, als er das Streichholz löschte und auf den Tisch legte, unabsichtlich seinem Onkel, dem Justizrat, ins Gesicht. Schnell zog er das Etui noch einmal aus der Tasche, reichte es über den Tisch und sagte:

»Bitte!«

Der Justizrat lehnte ab; der Landrat verzog das Gesicht und glitt in den Sessel zurück.

Nach einer Weile fragte Ilse von Zobel:

»Was soll nun werden?«

»Das hast du ja eben gehört,« erwiderte der Landrat, und Baron Zobel bestätigte:

»Deutlich genug war ja eure Mama.«

»In manchem hat sie recht,« erklärte Hilde, und Ilse nickte mit dem Kopf und sagte:

»Die arme Mama!«

Der Justizrat sah nach der Uhr und stellte fest:

»Es ist halb acht,« worauf auch Zobel und der Landrat ihre Uhren zogen und sagten:

»Wahrhaftig!«

Der Justizrat stand auf, knöpfte seinen Rock zu, dachte einen Augenblick nach und sagte:

»Falls ihr mich braucht, ich bin zu Hause.«

Er gab allen die Hand und ging. Als er draußen war, sagte Zobel:

»Wollen wir nicht auch gehen?«

»Na und?« fragte Ilse und sah ihn an.

»Das geht doch nicht,« erklärte Hilde.

»Warum nicht?« fragte der Landrat.

»Erstens haben wir Margot Rosen herbestellt.«

»Ach du lieber Gott,« sagte Zobel, verzog das Gesicht und trat vor den Likörschrank.

»Und dann,« fuhr Ilse fort, »wir müssen doch wissen, was wird.«

»Gar nichts wird,« sagte Zobel und goß sich einen Likör ein. »Was soll denn werden?«

»Mir auch bitte.« sagte der Landrat, trat an seinen Schwager heran, goß erst einen, dann einen zweiten uralten Meukow herunter, wischte sich mit seinem Batisttuch den Mund, klemmte das Monokel fest, stemmte die Arme in die Hüften, beugte sich ein wenig nach vorn und sagte:

»Diese verfluchte Rührseligkeit! Machen wir uns doch klar, was ist denn eijentlich jeschehen?«

»Nun fang nur du nicht auch noch an!« wehrte Zobel ab und goß sich einen Chartreuse ein.

»Jott bewahre! Fällt mir nich ein. Mir steht’s bis da! Aber unter uns: Tatbestand? Tippmamsell – Regierungsassessor. Das landesübliche Verhältnis. Statt auf Schmuck und Sekt mehr auf Jefühl jestimmt. Schon faul. Die Sache vertieft sich. Familie jreift ein. Ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Jeder, der auf sich jibt, hält seinen Stall rein. Und ’n Stammbaum ist schließlich keine Hühnerleiter. Sondern eine verdammt ernst zu nehmende Sache. Die Karriere des Jungen stand auf dem Spiel. Bei seinen Verbindungen konnte er’s mal zum Staatssekretär oder Botschafter bringen. Wir haben’s in Jüte versucht, indem wir ’ne Abfindung boten. Wir waren wahrhaftig nich kleinlich. Aber nee! Nu jerade nich! – Was sollten wir tun? Sollten wir nachjeben und uns mit der Pedellstochter verschwägern? Mama war jlücklich so weit. Sie öffnete die Arme, die Mätresse verwandelte sich in eine Märtyrerin und flog ihr als Schwiejertochter in die Arme. Das reine Theater! Na, da mag se denn wohl selbst jefühlt haben, daß was nich stimmte. Als sie am Halse unserer lieben Schwiejermutter hing, jing ihr der Atem aus! Es is eben doch ’ne andere Luft als in der Pedellsstube. Jott sei Dank! – Wenn n’en Droschkenjaul sich plötzlich für’n Steepler hält und über Hürden jeht und sich dabei das Jenick bricht, so is das seine Sache.«

»Ausgezeichnet!« stimmte Zobel bei; und der Medizinalrat, der eben ins Zimmer trat und die letzten Worte mit angehört hatte, sagte:

