Za darmo

Lache Bajazzo

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Cläre.

Eine ganze Weile saß Werner vor dem Zettel, ehe er ihn zur Seite schob. Darunter lag ein zweiter. Ueber dem stand oben in der Ecke – und man sah, daß es erst später hingesetzt war – eine »1«.

Auf ihm stand mit nüchternen Worten der Tatbestand. Kein Wort gegen die Mutter oder den Alten.

Er wandte den Zettel um. Die Schrift schien ruhiger, wenngleich auch die Hast und Unruhe unverkennbar waren. Werner sah zuerst auf den Schluß. Da stand fett unterstrichen:

»Küsse unseren Jungen alle Tage von mir. Und jeden Gedanken gegen ihn bekämpfe mit deiner Liebe zu seiner Mutter!«

Was darüber stand, schien Werner verwischt. Aber es verschwamm ihm nur vor den Augen, die voll Tränen standen.

Er las hier und da ein Wort und dann mal wieder einen Satz. Der Sinn war wohl: daß sie zwar glaube, daß seine Liebe es überwinden werde. Daß aber ihre Gegenwart die Vorstellung in ihm stärker wach erhalten würde, als wenn sie nur in seiner Erinnerung weiterlebte; und daß der Junge an ihrer Seite ihn immer von neuem daran erinnern würde. Wenn sie aber nicht mehr wäre, daß er beim Anblick des Jungen dann zunächst an sie denken würde. Und dieser Gedanke, so hoffe sie, würde dann keinen anderen in ihm aufkommen lassen! So würde das Bild dann allmählich verblassen, und er würde in dem Jungen sie weiterlieben.

Das etwa war der Sinn.

Werner nahm den Zettel auf und legte ihn auf den vorigen. Der war mit Nummer 3 bezeichnet. Die Schrift war fest und bestimmt. Die Worte liefen nicht mehr ineinander. Die Buchstaben standen gerade und auf gleicher Höhe:

»Nun, wo ich weiß, was ich tue, wird es mir in meiner letzten Stunde klar und deutlich, wie eine Offenbarung, so daß ich fast glücklich bin: dies Kind ist unser Kind! trotz allem! – Der äußere, mir unbewußte Vorgang konnte wohl den Anstoß für ein neues Leben geben – die Seele dieses Menschen aber haben wir bestimmt. Dem Geiste nach ist es unser Kind! – Herbeigesehnt von unserer Liebe haben ihm von der ersten Stunde ab, an der wir hoffen durften, alle unsere Gedanken, unsere Wünsche, unsere Sorgen gehört. Unter unseren Augen hat es sich entwickelt, und mit meiner Liebe zu dir habe ich es erfüllt die ganze Zeit über, die ich es trug. Glaube mir, dies Kind ist unser Kind! Du weißt, ich kann nicht lügen. Aber ich würde es mit reinem Gewissen vor aller Welt bekennen. Laß du, Peter, dies Kind auch dein Kind sein!«

Werner blätterte zurück und las den ersten Zettel, der die Zahl »4« trug, noch einmal. Er stützte den Kopf auf und fühlte, wie sein Gehirn wieder zu arbeiten begann. Er verglich den dritten und vierten Zettel miteinander. Da war sie entschlossen, sagte er sich. Aber hier – und er beugte sich über den vierten, den er zuerst gelesen hatte – hemmt sie die Sorge um das Kind. Alles hängt davon ab: wird diese Hemmung stark genug sein?

Peter sah jetzt zu Werner auf. Sein Blick, in dem keine Hoffnung mehr lag, erwartete nur die Bestätigung.

Werner nahm seine Hand und sagte:

»Noch ist es möglich.«

Peter fuhr auf.

»Was?« fragte er und beugte sich zu ihm über den Tisch.

»Daß sie lebt.«

»Werner!« schrie er, daß die Wände zitterten und die Leute im Gutshof vor Schreck auseinanderfuhren. »Wenn das wäre!« Dann sank er wieder in seinen Stuhl zurück und sagte leise: »Aber es ist nicht.«

»Lies das!«

Er reichte ihm der Reihe nach die Zettel. Peter las sie und verzog keine Miene.

»Hast du’s verstanden?«

»Ja.«

»Was sagst du?«

Peter schüttelte den Kopf.

»Du hast keine Hoffnung mehr?«

»Nein.«

»Wirst du ihren letzten Wunsch erfüllen?«

Er nickte.

