Za darmo

Frau Dirne

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»Wo . . . wo . . . ist denn . . . der . . . Ring?«

Katz trat dicht an Frau Ina heran und wies unauffällig auf seine Tasche, in der das Schmuckstück war. Die begriff sogleich und sagte:

»Ich habe Herrn Katz gebeten, den einen der Steine auf seine Echtheit hin zu prüfen. Ich werde das Gefühl nicht los, daß der eine Stein während unserer letzten Reise durch einen anderen ersetzt worden ist.«

»Zeigen Sie her!« rief die Alte erregt und ging jetzt ohne Stütze auf Katz zu, der den Ring aus der Tasche zog, aber in der Hand behielt.

Die Frau Baronin prüfte genau mit der Lorgnette und erklärte:

»Ich lasse meinen weißen Kopf dafür: an diesem Stück ist alles genau so, wie es in meiner frühesten Kindheit war« – und nun erzählte sie die Geschichte dieses Ringes, so wie sie von Mutter und Großmutter ihr überkommen war.

Gerade, als sie den Ring wieder an ihre gewohnte Stelle legen wollte, meldete der Diener:

»Der Herr Graf v. Scheeler will sich verabschieden.«

Er trat zur Seite, und der Graf erschien auf der Schwelle. Er nahm von Katz keine Notiz, schritt auf die Baronin zu und ergriff ihre Hand, in der sie den Ring hielt. Er stutzte und sah Katz an.

Die Baronin erriet seine Gedanken.

»Wir waren in Sorge um die Echtheit eines Steines«, sagte sie. »Darum baten wir Herrn Katz« sie stellte ihn dem Grafen vor – »der Kenner ist, ihn zu prüfen. – Gott Lob, er ist echt« – und sie legte den Ring wieder in den Schrank.

Aber auch Katz wußte, was vorging. Der Glaube des Grafen, daß der Glanz dieses Hauses echt war, durfte nicht erschüttert werden. Er nutzte die Situation, gab Frau Ina ein Zeichen, zog ein Papier aus der Tasche, breitete es vor ihr aus, wies mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle und flüsterte:

»Bitte!«

Mit zitternder Hand griff sie zur Feder und setzte ihren Namen unter das Papier. Sie sah nicht, was sie unterschrieb, aber die Hand in dem abgeschabten roten Glacé, die das Papier hielt, ließ es sie fühlen.

Katz nahm hastig das Papier an sich und steckte es in die Tasche.

Der Graf war an Ina herangetreten, sie wagte nicht, ihn anzusehen.

»Also bis morgen«, sagte sie; ihre Stimme zitterte: »Wir reiten zusammen.«

Er nahm ihre Hand, die eben den Bordellvertrag gefertigt hatte, und küßte sie.

»Mit Vergnügen«, erwiderte er, verbeugte sich und ging. Und zu dem Rittmeister, der ihn hinausbegleiten wollte, sagte er in der Tür:

»Bitte, bleiben Sie!«

Als er draußen war, sank Frau Ina in den Sessel zurück und schloß die Augen.

»Ist dir etwas?« fragte der Rittmeister besorgt.

Sie wies auf Katz und sagte schroff: »Begleite den Herrn hinaus!«

Der war keineswegs gekränkt, überzeugte sich durch einen schnellen Griff in die Tasche, daß der Vertrag darin war, und ging. Er war noch im Flur, da stürzte die Baronin auf ihre Tochter zu, riß sie aus dem Sessel, sperrte neugierig die Augen auf und fragte hastig:

»Nun, was ist? Was verlangt er? Zahlt er weiter oder weigert er sich? Was hast du da unterschrieben? Ich kann mir denken, es ist kein Glück, seine Geliebte zu sein. Aber, was willst du tun? Wir müssen leben! – Betrüg ihn! Schlag ihn! Bring ihn um! Aber handle vorsichtig und klug und mach mir keine Sorgen. – Wie ich ihm den Ring abgejagt habe! – Wer mir das gesagt hätte vor fünfzig Jahren, als ich in meiner Verliebtheit dem Herzog von Montfleury einen Korb gab, um deinen Vater zu heiraten.«

»Ach Mutter!« seufzte Frau Ina.

