Za darmo

Wie Satan starb

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Zweiter Teil

XVII

Der tiefe Eindruck, den das Leid Deutschlands auf Peter machte, verdrängte zunächst jedes andre Gefühl. Wenn er Aenne und Margot auch nicht vergessen hatte, so tauchten sie doch in dem Riesenmeer des Jammers mit unter, in dem sie mit Millionen andern litten.

Peter stand verzweifelt und entsetzt vor diesem ruchlosesten aller Verbrechen. Noch hielten Haß und Mitleid sich die Wage. Zu Tausenden sah er abgehärmte Mütter mit sterbenden Säuglingen an den hängenden Brüsten. Er sah die Kinder zu Skeletten abgemagert mit tiefliegenden Augen verängstigt in den Fluren der Häuser zusammenhocken, sah Greise und Mädchen auf der Straße zusammenbrechen, und Pferde, auf deren Rippen kein Zentimeter Fleisch mehr lag, ohne daß ein Mensch sich auch nur umsah, auf dem Fahrdamm verrecken. Ein Volk von siebzig Millionen völkerrechtswidrig in den Hungerturm gesperrt! Und keine Stimme des Mitleids erhob sich für diese hingemarterte Menschheit, kein Wort des Vorwurfs gegen die ruchlosen Mörder. Peter begriff nicht. Im Namen des Rechts, der Freiheit und Menschlichkeit, die von den tiefen Klubsesseln der Regierenden aus pathetisch verkündet wurden, riß man immer neue Millionen Männer, Söhne und Väter von ihren Müttern, Frauen und Kindern fort und schleppte sie auf die Schlachtbank, lieferte man ebenso viele Millionen wehrloser Mütter, Frauen und Kinder dem Hunger aus. Alles das hüllte man in den Mantel christlicher Liebe, sprach angesichts Millionen Hungernder, Verkrüppelter, Sterbender und Toter von der sichtbaren Hilfe Gottes und faßte den ganzen Wahnsinn in die drei Worte: »hohe patriotische Pflicht« zusammen.

Peter sah in alledem nur eine Kette ruchloser Verbrechen. Die Zahl derer, die die Schuld traf, konnte man an den Händen abzählen. Jeder kannte sie. Aber die Hand keiner trauernden Mutter oder Frau erhob sich, um Rechenschaft zu fordern. Das Volk schlief. Ihre Vertreter redeten etwas linkser und fühlten sich als Freiheitshelden. Nach wie vor thronten, schweifumwedelt von gehirnschwachen Affen, die Schuldigen an aller Welt sichtbarer Stelle, liefen die arroganten Maulhelden titel- und ordenbeladen umher und belachten spöttisch ihre Opfer, die sich dank ihrer Verbrechen zu keiner befreienden Tat mehr aufzuraffen vermochten.

Eines Nachts lag Peter im Halbtraum. Sekundenweis wechselten Wachsein und Schlaf. Er selbst unterschied nicht mehr, was er sah und träumte. Er fühlte, daß sein Kopf brannte und Angst ihm die Kehle schnürte. – Er mühte sich auf. Aber schon drückte ihn eine Last zentnerschwer wieder in die Kisten. Er schrie laut auf. Irgendwer packte ihn. Er fühlte, wie zwei mächtige Pranken ihm in den Hals schlugen. Zwischen Wand und Bett stand eine hohe Gestalt. Drohend waren zwei Augen auf ihn gerichtet. – »Venére!« drängte es sich ihm in die Kehle. »Bist du es, Venére?« – Immer furchtbarer drängten die Augen. Und neben der hohen Gestalt, klein, unansehnlich, fast beschämt erschien Venére, den Ochsenziemer in der Hand. Demütig und voll Verehrung sah er zu dem Großen auf. Aber der, den Blick auf Peter gerichtet, beachtete ihn nicht. Da sank Venére in die Knie, faltete die Hände, schlug demütig den Blick zu ihm empor und rief ihn an:

»Meister!«

Verächtlich wandte der Große den Kopf. Er hob den Absatz seines Fußes gegen Venére. Der schrie laut auf und stürzte zu Boden.

