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Lu die Kokotte

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IX

Kommerzienrat Mohr saß in seinem Privatkontor und las in einem Brief, der schwarz umrändert war. Die letzte Seite las er laut. Er tat das stets bei Dingen, die ihm wichtig waren oder Freude machten.

»Ich kann auch heute nicht schließen, ohne Ihnen für alles Gute, das Sie an uns tun, von Herzen zu danken.

Wo wären wir heute ohne Sie! Ich muß es immer wieder bedauern, daß sich Menschen im Verkehr so wenig kennenlernen. Das kommt wohl daher, daß gerade die Besten selten aus sich herausgehen, wenn sie unter Menschen sind. Hätte meine Luise Sie früher gekannt – so, wie sie Sie heute kennt —, sie hätte schon damals freudig in Ihre Werbung gewilligt.

Welch gütiges Geschick, daß Ihre Liebe standhaft blieb! Weiß ich doch mein Kind geborgen!

Ihre dankbar ergebene

Frau Professor Fanny Kersten.«

Er schnalzte mit der Zunge und schob den Brief in eine kleine Mappe, in der er die »Korrespondenz Professor Kersten« aufbewahrte. —

Ganz schmerzlos wird das eines Tages kaum enden, dachte er. Ich hasse sentimentale Liebschaften; wenn aber die Gefühlswalze gar von der Mutter aufgezogen wird, dann geht’s selten ruhig ab. Er stand auf.

Auf alle Fälle: es war der Mühe wert. So viel Stolz und Widerstand hatte ich selten bei einer Frau zu brechen. Und wie schnell sie den Wesenszug meines Charakters erkannt hat. Haß hat gute Augen. Seitdem müht sie sich ab, möglichst gleichgültig zu erscheinen. Und ich habe doppelte Arbeit.

Er ging im Zimmer umher.

Ein Diener kam und meldete Herrn Aletto aus Rom.

Mohr zog die Schultern in die Höhe.

»Darf ich ihn vorlassen, Herr Kommerzienrat?«

»Unsinn! Ich kenne ihn nicht; wer hat ihn herbestellt?« fragte er wütend.

»Er sagte, er käme in persönlicher Angelegenheit.«

»Das kann jeder Esel sagen. In welcher?«

»Darüber könne er nur mit dem Herrn Kommerzienrat selbst sprechen!«

»Schicken Sie ihn ins Sekretariat – oder sonstwo hin.«

»Das habe ich versucht – aber er macht es so dringend . . .« Im selben Augenblick öffnete sich die Tür und Aletto trat ein.

»Sie werden mich nicht abweisen!« sagt er bestimmt; »ich bin . . .«

»Das werden wir sehen«, unterbrach ihn Mohr; »was ist das für eine Kühnheit! Hier meldet man sich an – dazu sitzt mein Sekretär im Vorzimmer und verteilt Besuchszeiten . . . Sie befinden sich hier in keinem Trödelladen, wo jeder ein- und ausgeht, wie’s ihm paßt.«

»Ich muß Sie sprechen«, wiederholte Aletto; wenn möglich noch bestimmter als zuvor.

»Das ist doch eine seltene Dreistigkeit«, schrie Mohr zum Diener gewandt; der sah verlegen zur Erde, zog leicht die Schultern in die Höhe und flüsterte:

»Meine Schuld ist es nicht, Herr Kommerzienrat.«

»Sagen Sie, bitte, dem Diener, daß er sich entfernt«, forderte Aletto.

»Das wird ja immer besser!« brüllte Mohr. »Wer sind Sie?«

»Das werde ich Ihnen sagen, sobald der Diener draußen ist.«

Mohr gab dem Diener wütend ein Zeichen, und er ging.

»Also!!« sagte er und zitterte vor Wut.

»Ich heiße Aletto, bin Kunstmaler und habe die Absicht, Fräulein Kersten zu heiraten«, sagte er ruhig und sicher.

Mohr fuhr zusammen; einen kurzen Augenblick; dann fragte er ziemlich bestimmt:

»Was geht das mich an?«

»Man sagte mir, daß Sie der Vormund sind«, erwiderte Aletto und ließ ihn nicht aus den Augen.

Der Kommerzienrat biß die Lippen aufeinander – schnalzte mit der Zunge – überlegte – bot Aletto einen Stuhl an – ging an seinen Schreibtisch und setzte sich.

»Danke! Ich stehe!« sagte Aletto kurz.

»Wie Sie wollen«, erwiderte Mohr.

»Ich sagte Ihnen bereits,« begann Aletto, »aus welchem Grunde ich bei Ihnen bin.«

»Wollen Sie mir, bitte, noch einmal Ihren Namen nennen«, bat der Kommerzienrat.

