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Lache Bajazzo

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Agnes, die einen theaterfreien Abend hatte, war an der Bahn. Sie trug ein Mantelkleid aus blauem Rippenköper mit Schulterkragen und Knopfbesatz und sah wie immer apart und verführerisch aus. Das fand auch Werner, und das fanden alle, die auf dem Bahnsteig standen und sie sahen; und als der Zug einfuhr und die Reisenden sich an die Fenster drängten, um ihre Angehörigen zu suchen, irrten viele Augen ab und verfingen sich in ihr Bild.

Carls erster Gedanke, als er sie stehen sah, war:

Gottlob, sie ist gesund!

Sie begrüßten sich zärtlich; dann reichte sie Werner die Hand, sah beide an und sagte:

»Nein! Seht ihr neugierig aus!«

»Ich gestehe, daß ich’s bin,« sagte Carl.

»Wenn ich störe . . .« meinte Werner und wollte sich verabschieden.

»I Gott bewahre!« sagte Agnes. »So geheimnisvoll ist das nicht. Im übrigen —« und nun fing sie an, ohne Unterbrechung von Theater, Gesellschaften und tausenderlei anderen, gleichgültigen Dingen zu erzählen, bis ihr der Atem ausging, sie abbrach und sagte:

»Also, nun wißt ihr’s!«

»Was?« fragten beide erstaunt.

»Na, das alles konnte ich doch unmöglich schreiben!« sagte sie. »Ihr wißt ja gar nicht, wie sehr ich in Anspruch genommen bin.«

»Und darum mußte ich —?« begann Carl.

»Da sind wir!« rief Agnes. Und tatsächlich hielt das Auto vor Holtens Tür.

Der Diener und das Mädchen nahmen die Sachen aus dem Wagen. Carl, Agnes und Werner stiegen aus.

Werner wollte sich verabschieden.

»Ausgeschlossen!« sagte Agnes. »Sie essen bei uns. Es sind so noch ein paar Leute da.«

Carl verdroß das.

»Ich bin so abgespannt,« sagte er leise, so daß es Werner nicht hörte, »das konntest du dir doch denken.«

»Natürlich habe ich mir das gedacht – und darum eben, um dich aufzuheitern . . .«

Auf der Diele erwarteten sie Geheimrats, der Direktor und der runde Justizrat.

»Wir wollten nicht kommen,« entschuldigte sich die Alte und begrüßte Carl. »Es wäre richtiger, Sie wären allein mit Agnes und legten sich bald. Aber sie wollte durchaus. Auch die Gesellschaftstoilette —« sie war dekolietiert, »hat sie befohlen.«

»Wir bestätigen es,« sagte der runde Justizrat, der wie die anderen Herren im Frack war, und verbeugte sich.

»Also! nun schnell umziehen!« befahl Agnes.

»Wie? – was?« fragte Carl.

Und alle plädierten dafür, daß Carl im Reiseanzug bliebe.

»Ausgeschlossen!« rief Agnes. »An solchem Tage!« Keiner verstand sie. »Frack und alles liegt bereit; er braucht nur hineinzuschlüpfen. Auch deiner, Werner. Ich habe ihn holen lassen.«

Sie gab dem Diener einen Wink, und Werner verschwand mit ihm nach hinten.

Carl sträubte sich noch.

»Wenn ich dich doch bitte!« drängte sie. »So verdirb mir nicht die Freude! Im übrigen, es schickt sich nicht, wo du siehst, daß deine Gäste . . .« und dabei hatte sie ihn auch schon unter den Arm, entschuldigte sich bei den anderen und verschwand mit ihm.

»Was sie nur hat?« fragte die Alte, die sich vor Neugier nicht mehr halten konnte, aufstand und mit roten Backen auf der Diele auf und ab lief.

»Was wird es schon sein!« sagte der Direktor. »Ich vermute, der Gastspielvertrag mit der Türkei ist perfekt. Sie sprach schon seit Tagen von nichts anderem mehr.«

»Ich vermute,« sagte der Justizrat, »Baron Peter hat seinen Reichsgerichtsprozeß gewonnen. Man erzählt sich ja, daß sie von früher her ein schriftliches Versprechen von ihm hat, wonach ihr für Eintritt dieses Falls eine märchenhafte Summe zufällt.«

»Natürlich! das wird es sein!« rief die Alte.

»Ob Holten aber gerade an einer offiziellen Feier dieses Ereignisses gelegen ist, möchte ich bezweifeln,« sagte der Direktor.

