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Lache Bajazzo

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»Fabelhaft!« rief Agnes übermütig. »Leo! du bist ja ein Genie! Davon hatte ich ja bisher keine Ahnung!«

»Viertens,« fuhr der Geheimrat durch Agnes’ Stimmung ermuntert fort: »der Vertrag. Man wird Holten und Holten wird dem Direktor sagen, daß deine Genesung durch den Vollzug des Vertrages beschleunigt werde. Diesem moralischen Druck kann er sich nicht entziehen. Paß auf, du wirst unter diesen Verhältnissen die Gage sogar auf fünfunddreißigtausend Mark treiben können.«

»Darf ich?« fragte Agnes die Alte, mit einem Seitenblick zu dem Geheimrat.

»Von mir aus!« erwiderte sie, »da es niemand sieht!«

»Dann mach die Augen zu!« rief Agnes ihr zu und stürzte sich auf den Geheimrat, schlang ihre Arme um ihn und küßte ihn mitten auf den Mund.

Und die Frau Geheimrat, die gar nicht begreifen konnte, wie man das fertig brachte, und die das seit über zwanzig Jahren nicht mehr getan hatte, rief lachend:

»Na, wenn das kein Nervenchok ist! Ich kann’s beschwören! Ich hab ihn mit angesehen!«

Und der Geheimrat strahlte über das ganze Gesicht und sagte:

»Und ich habe ihn mit erlebt

Agnes aber war außer Rand und Band.

»An den Flügel!« rief sie der Frau Geheimrat zu.

Als die Alte die ersten Takte anschlug, hob Agnes den Rock und tanzte mit einer Leidenschaft wie nie zuvor einen Csardas.

»Prachtvoll!« rief der Geheimrat und feuerte sie an. —

Am nächsten Morgen war sie bereits auf dem Wege in ein Sanatorium.

Zur selben Zeit hielt das geheimrätliche Auto vor Holtens Haus. Der Geheimrat benachrichtigte Carl.

Fünftes Kapitel

Agnes an Carl

Also erst mal: guten Tag, Carli! Und dann freue ich mich, daß es mit deinen Nerven besser geht und du schon wieder schreiben und allmählich auch mit der Arbeit wieder beginnen darfst. Du! fein ist das! du wirst nachher sehen, warum. Aber ich kann’s auch gleich sagen. Also lies den Brief vom Kaiserfilm – was sagst du? also das tust du, das ist doch klar! ich hab es auch gleich geschrieben und da ist der Brief und dazu meine Antwort; und nun schreib den Film schnell runter und schicke ihn fort. Es eilt sehr und der Brief kam eingeschrieben. – So! das war eins!

Also besser geht’s! fein ist das, und ich glaub’s auch und denk nicht, daß du nur so schreibst, etwa für mich, da auch dein Arzt aus deinem Dingsda dasselbe schreibt. Ich lege dir den Brief bei, weil du sonst vielleicht denkst, daß ich es nur so sage dir zuliebe. Daß du aber noch so lange in der Anstalt bleiben sollst, wo du doch nun gar nichts mehr siehst, was nicht ist. – Du, so schlimm war’s bei mir nicht, und ich wußte immer, was ich sah und was nicht, wenn’s manchmal auch schwummrig war, aber das lag dann an mir und nicht an den Nerven.

Briefe, weißt du, sind was ekelhaftes, schon weil ich das alles ganz anders sage und dann vor allem doch auch dabei bin, und du mußt es dir immer so vorstellen, als wenn ich es wäre. Oder weißt du am Ende gar nicht mehr, wie ich ausseh? – Du! drei Wochen sind es heute, aber ich darf raus, schon in ein paar Tagen und bin ganz gesund: Also mach das mit dem Film und dann kommen die Proben zu deinem Stück. Ich kann’s schon, und der Direktor hat mich besucht und gesagt: es wird ein Bombenerfolg, schon weil jeder weiß, daß ich direkt aus der Anstalt komme. Du, das ist gut, denn im zweiten Akt, meint er, seien tote Stellen, die müßt ich lebendig machen. Na ich hab’s dazu, wo ich nun drei Wochen lang beinahe ruhen mußte, was mich, denk dir, um zwei Pfund dicker gemacht hat. Aber ich glaube, die Oberin hat mich nur ärgern wollen, wegen des Telephons mit der Geheimrätin, die findet kein Ende, und das stört denn die anderen.

