Za darmo

Frau Dirne

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Achtes Kapitel

Die Baronin und Frau Ina empfingen, wie an jedem Mittwoch nachmittag, zum Tee. Seitdem das Bordell, eine moralische Anstalt zur Bekämpfung der Unsittlichkeit und des Mädchenhandels, bestand, hatte sich der Bekanntenkreis Frau Inas und ihrer Mutter verbessert und erweitert. Kreise, die ihnen bisher unerreichbar gewesen waren, erschlossen sich ihnen. Und es schadete auch nichts, daß Frau Ina, worüber sie mit jedem sprach, gegen ihren Mann, den Rittmeister, die Scheidungsklage angestrengt hatte. Er hatte das Haus der Frau und der Schwiegermutter verlassen und wohnte, wie als Junggeselle, wieder in der Kaserne.

Er hatte die Ehe in der ›Neuf d'or‹ mit einer Dirne gebrochen und war dabei ertappt worden. Also war er der schuldige Teil, hatte die Unterhaltungspflicht der Ehefrau auch nach der Scheidung und bekam auch die Riesenlast von Schulden, von denen er bis dahin keine Ahnung hatte, aufgebürdet. Es war nur natürlich, daß der Mann, und gar ein Offizier, die Kosten des gemeinsamen Haushalts bestritt. Daß sie sein Gehalt um mehr als ein Zehnfaches überstiegen, war seine Sache.

Manche munkelten, daß dieser Scheidungsgrund Frau Ina gar nicht so unwillkommen sei und prophezeiten eine Ehe mit dem Grafen Scheeler. Zu ihren Ungunsten aber legte es keiner aus.

Nur eine vornehme alte Gräfin, die gesellschaftlich eine erste Rolle spielte und lange gezögert hatte, bis sie den Verkehr mit Frau Ina aufnahm, stieß sich daran, daß Frau Ina vor Freunden von diesen Dingen sprach. Der gesellschaftliche Takt ließ sie das freilich nur in umschriebener Form zum Ausdruck bringen.

»Ich mochte Ihren Mann, den ich dem Aussehen nach schon von den Concours Hippiques her kannte, immer sehr gern.«

»Ich auch,« erwiderte Frau Ina, die abwartete, worauf die Gräfin hinauswollte.

»Er erinnerte mich in seiner chevaleresken Art vor allem Frauen gegenüber immer an die gute alte Zeit, an die heute sonst leider nur wenig noch erinnert.«

»Er war der artigste Ehemann, den man sich denken kann,« sagte Frau Ina.

»Und dabei machte er einen gütigen Eindruck.«

»Er machte nicht nur den Eindruck, er war es auch. – Ich werde ihn sehr vermissen, und Mama auch.«

»So einen Schwiegersohn gibt es zum zweiten Male nicht,« bestätigte die Baronin, zog ihr Spitzentuch hervor und trocknete eine Träne, oder tat doch so.

Und die Gäste dachten: Welch eine vornehme Gesinnung spricht doch aus diesen Frauen. Eine andere würde ihren Mann schlecht machen und sich ins Recht zu setzen suchen. Nur die Gräfin machte Einwendungen und sagte:

»Ob Sie nicht doch zu streng mit ihm ins Gericht gehen, beste Frau?«

Frau Ina seufzte tief auf und erwiderte:

»Ginge ich meinem Gefühl nach, ich wüßte, was ich täte.«

»Darf man indiskret sein?«

»Ich fiele ihm um den Hals und ginge auf ein paar Monate mit ihm auf Reisen.«

»Aber Ina!«

»Das täte ich!«

»Und Sie täten recht,« sagte die Gräfin.

»Aber sind wir denn frei?« fragte Frau Ina. »Darf von uns auch nur ein Einziger tun, was er will und nach seinen Gefühlen handeln? Ich will gar nicht von gesellschaftlichen Rücksichten sprechen, obschon die uns überall trennend und beengend in den Weg treten. Hier stehen höhere Interessen auf dem Spiel. Das Prestige des Unternehmens, dem ich mein Gefühl, meinen Verstand, meine Kraft, kurz mein Leben verschrieben habe.«

Viele nickten. Nicht alle verstanden gleich.