»Was für ein Papier hast du da unterschrieben?« drängte die Baronin.

»Ich weiß es nicht. Vermutlich einen Kontrakt.«

»Was für einen Kontrakt? – Um deinen Mann los und die Frau des Grafen Scheeler zu werden, mußt du alles vermeiden, was dich nach außen hin kompromittiert.«

Ina lachte spöttisch, sah die Baronin fest an und sagte:

»Ich werde ein Bordell übernehmen.«

»Ina!« schrie die Baronin laut auf. »Hast du den Verstand verloren?«

»I Gott bewahre! Aber in dieser Form geht es nicht weiter. Statt zu Geld zu kommen, geraten wir nur immer tiefer in Schulden. Jetzt heißt es, endlich einmal Realpolitik treiben! Biegen oder brechen!«

Die Baronin sah entsetzt ihre Tochter an.

»Und . . . auf . . . die . . . Art . . . meinst . . . du . . .?«

»Ja, Mama!« lautete die bestimmte Antwort. »Auf die Art; wenn in der Form auch etwas anders.«

»Und . . . du . . . glaubst . . .?«

»Ich hoffe!«

Der Rittmeister kam wieder ins Zimmer.

»Ein sympathischer Mensch, dieser Katz«, sagte er. »Und auf dich, Ina, hält er große Stücke.«

Aus einem Nebenzimmer ertönte hell die Stimme Mathilde Brückners.

»Allmächtiger!« rief Ina. »Wir haben ja Gäste!«

Sie trat an den Spiegel, legte Puder auf, befahl ihrem Manne, der Baronin den Arm zu reichen, und ging mit ihnen in den Salon zurück, der auf der andern Seite des Flurs lag.

* * *

Mathilde Brückner hatte ihr Lied gerade beendet, als die Drei den Salon wieder betraten.

»Ich habe versucht, Sie zu ersetzen,« wandte sich Mathilde an die Baronin.

»Solchen Ersatz werden sich unsere Gäste gern gefallen lassen,« erwiderte die, dankte Mathilde lebhaft und drückte ihr die Hand.

»Hoffentlich war die Abhaltung keine unangenehme,« fragte Wolfgang v. Erdt.

»Ja und nein,« erwiderte Frau Ina. »Es kommt, wie bei allem, darauf an, wie man es nimmt. Einer findet es katastrophal, der Andere sieht darin eine Wohltat.«

»Sehr richtig!« stimmte der Professor zu. »Das gilt ganz allgemein und uneingeschränkt; nur merken es die Menschen in den seltensten Fällen. Alles ist letzten Endes auf Zerstörung gerichtet.«

»Jeder Aufbau trägt in sich schon den Keim späterer Vernichtung.«

»Daß wir ihn nicht erkennen,« erwiderte Frau Ina, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, »liegt daran, daß man uns schon als Kinder eine Brille auf die Nase stülpt, durch die wir dann Zeitlebens alles wie durch einen Schleier sehen. Zu einer eigenen Wertung über Gut und Böse kommen wir dadurch überhaupt nicht. Das hat man uns schon vorweggenommen.«

»Und man sollte nicht imstande sein, sich diese Brille herunterzureisen und mit eigenen Augen zu sehen?« fragte v. Erdt.

»Das Resultat wäre ein Mensch ohne Vorurteile,« erwiderte der Professor. »Ich glaube nicht, daß es so etwas in unseren Kreisen gibt.«

»Und gäbe es das, was gewiß schon viel wäre,« fuhr Frau Ina fort, »wem wäre damit gedient? Dieser Ausnahmemensch würde sich ja doch nur immer in seinen Kreisen bewegen. Das Leben da, wo es unverfälscht ist, würde er doch nicht kennen lernen.«

»Und wo, meinen Sie, lernt man das unverfälschte Leben am besten und am gründlichsten kennen?« fragte Frau Mira.

