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Wie Satan starb

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»Die reinste Familienchronik!« sagte Frau Rosen, und der Landrat rief:

»Skandalös!«

Aber Frau Kommerzienrat Priester war anderer Ansicht.

»Warum soll man derartige, für unsere Familie wichtige Ereignisse nicht für die Ewigkeit festhalten?« fragte sie. »Oder ist es ’ne Schande, seiner Tochter eine Million Mitgift zu geben? Das kann jeder wissen. Unsere Urenkel werden noch ihre Freude dran haben. Ich wünschte, wir hätten von unseren Ahnen solche Ueberlieferungen.«

Inzwischen waren auch die beiden Töchter herbeigerufen und dem Baron, der bei dem Anblick zusammenzuckte, vorgestellt worden. Während die Mutter sie näher führte, an ihren Haaren nestelte, Kleider und Schleifen schnell noch in Ordnung brachte, sagte der Vater stolz auf seine Töchter weisend: »Wählen Sie!« – Der Baron klemmt das Monokel ein und inspiziert die beiden Mädchen. Er läßt sich die Hände zeigen, befühlt die Gelenke an Händen und Füßen und schüttelt unbefriedigt den Kopf.

»Der reinste Kuhhandel!« ruft empört Baron von Zobel.

»Wie kann man so etwas vorführen?«

»Beleidigen Sie mein Kind nicht!« erwiderte gekränkt Frau Kommerzienrat Priester.

Im selben Augenblick prangten auf der Leinwand die Worte:

»Wie adlige Herren im Jahre 1918 die Töchter reicher Bürger freiten.«

»Das hat seinen historischen Wert,« sagte Frau Kommerzienrat Priester. »Und schließlich: meine Töchter können sich sehen lassen.«

Inzwischen hatte der Kavalier auf der Leinwand, nach nochmaligem vergeblichem Versuch, unter Hinweis auf die Schönheitsfehler der Braut die Mitgift zu steigern, sich für eine der beiden Töchter entschieden. Die bisher rein geschäftlich geführten Verhandlungen schlossen mit einer allgemeinen Küsserei.—

Damit endete der erste Teil. Etwas Bedrückendes hatte sich auf alle Festteilnehmer gelegt. Sie fühlten unbewußt doch das Revolutionäre, das in diesem Film lag, der letzten Endes sie alle anging, und dachten: wenn das nur gut ausgeht. Aber über ihre Bedenken half schließlich der Champagner hinweg, mit dem sie sich alle den üblen Geschmack, den die Vorgänge auf der Leinwand erzeugten, herunterspülten.

Und dem Baron, hinter dem ein Kellner ständig in Bewegung mit einer Magnumflasche war, flimmerten die Bilder auf der Leinwand, als wenn der Film schon seit Jahren abgespielt wäre. Jetzt fiel ihm das volle Glas aus der Hand, und seine Braut sagte:

»Mach du doch auch einmal eine Pause,« worauf er sie mit verglasten Augen von der Seite ansah und sagte:

»Pause? – Jibt’s nich!« – Und dann rief er: »Sekt her! Und dann weiter im Text da vorn!«

Wie angepeitscht wünschte er, daß die Jagd nach ihm da vorn auf der Leinwand weiterginge. Er klatschte in die Hände und rief: »Vorwärts!«

»Aber es ist doch Pause!« suchte die Braut ihn zu beruhigen.

»Pause jibt’s nich!« wiederholte er laut.

Und als auf ein Zeichen Peters das kleine Orchester das Revolutionslied spielte, das kaum einer kannte und das in dieser peinvollen, mit Alkohol durchsetzten Stimmung doch allen ins Blut ging, da sprang er auf, warf das volle Glas, das der Kellner ihm eben reichte, wütend auf den Boden, rief:

»Dreck!« und sang mit belegter Stimme den veränderten Text:

 
»Sekt muß fließen
Knüppeldick!
Pereat
Die Bürgerrepublik!
Schmiert die durst’gen Kehlen
Ein mit Kaviar!
Rauben, saufen, stehlen
Ahnherrn Sitte war.
Steigt zu Bürgerfrauen
Ein ins warme Bett,
Gatten, dir miauen,
Spießt auf das Florett!
Schwingt euch in die Sättel
Früh beim Morgengrau!
Werft die alte Vettel
Vor die wilde Sau.
Spannt die Untertanen
Vor der Herren Pflug;
Sauft mit den Kumpanen
Aus in einem Zug!
Sauft und raubt und schändet,
Was der Riemen hält!
Uns hat Gott gesendet,
Uns gehört die Welt!
Sekt muß fließen
Knüppeldick!
Pereat
Die Bürgerrepublik!«
 

In lautem Chor sang die Gesellschaft den Refrain mit.