»Stümper!« fletschte der Große durch die Zähne.

Peter saß schweißgebadet in seinem Bett. Die Gestalt wuchs zur Decke empor und breitete sich über die Wand aus. Jetzt sah er sie deutlich. Das Gesicht umschattete ein mittellanger, graumelierter Bart, er trug eine blaue Mütze und einen Marinerock mit goldenen Knöpfen. Er streckte den Arm weit aus, öffnete die Hand, griff in die Luft – und ameisengleich ergoß sich auf die Fläche seiner Hand ein Schwarm kräftiger, junger Männer, die geschäftig hin- und herfluteten, sich abrackerten, umfielen, sich wieder aufmühten, vorwärts drängten und in die Kreuz und Quere liefen. Der Lange folgte aufmerksam eine Zeitlang, grinste, schloß fest die Hand und ballte die Faust. Es gab ein knackendes Geräusch. Dann öffnete er die Hand wieder und aus ihr fielen, zu einem blutigen Brei vermengt, halbtot und tot unzählige der eben noch kräftigen und geschäftigen Menschen. – Peter schüttelte sich vor Entsetzen. Der Große aber lachte befriedigt und wiederholte das Spiel einmal und noch einmal, bis Peter die Besinnung verlor und in die Kissen zurücksank. Er lag lange bewußtlos und sah nicht mehr – daß das Spiel weiterging.

Als Peter wieder Herr seiner Sinne war, wußte er zunächst nicht, wo er sich befand. Er suchte sich darüber klar zu werden, ob er geträumt hatte. Aber er entsann sich deutlich, daß er infolge irgendeines Geräusches erwacht war, sich aufgerichtet und an der Wand den Schatten eines Mannes gesehen hatte, der ihm von Bildern her genau bekannt war. Peter machte nicht den Versuch, verstandesgemäß den Vorfall zu deuten. Seine ersten Eindrücke in der Heimat waren so gewaltig, daß er gar nicht die Ruhe fand, sie geistig zu erfassen und zu verarbeiten. Bei allem, was er sah und hörte, drängte sich ihm immer wieder die Frage auf: Wie konnten diese Menschen sich so weit versklaven lassen? Aber die Gegenfrage: Was sollten sie tun?, die er sich gleich darauf stellte, gab nur zu beredte Antwort. – Und er meinte, alle Welt müsse, wie er, nur von dem einen Gefühl beherrscht sein: Die Schuldigen zu suchen und zu bestrafen. Und dies Gefühl beherrschte ihn derart, daß es ihm, ohne daß sein Verstand auch nur das Mindeste dazu tat, Gesichte aufdrängte, sie Gestalt annehmen und agieren ließ, mit denen er sich niemals auch nur in Gedanken beschäftigt hatte.

An eine göttliche Eingebung glaubte Peter nicht. Es geht alles auf natürlichstem Wege zu, sagte er sich. Das Unnatürliche ist nur, daß wir Menschen noch immer so rückständig sind und uns nichts erklären können. Das liegt daran, daß wir nur Verstandesarbeit treiben, statt unser Gefühl zu pflegen, das uns ermöglichen würde, Dinge zu deuten, die wir als Verstandesmenschen als übersinnliche betrachten. Verschärfter Verstand – verflachtes Gefühl! Und als Ausgleich zwischen beiden der Glaube, eine Krücke, an die sich die Menschheit so gewöhnt hatte, daß sie gar keinen Versuch mehr machte, selbständig zu gehen. Vor allem die an verantwortlicher Stelle Thronenden stützen sich gern auf sie. Es war ja auch so bequem, in dem Glauben zu leben, statt den Menschen – Gott verantwortlich zu sein. Mit dem lieben Gott wurden sie in ihrem stillen Kämmerlein schon fertig. Denn ob er ihnen vergab, entschieden letzten Endes ja doch sie selbst. Und so nur war es denkbar, daß die Welt in sittlicher Entrüstung einem gefallenen Mädchen mehr nachtrauerte als einem Dutzend gefallener Soldaten. Dabei konnte ein Mädchen so glücklich fallen, daß es von seinem Fall ein lebenslängliches Glück davontrug, während es für den armen Soldaten nur den Weg der Verwesung gab.