»Wenn ich als leitende und verantwortliche Stelle in moralischer Hinsicht mir auch nur die geringste Blöße gebe, so muß das von schädigendem Einfluß auf unser Institut sein. Das mußte auch mein Mann sich sagen. Ich bin kein Blaustrumpf und nichts Menschliches ist mir fremd, obschon ich von der Ehe eine zu hohe Auffassung habe, um die Untreue zu verteidigen, mögen die Umstände, was hier nicht einmal der Fall ist, eine noch so milde Beurteilung zulassen. Hier aber sind die Begleitumstände fast noch wesentlicher und schwerwiegender als der Fall selbst. Mein Mann wußte, daß ich Zeit, Geld, Leben dieser Aufgabe opfere, und es geschah mit seinem Einverständnis. Alles das hat ihn nicht gehindert, gerade den Ort zum Schauplatz seiner Tat zu machen, der uns allen heilig ist.«

»Doch nicht etwa . . .?«

Frau Ina, die wünschte, daß die Gräfin den Satz vollendete, schwieg.

»Die ›Neuf d'or‹?« fragte die Gräfin.

»Ja.«

Die Gäste, obwohl sie es sämtlich wußten, gerieten in große Bewegung und gaben ihrem Erstaunen und Befremden beredten Ausdruck.

»Sehen Sie,« fuhr Frau Ina fort, »das ist es, was mich kränkt.«

»Wir verstehen.«

»Und was es mir vor allem unmöglich macht, mag mein Herz sich noch so stark dagegen wehren, Geschehenes ungeschehen zu machen.«

»Es ist sozusagen ein Schulbeispiel, an dem die Mädchen lernen können,« sagte Frau Olga.

»Und wenn vielleicht auch nicht das,« erwiderte Frau Ina, »so hieße es, alles, was bisher in mühevoller Arbeit erreicht wurde, in Frage stellen, wenn die Mädchen – so etwas bleibt natürlich nicht verborgen – erfahren, daß wir es mit der Ehe, die wir ihnen mit Recht als das Erhabenste und Höchste hinstellen, nicht genau nehmen.«

»Das leuchtet mir ein,« sagte jetzt auch die alte Gräfin. »Aber ich kann mir nicht helfen, leid tut es mir doch.«

Frau Ina sagte:

»Mir tut's weh.«

»Sie sind ein Opfer Ihres Berufes,« sagte Wolfgang von Erdt. »Aber höher als Persönliches muß uns die Sache stehen.«

»Ich habe mich in der Qual meines Herzens an den Vorstand gewandt, in dem ja durchweg Menschen sitzen, die mir und auch meinem Manne wohl wollen. Leider konnte auch er mir nicht helfen. Die Sache verlangte es und so blieb mir keine Wahl.«

»Fand wirklich niemand einen Ausweg?« fragte die Gräfin.

»Nur Frau Mathilde Brückner sprach sich gegen die Scheidung aus.«

»Sie ist Künstlerin und denkt daher anders,« sagte die Baronin.

»Oh nein,« erwiderte Mathilde, »ich habe mich dafür verbürgt, es den Mädchen, ohne der Wahrheit Gewalt anzutun, so darzustellen, daß sie keinen Nachteil, sondern noch Vorteil daraus gezogen hätten.«

»Sie haben einen zu guten Glauben von den Mädchen,« sagte Frau Olga.

»Hätte ich den nicht, glauben Sie, ich würde ihnen meine Zeit widmen?«

»Sie können zu viel Güte nicht vertragen,« meinte von Erdt. »Ich habe gefunden, man kommt ihnen mit Strenge besser bei.«

»Wie bei allem, liegt die Wahrheit auch hier in der Mitte,« vermittelte Frau Ina. »Jedes zu seiner Zeit.«

Und alle fanden, daß sie recht hatte.

Nur Nelly glaubte, dem nicht zustimmen zu dürfen.

»Jedenfalls würde ich mein Amt trotz der inneren Befriedigung, die es mir gewährt, und der bisher erzielten Erfolge, auf die ich stolz bin, niederlegen, wenn jemand, der sich eine derartige Verfehlung zu Schulden kommen ließe, auch nur vierundzwanzig Stunden lang im Vorstand bliebe.«

Frau Mira war während dieser Worte an den blaugelben Papagei, der auf Frau Olgas Schulter saß, herangetreten und hatte die der Herzogin abgesehene Bewegung mit der Schulter gemacht, woraufhin der Papagei den Kopf zur Seite legte und Nelly ins Gesicht kreischte:

»Quatsch nicht!«

Das wirkte fatal. Die Gräfin klopfte dem Papagei auf den Rücken und sagte:

»Ein liebes Viecherl bist du, aber schlecht erzogen hat man dich.«

Und nun geriet das Tier außer Rand und Band. Und so oft jemand der Moral das Wort redete, den sittlichen Tiefstand der Mädchen in der ›Neuf d'or‹ beklagte, kreischte er, trotz aller Beschwichtigungsversuche Frau Olgas, seine beiden Worte, bis Max Herzog den Störenfried auf die Stange – die inzwischen vergoldet war – setzte und hinaustrug.