»Wirst du es auch können?«

»Ja.«

»Tust du es, weil du fühlst wie sie? – oder nur ihr zuliebe?«

»Das weiß ich nicht.«

»Um seiner selbst willen kannst du ihn also nicht lieben?«

»Ich glaube nicht.«

»Dann wäre es freilich besser gewesen, sie hätte ihn mit sich genommen.«

Peter sah ihn entsetzt an.

»Dann gib ihn mir!« sagte Werner. »Denn ich habe den Jungen lieb.«

Peter sprang auf. Aber Werner fuhr fort:

»Weil er auch meinem Gefühl nach euch gehört.«

»Wenn sie da wäre!« sagte Peter.

»Was wäre dann?«

»Ich glaube, daß ich dann auch so fühlen würde.«

»Sie ist aber nicht da,« sagte Werner hart. »Und wird nicht da sein, weil sie, wie dieser letzte Zettel zeigt, dich kennt und weiß, daß du seit fünfundzwanzig Jahren einer Idee lebst, die tausendmal stärker ist als deine Liebe.«

»Das sagst du?« rief Peter entsetzt und drückte die Hand an den Kopf. Dann stierte er vor sich hin. »Ja! wie war das möglich? – Werner!« rief er laut. »Warum hast du mir das, so wie eben jetzt, denn nicht früher gesagt?«

»Weil du es nicht gefühlt hättest! Weil erst ein Unglück kommen mußte, das größer war als deine Einbildung!«

»Jetzt fühl ich es, Werner! – Ich könnte ja nicht weiterleben, wenn ich ihn nicht hätte!« Und, wie von einer fremden Macht getrieben, stürzte er aus dem Zimmer, den Korridor entlang, in die Schlafstube des kleinen Peter, hob ihn aus seinem Bettchen, küßte ihn, drückte ihn an sich und sagte:

»Du, mein Kind!«

*

Peter und Werner warteten den ganzen Tag. Aber Cläre kam nicht. Als es Abend wurde, reichten sie sich die Hände. Sie wußten, daß sie nun nicht mehr hoffen konnten. —

Es war schon Nacht, als Peter aufstand und aus dem Zimmer ging. Werner blieb an der Tür stehen und sah ihm nach. Er ging mit festem Schritt den Korridor entlang und öffnete die Tür, die in die Kinderstube führte. Mit dem kleinen Peter im Arm erschien er wieder. Werner folgte ihm und sah, wie er das Kind voller Liebe an sich drückte und in sein Bettchen legte. Wie er sich leise auszog, sich dann vorsichtig niederlegte, das Kind, das fest schlief, in den Arm nahm, das Licht löschte und die Augen schloß.

Werner, der sonst nur an andere dachte, fuhr zusammen und fragte:

»Und ich?«

*

Werner schlich behutsam den Korridor zurück und ging in die Stube des kleinen Peter, deren Tür noch offen stand. Er setzte sich an das leere Bett, stützte den Kopf in beide Hände und dachte an Cläre.

Es verging lange Zeit, da war es ihm plötzlich, als hörte er draußen ganz leise und kaum vernehmbar ihm bekannte Schritte. – Er horchte auf. Immer näher kamen sie. Jetzt waren sie an Peters Tür. Es schien, als wenn sie da plötzlich abbrachen. Es wurde still. Für ein paar Augenblicke. Aber dann setzten sie wieder ein – ganz deutlich! Immer näher kamen sie – waren jetzt an der Stelle, wo der Gang sich teilte; gingen geradeaus – er erkannte jetzt deutlich den leichten, wiegenden Gang – ein paar Schritte noch und sie waren vor seiner Tür. – Er begleitete mit dem Kopf ganz unbewußt den Rhythmus, in dem sich draußen die Füße hoben und senkten. – Jetzt standen sie still. – Er hielt den Atem an. Die Tür ging auf. Eine weiße Hand, die auf der Klinke lag, schob sie ins Zimmer. – Jetzt sah man deutlich die Gestalt. Den Arm ausgestreckt, die Tür noch immer in der Hand, stand sie im Zimmer, legte die andere Hand aufs Herz und atmete erleichtert auf. Dann hob sie sich auf die Fußspitzen, streckte den schönen Kopf nach vorn und rief zärtlich und mit weicher Stimme:

»Peterle!«

Mit einem glücklichen Lächeln um den Mund ging sie behutsam auf das Bettchen zu, streckte von weitem schon die Arme aus, flüsterte unaufhörlich vor sich hin:

»Peterle! mein Peterle!« hob kaum noch die Füße, schwebte wie ein Engel heran, beugte sich über das Bett, griff hinein und wühlte suchend darin umher. Dann fuhr sie plötzlich entsetzt auf, warf die Arme hoch, stieß schneidend laut einen Schrei aus und brach neben dem Stuhle, auf dem Werner saß, zusammen.