Aber an eine göttliche Sendung wie in den Fieberdelirien der ersten Zeit glaubte Peter nicht mehr. Mit Ausnahme von Rückfällen, die immer seltener wurden, sah er nüchtern und scharf die Dinge so, wie sie waren. Kein Wunder, daß neben dem Jammer, der sich ihm nun erschloß, das Bild Venéres und der Kameraden da unten stark verblaßte. Zumal die Schuldigen nicht nur bekannt und noch immer in Freiheit waren, sondern in ihrem verbrecherischen Uebermut so weit gingen, daß sie auch jetzt noch, wo sie ihrer Verbrechen überführt waren, schamlos deren Fortführung betrieben.

Lux, der kurz vor Peter repatriiert worden war und ihn gleich am Morgen nach der Ankunft aufsuchte, fand ihn noch im Bett liegend vor. Frau Julie, die ihn zunächst empfing, sprach ihm von der erkennbaren Besserung in Peters Befinden, war aber in Sorge, daß die noch immer krankhaft gesteigerte Sensibilität ihn zu unüberlegten Schritten treiben könne, und bat daher Lux, sich von Peter in keine Gespräche ziehen zu lassen, die seine Erregtheit steigern konnten.

Lux versprach es. Aber er kannte sich und Peter, und wußte, daß er der Schwächere war.

»Dann ist es am Ende besser,« sagte er, »ich gehe erst gar nicht zu ihm hinein. Ich fühle mich ihm unterlegen: Er hat eine Art, mich zu überzeugen, die es mir unmöglich macht, unehrlich gegen ihn zu sein.«

Aber Frau Julie redete ihm zu.

»Aus Peter spricht eben das Herz; daher die Wirkung. Es ist nicht Dialektik, durch die er zu überzeugen sucht. – Gehen Sie nur zu ihm. Er erwartet Sie.«

Peter saß im Bett und schrieb auf einem Foliobogen mit erregten Händen; er sah Lux gar nicht, der, nachdem er angeklopft hatte, ins Zimmer trat. Nach einer Weile sagte Lux:

»Guten Morgen, Peter!«

Peter sah auf und erwiderte:

»Hallo, Lux! Gut, daß du kommst. Ich stehe sofort auf. Du mußt mit mir zu Aennes Vater. – Mir steckt noch die Reise in den Gliedern. Aber jetzt heißt es: keine Zeit verlieren.« – Und er wies auf die Bogen vor ihm, die er hastig zusammenpackte.

»Was schreibst du da?«

»Ja, was glaubst denn du, daß mit den Schuldigen werden soll? Oder hast du darüber etwa noch gar nicht nachgedacht?«

»Mit was für Schuldigen?« fragte Lux.

»Die ein argloses Volk, das keinen anderen Wunsch hatte, als friedlich seiner Arbeit nachzugehen, bewußt in den Krieg getrieben, die leidenschaftlich und gehässig alles, was für den Frieden war, bekämpft und ohne jedes Gefühl für die leidende Menschheit aus Herrsch- und Gewinnsucht die Verlängerung des Krieges selbst dann noch betrieben haben, als sie ihn verloren wußten.«

»Auch meinem Gefühl als Offizier entspricht es,« sagte Lux, »daß man die Schuldigen zur Rechenschaft zieht.«

»Wie hast denn du deinen Beruf aufgefaßt?« fragte Peter. »Habt ihr nicht alle den Krieg herbeigesehnt? Habt ihr für euch nicht einen besonderen Ehrbegriff konstruiert und euch für Wesen höherer Art gehalten?«

Lux widersprach lebhaft.