»Aletto, Sohn des verstorbenen Akademieprofessors Henrico Aletto, Kunstmaler aus Rom.«

»Ich danke«, sagte er kurz und machte eine Bewegung, aus der Aletto entnahm, daß er entlassen sei.

»Was bedeutet das?« fragte er lebhaft.

»Ich werde Erkundigungen über Sie einziehen und je nachdem diese ausfallen, Ihnen Nachricht zukommen lassen, ob es Zweck hat, auf diese Angelegenheit zurückzukommen. Das wird, denke ich, in drei bis vier Wochen möglich sein.«

»Ich bedaure!« erklärte Aletto. »Ich betrachte Ihre Einwilligung nur als Formalität . . .«

»Erlauben Sie mal«, unterbrach ihn Mohr.

Aber Aletto fuhr unbekümmert fort: ». . . die das Gesetz nun mal verlangt.«

»Und die ich, falls es das Interesse meines Mündels fordert, verweigern werde.«

Er wollte weitersprechen; aber Aletto trat dicht an ihn heran, sah ihm fest in die Augen und wiederholte:

»Es ist lediglich Formsache, ich sagte Ihnen das schon, wenn ich um Ihre Einwilligung bitte. Denn wir werden uns heiraten – verlassen Sie sich darauf – auch gegen Ihren Willen.«

Den Kommerzienrat reizte die Entschiedenheit, mit der Aletto für seine Liebe focht. Zweifellos liebte Luise diesen Menschen und begehrte ihn. Und je mehr sich ihre Leidenschaft zu Aletto vertiefte, um so bestimmter mußte sich alles gegen ein Zusammensein mit ihm auflehnen. Der Gleichmut, mit dem sie jetzt alles ertrug, und gegen den er erfolglos kämpfte, war dann gebrochen. Und deshalb war ihm dieser Aletto durchaus willkommen. Er peitschte die Gefühle Luises auf, riß sie aus ihrer Empfindungslosigkeit und Stumpfheit; brachte alles wieder in Bewegung, rief in ihr wieder jenen wilden, ungestümen Trotz wach, der gerade nachzulassen drohte, und den er bei ihr über alles liebte. Ja, Kommerzienrat Mohr war ein Gourmet in Liebesdingen. Dieser Aletto, das erkannte er deutlich, bedeutete für ihn einen Glücksfall sondergleichen. Nun hieß es, gescheit sein, geschickt operieren und sich nicht durch unüberlegtes Handeln um die Vorteile dieses Zufalls bringen.

»Ich sage ja nicht nein«. lenkte Mohr ein. »Aber Sie werden zugeben, daß es meine Pflicht ist, mich genauer über Sie zu informieren. Wie gesagt, ich stehe Ihrem Plane, mein Mündel zu heiraten, durchaus nicht ablehnend gegenüber. Nur will ein derartiger Schritt in so jugendlichem Alter doch bedacht sein. Ich weiß nichts von Ihrem Lebensgang, Ihrer Familie, Ihren Verhältnissen, Sie werden zugeben . . .«

Aletto erinnerte sich jetzt, daß der eigentliche Zweck, aus dem er hier war, ja die Regelung des Finanziellen war. Daß der Kommerzienrat so sprach, fand er durchaus natürlich. Im Grunde konnte es für diesen Halunken ja gar nichts Günstigeres geben, als wenn er Luisen, die er auf dem Gewissen hatte, in eine gesicherte Ehe half. Und daß er obendrein noch sein Geld zurückerhielt, mußte ihm diese Wendung nur um so willkommener machen. Viel besser also, dachte Aletto, schon Luises wegen, wenn sich alles in Ruhe erledigt. Und er kämpfte allen Haß, der ihn immer von neuem packte, wenn er diesem Menschen in die Augen sah, gewaltsam nieder.

»Ich verstehe Sie durchaus,« sagte Aletto, »und da ich die Auskünfte nicht zu scheuen brauche, so habe ich gegen Ihren Vorschlag nichts einzuwenden. Nur möchte ich bei dieser Gelegenheit eine Regelung in Vorschlag bringen, die für mich so wichtig ist, daß ich von ihr meine Werbung abhängig mache!«

Der Kerl ist fabelhaft, dachte Mohr. Ein verbindliches Wort – ja, nicht einmal das, nur mein veränderter Tonfall genügt ihm, und er knüpft Bedingungen an seine Werbung, ohne noch zu wissen, ob sie mir überhaupt genehm ist . . . Aber er sprach es nicht aus. Im Gegenteil: er blieb verbindlich, machte eine kurze Handbewegung und sagte:

»Bitte!«

Und Aletto begann.