»Jetzt sind wir das enfant terrible los,« polterte Frau Mira, als er draußen war. Und die Gräfin meinte:

»Sorgen Sie nur, daß er nicht noch mehr hinzu lernt.«

»Und ich wollte gerade anregen,« erwiderte der Professor, »daß man ihn statt meiner in den Vorstand wählt. Er hat ein scharfes Urteil und leistet entschieden mehr als ich.«

Alle lachten; dachten aber, wie taktlos!

Und als man sich eine Stunde später trennte, flüsterte Frau Ina der Herzogin ins Ohr:

»Lassen Sie das Tier künftighin zu Haus; es kompromittiert uns.«

Neuntes Kapitel

Der Graf schlüpfte in Ännes Zimmer. Die Spalte der Tür war so schmal, daß er sich kaum hindurchzwängen konnte. Dabei suchte er ängstlich noch einmal den Gang ab, um sicher zu sein, daß niemand ihn sah. Aber kaum war er im Zimmer, da hatte er auch schon seine Sicherheit wieder. Er ging auf Änne, die gerade ein Buch las, zu und sagte:

»Na, Puppe, wie geht's?«

Änne klappte das Buch zu, stand auf und erwiderte:

»Danke, und Ihnen?«

»So förmlich heute?«

Änne betrachtete ihn genau.

»Heute?« wiederholte sie. »Ich wüßte nicht, daß wir schon einmal zusammen gewesen wären.«

»Du oder eine Andere; das kommt in dem Fall doch auf eins heraus.«

»In der Sache schon.«

»Und in der Person auch. Ihr gleicht Euch doch wie ein Ei dem anderen.«

»Haben Sie sich schon einmal die Mühe gegeben, uns kennen zu lernen?«

»Ne! Ich habe mich im Verkehr mit euch bisher auf andre und angenehmere Art beschäftigt.«

»Dies Angenehme ist doch wohl bei allen Frauen, ob draußen oder hier, das Gleiche.«

»Wie denn? Was denn?« fragte er. – »Ob du oder eine andre« – und er dachte dabei an Frau Ina – »das sollte gleich sein? Das glaubst du doch wohl selbst nicht?«

»Ja, worin besteht denn da der Unterschied?«

Der Graf suchte eine Antwort.

»Worin? – Na erstens mal spricht da das Gefühl mit – wenigstens meistens. Manchmal tut man's ja auch aus Eitelkeit, weil es einem schmeichelt, mit einer Frau, die gesellschaftlich oder sonst wie eine Rolle spielt – selbst wenn sie einen nicht sonderlich reizt . . .«

 

»Um zu renommieren also?« fragte Änne.

»Jewiß, ich geb' das zu. – Oft natürlich auch, weil man nicht anders kann – sozusagen aus Artigkeit.«

»Das versteh' ich nicht.«

»Na, nimm mal an, man verkehrt wo; ist ständig Gast im Hause und eines Tages – ich kann mit dir ja offen reden – also eines Tages, da wirft sich einem die Frau des Hauses an den Hals – das kommt vor, – oft sogar. Liegt sie einem, so ist es gut; man macht mit. Oft aber liegt sie einem gar nicht. Was soll man da tun? Man kann nicht ungezogen sein. Sämtliche getrüffelte Poularden, die sie einem im Laufe der Zeit vorgesetzt hat, eine endlose Reihe 1911er Mouton Rothschild, der man in ihrem Hause den Hals gebrochen hat, defilieren in solchem Moment sozusagen vor einem vorüber. Man fühlt sich verpflichtet. Na, es kam ja auch früher mal vor, daß ein Gang, der auf den Tisch kam, einem weniger zusagte. Der Wirtin zuliebe ließ man ihn trotzdem nicht vorübergehen. So auch hier. Man würgt den Jang herunter, sterben tut man für jewöhnlich ja nicht daran.«

Änne hörte aufmerksam zu.

»Das leuchtet mir ein,« sagte sie.

»Na siehste. Du sollst überhaupt gescheit sein.«

»Wer sagt Ihnen das?«

»Die Sängerin – na, wie heißt sie gleich?« Er kam nicht auf den Namen, und Änne, die wußte, wen er meinte, hatte keine Lust, ihm zu helfen.