 

»Ich und die Mehrzahl meiner Kameraden haben unseren Beruf als das aufgefaßt, als was allein er Berechtigung hat, wir haben uns als die zunächst berufenen Verteidiger der Ehre unseres Vaterlandes gehalten.«

»Gut! gut!« erwiderte Peter lebhaft. »Aber dieser Krieg hat alle Begriffe auf den Kopf gestellt. Das Heer hat lediglich einen Sinn als Schutz des Volkes. In diesem Kriege aber war das Heer mehr als Selbstzweck. Das Volk, das es schützen sollte, wurde ihm geopfert: Ist das nicht Wahnsinn?«

»Finde dich damit ab,« suchte ihn Lux zu beruhigen. »Wir alle müssen es. Jetzt heißt es, Kräfte sparen für den Wiederaufbau.«

»Und die Schuldigen?«

»Soll man der Strafe zuführen.«

»Was für einer?« fragte Peter.

»Das zu entscheiden würde Sache der Gerichte sein.«

»Ist deines Erachtens die Schuld von Leuten, die Millionen Menschen auf dem Gewissen haben, etwa damit gesühnt, daß man sie zum Tode verurteilt und füsiliert?«

»Was sollte man sonst tun?«

»Ich will es dir sagen!« erwiderte Peter. »Alldeutsche Sühnelager müßten errichtet werden.«

»Und was sollte da geschehen?« fragte Lux.

»Alle, von der höchsten Kommandostelle angefangen bis herunter zum geringsten Tagesjournalisten und Kriegsromancier, alle Schwerindustriellen, die zum Kriege getrieben, Riesengewinne eingestrichen, die den Krieg verherrlicht, Friedensbestrebungen bekämpft und für die Verlängerung des Krieges eingetreten sind, müßten da untergebracht und genau wie jeder Rekrut mit allen Schikanen solange gedrillt werden, bis ihre Ausbildung fertig ist. Dann müßten sie das Leben im vordersten Schützengraben mit allen Entbehrungen, Anstrengungen und Gefahren, je nach der Schwere der Schuld, vorübergehend, jahrelang oder lebenslänglich durchmachen. Die Industrie, die so erfinderisch in der Herstellung der qualvollsten Gifte und Mordinstrumente war, wird mühelos Mittel erfinden, die, ohne zu töten, in der schmerzhaften Wirkung den Kriegsverletzungen gleichkommen. Am eignen Körper sollten alle, die in irgendeiner Form das größte aller Verbrechen vorbereiteten, begingen, duldeten, priesen und seine Fortsetzung forderten und befahlen, seine unmittelbare Wirkung am eignen Leibe kennen lernen. Das allein wäre eine Sühne für die Millionen hingemordeter, verkommener und verhungerter Menschen.

Lux suchte Peter zu beschwichtigen. Nicht, indem er ihn widerlegte. Er dachte wohl daran, einzuwenden, daß die Motive in vielen Fällen die Schuld wohl milderten, aber er vermied alles, was Peter zum Widerspruch reizen und erregen konnte.

Peter entwickelte, während er aufstand und sich anzog, den Plan bis in alle Details. Schließlich sagte er:

»Und ich – ich komme auch hinein.«

»Du?« fragte Lux erstaunt. »Ja, du hast doch dein Lebtag nie diesen ekelhaften, geistlosen Betrieb der Alldeutschen mitgemacht?«

»Gewiß nicht,« erwiderte Peter. »Meine Schuld ist im Motiv eine andre und hat mit Politik und Vaterland nichts zu tun. Aber dem Geiste nach ist sie ihr doch verwandt. Denn letzten Endes läßt sich das alles ja doch auf denselben Ursprung, und zwar auf Ueberhebung und Gewinnsucht, zurückführen. Und ob das nun wie in meinem Fall, rein sozial oder politisch gefärbt ist, ändert weder etwas daran, noch mildert es.«

»Ich finde, wenn irgendwer sich keine Vorwürfe zu machen braucht, dann bist du es. Dein soziales Gewissen war immer entwickelter als das irgendeines deiner Freunde und Verwandten.«

