Za darmo

Lache Bajazzo

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Zweites Kapitel

Carls Versuch, die Plätze in den beiden Autos so zu verteilen, daß er mit Agnes fuhr und die vier Herren für sich blieben, scheiterte an der erstaunlichen Elastizität des Geheimrats. Trotz seines Alters war er blitzschnell hinter Agnes im Wagen, saß, ehe Carl nur ein Wort sagen konnte, ihr auch schon gegenüber und war durch kein Zureden Carls zu bewegen, seinen Platz im Wagen zu wechseln und sich als der Aeltere wenigstens nach vorn zu setzen.



»Erzählt was!« sagte Agnes, als sie unterwegs im Wagen waren. »Geheimrätchen, seien Sie nicht so mopsig! Wie geht’s in so einem Lokal zu? – Was sind da für Menschen?«



Der Alte, dessen Stimme klang, als wenn das Atmen ihm Beschwerde machte, sagte:



»Bekannte werden Sie da kaum treffen. Concours Hippique-Publikum sieht jedenfalls anders aus.«



»Frauenzimmer?« fragte Agnes.



»Letzten Grades,« erwiderte der Geheimrat.



»Was sind das für Mädchen? – Mich interessiert das!«



»Wir werden ja sehen.«



»Haben die Freunde?«



»Viele.«



»Aber einen für sich, nicht wahr?«



»Das weiß ich nicht!«



»Wie glauben Sie, daß es in so einem Mädchen aussieht?«



»Gar nicht! – Tot!«



Carl nahm ihre Hand und sagte:



»Du quälst mich.«



»Ich glaube auch, Holten, für Sie ist das nichts. Bei Ihrem Sinn für Schönheit! Ich fürchte, Ihnen wird übel werden.«



»Und mir?« fragte Agnes erregt. »Was glauben Sie, wie es auf mich wirken wird?«



»Ich hoffe abstoßend.«



»Wenn es mir nun aber gefällt? Man kann ja nicht wissen. Vielleicht reizt mich das – oder am Ende bin ich gar so veranlagt – und das alles bisher war nur künstlich und entsprach gar nicht meiner Natur – was dann?«



Der Geheimrat lachte:



»Sie sind köstlich, Frau Agnes.«



Aber sie drängte:



»Was dann?«



»So hör doch auf!« bat Carl.



»Nun,« sagte der Alte scherzhaft, »dann lassen wir Sie einfach da! – Nicht wahr, Holten?«



»Ob ihr das tätet?« fragte sie. »Wenn ich es nun darauf ankommen ließe?«



»Agnes!« rief Carl entsetzt, »du weißt ja nicht, was du sprichst.«



»Doch! doch!« sagte sie. »Kein Mensch weiß Bescheid und kann sagen, wo er hingehört, bevor er nicht alles kennt und überall gewesen ist – ich meine so

richtig

 gewesen ist – nicht wie ihr, daß ihr mal alle paar Jahre in angeheitertem Zustande auf eine halbe Stunde reinriecht und euch dann einredet: ihr kennt’s und wißt Bescheid. Keine Ahnung habt ihr! – Tot,« ahmte sie den Geheimrat nach, rückte von ihm ab und lehnte sich in den Wagen zurück. »Wer sagt Ihnen, daß die da ›tot‹ sind? Für Sie: ja! Vor Ihnen und euch Allen, da haben sie sogar einen Ekel.«



»Agnes! Agnes!« rief Carl und nahm sie bei den Armen. »So höre endlich auf! – Ich kann nicht mehr.«



Der Geheimrat sah ihn erstaunt an.



Carl hielt Agnes noch immer fest.



»Au! au!« rief sie. »Was fällt dir ein! Laß mich!«



»Bitte! Sagen Sie dem Chauffeur,« rief Carl dem Alten zu, »daß er zur ewigen Lampe und nicht zum schwarzen Ferkel fährt. Er soll auch die anderen verständigen.«



Agnes machte sich von Carl los – sprang auf, riß den Geheimrat, der sich eben aus dem Fenster beugte, in den Wagen und warf ihn auf seinen Sitz zurück. Dann wandte sie sich, noch immer stehend, an Carl und sagte:



»Gut! Fahrt ihr in die ewige Lampe! Ich gehe ins Ferkel!«



Carl senkte den Kopf und gab es auf.