»Unten im Volke natürlich,« erwiderte der Professor, »wo die Instinkte frei und ohne gesellschaftliche Rücksichten zum Durchbruch kommen.«

Frau Olga führte ihr Spitzentuch vor den Mund und sagte: »Danke ergebenst! Alle diese Menschen haben einen Odeur an sich, der mich umwirft.«

»Vor allem,« meinte Frau Ina, »ist an dieser Art Menschen nichts zu studieren. Sie sind durch die Tretmühle des täglichen Lebens so abgestumpft, daß sie kaum noch Leidenschaften haben.«

»Aber man liest doch soviel in Romanen und sieht soviel auf der Bühne . . .« brachte Frau Mira etwas zaghaft mit einem Blick auf Wolfgang v. Erdt vor.

»Das ist doch alles Phantasie,« meinte die Baronin, worauf sie ein vernichtender Blick Nelly Brückners traf. »Oder irre ich mich da?« fragte sie höflich.

»Aber sehr!« erklärte Nelly überlegen und bestimmt, sah ängstlich zu ihrem Stiefvater auf, streichelte ihn mit einem zärtlichen Blick und sagte:

»Intuition ist es! Göttliche Intuition!«

»Jedenfalls, und darauf allein kommt es an,« erwiderte Frau Ina, »weit ab von jeder Wirklichkeit. – Um die Wirklichkeit kennen zu lernen,« fuhr sie mit Pathos fort, »dazu bedarf es schon einer gewissen Größe, die von uns, die wir bis da hinauf in gesellschaftlichen Vorurteilen stecken, kaum einer aufbringt.«

»Ich schon!« widersprach Frau Mira. »Wenn Sie mir nur zusichern, daß dies Studium mehr Abwechslung bietet und weniger formal ist als unser gesellschaftliches Leben, das mit der Präzision eines tausend Meter Films abrollt, ohne – genau wie der – je eine Überraschung zu bringen, dann stürze ich mich in dies Studium, selbst auf die Gefahr hin, mich und meinen Mann zu kompromittieren.«

»Es ist ja klar,« sagte Frau Ina, »daß man den nackten Menschen – ich spreche natürlich bildlich – nur kennen lernen kann, wenn man ihn da aufsucht, wo seine Leidenschaften ungehemmt, zügellos, nackt – und jetzt meine ich es wörtlich – zum Ausdruck kommen.«

»Gibt es so einen Ort?« fragte Frau Mira voll Interesse.

»Den gibt es!« erwiderte Frau Ina.

»Nämlich?« fragte Mathilde Brückner, und die gleiche Frage stand auf allen Gesichtern.

»Ich will es Ihnen sagen.« – Sie wandte sich an ihren Mann: »Bitte, Heinz, gieße uns erst einmal allen von dem Chartreuse ein.« – Frau Olga hielt ihre mit Brillanten besäte unschöne Hand über ihr Glas – »auch Ihnen, Frau Herzog – und zwar bis an den Rand.«

»Sie lenken ab,« sagte Nelly, die vor Erregung leichenblaß war und ihre Neugier nicht meistern konnte.

»O nein!« erwiderte Frau Ina. »Ich beuge vor. – Also,« fuhr sie fort und überzeugte sich, daß alle Gläser gefüllt waren, »der einzige Ort, an dem wir das nackte Leben, das heißt, die Menschen so, wie sie sind, kennen lernen können, ist« – sie sah alle der Reihe nach an – ›das Bordell!

»Ina!« rief die Baronin entsetzt und war in diesem Augenblicke seltsamer Weise die Einzige, die sich verstellte.

»Nein!« schluchzte Nelly laut und griff wie zum Schutze nach der Hand ihrer Mutter.

»Sie scherzen natürlich,« sagte lächelnd v. Erdt, worauf hin Inas Mann, wie immer, wenn jemand einen Witz erzählte, auch wenn er ihn nicht verstand oder längst kannte, laut anfing, zu lachen.