»Ich auch,« trat ihm der Geheimrat bei. »Meiner Ansicht nach handelt es sich . . .«

»Du mußt es ja wissen!« unterbrach ihn die Alte, die immer unruhiger hin und her lief spöttisch.

»Ich weiß es nicht, aber ich vermute —« fuhr der Geheimrat fort, »daß diese kleine Feier der großen Silbernen Medaille gilt . . .«

»Was für ’ner Medaille?« fragte die Alte und blieb stehen. »Warum weiß ich davon nichts?«

»Wahrscheinlich, weil es eine Ueberraschung sein soll,« sagte der Direktor, und der Geheimrat erwiderte:

»Sehr richtig!«

»Also was ist das für ’ne Medaille?« fragte die Alte ungeduldig.

»Wenn du mich nicht unterbrochen hättest, wüßtest du es längst,« erwiderte er und spannte ihre Neugier damit aufs höchste. »Es ist die große silberne Medaille für Kunst und Wissenschaft, die der Großherzog von Luxemburg ihr für einen Tanzabend in seinem Schloß verliehen hat.«

»Wieso steht davon nichts in den Zeitungen?« fragte die Alte.

»Es wird schon hineinkommen. Ich glaube, sie hat sie erst seit ein paar Tagen.«

»Ich meine das von dem Tanzabend. Das liegt doch vermutlich länger zurück.«

»Sehr richtig! Da das aber nicht offiziell, vielmehr im engsten, allerengsten Kreise, sozusagen unter vier Augen war, so gehört es nicht in die Oeffentlichkeit.«

Agnes kam strahlend am Arm von Carl, der jetzt Frack und weiße Weste trug, zurück.

»Meine Herrschaften!« sagte sie, »darf ich bitten!« und wies auf die Flügeltür, die zwei Diener im selben Augenblick aufzogen.

Eine diskrete Musik ertönte aus dem kleinen Eßsaal, in dem eine Tafel, geschmückt mit erlesensten roten Rosen, für sieben Personen gedeckt war.

Die Plätze waren belegt; man setzte sich. Niemand sprach. Alle saßen voller Erwartung und sahen bald Agnes an, bald zur Tür. Aber nichts ereignete sich. Zwischen jeder Auster sah man auf, und so oft Agnes das Glas hob, legte man Messer und Gabel aus der Hand und dachte: jetzt!

Als man die Hamburger Kücken zerlegte, was in der nervösen Verfassung, die durch die Musik noch erhöht wurde, nicht einfach war, sagte Agnes:

»Sehr unterhaltend seid ihr!«

Dann gab sie dem Diener ein Zeichen. Der verschwand und kam gleich darauf mit ein paar Champagnerflaschen zurück.

»Was wird nun?« fragten alle Gesichter.

Aber Agnes stellte ihre Geduld auf eine noch härtere Probe.

»Wißt ihr,« sagte sie, »nett ist das nicht von euch. Ich will, wie ihr wißt, ein kleines Fest feiern, ich lade euch als die Nächsten ein, ich lasse Carl extra nach Berlin kommen, gebe mir die erdenklichste Mühe, alles nett und festlich herzurichten – und dann kommt ihr und sitzt wie die Oelgötzen da! In solcher Stimmung feiere ich keine Feste! Ich mache euch einen Vorschlag: Wir bleiben jetzt noch ein Stündchen zusammen, und ihr kommt sämtlich in acht Tagen wieder. Vielleicht seid ihr dann in besserer Stimmung – und wir feiern acht Tage später. Das bleibt sich an sich ja gleich.«

Alle fuhren verdutzt auf; und der Frau Geheimrat blieb gar ein Kückenknochen im Halse stecken

Agnes’ Drohung tat ihre Wirkung. Jeder gab sich jetzt Mühe, die Stimmung zu heben. Der Justizrat erzählte einen angeblich interessanten Fall aus seiner Praxis, der Geheimrat suchte zu erheitern, indem er einige neue Steuern verriet, die nach der letzten Kommissionssitzung zu erwarten waren, der Direktor entwickelte zum fünfundzwanzigsten Male seine Gedanken zur Volksbühne, die er jetzt in einer Broschüre für fünfzig Pfennige niedergelegt hatte – bis Agnes aufstand und sagte:

»Also, Kinder, um eurer Fachsimpelei ein Ende zu machen, möchte ich euch bitten, euch von den Plätzen zu erheben und das erste Glas Champagner auf das Wohl dessen zu leeren, der Anlaß dieses intimen Festes ist. Der junge Holten, ob es nun ein Junge oder Mädchen wird,« – und dabei reichte sie Carl die Hand – »er lebe hoch!«

Es schlug wie eine Bombe ein.