Agnes setzte sich wieder.



»Der Name macht’s doch nicht,« vermittelte der Geheimrat. »Ob so ’n Ausschank nun schwarzes Ferkel oder ewige Lampe heißt, das bleibt sich doch gleich.«



»Bravo! Alterchen!« rief Agnes und gab ihm die Hand, worin zugleich eine Entschuldigung für ihre unzarte Behandlung lag.



Agnes ließ nun kein Auge mehr vom Fenster.



»Da!« rief sie hinter der Weidendammerbrücke freudig und wies wie auf einen guten Bekannten, auf eine kleine Konditorei, in die sich gerade zwei Frauenzimmer schoben.



»Was ist damit?« fragte der Geheimrat und sah hinaus.



Aber das Auto war schon vorüber und Agnes’ Augen starrten auf ein paar Riesenscheiben, hinter denen ein Orchester spielte, um das unzählige Menschen saßen.



»Café Stern!« rief sie freudig wie ein Kind, das vor einem Spielzeugfenster steht; und ihr Gesicht, auf das grell das Licht der Bogenlampen fiel, war dem Geheimrat nie kindlicher und harmloser erschienen.



Als das Auto dann aber rechts in die Elsässer Straße bog, wurde sie unruhig.



»Jetzt sind wir gleich da!« sagte sie und griff nach Carls Hand.



»Noch können wir umkehren!«



Sie schien einen Augenblick lang zu überlegen. Carl, der es fühlte, wandte sich nach ihr um – da sagte sie auch schon:



»Nein! Ich muß!«



Sie biß die Lippen aufeinander, ihr Gesicht bekam einen herben Zug, und der Geheimrat, der es sah, dachte:



Wie schnell sie sich verändert.



Das Auto hielt. Die anderen erwarteten sie schon. Zuerst stieg Agnes aus. Und Peter, der ihr half, sagte:



»Sie zittern ja.«



»Ich? – I wo!«



»Das scheint ja ’Ne feine Nummer da drin!« sagte der Staatsanwalt, der schon einen Blick hineingeworfen hatte.



»Ist es voll?« fragte Agnes erregt.



»Knüppeldicke – aber da war so ’n schmieriger Kerl, dem hab ich ’ne Mark gegeben, dafür reserviert er ’n Tisch.«



Carls Gedanken lösten sich auf und irrten planlos.



Das Wetter ist besser als damals, dachte er.



»Also gehen wir hinein?« fragte der runde Justizrat.



»Ausgeschlossen!« erwiderte der Staatsanwalt. »Keinen Augenblick bevor man uns Platz geschafft hat.«



Ein paar Frauenzimmer und lichtscheues Gesindel, das die Straße entlang strich, blieben stehen und bestaunten Agnes, die Herren und ihre Autos.



Peter sagte zum Staatsanwalt:



»Wenn man so ’n paar von den Frauenzimmern da mit hinein nähme, fiele man vielleicht weniger auf.«



Der Staatsanwalt wies auf Agnes und sagte empört:



»Und die gnädige Frau? – Ich bitt Sie!«



»Sie haben recht,« erwiderte Peter. »Das geht nicht!«



»Da ist ja der schmierige Kerl!« sagte der runde Justizrat und wies auf einen Mann in abgeschabter grüner Livree, der aus der schmalen Tür des schwarzen Ferkels trat.



Er trägt noch denselben schmutzigen Rock wie damals, dachte Carl.



»Na?« rief ihm der Staatsanwalt zu. »Ist Platz?«



»Selbstredend, Herr Jraf! Janz vorn!«



Agnes klammerte sich an Carl. Der beugte sich zu ihr und fragte:



»Willst du noch immer?«



»Ja!« flüsterte sie, winkte Peter heran und sagte: »Deinen Arm, Peter!« Der trat zu ihr, sie hing sich ein und sagte laut:



»Wir müssen uns duzen, sonst beschimpft man uns.«



Schon an der schmalen Eingangstür mußte sie Carl und Peter loslassen.



