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»Worauf ich pfeife!«

Die Frau Geheimrat schüttelte den Kopf.

»Unverbesserlich!« sagte sie.

»Möglich! wenigstens in der Beziehung! Ich bin, wie ich bin! Da läßt sich nichts machen. Ich kann nur tun, was mir Spaß macht. Herrschen will ich und eine Rolle spielen; die Gesellschaft, das ist für mich so, was für euch das Theater is.«

»Und wenn man Ihnen dieses Theater eines Tages verbietet, dann wird’s Ihnen fehlen.«

»Pah!« rief Agnes. »Soviel hab ich raus: is man erst ’ne Nummer, dann kann man sich manches erlauben.«

»Gewiß! Aber immer nur, wenn man bei allem, was man tut, den Takt wahrt.«

»Was is das?«

Die Frau Geheimrat zog die Schultern hoch:

»Das läßt sich schwer sagen. Takt ist, was man hat.«

»Ne,« sagte Agnes und schüttelte den Kopf, »das versteh ich nicht.«

»Also zum Beispiel, daß man keine Geschmacklosigkeiten begeht, nicht anstößt.«

»Hm, hm,« sagte Agnes. »Ich beginne zu begreifen,« und führte den Zeigefinger an die Stirn.

»Was meinen Sie?« fragte Frau Geheimrat.

»Na – zum Beispiel: Otto.«

Die Frau Geheimrat erschrak und sah zur Tür.

»Allerdings!« sagte sie empört. »Es ist taktlos und geschmacklos, den Namen hier im Salon, wo einen jeder hören kann, so laut zu nennen.«

»Hm,« sagte Agnes. »Aber sonst . . . nicht wahr?« und zog eine Schnute.

»Sonst geht’s niemanden was an! Hauptsache, daß niemand dabei kompromittiert wird.«

»Kompromittieren, das heißt ja wohl lächerlich machen?«

»Sehr richtig!« bestätigte die Frau Geheimrat. »Die Rücksicht hat man vor allem auf seine Nächsten zu nehmen.«

»Dann hätten also in erster Linie Sie auf den Geheimrat . . .«

»Selbstverständlich.«

»Na – und e— er?«

»Er ebenso auf mich! Das versteht sich.«

Agnes überlegte:

»Ja, und die Gesellschaft?«

»Auf die natürlich auch. Sie hat ein Recht darauf, zu verlangen, daß alles, was geschieht, in einer Form geschieht, die keinen Skandal verursacht.«

»Also kommt’s mehr auf das Wie als auf das Was an?« fragte Agnes.

»Bravo, Kind!« rief die Frau Geheimrat. »Sie beginnen zu begreifen.«

»Ich bin doch nich auf den Kopf gefallen.«

»So wissen Sie’s nun also?«

»Natürlich: Takt is nicht, wie Sie sagen, was man hat; das versteht kein Schw . . .« Sie hielt sich schnell die Hand vor den Mund und sagte: »O Gott, das durfte nicht kommen.«

»Also was ist Takt?« fragte die Alte.

»Takt is, raffiniert sein und sich nicht erwischen lassen.«

»Wenn man Sie so sieht, Agnes, glaubt man, eine kleine Prinzessin vor sich zu haben.«

»Das ist doch schön.«

»Gewiß! Wenn man aber hinhört, was Sie sagen, dann läuft’s einem kalt über den Rücken.«

»Auf deutsch: Gänsehaut! Im übrigen, wir haben doch eben festgestellt: was ist Nebensache; das wie entscheidet.«

»Eben die Art, in der Sie die unmöglichsten Dinge, die jeden anderen gesellschaftlich unmöglich machen würden, vorbringen, ist so reizend, daß man es Ihnen durchgehen läßt.«

»Das ist doch fein,« sagte Agnes. »Bin ich froh! Da brauch’ ich mich also gar nicht so in acht zu nehmen.«

»Doch! doch!« widersprach die Alte eifrig. »Vergessen Sie nicht, daß Sie eigentlich überhaupt gesellschaftlich gar nicht qualifiziert sind . . .«

»Was heißt denn das nu wieder?« fragte Agnes.

»Da Sie weder eine verheiratete Frau noch ein junges Mädchen sind.«

»Nanu!« rief Agnes und besah sich von oben bis unten, sprang auf und trat vor den Spiegel. »Wie nennen Sie denn das?«

»Außenseiter!« sagte Frau Geheimrat und betrachtete Agnes durch die Lorgnette. »Klassifiziert lediglich durch die Ausnahmestellung des Besitzers.«

»Na,« erwiderte Agnes, »bisher hat man sich auf Gesellschaften mehr um mich gekümmert als mir lieb war.«

»Verdientermaßen!« sagte Frau Geheimrat.

