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Die neue Gesellschaft

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Da schnappte der Direktor, der rund, untersetzt und kurzatmig war, nach Luft, griff über den Tisch nach der großen Ledermappe, die vor Cäcilie lag, riß sie hoch und warf sie dem Maestro an den Kopf. Jedenfalls war das seine Absicht. Da der Maestro sie aber abwehrte, so flog sie Beaten an die Stirn und schlug ihr eine mächtige Beule.

»Donnerwetter!« rief jetzt Alfred und sprang auf.

Aber Beate lächelte, zog ihr Taschentuch hervor, führte es an die Stirn und sagte: »Laß nur!«

Der Professor sah Fiffi an und meinte:

»So sind diese Menschen.«

Cäcilie flüsterte hastig und erregt Leo etwas ins Ohr. Der nickte, fiel dem Direktor in den Arm und rief:

»In meinem Hause, da . . .«

Er hatte es kaum gesagt, da stutzte der Direktor und erinnerte sich, daß er ja nur der Abrechnung mit Leo wegen, den er um Geld angehen wollte, gekommen war. Und er sagte sich, daß dieser Streit seiner Absicht sehr wenig förderlich war. Er regulierte schleunigst seine Gefühle, streckte mit vollendeter Schauspielergeste dem Maestro die Hand hin und sagte in feierlichem Tone:

»Maestro! Lassen Sie uns vergessen, wir sind im Hause unseres Freundes und Wohltäters! Begraben wir die Streitaxt. Ich biete Frieden!«

»Sie bekennen also . . .?«

»Jawohl! Sie als Günthers Lehrer und Violinkünstler können natürlich besser als ich beurteilen . . .«

Der Maestro schlug ein. Und den Direktor trafen Leos und Cäciliens dankbarer Blick.

Leo tat ein übriges und flüsterte ihm zu:

»Sie sind ein Kavalier.«

Der Direktor lächelte und sagte:

»Danke.«

Und im stillen verdoppelte er die Summe, um die er Leo anzugehen gedachte.

Der Maestro forderte nochmalige Abstimmung.

Alfred fragte: »Wieso?«

»Weil erst jetzt die nötige Klarheit geschaffen ist.«

Da zog der Direktor seinen Antrag zurück.

Aber Alfred nahm ihn wieder auf.

Er fiel, da diesmal außer Beate auch der Direktor, Leo und Cäcilie mit »nein« stimmten.

Und der Maestro, der den Grund nicht kannte, aus dem der Direktor plötzlich einlenkte, blähte sich in dem Gefühl des Siegers.

Aber Leo, der eine feine Nase hatte, kamen Bedenken. Und er bat den Maestro, sich doch mit ein paar Worten zu äußern, wie er sich Günthers Laufbahn eigentlich denke.

»Sehr einfach!« sagte der. »Ich werde mir alle Mühe geben, ihn so weit zu fördern, daß er – er ist jetzt dreizehn – sagen wir ʼmal in zehn, zwölf Jahren zum ersten Male . . .«

»In zehn, zwölf Jahren!« wiederholte Cäcilie. – »Und bis dahin?«

»Bis dahin wird er die Unterrichtsstunden freilich verdoppeln müssen.«

»Und in welcher Art,« fragte Leo, »gedenken Sie ihn dann an die Öffentlichkeit zu bringen?«

»Das muß sehr sorgsam vorbereitet werden. Die Kritik gewinnen, ist die Vorbedingung jeder Karriere.«

»Großer Gott!« rief Cäcilie, »wie gewinnt man die?«

»Indem man geschickt Beziehungen knüpft.«

»Durch seine Leistung, die auch die Vorbedingung jeder Karriere ist, gewinnt man sie,« widersprach der Professor.

»Was für ʼne Leistung?« fragte der Maestro.

»In diesem Fall durch das Violinspiel.«

»Wie? was?« rief der Maestro nervös. »Wenn Sie die Leute haben, da können Sie sich nachher das Violinspiel schenken.«

»Wie hat man sie? Wie bekommt man sie?« fragte Cäcilie unruhig.