So, nun dein Brief. Du schreibst mir, daß ein Schleier über deiner Liebe lag, daß es ein Taumel war und daß du ihren Sinn und ihre Tiefe erst jetzt verstanden hättest. – Du Böser! also ein Taumel war es, und wenn du bei Verstande warst, hättest du es nicht fassen können. Na, hör mal! aber ich glaube, daß es mit der Liebe so ist: und sein muß, weil es sonst die wahre Liebe nicht ist. Siehst du, so denke ich, und darum war auch bisher bei dir alles schon so ganz richtig und du hättest es ruhig so lassen können. Aber auch so, wie du jetzt schreibst, ist es sehr schön, vielleicht noch besser. Weil es sicherer ist. Denn wenn, wie du schreibst, der Schleier nun weg ist und du alles ganz klar siehst und den Sinn nun weißt, warum du mich liebst – und es ist ja so vieles, was du dafür anführst – dann kann ich mich ja freuen, nicht wahr? Aber sei nicht traurig, daß dazu die schlimme Geschichte erst kommen mußte, wenn es doch so bestimmt war, und nicht zu ändern ging. Nun aber steht nichts mehr dazwischen – nur du und ich! Und so soll es nun bleiben. Und wenn sie doch dein Glück wollte, wie du schreibst, dann ist doch das nun erfüllt, und ich will auch, wie du sagst, das einsehen und dankbar sein. Schick nur das Bild, und ich stell es auf neben deins. – So, das wäre das!

Weiter! – einen Augenblick, wo ist nur dein Brief, es liegt so viel auf dem Tisch – eben hatt’ ich ihn noch. – Richtig! die zweite Besetzung! Du, das war dumm, daß wir das vergessen haben, das hätte noch in den Vertrag gemußt, daß wir die bestimmen. Nun hat er sich eine von Christians geholt, die gar nicht übel ist. Eine schlechte wäre noch besser gewesen. Schade! So! nun noch tausend Küsse und sehr viel Liebes sonst von deiner Agnes.

P.S. Da ist der Brief deines Arztes!

Sehr verehrte, gnädige Frau!

Es wird Sie freuen, zu hören, daß es Ihrem Gatten in den letzten Tagen besser geht. Wenn die mit Halluzinationen verbundenen Angstneurosen auch dann und wann des Nachts noch auftreten, so kann der Zustand Ihres Gatten doch insofern als gebessert gelten, als der Patient, der anfangs von der Wirklichkeit dieser Erscheinungen noch am nächsten Tage überzeugt war, nunmehr schon bald hinterher weiß, daß ihm eine kranke Phantasie die Bilder erzeugt. Das ist ein entschiedener Fortschritt, der nach ein paar ruhigen Nächten das völlige Verschwinden dieser quälenden Vorstellungen verspricht und zugleich die Wiederherstellung seines seelischen Gleichgewichtes erhoffen läßt.

Immerhin möchte ich an Sie die ergebene Bitte richten, alles von Ihrem Gatten fernzuhalten, was geeignet ist, nachteilig auf seine Stimmung zu wirken. Worauf es ankommt, ist seine Willenskraft, die unter den Ereignissen der letzten Zeit gelitten hat, zu festigen. Einmal, damit er den Eindrücken, die sein derzeitig krankes Nervensystem ihm aufdrängt, kräftigen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Dann aber auch, damit er in der Folge nicht zu leicht Einflüssen von außen erliegt, was mit der Zeit eine Lähmung selbständigen Handelns, wenn nicht gar eine Gefährdung des freien Willens zur Folge haben kann. Was er braucht, ist liebevolle Behandlung, ein verständnisvolles Eingehen auf die Eigenart seines Wesens und vor allem eine Stärkung des Willens durch beständiges Aufrütteln und Anregen zu hohen, seinem Geiste kongenialen Leistungen. Die zuständige Instanz für seine völlige Genesung ist demnach nicht der Arzt, vielmehr die Gattin, deren Händen ich in ein paar Wochen vertrauensvoll dies wertvolle Leben überantworte.

Ganz ergeben begrüßt Sie, gnädige Frau,
Professor Ernst Kassel.

So, das war der Arzt. Und nun kommt, was wichtiger ist, der Kinomann. Also lies:

Hochverehrte gnädige Frau!