»Herr des Himmels!« quälte er sich, »ganz bekannt; als was hab' ich sie bloß mal gesehen? Als Isolde, glaub' ich. Jibt's das?«

»Sie meinen doch nicht die berühmte Mathilde Brückner?«

»Ja! ja!, die mein ich. Die hat mir Wunderdinge von Ihnen erzählt.«

»Sehr unrecht von ihr. Sie sollten das nicht glauben.«

»Tu ich auch nicht. Du hättest einen Bombencharakter, sagt sie. Ich bitt' dich, so etwas bindet man mir doch nicht auf. Entweder eine Frau hat einen Bombencharakter, dann ist sie überall, nur nicht hier. Oder, was ja denkbar wäre, sie taumelt jung und unerfahren in diesen – na, ich will dich nicht kränken, sonst würde ich sagen: in diesen Saustall hinein und kommt zur Besinnung: Na, dann bleibt sie eben nicht, sondern rettet sich ins Leben zurück.«

»Vorausgesetzt, daß das Leben draußen nicht auch ein Saustall ist – nur mit dem Unterschied, daß an der Pforte, die hineinführt, ›Salon‹ steht.«

»Das ist hübsch gesagt,« erwiderte der Graf.

»Drin aber begibt sich genau dasselbe. Nur daß hier die Heuchelei fortfällt und jeder sich gibt, wie er ist.«

»Na ja. Draußen, da bewahrt man eben Haltung. Das ist aber schon allerhand und oft genug eine verdammt schwere Sache.«

»Den meisten Menschen fällt das Lügen und die Verstellung leicht. Wem es schwer fällt, der fühlt sich wohler hier. Ist er darum minderwertig?«

»Eine anständige Frau sieht eben auf gute Behandlung.«

»Wer die Menschen verachtet, dem ist es auch gleichgültig, wie sie einen behandeln.«

Der Graf dachte nach und sagte:

»Ach so!«

»Und eine Frau, die sich Ihnen an den Hals wirft und die Sie, wie Sie sagten, nur aus Gefälligkeit nehmen, ist verächtlicher, als jede von uns hier, die Sie immerhin doch nur nehmen, weil sie Ihnen gefällt.«

»Das stimmt.«

»Wenn Sie das für die Frau zugeben, müssen Sie das auch für den Mann gelten lassen.«

»Inwiefern?«

»Insofern, als auch der Mann verächtlich ist, der eine Frau durch Geld zwingt, ihm gefällig zu sein; ja, verächtlicher noch als jene Dame, die sich den Mann durch alten Bordeaux und getrüffelte Poularden verpflichtet.«

Der Graf machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte halb noch in Gedanken und mehr zu sich:

»Demnach wären ja die Männer, die diese Häuser aufsuchen, verächtlicher als die Frauen, die darin sind.« – Dann riß er sich gewaltsam aus seinen Gedanken los, wandte sich zu Änne und sagte: »Wie?«

Änne, die ihn genau beobachtet hatte, nahm kein Blatt vor den Mund:

»Ich habe jedenfalls das Gefühl,« erwiderte sie, »daß an den Männern, die zu uns kommen, nicht viel dran sein kann.«

»Was fällt dir ein?« rief der Graf gekränkt, bei dem der Verstand wieder aussetzte, Männerstolz und Standesbewußtsein wieder in Tätigkeit traten.

»Die ganz Jungen und die ganz Alten ausgenommen,« schränkte Änne, nicht eben zugunsten des Grafen, ihr Urteil ein, »denn die haben draußen keine Chance.«

»Frech bist du,« reagierte der Stolz des Grafen.

Doch der Verstand sagte: »Aber Du hast nicht ganz unrecht. Und ich verstehe mich selbst nicht.«

»Das geht den Meisten so.«

Der Graf, der darin einen neuen Affront sah, erwiderte:

»Jedenfalls ist Deine Art nicht die richtige, der ›Neuf d'or‹ Freunde zu werben.«

»Das ist auch nicht mein Wunsch.«

»Wenn das Hans verdient, verdienst Du doch auch.«

»Ich mache mir nichts aus Geld.«

»Also aus den Männern.«

Änne schüttelte den Kopf und sagte:

»Nein – in der Allgemeinheit schon gar nicht.«

»Warum bist du dann hier?«

»Auf Wunsch meines Vaters.«

»Was?«

»Wenn es Sie interessiert, so gebe ich Ihnen ein paar empfehlende Zeilen an meinen Papa, und er sagt es Ihnen.«

Der Graf war verwirrt. Nie hatte ein Mädchen dieser Art so mit ihm gesprochen. Überhaupt – fragte er sich – wann je hätte er sich in Gespräche, die nicht zur Sache gehörten, eingelassen? Ärgerlich über das persönliche Interesse, das er an ihr nahm, sagte er:

»Wer erst einmal so weit ist, daß er es hier aushält, sollte sich überhaupt das Denken abgewöhnen.«

»Ich gebe mir alle Mühe, meist gelingt es mir.«

Je mehr der Graf fühlte, daß er Interesse nahm, umso ungehaltener wurde er.