»Das ist eben die Frage.«

Der Professor stand auf und fragte scharf:

»Wollen Sie damit etwa sagen . . .«

»Jawohl! Das will ich!« unterbrach ihn der Maestro; und der Direktor mischte sich ein und sagte:

»Bis zu einem gewissen Grade trifft das auch zu. Auch für uns Theaterleute.«

»In erhöhtem Maße aber für die Musik,« sagte der Maestro. »Das Interesse für einen Geigenkünstler muß erweckt werden, längst bevor er an die Öffentlichkeit tritt. Konzertkünstler werden sozusagen unter der Hand gemacht. Das erste öffentliche Auftreten muß vorbereitet sein, daß es sozusagen nur die Sanktion, die Bestätigung dessen ist, was man längst weiß. Der Kritik muß der Name geschickt suggeriert werden. Und zwar so lange, bis sie sagen: der soll ja hervorragend sein. Das ist die erste Stufe zum Ruhm. Die zweite ist die, wo sie sagen: der ist ja hervorragend.«

»Etwa ehe sie ihn gehört haben?« fragte der Professor.

»Selbstredend! Das gerade ist es ja, worauf es ankommt, daß man die wenigen maßgebenden Leute festlegt, ehe sie ihn gehört haben. Nachher, da wird es in den meisten Fällen zu spät sein.«

»Und die Leistung? Die Leistung?« fragte der Professor, der noch immer stand und einen roten Kopf hatte.

»Kommt erst in zweiter Linie,« erwiderte der Maestro. »Natürlich muß ein Können da sein. Versteht sich. Aber dahin, daß jemand in fünf, zehn Jahren zwei, drei Piecen fehlerlos und mit ein paar Nuancen, die nach ʼwas aussehen, spielt, bringt man schließlich jeden einigermaßen musikalischen Esel.«

Cäcilie sperrte den Mund auf. »Und Sie meinen, auf zwei, drei Piecen wird er es bringen?« fragte der Direktor.

»Ja!«

»Und wie lange wird er damit reichen?«

»Jahre! Was glauben Sie, die Provinz, die schluckt ja alles, wenn man nur in Berlin gute Kritiken für die nötige Propaganda bekommt. Ja, das Publikum will sogar immer dasselbe hören. Es verbindet mit dem Namen des Künstlers gern die Erinnerung an irgend eine bestimmte Piece. Und gerade das macht den Künstler populär. Wenn der Name Busoni fällt, reagiert es mit: Wunderbar! – Haben Sie ihn Bachs Orgeltoccata in E-dur spielen hören? Und der andere sagt: Gewiß! Aber ich ziehe seine Beethoven-Sonate op. 109 vor. Und wenn er wiederkehrt, dann sind sie schon in fieberhafter Erregung, ob er auch die Beethovensonate des einen und die Orgeltoccata des andern spielen wird. Ich sage Ihnen, ein neues Programm würde in der Provinz geradezu enttäuschen. Nicht nur das Publikum, auch die Kritik, die darauf eingestellt ist.«

»Schade!« dachte Fiffi. »Ich glaube, das hätte ich am Ende auch gekonnt!« – Und als sie ihren Mann, den Professor, ansah, war sie sogar überzeugt, ihren Beruf verfehlt zu haben.

»Wenn ich diese Beziehungen hätte,« fuhr der Maestro fort, »ich wüßte, was ich täte! Ich würde Impresario und hielte mir drei, vier solcher sogenannten Künstler mit gleichbleibendem Programm.«

Das zu sagen, war sehr unklug. Leo horchte auf, stutzte und fragte:

»Ja! Demnach wäre Günther dann ja gar kein Künstler?«

Der Maestro erschrak. Er hatte einen Augenblick ganz vergessen, um was es ging. Er fuhr sich mit der Hand nervös durchs Haar und sagte:

»Wenn es uns gelingt, unter den nötigen Vorbedingungen in Berlin ein Konzert zu arrangieren, verpflichte ich mich, Ihren Sohn so berühmt zu machen, daß jeder gebildete Mensch seinen Namen kennt, daß sämtliche illustrierte Blätter seine Bilder bringen . . .«

»Maestro!« rief Cäcilie. »Wenn Ihnen das gelingt!«

»Vorausgesetzt: die nötigen Vorbedingungen!« wiederholte der Maestro.