»Meine Braut«, sagte er, und Mohr gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, »hat mir mit großer Offenheit erzählt, daß die Zuschüsse, von denen sie augenblicklich leben, nicht von der Familie, sondern von Ihnen fließen.«

Der Kommerzienrat setzte sich gerade und nickte zustimmend.

»Ich weiß nicht, ob Ihnen mein Mündel auch gesagt hat, daß Herr Professor Kersten ohne einen Pfennig Vermögen zu hinterlassen . . .«

»Ich weiß«, wehrte Aletto ab.

»Man kann daher nicht gut von Zuschüssen sprechen; es ist in Wirklichkeit denn auch so, daß ich den Unterhalt der Familie bestreite.«

»Eben, eben!« warf Aletto ein. »Das muß ein Ende nehmen, und zwar von heute ab.«

Mohr sah ihn groß an und staunte.

»Wie denken Sie sich das?« fragte er ihn.

»Indem ich das von heute ab übernehme – natürlich in der gleichen Form, in der es bisher von Ihrer Seite aus geschah.«

»Sie wollen . . .?«

»Desgleichen werde ich Ihnen diejenigen Summen zurückerstatten, die Sie bisher verauslagt haben.«

»Ich kenne Ihre Verhältnisse nicht, Herr Aletto; . . . aber im übrigen: das alles sind Dinge, die sich dann ganz von selbst finden werden.«

»Wann?« fragte Aletto.

»Nun, ich meine, wenn es sich zeigt, daß ich Ihrer Werbung meine Zustimmung geben kann, dann würde ich mit Rücksicht auf die Jugend meines Mündels und auf die besonderen Verhältnisse im Hause Kersten auf alle Fälle dafür sein . . .«

»Bitte!« warf Aletto ungeduldig ein.

». . . daß mit der offiziellen Verlobung noch ein Jahr gewartet wird.«

»Das ist vollständig ausgeschlossen!« rief Aletto erregt. »Dafür liegt nicht die geringste Veranlassung vor.«

»Das dürfte sich so im Augenblick schwer entscheiden lassen«, erwiderte Mohr in aller Ruhe.

Aletto aber verlor seine Haltung.

»Ich lasse mich auf keinerlei Versprechungen ein, die in der Zukunft liegen; ich bestehe – und zwar aus ganz besonderen Gründen– darauf, daß jetzt, in diesem Augenblick, die ganze Angelegenheit geregelt wird.«

»Aber . . .« warf der Kommerzienrat ein und wollte etwas erwidern; doch Aletto ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Wollen Sie oder wollen Sie nicht?« fragte er mit großer Bestimmtheit.

 

Mohr überlegte: »Und zwar aus ganz besonderen Gründen«, wiederholte er sich. Was mochte er damit meinen? Daß Luise ihm etwas von ihren Beziehungen erzählt hatte, war ausgeschlossen! Der Gedanke allein war widersinnig! Immerhin konnte sie ihm angedeutet haben, daß auch er Interesse für sie habe – hm, das leuchtete ihm ein – und zwar ein Interesse, das nicht nur das eines Vormundes war. Gewiß, so mochte es sein! So erklärte sich dann auch Alettos Erregtheit, der das Gefühl hatte, einem Nebenbuhler gegenüberzustehen.

Er stand also auf, tat verlegen, suchte nach Worten, sah zur Erde und sagte:

»Ich weiß nicht, ob Luise Ihnen gesagt hat . . .«

»Was?« fragte Aletto.

»Auch ich liebe Luise.«

Es fehlte nicht viel, und Aletto saß ihm an der Kehle. Dieser Mensch wagte es . . .

»Ich habe einen Vorschlag,« stammelte Mohr, als er die drohende Haltung Alettos sah, »ich trete zurück!«

»Ah!« sagte Aletto.

»Vorausgesetzt, daß die Familie Ihre Werbung meiner vorzieht!«

»Das wird sie!« rief Aletto. »Ich bin einverstanden und habe nur eine Bedingung . . .«

»Die wäre?«

»Keinen Aufschub!«

»Wie ist das zu verstehen?«

»Sehr einfach! Eine sofortige Zusammenkunft, der ich natürlich beiwohne.«

»Das wird schwer zu erreichen sein.«

»Ich bestehe darauf.«

»Ich werde es versuchen.«

»Um wen handelt es sich?« fragte Aletto.

