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»Nein! Ich war die Veranlassung, daß Holten mit Agnes zusammenkam. Wie oft habe ich an diesen ersten Abend zurückgedacht und ihn verwünscht.«

»Jetzt bin ich erst so ganz froh!« sagte Peter, »weißt du, so ohne jede Hemmung, wo ich dich dabei habe.«

»Wieso dabei? Wie meinst du das?«

»Allein, da trau ich’s mir, offen gestanden, nicht recht zu! Ich wär ihr auf die Dauer am Ende zu langweilig geworden. Aber du hast das so raus, du weißt schon, was ich meine – in dich verliebt sich doch jede!«

»So arg ist es nicht! Aber nimm einmal an, sie verliebte sich in mich – was dann?«

»I wat, du wirst’s schon machen! Hauptsache, sie bleibt bei uns und bleibt mir treu. Also, wo gehen wir mit ihr hin heut abend? In die Oper gehst du natürlich.«

»Erlaub mal!«

»Du hast mir versprochen.«

»Gewiß, aber das ist zum mindesten sonderbar, wenn du gleich am ersten Abend einen Vertreter schickst.«

»Keine Spur! Ich hab ihr gleich gesagt, ich geh nicht mit, sondern hole sie ab. Hier,« – er gab ihm ein Billett – »So! das andere schick ich und schreib ein paar Zeilen dazu.« Werner schob ihm Papier und Feder hin. »Wie red ich sie an?«

»Aber du tust wahrhaftig, als wenn das deine erste Liebe wäre.«

»Ist es auch!«

»Richtig! Also schreib: Verehrtes Fräulein.«

»Kann ich nicht wenigstens: mein verehrtes Fräulein schreiben?«

»Das kannst du auch!«

Und Peter schrieb:

»Mein verehrtes Fräulein!

beiliegend das Billett für heute abend. Damit Sie sich in den Pausen nicht langweilen, sitzt links von Ihnen mein bester Freund, Doktor Werner Brand, der bekannte Schriftsteller, der Ihnen sagen wird, wie sehr ich mich auf unser Zusammensein freue. Ergebensten Gruß Ihr

Peter von Linden.«

»Du bist dir also klar, daß du das Mädchen ernsthaft liebst?« fragte Werner.

»Ja!« erwiderte Peter überzeugt.

»Und daß du als Vierzigjähriger einem Kinde gegenüber, wie sie es ist, eine Verantwortung hast.«

»Ich tue in bezug auf Cläre alles, was du für richtig hältst.«

»Versprich mir das!«

Peter versprach es ihm in die Hand.

»Dann wollen wir uns also nach dem Theater bei Borchardt treffen.«

»Wenn es nur erst soweit wäre!« sagte Peter. »Meinst du, daß ich ihr Blumen schicke?«

»Nein! Tue nichts, bevor wir mit ihr zusammen waren.«

*

Cläre fühlte nicht, oder achtete nicht darauf, daß sie vor Beginn der Vorstellung und in den Pausen allgemein bestaunt und bewundert wurde, obschon ihr bastseidenes Kleid alles eher als in die Augen fallend war. Und Werner, der sich sonst während einer Mozartschen Oper den Teufel was darum kümmerte, was um ihn herum vorging, fühlte den ganzen Abend über, wie er unter dem Eindruck Cläres stand. Die Musik zog ihn nicht ab, sie vertiefte den Eindruck. Und an Stellen, an denen er sich sonst mit geschlossenen Augen in eine andere, reinere, heitere Welt entrücken ließ, fühlte er noch inniger ihre Nähe.

Schon in der ersten Pause sagte er ihr:

»Das klingt sehr dumm, aber ich glaube, ich werde von nun an immer an Sie denken müssen, wenn ich Mozart höre.«

»Das verstehe ich nicht,« erwiderte Cläre. »Aber ich habe das Gefühl, als wenn es etwas Gutes ist, was Sie mir damit sagen.«

»Es wird wohl so sein.«

»Geht es Ihnen auch so, daß Sie bei bestimmten Menschen immer an eine bestimmte Art von Musik denken müssen?«

»Meinen Sie an eine Melodie?«

»Nein! An einen musikalischen Charakter. Ich kann das nicht so ausdrücken, wie ich es meine. Es ist sonderbar, wenn ich den Menschen nicht mag, dann wird mir auch die Musik, die er in mir erweckt, unerträglich. Bei Papa zum Beispiel,« sie senkte den Kopf, »aber das will ich lieber nicht sagen – kennen Sie Papa?«