»Und Sie wissen keine Möglichkeit, sie zu schaffen?« fragte Leo.

»Nun,« erwiderte der: »Die Mittel dazu wären ja wohl hier vorhanden.«

Cäcilie lächelte überlegen und sagte:

»Ich denke auch.«

»Aber, ich sagte schon, damit allein ist es nicht getan. Es erfordert vor allem größte Delikatesse.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Leo, und der Maestro erwiderte:

»Takt.«

Leo schüttelte den Kopf und dachte: schon faul! Auch der Gesichtsausdruck der andern verriet nicht übergroßes Vertrauen. Und Cäcilie, die sich von allen Seiten beobachtet sah, setzte in diesem Augenblick alle Hoffnung auf Linke und sagte:

»Ich denke, es wird schon gehen.«

Leo bemerkte:

»Aber wie?« und sie erwiderte:

»Das ist es eben.«

Da stand Alfred, der Assessor, auf:

»Das ist ja alles ganz schön und grün und ehrenwert,« begann er salopp und hielt die Hände in den Hosentaschen, »daß man Millionärssöhne, statt sie zum Geldverdienen anzuhalten, sozusagen in eine höhere Sphäre lenkt. Immerhin: es ist ein Experiment, und wenn es mißglückt, dann ist soʼn Mensch in der Anlage verpfuscht und wird nie im Leben mehr ʼn brauchbarer Staatsbürger. Und was die Hauptsache ist, man muß ihm eine persönliche Note schaffen. Höchstes Glück der Erdenkinder ist nur die Persönlichkeit. Je ausgeprägter sie ist, umso weniger Lust wird die Kritik haben, sich an ihr zu reiben, umso stärker wird die Wirkung sein, die er, auch ohne den Kratzkasten in Bewegung zu setzen, auf die Massen ausübt.«

»Das wäre sehr wünschenswert,« stimmte der Maestro zu, dessen Politik dahin ging, den Aufstieg Günthers zum Künstler möglichst unter Ausschluß jeder musikalischen Äußerung sich vollziehen zu lassen.

»Von alledem verstehe ich kein Wort,« dachte Cäcilie, war aber zufrieden, daß der Maestro Alfreds Meinung war und sagte daher: »Nu also!«

Alfred, der Assessor, wandte sich zu ihr:

»Liebe Cäcilie?«

»Nu, ich meinʼ nur,« erwiderte sie. »Wenn du und der Maestro es für nötig befinden, mein Mann und ich – nicht wahr, Leo? – Wir haben nichts dagegen.«

Und Leo fragte: »Wogegen?«

»Ja, hast du denn nicht gehört, was Alfred . . .?«

»Gewiß! Aber das war doch nur – wie soll ich sagen? – So eine Idee, so ein Wunsch, eine Hoffnung.«

»Sie wird sich erfüllen!« erwiderte Cäcilie aufs Geratewohl.

»Das wird davon abhängen, ob mein Vorschlag den Beifall der Versammlung findet.«

»Aber! aber!« rief Cäcilie. »Du befindest dich hier im Berndtschen Familienrat und nicht in einer Volksversammlung.«

»Selbstredend!« erwiderte Alfred. »Das macht die Gewohnheit.« Er verbeugte sich leicht und sagte: »Ich bitte um Verzeihung.«

Alle bewegten leicht die Köpfe und Alfred fuhr fort:

»Meine Idee ist die, im Hinblick auf die Zukunft des Künstlers ein Blatt zu gründen.«

»Ein Blatt?« sagten die einen, und den andern stand dieselbe Frage in den Gesichtern.