»Weil die überhaupt keines haben!« erwiderte Peter. »Es nur vortäuschen, und zwar immer so weit, als es ihnen die eigne Sicherheit ratsam erscheinen läßt.«

»Möglich,« erwiderte Lux. »Aber das liegt in der Natur der Sache. Ich kann dir unzählige Beispiele dafür nennen, daß kleine Leute im selben Augenblick, in dem sie zu Vermögen kamen, ihre soziale Gesinnung ablegten und sich in typische Bourgeois verwandelten. In vielen Fällen ist es weniger die Gesinnung als der Neid, der die Reihen der Sozialisten füllt. Sie alle würden ein bequemes Bourgeoisleben einer Verwirklichung ihrer politischen und sozialen Ideale vorziehen. Man tut wohl vielen, aber nicht allen unrecht, wenn man als aufrichtig und überzeugt nur die gelten läßt, die freiwillig auf ein Leben als Bourgeois Verzicht leisten, um sich der sozialistischen Bewegung anzuschließen.«

»Soziales Gewissen und sozialistische Weltanschauung sind zwei Dinge, die wenig miteinander zu tun haben,« erwiderte Peter. »Es sei denn, daß ein Sozialdemokrat ohne soziales Gewissen – eben kein Sozialdemokrat ist.«

»Und deren gibt es Millionen,« sagte Lux.

»Wie kommt es,« fragte Peter, »daß du dich plötzlich für derartige Probleme erwärmst?«

Lux wurde rot. Peter, der es sah, klopfte ihm auf die Schulter und lachte.

»Ich will es dir sagen, Lux. Du liebst eine Sozialistin.«

»Ja,« erwiderte er treuherzig. »Aber ich bitte dich, Peter, frage nicht weiter.«

»Setzt du so wenig Verständnis dafür bei mir voraus? Oder fürchtest du meine Indiskretion?«

»Weder – noch,« erwiderte Lux. »Ich weiß, daß ich den bunten Rock ausziehen muß, wenn ich sie heirate.«

»Du wirst das Opfer bringen?«

»Es hängt nicht von mir ab.«

»Steht jemand zwischen euch?«

»Auch das. – Aber das meinte ich nicht.«

»Sondern?«

»Sie liebt einen andern.«

»Armer Junge!« sagte Peter. »Ja, dann wirst du es dir wohl aus dem Kopfe schlagen müssen.«

»Das habe ich versucht. Aber ich kann nicht.«

»Und was soll werden?«

Lux sah Peter an. Ihm kam ein Gedanke.

»Wenn du, Peter, mit ihr sprechen würdest. Zu dir hätte ich das Vertrauen, und du bist vielleicht der Einzige, auf dessen Urteil sie hört.«

»Ich kenne sie also?«

Lux reichte ihm einen Brief. Peter nahm ihn und las:

»Lieber Freund!

Nochmals und für immer versichere ich Sie, daß ich mit guten freundschaftlichen Gefühlen an Ihnen hänge und es schmerzlich empfinden würde, wenn ich auf Ihre Freundschaft verzichten müßte. Darum bitte ich Sie herzlich und bestimmt, sich mir niemals wieder mit Wünschen zu nähern, die ich Ihnen nicht erfüllen kann, da ich – es muß einmal gesagt sein! – einen anderen liebe.

Ihre Ihnen ergebene

Margot Rosen.«

Peter hatte längst zu Ende gelesen – da starrte er noch immer auf das Blatt.

». . . einen anderen liebe,« wiederholte er, und es gab ihm einen Stich ins Herz.

»Was hast du?« fragte Lux, der die Veränderung bei ihm sah.

Peter sah ihn an.

»Und wen glaubst du, daß sie liebt?« fragte er.

»Ich weiß es nicht. Anfangs dachte ich natürlich dich.«

»Und nun? Du glaubst, daß sie mich nicht . . . wie?«

»Ich habe es ihr auf den Kopf zugesagt,« erwiderte Lux.