»Nun, vornehmlich um den Professor Mallinger als Senior der Familie, dann den Geheimen Kommerzienrat Walther, den Oberlehrer Sasse und eventuell noch um den Regierungsrat Störmer, auf den man aber eventuell verzichten kann.«

»Wollen Sie sich, bitte, mit den Herren telephonisch in Verbindung setzen!«

»Gewiß! Und wohin lasse ich Ihnen Nachricht geben?«

Aletto schüttelte den Kopf. »Gar nicht! Ich bleibe bei Ihnen!«

»Was?« rief Mohr entsetzt, und Aletto erklärte mit großer Bestimmtheit:

»Ich gehe, bis der Familienrat zusammentritt, nicht von Ihrer Seite.«

Der Kommerzienrat riß das Maul weit auf und schnalzte mit der Zunge; das freilich erschwerte den Fall bedenklich. Aber – und er beruhigte sich schnell – mit den Leuten wird dieser Tolpatsch nicht umzugehen wissen; er wird es an der nötigen Reserviertheit und den Formen fehlen lassen; und daran wird er mehr als an seinen Gründen scheitern.

Er kannte diese Menschen; wer sie bei ihren Schwächen nahm, blieb Sieger.

»Meinetwegen!« sagte er daher in aller Ruhe; »ich hoffe, die Zeit wird Ihnen nicht lang werden.« Er ließ sich mit dem Professor, dem Geheimrat Walther und dem Oberlehrer Sasse verbinden; der Zufall wollte es, daß er sie alle antraf; und es wurde für eine Stunde später ein Rendezvous in der Wohnung des Professors vereinbart.

Während Aletto, den Rücken zur Stube, am Fenster stand, gab der Kommerzienrat noch eine Reihe geschäftlicher Anweisungen, befahl sein Automobil, sagte zu

Aletto kurz:

»Bitte!«

Sie gingen die Treppe hinunter, bestiegen den Wagen und fuhren, ohne ein Wort zu sprechen, zur Wohnung des Universitätsprofessors.

– — – — – — – — – —

X

»Was werden wir wieder zu hören bekommen?« sagte der Geheimrat Walther, als er ins Arbeitszimmer des Professors trat und ihn, wie den Oberlehrer, der gewohnheitsgemäß fünf Minuten vor der vereinbarten Stunde erschienen war, begrüßte.

»Er wird nicht mehr zahlen wollen«, erwiderte der Professor; und der Oberlehrer nickte, rieb sich die Hände vor Vergnügen und sagte:

»Meine Frau hat einen seinen Spürsinn; schon am vorigen Ultimo hat sie’s vorausgesagt; . . . wie schade, daß wir kein Telephon haben, es würde ihr Freude machen . . .«

Ein Blick des Professors strafte ihn; und um seine Entgleisung gut zu machen, fuhr er fort: »Nicht als ob meine Frau den Leuten das Almosen nicht gönnt! Nur sind wir nach allem Vorangegangenen der Meinung, daß die Hälfte auch genug gewesen wäre!«

»Man soll der Wohltätigkeit keine Schranken setzen«, dozierte der Professor. – Gewiß wäre die Hälfte übergenug, dachte er; er hat ganz recht . . . aber man spricht es nicht aus.

»Und was geschieht wirklich,« fragte besorgt Geheimrat Walther, »wenn dieser Mohr seine Zahlungen an Kerstens aus irgendeinem Grunde einstellt? Wie soll ich es erklären, daß ich plötzlich ohne jeden Grund meine Hand von der Familie ziehe, nachdem ich monatelang, ohne mich sonst um sie zu kümmern, pünktlich und regelmäßig bezahlt habe?«

»Hast du dich denn für eine bestimmte Zeit verpflichtet?« fragte der Professor.

»Das nicht«, erwiderte Walther.

»Also liegt auch keine juristische Verbindlichkeit vor!« erklärte er. »Und moralisch, glaube ich, haben wir alles getan, was in Anbetracht der Verhältnisse möglich war.«

Abermals stimmte der Oberlehrer bei: »Meine Frau meint sogar, daß es moralischer gewesen wäre, man hätte sich gar nicht mehr um sie gekümmert; und ich muß sagen, in gewissem Sinne hat sie nicht ganz unrecht; denn das echte deutsche Familienleben hatte in diesem Hause wohl nie eine Heimstatt.« Und dabei dehnte sich seine breite Brust, daß es aussah, als müsse der enge Gehrock auseinander platzen.

Im selben Augenblick meldete das Mädchen den Kommerzienrat Mohr und Aletto.

»Ich lasse bitten«, rief der Professor, und in der Tür erschien Mohr und Aletto.

Der Kommerzienrat stellte vor. Die Herren verbeugten sich.

»Und welchem Umstande verdanken wir Ihre Anwesenheit?« fragte der Professor, zu Aletto gewandt.

»Sie werden gleich hören«, antwortete Mohr; »ich werde Ihre Zeit wohl etwas länger in Anspruch nehmen – es wäre daher vielleicht gut, wenn wir uns setzen.«

»Bitte!« sagte der Professor, und sie setzten sich um einen runden Tisch herum, der in der Mitte des Zimmers stand.