»Also!«

Die Alte nahm ihre Hand:

»Kind! ich mein’s ja gut mit Ihnen! Darum sind Sie der einzige Mensch, dem ich die Wahrheit sage. Sie müssen eins wissen: die Position haben Sie nur durch Ihr Verhältnis zu Holten. Zieht der sich von Ihnen zurück, so sind Sie erledigt. Selbst ich kann Sie dann nicht halten.«

»Und meine Karriere?« fragte Agnes ängstlich.

»Kein Mensch wird sich mehr für Sie interessieren.«

»Großer Gott!« rief sie, »dann hätte ich ihm ja öfters schreiben müssen!« Sie zog die Stirn in Falten und dachte nach. »Und anders vor allem.«

»Was haben Sie ihm geschrieben? Etwa die Wahrheit? Was Sie alles mitmachen und erleben?«

»Ja!« platzte Agnes laut heraus. »Buchstäblich – ohne jeden Schmus.«

»Sehr dumm!« sagte die Alte. »Aber hoffentlich doch zärtlich und verliebt.«

Agnes verzog den Mund und schüttelte den Kopf.

»Das ist fatal! Nun, hoffentlich hat sich seine Liebe noch nicht abgekühlt. Seien Sie doppelt zärtlich, wenn er jetzt kommt, und vor allem: Kein Brief mehr ohne mich! Das will verstanden sein!« Sie reichte ihr die Hand. Agnes schlug ein. »Wir beide wollen zusammenhalten!«

Agnes machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Hätte ich daran nur früher gedacht!« sagte sie vor sich hin. »Wenn’s nur nicht schon zu spät ist.«

»Noch eins!« sagte die Frau Geheimrat, »und zwar was sehr Wichtiges. Wenn Sie mit Carl heut abend bei uns sind, darf kein Mensch merken, daß ihr zusammengehört.«

Agnes stutzte und sah sie an, als wenn sie überlegte, wer von ihnen beiden nicht ganz bei Sinnen war.

»Wie? Was?« fragte sie und suchte sich das Gespräch der letzten Minuten ins Gedächtnis zu rufen: Meine Position beruht auf meinem Verhältnis zu Carl; endet das, so ist sie erschüttert. Also – was sagte die Frau Geheimrat doch eben? Kein Mensch darf merken, daß ihr zusammengehört!

»Brrrr!« sagte sie und schlug sich mit der Faust vor die Stirn.

»Natürlich! natürlich!« rief die Alte. »Im übrigen: es weiß ja so ein jeder.«

»Na, dann schadt’s doch gewiß nichts!«

»Kind! Kind! Sie lernen es nie!«

»Das scheint mir auch,« sagte Agnes.

»Und ich prophezeie Ihnen: wenn Sie noch so hoch steigen und das nicht lernen, dann kommt eines Tages die große Katastrophe.«

Der Geheimrat trat ins Zimmer.

Agnes lehnte sich, obschon sie mit ihren Gedanken wo anders schien und sich ihr alles im Kopfe drehte, in den Sessel zurück und schlug die Beine übereinander.

Der Geheimrat begrüßte sie und setzte sich ihr gegenüber.

»Dann bleibt mir am Ende nichts anderes übrig, als ihn zu heiraten,« sagte Agnes und verzog den Mund.

»Wenn Sie das fertig brächten!« sagte die Frau Geheimrat strahlend. »Hören Sie, das wäre das große Los!«

»Und eine große Last,« erwiderte Agnes. »Wenn ich denke, immer um ihn – und immer dasselbe – und dann, ich weiß kaum mehr: wie sieht er denn aus?« Sie senkte den Kopf und dachte nach. »Grau! grau! grau! Das weiß ich bestimmt. Und dann so bombastisch! Wißt ihr, so feierlich! Aber das gewöhn’ ich ihm ab! Das ertrag’ ich nicht.«

Die Frau Geheimrat stand auf und trat vor sie hin.

»Vor allem, Agnes, versprechen Sie mir eins: reden Sie mit niemandem darüber, bevor die Verlobung perfekt ist. Glauben Sie mir, die Menschen sind zu schlecht. Man darf heutzutage niemand trauen. Das muß einschlagen wie eine Bombe! Und wissen Sie wo? Hier bei mir! Ich lade Sie ein wie immer. Ganz ahnungslos müssen alle sein, und dann – ich denke mir so zwischen dem eingeschobenen Gang und dem Geflügel – muß mein Mann aufstehen, ans Glas klopfen und die Verlobung verkünden. Das gibt eine Sensation; das war noch nicht da! – Nicht wahr, Leo?« wandte sie sich an ihren Mann, der dasaß und kein Auge von Agnes ließ.

»Gewiß!« erwiderte der Geheimrat und hob langsam den Kopf. »Nur gibt’s da noch ein kleines Hindernis zu überwinden.«

»Wieso?« fragten beide.