»Ja, ich kannte ihn.«

»Wie war doch Ihr Name?«

»Doktor Brand – Werner Brand«

»Ja! natürlich! Ich entsinne mich. Sie sind doch der Friedensapostel.«

»Allerdings!«

»Dann wünsche ich Ihnen, daß Sie keinen Krieg mehr erleben. Denn das müßte für Sie niederschmetternd sein.«

»Das wäre es!«

»War Ihr Vater nicht früher Papas Verleger?«

»Gewiß!«

»Ich entsinne mich, es steht vorn in seinen Büchern.«

»Jawohl.«

»Kennen Sie die Bücher?«

»Ja! – das heißt, die letzten nicht mehr.«

»Das ist gut.«

»Ich bin in den letzten fünfzehn Jahren kaum mehr dazu gekommen, Literatur zu treiben.«

»Aber bis zur Helena kennen Sie alles, was er geschrieben hat?«

»Gewiß! – bis dahin jede Zeile.«

»Dann schätzen Sie ihn also?«

»Ich habe ihn sehr geschätzt.«

»Warum spielt man seine alten Sachen nicht mehr? Es gibt unter den neuen doch nichts Besseres?«

»Man wird sie wieder spielen. Ich glaube es sicher.«

»Wenn er tot ist,« sagte sie.

Da schwiegen sie beide.

Nach einer Weile sagte Cläre:

»Er ist tot.«

Werner fuhr zusammen und wandte sich zu ihr um.

»Was sagen Sie da?«

»Ich muß es wissen. Ich bin immer um ihn. Zuerst, als alles zusammenbrach, da hat er noch gelebt eine Zeitlang. Alle Tage saß er bei mir und freute sich mit meinen Fortschritten, brachte seine Noten mit, und ich spielte ihm vor. Dann begann er wieder an sich zu glauben und hoffte auch, daß seine Zeit noch einmal kommen werde. Mit der Zeit freilich wurde es immer weniger. Und eines Tages – ich spielte wie immer und legte alles Gefühl, das ich habe, in mein Spiel – er saß dabei, ohne daß, wie sonst, Leben in seine Züge kam. Er verzog keine Miene, er schien gar nichts zu hören, sondern stierte teilnahmslos vor sich hin. Da merkte ich dann, er fühlte nichts mehr. Sehen Sie, das war arg. Nicht, daß er tot war, darüber wäre ich hinweggekommen. Aber daß er aufstand, mich mit starren Augen ansah, verzweifelt den Kopf schüttelte und hinausging, das war furchtbar.«

Die Pause war vorüber, der Zuschauerraum verdunkelte sich – das Orchester spielte. Werner hatte das Gefühl, als wenn er ganz dicht an Cläre heranrücken, ihre Hand nehmen und sie drücken müßte.

Sie fühlte es wohl, denn sie bewegte langsam den Kopf und sagte leise:

»Nein!«

Werner saß während des ganzen Aktes mit geschlossenen Augen. Noch nie hatte, wie heute, jeder Ton sein Herz so unmittelbar getroffen.

Die letzte Pause kam. Es wurde hell. Die meisten Menschen klatschten. Werner öffnete die Augen und wandte sich zu Cläre. Sie sahen sich an, nickten nur und schwiegen.

Nach einer Weile sagte Cläre:

»Sie waren sein Freund?«

»Ja!«

»Warum haben Sie nicht versucht, ihm zu helfen?«

Werner schwieg.

»Sie haben meine Mutter gefürchtet?«

»Ja! Aber nun fürcht’ ich sie nicht mehr.« Er setzte sich in die Höhe.

»Was wollen Sie tun?« fragte Cläre.

»Ihm helfen.«

Cläre schüttelte den Kopf.

»Meinen Sie, daß es zu spät ist?« fragte er.

»Ja! Aber selbst wenn es das nicht wäre: wie hätten Sie ihm helfen wollen? Ihm konnte nur eins helfen – und das war Liebe.«

»So lieben Sie ihn also nicht . . .?«

»Doch! Aber daran lag ihm nichts. Es war die Liebe einer anderen; die brauchte ihn nur gütig anzusehen.«

»Ich verstehe.«

»Aber sie tat es nicht.«

»Und sie ist durch nichts zu bewegen?«

»Doch!«

Cläre senkte den Kopf.

»Wenn Sie glauben, daß ich . .«

»Nein! Das konnte nur ich.«

»Und Sie haben es nicht getan?«

»Doch! Ich habe es getan.«

»Und hatte es Erfolg?«

»Ja!«

»Dann lebt er also wieder auf?«

Cläre nickte.