Carl fiel das Glas aus der Hand: die Frau Geheimrat, die, als Agnes sich erhob, gerade einen Schluck aus ihrem Glase genommen und ihn in ihrer Erregung die ganze Zeit über im Munde behalten hatte, ließ ihn, aus Furcht sich von neuem zu verschlucken, in die Serviette gleiten; der alte Geheimrat öffnete den Mund und vergaß, ihn wieder zu schließen; der Direktor sagte sehr dummer Weise, ohne sich etwas dabei zu denken: »Nicht möglich!« – Nur der Justizrat stand über der Situation, klopfte an sein Glas und sagte:

»Ich stelle fest: diese Freudenbotschaft hat wie eine Bombe eingeschlagen. Wir sind dankbar dafür, daß wir mit den glücklichen Eltern einen Teil der Vorfreuden dieses Ereignisses genießen dürfen. Das Ungewöhnliche dieses Festaktes tritt hinter der Freude zurück, mit der wir alle es begrüßen. Unserer Frau Agnes, unserem Carl Holten und unserer aller Hoffnung, die sich unter einem glücklichen Stern erfüllen möge, gelten unsere Wünsche. Hurra! hurra! hurra!«

Sie traten alle an Agnes und Carl heran, stießen mit ihnen an und tranken.

»Was sagst du, Carl?« fragte Agnes strahlend.

Carl schloß sie in seine Arme und fragte:

»Ist es denn wahr, Agnes?«

»Ich wollte dich nicht enttäuschen und es dir nicht sagen, bevor es ganz sicher war.«

»Und nun?« fragte er freudig, »nun ist es sicher?«

»Ja, Carli! Der Professor hat es beschworen. – Und, nicht wahr, nun bleibst du bei mir und gehst nicht wieder fort?«

»Keine Stunde weich ich mehr von deiner Seite.«

»Und weißt du, was der Professor noch gesagt hat?« fragte sie schelmisch.

»Nun?«

»Gut behandeln soll man mich und mir die ganze Zeit über den Willen tun!«

»Was du willst, Agnes!« versprach Carl. »Du weißt ja gar nicht, wie glücklich du mich machst.« —

Die Gäste zeigten viel Takt und gingen.

Carl und Agnes aber saßen noch lange beieinander. Nur von dem Kinde, das nun kommen würde, sprachen sie. Als sie dann spät in der Nacht das Licht löschten, sagte Agnes nach einer Weile:

»Und weißt du, wie wir es nennen, wenn es ein Mädchen wird?«

»Nun?« fragte Carl.

»Du weißt es wirklich nicht?« Sie nahm seine Hand, drückte sie leicht und hauchte mit weicher Stimme:

 

»Cläre! – wie wohl sonst?«

Da stürzten ihm die Tränen aus den Augen. Die ganze Nacht über lag er wach und hielt ihre Hand. Sie schlief und hörte nicht, wie er mit leiser Stimme immer wieder sagte:

»Gott! Gott! Laß es ein Mädchen werden!«

Zweites Buch

»Lache .. Bajazzo!«


Erster Teil

Erstes Kapitel

»Zum Teufel, Bühlke!« rief Agnes, »das ist jetzt das dritte Mal, daß Sie mich ziepen. Eine Friseurin, die alt wird, muß sich zur Ruhe setzen.«

»Gnädige Frau verzeihen, aber das macht der Schreck.«

»Was heißt das?« fragte Agnes.

»Es ist eben das dritte weiße Haar, das ich entdecke.«

»Sie sind verrückt!« schrie Agnes und sprang auf. »Wo?« – Und Fräulein Bühlke ließ rechts über Agnes’ Schläfe ein Haar durch ihre Finger gleiten, das zum mindesten nicht schwarz war.

»Bitte, gnädige Frau!« sagte sie und hielt es ihr vor die Augen.

Fräulein Bühlke sah im Spiegel Agnes’ entsetztes Gesicht.

»Glauben Sie, es wird davon besser, daß Sie es mir stundenlang unter die Nase halten?« fuhr sie sie an.

»Ich hielt es für meine Pflicht, die gnädige Frau darauf aufmerksam zu machen.«

»Jetzt werden Sie natürlich nichts Eiligeres zu tun haben, als Ihren sämtlichen Kundinnen zu erzählen: Agnes Holl hat weiße Haare und läßt sich färben.«

»Gnädige Frau,« widersprach Fräulein Bühlke und tat gekränkt, »ich mag indiskret sein; das liegt weniger im Beruf als an den Damen, die ich bediene; daß ich aber Unwahrheiten verbreite, kann niemand mir nachsagen.«

»Was heißt das?« fragte Agnes, die ihr weißes Haar jetzt selbst in der Hand hielt und es wehmütig betrachtete.