»Nun, Carl Holten ist, so viel ich weiß, seit zwanzig Jahren verheiratet – und führt, wie man sagt, eine sehr glückliche Ehe.«

Da der Gesichtsausdruck beider Frauen unverändert blieb, so wußte man nicht, ob sie diesen, nach des Geheimrats Ansicht erschwerenden Umstand bereits kannten oder eben zum ersten Male davon erfuhren.

»Dann, liebe Agnes,« sagte die Alte, »erfordert die Durchführung Takt und Delikatesse, um die Moral auf unserer Seite zu haben.«

»Ich verlasse mich dabei ganz auf Sie,« erwiderte Agnes.

Der Diener trat ein und meldete:

»Herr Doktor Carl Holten.«

»Allmächtiger!« fuhr Agnes entsetzt auf, »daran habe ich ja ganz vergessen!«

»Sehr peinlich!« sagte Frau Geheimrat.

»Ich sollte ihn ja um sechs Uhr von der Bahn abholen.«

»Das erscheint mir allerdings auch nicht als der Weg zur Ehe,« sagte der Geheimrat und erhob sich.

»Und dabei wollte ich so zärtlich zu ihm sein!«

»Was macht man da?« fragte die Alte ganz nervös und hielt sich die Stirn.

»Ich weiß schon!« sagte Agnes und warf sich Carl, der ernst ins Zimmer trat, an den Hals:

»Mein Carli! Liebster! Ist das eine Ueberraschung!« Carl sah fragend und erstaunt die Frau Geheimrat an

»Gott sei Dank! Gut daß Sie da sind, lieber Holten!« rief die. »Die Agnes hat uns mit ihrer Sehnsucht schon alle mit krank gemacht. – Komm Leo!« Und sie nahm ihren Mann bei der Hand und ging mit ihm aus dem Zimmer.

Fünftes Kapitel

Am Abend bevor Carl wieder heimfuhr, gab Estella von Pforten zu seinen Ehren ein Krebsessen. Ihr Freund Peter und der junge Brand setzten, bevor die Gäste kamen, eine Bowle an und ließen sie, um sie zu kosten, in Estellas Boudoir tragen.

Während Estella Toilette machte, saßen sie behaglich in der weichen Chaiselongue neben dem Frisiertisch und tranken. Peter reichte Estella alle paar Augenblicke das Glas und schob den Schirm beiseite, hinter dem Estella, so oft die Zofe ins Zimmer kam, verschwand.

»Wenn jetzt der faule Besuch nicht käme,« sagte Peter, »dann würde ich sagen: setz dich, so wie du bist, zwischen uns auf die Chaiselongue und laß die Krebse kommen.«

 

»Kinder, wär’ das schön!« sagte Estella.

»Wenn ihr wollt, dann telephoniere ich allen ab.«

»Grund?« fragte Estella.

»Ach wat! Wozu brauchen wir Gründe? Du bist einfach nicht wohl – basta!«

»Dann sag schon lieber gleich, einer der Riesenkrebse hat sie ins Bein gebissen.«

»Kinder, das wäre ja alles sehr nett und schön,« sagte Estella, »aber ihr glaubt doch nicht, daß ich mir die öde Bagage rein zu nix und wieder nix auf den Hals lade! So blöd bin ich nicht.«

Peter grinste und zeigte die weißen Zähne.

»Dazu is mir dem Peter sein Geld zu schade!« fuhr sie fort. »Ueberhaupt, deutscher Sekt hätt’s bei der Bowle auch gemacht.«

»Also aus welchem Grunde sind wir öde Bagage geladen?« fragte Werner.

»Das gilt nicht für dich!« sagte Peter und klopfte ihn auf die Schulter.

Werner nickte und sagte:

»Ich weiß.«

»Also, es is ganz gut, wenn ihr Bescheid wißt, damit ihr mich unterstützt, nachher, wenn ich die Rede drauf bringe. Es handelt sich um Holtens neues Stück. Ich hab so was läuten hören, man will die Schabelsky von der Burg kommen lassen. Na, sowas gibt’s bei mir nicht! Sobald ich das raus hab, da schmeiß ich dem Direktor Abend für Abend die Helena, bis keine Katze mehr ins Theater geht. Also ihr versteht, die Rolle krieg ich!«

»Ehrensache!« sagte Werner. »Meine Stimme hast du!« und sie stießen an.

»Schnür’ mir mal hier das Korsett, Brand,« sagte Estella und setzte sich Peter auf den Schoß, so daß sie Werner den Rücken kehrte. »Der Peter schafft’s nicht!«

Und Werner zog das Korsettband so fest an, daß Estella von Peters Schoß auf seinen glitt.

»Nicht einmal halten kann er mich,« sagte Estella.

»Du läufst mir schon nicht fort,« erwiderte Peter und grinste.

»Dabei, was glaubst du wohl, was er anstellen würde, wenn das ein anderer wäre als du,« sagte Estella.

»Natürlich!« erwiderte’ Peter. »Werner bildet eine Ausnahme! In allem! Für den tue ich alles, und der darf auch alles tun!«

»Bist du nicht stolz?«  fragte Estella.