Zu unserer besonderen Freude hören wir, daß Sie sich auf dem Wege der Besserung befinden und bald wieder in der Lage sein werden, in die Oeffentlichkeit zu treten. Wir erlauben uns daher die ganz ergebene Bitte an Sie zu richten, in einem Sensationsfilm – zu dessen Abfassung Sie Ihren berühmten Herrn Gemahl gütigst veranlassen wollen – aufzutreten, der Ihren Ruhm und Ihre Schönheit über die ganze Welt verbreiten wird. Um Ihrem vielbeschäftigten Gatten Zeit und Mühe zu sparen, erlaubten wir uns, den Titel bereits zu wählen und legen auch einen Filmentwurf bei. Der Film führt den Titel: »Eine, die nicht sterben wollte . . .« und übertrifft an Spannung, Tricks und Ueberraschungen alles bisher Dagewesene. Wir erbitten Ihr und Ihres Gatten Einverständnis und um Angabe, wann wir auf Ihr Erscheinen zu den Aufnahmen rechnen dürfen. Als Spielhonorar bringen wir in Anbetracht Ihrer sensationellen Persönlichkeit Mark zweihundertfünfzig pro Tag in Vorschlag.

Wir empfehlen uns Ihnen
Kaiserfilm G.m.b.H.
*

Agnes an Geheimrats

Liebe Geheimrats!

Also Kinder, nu hab ich genug! Ich bringe meinem Ruhm und meiner Popularität ja gern Opfer, aber derart ausarten darf das nicht. Und das tut’s, wenn ich mich täglich für meinen Ruhm zweimal baden, duschen, elektrisieren, massieren und bestrahlen lassen soll. Jetzt soll ich auch noch turnen und Gartenarbeiten machen. – Habt Ihr Worte? – Sand schippen! was sagst du, Leo, mit meinen Händen! Da fällt mir ein: die drei Dutzend feinster Schweden, die du mir, wie du schreibst, mit Carls Erlaubnis statt Blumen zu Ostern sandtest, werden staunen, wenn ich mich vergeblich in sie hineinzuzwängen suche! Also ich danke dir! Aber, was du sonst noch, und zwar ohne Carls Erlaubnis, schreibst: »Ich sehe dich immer in dieser Pose vor mir, denn die Bewegung, mit der eine Frau sich vom Handschuh entblößt, kann erotisch sein, während es vorkommt, daß der Beischlaf unerotisch bleibt – und du Agnes, hast diese Bewegung« – der Schmus, Leo, ist frech und außerdem nicht von dir. Ich habe das irgendwo schon mal gelesen. Außerdem hätte dir der seidene Strumpf wohl näher gelegen als der schwedische Handschuh. Aber im übrigen verbitt’ ich’s mir!