»Nicht möglich!« sagte Werner freudig »Und Sie, Fräulein Cläre, haben das bewirkt?«

»Ja, ich!«

»Macht Sie das nicht glücklich?«

»Nein!«

Er sah sie an. Sie hob den Kopf und hielt ihm das Gesicht hin.

»Lesen Sie!« sagte sie laut.

Und Werner sah den Jammer ihres Herzens.

Er faßte sie leicht am Arm.

»Kommen Sie hinaus!« bat er und führte sie auf den Gang. Während drinn die Oper weiterging, saßen sie in dem dunklen Vorraum. Er hielt ihre Hand, und sie erzählte von ihrer Schande – und beschönigte nichts. Die Töne des Orchesters, die gedämpft zu ihnen drangen, wirkten wie eine Erlösung. Sie brach oft mitten im Satz ab und horchte auf. Und dann schien es Werner, als wenn die Augen weniger trostlos blickten und irgendwo in weiter Ferne, wenn auch noch gestaltlos und unbestimmbar, eine Hoffnung sahen.

»Und nun wissen Sie’s, wie er gerettet wurde,« schloß sie. Dann sank sie in sich zusammen.

Werner raffte sich auf und sagte:

»Das hätten Sie nicht tun sollen! Nun aber, wo es einmal geschehen ist, wollen wir nicht kopflos immer weiter bergab stürzen, sondern an Ihre Rettung gehen.«

»Was ist da noch zu retten?« fragte sie.

»Alles! wenn Sie an Menschen kommen, die sich nicht an die Dinge als solche halten, sondern den Gründen nachgehen.«

»Gibt es solche Menschen?«

»Ja!«

»Wo gibt es die?«

»Wir sind solche Menschen.«

»Wir?« fragte sie erstaunt.

»Mein Freund Peter und ich.«

Cläre schloß die Augen und sagte schwer:

»Richtig, an den hatte ich gar nicht mehr gedacht – der steht mir ja auch noch bevor.«

»Er wird nichts tun, was ich nicht billige. Und, nicht wahr, mir vertrauen Sie?«

Sie gab ihm die Hand und sagte:

»Hätte ich sonst wohl . . .?«

»Dann versprechen auch Sie mir, daß Sie in allem mir folgen wollen.«

Sie sah ihn fragend an:

»Ist das nicht ein bißchen viel verlangt?«

»Nein! denn Sie müssen jemanden haben, der den Mut, die Autorität und den Willen hat, Ihrer Mutter seinen Willen entgegenzusetzen. Ihrem ersten Schritt darf kein zweiter folgen.«

»Was haben Sie vor? was wollen Sie mit mir machen?«

»Einen zufriedenen Menschen will ich aus Ihnen machen; nichts weiter.«

»Als wenn das nicht alles wäre!«

 

»Gewiß ist es das! – Also? haben Sie Vertrauen?« Er streckte ihr die Hand hin.

»Ja!« sagte sie und schlug ein.

Ein Logendiener half ihnen in die Mäntel, und sie gingen zu Fuß zu Borchardt, wo Peter bereits seit einer Stunde saß und wartete.

*

Als sie nach der üblichen Begrüßung, die nur durch Peters strahlendes Gesicht etwas Besonderes hatte, saßen, sagte Peter:

»Sie sehen ja ganz reizend aus!«

Man fühlte deutlich, wie sehr es ihm aus dem Herzen kam.

Und so klang es auch durchaus natürlich, als Cläre zur Antwort gab:

»Wie nett Sie das sagen!«

»Haben Sie sich gut unterhalten?« fragte er weiter.

Cläre sah Werner an und sagte:

»Wir uns ja! Von der Oper haben wir nicht viel gehört!«

»Und das hat sich das Publikum gefallen lassen?«

»Wir waren so rücksichtsvoll,« sagte Werner, »vom zweiten Akt ab im Foyer zu bleiben!«

»Das hätte ich wissen sollen.«

»Wieso?«

»Weil ich hier schon seit einer Stunde sitze und auf euch warte.«

»Wußten Sie nicht, wann es aus ist?« fragte Cläre.

»Doch! Aber ich hatte solche Unruhe.« Dabei sah er sie strahlend an: »Lachen Sie mich nur aus. Werner hat es auch schon getan.«

»Ich lache nicht,« sagte Cläre.

»Im übrigen, die Stunde durftest du uns schon gönnen.«

»Euch beiden gönne ich alles,« sagte Peter treuherzig.

»Das darfst du auch.«

»Mögen Sie ihn?« fragte Peter und wies auf Werner.