»Nun, wenn ich verbreiten würde, gnädige Frau lassen sich färben, so wäre das doch eine Lüge.«

»Glauben Sie vielleicht, ich werde so herumlaufen?«

»Dann darf ich also . . .?«

»Selbstredend! – Taktlos sind Sie, wissen Sie das? Einem das des Morgens auf nüchternen Magen zu versetzen. Eine Friseurin, die weiß, was sich schickt, erspart ihrer Dame die Schande und färbt die drei Haare stillschweigend und ohne viel Wesen von zu machen.«

»Vom vierten an dürfen sich gnädige Frau auf meine Diskretion verlassen.«

»Aber nicht nur mir gegenüber, verstanden?«

»Ich kannte einmal eine Friseurin,« erwiderte Fräulein Bühlke, »bei der gab es gewöhnliche Abonnements und solche, die zur Diskretion verpflichteten.«

Agnes, die für Fragen, in die das Finanzielle hineinspielte, ein feines Ohr hatte, fragte:

»Wieviel teurer waren die Abonnements mit Diskretion?«

»Sie kosteten das Dreifache.«

»Ich habe von heut an solch ein Abonnement,« erklärte Agnes. »Verstanden?«

»Ich werde es zu Haus sofort eintragen,« erwiderte Fräulein Bühlke.

»Aber das tritt sofort in Kraft; von diesem Moment ab; damit Sie diese Neuigkeit nicht etwa als Sensation noch Ihrer heutigen Vormittagstournee einfügen.«

»Ich verstehe.«

»Und dann legen Sie die drei Haare so, daß man sie nicht sieht.«

»Ist bereits geschehen, gnädige Frau.« Agnes stöhnte, ohne im Augenblick an Fräulein Bühlke zu denken, vor sich hin:

»Furchtbar ist das!«

»Ja! ja!« sagte Fräulein Bühlke, die ihr Schäfchen im trockenen hatte, »ich fühl’s auch. Man wird alt.«

»Was heißt, man’?« fuhr Agnes auf. »Sie werden alt; ich nicht! Man ist so alt, wie man sich fühlt. Ich habe mich nie jünger gefühlt.«

Die Tür wurde leise geöffnet.

Agnes sah durch den Frisierspiegel, daß Minna, ihre Zofe, und dahinter Carl, ihr Mann, auf der Schwelle standen.

»Was ist denn?« fragte sie ärgerlich.

»Der Herr Direktor,« meldete Minna.

»Wo? am Telephon?«

»Nein, persönlich. Ich habe ihn in den Salon geführt.«

»Gut, gut! Ich komme gleich.«

Minna verschwand; aber Carl blieb auf der Schwelle stehen.

»Sind Sie fertig?« fragte Agnes.

»Ja! Man sieht nichts!« sagte Fräulein Bühlke und reichte ihr den Handspiegel.

Agnes überzeugte sich sehr gründlich; steckte der Friseurin einen Geldschein in die Hand und sagte:

»Also dann morgen.«

»Gewiß, gnädige Frau!« Sie packte ihr Handwerkzeug zusammen, verabschiedete sich und ging.

Carl trat zur Seite und ließ sie vorüber; dann schritt er behutsam über die Schwelle und schloß die Tür hinter sich, an der er stehen blieb. Agnes beachtete ihn nicht. Sie peterte an der Frisur herum, schlüpfte aus dem Frisiermantel heraus und zog sich eine Matinee über. Als sie dann zur Klingel ging und eben auf den Knopf drücken wollte, trat Carl ein paar Schritte weiter ins Zimmer und sagte:

»Einen Augenblick bitte!«

»Was ist?« fragte Agnes, ohne sich umzuwenden, und streckte die Hand nach dem Klingelknopf aus.

»Bitte, warte!«

»Ja, was bedeutet das? In aller Herrgottsfrühe eine Unterhaltung? Das ist neu! Außerdem weißt du, daß der Direktor wartet. Also, was willst du?«

»Dir sagen, daß Cläre heute achtzehn Jahre alt wird.« Agnes zog die Stirn in Falten und bewegte nervös die Finger.

»Und?« fragte sie. »Ich weiß es.«

»Wirst du zu ihr gehen?«

Agnes gab keine Antwort.