 

Nelly sah sich furchtsam nach ihm um, Frau Ina fuhr ihn grob an und sagte:

»Laß das!«

Mathilde Brückner machte ein nachdenkliches Gesicht, kniff die Lippen zusammen, nickte mit dem Kopf und sagte, ohne daß sie jemanden ansah:

»Gewiß! – ich begreife. – Man muß die Menschen aufsuchen, wo sie sich gehen lassen und unbeherrscht sind – und ich kann mir denken, daß sie sich da ihrem Naturzustande am weitesten nähern. – Denn schließlich ist Moral, der zu Liebe sich der Mensch seit Jahrtausenden verstellt und der wir unsere sogenannte Kultur verdanken, ja letzten Endes nichts anderes als eine Vergewaltigung unserer Leidenschaften und somit ein menschlicher Eingriff in die Natur.« – Sie nickte wieder mit dem Kopf und wandte sich dann an Frau Ina. »Ich glaube, Sie haben recht – da ließe sich vieles herausholen – meinst du nicht auch, Wolfgang, daß es sich lohnte, da einmal Studien zu machen.«

Nelly fuhr auf.

»Papa braucht das nicht!« rief sie gekränkt. »Papa schafft von Innen.«

Wolfgang v. Erdt zog die Stirn in Falten und meinte:

»Darum kann man sich doch befruchten lassen.«

»Aber,« wandte der Professor ein, »ist die Art der Betätigung in derartigen . . . Instituten nicht ziemlich ungeistig und gleichartig?«

»O nein!« widersprach Frau Mira, die mit leuchtenden Augen dasaß und aufmerksam jedem Worte folgte: »Haben Sie denn nie etwas von dem Marquis de Sade und Retif de la Brétonne gehört?«

Der Professor lächelte und sagte:

»Gewiß! Aber wenn ich recht verstanden habe, so handelt es sich hier doch um seelische Konflikte und nicht um gymnastische Möglichkeiten.«

»Gerade die seelischen Konflikte,« erwiderte Mathilde Brückner, in der Frau Ina ganz unerwartet einen leidenschaftlichen Helfer fand, »wird man nirgends besser als gerade dort studieren.«

»Doch aber nur die weiblichen,« wandte der Professor ein.

»O nein!« widersprach Mathilde. »Wenn man die Psyche des Mannes nur einigermaßen versteht – nirgends wird er sich ungezwungener geben als hier. Und gerade weil er an solchem Ort am wenigsten Verständnis erwartet, wird er, in seiner Überraschung, es zu finden, wie ein Kind sein.«

Der Professor nickte und sagte:

»Das leuchtet mir ein. Aber was ich noch nicht verstehe: als was dachten die Damen denn in dem . . . Institut zu fungieren?«

»Das ist doch klar!« platzte Frau Mira heraus.

Eine peinliche Pause entstand. Nach einer Weile sagte Frau Ina:

»Ihre Frage ist durchaus berechtigt, Herr Professor. Denn, geben wir wahrheitsgemäß Studium als Grund an, so laufen wir in dieser heuchlerischen Welt Gefahr, falsch verstanden und kritisiert zu werden.«

»Die Befürchtung habe auch ich,« sagte Frau Olga. »Wie wäre es, wenn man ganz zeitgemäß mit diesem Studium eine soziale Absicht verbände?«

»Selbstredend!« fing Frau Ina den Gedanken auf und tat, als wenn sie ihn von Anfang an gehabt hätte. – »Wir wollen, was wir sehen und erfahren, praktisch verwerten. Dadurch, daß man von Zeit zu Zeit einen Händler oder Verführer zur Strecke bringt, kommt man dem Übel nicht bei. Man muß sich selbst überwinden und sich den Gefallenen persönlich zuwenden; man muß ihr Vertrauen gewinnen und aus ihrer Seelenverfassung und aus ihrer Lebensgeschichte das lernen, was man wissen muß, um die Bedrängten und Gefährdeten draußen vor dem gleichen Schicksal zu bewahren.«

»Ich glaube,« stimmte Frau Olga bei, »daß dies ein sehr ersprießlicher Zweck wäre, der uns auch vor übler Nachrede schützt.«

»Und wer weiß,« meinte Mathilde Brückner, »ob es uns auf die Weise nicht auch gelingt, die Eine oder die Andre wieder dem Leben zuzuführen.«

»Das Programm ließe sich dahin erweitern,« sagte der Professor, »daß man auch auf die männlichen Besucher einzuwirken sucht. Wenn man es geschickt anstellt, läßt sich auf die Art mancher Ehebruch verhindern.«