Ei je! daran hab ich nicht gedacht, das liest nun auch deine Frau – aber, sieh mal, nicht wahr? ich kann darum doch unmöglich noch mal von vorn anfangen. Also, was die Zeitungen alles bringen über mich, ist ja fein. Die Idee war wirklich gut und hat sich glänzend rentiert. Ich glaube, die meisten halten mich für tot! Na, das wird ’ne Auferstehung! – Uebrigens, du, Carl schreibt mir ’n Film, anonym, er sagt, daß das nicht ginge, daß man weiß, er hat’s gemacht! So ’n Quatsch! wo’s doch für mich ist! »Eine, die sterben sollte« – heißt es – ne, wartet mal: »Eine, die nicht sterben sollte«! – Nicht schön? das bin natürlich ich, nicht etwa Cläre – übrigens, der ihr Bild hat mir Carl gesandt, und es steht neben seinem auf meinem Schreibtisch und macht sich recht nett. Das mit dem Film bringt bitte in die Zeitung. Wenn es dir mit der Absicht, in ein Sanatorium zu gehen, um dich zu erholen, Ernst ist, Sophie, so halt ich dich für verrückt. Tatsächlich! Ich bin mit meinen Stunden, Proben, Theater doch an Arbeit gewöhnt; mehr als du! Anstrengenderes als so ’n Sanatorium kann es aber nicht geben. Es müßten Erholungsheime für Leute geschaffen werden, die aus den Sanatorien kommen. Ueberhaupt so ’n Quatsch! Na, Ihr solltet bloß sehen, was sich hier tut. Wie die sogenannten Kranken hier rumgehen und sich haben. Nein; so ’n Getue! ärger als bei Euch und den anderen. Wenn ich der Arzt wär, ich möcht den Leuten ihre Krankheiten schon austreiben. Bei den meisten besteht sie in Vollgefressenheit und Langeweile – das sind die beiden sichersten Krankheitssymptome – fein was? das Wort hab ich von einem der Aerzte. Ueberhaupt was ich alles zulerne – du wirst staunen. Fein ist, daß ich alles behalte, was ich mal höre – und abends, da sitz ich mit der Oberin und den Aerzten und mach allen Kranken nach – du die kugeln sich schief und möchten mich gratis hier behalten. Dabei kostet der Tag fünfundvierzig Mark. – Aber ich bedank mich. Ein paar Aerzte sind geradezu frech – besonders ein alter. Aber daran bin ich ja gewöhnt. Das soll keine Anspielung sein, Geheimrätchen; bewahre! Der Alte ist nämlich zehn Jahre jünger als du! Also wo war ich? richtig! beim Symptom! Also, das ist bei allen dasselbe und besteht in schlechter Laune. Wie wär’s, Geheimrat Leo, zwölffaches Aufsichtsratsmitglied, Stadtverordneter und Mäzen, wenn du dich auch als Wohltäter der Menschheit betätigtest und zusammen mit mir in der Nähe Berlins so ’n Sanatorium gründetest. Aber das müßte natürlich ganz anders als alle anderen Sanatorien sein. Alle die mit so ’m Gehabe hierher kommen, die reden sich nur ein, krank zu sein. Einen Kranken, seht mal, kann man gesund machen, natürlich! Aber einen, der gesund ist, es aber nicht sein will, das ist viel schwerer. Versteht Ihr das? Für so ’ne Leute müßte man was gründen, was so einen endgültigen Abschluß bedeutet. Wer sich einredet, endgültig genug zu haben – und bei einem gewissen Grade der Vollgefressenheit und Abgestumpftheit kommt jeder mal in diese üble Laune, daß er endgültig abbauen und Schluß machen möchte – also als so ’ne Art Ersatz für den Selbstmord denk ich’s mir, als eine letzte Station für alle, die auf die Außenwelt endgültig Verzicht leisten. »Die jenseits des Lebens stehen«, würde Carl sagen. Ich denk mir das so als den höchsten Grad der Blasiertheit für Leute, denen das Leben keine Ueberraschungen mehr bieten kann. Na, damit kokettiert Ihr Ueberfütterten ja alle, und es würde wahrscheinlich sehr bald zum guten Ton gehören, mit einer großen Pose vom Leben Abschied zu nehmen, ohne dabei das Unangenehme des Todes kosten zu müssen. Darin liegt der ganze Witz. Ich glaube, da würde sich sehr bald eine ebenso protzige wie langweilige Gesellschaft zusammenfinden. Du, das wär was! Alles wird umsonst geliefert. Und dann muß man gegen die Abgestumpftheit dieser Menschen natürlich das schärfste Geschütz auffahren, um zu wirken. So müßte man in jedes Zimmer statt des Betts einen bequemen Sarg stellen, in dem es sich natürlich genau so gut liegt wie in dem schönsten Bett. Zu jedem Zimmer gehört auf dem anstoßenden Garten ein aufgeschüttetes Grab, das immer gegenüber dem betreffenden Fenster liegt. Jeder hat das selbst zu pflegen, zu begießen, neu aufzuschütten – Gartenarbeit! – Die Losung des Arztes, des einzigen, mit dem man sprechen darf, muß nicht, wie im Sanatorium, etwa sein: »Na, heut sehen Sie ja schon ganz anders aus!« was den eingebildeten Kranken natürlich nur ärgert. – Unser Arzt muß strahlend sagen: »Na, nun sind Sie Ihrem Ende ja wieder einen Tag näher.« – Ich schwöre Euch, das reizt zum Widerspruch. Oder er muß sagen: »Der Aufenthalt hier tut Ihnen glänzend, Sie werden sich nicht mehr lange zu quälen brauchen.« – Das peitscht den Willen zum Leben sicherlich ganz gehörig auf, denk ich mir nach allem, was ich hier im Sanatorium so vom Gegenteil gesehen habe. Und dann müßte man die Leutchen so alle paar Tage mit Nadelstichen zum Leben zurückpieken. Wißt Ihr, wie ich das meine? Also beispielsweise es kommt ein ganz erstklassiges Orchester. Das dürfte aber nur ein paar Sätze der herrlichsten Musik spielen; dann müßte der Arzt mitten drinn aufspringen und sagen: »Schluß! Wir wollen keine Zerstreuung!«– Ein andermal müßten nach der kargen Abendmahlzeit Erdbeeren und Champagner gereicht werden. Aber nach der ersten Erdbeere und dem ersten Schluck Sekt müßte der Arzt aufstehen und sagen: »Raus damit! uns reizt das nicht!« – Die spannendsten Bücher müßten vorgelesen, die aufregendsten Detektivfilms gezeigt werden. Kurz vor der Entscheidung, wenn alles vor Spannung den Atem anhält, müßte der Arzt rufen: »Aufhören, als ob uns das interessieren könnte!« – An den Zimmern der Herrenabteilung müßten des Abends die feinsten Dessous vorüberrauschen, in den Zimmern selbst müßte es, je nach der Leidenschaft der Bewohner, bald nach Houbigant, bald nach den feinsten Havannas duften. So gäbe es tausenderlei reizvolle Mittel, um den Lebensüberdruß zu bekämpfen. Mittel, die wirksamer als Bäder, Duschen und das Süßholzgeraspel der Anstaltsärzte sind.