 

»Ja! Zunächst ist damit ʼmal die sehr beachtenswerte Anregung des Maestro berücksichtigt, nämlich die taktvolle Anbahnung von Beziehungen zu der Kritik! Diese Leute zieht man zur Mitarbeit heran und zahlt ihnen hohe Honorare.«

»Eine Musikzeitschrift?« fragte der Maestro.

»I Gott bewahre!« erwiderte der Assessor »Das wäre so ungeschickt wie möglich, da es durchsichtig wäre.«

»Ganz meine Ansicht!« stimmte der Direktor bei. »Es muß eine Theaterzeitschrift sein, die die Musik scheinbar nur nebensächlich behandelt. Ich bin bereit, die Leitung zu übernehmen.«

Der Oberlehrer Sasse schüttelte den Kopf.

»So nicht!« sagte er mit Pathos. »Die Idee an sich ist vorzüglich. Aber Theater und Musik sind zu eng miteinander verwandt und nicht seriös genug. Den seriösen Hintergrund kann nur die Pädagogik bilden. Ich kann dem Familienrat die erfreuliche Mitteilung machen, daß ich über tiefgründige Vorarbeiten auf diesem Gebiete verfüge. Ich beantrage, mir die Leitung des Blattes zu übertragen, dem zu Liebe ich bei sicherer Fundierung des Unternehmens sogar meinen Lehrerberuf zu opfern bereit bin.«

»Nein!« erwiderte der Assessor. »Das alles können nur Spezialgebiete des Unternehmens sein. Einem Blatte gibt nur die Politik eine starke Note. Nicht etwa Parteipolitik, durch die wir uns von vorn herein Gegner schaffen würden, während es unser Ziel sein muß, die kapitalkräftige und daher Ton und Stimmung angebende Gesellschaft ohne Unterschied der Parteirichtung zu gewinnen. Die politische Richtung ist also gegeben und kann nur in der Verteidigung von Thron, Altar und Gesellschaft liegen. Die Kreise, die wir politisch bekämpfen, spielen in der musikalischen Welt keinerlei Rolle, sind antikapitalistisch, können uns also nichts anhaben. Wie gesagt, ich fühle mich prädestiniert, ein solches Blatt ins Leben zu rufen, es zu leiten und ihm die Resonnanz zu schaffen, die nicht nur eine unauffällige Anknüpfung der für Günthers Zukunft notwendigen Beziehungen sichert, sondern mit dem Kommerzienrat Berndt als Besitzer . . .«

»Ich bin ja nicht . . . er ist ja nicht!« rief Cäcilie erregt.

»Was?« fragte Alfred.

»Kommerzienrat.«

»Er wird es werden!« versicherte Alfred, der schlaue Assessor. – »Er wird als Eigentümer seines Blattes eine Rolle in der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft spielen, wie er sie durch Millionen-Stiftungen nie erreichen würde. Und Günther, als der Sohn des Verlegers, wird beliebt, umworben, gesucht, bestaunt und gefürchtet sein, noch ehe er öffentlich den ersten Geigenstrich getan hat.«

Leo sah von dem Augenblick an, an dem das Wort Zeitung fiel, tausenderlei geschäftliche Möglichkeiten. An Günther dachte er dabei so wenig wie Alfred, der Direktor und der Professor an ihn dachten, als er jetzt sagte:

»Das leuchtet mir ein!« und die drei stimmten zu und riefen: »Uns auch!«

Eine halbe Stunde später konstituierten sich Verlag und Redaktion. Leo Berndt war Geldmann und Verleger. Assessor Alfred Herausgeber und Chef der Redaktion. Professor Sasse übernahm Kunst, Wissenschaft und Pädagogik, der Direktor das Theater, der Maestro die Musik, Berndt Handel und Börse. Das Blatt sollte zunächst einmal wöchentlich erscheinen und hieß, auf eine Anregung hin, die Cäcilie gab:

»Die Neue Gesellschaft«. .