Der Oberlehrer zog aus Gewohnheit sogleich Bleistift und Notizbuch aus der Tasche; der Professor hauchte an sein Pincenez und bearbeitete es mit seinem Leinentuch; der Geheimrat faltete die Hände und dachte an seine Geschäfte. Und der Kommerzienrat, dem zumute war, als handle es sich um ein wichtiges Geschäft, das ihm ein anderer streitig machte, schnalzte mit der Zunge und begann:

»Um mich kurz zu fassen: dieser Herr hier bewirbt sich um die Hand des Fräulein Kersten.«

»Was?« sagten alle drei zur gleichen Zeit und rissen die Mäuler auf und waren so erstaunt, daß sie gar nicht daran dachten, sie wieder zu schließen.

»Er kam zu mir und bat mich als Vormund pflichtgemäß um meine Einwilligung. Natürlich fühlte ich mich außerstande, zu entscheiden, wer von uns beiden der Würdigere ist.«

Es entstand eine Pause, in der einer den andern fragend ansah. Dem Geheimrat lag es auf den Lippen, ob denn der neue Bewerber auch die finanziellen Lasten, die mit diesem Personenwechsel verbunden waren, übernehmen würde; aber er dachte, es wäre taktvoller, wenn erst mal die ideelle Seite der Sache behandelt würde.

»Ich begreife gar nicht«» sagte denn auch schon der Professor, »ich dachte, daß die Frage längst entschieden sei. Also sind es ältere Rechte, die dieser Herr geltend macht.«

»Nein!« antwortete Aletto.

»Worauf sonst stützen Sie Ihre Forderung?« fragte er ihn.

»Welche Forderung?« fragte Aletto.

Der Professor sah erst ihn, dann den Kommerzienrat an; schüttelte den Kopf und sagte nach einer Weile:

»Ja, ich denke, Sie fordern, daß wir in Ihre Ehe mit der bewußten Dame einwilligen. Sie werden uns dann also schon erklären müssen, worauf Sie eigentlich Ihren Anspruch gründen.«

»Auf unsere Liebe!« erwiderte Aletto mit dem selbstverständlichsten Gesichte von der Welt.

»Pappelapapp!« fuhr ihn der Professor an. »Für solche Luxusartikel scheint mir augenblicklich die ganze Situation der Familie wenig zugeschnitten zu sein. Aber selbst wenn sie es wäre, so würde sich der spezielle Fall doch damit erledigen, daß Herr Kommerzienrat Mohr, was Ihnen nicht bekannt zu sein scheint, bereits der von der Familie anerkannte künftige Gatte der betreffenden Dame ist. Und damit erübrigt sich wohl jede weitere Diskussion.«

Aletto wollte erwidern. Aber Mohr kam ihm zuvor.

»Sie werden begreifen, meine Herren, daß ich lediglich aus der Priorität nicht ein Recht herleiten möchte; da müssen doch andere Faktoren den Ausschlag geben.«

»Vergessen Sie nicht, daß wir in einem Rechtsstaat leben,« belehrte ihn der Professor, »in dem alles seine Ordnung hat. Das wäre ja helle Anarchie! Denken Sie doch, wo das hinführen würde!«

Aletto sah bald: mit diesen Leuten zu diskutieren, war zwecklos. Diese Menschen ließen sich nicht überzeugen; sie klebten an Begriffen und verurteilten alles, was nicht herdenmäßig ihre ausgetretene Straße ging. Nur was sie dachten und taten, war das Normale; während alles, was nicht in dem engen Kreise ihrer beschränkten Einsicht lag, für sie nicht existierte.

»Schließlich ist aber eine Ehe doch nicht nur ein Zweckverband!« sagte Mohr sehr gegen seine Überzeugung. »Ich weiß mich von allen Sentiments frei; aber am Ende muß doch auch so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl vorhanden sein. – Und was die geschäftliche Seite der Angelegenheit betrifft, so würde durch den Eintritt des Herrn Aletto in meine Position die Lage unverändert bleiben.«

Geheimrat Walther begann wieder Interesse zu gewinnen.

»Denn,« fuhr Mohr fort, »Herr Aletto verpflichtet sich zu den gleichen Leistungen, wie ich sie der Familie Kersten gegenüber übernommen habe!«

Ganz gegen seine Absicht sagte der Geheimrat: »Soo!«

»Es bliebe also lediglich das Ideelle, womit wir uns zu beschäftigen hätten. Und da« – er wurde pathetisch – »muß ich denn doch sagen, daß der große Altersunterschied zwischen Fräulein Luise und mir entschieden zugunsten des Herrn Aletto spricht. Hinzu kommt – und das bedingt moralisch meinen Verzicht«, daß Fräulein Luise sich bereits für Herrn Aletto, also gegen mich, entschieden hat.«

»Das ist ja unglaublich!« rief der Oberlehrer.