»Was ist das für eine Frage! Fräulein Cläre kann doch unmöglich nein sagen.«

»Ich mag ihn sehr!«

»Was hat er Ihnen denn erzählt?«

»Ich habe nicht viel gesprochen,« sagte Werner.

»Ich habe ihm von mir erzählt, Sie hätten es auch hören dürfen. Jeder darf es hören. Denn ich will, daß man mich einschätzt, wie ich bin. Sie müssen es dem Baron erzählen, wenn er Ihr Freund ist. Vielleicht denkt er anders als Sie.«

»Das tut er sicher nicht,« erwiderte Werner. »Ich kenne ihn. Wenn er dabei gewesen wäre: er würde Sie nur um vieles lieber haben.«

»Das ist unmöglich,« sagte Peter.

»Wieso?« fragte sie erstaunt.

»Weil ich Sie schon jetzt so lieb habe!« Dabei sah er sie an, und Tränen traten ihm in die Augen, die ersten Tränen, die Werner, der ihn als Schüler kannte, bei ihm sah.

Werner reichte ihm die Hand über den Tisch und sagte:

»Peter! Ich gehe mit dir durch dick und dünn. Aber wenn du die Frau nicht glücklich machst, dann ist es aus zwischen uns beiden.«

Cläre sah sie mit erstaunten Blicken an.

»Verlaß dich drauf!« erwiderte Peter. »Ich tue alles!«

»Aber Sie kennen mich ja gar nicht!« sagte Cläre. Werner wandte sich zu ihr.

»Ich aber kenne Sie! Das ist dasselbe.«

»Sind Sie so miteinander?«

Beide sagten:

»Ja!«

»Das muß ein schönes Bewußtsein sein. Ist das schon lange so?«

»Seit fünfundzwanzig Jahren,« sagte Werner.

Und Peter nickte und sagte:

»Ja.«

»Ich glaub’s.« Dann machte sie ein ernstes Gesicht und sagte:

»Schade!«

»Was ist schade?« fragte Werner.

»Daß das so lange Zeit braucht, um so zu werden.«

»Nein! das braucht es nicht. Ich bin schwerfällig in meinen Gefühlen. In den ganzen Jahren hatte ich niemand, für den ich ähnlich empfand. Und, sehen Sie, trotzdem habe ich schon jetzt für Sie das gleiche Empfinden.« Cläre senkte den Kopf; und er nahm ihre Hand, die auf dem Tische lag.

»Denn das beruht ja nicht auf Gewohnheit,« fuhr er fort. »Das ist der gleiche Ton, der in mir klingt; so daß man sich nicht erst aufeinander einzustellen braucht. Der Zusammenklang ist eben da! war da, von Anfang an. Die Seele brauchte nur in Schwingung zu kommen, und man fühlt es! Vielleicht, daß wir ohne den Abend heute monatelang nebeneinander hergegangen wären, ohne es zu wissen.«

»Und die Musik, meinen Sie . . .«

»Ja! die hat Sie mir erschlossen. Unbedingt! Und nun kenne ich Sie und weiß auch, weshalb Peter Sie liebt, Sie lieben muß. Weil Ihr Gefühl so gar nicht verbildet, genau so unkompliziert ist, wie seins. Und wenn ich ihm alles erzählt habe, dann wird er Sie noch viel inniger lieben.«

»Das ist wohl nicht gut möglich,« widersprach Peter.

»Doch! doch! Du wirst es sehen. Ihr beide!« und er nahm auch Peters Hand und legte sie auf die Cläres und war ganz gerührt und wiederholte: »Ihr beide!«

»Und Sie?« fragte Cläre, und Peter fühlte ihre Hand zittern und sagte:

»Er auch! er gehört dazu!«

»Ja! Ich auch. Ich gehöre zu eurem Glück. Einer muß sein, der es beschirmt.«

»Wir drei also!« sagte Peter, und ihre Hände ruhten noch lange ineinander; ein schwacher Ausdruck für das Gefühl dreier Herzen, die sich zusammenschlossen.

*

Bis tief in die Nacht saßen sie im ernsten Gespräch bei Borchardt. Und als sie Cläre gegen drei Uhr in ein Auto hoben und nach Haus fuhren, waren sich alle drei über den Weg klar, den sie gehen mußten.

Es war gegen zehn Uhr morgens des nächsten Tages, als Minna, die Zofe, an Agnes’ Tür klopfte und den Besuch zweier Herren meldete.

»Wer?« fragte Agnes.

»Baron Peter. Und den anderen kenne ich nicht. Aber sie gehören zusammen.«

»In den Salon! Ich komme gleich.«

Agnes brachte sich schnell in Ordnung und stürzte nach vorn.