Sechstes Kapitel
Wie Frida zum ersten Mal in Günthers Leben trat

Trotz dieses Beschlusses des Familienrats blieb das Verhältnis zwischen Günther und seiner Violine ein gespanntes. Günther fühlte – und zwar umso deutlicher, je mehr er übte – daß an eine Verständigung nicht zu denken war. Er mochte es anstellen, wie er wollte – das Instrument blieb widerspenstig, ging seine eigenen Wege und gab Töne von sich, die zum Entsetzen des Maestro stets die falschen waren.

Günther ertrug alles das anfangs in der Hoffnung, daß seiner Mutter eines Tages doch die Erkenntnis von der Aussichtslosigkeit kommen würde. Aber sie kam nicht. Im Gegenteil! Der Eifer, mit dem Cäcilie zum Üben trieb, das Interesse, mit dem sie an diesen Übungen teilnahm und sich, selbst ahnungslos, an diesem falschen Spiel ergötzte, nahm ihm nicht nur jede Hoffnung, sondern raubte ihm auch den Glauben an die Unfehlbarkeit der Mütter, den er als Milch der frommen Denkungsart gleichzeitig mit jener anderen an Emma Linkes Brust instinktmäßig eingesogen hatte.

Eines Tages riß ihm die Geduld. Er quälte sich wieder einmal mit seiner Violine, während seine Mitschüler den freien Nachmittag zu einer Ruderpartie benutzten. Cäcilie saß dabei, mit geschlossenen Augen, und träumte in die Zukunft. Drüben im Leutehaus schloß irgendwer lärmend die Fenster Cäcilie fuhr aus ihren Träumen auf, hob den Kopf öffnete die Augen und rief:

»Unerhört!«

Günther benutzte, wie jede, so auch diese Gelegenheit, um das Spiel zu unterbrechen. Er trat auf den Balkon und sah, wie drüben hinter dem Fenster seine Milchschwester Frida Linke höhnisch zu ihm hinauflachte.

»Von wo kommt der Lärm?« fragte Cäcilie.

»Drüben von Linkes! Ich glaube, es gilt mir.«

»Skandalös!« sagte Cäcilie. »Diese Leute werden nachgerade unerträglich und vergessen immer mehr, daß sie Domestiken sind!«

Frida griente immer höhnischer zu Günther hinauf.

»Da werde ich doch einmal selbst . . .« rief Günther zornig, legte die Violine fort, behielt den Bogen in der Hand und stürmte aus dem Zimmer.

»Recht so!« rief ihm Cäcilie nach. »Weise sie in ihre Schranken!« Und stolz lächelnd dachte sie: Er wird einmal eine Herrennatur!

Sie stand auf, trat auf den Balkon und sah Günther mit erhobenem Bogen geradenwegs auf das Leutehaus zustürmen.

Wie in dem Roman in der illustrierten Zeitung! dachte sie. So stürmte der junge Burggraf von Donnersbühl an der Spitze seiner Knechte über den Schloßhof, dem Feinde entgegen. Und in Betrachtung seines aufrechten Gangs und des blonden Haars stellte sie Vergleiche mit Leo an und dachte:

»Wie kommt mein Junge nur zu diesem Vater?«

Frida war, als sie Günther kommen sah, vom Fenster weggetreten. Sie griff nach dem ersten besten Knüppel, der ihr in die Hände fiel, lief ihm über den Korridor entgegen und stieß in dem schmalen Hausflur mit ihm zusammen.

Für ihre vierzehn Jahre waren sie beide gut entwickelt. Günther durchaus noch jungenhaft, unbekümmert, mit dem offenen Blick in den blauen Augen. Frida, wenn auch noch mädchenhaft, so doch bewußt im Blick und in der Bewegung, und nahe der Schwelle, die von dem unbewußten Glück der Kindheit mitten in die Unnatur des großen Welttheaters führt.

»Ergib dich oder ich schieße!« rief sie ihm entgegen und legte den Stock ihres Vaters wie ein Gewehr an die Schulter.

Aber Günther war nicht zum Scherzen zumute.