»Ich hab so das Gefühl, als wenn das selbstverständlich wäre, wenn zwei Menschen befreundet sind wie wir.«

Draußen klingelte es.

Alle drei fuhren auf, verzogen die Gesichter und sahen sich an.

Sollte das etwa schon einer von den Gästen sein? dachten sie und sahen, ohne daß einer zu reden wagte, zur Tür.

Die Zofe kam mit einem Rohrpostbrief in der Hand.

»Hurra!« schrie Werner. »Eine Absage!«

»Soll ich euch sagen, von wem?« fragte Peter.

»Wie kannst du wissen?« fragte Estella und nahm der Zofe den Brief ab.

»Wetten, daß er von Frau Geheimrat Weber ist?«

Estella öffnete und las.

»Wo hast du sie gesprochen?« fragte sie erregt.

»Also es stimmt.«

»Antworte bitte!« drängte Estella.

»Nirgends! Aber ich habe gewußt, daß ihr Bedenken kommen werden. Denn sie lebt beständig in Sorge, nur ja keinen gesellschaftlichen Fauxpas zu begehen.«

»Lächerlich!« sagte Estella gekränkt und reichte ihm den Brief: »Da lies!«

»Danke! Vermutlich eine Migräne? Was?«

»Nein!« sagte Estella überlegen. »Aber sie ist zu ihren Tochter nach Dresden, die plötzlich erkrankt ist.«

Peter wollte widersprechen. Aber Werner gab ihm ein Zeichen, und so ließ er’s.

»Gieß lieber ein, statt mich zu kränken,« sagte Estella.«

»Recht hat sie!« entschied Werner.

»Im übrigen, ob die aufgetakelte Pute kommt oder nicht, da mach ich mir viel draus. Ich bleib doch wer ich bin.«

»Bravo!« rief Werner.

»Dann kommen eben auf jeden neun Krebse statt acht.«

»Das Stück zu?« fragte Werner.

»Fünfundsiebzig Pfennige!«

»Ausgeschlossen!« rief Werner. »Die acht Krebse der Frau Geheimrat verzehren wir!«

»Das ist eine Idee!« sagte Peter.

Und schon war Werner draußen und holte aus der Riesenschüssel die acht strammsten Jungen heraus.

Werner und Peter zogen ihre Smokings aus und machten sich an die Krebse.

»Die ersten drei Schwänze auf das Wohl der Frau Geheimrat.«

Sie führten sie gleichzeitig zum Munde und schnalzten, trotz ihrer guten Manieren, vor Vergnügen mit der Zunge.

»Nachspülen!« kommandierte Werner, und sie leerten ihre Gläser in einem Zuge.

Als sie beim siebenten Krebse angekommen waren, verzog Werner das Gesicht und sagte:

»Eigentlich könnte jetzt noch jemand absagen.«

»Das wär’ reichlich spät,« meinte Estella.

»Wir würden’s jedenfalls nicht übelnehmen.«

»Wißt ihr,« sagte Peter, »eigentlich ist es genug, wenn jeder sieben Krebse hat.«

»Durchaus meine Meinung!« sagte Werner und war auch schon wieder an der Tür, trotz Estellas Protest, dem er wirksam damit begegnete, indem er sagte:

»Laß nur, ich bring’s schon geschickt irgendwie an, daß das Stück eine Mark kostet – dann gleicht’s sich aus.«

Und das beruhigte Estella, die um ihr Prestige besorgt war.

Als sie trotz keiner weiteren Absage eben bei der dritten »Krebsserie« waren und den Preis pro Stück nach einigen Bedenken abermals um fünfundzwanzig Pfennige erhöht hatten, klingelte es, und es kamen die ersten Gäste.

»Herr Geheimrat Weber,« meldete die Zofe. Werner und Peter ließen die Köpfe hängen und sahen wehmütig auf ihre Teller. Aber Estella, die schon zur Tür stürzte, um den Geheimrat zu empfangen, kehrte plötzlich um und schrie:

»Kinder, ich habe ja vergessen, mich weiter anzuziehen.«

Und Werner und Peter stellten fest, daß sie recht hatte.

Werner half ihr, den Rock überziehen, Peter in die Taille; die Zofe wechselte ihr die Schuhe; dann tanzte die Puderquaste über das Gesicht, der Dorinlappen fuhr über die Fingernägel und ein paar Tropfen Ideal huschten und verschwanden auf den Händen, an der Brust und unter den Armen. Werner und Peter schlüpften in die Smokings, und das intime Fest war beendet.

Estella betrat vom Wohnzimmer aus den Salon und begrüßte den Geheimrat.

»Verzeihen Sie, liebster Geheimrat, aber ich war so in meine neue Rolle vertieft, daß ich wirklich erst ein wenig ans offene Fenster mußte, um mich zurechtzufinden.« Dabei holte sie mehrmals tief Atem und führte mit Anmut das Spitzentuch an den Mund.