»Welche Ueberraschung!« rief sie und gab erst Peter, dann Werner die Hand.

Im selben Augenblick beschlich sie auch schon ein unbehagliches Gefühl. Wenn sie Werner sah, mußte sie stets an den alten Brand denken. Und wenn sie sich mit dem Sohne auch niemals überworfen hatte, so war das Verhältnis zwischen ihnen doch nie ein herzliches gewesen.

»Ein seltener Besuch, Herr Doktor!«

»Ja! die Verhältnisse bringen einen auseinander!«

»Bitte!« und sie wies auf ein paar Sessel, die um einen runden Tisch herum standen.

Alle drei setzten sich.

»Liebe Frau Agnes,« begann Peter. »Sie werden sich vielleicht wundern.«

»I Gott bewahre! Worüber sollte ich mich wohl wundern! Und wenn Herr Doktor Brand jetzt aufstände und um meine Hand anhielte – feierlich genug dazu ist sein Ausdruck – ich würde nicht einen Augenblick an dem Ernst seiner Werbung zweifeln.«

»Na, um so besser,« erwiderte Peter, »wenn Sie auf alles vorbereitet sind. Nur eine Bitte, damit ich nicht alles doppelt zu sagen brauche: wäre es möglich, daß Ihr Mann und Ihre Tochter nach vorn kämen?«

Ein Heiratsantrag! dachte Agnes. Und ihr zweiter Gedanke war: so ein Wahnsinn! Sie stand auf und ging zur Klingel. Dem Mädchen, das eintrat, sagte sie: »Rufen Sie Fräulein Cläre und Herrn Doktor.«

»Herrn Doktor?« entfuhr es dem Mädchen.

»Ja!« sagte sie kurz. Die Frage war ihr unangenehm und wirkte auch auf die beiden unbehaglich.

Einen Augenblick lang stockte die Unterhaltung.

»Ist das Preisausschreiben schon entschieden?« fragte Werner, nur um etwas zu sagen.

»Nein! Aber ich glaube, daß Carl große Chancen hat.«

»Carl?« fragte Werner erstaunt.

»Ja! Er arbeitet wieder, und wie es scheint, mit gutem Erfolg. Er hat aus seinem Drama ›Frau Agnes‹ ein Kinostück gemacht, das ich prachtvoll finde.«

Cläre trat ins Zimmer. Frei und unbefangen begrüßte sie Peter und Werner, die sich erhoben.

»Ah!« sagte Peter und war sofort wieder befangen; Werner drückte ihr die Hand und fragte:

»Gut bekommen?«

»Ausgezeichnet! Ihnen auch?«

»Sie waren mit?« fragte Agnes erstaunt.

Alle drei sagten:

»Ja!«

Und Agnes dachte:

»Also Werner!«

Sie wollten sich eben setzen, da erschien Carl. Werner schloß unwillkürlich die Augen. »Ausgelöscht,« dachte er und sah ihn im Geiste an jenem Abend nach der Helena-Premiere vor sich, die nach dieser Wandlung fünfzig Jahre zurückzuliegen schien.

Carl sah ihn groß an und sagte:

»Werner!«

»Ja, Carl! Ich bin’s!«

»Hättest du mich erkannt?«

Werner log und sagte:

»Ja.«

Carl strahlte und sah Agnes an:

»Hörst du?« Dann wandte er sich wieder zu Werner.

»Das dank ich ihr!«

»Laß doch!« sagte Agnes.

»Nein! Sie sollen es wissen!« Er hob den Kopf und sagte stolz: »Ich arbeite wieder! seit ein paar Tagen!«

»Das ist ja schön!« erwiderte Werner.

»Du wirst mal sehen, in einem Jahre, da bin ich wieder da!«

»Wir wollen es hoffen.«

»Das ist ganz sicher!«

»Gewiß! wenn du es fühlst, dann wird es auch sein!«

»Siehst du!« wandte er sich wieder zu Agnes. »Er glaubt es auch!« Die brach das Gespräch ab und sagte:

»Wir wollen uns doch setzen!«

Carl erwiderte »Ja«, und alle setzten sich.

»Also, lieber Baron, Sie hatten ja wohl etwas auf dem Herzen.«

»Ja! Also ich glaube,« und dabei wandte er sich an Werner, »du machst das besser.«

»Wenn Sie gestatten!« sagte Werner und sah Agnes an.