»Entsetzlich!« rief Frau Mira. »Ich hoffte, man bekäme mal etwas freiere Luft zu atmen. Aber unter Ihren Händen wird selbst das Bordell zu einer moralischen Anstalt.«

»Ausgezeichnet!« sagte Frau Ina. »Sie haben das befreiende Wort gesprochen: Das Bordell als moralische Anstalt. Halten wir an dieser Bezeichnung fest! Der Gedanke, den wir Frau Herzog verdanken, ist so kostbar, daß ich die Gründung auf der Stelle vornehmen möchte.«

»Unter welcher Rubrik?« fragte der Professor, und Frau Ina erwiderte:

»Natürlich unter der Rubrik: Wohlfahrtsverein.«

»Und wir,« sagte Wolfgang v. Erdt, »bilden den Ehrenausschuß.«

Das entsprach ganz den Intentionen Frau Inas.

»Fehlt nur noch die Anstalt selbst,« sagte Frau Olga.

»Natürlich dürfen wir keine neue gründen, sondern müssen eine bestehende übernehmen,« meinte Frau Ina, »da wir uns sonst mit unseren eigenen Waffen schlagen.«

»Aber das ist doch klar,« stimmte Mathilde Brückner zu.

»Ich glaube, einen solchen Ehrenausschuß wird sich gern jedes Institut dieser Art gefallen lassen,« sagte Wolfgang v. Erdt. »Es ist entschieden etwas Neues.«

»Und wird,« erwiderte die Baronin, »Sie werden sehen, sehr bald Nachahmung finden. Die Wohltätigkeit sucht längst ein neues Feld der Betätigung. Säuglings-, Armen-, Alters- und Genesungsheime haben abgewirtschaftet und ziehen nicht mehr. Die Leute, die ihr Geld für solche Dinge hinauswerfen, wollen auch einmal Abwechslung haben.«

»Wirken wir außerdem also bahnbrechend,« sagte Frau Olga, die sich aus Gründen, die selbst Frau Ina nicht verriet, immer mehr für das Projekt erwärmte.

»Und die Auswahl,« versicherte Frau Ina, »können wir getrost meinem Manne überlassen.«

»Mir?« fragte der und sah ganz entgeistert seine Frau an.

»Ja, dir!« wiederholte die nur um so bestimmter.

»Ich bin, so lange ich lebe, nicht ein einziges Mal . . .«

»Laß nur!« fiel sie ihm ins Wort und wandte sich wieder an die Anderen. »Wir können uns auf ihn verlassen. Und ich hoffe, Ihnen sehr bald mitteilen zu können, daß die Voraussetzungen erfüllt sind.

Ihr Mann, der völlig ahnungslos war, wagte nicht mehr, zu widersprechen. Alle sahen ihn an und dachten: das hätten wir ihm garnicht zugetraut. Aber der Blick der Baronin, an die sie sich fragend wandten, sagte: ach! wenn Sie wüßten! er ist noch viel schlimmer.

Jetzt nahm die Baronin wahr, daß Nellys Augen voller Tränen standen.

»Oh!« sagte sie teilnahmsvoll. »Haben unsere Reden Sie gekränkt? – Nun ja, mein Kind, Sie sind noch zu jung, um den Kern der Sache, der durchaus moralisch ist, zu erfassen. Sie stößt das Äußere ab. Verschönen sie es, in dem Sie es auf ein höheres Niveau heben. Tragen Sie die Kunst hinein, die alles veredelt. Sorgen Sie dafür, daß diese moralische Anstalt zugleich ein Muster des guten Geschmacks wird. Betätigen Sie sich auf diese Weise. Sie werden der Sache damit einen großen Dienst erweisen. Erlaubt ist, was gefällt. Beweisen Sie, daß der Aufenthalt in einem Bordell unter Umständen stärkere ästhetische Wirkung ausübt als der Aufenthalt in einer Kirche mit schlechtem Meßgerät.«

Nelly biß die Lippen aufeinander und erwiderte kein Wort. Frau Olga war aufgestanden und legte den Arm um sie:

»Sie sind vom Leben noch unberührt.«

Das wäre verständlich gewesen, wenn sie statt: vom Leben: gesagt hätte: vom Manne: Denn das meinte sie.