»Meine Teuerste,« rief der Geheimrat entsetzt, »in dieser Aufmachung am offenen Fenster! Womöglich in erhitztem Zustand! Wir haben keine drei Grad. Bedenken Sie, daß Tausende an Ihrer Gesundheit ein Interesse haben.«

»Ich bin daran gewöhnt,« sagte sie und bat den Geheimrat, sich zu setzen.

»Vor allem muß ich Ihnen nochmals das Bedauern meiner Frau aussprechen. Sie wissen ja, wie sehr meine Frau Sie schätzt, nicht nur als Künstlerin, auch als Menschen. Ich versichere Sie, sie hatte sich ganz besonders auf den heutigen Abend gefreut. Sie begreifen, wenn man, wie wir, von Gesellschaft zu Gesellschaft gehetzt wird, zu denen man doch immer mehr oder weniger gezwungen geht, wie wohltuend es da für sie ist, mal einen Abend mit Menschen aus Ihrer geistigen Sphäre zu verleben.«

»Ich muß sagen, daß mir die Hauptfreude des Abends durch das Fernbleiben Ihrer Gattin genommen ist – vor allem der traurige Anlaß. Ich hoffe nur, daß es nichts Ernstes ist.«

»I Gott bewahre, das heißt,« verbesserte er schnell, »ich meine, Sie verstehen ja, die übertriebene Angst einer Mutter.«

»Gewiß! ich bin zwar noch nicht . . .«

»Ich weiß – aber trotzdem – ich meine von der Bühne her, da kennen wohl auch Sie die übertriebene Angst einer Mutter.«

»Nun,« meinte Estella, »es ist nur gut, daß es Dresden ist.«

»Gewiß – aber wieso eigentlich?«

»Nun, ich meine, die Nähe! Es konnte doch ebenso London oder Paris sein.«

»Ach so! Gewiß! Da haben Sie recht. Aber schließlich konnte ja meine Tochter auch in Berlin verheiratet sein.«

»Gewiß! Das wäre noch näher!«

»Ich kenne solche Fälle – sogar bei uns in der Familie.«

»Sie sind sehr verzweigt?«

»Wieso?«

»Ich dachte.«

»Ach so! Ich verstehe; ja! ja! natürlich! Wir waren zwölf Geschwister; bei meiner Frau waren es zehn. Die alle haben geheiratet, da waren es vierundzwanzig; es kamen Kinder, wie das in den Ehen so ist; in ein paar Jahren waren es über neunzig. Wenn ich die Ehre habe, Sie zu Tisch zu führen, Gnädigste, dann wird es mir ein Vergnügen sein, da ich sehe, es interessiert Sie . . .«

»Ganz außerordentlich.«

»Es ist auch wirklich interessant.«

»Finden Sie?«

In diesem Augenblick betraten Werner und Peter den Salon.

Gott sei Dank! dachte Estella, so lange hätten sie doch nicht zu warten brauchen.

»Die Unzertrennlichen!« sagte der Geheimrat.

»Ja! das ist wirklich eine Freundschaft!« meinte Estella.

Man begrüßte sich.

»Ich höre von Ihren großen Plänen zum ewigen Frieden, Doktor!« sagte der Geheimrat zu Werner.

Der wies auf Peter.

»Dank dem Interesse, das der Baron Peter Linden meinen Ideen entgegenbringt, besteht wenigstens einige Aussicht, sie der Verwirklichung näher zu bringen.«

»Nun, wo solche Kräfte walten,« sagte der Geheimrat und wandte sich an Peter.

»I, wat,« wehrte der ab, »auf die Ideen von Werner gebe ich gar nichts; im Gegenteil! Erstens gehen se gegen die Geschäftsinteressen meines Vaters, also auch gegen meine; vor allem aber sind das so ideale Chosen, aus denen ja doch nie was wird.«

»Und trotzdem . . .?«

»Ich bitte Sie, was kann ich denn mit meinem Geld besser anfangen? Noch ’ne Jacht? Noch ’n Landsitz? Drauf sitzen tun doch nur meine Freunde, und ich hab’ de Scherereien. Da is doch wenigstens ’ne Idee, wenn se auch verrückt is; aber was im Leben is denn nich verrückt?«

»Das sagen Sie in Ihrem Alter?« rief der Geheimrat

»Ach wat, ich kenn’ den Klöngel und halt’ mich draußen. Aber ich seh ’n mir mit an und amüsier’ mich. Und dann: ich sag immer zu Werner: mach’ du deinen Friedensklöngel nur so laut wie möglich. Wenn viel vom Frieden geredet wird, dann wird auch viel vom Kriege geredet; das ist doch klar. Na, und mit dem Positiven erzielt man immer stärkere Wirkungen als mit dem Negativen.«

»Das stimmt,« sagte der Geheimrat.