»Warum lachst du mich aus?« fragte er bitter.

»Erst liefere den Degen ab!« gebot Frida und setzte ihm zuliebe eine ernste Miene auf.

Günther betrachtete seinen Violinbogen und empfand nun selbst die Komik der Situation.

»Sagst du es darum?« fragte er beschämt.

»Ja!« erwiderte Frida.

Günther reichte ihr den Bogen.

»Du hast zwar Unheil damit angerichtet,« sagte Frida und warf sich wie ein Napoleon in die Brust. »Aber ich will dir den Degen lassen, wenn du dich auf Gnade und Ungnade mir ergibst.«

»Was soll der Unsinn?« fragte Günther. »Warum hast du die Fenster zugeschmissen und mich ausgelacht?«

»Soll ich etwa weinen, weil du mit deinem miserablen Spiel die Luft verpestest?«

Günther fuhr entsetzt zurück.

»Glaubst du, das hält ein Mensch auf die Dauer aus? – Vater wird fuchswild von deiner Musik, und wir haben nachher unter seiner Wut zu leiden.«

»So?« rief Günther trotzig.

»Ja! und damit duʼs weißt, zu Weihnachten, da haben wir uns alle Musikinstrumente gewünscht, obgleich wir anderes viel lieber und nötiger hätten.«

»Ach!«

»Sobald du dann anfängst zu kratzen, legen wir los! Vater sagt, gegen diesen Unfug nützt kein Antiphon, da gibtʼs nur ein Mittel: Gegengift! Na, Ihr werdet was erleben! Vor allem Cäcilie, die gnädige Frau Mama!«

»Also so furchtbar findet Ihr mein Spiel?« fragte Günther verlegen.

»Noch furchtbarer! Vater sagt, du machtest von Tag zu Tag Fortschritte im Falschspielen.«

»Und . . .« fragte Günther zögernd, »woher weiß denn das dein Papa?«

»Weil er Gehör hat und nicht so verboten unmusikalisch ist wie die gnädige Frau Cäcilie und ihr Herr Sohn, namens Günther!«

»So? – und weißt du, was jetzt geschieht?«

»Nun?«

»Jetzt kommst du mit mir hinauf zu meiner Mama und sagst ihr wörtlich das, was du mir da eben gesagt hast.«

»Ich werdʼ mich schwer hüten.«

»Du wirst es!« sagte er bestimmt.

»Damit sie uns alle an die Luft setzt! – Ich denke nicht dran. Erst müssen wir wissen, ob Vater bei Röhrens wieder ankommt.«

»Ich will aber, daß du es tust!« verlangte Günther.

Frida schüttelte den Kopf und sagte:

»Nein!«

»Feig bist du! Weißt du das?«

»Schlau bin ich!« erwiderte Frida, »das ist alles!«

»Also dann sagʼ mir, wie ich es anstelle, daß du es tust!«

Frida dachte nach.

»Ach so, du meinst, daß du mir etwas schenkst.«

»Auch das.«

»Hm! Nun, das Geeignetste wäre wohl, du schenktest mir deine Violine.«

»Gut!« – Er reichte ihr die Hand hin und sagte: »Abgemacht!«

Frida schüttelte den Kopf.

»Bei eurem Geld, was nützt das? – Morgen kauft deine Mutter dir eine neue.«

Günther machte ein ernstes Gesicht und meinte.:

»Da hast du recht. Das glaubʼ ich auch. Also wünschʼ dir was andres.«

»Hast du Geld?«

»Etwas.«

»Kaufʼ mir so einen Spitzenschal, wie deine Mutter hat.«

»Gut! – Aber nun komm!«

»Erst den Schal!«

»Nein! Im voraus zahlt man nicht.«

»Gib mir dein Wort!«

Günther gabʼs, und beide gingen schnellen Schrittes über den Hof in die Villa.

Cäcilie hatte sie vom Balkon aus kommen sehen und war ihnen voll Neugier entgegen gegangen. Auf der Diele trafen sie zusammen.