»Was gab es denn da noch zu entscheiden, wo wir uns einmal in corpore für Sie erklärt hatten?« fragte mit großem Ernst der Professor. »Das ist ja ein völlig gesetzloser Zustand!«

»Aber das sieht ihr ähnlich!« brüllte der Oberlehrer.

»Ganz der Papa!« Und in seiner Wut schrieb er in sein Notizbuch eine dicke 5 und unterstrich sie.

»Ehrlos ist es!« sagte der Professor. »Ein anständiger Mensch hält sein gegebenes Wort! Sie durfte ihre Gefühle gar keinem anderen Manne zuwenden, nachdem wir uns einmal für Sie entschieden hatten. Jedenfalls ist diese Sinnesänderung für uns ohne jede Bedeutung – res judicita!« rief er sehr bestimmt.

Aber Geheimrat Walther, der durchaus den Geschmack Luises teilte und dem jugendlichen Aletto entschieden den Vorzug vor dem verschlagenen Mohr gab, sagte nicht ohne Ironie:

»Es gibt auch ein Wiederaufnahmeverfahren, lieber Onkel!«

»Nur falls neue und triftige Gründe vorliegen«, erwiderte er.

»Eben! Eben!« sagte der Geheimrat und wandte sich an den Kommerzienrat: »Nicht wahr, Sie würden Fräulein Kersten doch unter gar keinen Umständen gegen ihren Willen heiraten?«

»Man wird ihr den Willen aufoktroyieren!« sagte der Oberlehrer, noch ehe Mohr eine Antwort geben konnte.

Der Geheimrat wiederholte seine Frage. Mohr stand auf und erklärte: »So schwer mir der Verzicht fällt, aber es ist mir nach meiner ganzen Veranlagung absolut unmöglich, mit einer Frau zusammen zu leben, die mich nicht liebt.«

»Also«, sagte der Geheimrat, »bleibt uns gar keine Wahl – — – es sei denn, daß du, lieber Onkel, falls du den einen ablehnst und der andere verzichtet, bereit bist, an Stelle des Kommerzienrats Mohr die Mittel vorzuschießen.«

Der Professor ging der Beantwortung dieser Frage, die für sein Votum entscheidend war, aus dem Wege, indem er sich erhob und folgende Erklärung abgab:

»Herr Kommerzienrat! Wir können uns Ihren Argumenten nicht verschließen. Wir genehmigen daher Ihren Verzicht und erklären uns gleichzeitig damit einverstanden, daß Herr Aletto an die frei gewordene Stelle tritt. Alle übrigen Abmachungen bleiben bestehen und gehen mit dem heutigen Tage auf Herrn Aletto über. Wir erklären aber schon heute, daß diese Entscheidung unwiderruflich ist, und daß wir uns weiteren Personalveränderungen gegenüber schon aus ethischen Gründen prinzipiell ablehnend verhalten werden. – Von Herrn Aletto erwarten wir, daß er trotz seiner Jugend die Ehre, in unsere Familie aufgenommen zu werden, zu würdigen weiß und nun seinerseits seine ganze Kraft daran setzen wird, das moralische Bewußtsein in der Familie Kersten zu vertiefen.«

»Bravo!« rief der Oberlehrer.

Alle erwarteten nun, daß Aletto sich erheben, danken und seiner Freude Ausdruck geben würde. Statt dessen stand Mohr auf und sagte:

 

»Lassen Sie nun auch kurz noch den Vormund zu Worte kommen. Als solcher muß ich in Anbetracht der Jugend meines Mündels darauf bestehen, daß vor Ablauf eines Jahres kein offizieller Schritt in dieser Angelegenheit geschieht. Das auch mit Rücksicht auf Sie, meine Herren, denn die Welt würde eine Verlobung so unmittelbar nach dem traurigen Fall mit Recht als verfrüht und pietätlos empfinden. Die Liebesleute mögen sich in der Zwischenzeit schreiben und sehen . . . sie sind jung genug . . .«

»Das ist ganz ausgeschlossen!« rief Aletto dazwischen und sprang auf.

»Das ist schon mit Rücksicht auf uns ganz selbstverständlich«, sagte der Professor.

»Und ich erkläre Ihnen allen, daß ich mich nie und nimmer darauf einlassen werde«, rief mit aller Bestimmtheit Aletto. »Wollen Sie Skandal vermeiden, so ist es in Ihrem Interesse . . .«

»Ich protestiere mit aller Entschiedenheit!« rief Mohr dazwischen.