»Folglich, je lauter Werner seine Friedensideen betreibt, um so stärker wird die Reaktion – ich kenn’ das doch – und um so mehr Geschützlieferungen bekommen unsere Fabriken, das ist doch klar!«

»Wenn man dich reden hört,« sagte Werner, »könnte man beinahe an seinen Idealen verzweifeln.«

»Aber Sie werden doch dem Baron nicht sein Geschäft verderben.«

»Wo die anderen bloß bleiben!« sagte Estella.

»Sie erwarten noch Gäste?« fragte der Geheimrat.

»Ja! Nur ein Paar. Herrn Holten und Fräulein Agnes.«

»So! So! Ist der noch immer in Berlin?«

»Sie läßt ihn nicht fort,« sagte Peter.

»Ich bitt’ dich, als ob ein Mann wie Holten sich von einer solchen —« Ein Blick Peters, und sie brach ab.

»Sie schätzen sie nicht?« fragte der Geheimrat.

»Aber ja!« erwiderte Estella. »Wie kommen Sie darauf? Wir sind die besten Freundinnen; wir sehen uns täglich.«

»Ich finde, sie gewinnt von Tag zu Tag,« sagte Werner. »Noch ein wenig mehr Kultur, und sie ist« – er verneigte sich zu Estella – »die Anwesenden natürlich ausgeschlossen, in Bezug auf Weib nach meinem Begriff: die Vollendung.«

»Du bist ein Schwärmer! Ein Uebertreiber! Ein Idealist!« sagte Peter.

»Ich meine auch,« äußerte Estella. »Ich will mich durchaus nicht mit ihr vergleichen, schon weil sie die Jugend für sich hat. Ihr merkt das natürlich nicht so, aber wenn man sie alle Tage um sich hat, dann empfindet man doch die Provenienz recht störend.«

»Du meinst die Herkunft?« fragte Peter, und Estella errötete, weil sie glaubte, ein falsches Fremdwort gebraucht zu haben.

Der Geheimrat tat erstaunt.

»Das wußt’ ich gar nicht! Von wo kommt sie denn?«

»Wie? Sie wissen nicht . . .?« fragte Estella erregt.

Der Geheimrat schüttelte den Kopf.

»Nein! Aber das interessiert mich sehr.«

»Also, das soll ja furchtbar sein!« sagte Estella.

»Nicht möglich!« erwiderte der Geheimrat. »Darf man nicht ein wenig mehr . . .?«

Estella tat, als wenn sie Bedenken hätte:

»Wissen Sie, Herr Geheimrat, ich möchte nicht gern – nicht wahr, Sie verstehen – Agnes ist meine Freundin . . . Aber ich begreife gar nicht, daß Sie davon nichts wissen.«

»Gott ja! Man redet viel! Aber nie was Bestimmtes. Immer nur so in der Form wie Sie . . .«

»Na, das dürfte ja auch genügen,« meinte Estella.

»Und Holten?«

»Wie meinen Sie?«

»Ich meine, weiß er?«

»I Gott bewahre!« platzte Estella heraus. »Wie können Sie glauben. Holten ist ein so feiner Mensch, – wenn der eine Ahnung hätte!«

 

»Wovon?« fragte Werner nicht eben freundlich. »O pardon!« sagte Estella, »ich vergaß, du bist mit ihm befreundet.«

»Sie hat ja nichts gegen ihr gesagt!« vermittelte Peter.

»Durchaus nicht!« sagte der Geheimrat. »Im Gegenteil!«

»Ich erlaubte mir nur die Frage,« wiederholte Werner, »wovon weiß Holten nichts?«

»Stammt sie denn aus Berlin?« fragte der Geheimrat. »Oder hat er sie importiert?«

»Soviel ich weiß, kommt sie von ganz wo anders her,« erwiderte Estella.

»So hört mit dem Quatsch auf!« sagte Peter. »Im Grunde wißt ihr ja alle nichts.«

»Jedenfalls habe ich nichts Nachteiliges über sie gesagt,« stellte Estella fest.

»I Gott bewahre, du hast nur geschimpft,« sagte Peter.

»Peter! Ich bitt’ dich!« empörte sich Estella. »Laß deine Scherze!«

»Ich meine auch, die Gnädigste hat nicht ganz unrecht,« vermittelte der Geheimrat. »Unser Interesse zeigt doch nur, wie sehr wir . . .«

»Ah!« sagten alle und sprangen auf, und der Geheimrat setzte hinzu:

»Da sind sie!«

Und Agnes, Carl und der Direktor traten in den Salon.

Estella ging auf Holten zu und sagte:

»Sie glauben gar nicht, was für eine Freude und Ehre es für mich ist, Sie bei mir zu sehen.«

Carl war verlegen und sagte:

»Aber bitte – das ist wirklich sehr freundlich!« und drückte ihr die Hand.