Carl trat an sie heran und sagte:

»Ich bitte dich darum.«

Das alles sagte er nicht eben laut und auch nicht gerade bestimmt, aber doch so, daß man fühlte, wieviel Entschlußkraft ihn die paar Worte gekostet hatten.

»Daß du mir ausgerechnet jetzt damit kommen mußt, wo du weißt, daß der Direktor im Salon sitzt und auf mich wartet.«

»Ich dachte, weil ich dich doch den ganzen Tag über nicht sehe.«

»Soll das etwa ein Vorwurf sein?«

»Durchaus nicht.«

»Ich hätte dich sonst gefragt, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich mich, deinem Wunsche gemäß, um Frau und Mutter zu spielen, damals zur Ruhe gesetzt hätte.«

»Du meinst, als uns Cläre geboren wurde?«

»Hungern könnte ich heute.«

»Es wäre dann gewiß vieles anders gekommen.«

»Willst du mich etwa dafür verantwortlich machen, daß es mit dir so gekommen ist? Ich habe dich, soweit ich mich erinnere, nicht übermäßig in Anspruch genommen. Also Zeit zum Arbeiten hattest du! Daß dir die Stimmung fehlte oder die Begabung abhanden kam, ist nicht meine Schuld.«

»Wollen wir nicht lieber von unserem Kinde reden?«

»Nein! Jetzt nicht!« erwiderte Agnes und wandte sich zur Tür. »Warte hier! Wenn Minna kommt, sie soll mir das schwarze Chinakreppkleid herauslegen.«

Dann ging sie aus dem Zimmer, und Carl setzte sich auf einen Stuhl, der in der Nähe des Frisiertisches stand. —

»Entschuldigen Sie, lieber Direktor,« sagte Agnes, als sie in den Salon trat, »daß Sie warten mußten. Aber Sie haben ja wohl gesehen?«

Der Gesichtsausdruck des Direktors ließ erkennen, daß er nichts gesehen hatte.

»Nein? Ich meine die Hüte. Es waren ein paar Herren aus Wien und Kopenhagen, Direktoren der ersten Filmfabriken – Sie glauben ja gar nicht, was man aussteht! Die Leute zerreißen sich rein nach einem.«

»Liebe Frau Agnes, kein Wunder!« sagte der Direktor. »Wenn man aussieht wie Sie!«

»Danke!« quittierte Agnes. »Gerade heut machen Sie mir damit eine besondere Freude! – Sagen Sie, fällt Ihnen nichts an mir auf?« Und dabei strich sie sich, ganz ohne es zu wollen, unbewußt rechts die Haare zur Seite.

»Nichts sonst als —«

»Als was?« unterbrach sie ihn eifrig.

»Als daß Sie noch immer schön sind.«

»Wissen Sie, daß dies ›noch immer‹ eine Beleidigung ist?«

»Das soll nichts anderes heißen, als unverändert schön – genau so wie vor achtzehn Jahren.«

»Was haben Sie nur heute alle mit diesen achtzehn Jahren?« fragte sie nervös.

»Ich meinte damit nichts Besonderes – oder? – warten Sie!« Er dachte nach – »Richtig! sind es nicht jetzt . . .«

»Ja! ja!« unterbrach sie ihn ärgerlich. »Es sind! Aber glauben Sie, es ist angenehm, immer diese achtzehn Jahre vorgesetzt zu bekommen?«

Empfindlich haben sie die Jahre gemacht! dachte der Direktor, hütete sich aber, es auszusprechen, sondern sagte: »Sie haben recht! Solange eine Frau noch eine Gegenwart hat, soll man nicht an ihrer Vergangenheit rühren. Na, und das ist ja wohl hier der Fall.«

»Unberufen!« erwiderte Agnes und klopfte dreimal an den Rand des Tisches.

»Abergläubisch also auch?«

»Geworden! – Also, wie steht’s? Ich vermute, Sie kommen wegen der Besetzung des Altheerschen Stückes.«

»Ja!«

»Daraus, daß Sie selbst kommen und mir, obschon ich Sie warten ließ, erst eine viertel Stunde lang, wenn auch so ungeschickt wie möglich, Komplimente machen, ersehe ich, daß Sie die Absicht haben, die Hauptrolle nicht mit mir zu besetzen.«

»Sie sind eine feine Psychologin.«

»Auf deutsch: ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich habe also recht. Lieber Direktor, da will ich Ihnen, damit Sie nicht unnütz noch mehr Zeit verlieren, gleich sagen: darauf laß ich mich nicht ein, und wenn Sie mir mit den stärksten Gründen kommen. Ich will die Rolle spielen und werde sie spielen!«

»Wollen wir einmal ganz offen miteinander reden?« fragte der Direktor.