Werner glitt von seinem Stuhle und beugte sich über Cläre. Er hob ihren Kopf, nahm ihn zwischen seine Hände und küßte sie – zum ersten Male! Sie schlug die Augen zu ihm auf, öffnete den Mund und sagte verträumt:

»Du bist’s!«

Er richtete sie auf und stützte sie.

»Komm!« sagte er. »Ich führe dich zu ihm.«

In seinen Arm gelehnt folgte sie ihm.

Sie gingen den Gang entlang bis zu Peters Tür.

»Warte hier,« sagte er, »bis ich wiederkomme.«

Sie schloß die Augen und lehnte sich an die Wand.

Werner öffnete leise die Tür, schlich an Peters Bett, nahm das Kind, das in seinem Arm schlief, hob es hoch und trug es behutsam hinaus. Er legte es Cläre in den Arm. Die drückte es an sich und hüllte es in ihren Mantel.

Dann schlang er den Arm um Cläre und ging mit ihr die Treppen hinunter, aus dem Hans über den weiten Hof, bis sie draußen auf der Straße standen.

Da machte sich Cläre von ihm los, ging mit dem Kinde voraus, wandte sich zu ihm um und sagte:

»Komm!«

Er folgte ihr. Aber ihr Schritt wurde immer schneller. Und immer wieder wandte sie sich nach ihm um, winkte mit dem Kopf und rief ihm zu:

»Komm!«

Er eilte ihr nach. Aber so sehr er sich mühte, ihr zu folgen – der Abstand, der sie voneinander trennte, wurde immer größer. Er lief und lief. Aber er holte sie nicht ein. Wie vom Wind gefegt schwebte sie mit dem Kinde davon; immer ferner klangen ihre Rufe:

»So komm, Werner, komm!«

Er raste hinter ihr her – keuchte atemlos – fühlte Stiche im Herzen. Aber er ließ nicht nach, wurde schneller und schneller – aber immer größer wurde die Entfernung, die ihn von ihr trennte.

Nur verschwommen noch sah er weit vorn eine Gestalt, die einem Schatten glich und wie körperlos über die Wiesen raste. Und ihre Rufe:

»Komm! komm!« drangen nur noch wie das Rauschen des Windes an sein Ohr.

Dann verlor er sie ganz.

Es schien ihm, als wenn seine Füße jetzt die Erde nicht mehr berührten. Er hatte keine Macht mehr über sich. Vorwärts ging es ohne seinen Willen. Er mußte weiterstürmen  – ob er wollte oder nicht.

 

Da sah er plötzlich in weiter Ferne ein helles Leuchten. Wie ein Stern, der, zur Erde gefallen, wieder emporstieg, die Gestalt änderte, so sah er jetzt weit, weit weg in schimmerndem Lichtstrahl Cläre, das Kind im Arm – lächelnd und winkend. Und wie Engelsstimmen drang es wieder an sein Ohr:

»Komm! komm!«

Immer näher kam er ihr. Die Augen auf sie gerichtet, die Arme nach ihr ausgebreitet, stürmte er dahin. Jetzt war er gleich bei ihr. Schnell noch über den Bach, über die Wiese, den kleinen Berg hinauf! – So! nun ein paar Schritte noch . . .

Da zwang es ihn auf die Knie, er sah zu ihr auf, streckte die gefalteten Hände zu ihr empor und sah, wie sie sich sanft von der Erde hob und mit dem Kind im Arme selig lächelnd in den Himmel fuhr.

Sein Ausdruck verklärte sich. Und da dies Bild vor seiner Seele blieb, so behielt er den seligen, zum Himmel gerichteten, lächelnden Blick sein ganzes Leben lang.

Er erkannte niemanden mehr, verstand nicht, was die Menschen sprachen, ging träumend einher, kniete ganze Tage lang, breitete die Arme zum Himmel – und war sehr glücklich.

*

Als Peter am nächsten Morgen seinen Jungen in sein Bett zurücktrug und im Kinderzimmer Werner kniend und mit gefalteten Händen vorfand, wußte er sofort, daß hier keine Kunst des Arztes helfen konnte.