»Jedenfalls ist der Aufenthalt hier nicht für Gespräche über Moral geeignet. Das ist ja grotesk! – Und wenn Sie mit Vielem auch recht haben, das Nachdenken führt zu nichts. Und an den feststehenden Begriffen ändert's auch nichts. Schließlich kommt man doch nicht hierher, um sich verwirren zu lassen. Jeder hat an dem Ort, an dem er steht, seine Pflicht zu tun.«

Das klang fast wie ein Befehl, und Änne sagte:

»Verzeihung, ich dachte, Sie wären einer der üblichen Besucher. Hätte ich gewußt, daß Sie als Lehrer und Erzieher bei uns angestellt sind . . .«

Der Graf fuhr auf.

»Wie – was – angestellt! ich! – bei Ihnen? als Lehrer und Erzieher? –«

Änne, erfreut über die Wirkung, fuhr fort:

»Nicht speziell bei mir. Überhaupt in der ›Neuf d'or‹.«

Der Graf war ganz ratlos und sagte:

»Ja, also dieser Gedanke ist so absurd, daß ich mich – obschon das nicht meine Art ist – geradezu gezwungen sehe, mich zu dekuvrieren und Ihnen zu sagen, wer ich bin.«

»Entbunden!« erwidere Änne. »Ersparen Sie sich diese Erniedrigung!«

»Erlauben Sie mal! Das sagen Sie doch gegen Ihre Überzeugung!«

»Durchaus nicht!« erwiderte Änne nicht ohne Spott. »Ich halte mich nur an feststehende Begriffe. Einer Dirne nennt man seinen Namen nicht.«

»Wenn man sich aber schon einmal, wie wir, in derartige Gespräche eingelassen hat . . .«

»Man muß konsequent sein.«

»Da haben Sie recht« erwiderte der Graf und machte ein hilfloses Gesicht.

»Ich bitte Sie,« drängte ihn Änne, nachdem sie einmal erwirkt hatte, daß er das freche Du aufgab und sie respektierte, »besucht man eine Dirne, so zieht man seine Persönlichkeit draußen aus und stellt sie vor die Tür wie ein Paar Stiefel.«

Der Graf, der den Spott nicht fühlte, erwiderte:

»Das mag ja alles sein. Jedenfalls verträgt es sich nicht mit meiner Ehre, daß Sie glauben, ich wäre an einem Institut wie diesem . . .«

»Ich bitte Sie, was eine Dirne glaubt . . .«

»An sich, gewiß, aber in diesem Fall . . .«

»Ich meine, das kann Ihnen, und wenn Sie der minderwertigste Schieber wären, doch gleichgültig sein.«

»Wie – wa – ?! Der minderwertigste . . .« Er brachte das Wort nicht über die Lippen. »Erlauben Sie mal! Das wird ja immer ärger!«

»Es kann nie so arg werden, um die Distanz zwischen Ihnen und mir zu verwischen. Mögen Sie sein, wer Sie wollen.«

»Ich bin aber nicht der erste beste!«

»Ich begreife gar nicht, wie Sie an einem Ort, wie diesem, Wert darauf legen können . . .«

Der Graf, den die Person den Ort vergessen ließ, fiel ihr ins Wort und sagte:

»Und wenn ich Stiefelputzer in Kairo wäre, so bliebe ich darum doch immer Bolto Graf und Reichsgraf von Scheeler!«

»Ich kann mir auch dabei nichts Besonderes denken.«

»Wobei?«

»Daß Sie als Graf und Reichsgraf von Scheeler Stiefelputzer in Kairo wären. Das ist doch ein durchaus ehrliches Gewerbe!«

»Erlauben Sie mal! Graf und Stiefelputzer, dahinter steckt doch immer eine verunglückte Existenz.«

»Pech kann jeder haben.«

»Es ist nicht immer Pech.«

»Auch jugendlicher Leichtsinn ist entschuldbar.«

»Aber verteufelt kostspielig. Manch einer bleibt an den Folgen zeitlebens im Dreck stecken.«

»Man muß den festen Willen haben, herauszufinden. Sonst gerät man immer tiefer hinein.«

Der Graf sah sie groß an.