Auch die Anderen erhoben sich. Frau Olga rief dem Papagei, der in tiefen Gedanken auf einer Truhe saß, einen inartikulierten Laut zu, auf den hin er sich auf den von Max Herzog bereit gehaltenen silbernen Stab setzte und schrill rief:

»Schlagt den Juden tot!«

Wolfgang v. Erdt hatte, was nur Nelly sah, tiefe Falten in der Stirn und steckte sich, ehe er ging, noch eine Zigarre an. Mathilde Brückner seufzte, als sie der Baronin die Hand reichte und sagte:

»Die Ärmsten! selbst wenn wir ihnen helfen können, was besagt es schon. Es wird im besten Falle doch nur ein Tropfen auf einen hohlen Stein sein.«

»Jeder muß tun, was in seiner Macht steht,« erwiderte die Baronin, und Frau Ina setzte eine feierliche Miene auf und sagte:

»Vor allem sollen wir Gutes tun um des Guten willen. Dann trägt es auch Früchte.«

»Wie gut Sie sind!« sagte Mathilde gerührt und drückte ihr innig die Hand. –

Der Rittmeister begleitete die Gäste hinaus.

Als sie draußen waren, sahen die Baronin und Frau Ina sich an und lachten.

»Hätte ich, um mich zu halten, ein stubenreines Pensionat für alte Jungfern oder junge Mädchen errichtet,« sagte Frau Ina, »so wäre ich deklassiert und gesellschaftlich erledigt; nun, wo ich ein Bordell eröffne, wird man mich bewundern und sich um mich reißen.«

»Wenn es allen so eingeht, wie ihnen,« erwiderte die Baronin und wies auf den Flur, in dem noch immer die Gäste standen und sich unterhielten.

»Das laß meine Sorge sein. Worauf es jetzt ankommt, ist, daß es mir gelingt, diesem Katz das Geschäft zu entreißen.

Die Baronin erschrak.

»Du willst doch nicht etwa . . .?«

»Doch, Mama! – Dieser Katz kompromittiert das ganze Unternehmen. – Und dann: was hat es für einen Sinn, zu teilen, nun, wo wir nichts mehr zu verbergen haben.«

Der Rittmeister kam in den Salon zurück. Er schien erregt, wenigstens, soweit er dazu imstande war.

»Willst du mir nun erklären, Ina, was alles das bedeutet?« fragte er weniger zaghaft als sonst.

Frau Ina schüttelte den Kopf und sagte:

»Nein! – Wozu? Du würdest es doch nicht verstehen.«

»Aber du sagtest doch, daß ich die Auswahl treffen soll.«

»Das fehlte noch!« mischte sich die Baronin in das Gespräch.

Frau Ina gab ihm einen Klaps auf die Backe und sagte: »Nein! du wirst an die Kette gelegt; verstehst du? als Wachhund. Und dann auch aus Vorsicht – damit du nicht etwa auf dumme Gedanken kommst.

Das heißt: einmal, da mache ich dich vielleicht los und gebe dir freie Fahrt. Aber sei vorsichtig, mein Junge! daß ich dich nicht ertappe. Auf Ehebruch steht Scheidung.«

Strahlend sah der Rittmeister zu ihr auf:

»Ich schwöre . .« begann er und erhob die Hand.

»Ich weiß! ich weiß!« wehrte sie ab. »Und vorläufig kann auch noch keine Rede davon sein.«

Er griff nach ihrer Hand; sie zog sie zurück.

»Darf ich heute zu dir kommen?« fragte er zaghaft.

»Wie abgeschmackt,« sagte die Baronin, die am Fenster stand und den Gästen nachsah. »In meiner Gegenwart!«

»Ich bin leider nie allein mit Ina,« gab er zur Antwort.

»Soll das ein Vorwurf sein?« fragte die Baronin, und Ina schalt ihn:

»Du beleidigst Mama!«

Er trat auf die Baronin zu, küßte ihr die Hand und bat um Entschuldigung. Dann sagte er gute Nacht. An der Tür blieb er stehen.

»Worauf wartest du?« fragte Frau Ina.