Der Staatsanwalt, der sich dicht an den schmutzigen Kerl hielt, ging voran, dann folgte Carl, zwischen ihm und Peter ging Agnes, die zur Erde sah und Peters linke Hand hielt. Der Justizrat und der alte Geheimrat kamen zuletzt.



Da auf der Bühne gerade »Melitta, der Liebling des Sultans« ein anzügliches Lied sang, so beachtete man gar nicht den Einzug der seltenen Gäste.



»So!« sagte der schmierige Kerl, und wies auf einen Tisch, der vorn links, unmittelbar hinter dem Klavier stand.



»Ich seh schon,« erwiderte der Staatsanwalt.



»Pst!« riefen ein paar Stimmen, und nebenan schrie ein Weib: »Setzen!«



Der Staatsanwalt zwängte sich zwischen Bühne und der ersten Tischreihe hindurch und gab den anderen ein Zeichen, ihm zu folgen. Der schmierige Kerl blieb stehen, bis sie alle an ihm vorüber waren.



Als Agnes sich an ihm vorbeidrängte, fuhr er zusammen, riß die verklebten Augen auseinander und sagte:



»Wat? du, Kind!«



»Maul halten!« flüsterte ihm Agnes zu und berührte beinahe sein Gesicht.



Blitzschnell griff Peter in seine Börse und schob dem Kerl ein Goldstück in die Hand:



»Maul halten!« sagte auch er. »Und für Ruhe sorgen!«



Der starrte jetzt Peter an und blieb, als sie alle längst saßen, noch eine ganze Weile verdutzt stehen.



»Was war das mit dem Kerl da?« fragte der Justizrat.



»Ist er Ihnen etwa zu nahe getreten, gnädige Frau?«



»I wat,« erwiderte Peter. »Er fragte, ob er die Garderobe abnehmen soll.«



»Na, die hätten wir nachher lange suchen können,« sagte der Staatsanwalt. »Ueberhaupt, wir müssen acht geben, daß uns hier nichts weggefunden wird.«



Der Justizrat sah sich um.



»Ich glaube, lieber Staatsanwalt, Sie wollen uns nur gruselig machen. Auf mich macht das Ganze einen äußerst harmlosen Eindruck.«



»Na, ich glaube, daß ich hier manche Berufsbekanntschaft erneuern könnte,« erwiderte der.



Agnes, die zwischen Carl und Peter saß und noch nicht aufgesehen hatte, schnellte jetzt mit dem Kopf empor und sah dem Staatsanwalt ins Gesicht.



»Macht Ihr Beruf Ihnen Freude?« fragte sie scharf.



Den Staatsanwalt überraschte die unvermittelte Frage, und Agnes’ Blick, den er den ganzen Abend über vergebens gesucht hatte, und der ihn nun so plötzlich traf, verwirrte ihn.



»Wie meinen gnädige Frau das?« fragte er zögernd.



»Ich denke mir das furchtbar!«



»Jewiß, an sich ist die Berührung mit diesen unsauberen Elementen nich gerade erhebend. Dafür entschädigt aber das Gefühl, Verbrechen zu sühnen, womit man ja schließlich auch dem Staat und der Gesellschaft einen Dienst erweist.«



»Machen Sie sich nicht mit hier so unpopulären Anschauungen mißliebig,« rief der Justizrat.



»Finden Sie, daß sehr viel Mut dazu gehört,« fragte Agnes, »Verbrechen zu sühnen, wenn einem die armen Sünder als wehrlose Gefangene vorgeführt werden?«



»Sie können doch unmöglich von mir verlangen, Gnädigste, daß ich die Herren Einbrecher bei der Arbeit aufsuche, oder sie zur Sühne ihrer Missetaten etwa vor die Pistole fordere.«



»Jedenfalls ist das eine Tätigkeit, zu der das Gegenteil von Mut gehört,« sagte Agnes.

 



»Na! na!« sagte Peter und suchte zu stoppen.