»Woher wissen Sie das?«

»Ich denk' mir das so«, erwiderte Änne.

»Eine reiche Ehe wäre natürlich das einfachste.«

»Gewiß; aber mehr Befriedigung hat man wohl, wenn man es aus sich selbst heraus zu etwas bringt.«

Der Graf war nachdenklich, nickte mit dem Kopf und sagte:

»Wenn man das könnte.«

Änne ließ ihn zunächst nicht merken, daß er sich vergaß und persönlich wurde.

»Wenn man nicht selbst stark genug ist, so bedarf man einer Stütze«, sagte sie.

»Eben die ist es, der ich mich immer tiefer verpflichte, die immer bedingungsloser Besitz von mir ergreift.«

»Im Guten doch?«

»Nein, aus Egoismus! aus gesellschaftlicher Eitelkeit und mit schlechten Mitteln!«

Änne stand auf und trat vor ihn hin:

»So wehren Sie sich!« sagte sie bestimmt.

»Sie ist mir überlegen.«

»Es bedarf nur eines Entschlusses!« redete sie ihm zu. »Fassen Sie ihn! Es geht! Sie werden es sehen.«

»Es ist zu spät dazu.«

»Hat sie Ihr Wort?«

»Sie hat mehr. Sie hat mich mit Haut und Haaren, kann mit mir machen, was sie will.«

»Sie lieben sie?«

»Ich kann nicht lieben.«

»Ist sie Ihnen wenigstens sympathisch?«

»Ja und nein! Heute habe ich das Gefühl, ich müsse ihr dankbar sein, denn ohne sie wäre ich längst nicht mehr. Und morgen hasse ich sie und sehe in dem völligen Zusammenbruch das kleinere Übel. Ich bin ja doch nicht mehr ich selbst. Sie hat völlig Besitz von mir ergriffen. Automatisch tue ich, was sie will. Früher, als ich noch versuchte, mich aufzulehnen, zählte sie mir all die Mittel auf, durch die sie mich an sich gekettet hatte. Allmählich habe ich mich daran gewöhnt, in ihr mein Schicksal zu sehen. Ich denke nicht mehr nach, ich wehre mich nicht mehr. Ich tue, was sie will. Aber ein Leben ist das nicht.«

»Es gibt ein Mittel, diese Macht zu brechen.«

»Das gibt es nicht!«

»Ich will es Ihnen verraten. Handeln Sie wie ich, dann werden Sie wieder Ihr freier Herr.«

»Wie Sie?«

Erst jetzt kam dem Grafen zum Bewußtsein, wo und wem gegenüber er sich befand. Aber ehe er noch einen Schluß daraus zog, war Änne schon an ihn herangetreten.

»Sagen Sie sich folgendes,« redete sie auf ihn ein:

»Ich, Graf und Reichsgraf von Scheeler, bin durch meinen Leichtsinn und die Intrigen einer Frau so weit gesunken, daß ich Ekel vor mir selbst empfinde. Genau, wie ich im Duell einen Gegner ablehne, der keine Ehre hat, so kann auch eine Kugel, die ich mir vor den Kopf schieße, mich nicht rein waschen. Ich kann nur durch Arbeit meine Selbstachtung zurückgewinnen. Ich will ein neuer Mensch werden. Dazu ist nötig, daß ich den alten ablege, vergesse, untergehen lasse. Erst wenn ich ein anderer geworden bin, bin ich wieder freier Herr meiner Entschlüsse. – Wenn Sie sich zu diesem Entschluß durchgerungen haben, dann gehen Sie in das erste beste Hotel, in dem man Sie nicht kennt und wo Sie bisher noch nicht in Frack und weißer Weste soupiert haben. Lassen Sie sich bei dem Direktor melden und sagen Sie ihm: Ich bin Wilhelm Schulze, lechze nach Arbeit. Stellen Sie mich dahin, wo es am meisten und härtesten zu tun gibt. In den Stall, zu den Pferden, oder als Hausknecht, der die Koffer trägt und die Stiefel putzt. – Der Mann wird Sie anstellen, und Sie werden gerettet sein. Aber tun Sie nichts halbes, was die Wandlung nur erschwert, etwa als Empfangschef oder Chauffeur, wo alles Sie an Ihre Vergangenheit erinnert. Die muß ausgelöscht sein ein für allemal. Ein Graf von Scheeler existiert nicht mehr.«

Der Graf schwieg.