»Nun, hast du sie in ihre Schranken gewiesen?« rief sie Günther zu.

»Nein!« erwiderte er. »Bitte, kommʼ hier hinein! Ich muß dich sprechen!«

Er öffnete die Tür, die in den Salon führte.

Seine Sprache und sein ganzes Benehmen hatte etwas so Bestimmtes, daß Cäcilie, ohne weiter zu fragen, seiner Weisung folgte.

»Bitte!« sagte er und gab Frida ein Zeichen.

Frida folgte Cäcilie in den Salon. Dann trat er selbst ein und schloß hinter sich die Tür.

»Nanu?« fragte Cäcilie erstaunt und sah hoheitsvoll Frida an, die mit dem Stock ihres Vaters vor ihr stand. »Du hast dich wohl verlaufen?«

»Nein!« erwiderte Günther. »Ich habe sie gebeten.«

»War sie widerspenstig?« fragte Cäcilie.

»Sie hat mir die Augen geöffnet. Das heißt: ich wußte es längst.«

»Was hat sie? Was wußtest du?«

»So sagʼs!« wandte sich Günther an Frida.

»Also?«

Frida trat einen Schritt vor. Dann nahm sie keck den Kopf zurück und sagte:

»Es ist von wegen dem Violinspiel.«

»Was ist damit?«

»Es ist unerträglich.«

Cäcilie sah sie groß an.

»Wa. . .?« rief sie.

»Es wird alle Tage ärger.«

»Wa . . .?« wiederholte Cäcilie.

»Es ist schon nicht mehr zu ertragen, so falsch spielt er.«

»Wer?« fragte Cäcilie ganz entsetzt.

»Na, Günther!«

»Du bist wohl toll?«

Und auf die drohende Haltung hin, die Cäcilie setzt einnahm, fuhr Frida fort:

»Nein! Aber Vater sagt, man kannʼs dabei werden. Das heißt« – lenkte sie ein – »wenn die Fenster geschlossen sind, ist es nicht halb so schlimm.«

»Toll! toll! toll bist du!« schrie Cäcilie ganz laut.

»Ich kann doch nichts dafür,« sagte Frida in aller Ruhe. »Aber es ist so!«

»Du bist eine dumme Jöhre, die ihre vorlaute Nase in Dinge steckt, die ihr nicht zukommen! Ich werde deinem Vater sagen, daß er dich bestraft. Und nun hinaus mit dir! Vorwärts!«

»Vater denkt genau wie ich!«

»Da hörst duʼs!« sagte Günther.

»Ich bittʼ dich, was verstehen denn die Leute davon!«

»O bitte sehr,« widersprach Frida, »wir sind eine sehr musikalische Familie. Mein Bruder Paul spielt die erste Geige im Orchester des Kaufmännischen Vereins, und Pauline und ich haben seit unserem achten Jahre Klavierunterricht bei Fräulein Stremme.«

»Für unser Geld!« rief Cäcilie. »So zieht man sich die Opposition groß. Aber ich werde deinem Papa den Brotkorb höher hängen. Ihr solltet lieber etwas Praktisches lernen, statt solchen Luxus zu treiben, der euch nicht zukommt.«

»Vater sagt, Musik ist für alle da, die Talent haben. Die andern sollen die Finger davon lassen.«

»Soll sich das etwa auf ihn beziehen?« fragte Cäcilie und wies auf Günther.

 

»Ich glaubʼ schon, denn Vater sagt immer, werʼs sich anzieht, den gehtʼs an.«

»Eine nette Erziehung scheinst du zu genießen.«

»Ja, das ist wahr,« erwiderte Frida, »damit hapertʼs. Vater sagt immer, wenn ich nur Zeit hätte, euch zu erziehen.«

»In deinem Alter sollte man überhaupt wissen, was sich schickt.«

»Das weiß ich auch!«

»So? Du meinst also, daß es für die Tochter eines Domestiken paßt, sich in herrschaftliche Angelegenheiten zu mischen?«

»Wenn ich gefragt werde, ja!«

»Wer hat dich denn gefragt?«

»Ich!« rief Günther. »Und ich bin froh, daß ichʼs getan habe. Denn nun hat die Quälerei endlich ein Ende.«

»Was soll das heißen?« fragte Cäcilie.