,,Zweiter Teil!« stand auf der Leinwand. Und als erstes Bild: ,,Der zärtliche Verlobte.« – Der Kavalier betritt den Salon, in dem die Braut mit Eltern, Schwester und Berta Linke sitzt. Die hübsche Berta erregt sofort sein Interesse. Als Champagner gereicht wird, trinkt er ihr zu. Berta schlägt verschämt die Augen nieder. Mehrmals wiederholt er, ohne

daß die anderen es merken, seine Annäherungsversuche. Berta bleibt kalt abweisend. Wenn die anderen trinken, führt sie nur das Glas an die Lippen. Der Kavalier macht die anderen darauf aufmerksam. Sie lachen Berta aus, trinken ihr auf seine Anregung hin der Reihe nach zu und nötigen sie so, mitzutrinken. Berta, die ihr Lebtag noch keinen Champagner getrunken hat, bekommt rote Wangen, wird gesprächig, trinkt jetzt, so oft der Kavalier sie anregt, und wird in die lustige Stimmung mit hineingerissen. Er steckt erst der Braut, dann ihr eine Rose an. Als der Kavalier ihr jetzt beim Zutrinken heimlich die Hand drückt, stellt sie das Glas hin, steht auf, wendet sich an die Mutter und sagt: »Sie gestatten, daß ich jetzt gehe. Mein Bruder erwartet mich unten und die Eltern ängstigen sich, wenn wir so spät nach Hause kommen.« – Auf Anregung des Kavaliers protestieren alle. Der Bruder wird heraufgeholt. Der schüchterne Franz Linke erscheint, wird aufgefordert, sich zu setzen und bekommt auf Anweisung des Kavaliers von einem Diener fortgesetzt eingeschenkt. Die Stimmung geht immer höher. Die Eltern ziehen sich zurück. Die Schwester der Braut setzt sich ans Klavier. Es wird getanzt. Der Kavalier bevorzugt Berta, die unter dem Einfluß des Champagners sich jetzt völlig ungezwungen und fröhlich gibt. Mit Ausnahme des Kavaliers, der immer weiter anregt, stoßen sie fortgesetzt miteinander an. Die Schwester am Klavier schläft ein. Der Diener geleitet sie hinaus. Linke nimmt ihren Platz am Klavier ein. Auch die Braut vermag sich nicht mehr auf den Beinen zu halten und schleppt sich mühsam aus dem Zimmer. Linke spielt und trinkt, der Kavalier und Berta tanzen. Auch Linke ist bezecht. Er schlägt auf das Klavier und klebt, ohne sich umzusehen, förmlich an den Tasten. Der Kavalier wird immer aggressiver. Das volle Sektglas in der Hand, schmiegt er sich tanzend eng an Bertas Körper, die, halb abwehrend, halb verlangend, sich nach hinten beugt und, während sie im langsamen Walzerschritt dahingleiten, tropfenweise von ihm den Sekt eingeflößt bekommt.