»Ich gäbe nichts auf,« erwiderte er nach einer Weile, »denn der Graf von Scheeler hat in Wirklichkeit längst aufgehört zu existieren.«

»Also!« sagte Änne freudig und streckte dem Grafen die Hand hin.

 

Er griff danach, führte die Hand an seine Lippen und sagte:

»Ich danke Ihnen!«

Dann verbeugte er sich und ging hinaus. –

Wozu, wozu? fragte sich Änne, als er draußen war. Ein Schuft weniger. – Sie lächelte verächtlich. Ist das ein Gewinn? Für wen? Für die Welt? – Gott bewahre! – Und für ihn? – Vielleicht – aber wie schwer erkauft er ihn. Ist das meine Mission? Wenn ich über mich nachdenke, komme ich dahinter, daß ich ein moralischer Mensch bin! – Sie erschrak, als sie es ausgesprochen hatte, und führte schnell die Hand vor den Mund. Wenn das nur keiner gehört hat! Sonst riskiere ich, daß man mich auf die Straße setzt, wo ich dem Schoße meiner Familie entschieden näher bin als hier. Hörst du, Papa? Deine Tochter ist Dirne! Dir zur Schande! Manchmal fällt sie zwar aus der Rolle, wie eben heut; dann zieht sie, statt sich, ihre Besucher aus, bis sie mit nackter Seele vor ihr stehen, die Jammerbolde, deren Umgang du dir zur Ehre rechnest. Denk dir, Papa, ein veritabler Graf aus ältestem Geschlecht, der sich vor einer Dirne schämt! Das gibt es. Und überhaupt so viel, wovon du gar nichts weißt. Du müßtest deine Sommerferien einmal bei deiner Tochter verbringen, wie es sich gehört; ich glaube, das wäre für deine Geschäfte ganz einträglich. Du würdest den Menschen bis auf den Grund ihrer Seele sehen und vieles lernen. Zu mir kommen viele nur aus Neugier, weißt du, deinetwegen. Um sich zu überzeugen, ob ich's auch wirklich bin. Du könntest mich gut als Mittel zum Zweck gebrauchen. Mir verraten sie alles, wenn ich sie an ihrer empfindlichen Stelle nehme. Das würde dir Geld tragen, Vater! Wie wär's? Das wäre ja wohl die einzige Basis, auf der eine Verständigung mit dir möglich wäre! Daß du Geld durch mich verdienst. Mörder! – Dann schrie sie, wie oft, laut nach ihrer Mutter, und wie immer setzte sich der Ruf von einem zum andern Zimmer fort. Wie das Armesünderglöckchen das Herz des abgefeimtesten Verbrechers trifft, so traf das Wort »Mutter!« die abgestumpften Herzen dieser Mädchen, so daß sie – ganz gleich, ob sie allein oder in Gesellschaft waren – laut aufschluchzten und an ihre Mutter dachten. –

Der Graf fand sich, als er wieder auf dem Flur stand, nicht gleich zurecht. Was war denn vorgegangen? Rein aus Neugier hatte er diese Änne aufgesucht, weil Mathilde Brückner ihm so viel von ihr erzählt hatte. Und statt einer vergnügten, anregenden Stunde, die er weiß Gott nötig hatte, was hatte er da erlebt? Seit seine Mutter tot war, hatte kein Mensch mehr so eindringlich und teilnahmsvoll mit ihm gesprochen. Das ganze Leben war in Äußerlichkeiten dahingegangen; als sein Vermögen vertan war und er nicht weiter wußte, hatte sich diese Frau Ina in der Pose des rettenden Engels an ihn gehängt, um den Preis der Ehe. Aber daß sie selbst von fremdem Gelde lebte, hatte sie ihm verschwiegen. Als sie sich ihm eröffnete, war es zu spät, gab es keine Umkehr mehr. Er war ihr verfallen, wenn – ja wenn er sich nicht zu einer Tat aufraffte, wie diese Änne sie entwickelte. Das war die Rettung! die einzige!