Aber der Staatsanwalt benahm sich ritterlich und sagte:



»Wäre es nicht zu spät, vielleicht, daß ich Ihnen zuliebe umsatteln würde, gnädige Frau.«



Agnes hatte auch während dieses Gesprächs nicht einmal in den Saal gesehen.



Von mehreren Tischen rief man jetzt zu ihnen hinüber:



»Ruhe! – Donnerwetter! – Ruhe!«



Der Staatsanwalt drehte sich zu einem Kerl um, der hinter ihm saß, zog die Schultern hoch und sagte höhnisch:



»Lächerlich!«



Da rückte der Kerl mit seinem Stuhl einen Schritt vor, kniff die Augen zusammen und sah den Staatsanwalt frech an.



»Affe!« sagte der Staatsanwalt.



Der Kerl flitzte auf, trat an ihn heran, fluchte und riß den Stuhl hoch.



Da schnellte Agnes empor.



Der Stuhl schwebte eben über dem Kopf des Staatsanwalts.



»Laß das!« rief sie mit schriller Stimme.



Der Kerl wandte den Kopf zu ihr, sperrte das Maul weit auf, senkte den Arm, ließ den Stuhl zur Erde gleiten und stand wie versteinert da, sah Agnes, die, ohne eine Miene zu verziehen, hoch aufgerichtet am Tische stand, aus stieren Augen an – wankte einen Augenblick lang, klammerte die Hände an den Tisch, heulte dann wie ein geschlagener Hund laut auf und stürzte aus dem Saal.



Und als der schmierige, alte Kerl, der draußen stand, erstaunt fragte:



»Was hast de, Otto?«



rief er:



»Die schwarze Agnes!«



und stürzte auf die Straße.



Und drinn im Saal lehnte man sich über die Tische und flüsterte sich zu:



»Die schwarze Agnes!«



Carl war im selben Augenblick, in dem Agnes rief: »Laß das!« aufgesprungen. Auch er hatte Otto erkannt; und da er ihn in seiner wilden Wut zu allem fähig hielt, so fürchtete er für Agnes.



Und dann kam das!



Mächtig hatte es ihn gepackt und tief ans Herz gegriffen. Er wußte, was da im Innern dieses Menschen vorging. Wußte es besser als irgendein anderer. – Er sah in den Saal. Hatte denn von all diesen Menschen kein einziger ein Herz? Oder sahen sie nicht, wie er litt? Fand sich wirklich keiner, der ihm nachlief und sich seiner annahm? – Und in ihm stieg ein Mitleid auf wie mit einem Tier, das man in seinem Schmerz verrecken ließ. —



»Ich glaube, wir gehen!« sagte Peter.



»Nein! Wir bleiben!« erwiderte Agnes. »Was sitzt ihr alle stumm da? Was ist passiert? Habt ihr Nerven wie die Vögel? – Weshalb bestellt ihr nichts zu trinken?« Sie klatschte in die Hände. »Wein her!« rief sie.



Ein paar Kellnerinnen tauchten auf.



»Roten!« rief sie ihnen zu. »Auch da und da! – und da! – und dahin —« und sie wies auf die anderen Tische: »Wir zahlen alles!« Das Publikum johlte.



»Nimmt die Pause kein Ende?« rief Agnes.



»Vorhang auf!« brüllten die Leute.



Der Klavierspieler schlug auf die Tasten.



Die Kellnerinnen brachten Gläser und öffneten Wein.



Peter goß ein.



»Seid ihr immer noch nüchtern?« rief Agnes. »Stoßt an!«



»Das ist keine Luft für Geheimräte, was?« sagte Peter, lachte und stieß an.



»Warum nicht?« erwiderte der Alte und rief: »Prost Frau Agnes!«



»Prost!« sagten alle, hoben behutsam die Gläser, stießen an und tranken.



Der schmutzige Vorhang rollte in die Höhe. Zwei Negerweiber traten auf. Lautes Gejohle empfing sie. Sie steckten in modernen Kostümen, die bis an die Knie reichten.



»Gute Beine!« flüsterte der Geheimrat.