»Ina!« bettelte er.

»Quäl' mich nicht!« gab sie zur Antwort.

»Gestern waren es drei ein halb Jahre, daß wir zum letzten Male . . .«

Ina trampfte mit dem Fuß auf.

»Schweig!« befahl sie ihm.

»Tyrann!« schalt die Baronin.

Er wandte den Kopf, sagte:

»Verzeih!« und ging.

* * *

Am Gartentor der Villa trennten sich die Gäste.

Frau Mathilde Brückner hing am Arm ihres Mannes.

»Diese Frau Ina hat Gemüt und Geist,« sagte sie. »Das findet man selten bei einander.«

»Schweig' Mama!« forderte Nelly mit Tränen in der Stimme. »Es ist Nordwind.« – Und sie klappte den Kragen ihrer Mutter hoch.

»Gutes Kind!« dachte Mathilde, aber Nelly's Gedanken waren bei Wolfgang v. Erdt. Wie sollte der in Ruhe und ohne Rücksicht auf äußeren Erfolg schaffen, wenn die Stimme der Mutter Schaden nahm.

Wolfgang v. Erdt fand Nellys Tränen, so lange man bei Mertens war, angesichts der zum mindesten nicht alltäglichen Unterhaltung klug, angebracht und schicklich. Aber weshalb sie auch jetzt noch schluchzte, wo sie unter sich waren, begriff er nicht. Ihm brauchte sie doch nichts vorzumachen. Und daß sie sich für die Mutter bemühte, war höchst unwahrscheinlich.

»Was hast du denn?« fuhr er sie an, da sie sich gar nicht beruhigte.

»Furcht, daß du dich verplemperst!« stieß sie wie befreit hervor.

»Laß nur!« beruhigte er sie und legte den freien Arm um ihre Taille. »Ich weiß schon, was ich tu.«

»Was denn?« fragte sie zaghaft.

»Ich mache uns unabhängig.«

»Wen?« fragte sie und sah zu ihm auf.

Er gab keine Antwort, drückte sie an sich; sie verstand ihn.

»Liebster!« las er von ihren Lippen.

»Bemüh dich nicht, Wolf«, wollte Mathilde sagen. »Für uns sorge ich.«

Aber des Nordwinds wegen schwieg sie.

* * *

»Halt die Stange gerade!« befahl Frau Olga ihrem Manne nicht eben freundlich, als sie die Allee, die der Mertens'schen Villa gegenüberlag, entlang gingen. Und der Papagei kreischte wie immer, wenn Olga ihren Mann schalt:

 

»Schlagt den Juden tot!«

Max Herzog führte den Befehl aus.

Sie gingen schweigend nebeneinander her, aber in Beiden lebte noch die Erregung über die Vorgänge in der Mertens'schen Villa. Nach einer Weile sagte Frau Olga:

»Ich hatte schon lange das Gefühl: bei den Leuten stimmt was nicht. Wenn sie mit dem Grafen durchgegangen oder sonst auf rätselhafte Weise verschwunden wäre – nichts hätte mich überrascht. Aber diese Bordellgeschichte geht mir nicht ein.«

»Glaubst du wirklich,« fragte Max Herzog, »daß dieser Mertens Verbindungen zu anrüchigen Häusern hat?«

»Esel!« schalt ihn Frau Olga, und der Papagei kreischte in den Park hinein:

»Schlagt den Juden tot!«

»Ich habe geglaubt, er ist seiner Frau treu?«

»Ist er auch!« bestätigte Frau Olga. »Du kannst dich darauf verlassen, daß er so wenig Ahnung von einem Bordell hat wie du.«

»Ja, wenn er doch aber eins ausfindig machen soll.«

Nur mit Rücksicht auf den Papagei, der mit schiefem Kopf dem Gespräch folgte, unterdrückte Frau Olga diesmal das Wort »Esel«, das ihr auf den Lippen lag. Statt dessen hängte sie sich in den Arm ihres Mannes und sagte:

»Schäfchen,« was für den Papagei keinen Anlaß gab, sich zu echauffieren. »Das Bordell, das sie uns aufgeredet hat, ist längst da. Niemand braucht es zu suchen.«

»Ja, was will sie damit?«

»Das wüßte ich auch gern.«

»Und du hast allen Ernstes die Absicht, da mitzutun?«

»Stört es dich?« fragte sie gereizt.