Er brachte ihn in seiner Nähe unter, ließ zuverlässige und gütige Menschen für ihn sorgen und wachte ängstlich darüber, daß sein Kind ihn nie zu sehen bekam.

Er selbst erkundigte sich täglich nach ihm. Und wenn er ihn hin und wieder mit dem glückseligen Lächeln in seinem Garten sah, und dann an seinen eigenen Kummer dachte, schien es ihm oft, als wäre das Schicksal mit Werner gnädiger verfahren als mit ihm. Aber er ließ um seines Sohnes willen, dem er sich immer heiter zeigte, die große Traurigkeit nicht aufkommen.

Die Aerzte hatten die Möglichkeit einer Heilung nicht von der Hand gewiesen. Nur in ihrer Macht lag es nicht, sie herbeizuführen oder auch nur vorzubereiten. Sie sprachen davon, daß ein gewaltiger Schreck am ehesten die Heilung herbeiführen könne.

Wenige Wochen später sah Peter sich vor diese Möglichkeit gestellt. – Der Krieg war ausgebrochen. Wenn es ein Ereignis gab, das in Werner das Unterste zu oberst kehren konnte, dann war es das.

Peter stand vor dem selig lächelnden Freunde. Er hatte das Herz nicht, den Glücklichen, Unbewußten in die Wirklichkeit zurückzustoßen.

Drei Tage hintereinander kam er früh und am Abend. Er wußte: tat er es, so gab er dem Kinde einen zweiten Vater und gewann sich den einzigen Freund zurück. Aber an sich und sein Kind durfte er nicht denken.

Am dritten Abend stand er wohl eine Stunde lang vor Werner, der, unverändert wie an jenem ersten Morgen, sein unbewußtes Leben lebte. Die Aerzte drängten Peter. Aber er blieb fest und sagte:

»Nein! Ich störe ihm sein Glück nicht. Und ich dulde auch nicht, daß andere es ihm stören.«

Er verließ mit den Aerzten das Haus und verbot den gütigen Menschen, die für Werner sorgten und die Peter besser verstanden als die Aerzte, irgend jemanden ohne seine Erlaubnis zu dem »Kranken« zu lassen.

Epilog

Es waren Jahre vergangen, als Peter eines Nachts in Berlin ankam und zu Fuß vom Bahnhof in sein Hotel Unter den Linden ging.

Der alte Ostrau war gestorben, und Peter, der für seinen Sohn das große Erbe antrat, hatte dringende Geschäfte zu erledigen.

Als er, ganz in geschäftliche Gedanken vertieft, die Elsasserstraße entlang ging, hörte er plötzlich eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Er blieb stehen.

Aus einem Lokal, an dessen schmutziger Fensterscheibe in großer, goldener Schrift »Zum schwarzen Ferkel« stand, trat ein Weib, dem man auf Dutzende von Schritten ihr Gewerbe ansah.

»Scher dich zum Teufel, Dreckfritze!« schimpfte sie auf einen verschrumpelten alten Kerl ein, der in zerfetzten Kleidern an der Fensterscheibe lehnte und aus verglasten Augen zu ihr aufsah.

Er hielt ihr die Hand hin, die voll von Silbermünzen war, und bettelte:

»Nimm mich mit!«

Peter, der auch diese Stimme kannte, gab es einen Stich ins Herz.

Das Weib raffte den Rock auf, hob das eine Bein hoch und schlug den Alten mit dem Fuß so grob gegen die Hand, daß er laut aufschrie und sämtliche Silbermünzen auf die Straße flogen. Dann kreischte sie laut auf und rief:

»Laß man Otto’n rauskommen, der wird dir schon Beine machen.«

Das wirkte. Denn der Alte ließ das Geld liegen und humpelte eilig davon.

Peter, dem es schwarz vor den Augen wurde, stützte sich an den Laternenpfahl.

Als er sich wieder in der Gewalt hatte und auf die Mitte des Bürgersteiges zuging, sah er in dem Fenster ein Riesenplakat, das das allabendliche Wiederauftreten der schwarzen Agnes verkündete. Und um das Plakat herum hingen verschmutzte Ansichtskarten und Photographien, die Agnes in ihrer besten Zeit zeigten.

Peter ließ ein Auto halten und rief dem Chauffeur zu:

»Hotel Bristol!«

Als er im Wagen saß, lachte er unwillkürlich laut auf. Im selben Augenblick erschrak er auch schon über sich selbst, drückte sich tief in die Ecke seines Wagens und dachte:

»Wahrhaftig! das ganze Leben ist zum Lachen traurig.«