»Na also!« sagte Peter und lachte. »Sie passen sich endlich dem Milieu an.«



»Sneller!« rief eine der Negerinnen dem Klavierspieler zu; der wurde nur lauter.



Dann bewegten sie die Beine, zeigten die Zähne, grinsten, sangen ein Lied und tanzten den üblichen Negertanz.



Alle Beine im Saale gingen mit.



»Machen wir’s wie die anderen!« rief Agnes. »Johlen wir mit! Geheimrätchen, johle!« Und sie nahm ihn unter den Arm, und er mußte den Kehrreim mitsingen. Auch Peter sang, und der Justizrat kloppte wenigstens mit den Händen auf dem Tisch die Melodie mit.



»Justizrätchen, wenn du nicht singst, setzt’s Hiebe.«



Der Justizrat lachte und sang die Melodie mit. Der Staatsanwalt, der nicht zurückstehen wollte, spitzte den Mund und pfiff.



»Hier wird nicht geflötet!« rief Agnes. »Oder glauben Sie, Sie sind hier im Symphoniekonzert? Wenn Sie nicht singen können, trampeln Sie! – Tempo! Tempo!!« rief sie den Negerinnen zu.



Und die schwarze Dame wies tanzend auf den Klavierspieler und rief:



»Sneller!«



Der hieb unbarmherzig auf die Tasten; schneller wurde er nicht.



»Einhaken!« rief Agnes und schob ihre Arme in die ihrer Nachbarn. Und die taten mechanisch dasselbe. Peter hing sich in den Arm des Staatsanwalts, der faßte, nicht ohne Beklemmung, den runden Justizrat unter; der Justizrat hakte sich bei dem Geheimrat, der neben Agnes saß, und Carl, der zu träumen schien, bei Peter ein. Und damit war der Ring geschlossen.



Und nun schunkelten sie – erst mit Vorsicht, dann, von Agnes fortgerissen, kräftig und betont, hoben und schoben sich dabei im Takte, und sangen bald nicht nur den Kehrreim mit, sondern summten die ganze Melodie von Anfang bis zu Ende.



Nach jeder Strophe kommandierte Agnes:



»Aushaken! – Trinken! – Einhaken!«



Und die Korona folgte wie selbstverständlich; ging immer mehr aus sich heraus; und bald war ihr Tisch der lebendigste von allen. Und als man am Schluß die Wiederholung des letzten Kehrreims zu erklatschen suchte, waren die Rufe, die von hier kamen, nicht weniger laut als die der anderen. Als Lied und Tanz dann aber doch zu Ende gingen und sie die Arme wieder frei bekamen und ihre Stühle dichter an die Tische rückten, sahen sie sich an und lachten alle laut auf.



»Na, wie gefällt’s euch hier?« fragte Agnes.



»Glänzend!« sagte der Geheimrat.



»Famos!« stimmte der Justizrat bei.



»Das hätte ich wahrhaftig nicht für möglich gehalten!« meinte der Staatsanwalt – und Peter stellte fest:



»So lustig waren wir schon lange nicht mehr!«



Auch Carl schien weniger nachdenklich.



Am Ende geht es doch noch gut ab, dachte er.



An einem der Tische hielt man jetzt mit einem fragenden Blick zu Agnes eine leere Flasche in die Höhe. Im Nu folgten in nächster Nähe eine zweite – dort eine dritte – vierte – bald waren es mehr als ein Dutzend.



»Trinkt!« rief Agnes, und die Kellnerinnen liefen.



Der schmierige, alte Kerl, der von Tisch zu Tisch ging, blieb in respektvoller Entfernung von ihnen stehen und fragte devot:



»Sind die Herrschaften zufrieden?«



»Außerordentlich!« erwiderte Peter. »Wir kommen jetzt alle Sonnabende.«



Der Kerl verbeugte sich.



»Aber keine Pausen!« rief Agnes. »Das wirft die Stimmung.«



»Fortfahren,« rief er dem Klavierspieler zu.



Der Vorgang wiederholte sich. Nur daß statt der Negerinnen jetzt »Pussy, die Wiener Soubrette« auf der Bühne stand.