 

Wo das Geschäft liegt, fragst du, Geheimrat Leo! Paß auf. Aufnahmegebühr: zehntausend Mark. Dafür kostenlos: Logis, Verpflegung, Behandlung, Bestattung. Bei Austritt vor dem Tode ist die Aufnahmegebühr verfallen. Was meinst du, was das trägt. Länger als vier Wochen hält’s, wenn wir’s geschickt anstellen, keiner aus. Drahtet, ob der Gedanke dumm ist.

Eure Agnes.
Agnes an Carls Arzt

Schönen Dank für Ihren Brief. Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie sich Carls so annehmen, und was Sie da schreiben, will ich alles befolgen. Wenn Sie ihm nur sagen wollen, daß er in allem auch mir folgen soll, dann wird das gewiß sehr gut sein. Er braucht auch gar nicht so viel zu arbeiten, das tue ich schon. Und vor allem nicht so Schweres, denn das Leichte strengt ihn weit weniger an und trägt vielmehr. Aber ich werde das schon alles machen. Daß Brand wegen des Kinos und auch sonst nicht den Vertrag mit meinem Mann erneuern will, halte ich für ganz außerordentlich günstig. Ich will gewiß niemanden verdächtigen; aber ohne ihn, weißt du, da wäre das längst nicht alles so schlimm gekommen. Das ist ganz sicher. Reden Sie ihm man zu, das heißt ab, damit er ja nicht etwa versucht, den Brand sich zurückzugewinnen. Der soll nur fortbleiben. Und unter den Film soll er nur ruhig seinen Namen setzen. So wie er das gemacht hätte, das ging nicht. Nicht wahr, die Leute müssen’s doch wissen. Nun aber ist es sehr wirkungsvoll und wird auch gefallen. Wenn du später erst bei den Aufnahmen dabei bist, wirst du’s schon lernen. So! das wäre für heute alles! Herrgott! was bin ich konfus! Der Brief ist ja an Sie, Professor! Aber ich kann ihn doch unmöglich noch mal schreiben. Diese dummen Briefe! – Denken Sie, jetzt ist’s schon halb elf. Ich bin weder frisiert noch angezogen; um halb zwölf habe ich Probe, vorher muß ich noch zur Putzmacherin und zum Photographen. Neben mir liegt meine Rolle und ich lerne, während ich schreibe. Kann man da seine fünf Sinne beieinander haben? Nein! – Wenn sie aber erst wieder mal so toll durcheinander sind, wie damals und ich wieder in ein Sanatorium muß, das nächste Mal komme ich zu Ihnen! – Aber nur, wenn Sie mir auch alles mit dem Carl recht nett erledigen. Geben Sie ihm doch den Brief oder lesen Sie ihm die Stellen vor und sagen Sie ihm, ich hätt’ an ihn dabei gedacht. Morgen schreib ich ihm wieder. Oh! diese Briefe! Wer hat das nur erfunden? Da ist man ja doch nie wie man ist. Ich freue mich sehr, daß er nun bald zurückkehrt und komme, trotz den Proben, selbst, ihn mir holen! Ganz gewiß! Und bis dahin telegraphiere ich ihm alle Tage – das ist auch besser und er hat’s gleich. So!

In vorzüglicher Hochachtung ergebenst
Agnes Holl.

Und Geheimrats drahteten an Agnes:

Finden Idee genial. Geheimhalten. Ausführung gesichert. Rückkehren morgen. Geheimrats.

*

Agnes fuhr in Werners Begleitung nach Konstanz und holte Carl ab.

»Ich freue mich sehr auf ihn,« sagte sie, als sie im Auto saßen, war ausgelassen und wurde fast übermütig, als sie an den Bodensee kamen und Konstanz vor sich sahen. Sie sprach kaum noch vom Theater und ihren Plänen, plauderte dafür um so mehr von dem Leben, das sie nun mit Carl führen würde. Und wenn das Bild, das sie entwarf, trotz aller Lebendigkeit und Buntheit nicht nach Werners Geschmack war, so fühlte er doch aus allem, was sie sagte, heraus, daß ihr Gefühl für Carl echt und ihre Freude ehrlich war.