»Finden Sie meine Ausdrucksweise gewunden oder versteckt?«

»Sie wissen, daß die letzten Mißerfolge noch unvergessen sind.«

»Wessen Mißerfolge?« erwiderte Agnes gereizt. »Bitte! wollen Sie mir das sagen?«

»Ich gebe zu, daß sie in erster Linie . . .«

»Holtens Schuld sind,« beendete Agnes.

»Allerdings! Aber Sie werden zugestehen, daß auch Ihnen die Kritik – nun, zum mindesten nicht mehr so wohlgesinnt ist wie früher.«

»Darauf pfeif ich.«

»Sie schon. Ich kann mir das nicht leisten.«

»Habe ich das Publikum für mich? oder nicht?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber ich weiß es! – Es vergeht kein Abend, an dem man mir nicht Blumen und Briefe in die Garderobe schickt.«

»Gewiß! – aber . . .«

»Bitte, fragen Sie die Garderobiere, ob das der Ferna einmal in der Woche passiert.«

»Tatsache ist, daß an den Abenden, an denen die Ferna spielt, der Beifall doppelt und die Kasse dreimal so groß ist.«

»Ich bitt’ Sie, was versteht denn das Publikum? Die reden doch einfach nach, was in den Blättern steht.«

»Leider, ja!«

»Nun also! Man darf sich nur nicht düpieren lassen. —

Haben Sie das Manuskript da?«

»Ja.«

»Dann können Sie es gleich hier lassen. Ich schreibe mir die Rolle selbst heraus.«

»Der Dichter gibt das Alter der Heldin auf siebzehn Jahre an.«

»Nun also!«

Der Direktor sah erstaunt auf. Solche Frechheit war ihm denn doch noch nicht vorgekommen! – Sie sieht ja noch immer gut aus, dachte er, und ich will ihr auch ihre Jahre nicht nachrechnen. Aber! bei siebzehn Jahren zu sagen: na also! was doch so viel heißen sollte als: dann stimmt es ja gerade! das ging denn doch über alles – und das war viel! – was er in dieser Beziehung von seiten seiner Mitglieder, die ins Altern kommen, gewohnt war.

»Sie wundern sich?« fragte Agnes, und der Direktor konnte sein Gesicht nicht derart Lügen strafen und sagte:

»Ja«

Da lachte Agnes laut auf und sagte:

»Ich auch!«

Und nun lachten beide aus Leibeskräften. Nach einer Weile sagte der Direktor:

»Wenn ich auch wußte, daß Sie die Einsicht haben, so freue ich mich doch über Ihren Humor,« und dabei rollte er das Manuskript wieder zusammen.

»Selbstredend habe ich die Einsicht,« erwiderte Agnes. »Aber die Rolle spiele ich darum doch.«

»Wie?« Der Direktor war platt. »So unlogisch kann selbst eine Frau nicht sein.«

»Komisch sind Sie!«

»Ich?«

»Ja! Sie!«

»Wenn Sie bei Borchardt sitzen und, schon satt, als dritten Gang Poularden essen, und draußen steht eine arme Frau mit hungrigen Kindern, dann werden Sie bestimmt auch die Einsicht haben, daß die Poularde bei denen in besseren Händen wäre als bei Ihnen. Sie werden aber gar nicht daran denken, die Konsequenzen aus Ihrer Einsicht zu ziehen, sondern sagen: Gott, die armen Kinder! und Ihre Poularde bildschön selber essen. – Genau so sage ich: Arme Ferna! und spiele die Rolle selbst.«

»Also, gnädige Frau . . .«

»Werden Sie nicht feierlich, lieber Direktor, sondern lassen Sie mir die Rolle ausschreiben: es bleibt dabei!«

»Unmöglich! Eher setze ich das Stück ab.«

»Das werden Sie nicht tun. – Und nun reden wir endlich von was anderem. – Uebrigens, ehe ich’s vergesse, ich habe den alten Geheimrat gestern endlich bestimmt, sich auch noch an der Kaution für die Volksbühne zu beteiligen.«

»Wirklich!« rief der Direktor erfreut, sprang auf und streckte Agnes die Hand hin: »Wie kann ich Ihnen das danken, Agnes?«

Agnes schielte lachend nach dem Manuskript, das der Direktor zusammengerollt in seiner Hand hielt.

 

Auch er lachte jetzt.

»Finden Sie das fein?« fragte er.