Die dachte: ich habe mich also geirrt! Aber daraus wird nichts! – und sagte:

»Bitte!«

Und Werner begann:

»Um was es sich handelt, ist kurz: Cläres Glück! das Ihnen ja wohl so am Herzen liegt wie uns.«

»Das darf man wohl annehmen,« erwiderte Agnes nicht ohne Ironie.

»Nur darüber, wie ein solches Glück aussieht, gehen, scheint’s, unsere Ansichten auseinander.«

»Das glaube ich auch,« sagte Agnes. »Und ich weiß nicht recht, in welcher Eigenschaft Sie und der Baron . . .«

»Sehr richtig!« unterbrach sie Werner. »Das hatte ich vergessen, zu erwähnen. Fräulein Cläre hat den gestrigen Abend in unserer Gesellschaft verbracht und zwar, was ich ausdrücklich betone, mit Ihrem Wissen und Willen. Der Ausgang dieses Abends mag nun nicht ganz den Erwartungen entsprochen haben, die Sie, Frau Agnes, daran geknüpft haben. Das Ergebnis ist vielmehr das entgegengesetzte.«

»Das ist mir unverständlich.«

»Fräulein Cläre hat Vertrauen zu uns gefaßt und hat sich uns erschlossen. Das Resultat ist, daß wir,« – er stand auf, und Peter folgte seinem Beispiel – »das heißt der Baron und ich, von heute ab Cläres Schicksal in die Hand nehmen.«

Agnes lachte laut auf.

»Auch gegen Ihren Willen, Frau Agnes!« sagte er bestimmt.

»Und . . . und wie wird dieses Schicksal aussehen?« fragte Agnes.

»Folgendermaßen: Als Erstes endet für Sie mit dieser Stunde jedes Bestimmungsrecht über Cläre.«

»Tollhaus!« rief Agnes.

»Sodann«, fuhr Werner, ohne den Ton zu ändern fort, »heiratet sie der Baron.«

Carl strahlte.

». . . wozu Sie, Frau Agnes und du, Carl, eure Einwilligung gebt.«

»Sonst noch was?« fragte Agnes frech.

»Ja! Noch zweierlei: Das Glück dieser Ehe setzt voraus, daß Fräulein Cläre Ihrem erwiesenermaßen unheilvollen Einfluß ein für allemal entzogen wird. Immerhin wird der Baron dem Wunsche Ihrer Tochter so weit entgegenkommen, daß Sie Fräulein Cläre wöchentlich einmal an einem Ort, den wir bestimmen werden, und zwar in meiner Gegenwart, sprechen dürfen.«

Agnes hatte sich entfärbt. Sie biß die Lippen aufeinander, stand auf und ballte die Fäuste.

»Schließlich«, und damit wandte er sich an Carl, »ist es der Wunsch deiner Tochter, daß auch du . . .«

In diesem Augenblick riß Agnes die Arme doch, krallte die Finger und schoß wie ein Raubtier auf Werner los.

»Hund!« rief sie.

Aber Werner hatte es kommen sehen. Er fiel ihr in den Arm, umspannte fest ihre Knöchel und drückte sie auf den Stuhl. Und während er sie festhielt, wandte er sich wieder an Carl und wiederholte:

»Es ist also der Wunsch deiner Tochter, auch dich zu einem menschenwürdigen Dasein zurückzuführen. Peter wird deinem Kinde zuliebe – bleiben Sie ruhig,« sagte er zu Agnes, die verzweifelte Versuche machte, freizukommen – »auch dich zu sich nehmen. Allerdings unter der Voraussetzung, daß du Agnes nie wiedersiehst. – So! das ist das, was ich zu sagen habe. Frau Agnes, ich bitte Sie, es hat wirklich keinen Zweck, beruhigen Sie sich!«

»Und ich? und ich?« fauchte sie wütend.

»Für Sie wird der Baron in großherzigster Weise sorgen.«

»Almosen, von euch Lumpen?«

»Es läßt uns kalt, wie alles, was Sie noch sagen werden. Also sparen Sie den Aufwand!«

»Mein Kind verschleppen? – Polizei! Polizei!« schrie sie laut und riß sich los, stürzte zur Tür, riß sie auf und brüllte:

»Nun aber raus!«

Werner schüttelte den Kopf und sagte in aller Ruhe:

»Noch nicht! Wir brauchen noch die Einwilligungserklärung für die Ehe«

»Raus! sag ich!« wiederholte Agnes.

Peter stand auf und sagte zu Werner:

»So kommen wir nicht weiter.« Dann trat er dicht zu Agnes heran und flüsterte ihr zu, so daß es die anderen nicht hörten:

»Kommen Sie auf einen Augenblick da hinein!«

Sie ließ die Tür los und wankte ins Nebenzimmer.