Agnes brauchte jetzt nicht mehr zu kommandieren: »Einhaken!« Der Geheimrat hing schon fest in ihrem Arm. – Aber der Staatsanwalt schlug vor, der Abwechslung halber, damit auch die anderen mal an der Sonne säßen —



»Gott, wie höflich!« rief Agnes.



– die Plätze zu tauschen. Nur Agnes sollte sitzen bleiben. Alle stimmten zu. Sie standen auf und traten auf einen Wink von Agnes vom Tisch fort in die Nähe des Klaviers.



»Setzen!« kommandierte Agnes. Im selben Augenblick stürzten alle an den Tisch auf Agnes zu. Der Staatsanwalt saß als Erster; Peter sicherte sich den zweiten Platz rechts von ihr; die drei anderen stritten nicht lange, setzten sich, und der Ring schloß sich wieder.



Zu Schluß des zweiten Rundgesanges sagte atemlos der Justizrat:



»Ich habe seit zwanzig Jahren nicht mehr gesungen.«



»Und ich mein Lebtag nicht,« erwiderte Peter, und der Staatsanwalt flötete:



»Da kann man mal wieder sehen, was eine charmante Frau alles fertig bringt.«



»Keine Betrachtungen!« rief Agnes. »Nachdenken verstimmt! Verstanden, Carli? Das gilt auch für Sie, Staatsanwalt!« Sie wandte sich jetzt ganz zu ihm: »Wo sehen Sie bloß fortwährend hin? Haben Sie was entdeckt? Heran mit ihr, wenn sie hübsch ist. Mich stört’s nicht!«



Der Staatsanwalt, der keinen Blick von einem der hinteren Tische ließ, sagte:



»Ich hab in der Tat was entdeckt.«



»Nanu?« fragte Peter. »Hier Bekannte?«



»Wahrhaftigen Gott! Ich irr mich nicht!«



»Was lachen Sie nur so höhnisch?« fragte Agnes. »Was haben Sie?«



»Wiedersehn macht Freude!« erwiderte der Staatsanwalt. »In diesem Falle dürfte die Freude freilich etwas einseitig sein.«



»Etwa . . .?« fragte Agnes erschrocken.



»Zwei schwere Jungen, die meine Leute seit Tagen suchen.«



»Sie haben aber Glück!« sagte der Justizrat.



»Ich finde, die anderen haben Pech,« erwiderte Peter.



»Was wollen Sie tun?« fragte Agnes ängstlich und erregt.



»Das Angenehme dieses Abends mit dem Nützlichen verbinden.«



»Gar festnehmen . . .?«



»Persönlich nicht! Da würde ich wohl schlecht bei fahren.«



»Richtig! Ich vergaß ja . . .«



»Wie meinen Sie?«



Agnes warf den Kopf zurück:



»Ich meinte – dazu gehört ja Mut!«



»Das wäre Tollheit!« erwiderte er.



»Also, was wollen Sie tun?«



»Na, ich denke, es wird ja hier wohl ’n Telephon geben. Schlimmstenfalls geh ich selbst zum nächsten Polizeirevier.«



»Das tun Sie nicht!« sagte Agnes bestimmt.



Der Staatsanwalt sah sie erstaunt an:



»Und weshalb, meinen Sie, daß ich das nicht tun soll?«



»Weil ich nicht will!«



»Ich versteh gar nicht – was können Sie für ein Interesse daran haben?«



»Ich finde es feig, ahnungslosen Menschen eine Falle zu stellen.«



»Ja, glauben Sie, daß die einer schriftlichen Aufforderung folgen würden?«



»Dann lassen Sie Ihre Beamten suchen. Auf einen Tag früher oder später wird es wohl nicht ankommen.«



»Ich halte es einfach für meine Pflicht, eine Gelegenheit, wie die, wahrzunehmen.«



»Ich bitte, tun Sie’s nicht!«



»Denken Sie, wenn diese Kerle heut nacht womöglich noch einen Einbruch verüben, so wäre ich gewissermaßen dafür verantwortlich.«



Der Justizrat gab ihm recht.