Agnes schüttelte den Kopf:

»Ne! – im Gegenteil! – Und ich muß sagen, ich finde es wenig nett von Ihnen, daß Sie mich zwingen, zu solchen Mitteln zu greifen. Wie sagt doch der runde Justizrat immer: Der Anstifter wird wie der Täter bestraft.«

»Ihnen bin ich nicht gewachsen,« erwiderte der Direktor.

»Also geben Sie her!«

Sie streckte die Hand aus, und der Direktor übergab ihr das Manuskript.

»Lesen Sie’s, vielleicht daß Sie dann doch selbst . . .«

Agnes klopfte ihm auf die Schulter:

»Und nicht wahr, Direktorchen, die schriftliche Bestätigung habe ich bis nachmittag. Es ist nur wegen der Kaution – Sie wissen ja.«

Der Direktor versprach’s, verabschiedete sich und ging. Agnes hatte zwar ihren Zweck erreicht, war aber doch verärgert, als sie jetzt in ihr Toilettenzimmer zurückkehrte. Carl saß noch immer da und wartete.

»Schade, daß du nicht an der Tür gehorcht hast,« sagte sie vorwurfsvoll.

»Du hättest mich rufen sollen,« erwiderte Carl.

Sie sah ihn verächtlich an:

»So, wie du aussiehst! Ich blamier mich nicht gern. Im übrigen, wenn es dir wieder mal einfallen sollte, mich des Morgens früh zu überfallen, dann binde dir wenigstens einen Kragen um, man geniert sich ja vor den Leuten.«

»Du weißt, ich arbeite des Morgens immer so.«

»Was du schon arbeitest! So, wie du, sind auch die Sachen, die du schreibst. Und wenn die Welt früher darauf geflogen ist, dann war der alte Brand dran schuld, dieser Hochstapler, der alle an der Strippe hatte. Statt ihn dir zu halten, hast du dich mit ihm überworfen in deinem Größenwahn.«

»Du irrst, Agnes. Denn erstens war Brand kein Hochstapler, und einen Toten sollte man nicht beschimpfen . . .«

»Ich hab’s gesagt, als er noch lebte!«

». . . und dann war nicht ich, sondern er es, der den Vertrag nicht erneuern wollte.«

»Er wußte eben, was er von dir zu halten hatte. Genau wie der Direktor. – Du hättest ihn nur hören sollen.«

Carl wurde aufmerksam.

»Habt ihr von mir gesprochen?«

»Ja.«

In Carls Gesicht kam Leben. Schon, daß man von ihm sprach, tat ihm wohl. Und um sich diese Freude nicht zu trüben, vermied er es, mehr zu fragen. Aber Agnes ersparte ihm nichts.

»Und ich muß das ruhig mit anhören,« sagte sie, »wie sie sich über dich lustig machen.«

Carl fuhr auf.

»Lustig machen?« fragte er und machte ein bitteres Gesicht. »Dazu haben sie doch keine Veranlassung.«

»Hör endlich auf, Stücke zu schreiben, die doch niemand spielt. Für die Bühne bist du erledigt. Versuch’s mit dem Kino! Da zieht dein Name noch eine Zeitlang.«

»Eine Zeitlang,« wiederholte Carl.

»Gewiß! Arbeite deine alten Stücke, die Erfolge hatten und die man kennt, fürs Kino um. Meine Rollen mußt du natürlich erweitern. Aber das wirst du ja am Ende noch fertig bringen. Denn so alt bist du ja nicht.« Carl stand jetzt auf, trat dicht an Agnes heran, sah sie tieftraurig an und sagte:

»Mir fällt ja nichts ein!«

Agnes, die sich die Fingernägel polierte, erwiderte, ohne aufzusehen:

»Schlimm genug.«

»Du kannst es ändern.«

»Ich? – Lächerlich!«

»Wenn du anders zu mir wärst.«

»Ich kann mich nicht verstellen.«

Carl stand jetzt ganz dicht bei ihr. Sie war noch immer mit ihren Händen beschäftigt und wippte mit dem übergeschlagenen Bein gleichgültig hin und her.

»Dann nimm wenigstens das Kind zu dir,« bettelte er. Agnes fuhr auf. Sie führte die Hand dichter vor das Gesicht, warf wütend die Schere hin und sagte:

»Jetzt habe ich mich doch tatsächlich in die Haut geschnitten.«

»Tu’s!« wiederholte Carl zitternd. »Ich fühl’s, ich kann dann auch wieder schaffen.«

»Nicht einmal in Ruhe anziehen kann man sich,« sagte Agnes verärgert und stand auf.

Aber Carl ließ sie nicht aus den Augen.