 

Peter folgte ihr.

»Was willst du?« fragte sie.

Er zog die Portieren zu:

»Also?«

Er zog sein Scheckbuch aus der Tasche:

»Fordere!« sagte er.

Sie schlug es ihm aus der Hand und stürmte an ihm vorbei, riß die Portieren auf und stand wieder vor Werner.

»Zum letzten Male! aus meinem Haus!!«

Cläre trat ein paar Schritte vor.

»Abkaufen wollte er dich mir!« rief ihr Agnes zu. »So ein Vieh!«

Carl stand verängstigt an einen Schrank gelehnt. Peter trat auf ihn zu:

»Wollen Sie mir Ihr Kind anvertrauen?« fragte er.

Agnes lachte höhnisch auf:

»Ich bestimme! Ich ganz allein!«

»Willst du sie ihm nicht geben?« fragte Carl.

Cläre stand jetzt dicht vor ihrer Mutter, sah ihr fest in die Augen und sagte:

»Ich will!«

»Nein!« schrie Agnes.

»Du wirst es nicht hindern!«

»Du kannst nicht ohne mich! – Gottlob!«

»Dann wart’ ich solange, bis ich es kann!«

»Schneide dich nicht! Ich habe Mittel, es zu verhindern!«

Wir werden Sie zwingen!« sagte Werner, und Agnes rief:

»Ueberleg es dir!«

»Ich habe mir nichts mehr zu überlegen.«

»Bis du einundzwanzig bist, gehörst du mir!«

»Das ist nicht wahr!« erwiderte Cläre.

»Es ist wahr!«

»Sie kann fort von Ihnen, wann sie will. Wenn wir beim Vormundschaftsgericht nachweisen, daß die Verweigerung nicht im Interesse des Kindes liegt – und das dürfte hier nicht schwer fallen – dann geht’s auch so.«

Agnes sperrte den Mund auf und fragte Carl:

»Ist das wahr?«

»Ich glaube.«

Agnes raste:

»Gut! gut! geht nur hin! und holt sie euch! Aber dann, bevor ihr aufs Standesamt geht, da vergeßt nicht, noch einmal bei mir vorbeizukommen. Es könnte sein, daß ich euch noch etwas erzähle, vielleicht, daß ihr es dann nicht gar so eilig habt und einen Umweg macht.«

»Was willst du?« fragte Cläre. »Du schreckst uns nicht!«

»Hüte dich!« rief Agnes.

»Hättest du mich nur gehütet, statt . . .« – Sie sah Carl an und schwieg.

»Sprich es nur aus!« rief Agnes. »Dann wirst du gleich sehen, an was du dich wegwirfst! Du hast es nötig! Sag es doch!« drängte sie. – »Dann bist du zur Ware gestempelt und deklassiert! Dann ist es aus mit der Frau Baronin! Dann schleifen sie dich ein paar Jahre mit sich herum, und wenn du verwelkst, gibt’s ’n Tritt und als Schmerzensgeld ’ne Hungerrente!«

»Sie irren!« sagte Peter.

»Aber wenn du mir folgst, dann wirst du frei und unabhängig und verfährst mit der Sippschaft, wie es dir paßt und wie sie’s verdient!«

Cläre sah ihre Mutter an, schüttelte den Kopf und sagte:

»Das ist ein Wahn, der dich verfolgt.«

»Red nicht von mir! red von dir! – Also? was stehst du da wie die fromme Helene und tust, als könntest du nicht bis drei zählen? So nehmt sie euch doch und wickelt sie euch in Watte! Es könnte sonst sein, daß die Frau Baronin lädiert in die Ehe kommt! – Ha! ha! ha! Seid ihr plötzlich ängstlich geworden? Glaubt ihr, ich habe sie nicht behütet? Oh, das dürft ihr nicht denken! Fragt sie doch! Nur zu! – Aber nehmt euch vor mir in acht! Ich versalz euch das Fest! Was meint ihr dazu: wenn sich die Hochzeitsbagage hochmütig und steif in der Kirche bläht, und plötzlich stürzt die Mutter vor den Altar und reißt der Tochter den Kranz vom Kopf und lacht laut auf und schreit: So! es geht auch ohne! Ich bin die Mutter und war zeitlebens eine Hure! Und meine Tochter soll ihrer Mutter nicht nachstehen und mehr scheinen wollen als sie ist! Ich halte auf den guten Ruf der Familie! So! und nun laßt euch nicht stören und feiert weiter.« —

Cläre wankte ein paar Schritte zurück. Peter stützte sie.