»Ach wat!« sagte Peter. »Wenn Frau Agnes es doch nicht will! – Sehen Sie einfach weg! Wenn man schon mal unter solchen Menschen sitzt, dann muß man auch ein Auge zudrücken können.«



»Bravo, Peter!« rief Agnes und reichte ihm die Hand. »Carli, sag du!«



»Ich würde auch der Ansicht des Barons sein,« erwiderte Carl.



»Gnädige Frau, meine Herren,« erwiderte der Staatsanwalt, »es tut mir leid; aber hier hört das Gesellschaftliche auf. Wie gesagt: ich halte es ganz einfach für meine Pflicht. Lassen Sie sich aber darum bitte nicht stören.« Er erhob sich. »In ein paar Minuten bin ich wieder da.«



»Dann kann man eben mit Ihnen nicht mehr zusammen sein,« sagte Agnes empört.



»Das würde ich von ganzem Herzen bedauern!«



Er verbeugte sich und ging.



»Menschenfänger!« rief ihm Agnes nach.



Sie streckte den Kopf, biß die Lippen zusammen und klopfte nervös mit den Fäusten auf den Tisch.



»So beruhige dich, Agnes!« sagte Carl. »Mir ist es auch nicht angenehm.«



»Er hätte es zum mindesten nicht zu sagen brauchen,« meinte der Geheimrat, »sondern sich einfach stillschweigend entfernen können.«



»Wem wäre damit geholfen?« fragte Agnes.



»Ihnen, gnädige Frau!«



Agnes sprang auf.



»Mir braucht niemand zu helfen!« rief sie zornig »Ich helfe mir selbst.«



Und ehe Carl oder einer von den anderen es hindern konnte, war sie vom Tische fort und in der Richtung des Saals, der die Aufmerksamkeit des Staatsanwaltes gegolten hatte, verschwunden.



Die Tische standen so dicht beieinander, daß es nicht ohne Zusammenstöße, Knüffe und Schimpfworte abging. Aber Agnes achtete nicht darauf. Mehrmals blieb sie an Tischen, Stühlen und Hüten hängen, riß sich, unbekümmert um ihre Kleidung, los und bahnte sich rücksichtslos ihren Weg.



Der Rauch stand so dick und fest im Saal, daß einem die Augen brannten und man die Gesichter kaum drei Meter weit erkennen konnte.



So war es denn für Carl und Peter keine leichte Aufgabe, Agnes zu finden.



Sie selbst brauchte Minuten, bis sie sich endlich an den Tisch durchgerungen hatte. Fünf junge Kerle saßen hier über den Tisch gebeugt mit ein paar Mädeln. Teller und leere Gläser standen herum. Einer von ihnen erzählte Geschichten. Sie lachten laut und schlugen vor Vergnügen mit den Fäusten auf den Tisch.



Agnes schob sich zwischen zwei Stühle, beugte sich über den Tisch und sagte schneidend:



»Macht, daß ihr fortkommt. Der Staatsanwalt hetzt Polizisten auf euch!«



Alle sprangen auf, nur eins der Mädchen blieb sitzen. Die Kerle zogen die Mützen in die Stirn, die Weiber griffen nach ihren Sachen. Dann standen sie einen Augenblick und überlegten. Ein paar machten eine gleichgültige Bewegung und setzten sich wieder. Zwei duckten sich, schielten nach dem Ausgang und schoben sich an die Wand. Peter, der gerade in der Nähe der Wand stand und sich vergeblich an den Tisch mühte, sah, wie man den beiden bereitwillig und ohne daß sie ein Wort zu reden brauchten, Platz machte. Ein Mädchen nahm einen der Kerls, der sich wieder gesetzt hatte, an den Arm, heulte und wollte ihn gewaltsam mit sich fortziehen.

 



Agnes, die außer Atem war, wollte an ihren Tisch zurück. Sie stand nur ein paar Schritte weit von Peter. Da wurde es plötzlich mäuschenstill im Saal. Ein paar Polizisten erschienen im Eingang. Die beiden Kerls an der Wand duckten sich tiefer.