»Tanzen!« schreit plötzlich laut der Baron im Saal, reißt seine Braut in die Höhe und tanzt mit ihr, genau wie der da oben, das Sektglas in der Hand, vor der Leinwand nach den Klängen des Straußschen Walzers, den das kleine Orchester spielt. Das Paar reißt andere mit sich. Und bald ist die halbe Hochzeitsgesellschaft auf den Beinen. – Eine Weile geht das so. Aber bald erweisen sich die Vorgänge auf der Leinwand als stärker. Erst stutzt ein Paar, hält inne und starrt auf das Bild da oben. Es folgt ein zweites. Und bald steht Paar neben Paar mit weit aufgerissenen Augen und rührt keinen Fuß mehr. – Der Kavalier auf der Leinwand hält Berta jetzt fest umschlungen. Ihre Arme hängen wie leblos herab, sie hat die Augen geschlossen, sein Mund ist fest auf ihren gepreßt. Sie bewegt wohl die Füße, aber sie ist sich nicht mehr bewußt, was sie tut. Immer mehr verschwindet alles Trennende, immer deutlicher verwachsen die beiden Körper zu einem. Linke, den Kopf weit übergebeugt, rast auf dem Klavier. Da reißt der Kavalier mit starkem Griff die Bewußtlose in die Höhe und trägt sie in seinen Armen hinaus. Die Rose, die Berta trug, ist dabei entblättert zur Erde gefallen. Der Raum ist leer. Nur Linke schlägt noch immer wie rasend auf die Tasten. – Sein Fortissimo hat die höchste Höhe erreicht; es schwellt ab; endet. – Ein paar Augenblicke lang sitzt Linke noch regungslos vor dem Klavier. Dann wendet er sich um. Und starr sieht er, daß der Raum leer ist. Angst steigt in ihm auf. Er richtet sich langsam hoch. Ein gräßlicher Gedanke kommt ihm. Er stürzt zu der Tür, durch die der Kavalier seine Schwester trug; er stutzt, drückt dann die Klinke herunter – die Tür ist verschlossen. Da wankt er entsetzt ein paar Schritte zurück. An die Wand gelehnt, fällt sein Auge auf die entblätterte Rose. Er geht auf sie zu, beugt sich herab, hebt ein paar Blätter auf – Tränen steigen ihm in die Augen – und führt sie an die Lippen. Dann stürzt er, die Blätter in der Hand, aus dem Zimmer.

Nach diesem Bild sprach niemand ein Wort. Die Herren nahmen die Damen leise bei den Händen und führten sie an ihre Plätze zurück. Nur der Baron stand unbeweglich, holte ein paar Male tief Atem und sagte:

»Hier ist es schwül. Sorgt doch für Luft.«

Peter und Margot, die seitwärts von ihm standen, ließen ihn nicht aus den Augen. – Wie ein Gefangener stand er jetzt da; allein zwischen der grauen Leinwand und der geschmückten Tafel.

»Licht!« sagte er stöhnend. »Macht endlich Licht!«

Aber schon drohten auf der Leinwand die Worte: »Die verlorene Tochter!« – Aengstlich aneinandergeschmiegt, Hand in Hand, saßen, halb schon entkleidet, die alten Linkes und warteten auf die Rückkehr ihrer Kinder. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu. »Sie sind ja zu zweit,« sagte der Alte, »da wird ihnen schon nichts passieren.« – Hin und wieder, wenn die Haustür ging, horchten sie auf. Dann wich für Augenblicke die Angst in ihren Gesichtern. Immer wieder war es eine Enttäuschung. Dabei wollte die Lampe, obschon sie doch voller Petroleum war, nicht brennen. Alle paar Minuten mußte die Alte den Docht hochziehen; und dann schüttelte der Alte regelmäßig den Kopf und sagte: »Sonderbar!« – Wieder horchten sie auf. Die Haustür ging. Das Geräusch auf der Treppe kam näher. Sie setzten sich auf und drückten sich jetzt die Hände. Wenn sie es doch wären! dachten sie und hielten den Atem an. Jetzt war es ganz nahe, fast an ihrer Tür – das Schloß ging! Sie sahen sich an, atmeten auf und sagten wie aus einem Munde: »Gott sei Dank!« – Die Tür ging auf und der Sohn – der Sohn allein, ohne die Tochter! – stürzte ins Zimmer. – Er fiel vor ihnen auf die Knie. Die beiden Alten, noch immer Hand in Hand, bleich wie der Tod, richteten sich auf. Keiner wagte die Frage: So standen sie minutenlang, während der Sohn zu ihren Füßen lag und schluchzte.

 

Auch von den Gästen schluchzten viele.

»Es lebt! Alles was ihr seht, lebt!« rief Margot mit ihrer weichen Stimme. »Nicht einmal lebt es! tausendmal! Es sind Menschen, wie ihr, die Armen. Habt Mitleid! Fühlt mit ihnen!«

Und die Gäste widersetzten sich nicht, gaben sich unbeherrscht, vergaßen, wo sie waren, fühlten als Menschen und fühlten mit. —

Wieder lag vor ihnen der leere Salon. So, wie der junge Linke ihn verlassen hatte. Nur die Lichter waren fast abgebrannt. Die Tür, durch die Linke hinausgestürzt war, stand weit offen. Nichts rührte sich.