»Was?« fragte Peter.

»Daß sie dich noch immer liebt.«

»Ja – und?«

»Sie war sehr erregt und widersprach lebhaft. Fast leidenschaftlich erklärte sie: ›Nein! nein! Das hat man mir eingeredet! Durch Jahre hindurch. Ich will ihn nie wiedersehn. Ueberhaupt: ich habe ihn längst vergessen. Ich liebe . . .‹ sie stockte und sagte dann bestimmt: ›einen anderen.‹ Ich fragte: ›Wen?‹ – Sie schien einen Augenblick lang zu überlegen, ob sie es mir sagen sollte, dann erklärte sie bestimmt: ›Nein! Ich sage es nicht! Das geht nur mich an.‹ – Und alle Mühe, es aus ihr herauszubringen, war vergebens. Aber dir wird sie es vielleicht sagen. Du bist geschickter und dann – ihr standet euch doch auch mal nahe.«

Peter, der immer nachdenklicher wurde, sagte:

»Nimm an, du wüßtest es. Was würde dir das nützen?«

»Man könnte, wenn nicht auf sie, dann vielleicht auf den Mann einwirken.«

Ohne Vermittlung des Verstandes sagte Peter:

»Das wäre zwecklos.«

»Wie kannst du das wissen?«

»Ich weiß es.«

»Also kennst du ihn,« drängte Lux.

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Weißt du es wirklich nicht? – Du liebst sie und fühlst doch nicht, daß ich es bin?«

»Aber nein!« widersprach Lux. »Ich sagte dir doch . . .«

»Laß nur!« winkte Peter ab – »und glaube mir, es ist, wie ich sage.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich fühle es.«

»Dann liebst du sie also auch noch?«

»Du weißt, daß ich Verzicht geleistet habe.«

»Und du glaubst, das hat sie nicht gekränkt? Peter, du bist ein gescheiter Mensch. Diesmal aber irrst du. Verlaß dich drauf.«

»Jedenfalls: ich kann nicht mit ihr sprechen.«

»Wenn du glaubst, daß du dich wieder in sie verliebst, so laß es. Aber sage mir, was ich tun soll.«

»Sprich mit meiner Mutter. Die kennt, nehme ich an, Margot besser als ich, und ist eine kluge Frau. Ein Mensch, auf dem, wie auf mir, schwer die Schuld der Zeit lastet, ist nicht der Geeignete, um mit ihm über Liebe zu sprechen.«

»Ja, das ist ja neu!« erwiderte Lux. »Was bedeutet denn das? Du sagtest das schon vorhin. Du kämst auch hinein in dies alldeutsche Zuchthaus, und zwar wegen einer sozialen Schuld. – Weshalb? Was hast du verbrochen?«

»Lieber Lux! Das ist so einfach wie nur möglich. Ob man einen Menschen durch Gift umbringt oder ob man ihn den sogenannten gesellschaftlichen Vorurteilen opfert, bleibt sich gleich. Nicht nur in der Wirkung! Auch die Tat als solche. Ich kannte Aenne und wußte, daß sie mehr taugte als die meisten höheren Töchter, die für wert befunden wurden, bei uns zu verkehren. Ich wußte auch, daß sie mir vertraute und daß ihr Leben untrennbar mit meinem verknüpft war. Aber was tat ich? Statt den moralischen Mut aufzubringen und sie vor meinem Fortgang nach Südwest offiziell zu meiner Braut oder Frau zu machen, vertröstete ich sie auf meine Rückkehr und lieferte sie damit meiner Familie aus, die über diese Pedellstochter wie über Freiwild herfiel und sie in den Tod trieb. – Ich hätte, da ich meine Schwäger kannte, das voraussehen müssen.«

»Aber schließlich bist nicht du verantwortlich für das, was sie taten.«

»Sprich nicht gegen deine Ueberzeugung,« erwiderte Peter. »Wer hatte die Verantwortung für Aenne? Ich! – Denen war sie fremd und ein xbeliebiges Verhältnis, von dem mich zu befreien ihnen mein Interesse und die Vorurteile, in denen sie steckten, einfach geboten. Ich allein wußte, wer sie war, ich hatte sie an mich gekettet, ich allein war ihr gegenüber verantwortlich.«

»Du darfst nicht gar zu streng mit dir ins Gericht gehen,«  erwiderte Lux, nur um etwas zu sagen.