»Daß ich nie wieder die Violine in die Hand nehmen werde.«

»Günther!« schrie Cäcilie entsetzt.

»Schade um die schöne Zeit, die ich damit vergeudet habe.«

»Was für eine Sprache!« rief Cäcilie.

»Ich habe mich lange genug lächerlich gemacht . . .«

»Du weißt ja nicht, was du sprichst.«

»Doch! Mir ist ordentlich leicht in dem Gefühl, davon befreit zu sein.«

»Das ist ja furchtbar! Was soll dann aus dir werden?«

»Das weiß ich nicht. Das wissen von uns Unter-Sekundanern die meisten noch nicht. Jedenfalls nichts, was mit Musik zu tun hat.«

»Du lehnst dich auf!«

»Was ich sage, richtet sich doch nicht gegen dich.«

»So! Nun, dann will ich dir sagen, daß es sich nicht nur gegen mich und deinen Vater richtet, sondern gegen alle, die es gut mit dir meinen.«

»Und was wollen die?«

»Daß du dank dem Reichtum deines Vaters, statt sich in seinen Büros abzurackern, einmal auf den Höhen der Menschheit wandelst und Künstler wirst.«

»Allmächtiger!« pruschte Frida heraus.

»Was hast du schon wieder hineinzureden?« schalt Cäcilie.

»Um Künstler zu werden, dazu gehört doch eine Begabung.«

»Was weißt denn du?«

»Sie hat ganz recht!« trat ihr Günther bei.

»Gewiß!« sagte Cäcilie, »für gewöhnliche Menschen trifft das zu, aber nicht für dich. Da gehtʼs auch so! Verlaßʼ dich auf uns! Wir haben für alles gesorgt. Und statt dich von Domestikenkindern beschwatzen zu lassen, folge uns: Wir wissen, was wir tun!«

»Ich will mich nicht auf andre verlassen. Und wenn ich einen Beruf ergreife, will ich auch etwas leisten. Und in der Musik, das weiß ich, da wird nie etwas Gescheidtes aus mir.«

»Also nun habʼ ich genug!« sagte Cäcilie schroff.

»Das ist der Dank dafür, daß man von früh bis spät an nichts anderes als an dich und deine Zukunft denkt. Sechs Jahre lang gehtʼs, und plötzlich, weil eine hergelaufene Jöhre dich aufhetzt . . .«

»Nein! nein!« unterbrach sie Günther. »Das ist nicht seit heute erst. Das weiß ich seit Jahren und merke es von Tag zu Tag deutlicher.«

»Unsinn! Das redest du dir ein. Das weiß man selbst nicht. Das können nur andre beurteilen.«

»Da haben Sie recht!« entfuhr es Frida.

»Hinaus mit dir!« schrie Cäcilie. »Das wirst du teuer bezahlen! Den Sohn gegen die Mutter zu hetzen! Warte! – Und du« – wandte sie sich an Günther – »gehst hinauf und übst, nach der Uhr bis sechs, nicht eine Minute früher hörst du auf.«

»Bleib!« rief Günther und hielt Frida, die eben zur Tür hinaus wollte, fest.

»I was!« erwiderte die und suchte sich loszumachen. »Du läßt dich ja doch beschwatzen.«

»Nein! – Hier« – und er brach den Violinbogen mitten durch und warf ihn Cäcilie vor die Füße – »nicht eine Note mehr! Und wenn du mich aus dem Hause jagst!«

»Bravo!« rief Frida und zog Günther mit sich aus der Tür hinaus. »Du hast ja Courage!«

Cäcilie sank auf den Sessel und schloß die Augen.

Erst war ihr Ausdruck ernst; dann aber lächelte sie und sagte laut:

»Eine Herrennatur!«