»Nun ja!« schrie der Professor; »wir sind noch gar nicht blamiert genug; der eine Skandal ist kaum vergessen, schon droht ein neuer.«

»Ich habe gleich gegen die Aufnahme eines Künstlers in unsere Familie protestiert!« rülpste der Oberlehrer und überschlug sich fast, so aufgeregt war er.

In aller Ruhe und Bestimmtheit wiederholte Aletto:

»Ich würde nicht ein Wort weiter reden, wenn es nicht im Interesse der jungen Dame läge, daß dieser Schritt mit Ihrem Wissen und Willen geschieht; . . . mir persönlich ist ein Skandal natürlich äußerst gleichgültig.«

»Fabelhaft!« schrie der Professor.

»Was sind das alles für Menschen!« rief der Oberlehrer und faßte sich an den Kopf.

Aletto ging achtlos darüber hinweg.

»Da Sie aber, wie mir scheint, nichts so sehr fürchten wie den Skandal, so bitte ich Sie, zu erwägen, ob es nicht in Ihrem eigenen Interesse liegt, meinem Vorschlage beizustimmen.«

Der Geheimrat suchte zu vermitteln:

»Was in aller Welt, junger Freund, drängt denn derart, daß diese Heirat Hals über Kopf stattfinden muß?«

»Das möchte ich auch wissen!« sagte Mohr.

»Das sieht ja gerade aus, als ob Gründe vorlägen . . .«

»Schon um diesen Schein zu vermeiden,« unterbrach ihn Mohr, »protestiere ich als Vormund mit allem Nachdruck.«

Aletto beugte sich jetzt zu Mohr und flüsterte ihm in erregtem und bestimmtem Tone zu: »Machen Sie dem Theater ein Ende!«

»Das werde ich tun!« erwiderte der laut und erhob sich:

»Meine Herren!« sagte er in großer Erregung und schnalzte mit der Zunge. »Da die dringende Gefahr besteht, daß Herr Aletto seine Drohung wahr macht, so möchte ich mein Mündel der sicheren Obhut eines von Ihnen anvertrauen.«

Die drei sahen sich verdutzt an.

»Na ja, das fehlte noch!« rief der Oberlehrer. »Das Gesicht meiner Frau möchte ich sehen, wenn ich mit der Luise nach Hause käme!«

Auch der Geheimrat Walther lehnte mit Rücksicht auf seine erwachsenen Töchter, für die seine Nichte kein Umgang sei, ab.

Der Professor entschuldigte sich mit Vorlesungen, Sitzungen und Würden.

Schließlich stand der Geheimrat auf und erklärte, daß es aus diesem Dilemma nur einen Ausweg gäbe, und das wäre der: Herr Kommerzienrat Mohr, der in diesem Falle ja schon so viele Beweise seiner Menschenfreundlichkeit gegeben habe, kürzt in aller Interesse die Wartefrist, die er sich anfangs gesetzt hat, ab und heiratet Luise Kersten auf der Stelle!

Dem Oberlehrer und Professor schien dieser Vorschlag sehr plausibel; Mohr aber war auf diese Wendung nicht vorbereitet.

»Da stecken Sie das arme Geschöpf schon lieber in die Fürsorge!« rief Aletto. »Da ist sie jedenfalls besser aufgehoben als bei diesem Herrn.«

»Waas?« schrien alle durcheinander und waren entsetzt.

Der Kommerzienrat war in großer Erregung aufgesprungen. Alles kam jetzt darauf an, Zeit zu gewinnen.

»Ich bin bereit!« rief er. »Sobald sie zu mir kommt, werde ich mit ihr sprechen.«

»Nanu?« fragte der Geheimrat. »Meine Nichte besucht Sie?«

Wütend über seine Entgleisung brüllte Mohr:

»Was fällt Ihnen ein! Ich lasse mich nicht verhören!«

Aber da stand auch schon der Professor:

»Meine Herren!« rief er, »ich bitte um Ruhe! Ich habe eine Erklärung abzugeben. Ich muß Sie entschieden bitten, in meinem Hause alles zu vermeiden, was auch nur den Schein des Anstößigen an sich trägt. Schon die Feststellung, daß ein Mädchen aus ehemals gutem Hause einen unverheirateten Mann in seiner Wohnung aufsucht, geht zu weit. Eine solche Konversation dulde ich in meinem Hause nicht!«

Aber der Oberlehrer bekam Appetit. Teufel, das fing ja an, pikant zu werden! Wer konnte wissen, was man da noch alles zu hören bekam? Und er fühlte förmlich, wie sein verwandtschaftliches Gefühl erwachte. Am Ende war es ja seine Nichte; und so unerquicklich es war . . . dazu war man ja Mann!