»Wie steht’s? Ist euch die Lust vergangen? – Laßt sie, wo sie hingehört, und geht eurer Wege!«

»Wir wissen alles,« sagte Werner. »Aber das trifft nur Sie! nicht Cläre!«

»Was wißt ihr denn? Nichts wißt ihr!«

Cläre richtete sich auf:

»Ich habe euch nichts verschwiegen.«

»Du weißt ja selbst nichts!« sagte Agnes.

»Nun, Carl,« rief Werner, »scheint es mir doch an der Zeit, daß man dir endlich den Star sticht.«

Cläre, die an Peters Arm lehnte, beugte sich zu Werner:

»Nicht! nicht! bitte nicht!«

»Er muß es wissen!« widersprach Werner. »Das wird ihn endlich von dem Bann befreien.«

»Erzählen Sie nur munter, was Sie auf dem Herzen haben!« rief Agnes höhnisch. – »Der letzte Trumpf gehört doch mir.«

Carl stand, den Blick zur Tür gerichtet, noch immer an den Schrank gelehnt. Er hoffte immer, daß die Tür sich öffnen und irgendwas sich ereignen würde, was dieser furchtbaren Szene ein Ende machte.

Werner trat jetzt auf ihn zu, legte seine Hände auf Carls Schultern, sah ihn an und sagte:

»Also höre: folgendes Anerbieten hat Agnes deinem Kinde gemacht: Wenn Cläre sich bereit erklärte, ein anderes Leben zu beginnen und sich an ein paar Männer, die sie für sie ausgesucht hatte, wegzuwerfen, dann wollte sie dich dafür wieder in Gnaden aufnehmen. Dein Kind hat lange mit sich gekämpft. Schließlich hat sie sich, um dich zu retten, weggeworfen. – So! und nun entscheide, ob du mit deinem Kinde gehen oder bei der da bleiben willst.«

Carl fiel in seine Starrheit zurück. Erst zuckte es ein paarmal in seinem Gesicht, dann war es, als wenn ein großer Schreck ruckartig durch den ganzen Körper fuhr. Die

Arme glitten schlapp zur Seite, der Ausdruck seines Gesichts wurde hart, dann rührte er sich nicht mehr.

»Ich wußte es!« schrie Cläre. »Er stirbt!« und stürzte auf ihn zu, schüttelte ihn und drückte ihn an sich. Aber er bewegte nur langsam den Kopf und sah sie mit trostlos starren Augen an.

»Wie damals!« sagte sie.

Aber Werner blieb nicht auf halbem Wege stehen.

»Du kennst dein Kind, Carl! Du weißt also, daß es für sie nicht, wie vielleicht für manche andere, ein Spaziergang war. Sie brach zusammen! Sie wußte es vorher. Dir zuliebe! Laß sie das Opfer nicht umsonst gebracht haben! Komm mit uns! Du wirst Agnes vergessen! und mit ihr und in Erinnerung an Cläre wieder der Alte werden.«

Carl streckte wie ein Blinder seine Arme nach Cläre aus.

»Vater!« rief sie strahlend. Und sie ging mit ihm am Arme ein paar Schritte auf die Tür zu. Mitten im Zimmer blieb er plötzlich stehen und sah sich nach Agnes um.

»Läßt du mich gehen? sagten seine Augen.

»Komm, Vater!« bettelte Cläre.

Agnes sah ihn an und sagte:

»Du bleibst bei mir.«

Da wandte sich Carl von Cläre weg, ging auf Agnes zu, glitt neben ihr nieder, hob die Arme hoch und umschloß ihre Knie.

Peter und Werner stützten Cläre.

»Halt!« rief Agnes, als Werner eben die Hand auf die Klinke legte.

»Was ist?« fragte Peter.

»Ist dir das Opfer sehr schwer gefallen?« fragte sie.

In Cläres Gesicht stand die Antwort.

Peter gab Werner ein Zeichen und sagte:

»Wir wollen gehen.«

»Einen Augenblick noch!« rief Agnes. »Es kann dir jetzt, wo du gehst, ja gleich sein. Aber damit du’s doch weißt,« – und dabei wies sie auf Carl, der noch immer vor ihr auf den Knien lag – »der Mann, für den du dich geopfert hast, ist gar nicht dein Vater!«

Cläre sank in die Knie.

Peter und Werner hoben sie hoch und trugen sie hinaus. Hinter ihnen her schallte höhnisch Agnes’ Lachen.

Daß Agnes Carl zur Seite stieß, ihre Hand aufs Herz drückte und in eine tiefe Ohnmacht fiel, sahen sie nicht mehr.