Die Aerzte kannten die Ungeduld, mit der Carl sie erwartete. Man sagte ihm, daß sie gegen Abend da sein würde, obschon man für mittags mit ihrer Ankunft rechnete. Er schrieb gerade ein Gedicht, mit dem er sie empfangen wollte, als die Schwester ins Zimmer stürzte und rief:

»Herr Holten: Frau Agnes!«

So nannte sie jeder im Hause, Patienten, Personal und Aerzte, ohne daß einer sie anders als aus den Zeitungen und von Bildern her kannte.

Carl sprang auf und lief aus dem Zimmer.

Und der Ruf: »Agnes kommt!« ging durch das ganze Haus.

Patienten, Personal und Aerzte liefen zusammen. Wer nicht in die Halle herunterkommen konnte oder durfte, stürzte ans Fenster. Und als das Auto die steile Auffahrt emporfuhr, erschollen laute Rufe und die schönsten Blumen fielen in den Wagen.

Agnes, die das nicht erwartet hatte, sprang auf, mühte sich, die Blumen aufzufangen, nickte und winkte freundlich zu den Fenstern hinauf, aus denen man ihr »Willkommen!« zurief und weiße Tücher schwenkte.

»Danke! danke!« rief sie zurück und strahlte über das ganze Gesicht.

Und das gleiche wiederholte sich, als das Auto jetzt in die Halle fuhr und hielt. Aber alle Stimmen übertönte Carls freudiger Ruf:

»Agnes! meine Agnes!« mit dem er jetzt, ohne ein Auge für die anderen zu haben, den schmalen Korridor entlang in die Halle lief. Alle traten zur Seite, Agnes stieg eben an Werners Hand – und zwar mit einer Grazie, die alle bestaunten – aus dem Auto, sah hinten Carl mit ausgebreiteten Armen auf sich zukommen, schob den Schleier hoch und rief mit einer Stimme, die alle entzückte:

»Carli! mein Carli!«

Und als Carl und Agnes sich in den Armen lagen, brachen alle von neuem, ohne daß jemand ein Zeichen gab, in laute Rufe aus. Carl sah nur Agnes. Sie aber wandte sich nach rechts und links, winkte und nickte allen zu und rief hell und freudig:

»Danke! danke!« Dann wandte sie sich wieder an Carl und sagte so laut, daß es alle hören mußten:

»Ich bin ja so froh, daß ich dich wieder habe!«

Und Werner, der zur Seite getreten war, fühlte, wie Leben und Bühne ineinandergingen.

Als Agnes mit Carl am nächsten Morgen Konstanz verließ, hatte sie alle Herzen gewonnen.

Der leitende Arzt, der während Carls Aufenthalt zweimal den Besuch des alten Brand empfangen hatte und von dem schädlichen Einfluß, den Agnes auf Carl übte, überzeugt war, lernte an einem Abend um. Als er sich am nächsten Morgen von Carl verabschiedete, gab er ihm nach Worten des Dankes eine Reihe ärztlicher Ratschläge und schloß dann:

»Die stärkste Wirkung aber verspreche ich mir von Ihrer Gattin. Seien Sie so viel wie möglich mit ihr zusammen; diese seltene Fülle von Temperament und Vitalität kann nur von gutem Einfluß auf Ihr seelisches Befinden sein.«

Carl gab das zu.

»Ich bin schon heute ein anderer!« sagte er. Und als er dann später hinter Agnes in den Wagen stieg, sagte eine Schwester zu ihrem Patienten:

»Hat sich Herr Holten seit gestern nicht um Jahre verjüngt?«

Der Patient nickte:

»Kein Wunder! Wenn Sie für alle Patienten solche Mittel hätten, würden die Kuren nicht halb so lange dauern und Sie könnten trotzdem drei Stock anbauen.«

 

Carl blieb nur zwei Tage in seiner Berliner Wohnung. Agnes, die den ganzen Tag über viel beschäftigt war und des Abends Theater spielte, hatte wenig freie Zeit für ihn. Waren sie aber zusammen, dann tat sie alles, um ihn aufzuheitern und seine Zuversicht in das Gelingen aller Pläne und Gedanken, mit denen er sich trug, zu festigen. Und als die Frau Geheimrat sie eines Abends vom Theater aus zur Festlegung eines auswärtigen Gastspiels mit zu Borchardt nehmen wollte, lehnte sie ab und sagte:

»Ausgeschlossen! Ich gehe zu Carli!«

»Du bist ja wie verwandelt,« sagte die Alte. Und Agnes erwiderte:

»Laß nur, ich weiß schon, was ich tue!«

Die Alte stieg in ihr Auto, schüttelte den Kopf und überlegte:

Was kann sie damit nur wieder bezwecken? – Sie fand keine Erklärung, dachte aber: Für einen neuen Skandal liegt der alte weiß Gott doch nicht weit genug zurück. —

Am dritten Tage fuhr Carl auf Wunsch der Aerzte in seine Berge. Agnes sagte Probe, Stunde und Schneiderin ab, begleitete Carl bis Leipzig und fuhr mit der Bahn zurück. Und nach ein paar Tagen erbat sie gar Urlaub vom Direktor und besuchte ihn. Um eine Nacht und einen Tag mit ihm zu verbringen, machte sie die weite Reise. Und als sie zurückkam, rief sie der Frau Geheimrat, die sie an der Bahn erwartete, noch ehe sie aus dem Zug war, zu:

»Ich sage dir, es hat sich gelohnt!«

Aber so geschickt die Alte, die vor Neugier seit Nächten kein Auge mehr schloß, es auch anstellte, um hinter die Ursache dieser plötzlichen Wandlung in Agnes’ Wesen zu kommen – sie brachte aus Agnes nichts heraus.

»Ich weiß gar nicht, was du immer hast,« gab sie ihr schließlich verärgert zur Antwort. »Du tust gerade, als wenn das etwas noch nie Dagewesenes wäre, daß man sich um seinen kranken Mann sorgt.«

Aber die Alte blieb dabei, daß das seine besonderen Gründe haben müsse. —

Inzwischen lebte Carl in seinen Bergen. Werner war bei ihm. Es war das erste Mal, daß er ohne Agnes kam. Und es war auch das erste Mal, daß er alles wieder mit den Augen von früher sah. Agnes hatte das Bild verrückt, indem sie, wo immer sie war, allem ihr persönliches Gepräge aufdrückte. Selbst die Landschaft schien, wenn sie da war, verändert. Das Gefühl des Ernsten, Starken, Festbegründeten, das für Carl von diesen Bergen ausging und ihm in Tagen des Zweifels immer wieder Sicherheit und Vertrauen gab, verlor sich in Agnes’ Gegenwart.

Und nun plötzlich: da war es wieder! Genau so stark wie zu der Zeit, als Cläre noch lebte! Und von Tag zu Tag deutlicher fühlte er die Wirkung. Der Wille begann sich in ihm wieder zu festigen, die Kraft des Urteils, die er verloren glaubte, regte sich von neuem. Er streifte stundenlang durch die Wälder, atmete mit kräftigen Zügen die reine Luft, breitete die Arme aus und rief:

»Es wird noch einmal! Werner! Ich fühl’s, es wird noch einmal!«

Und Werner konnte schon nach wenigen Tagen seinem Vater berichten, daß sich in Carl ganz offensichtlich eine Veränderung vorbereite, von der man eine völlige Wandlung seiner Gefühle und eine Rückkehr zu seinem früheren Leben erwarten dürfe. Diese Wiedergeburt sei zwar erst in der Entstehung begriffen, vollziehe sich aber so bewußt und von innen heraus, daß der Monat, den er noch hier zu verbringen gedenke, ausreiche, um sie vollkommen und unwiderruflich zu gestalten.

Und der Alte antwortete:

»Es gibt, seitdem Cläre von uns ging, auf der weiten Welt wohl niemanden, den diese Wandlung glücklicher machen würde, als mich. Du weißt, daß mir seit dem Tage, an dem ich meine Beziehungen zu Carl zu lösen für meine Pflicht hielt, meine ganze verlegerische Tätigkeit verleidet ist. Mein Entschluß, sie aufzugeben, befestigt sich trotz den gegenteiligen Bemühungen meiner Autoren täglich mehr. In dem Augenblick aber, in dem Du mir Carls Wiedergeburt als vollzogen meldest, nehme ich die verlegerische Arbeit mit dem Feuer und der Begeisterung eines Jünglings wieder auf. Dein feiner Takt und die Liebe, mit der Du an Carl hängst, bürgt mir, daß Du alles tust, um die Wandlung, die sich in ihm zu vollziehen beginnt, zu bewachen und nach Möglichkeit zu fördern. Ich arbeite inzwischen hier hinter den Kulissen und trage Sorge, daß Agnes durch Proben und gesellschaftliche Pflichten voll in Anspruch genommen wird, so daß sie für die Wiederholung einer Reise nach dort weder Sinn haben, noch Zeit finden wird. Gott befohlen, mein lieber Junge! Dein Vater.«

Werner hatte den Brief eben gelesen, als Carl mit einem Telegramm in der Hand ins Zimmer stürzte.

»Da lies!« rief er und reichte Werner das Telegramm.