»Du brauchst dann auch nicht zu ihr – wenn du doch so viel vorhast. Ich würde sie holen. – Vielleicht, daß du dann nachmittags oder des Abends ein paar Minuten für sie übrig hast – weil sie doch heute achtzehn wird.«

»Damit sie immer um mich herumwimmelt und jeder mir mein Alter nachrechnen kann! Das könnte mir gefallen!«

»Aber Agnes, sie wäre die Letzte, die sich vordrängt! Du kennst doch ihre Bescheidenheit. Du weißt doch, wie sie ist.«

»Leider weist ich’s.«

»Du wirst keinen Aerger mit ihr haben, und sie wird dir alles von den Augen absehen.«

»Täte sie das nur! Gäbe sie sich nur die geringste Mühe, mir ähnlich zu werden. Wenn ich bedenke, wie leicht ihr’s gemacht wird! Mir hätte das jemand bieten sollen in dem Alter! Ich wäre heute die erste Frau Europas!«

»Du hast die Anlagen dazu! sie nicht! Keiner kann was für seine Natur. Sie wird einmal eine gute Frau und Mutter werden.«

Da vergaß Agnes alles andere, selbst den kleinen Hautschnitt im Finger, wandte sich zu Carl, den sie bisher keines Blicks gewürdigt hatte, richtete sich auf und sagte zornig und bestimmt:

»Mein Kind ist kein Kalb, daß ich es zur Kuh erziehe! Frau! Mutter!! Wenn ich sowas höre! Das kann jede! Dazu gehört nichts als Denkfaulheit und eine Portion Idiotie. Aber ich werde sie zwingen, zu werden, was ich will.«

»Was willst du aus ihr machen?« fragte Carl ängstlich.

»Ein Weib, das auftrumpft und herrscht und ein großes Leben führt! Kein Säugetier! Vorsorgen will ich für mein Alter. Meinst du, ich bin ein Trottel wie du? – Ich weiß, daß es mit mir bergab geht. Aber ich halte mich! Ich will! Solange bis alle Welt voll ist von Cläre Holten. Dafür sorg ich! Dann tret ich ab. Und sie setzt es fort! Oder vollbringt’s! Denn du, du hast es ja nicht dahin kommen lassen, daß ich ganz groß werden konnte. Du bist zusammengeklappt auf halbem Wege. Wie ein Taschenmesser. Und dann hatt’ ich niemand Sie aber hat mich! – So! und nun weißt du’s, was aus unserem Kinde wird!«

Carl senkte den Kopf und sagte nichts.

»Und darum muß ich mich halten, bis Cläre soweit ist. Auf alle Fälle und mit allen Mitteln! Und ohne jede Rücksicht! Auch nicht auf dich!«

»Stör ich dich?« fragte er und wagte nicht aufzusehen.

»Ja! du gehst mir mit deiner Empfindelei auf die Nerven! du störst mich! Oder redest du dir ein, ich werde mit dir und Cläre eine Familie bilden? Auf was hin denn? Auf meine erpreßten Verträge oder mit dem Gelde, das ich dem alten Geheimrat aus der Tasche ziehe? Pfui Deibel!!« Sie spuckte aus. »Oder am Ende errichten wir gar hier an der Ecke einen Grünkramkeller!« – Sie lachte laut auf. »Nein! es fällt mir nicht ein, meine Gemeinheit mit einem Heiligenschein zu umgeben. Bin ich gemein, dann will ich’s sein! – So, nun weißt du’s! Und nun richte dich danach!«

»Und das soll ich mit ansehen,« sagte Carl vor sich hin.

»Ja! und wenn du glaubst, daß du das nicht kannst, dann geh anderswo hin!«

»Agnes!« schrie Carl laut auf.

Sie sah ihn groß an und fragte:

»Was ist dir?«

»Nur das nicht!« flehte Carl. »Versprich mir, daß du das nicht von mir verlangst.«

Agnes zog die Stirn in Falten und schwieg.

»Sag mir, daß ich bei dir bleiben kann! – Ich will nichts weiter! Und tue, was du willst. Da hinten in meinem Zimmer, wenn ich da sitze, da stör ich dich nicht.«

»Meinetwegen!«

Die Tränen schossen ihm aus den Augen. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie an die Lippen.

»Nun geh!« sagte sie und entzog ihm die Hand, »und ruf mir Minna, ich muß mich umziehen.«

Carl ging aus dem Zimmer, während über Agnes’ Gesicht ein freudiges Lächeln glitt: ihr Finger hatte aufgehört zu bluten.