»Ich verstehe durchaus deine Scheu, lieber Onkel«, begann er; »aber mir scheint doch, wir müssen uns überwinden und, so hart es uns ankommt, den Fall erörtern.«

Mohr sah: jetzt kam die Entscheidung, die zur Katastrophe führte, wenn er nicht auf dem Posten war. Er überlegte: diese Leute verlangten, daß er Luise auf der Stelle zum Traualtar führte. Und in der Tat: die Gründe, die dagegen sprachen, hatte er selbst beseitigt, um Luise vor Alettos Nachstellungen zu schützen. Wie schlecht hatte er operiert! Wie gerissen dieser verschlagene Aletto, der ihm, fast ohne ein Wort zu reden, fußbreit den Boden abgerungen hatte. Soviel stand fest: Aletto wußte um alles! Zwar würde er die Schmach Luises diesen Leuten nicht preisgeben! Davor war er wohl sicher! – Aber wenn er es doch tat? – Einen Augenblick sann er nach; eben wollte der Professor dem Oberlehrer erwidern, da stand er auf und erklärte ruhig und bestimmt.

»Ich leugne nicht, Fräulein Luise besucht mich hin und wieder. Aber trotz ihrer leidenschaftlichen Veranlagung sind unsere Beziehungen dank meiner Reserve über das unter Brautleuten übliche Maß von Zärtlichkeit nie hinausgegangen.«

Weiter kam er nicht; Aletto ging ihm an den Hals; schlug ihm die Fäuste ins Gesicht.

»Schuft! – Glauben Sie’s ihm nicht! Sie liebt ihn nicht – sie liebt mich! – Er hat sie gezwungen – jedesmal mit Gewalt! – Und jetzt macht er sie gemein; so gemein macht er sie!«

Noch ehe die anderen dazwischentraten, hatte sich Mohr von ihm befreit; Aletto war zur Tür gewankt, hatte nach seinem Hut gegriffen und war die Treppe hinuntergestürzt. Er hatte das bestimmte Gefühl, als müsse Luise in diesem Augenblicke zusammenbrechen.

Er stürzte an Häusern und Menschen vorüber; sah nichts; hörte nur immer ihren Schrei; warf sich in Angst und Sorge um sie in den nächsten Wagen und fuhr zu ihr.

Der Kommerzienrat tat, als wäre nichts geschehen.

»Ich halte es als Gentleman unter meiner Würde, mich gegen die Verleumdungen dieses konfusen Menschen zu verteidigen, der in seiner Verliebtheit nicht weiß, was er spricht.«

Der Professor stimmte dem zu und gab eine Ehrenerklärung ab, in der es hieß:

»Wir verurteilen auf das Entschiedenste das unqualifizierbare Benehmen des Herrn Aletto und haben zu Herrn Kommerzienrat Mohr das volle Vertrauen, daß er seine Pflichten als Vormund auf das gewissenhafteste erfüllt. – Im Interesse unserer Familie, sowie um der Wiederholung von Auftritten vorzubeugen, dessen Zeuge wir soeben sein mußten, bitten wir ihn jedoch, alle die Familie Kersten betreffenden Angelegenheiten künftighin ohne unser Zutun selbständig zu erledigen.«

Der Kommerzienrat dankte; bat um eine schriftliche Ausfertigung dieser Erklärung, die er auch erhielt, und der auf seinen Wunsch der Zusatz beigefügt wurde, daß es nach Ansicht der Familie im Interesse des Mündels läge, wenn dieses möglichst bald aus dem häuslichen Milieu heraus in die Obhut einer vom Vormunde zu bestimmenden Familie käme.

Dann standen sie alle auf und verabschiedeten sich.

»Ich will nur eilen, daß ich nach Hause komme!« sagte der Oberlehrer, als er aus der Haustür trat. »Nein, daß meine Frau auch nie dabei sein kann, wenn es mal was zu erleben gibt – mir ist ganz heiß geworden.« Und er nahm den Hut ab und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Dann gab er dem Geheimrat Walther die Hand, was dem sehr eklig war, und sprang auf die nächste Elektrische.

»Auf ein Wort noch!« rief der Geheimrat und zog Mohr beiseite. »Wer zahlt am nächsten Ersten?« »Auf alle Fälle bürge ich Ihnen dafür.«

»Danke«, sagte der Geheimrat.

»Entweder,« fuhr Mohr fort, »es gelingt mir doch noch, den Herrn Aletto zu überzeugen . . .«

»Ihre Privatangelegenheiten interessieren mich nicht,« unterbrach ihn der Geheimrat; »Ihre Garantie genügt mir.« Dann zog er seinen Hut, wandte sich kurz um und stieg in sein Automobil.