Dann begrüßte sie Agnes, so, daß Carl es sah, küßte sie und sagte:

»Es ist mir direkt unbehaglich, daß ich dich jetzt so wenig sehe.«

»Carl reist morgen,« sagte Agnes – wandte sich zu ihm und sagte: »Leider!«

Der strahlte und reichte ihr die Hand:

»Ich komme wieder!«

»Bald!« bettelte Agnes und zog eine Schnute.

Werner stand neben Peter.

»Was sagst du dazu?« fragte er und wies auf Agnes.

»Also mag sie ihn doch.«

»Sie wird ihre Gründe haben!« erwiderte Peter.

»Wir haben eben von Ihnen gesprochen,« sagte der Geheimrat, als er Agnes begrüßte. Estella gab acht und rief:

»Wo spricht man nicht von ihr? Ganz Berlin spricht von Agnes. In der letzten Nummer der Illustrierten ist das Bild des neuen Präsidenten von Amerika rausgeblieben, um ihrem Bilde Platz zu machen.«

»Mit Recht!« sagte der Direktor. »Das hat für das Publikum auch mehr Interesse.«

Der Geheimrat stimmte bei:

»Nur die neue Mode der langen Röcke sollten Sie nicht mitmachen,« sagte er, betrachtete ihr Kleid und sah sich um den Hauptreiz des Abends betrogen.

»Wissen Sie nicht, daß Fräulein Agnes die Mode mit veranlaßt hat?« sagte Werner.

Estella sah ihn wütend an.

Der Geheimrat schüttelte den Kopf, und der Direktor sagte:

»Was heißt das?«

»Nun, sie hat Fräulein von Pforten beim Zusammenstellen der Kostüme für die Komödie von Shaw geholfen; und wenn Sie sich erinnern, haben die Kostüme mehr Aufsehen erregt als das Stück. Seitdem . . .«

»Sie hatten schon bessere Einfälle,« sagte der Geheimrat.

Agnes lachte und sagte:

»Unhöflicher Mensch. Nehmen Sie bei Ihrer Frau, von der wir übrigens eben kommen,« – Peter und Estella sahen sich an – »Unterricht im Takt.«

»Entschuldige!« sagte Werner leise zu Estella. »Das war eine kleine Lektion für vorhin!«

Estella verzog das Gesicht und sagte:

»Esel!«

Peter, der dabei stand, zeigte die Zähne.

»Ich amüsier’ mich,« sagte er und grinste.

»Herr Holten,« wandte sich Estella an Carl, »denken Sie, Ihre Dame hat mir vor einer halben Stunde abgesagt.«

»Was heißt das, seine Dame?« trat Agnes dazwischen, nahm Carls Hand und lehnte sich an ihn: »Ich bin seine Dame!«

Werner stand sprachlos.

»Was sagst du zu Agnes?« fragte er Peter.

»Gute Schule!« erwiderte Peter.

»Ich sag dir, Agnes verstellt sich nicht.«

»Ein ganz harmloser Mensch!« bestätigte der Direktor.

Peter kniff die Augen zusammen:

»Laßt sie mal erst sich auskennen.«

»Sie meinen, sie tastet noch?«

»Ne, die macht’s mit ’m Instinkt.«

»Ich glaube mit dem Geheimrat,« sagte der Direktor.

Und da er das für einen Witz hielt, so lachte er.

»Wie können Sie das behaupten?« fragte Werner empört.

»Behaupten?« sagte der breit und schüttelte den Kopf.

»Sie wissen, scheint’s, nicht, daß ich mit Holten . . .!«

Peter faßte ihn an die Schulter:

»Sei doch bloß nicht gleich immer so feierlich.«

»Im übrigen,« sagte der Direktor und beugte sich leicht nach vorn. »Ich meinte das natürlich ganz harmlos.«

Werner gab ihm die Hand und Peter sagte:

»Na also!«

Aber die anderen waren aufmerksam geworden.

»Darf man wissen, um was da gestritten wird?« fragte Agnes.

»Um die Dame des Hauses,« sagte Werner.

»Wieso?«

»Wer sie zu Tische führt.«

»Das ist doch klar!« rief Agnes, »soviel verstehe ich auch schon; natürlich der Aelteste!« Sie sah sich um und wies auf den Geheimrat.

»Glaubst du nun, daß die echt ist?« fragte Werner, und Peter erwiderte:

»Zeitweis.«

Der Geheimrat empfand es nicht als Kompliment, und dadurch, daß Estella sagte:

»Du meinst natürlich den Würdigsten,« wurde die Situation noch unangenehmer.

Denn jetzt brauste Agnes auf und rief:

»Na, weißt du, wenn’s danach ginge, dann müßtest du wohl mit Carl zu Tische gehen.«

»Aber Agnes!« sagte Carl beschämt, legte seinen Arm um sie und wandte sich zu den anderen: »Das sagt sie natürlich nur so dahin, ohne sich was dabei zu denken.«

»Ich versteh schon!« sagte der Geheimrat, und auch die übrigen gaben zu erkennen, daß sie die Aeußerung mehr belustigte als kränkte.