Das Orchester im Saal verstummte, und das Schluchzen der Gäste klang wie eine Symphonie, die die Stimmung des Bildes und die Herzen der Hörer traf.

Die Tür, durch die der Kavalier seine Beute gerettet hatte, glitt leise, als rührte der Schmerz an ihr, ins Zimmer. Bertas weißer Schatten trat hervor und schleppte sich zum Ausgang. Und ihre Qual bewegte sich von der Leinwand fort, kroch die Wände empor, legte sich auf den Saal, schlich in die Herzen ein.

Eines Menschen Leid einte alle. —

Doch die Tragödie nahm ihren Fortgang. Während die alten Linkes, unter dem Verlust der Tochter zusammengebrochen, längst auf alles Verzicht geleistet haben und als Erlösung nur noch den Tod erwarten, trägt sich der Bruder Tag und Nacht mit dem Gedanken, die Schwester zu rächen. Seinen aufgeregten Reden begegnen die Eltern mit Ruhe und suchen den Sohn von seinen Plänen abzubringen. Aber immer bestimmter setzt sich in ihm der Gedanke fest, bis er eines Abends nach schwerem innerem Kampf und immer wieder aus Rücksicht auf die alten, nebenan schlummernden Eltern zurückgehalten, sich entschließt, die Tat auszuführen. Er steckt den Browning zu sich, schlägt den Kragen hoch, setzt den Hut auf und stürzt, nach einer letzten Hemmung vor der Tür der Eltern, aus dem Zimmer.

Geistesgestört geht indes Berta, ihr neugeborenes Kind auf dem Arm, des Nachts durch die Straßen. Das Glück der Mutter steht in ihren Zügen. Ohne auf die Menschen, die sie erstaunt ansehen, zu achten, geht sie stolz, das Kind an die Brust gepreßt, einem bestimmten Ziele zu.

Inzwischen schwelgt der Kavalier, die entblößte Pia Peu in den Armen, an vollbesetzter Tafel. Ein Zigeuner im roten Frack steht dicht neben ihm und streicht ihm auf einer alten Violine die süßesten Liebesmelodien ins Ohr. Plötzlich öffnet sich die Tür. Niemand hat an der Klinke gerührt. Auf der Schwelle erscheint im langen weißen Gewand die geistesgestörte Mutter, das Kind im Arm. Pia Peu fährt erschrocken auf, dem Zigeuner entgleitet der Bogen – die Mutter tritt nahe an den Tisch heran und reicht mit süßem Lächeln dem Kavalier das Kind. – Der Kavalier stutzt. Einen Augenblick lang scheint es, als wolle er sich des Kindes und der Mutter annehmen. Aber schon hält er wie zur Abwehr die Hände hoch und weist die zärtlich flehende Mutter kalt und bestimmt zurück. Entsetzt, als könne sie es nicht glauben, steht sie und starrt ihn an. Da fährt er auf und weist ihr die Tür. Drohend erhebt er die Hand. Die verängstigte Mutter breitet schirmend die schmalen, weißen Hände über ihr Kind; wieder öffnet die Tür von selbst, und sie gleitet, geräuschlos, wie sie kam hinaus. Kaum ist sie draußen, da zieht der Kavalier seine Mätresse wieder auf seinen Schoß und treibt den Zigeuner zu wildem Spiele an.

Der junge Linke, den Kragen hoch, die Hand in der Tasche, die den Browning birgt, schleicht behutsam die Treppe zur Wohnung des Kavaliers hinauf. Die geistesgestörte Schwester schwebt mit dem Kinde dieselben Stiegen hinunter. Man hört sie nicht, denn sie setzt die Füße kaum. Aber ihr Schatten fällt auf die Stufen, die vor dem jungen Linke liegen. Er bleibt erschrocken stehen, starrt auf den Schatten zieht den Browning heraus. Da steht die Schwester schon vor ihm. Sie hat die Waffe bemerkt und sieht ihn forschend mit großen Augen an. Langsam bewegt sie den Kopf; einmal und noch einmal. Der junge Linke läßt die Waffe aus den Händen gleiten. Sie lächelt, beugt sich zu ihm herab und legt ihm das Kind in den Arm. Dann verschwindet sie. – Der junge Linke, in dessen Zügen kein Haß mehr steht, eilt beglückt mit dem Kinde zu den Eltern. Er erzählt ihnen von seiner wundersamen Begegnung. Erstaunt und halb ungläubig hören die es mit an. Die Mutter nimmt ihm das Kind ab, küßt es und sagt zu dem Alten: »Mag es ihr Kind sein oder ein fremdes, wir wollen es lieb haben, denn es ist ein Mensch wie wir.«