Mein Carli! Da wichtigste Ueberraschung für dich habe, erwarte bestimmt deine sofortige Rückkehr, so daß du morgen um sieben Uhr abends Anhalter bist, wo dich voller Freude zuverlässig erwarte. In Liebe Agnes.

Werner wurde blaß vor Schreck. Carl, der es sah, fragte ängstlich:

»Du glaubst, es ist was Schlimmes?«

»Schlimm für dich!« erwiderte der.

»Für mich? – Was soll das heißen?« Carl geriet in große Erregung. »Wie kannst du das glauben? Du denkst doch nicht etwa, daß irgendein anderer . . .?«

Werner, der ihn nicht verstand, fragte:

»Was für ein anderer?«

»Etwa wie damals – mit Peter?«

»I Gott bewahre!«

Carl atmete auf.

»Das glaubst du also nicht?«

»Für ausgeschlossen halte ich das.«

»Gib mir dein Wort darauf!«

Werner streckte ihm die Hand hin; dann fragte er:

»Sag mir eins: Wenn es das nun wäre – ich wiederhole: ich bin überzeugt, es ist das nicht – aber nimm einmal an: wäre dein Unglück dann sehr, sehr groß?«

Carl erwiderte ohne Besinnen:

»Ja!«

»Aber so schwer wie vor acht Tagen, ehe du hier herkamst, wäre es nicht! – Nicht wahr?«

Carl dachte einen Augenblick nach, dann zog er die Schultern hoch und sagte:

»Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, doch! – Ich habe sie sehr lieb – und sieh mal, wenn etwas sich ändert, dann kann es nicht das sein.«

»Was denn?« fragte Werner.

»Meine Stellung zu ihr! – Daß ich fester werde, bestimmter! – Auch ihr gegenüber.«

»Ich versteh dich genau. Und ich fühle das längst. Ich weiß auch, daß von dieser Festigkeit und Bestimmtheit ihr gegenüber für dich viel abhängt – vielleicht alles

Carl nickte und sagte:

»Das glaub ich fast.«

»Da du diese Festigkeit und Bestimmtheit aber noch nicht hast, sie aber haben wirst, wenn du noch ein paar Wochen in Ruhe in deinen Bergen lebst, darum Carl —« und er stand auf und streckte ihm die Hand hin, »versprich mir, daß du nicht reist, daß du bleibst, bis du sie hast.«

Carl schlug nicht ein, er wies auf das Telegramm und sagte:

»Wie kann ich das? Wo ich nicht einmal weiß, um was es sich handelt.«

»Um nichts! Du kennst sie! Um eine Laune! Vielleicht um einen Augenblick des Aergers oder der Langeweile. Wenn du ankommst und sie fragst, wird sie dir um den Hals fallen und sagen: Nichts! ich wollte dich nur einmal küssen. Oder sie denkt, bis du da bist, längst wieder anders, tut erstaunt und sagt in aller Ruhe: So? hab ich dir telegraphiert? Das hatt’ ich längst vergessen. Richtig! Ich fühlte mich elend; aber jetzt ist es vorüber, und du kannst wieder reisen. Adieu!«

»Weißt du, daß mich das kränkt, wenn du so sprichst?«

»Zum mindesten soll sie dir sagen, weshalb. Danach wirst du dann entscheiden, ob deine Reise nötig ist oder nicht.«

»Das sehe ich ein,« erwiderte Carl. »Ich werde dringend telegraphieren. Ist sie zu Haus, so haben wir in einer Stunde Bescheid.«

»Laß mich!« bat Werner, ging ans Telephon und gab folgendes Telegramm auf:

»Sehr beunruhigt, drahte sofort ausführlich Grund, aus dem ich meinen hiesigen, für die völlige Wiederherstellung meiner Gesundheit durchaus notwendigen Aufenthalt Hals über Kopf abbrechen soll. In Liebe Carl.«

Es verging kaum eine Stunde, da kam die Antwort:

»Carli! Kind! Ueberraschungen hören auf, es zu sein, sobald man sie ausplaudert. Wenn du verhindern willst, daß ich eine große Dummheit mache, so komm! Gruß Agnes.«

Diesmal vermochte Werner nicht, ihn zu halten.

»Ich hätte Tag und Nacht keine ruhige Minute,« sagte er. »Ich bin es nicht ihr, ich bin es mir schuldig, zu fahren.«

Und da Werner einsah, daß der Zweck, selbst wenn es ihm gelänge, ihn zum Bleiben zu bestimmen, nun doch nicht erreicht würde, so drängte er nicht länger, sondern packte seine Sachen und fuhr in aller Frühe des nächsten Morgens nach Berlin.