»Gewiß! nur ist dir nicht ganz der Nachweis gelungen, lieber Neffe, daß du dich als Mensch so hoch über diese Aenne erhebst, wie der Steepler als Pferd über einem Droschkengaul steht.«

»Na, erlaub mal,« wehrte sich der Landrat gekränkt, »an Klasse doch nu mal sicher.«

»Was du unter Klasse verstehst, ist etwas rein Aeußerliches,« erwiderte der Medizinalrat. »Etwa: wenn ein reicher Viehhändler auf der Eisenbahn erster Klasse und ein gottbegnadeter Dichter dritter Klasse fährt, so bleibt der eine darob doch ein Vieh und der andere ein höheres Wesen.«

»Erlaub mal,« erwiderte der Landrat gereizt und trat fast drohend vor den Medizinalrat hin, »willst du damit etwa sagen . . .«

»I Gott bewahre,« fiel ihm der ins Wort. »Da du meines Wissens kein reicher Viehhändler bist und die arme Aenne kein gottbegnadeter Dichter, so trifft auch der Vergleich auf dich nicht zu.«

»Das wollte ich nur in aller Form festjestellt wissen,« sagte der Landrat mit starker Betonung und wandte sich von dem Medizinalrat ab. Aber der Rittergutsbesitzer Kurt Freiherr von Zobel, dessen Güter einen besonders reichen Viehbestand hatten, setzte das Glas, das er eben zum Munde führen wollte, ab, wandte den Kopf zu dem Medizinalrat und sagte:

»Ich muß dich ebenfalls um eine Erklärung ersuchen, Onkel.«

»Aber ich sagte ja schon,« erwiderte der Medizinalrat, »da die arme Aenne keine Dichterin war, so kannst du dich doch nur im Falle eines schlechten Gewissens betroffen fühlen.«

»Danke,« erwiderte Zobel, »das genügt mir,« setzte an und trank seinen dritten Likör.

Ilse, die schärfer sah, flüsterte dem Medizinalrat zu:

»Ich bitt’ dich, Onkel, laß das! Wir haben gerade Verdruß genug. Sag’ uns lieber, was nun werden soll.«

»Mir scheint, ihr werdet eure Mutter nicht zurückhalten können, zu Peter zu fahren.«

»Sie wird ihm doch nicht erzählen, daß Aenne Selbstmord beging?« fragte Hilde.

»Nein,« erwiderte der Medizinalrat, »ich habe ihr klar gemacht, wie das unter Umständen zeitlebens auf ihn wirken könnte. Sie sieht das ein und wird die Lüge, daß sie eines natürlichen Todes starb, aufrecht erhalten.«

»Gott sei Dank!« sagte Ilse und atmete auf.

»Trotzdem halte ich es für notwendig,« fuhr der Medizinalrat fort und wandte sich an die beiden Frauen, »daß eine von euch mit ihr fährt.«

»Ich bin bereit,« erklärte Hilde.

Zobel wandte sich an seine Frau und sagte:

»Dann fahr’ auch du mit!«

»Fräulein Margot Rosen!« meldete Johann.

Im selben Augenblick rauschte ein ungewöhnlich hübsches und geschmackvoll gekleidetes junges Mädchen ins Zimmer. Vielleicht, daß die ganze Art ihrer Haltung und Kleidung für ein Mädchen aus gutem Hause eine Nuance zu mondän und bewußt war. Daß sie zu unbefangen auftrat und jene reizvolle Schüchternheit vermissen ließ, hinter der sich sonst die Scheu und die Neugier erwachter Sinnlichkeit verbergen. Aber ihr Scharme milderte, was sonst vielleicht aufdringlich gewirkt hätte.

Sie begrüßte höflich die beiden Damen, indem sie ihnen die Hand reichte, und grüßte dann zu den Herren hinüber, die an sie herangetreten waren und sich vor ihr verbeugten. »Wir haben uns lange nicht gesehen,« begann sie unbefangen.