In Gedanken und ohne darauf zu achten, was um ihn herum vorging, stieg er die Treppe hinunter und sah auch nicht, daß unten im Vestibul Frau Ina im Gespräch mit Mathilde Brückner stand. Erst als ein überraschtes und entsetztes

»Nanu?«

Frau Inas ihn traf, fuhr er auf, blieb auf der Treppe stehen und sagte erstaunt:

»Ach du!«

»Sie träumen, Graf!« fuhr ihn Frau Ina an. »Sie sind nicht mehr da, wo man sich duzt. Ich wußte gar nicht, daß Sie hier auch Studien treiben.«

»Ich?« erwiderte er verwirrt und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ach so! richtig! Verzeihen Sie, gnädige Frau . . .«

»Sie scheint es ja mächtig gepackt zu haben.«

»Wieso?«

»Weil Sie gar nicht in die Wirklichkeit zurückfinden.«

Der Graf stand jetzt neben ihr. Er reichte Mathilde Brückner die Hand und sagte:

»Ich habe Ihren Rat befolgt.«

»Waren Sie bei der Änne«?« fragte Mathilde voller Interesse. »Nun, was sagen Sie?«

»Das sehen Sie ja« erwiderte Frau Ina spöttisch. »Dieses Frauenzimmer hat ihn, scheint's, verhext – ich finde sie übrigens ziemlich reizlos.«

»Ich habe sie nicht auf ihre Reize hin untersucht«, erwiderte der Graf.

»Ach so! Ich wußte nicht, daß Sie mit den Mädchen dieses Hauses gesellschaftlichen Verkehr pflegen.«

»Diese Änne ist eine grundgescheite und anregende Person«, sagte Mathilde.

»Um so verächtlicher, mit den Anlagen Dirne zu werden.«

»Sie ist es nicht!« erwiderte Mathilde.

»Sondern?« fragte Frau Ina spöttisch. »Glauben Sie, der Graf hat mit ihr Schach gespielt?«

»Das könnte sein«, erwiderte Mathilde. »Sie spielt vorzüglich.«

»Dann soll man sie in einen Schachklub stecken. Sie übt überhaupt einen ungünstigen Einfluß auf die Mädchen aus.«

»Das ist wahr!« bestätigte Mathilde. »Sie will durchaus verhindern, daß in den Mädchen, die sie für rettungslos verloren hält und die sich völlig gedankenlos ihrem Berufe hingeben, das Gewissen erweckt wird. Sie meint, ihnen ist wohl, sie haben den Prozeß der Entmenschlichung hinter sich; wühlt man tote Gefühle neu in ihnen auf, so treibt man sie in einen Gewissenskonflikt, aus dem sie sich doch nicht mehr herausretten können. Jetzt gehen sie tanzend durchs Leben; lehrt man sie wieder denken, so verfallen sie dem Trübsinn und der Schwermut.«

»Wir werden uns doch von einer Dirne nicht unser Verhalten vorschreiben lassen, liebe Frau Brückner!« wandte sich Ina an Frau Mathilde, obschon alles, was sie sagte, dem Grafen galt. – »Ich muß es Ihnen noch einmal sagen: Sie sind zu nachsichtig und lassen sich von den Mädchen beschwatzen. Mit dieser Sorte Menschen muß man energisch verfahren, sonst tanzen sie einem auf der Nase herum. Alles, was nicht zur Sache gehört, ist auszuschalten. Sie mißbrauchen doch nur jede Freiheit, die man ihnen läßt.«

»Ich bin nicht Ihrer Meinung. Ich glaube im Gegenteil, daß man ihnen nur mit Güte beikommt.«

»Dieser Änne jedenfalls nicht. Und um dem Ärgernis ein Ende zu bereiten, werde ich dafür sorgen, daß sie aus dem Hause kommt. Sie stört den Betrieb und beeinflußt, wie Sie selbst sagen, unsere Bestrebungen in ungünstigem Sinne.«

»Aber nein!« widersprach Mathilde entsetzt. »So habe ich es nicht gemeint. – Wo soll sie denn hin? Hier ist sie eingewöhnt.«

»Da die Tätigkeit in derartigen Häusern nicht voneinander abweicht, so wird sie sich auch anderswo schnell hingewöhnen.«

»Sie wollen sie doch nicht in ein Freudenhaus stecken?«

»Ja, glauben Sie, daß die Vorbildung, die sie hier genossen hat, sie für ein höheres Töchterpensionat befähigt?«

»Ja«, erwiderte Frau Mathilde aus voller Überzeugung. »Das glaube ich allerdings!«

»Ich auch«, stimmte der Graf bei.

Frau Ina lachte laut auf und maß den Grafen mit einem spöttischen Blick.

»Nehmt's mir nicht übel,« sagte sie, »aber ihr seid verrückt!« und kehrte ihnen den Rücken.