»Sie sind verloren!« dachte Agnes und sah im Geiste das triumphierende Lachen des Staatsanwaltes.



»Was hast du?« fragte Peter, der sich endlich zu ihr durchgedrängt hatte, und nahm sie beim Arm.



»Peter!« rief sie, und im selben Augenblick schoß ihr auch schon ein Gedanke durch den Kopf. »Gib mir schnell alles Silber, das du bei dir hast,« sagte sie zitternd.



»Wozu?«



»Gib!« drängte sie und hielt ihm die Hände hin.



Peter griff in die Hosentasche und zog eine Handvoll Silber hervor.



Agnes griff gierig danach und warf das Geld in weitem Bogen in den Saal.



»Mehr!« rief sie – warf ein zweites, drittes und viertes Mal. Ein wüstes Geschrei brach los; Glaser klirrten, Stühle und Tische krachten, Weiber zerrten einander an den Haaren, Männer hieben aufeinander ein. Griff einer ein Geldstück, so jagte ein Dutzend anderer es ihm wieder ab. Und wie eine Horde Besessener wälzten sich Männer und Weiber in dichten Knäueln auf der Erde.



Agnes stand als einzige aufgerichtet an der Wand; neben ihr Peter.



»Was für ein Wahnsinn!« sagte er.



Agnes sah ängstlich und erregt auf eine bestimmte Stelle am Boden, an der, wie überall, Männer und Weiber wühlten. Hin und her wogte es, und in einem Knäuel von Menschen, die ihr Blick verfolgte, erkannte Peter die beiden Kerle wieder. Sie tasteten sich behutsam vorwärts, kamen dem Ausgang immer näher und verschwanden plötzlich hinter der Gardine, die zur Garderobe, und von da ins Freie führte.



Agnes’ Augen leuchteten auf.



»So! Nun können wir gehen!« sagte sie strahlend. »Wo sind die anderen?«



Die waren auf die Bühne geflüchtet, auf der jetzt auch die Polizisten standen. Die richteten aus einem Schlauch dicke Wasserstrahlen in den Saal. Die Wirkung zeigte sich schnell. Alle sprangen auf und drängten sich dem schmalen Ausgang zu. Aber der Wasserstrahl ging jetzt mit doppelter Kraft gerade da nieder und versperrte den Weg, bis ein Aufgebot von Polizisten erschien und alle in der Falle saßen.



»Kanntest du die beiden?« fragte Peter.



»Du hast es bemerkt?«



»Ja.«



»Ich habe sie nie vorher gesehen.«



»Bereust du’s nicht, wo du nun siehst, was du angerichtet hast?«



»Nein!« sagte sie überzeugt. »Ich habe es mehr gegen

ihn

 als

für

 sie getan.« Und dabei wies sie auf den Staatsanwalt, der unter den Polizisten stand und sich mühte, unter den Hunderten von Menschen, die jetzt zerfetzt und zerzaust vom Boden aufkrochen, die beiden herauszufinden.



Außer Holtens und seinem Kreise mußten alle im Saal bleiben. —



»Gerettet!« sagte der Geheimrat und holte tief Atem, als er auf der Straße stand.



»Wir können von Glück sagen,« erwiderte der Justizrat. »Es werden nicht viele mit heiler Haut davonkommen.«



»Ist dir auch wirklich nichts passiert?« fragte Carl besorgt und legte seinen Arm um Agnes.



»Nicht das Geringste.«



»Wir haben nicht wenig Angst um Sie ausgestanden!« beteuerte der Justizrat, und der Geheimrat sagte:



»Wie konnten Sie es auch nur wagen, allein . . .« er besann sich. »Ich meine, Sie hätten doch Carl ruhig bitten können, Sie zu begleiten.«



Agnes, die erriet, was man für den Grund ihres plötzlichen Aufbruchs gehalten hatte, lachte, gab dem Alten einen Backenstreich und sagte:



»Schämen Sie sich, Alterchen, mir so nachzuspüren!«



Der Staatsanwalt erschien und rief ihnen zu:



»Nun, meine Herrschaften, habe ic