»Es ist genau dasselbe, als wenn eine Frau ihren Mann betrügt. Es ist die dümmste und kitschigste Auffassung, daß der betrogene Ehemann sich an den Liebhaber der Frau wendet und ihn niederknallt oder sich von ihm niederknallen läßt, um seine sogenannte Ehre zu retten! Wo sitzt die? Absolute Verkennung des Tatsächlichen ist es. Wie kann ich von einem wildfremden Manne verlangen, daß er auf mich Rücksicht nimmt? Was gehe ich ihn an? Nichts! Aber von meiner Frau, die innerlich und vor aller Welt mit mir verknüpft ist, habe ich ein Recht, zu verlangen, daß sie mir die Treue hält. – Aehnlich ist es mit Aenne: der Baron Zobel und der Landrat von Moll hatten keine Veranlassung, Rücksicht auf sie zu nehmen. Aber ich! Ich mußte es tun!«

Lux stimmte innerlich zu, sprach es aber nicht aus, sondern sagte:

»Wir sind nun mal in diesen gesellschaftlichen Vorurteilen groß geworden.«

»Und haben die Pflicht, uns davon zu befreien. Auch wenn wir damit Anstoß erregen.«

»Was gedenkst du zu tun, Peter?«

»Zunächst einmal ihre Eltern aufzusuchen, Oberpedell Hoffmanns, zu hören und dann, soweit es geht, gutzumachen.«

»Laß mich mit dir gehn, Peter.«

»Gern, Lux.«

»Vorn erwartet dich deine Familie, um dich zu begrüßen.«

»Ich werde es kurz machen.«

Das Wiedersehen zwischen Peter und seinen Schwestern verlief sehr herzlich und auch auf seiten Peters mit mehr Gefühl als er erwartet hatte. Auch die beiden Onkels waren bewegt und teilnahmsvoll, so daß Peter fast gerührt ausrief:

»Ich wußte ja gar nicht, daß ich hier noch Menschen habe, mit denen mich innerlich etwas verbindet.«

»Siehst du, Peter!« sagte Frau Julie erfreut. »Du wirst dich schon wieder hineinfinden.«

Als aber der Landrat, den ein guter, neuer Geist in letzter Stunde noch von dem Berner Posten ferngehalten hatte, sagte:

»Ich sage ja: Art zu Art. Was sozusagen im Blute liegt, das spült keine Revolution weg. Das sondert sich im Strom der Zeit mal ab. Aber es findet zurück, was Peter?«

»Das sind denn doch wohl andere Zusammenhänge,« erwiderte er, »was mich mit meiner Mutter und mit meinen Schwestern verbindet.«

»Wir müßten uns eben alle wie eine Familie fühlen,« erwiderte der Landrat.

»Das tun wir doch,« sagte Ilse.

»Ich meine damit alle, die sozusagen unter einem besonderen Stern geboren sind, im Gegensatz zur Masse.«

 

»Ich weiß schon, was du meinst,« erwiderte Peter. »Um ich bekenne: ich bin dir dankbar. Denn du mahnst mich und spornst mich an, und sorgst dafür, daß ich keinen Augenblick schwanke und vergesse, wo meine Pflichten liegen.«

Er verabschiedete sich und ging. Als er draußen war, sagte der Landrat stolz:

»Na, was sagt ihr? Der Junge besinnt sich und findet zurück. Wir werden noch unsere Freude an ihm haben.«

Frau Julie sah ihn groß an.

»Wenn du ihn nur nicht mißverstehst,« sagte sie.

»Aber ich bitte dich,« erwiderte der Landrat. »Ich kenne mich doch aus.«