Die geisteskranke Mutter irrt, ihr Kind suchend, durch die Straßen. Der frühere strahlende Glanz ist dem entsetzten Wahn der Verfolgung gewichen. Die Reichen weichen ihr aus; die Armen wollen ihr helfen. Aber scheu und verängstigt flüchtet sie vor den Menschen, bis ihr unter einer Laterne der Satan in Menschengestalt, in offenem Pelz und Frack, mit den Zügen des Kavaliers, in den Weg tritt. Sie wirft sich ihm zu Füßen, umklammert seine Knie, ringt verzweifelt die Hände und bettelt: »Mein Kind! Wo ist mein Kind?« – Der Satan grient höhnisch und lockt sie mit sich. Sie folgt ihm durch die Nacht, durch dunkle Straßen und Plätze. —

Die Bilder folgen einander jetzt in so rasendem Tempo, daß der schnelle Wechsel allen den Atem benimmt. Eben noch emporgerissen zu hellem Aufruhr, treibt ihnen gleich darauf das Mitleid die Tränen in die Augen. —

Schließlich lockt der Satanskavalier die arme Mutter in ihren Todesängsten vor eine Lasterhöhle. Er weist auf das Haus. Hinter den rot erleuchteten Fenstern zeigen sich geschminkte Weiber mit offenen Brüsten; daneben Männer mit geilen Augen und zerzaustem Haar. Voller Entsetzen wendet die Mutter sich ab. Die Weiber an den Fenstern grienen und locken. Noch einmal wirft sie sich vor dem Satanskavalier auf die Knie und bettelt. Aber höhnisch erwidert er: »Diene mir und ich schaff’ dir dein Kind zurück!« – Er geht voraus und öffnet das Gittertor, dabei streckt er ihr fortgesetzt die Hand hin. Auf den Knien rutschend folgt sie ihm. Kurz vor dem Tor bricht sie, den Kopf nach vorn über, zusammen. Der Satanskavalier tritt ins Tor und will sie liegen lassen. Da streckt sie mit letzter Kraft den Arm nach ihm aus, und er zieht sie triumphierend in das Haus hinein. Mit mächtigem Schlag fliegt hinter ihnen das eiserne Tor ins Schloß.

Die Gäste schütteln sich und rücken zusammen. Hier und da greift einer, als suche er Hilfe, nach der Hand des andern.

»Das Herz des Kindes, das die Mutter sucht.« – Elend, mager und bleich liegt das Kind in seinem Bettchen ohne Schlaf zu finden. Es richtet sich auf. Dicke Tränen stehen ihm in den Augen. Es steigt aus dem Bett und läuft mit nackten Füßen ans Fenster, öffnet es, steigt auf die Brüstung, stützt den Kopf in die Hände und träumt, während ihm die Tränen über die Wangen fließen, in die Nacht hinaus. – Die alten Linken, die nebenan von dem Geräusch erwacht sind, sind im Nachtgewand leise in die Tür getreten. Voller Mitleid ruhen ihre Augen auf dem Kinde, dem sie sich aus Furcht, es könne vor Schreck herunterstürzen, nicht zu nähern wagen.

Die armselige Lasterstube der Mutter. Aufgewühltes Bett. Händeringend steht sie im Zimmer. Sie beschließt, zu fliehen, und will, wie sie geht und steht, zur Tür hinaus. Im selben Augenblick erscheint auf der Diele der Satan, der sie höhnisch grinsend mit der Peitsche ins Zimmer zurücktreibt. Sie sinkt zu Boden. Als der Satanskavalier verschwunden ist, hebt sie den Kopf vom Boden auf. Der Mond scheint ihr hell ins Gesicht. Sie richtet sich auf; folgt dem Schein, öffnet das vergitterte Fenster und träumt in die Nacht hinaus.

Tief in der Nacht steigt in weiter Ferne das Fenster mit dem Kinde auf. Einander unerreichbar strecken sich zwei zarte Kinderarme den ausgebreiteten Armen einer unglücklichen Mutter entgegen. Aber das kalte Herz der Welt bleibt ungerührt.