»An uns lag es nicht,« erwiderte Ilse, »Sie wissen, daß wir uns immer mit Ihnen freuen,« – Margot machte ein verschmitztes Gesicht – »oder glauben Sie das etwa nicht?«

»Doch, doch – das heißt – teils – teils.«

»Ja, was heißt das?« drängte Ilse. »Haben wir es Ihnen gegenüber jemals an der nötigen Achtung fehlen lassen? Bewußt jedenfalls nicht.«

»Aber nein, liebe Frau Baronin,« erwiderte Margot und setzte wieder ihr allerliebstes Lächeln auf, »wirklich nicht. Ich wollte damit nur sagen: eine Komtesse wär Ihnen als Schwägerin jedenfalls lieber als Margot Rosen.«

Alle waren verdutzt, nur Hilde raffte sich auf und sagte:

»Wie können Sie glauben!«

»Ich nehme Ihnen das durchaus nicht übel. Mama auch nicht. Sie sagt: das Leben besteht aus Kompromissen. Alles Gute findet sich selten beieinander – na ja, da hat sie doch recht. Ueberhaupt, ich finde es so komisch, daß Mama alles ausspricht, was sie denkt. Sie glauben gar nicht, in welche komischen Situationen sie sich und uns alle dadurch oft bringt. – Na, Sie werden sie ja nun wohl endlich kennen lernen. Es tut mir leid ihretwegen – aber es wird sich nicht umgehen lassen. Ich liebe Mama und finde, es spricht durchaus nicht gegen sie, daß sie in all den Jahren sich den sogenannten gesellschaftlichen Schliff noch immer nicht angeeignet hat.«

»Ja, ich bejreife ja nich,« sagte der Landrat, »warum Sie so aggressiv jejen uns vorjehn.«

Und Baron Zobel, der ganz in Margots Anblick vertieft war, und bald das hübsche Gesicht und die ebenmäßigen Glieder, bald die weißen Hände und den kleinen Fuß anstaunte, schnalzte mit der Zunge und sagte:

»Ich muß auch sagen, Sie finden durchaus unsern Beifall. Sie gefallen uns sehr. Wenigstens mir. Na, und mit dem übrigen, vor allem mit der Frau Mama, da werden wir uns schon abfinden.«

Margot, die längst fühlte, mit welchem Behagen Zobels Augen auf ihr ruhten, schlug die Beine übereinander, lächelte und sagte:

»Es wird Ihnen auch gar nichts anderes übrig bleiben.«

»Aber im Gegenteil,« parierte Ilse die Unart ihres Mannes, »wir hatten schon lange den Wunsch, Ihre Frau Mutter kennen zu lernen.«

»Na, der Wunsch hätte sich im Laufe der Jahre am Ende erfüllen lassen,« erwiderte Margot. »Mama hat von der Stunde an, wo ich durch Familienbeschluß Ihrem Bruder in Südwest verlobt, oder doch wenigstens zugesprochen wurde, täglich auf Ihren Besuch gewartet.«

 

»Wir hatten auch immer die Absicht,« brachte Hilde nicht eben geschickt hervor.

»Mama besitzt leider so wenig Menschenkenntnis. Ich habe ihr gleich gesagt: du wirst sehen – du wirst sehen, sie kommen nicht.«

»Pardon!« unterbrach sie der Landrat, »aber wieso dachten Sie das?«

Margot sah den Landrat, der gerade kein schlaues Gesicht machte, an und mußte lachen.

»Sie werden sich gesagt haben,« erwiderte sie, »wer weiß, ob wir Peter wiedersehen. Wozu uns also einen Verkehr aufladen, den wir doch nur der Not gehorchend, pflegen würden. Es genügt, wenn wir die Beziehungen zu dieser Margot lose aufrecht erhalten« – die verdutzten Gesichter, die alle machten, reizten sie – »so lose,« fuhr sie fort, »daß wir sie im Falle, daß Peter verschollen bleibt oder fällt, jederzeit, ohne ungezogen zu sein, abbrechen können.«

»Aber!« wehrten alle ab, weniger entsetzt darüber, daß dies junge Mädchen ihnen auf den Grund ihrer Herzen sah, als daß sie ohne Hemmung und Rücksicht aussprach, was sie dachte.

»Mama ist doch eine kluge Frau,« fuhr Margot fort, »aber glauben Sie, daß ihr jemals solche Gedanken kämen? Vielleicht ist es bei ihr auch Klugheit und sie will nicht sehen und belügt sich selbst. Möglich! Aber ich kann das nicht.« Der Landrat versuchte, dieser allen, außer Margot, peinlichen Szene ein Ende zu machen.

»Jedenfalls Jnädigste,« sagte er, »die Hauptsache is, daß Peter, wie Sie erfahren haben, lebt und bereits morjen Nacht in erreichbarer Nähe sein wird. Es sind vier Jahre vergangen, daß wir ihm nach Südwest unsern Heiratsplan und Ihre Bereitwilligkeit unter jenauer Klarlejung der Gründe . . .«

». . . und materiellen Verhältnisse,« ergänzte Margot.

». . . übermittelten.«

»Ich weiß! ich weiß!« erwiderte Margot, »und obgleich er damals noch unter dem Eindruck vom Tode seiner allerliebsten Aenne stand . . .«

»Aber, aber!« wehrten alle ab, und Zobel sagte:

»Wir wollen ihm diese kleine Verirrung doch nicht nachtragen.«

»Wieso Verirrung? Ich weiß nicht, ob Sie erfahren haben, daß ich bei ihr war. Ich wollte sie sehen.«

»Leider,« sagte Ilse.

»Ich fand sie reizend. Zwar etwas spießig und so gar nicht das, was ich mir immer unter einer Geliebten vorgestellt habe. So gar nicht – ja, wie soll ich nur sagen: nichts Leichtes, nichts Prickelndes, was man so mit Wohlbehagen wie einen schönen seidenen Stoff durch die Finger gleiten läßt; sie aber glitt nicht, hatte im Gegenteil etwas Starkes, Festes, Bestimmtes; mit einem Worte: sie roch förmlich nach Charakter. Ja, ich bitt’ Sie, so was nennt man doch nicht Geliebte! So was heiratet man, aber so was liebt man nicht.«

»Ja, wollen wir denn nicht lieber von den Lebenden sprechen?« sagte der Medizinalrat, und Zobel, der sich endlich sattgesehen hatte, flüsterte seiner Frau zu:

»Sie ist zwar reizend, aber sie ist furchtbar.«

»Katastrophal!« ergänzte der Landrat leise, während der Medizinalrat sagte:

»Ich finde sie gar nicht so übel.«

»Tuscheln Sie nicht!« rief Margot übermütig. »Ich weiß doch, es geht gegen mich.«

»Aber nein!« wehrten sie ab.

»Doch, doch, ich habe gute Ohren und weiß auch so, wie Sie über mich denken.« – Sie sah sich um: »Uebrigens, das merk’ ich erst jetzt, wo ist denn die Frau Geheimrat, meine präsumptive Schwiegermutt . . .«

». . . in Aussicht genommene,« verbesserte der Landrat.

»Wie? wie? Das ist doch dasselbe.«

»Nein,« widersprach der Landrat, »das heißt: ja. Natürlich ist es dasselbe! Eben darum soll man das Fremdwort vermeiden und den deutschen Ausdruck gebrauchen, der sich damit deckt.«

»Richtig, richtig,« erwiderte Margot, »Sie sind ja auch einer von den Sprachreinigungsfatzken! – Pardon! Verzeihung!« verbesserte sie schnell. »Das platzte mir so heraus. Das Wort stammt von Mama. Sie werden begreifen, was für ’ne Wut die auf diese Sprachfa . . .«– sie beherrschte sich, lächelte dem Landrat zu und sagte breit: »Reiniger hat.«

»Wieso Wut?« fragte der Landrat.

»Jahrelang quält sich Mama damit ab, die letzten Spuren ihrer Kinderstube zu verwischen. Am meisten Schwierigkeiten machte ihr die Erlernung der Fremdwörter. Kaum hat sie es mit Mühe dahin gebracht, sie einigermaßen richtig anzuwenden, da kommt der Krieg und mit ihm neben anderen sogenannten kulturellen Fortschritten als einer für den Sieg wichtigsten, dieser Sprachreinigungsfimmel! Na, ich kann Ihnen sagen, ich war mal in so einer Sitzung und hab’ mir die Brüder angesehen. Die sollten sich lieber ihre Haare und Zähne reinigen, ehe sie an die Reinigung unserer Sprache gehen. Jedenfalls: Mama hat sie im Magen, was man ihr schließlich auch nicht verdenken kann.«

»Wenn ich nicht irre,« lenkte Zobel ab, »so waren Sie so freundlich, nach Frau von Reinhart, meiner Schwiegermutter . . .«

». . . unserer Schwiegermutter,« verbesserte Margot schelmisch, und mit süßsaurem Gesicht beendete Zobel seinen Satz und sagte:

». . . zu fragen.«

»Gewiß,« erwiderte Margot »Mir wurde telephoniert, es sei Nachricht vom jungen Herrn da, er lebe, sei gesund und werde als Internierter morgen in der Schweiz anlangen. Frau Geheimrat von Reinhart habe den Wunsch, es mir persönlich mitzuteilen, und zwar noch heute abend. Ich war gerade beim Anziehen, da ich mit meiner Freundin für das Berliner Theater verabredet war. Aber, um nicht ungezogen zu sein, verzichtete ich auf die Premiere, die mir übrigens schon bis da hinaus stehn. Ich sage immer: Ein Publikum, das den Quatsch goutiert« – der Landrat verzog den Mund, hütete sich aber, zu verdeutschen – »sollte vom allgemeinen gleichen Wahlrecht ausgeschlossen werden.«

»Bravo!« rief der Landrat. »Das allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht ist überhaupt das blödeste . . .«

». . . ich bitt’ dich,« unterbrach ihn seine Frau, »du wirst doch hier nicht deine Propagandarede gegen das Wahlrecht halten wollen.«

»Du hast recht,« erwiderte er, »das jehört nicht hierher.«

»Na also, wo ist Mama?« fragte Margot und sah deutlich, wie alle, außer dem Medizinalrat, bei dem Worte in ihrem Munde zusammenzuckten.

»Leider«, erwiderte Ilse, »hat sie sich zurückziehen müssen. Die Freudennachricht, die sie völlig unerwartet traf, hat sie derart erregt, daß sie sich legen mußte.

»Sie hat uns aber warm ans Herz gelegt,« log Hilde, »Ihnen zu sagen, wie sehr sie es bedauere, daß sie Sie nicht sehen kann.«

Ilse ging darauf ein und sagte:

»Auch hat sie mehrmals nach Ihnen gefragt. Schade, daß Sie nicht früher gekommen sind.«

»Ich sagte Ihnen ja schon: ich war beim Anziehen. Und wenn es am Telephon auch hieß: er ist gesund, so dachte ich mir doch, wer weiß, vielleicht will man mir nicht die Wahrheit sagen. Und denken Sie, ich wäre« – und dabei fuhr sie mit der hübschen Hand über ihre Brüste – »bis dahin dekolletiert gekommen« – Ilse und Hilde fuhren zurück und schlossen die Augen – »nun ja, schön ist das nicht, aber so geht man doch jetzt, und schließlich, wenn es vielleicht auch nicht jedem steht, jedenfalls ich kann mich sehen lassen – also denken Sie, ich wäre in großer Abendtoilette gekommen und Sie hätten am Ende hier in Tränen aufgelöst gesessen. Wie peinlich wäre das für uns alle gewesen.«

»Nun, Sie können beruhigt sein,« erwiderte Zobel, »er lebt und ist wirklich gesund.«

»Um so besser,« erwiderte Margot. »Und wie denken Sie sich nun die weitere Entwicklung?«

»Das hängt zum großen Teil natürlich von Ihnen ab,« sagte Ilse.

»Von mir?«

»Nun ja. Vor allem müssen wir wissen, ob Sie auch heute noch wie vor vier Jahren entschlossen sind, Peters Frau zu werden.«

»Ja, warum denn nicht?« fragte Hilde, und Zobel wandte sich nicht gerade freundlich an seine Frau und sagte:

»Ich verstehe deine Frage gar nicht.«

Aber der Landrat mischte sich ein:

»Ich wüßte auch wirklich nich,« sagte er, »was sich inzwischen jeändert haben sollte.«