»Du wirst schon wissen, was du tust.«

»Verlaß dich drauf, das weiß ich. Und wenn es keinen anderen Zweck hat, als deine Brüder zu kompromittieren, dann hat es sich auch gelohnt. Jeder, der unseren Namen hört, fragt: Sind Sie verwandt mit dem Bankhaus Herzog? – Was meinst du, wenn das Bordell Herzog internationale Berühmtheit erlangt und man denkt beim Nennen unseres Namens nicht mehr an das Bankhaus, sondern an das Bordell Herzog, wie das mit einem Schlage das gesellschaftliche Niveau deiner Brüder drückt.«

»Sie werden es leugnen.«

»Aber wir werden für Verbreitung sorgen.«

»Sie werden uns die Rente entziehen.«

»Wir werden uns das Zehnfache damit verdienen. Und wenn ich es geschickt anstelle, dann werde ich mir mit Hilfe dieses Bordells meine gesellschaftliche Position zurückerobern.«

»Aber ein Bordell ist doch etwas Anrüchiges.«

Auf eine Bewegung Frau Olgas hin kreischte der Papagei:

»Quatsch nicht.«

»Das Tier ist klüger als du,« sagte sie und hing, während er nur daran dachte, daß er den Stab gerade hielt, ihren Gedanken nach.

* * *

»Nett benommen hast du dich wieder,« sagte Doktor Rießer auf dem Heimwege zu seiner Frau.

»Deine Schuld,« erwiderte die.

»Die Geilheit sprang dir nur so aus den Augen.«

»Deine Schuld.«

»Glaubst du, die Frauen haben es nicht bemerkt?«

Mir höchst gleichgültig.«

»Was hälst du von dem Gedanken?«

»Welchem?«

»Na, der heute Nachmittag so ausgiebig ventiliert wurde – verrückt was?«

»Was ist nicht verrückt?«

»Da hast du recht.«

»Glaubst du, daß daraus etwas wird?«

»Ich hoffe es.«

»Warum?«

»Aus dem gleichen Grunde wie du.«

»Du meinst . . .?«

»Natürlich!«

»Das wäre ja unter Umständen dann eine Lösung.«

»Erlösung!« verbesserte Mira.

»Wir würden dann gewiß besser miteinander leben.«

»Wenn du dort findest, was du brauchst.«

»Dafür könnte man sorgen.«

»Das nehme ich an.«

»Und du?«

»Ich ebenfalls.«

»Ohne dich und mich zu kompromittieren.«

»Ich hoffe.«

»Wir würden dann endlich einmal zur Ruhe kommen.«

»Zeit ist es.«

»Daß wir nie von selbst auf den Gedanken kamen.«

»Sonderbar!«

»Heute zum Beispiel – an einem Abend wie diesem. . .« Er faßte sie unter den Arm. »Wo wir uns in allem Anderen doch so gut verstehen; und du eine so kluge Frau bist.«

»Wenn wir erst älter sind, fällt alles das ja von selbst fort.«

»Dann wird nichts Trennendes mehr zwischen uns stehn.«

»Ich freu' mich drauf.«

»Komm', trinken wir eine Flasche Pommery!«

Sie gingen in das nächste Restaurant, tranken erst eine, dann eine zweite Flasche; und als er ihr zwei Stunden später in den Mantel half, sagte sie:

»Einen so netten Abend haben wir schon lange nicht mehr miteinander verlebt.«

»Das wird nun bald immer so sein,« erwiderte er.

* * *

Der Professor stülpte sich den Hut schief auf den Kopf, schob den Stock mit der Elfenbeinkrücke unter den Arm und ging in vergnügtester Stimmung auf einem Umweg seinem Hause zu.

Er liebte diese Art von Besuchen, nach denen er seine Freiheit um so wohltuender empfand. Und vor sich hin summte er:

 
Seu maestus omni tempore vixeris
Seu te in remoto gramine per dies
Festos reclinatum bearis
Interiore nota Falerni.