Da wandelt die Liebe in Gestalt des schlichten Menschen, den Margot verkörpert, durch die Straßen. Wo sie sich zeigt, schlägt das Herz der Welt wieder. Der Reiche teilt mit dem Armen, dem Hoffnungslosen kehrt das Vertrauen wieder, im Streit gegeneinander erhobene Fäuste öffnen sich, Feinde erkennen sich als Menschenbrüder und sinken sich in die Arme. Auch bei der Lasterhöhle zieht die Liebe vorüber. Sie fühlt die Leiden der Mutter, bleibt unter ihrem Fenster stehen, hebt die Arme und fängt in die geöffneten Hände die Tränen der Mutter ein.

Das Kind sitzt noch immer träumend am Fenster. Als die Liebe kommt, schlägt es die Augen auf, beugt sich weit nach vorn über, streckt die mageren Hände aus und gleitet in die ausgebreiteten Hände der Liebe. In schneller Fahrt geht’s durch die dunklen Straßen, barfuß und im Hemdchen, zur Mutter. Ueberall, wo sie vorübereilen, fühlen die Menschen ein wohliges Behagen, werden harte Mienen weich, glätten sich zorndurchfurchte Stirnen, blicken strenge Augen milde. – Vor der Tür des Lasterhauses empfängt sie Satan. Als er sie von weitem kommen sieht, hebt er zur Abwehr die Peitsche. Aber das Kind gleitet auf den Armen der Liebe, die in seiner Nähe bleibt, und eilt furchtlos auf den Satan zu:

»Gelt, du tust mir nichts?« fragt es arglos. »Ich suche meine Mutter!«

Das Kind greift zärtlich nach seiner Hand und streichelt sie. Satan läßt die Peitsche fallen. Das Kind klettert an ihm empor, fährt ihm mit den kleinen, weichen Händen durchs Haar, küßt ihn auf die Stirn, faltet die Hände und sagt:

»Bitte! bitte! Sei gut und bringe mich zu meiner Mutter!«

Satans Züge werden weich. Er lächelt, legt sich das Kind vorsichtig, um ihm nicht weh zu tun, in den Arm, eilt mit ihm in das Haus und bringt es der Mutter.

Selig empfängt sie das Kind aus seinem Arm. »Darf ich?« fragt ihr Blick zur Tür gewandt. Satan nickt. Aber als sie hinaus will, tritt er ihr noch einmal in den Weg. Nicht als Feind. Als Besiegter! Er selbst drückt ihr die Waffe in die Hand und bittet sie, ihn zu richten. Die Mutter hat die Waffe schon erhoben, da sieht sie das Kind an, hält es mit beiden Armen hoch und sagt: »Dein Kind soll richten!«

Das Kind nimmt die Waffe, die sich in seinen Händen in eine Lilie wandelt und reicht sie dem Kavalier, von dem alles Satanische abgefallen ist. Dann nimmt es ihn bei der Hand und führt ihn zur Mutter. Die lächelt ihm gütig und verzeihend zu, und er sinkt vor ihr, die das Kind wieder in den Armen hält, in die Knie. – —

Nicht alle sahen jetzt, daß die Leinwand verschwunden war und daß auf dem Podium wirklich Berta, die Mutter, mit ihrem Kinde saß.

Erst als der Baron im Saal aufschrie und aufschluchzte wie ein Kind, sich auf das Podium stürzte, vor Berta niederfiel und bat:

»Richte mich!« und als sich dann der Mutter weiße Hand auf seinen Kopf legte, und Berta ihn fragte:

»Hast du das Herz der Menschen erkannt? Hat die Liebe dich gewandelt?« und er aus vollem Herzen erwiderte:

»Ja! Ich will nichts anderes mehr als Mensch sein und dir und dem Kinde zu Liebe leben.«

Da ging es wie eine heiße Welle durch alle und in ihren Herzen erwachte die Liebe.

Margot, die Hand in Hand mit Peter stand, lächelte beseligt, und ihre Stimme klang wie die eines Kindes, als sie sagte:

»Angesichts der großen Liebe des Vaters, der Mutter und des Sohnes, die von dieser Welt sind, wollen wir uns geloben, gut zu sein.« —

Und diese kleine Gemeinde wuchs und verbreitete sich über die Erde.