»Lächerlich!« rief Agnes. »Was heißt denn das? Als ob einer von euch an ihn heranreicht. Nicht mal alle zusammen!« Dabei sah sie sie der Reihe nach an.

»Ich glaube,« sagte der Geheimrat und rettete geschickt die Situation, »wir tun am besten, in diese spontane Huldigung auf unseren berühmten Dichter mit einzustimmen und zu rufen: Er lebe hoch! hoch! hoch!«

Alle stimmten ein, und Agnes dachte:

Schade, daß die Alte das nicht gehört hat. Sie wäre mit mir zufrieden.

Als der Diener, der Peter gehörte und hier nur aushalf, die Türen zum Speisezimmer aufschob und meldete:

»Es ist serviert,« nahm Agnes Carl unter den Arm und sagte:

»Komm!«

»Dein rechter Tischnachbar kommt später,« sagte Estella, indem sie selbst dem Geheimrat den Arm reichte und den Direktor an ihre rechte Seite bat.

»Wer ist es?« fragte Agnes.

»Der alte Herr Brand.«

Agnes verzog das Gesicht, hatte ein »Bex« auf der Zunge, dachte an die Frau Geheimrat und beherrschte sich.

»Na also, dann, bis er kommt, Baron!« rief sie, nahm Peter bei der Hand und ging mit ihm und Carl voran. Die anderen folgten.

»Was ist denn das?« sagte Agnes und beugte sich über die Riesenschüssel, die in der Mitte der Tafel stand. Dann rief sie: »Krebse!« und Estellas großer Moment war da.

Sie wußte von einem Spaziergang her, daß Agnes mit diesen beschwerlichen Tieren noch niemals in direkte Berührung getreten war, ihnen also hilflos gegenüberstand, und sie freute sich auf den Augenblick, in dem Agnes ihre Blöße, die nach ihrer Ansicht immerhin Mangel an Kultur verriet, eingestehen mußte.

Aber Agnes, die Estellas Hinterhältigkeit nicht einmal ahnte, war keinen Augenblick verlegen, sondern sagte ganz arglos:

»Au, fein Carl! Du mußt mir zeigen, wie man die Tiere aufpellt, damit ich mich nicht blamiere, wenn’s die mal in richtiger Gesellschaft gibt.«

Estella sprach die nächsten fünf Minuten kein Wort mehr.

Aber der Geheimrat, Peter und Carl wetteiferten, Agnes in die Mysterien des Krebsessens einzuweihen. Das Resultat war überraschend; Agnes übertraf an Geschicklichkeit bald ihre Lehrmeister. Es schmeckte ihr köstlich, während Estella – ohne es auszusprechen – fand, daß jeder Krebs bitter war und nach Galle schmeckte. Agnes mußte sich auf Peters Geheiß nach jedem Krebs den Mund und die Fingerspitzen spülen. Sie tat es lächelnd und ungezwungen und ahnte nicht, daß sie bei dieser Prozedur, die an sich gewiß mehr ein notwendiges Uebel war, einen reizvollen Anblick bot.

Das gab den Anlaß zu einem Gespräch über Aesthetik, und man einigte sich dahin, daß immer nur die Ausführung, nie der Gegenstand, den Maßstab für ästhetische Wertung abgeben könne. Ein Muttergottesbild mit dem Jesusknaben, das auf einer von Engelsköpfen umrankten Wolke Marias Himmelfahrt darstelle, könne unästhetisch wirken, während die Grablegung Christi eines Matthias Grünewald, auf der man sieht, wie das Fleisch des verwesenden Körpers in Fäulnis übergeht, neben dem Genuß und der Freude am Kunstwerk keinen Ekel aufkommen lasse.

»Sehr richtig!« sagte der alte Brand, der gerade ins Zimmer trat, »denn das Grauen vor dem Gegenständlichen verschwindet völlig vor dem überwältigenden Können.«

»Und damit«, sagte Werner, »ist auch das Problem Agnes’ gelöst – mit dem Genuß am Kunstwerk, so wie Gott es hingestellt hat. Und damit ist zugleich bewiesen, daß dem Sujet keine Grenzen gesetzt sind. Ein Kunstwerk wie Agnes wird selbst in seiner tiefsten Verworfenheit für den Aestheten noch einen größeren Genuß bedeuten, als ein königlicher Koprophage in Samt und Seide.«

Estella tat sehr interessiert, verstand aber kein Wort und nickte daher auch meist bei falscher Gelegenheit sehr intensiv mit dem Kopfe. Nur wenn Agnes’ Name zu häufig wiederkehrte, war sie gekränkt. Agnes hingegen gab sich erst gar keine Mühe und rief, als Peter ein anderes Thema anregte: