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»Großer Gott!« rief sie und sah auf die lange Bilderreihe – »jedem Einzelnen? Das ist ja schrecklich! Leo, was meinst du, da verzichten wir lieber.«

»Ich hoffte, Sie würden mich verstehen,« sagte Paul. – »Es wäre mir eine Genugtuung gewesen, wenn es mir gelungen wäre, Ihnen . . . .«

»Nein! nein!« wehrte Cäcilie ab, »nur nicht! Wenn wir bei jedem Geschäft erst erforschen wollten, was mein seliger Vater und Großvater und die meines Mannes dazu gesagt hätten – du lieber Gott, derweil hätte uns die Konkurrenz längst die fettesten Bissen weggeschnappt.«

»Du läßt also wohl besser deine Bekehrungsversuche,« sagte Käte; und Paul stimmte ihr zu und erwiderte:

»Das scheint mir auch.«

»Überhaupt,« sagte Cäcilie – »geschäftlich, da ist mir nicht bange, da werden wir schon machen. Aber wenn Sie uns gesellschaftlich ein wenig zur Hand gehen wollten. Denken Sie – darf ich es sagen, Leo?«

»Wie? was?« fragte Berndt und sagte vor sich hin: »elftausendsiebenhundert.«

Cäcilie zierte sich, wurde rot, senkte den Kopf, spreizte die dicken Finger und sagte:

»Gott, Leo, du weißt doch!«

»Ach so! natürlich! Du meinst . . .«

»Ja!« sagte sie und sah ihn kokett von unten herauf an. – »Unsere Hoffnung.«

Eine Pause entstand. Dann sagte Käte:

»Ihre Hoffnung? was ist das?«

»Gott! es sagt sich so schwer, nicht wahr?«   – und sie bedeckte beschämt den Leib mit ihren roten Händen.

»Sie werden Mutter?« fragte Käte ohne jede Verlegenheit.

Cäcilie senkte den Kopf noch tiefer und hauchte:

»Ja!«

»Da brauchen Sie doch nicht so heimlich zu tun,« sagte Käte. – »Das ist doch das Schönste, was einer Frau geschehen kann.«

»Ich schäm’ mich aber so.«

Käte, die das gar nicht begriff, sagte:

»Ja, Sie sind doch verheiratet.«

»Ich schwör’s Ihnen zu,« erwiderte Cäcilie.

»Seit vier Jahren.«

»Nun also! Und es ist das erste Mal?«

»Ja!«

»So freuen Sie sich doch!«

»Das sage ich meiner Frau auch,« meinte Berndt. – »Man weiß dann doch wenigstens, wo sein Geld ’mal bleibt.«

»So meinte ich es natürlich nicht. Ich dachte dabei lediglich an das Gefühl einer Mutter.«

Paul legte seinen Arm um Käte und sagte:

»Spar’ dir die Müh’, Kind!« – und leise fügte er hinzu: »freue dich, daß wir anders sind!«

Cäcilie überwand infolge dieses Zuredens ihre falsche Scham, hob den Kopf wieder in die Höhe, zog die Hände ein, gab den Leib frei und sagte breit:

»Ja! Also ich bekomme ein Kind.«

»Darauf habe ich nur eine Antwort,« erwiderte Käte, »ich gratuliere!«

»Danke!« sagte Cäcilie. Auch Berndt verbeugte sich, meinte aber:

»Übrigens ist es noch nicht so weit.«

Und Cäcilie ergänzte:

»Erst in zwei Monaten. Wir nehmen natürlich eine Amme. Das heißt: wenn wir eine prima bekommen. Wissen Sie keine?«

Käte, die so plötzlich Vertrauensperson ihr völlig fremder Menschen wurde, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Ich wüßte schon eine!« sagte sie.

»Leo! das wäre doch glänzend!« rief Cäcilie.

»Du weißt ja noch gar nichts!« gab Berndt zur Antwort.

»Ich bitt’ dich, die Amme von Röhrens! Was brauch’ ich da weiter viel zu wissen?«

»Das heißt,« berichtigte Käte, »unsere Amme ist es nicht.«

»Wessen denn?«

»Ich habe es mir nicht nehmen lassen, meine Kinder selbst aufzuziehen!«

»Unmodern!« rief Cäcilie.

Käte lachte und sagte:

»Möglich! – Aber um auf diese Amme zurückzukommen . . .«

»Ja, bitte!« drängte Cäcilie.

»Wir haben seit sieben Jahren einen Hausverwalter, dessen Frau bereits zweimal bei uns Mutter wurde und infolge ihrer besonderen Konstitution außer ihrem Kinde, mit Wunsch und Willen des Arztes, noch ein fremdes aufgezogen hat.«

»Leo!« rief Cäcilie und lachte laut auf, »hast du so was erlebt! Prachtvoll! Nein, was es alles gibt!«

»Diese Frau, für deren Gesundheit und Charakter ich mich übrigens verbürge, sieht wieder ihrer Niederkunft entgegen. Genau unterrichtet über den Zeitpunkt bin ich natürlich nicht. Aber es könnte doch sein . . .«

»Leo, was sagst du? eine eheliche Amme! die hat nicht jeder!«

»Das wäre in der Tat etwas Exquisites,« bestätigte Berndt.

»Ich stoße mich schon lange daran, daß unser Kind einmal einer lüderlichen Person angelegt werden soll. Man kann nämlich gar nicht wissen: schließlich färbt so ’was ab.«

Käte hielt sich ihr Spitzentuch wieder vor den Mund. Paul wandte sich um.

»Und Sie meinen, die würde . . .?« fragte Berndt.

Käte zog die Schultern hoch.

»Möglich,« sagte sie. »Vorausgesetzt, daß es zeitlich übereinstimmt. Am besten, Sie fragen sie selbst.«

Paul trat dicht an Käte heran.

»Was tust du nur?« fragte er leise. »Ich kenne dich ja gar nicht wieder.«

»Laß mir das Vergnügen!« bat sie. »Am Ende verhelfen wir Linkes zu einer Stellung.«

Das leuchtete Paul ein.

»Also?« fragte Käte, »soll ich sie rufen?«

»Aber doch nicht jetzt!« widersprach Paul – »mitten in der Nacht! die Leute schlafen doch!«

»Uns macht’s nichts,« sagte Cäcilie. »Wir sitzen alle Nacht bis zwei Uhr auf.«

Käte ging ans Fenster und schob den Store zurück.

»Es ist noch Licht bei ihnen,« sagte sie. Paul telephonierte hinunter.

»Was kostet die Frau?« fragte Cäcilie. »Wird sie im ganzen berechnet? oder wöchentlich?« – Und da Käte keine Antwort gab, so fragte sie weiter:

»Oder von Fall zu Fall?«

»Das wird sie uns alles sagen,« erwiderte Käte.

»Neugierig bin ich! Du nicht, Leo? Ist sie blond, dunkel?«

Der Diener trat ein und flüsterte Paul etwas zu.

»Ja! ja!« sagte der. »Sie sollen nur ungeniert hereinkommen!«

Franz und Emma Linke traten in den Salon, sagten guten Abend und blieben in der Tür stehen.

Cäcilie sah ihren Mann an und verzog den Mund. Berndt schüttelte den Kopf.

»Das ist unser Hausmeisterpaar,« sagte Käte.

»Herr Linke hat außerdem den Weinkeller unter sich.«

»Richtig! Weinkeller!« rief Cäcilie. »Das muß man ja auch haben.«

»Merk’ dir’s!« sagte Berndt.

»Verstehen Sie ’was davon?« fragte Cäcilie.

»Ich glaub’ schon,« erwiderte Linke und sah mit sicherem und offenem Blick Paul und Käte an.

»Er kennt sich aus!« bestätigte Paul. »Und ist dabei umsichtig und gewissenhaft.«

»Der ist natürlich auch nicht übernommen,« sagte Cäcilie vorwurfsvoll. »Ist Ihr Mann auch so’n Schlemihl?« fragte sie Käte.

Die Köpfe des Ehepaares Linke wandten sich entsetzt zu Käte. Die tat, als überhörte sie’s und sagte:

»So viel ich weiß, haben Sie noch keinen neuen Posten, Linke?«

Der war noch so verdutzt, daß er gar nicht hörte, was Frau Käte sagte. Seine Frau, die sich schneller wieder in der Gewalt hatte, stieß ihn an:

»So red’ doch!« – Und auf sein dummes Gesicht hin wiederholte sie: »Die gnädige Frau fragt, ob wir schon einen neuen Posten haben.«

Linke sagte:

»Ach so – nein! – noch nicht! – wir hoffen noch immer . . .«

»Was hoffen Sie?« fragte Frau Käte.

»Wir würden, wenn wir könnten, gern bei dem gnädigen Herrn und der gnädigen Frau bleiben. Auch mit weniger . . . .«

»Linke!« sagte jetzt Paul bestimmt, »was ist das für ein bodenloser Leichtsinn! Wie oft habe ich Ihnen gesagt: es fällt mir nicht leicht, mich von Ihnen zu trennen, aber es muß sein; darum sehen Sie sich rechtzeitig nach was anderm um! Stimmt’s?«

»Jawohl, gnädiger Herr! Aber wir dachten doch noch immer – weil es uns doch so schwer wird . . .«

»Sie haben in erster Linie an Ihre Familie zu denken! Ob es Ihnen leicht oder schwer fällt, das ist daneben ganz ohne Belang; stimmt’s?«

Linke nickte mit dem Kopf und erwiderte:

»Ja! – an sich schon.«’

»Ich hab’ ihn ja auch immer zurückgehalten,« sagte Emma, »weil ich mir doch gar nicht hab’ denken können, daß das nun hier alles wirklich soll ein Ende haben.«

Cäcilie reckte sich in ihrem Louis XVI. empor:

»Das hat’s auch nicht!« rief sie stolz und wies mit der roten Hand auf sich: »Hier! Wir setzen’s fort! – Genau wie’s war. Vielleicht noch großartiger. Ich hab’ schon zu meinem Mann gesagt: im nächsten Jahr, da wird das ganze auf neu umgearbeitet, außen und innen. Wir lassen es uns was kosten, was Leo? Das muß alles prima sein!«

»Was? – Sie!« rief das Ehepaar Linke und sah erstaunt Cäcilie und Berndt an, wandte sich dann an Paul und Käte und ihre Blicke fragten: »Das stimmt doch nicht?«

»Doch! doch!« erwiderte Käte, »Herr und Frau Berndt« – Cäcilie bewegte sich leicht nach vorn, Berndt faltete die Hände über dem Bauch – »bewohnen vom ersten April ab die Villa.«

»Aber nicht etwa als Mieter!« rief Cäcilie. —«Wir haben sie für . . .«

»Der Kaufpreis interessiert Linkes nicht,« unterbrach sie Paul.

»Nein! nein!« wehrte Linke ab. Dann schüttelte er den Kopf und sagte traurig: »Also doch! – Wir wollten’s nicht glauben.«

Cäcilie zog ein Kuvert hervor, in dem Plan und Vertrag der Villa lagen, hielt es hoch und sagte:

»Da! schwarz auf weiß. Wollen Sie’s sehen?«

»Danke!« sagte Linke ohne hinzusehen, wandte sich an Paul und fragte: »Und Sie wollen uns nicht . . .? Es braucht ja nicht zu sein wie hier. Dann richtet man sich eben ein. Gehen tut alles. Was, Emma, wenn man nur will.«

Emma stimmte zu.

»Unter den augenblicklichen Verhältnissen, mein lieber Linke,« sagte Paul, »ist es nicht möglich! Aber, nicht wahr, Sie lassen ja von sich hören?«

»Gewiß! gewiß!« versicherte Linke, »wenn ich darf.«

»Ich wünsche es! Sie wissen ja, welch’ Interesse meine Frau für Ihre Kinder hat, na, und ich natürlich auch. Aber vorläufig heißt’s nun arbeiten! Für mich – und auch für Sie! Verstanden?«

Linke nickte mit dem Kopf und Emma sagte:

»Ja, da werden wir uns nu wohl beeilen müssen, Franz!«

 

»So red’ doch!« rief Cäcilie und gab ihrem Mann einen Stoß.

»Tja!« sagte der. – »Sie haben also noch nichts? Na, dann wär’s am Ende ganz praktisch, Sie blieben, wo Sie sind.«

Linkes sahen ihn an.

»Ich mein’ auch,« sagte Käte. – »Es wäre für beide Teile gut.« – Sie wandte sich an Cäcilie. – ». . . Sie haben zuverlässige Menschen und in Linke vor allem jemanden, der mit allem Bescheid weiß – nicht nur mit den Weinen; auch sonst wird er Ihnen in allen gesellschaftlichen Fragen eine Stütze sein; wenngleich er etwas grad’ heraus ist! Aber daran gewöhnt man sich! Na, und Sie,« wandte sie sich an Linkes, »blieben, wo Sie sind und würden sich pekuniär vielleicht sogar verbessern.«

»Das Doppelte!« rief Cäcilie.

»Wie meinen Sie das?« fragte Käte.

»Von dem, was Sie bisher hatten.«

»Nun sehen Sie ’mal an!« sagte Käte.

»Und Sie meinen wirklich,« fragte Linke und sah Paul und Käte an, »wir sollen. . . .«

»Aber gewiß, meine ich das!« erwiderte Paul.

»Da erübrigen Sie was für die Kinder; die kosten Geld, wenn sie größer werden.«

Linke wandte sich an seine Frau.

»Was meinst du, Emma?«

»Wenn die gnädige Frau glaubt. . . .«

»Ja, Emma! Ich rate Ihnen dazu.«

»Also?« fragte Berndt und holte sein Buch hervor.

»Ja, Franz, denn is es wohl recht,« sagte Emma. Linke nickte.

»Kostenpunkt?« fragte Berndt, steckte die Bleistiftspitze in den Mund und beugte sich über sein Notizbuch.

Linkes sahen sich an.

»Herr Berndt meint die Höhe des Gehalts.« erläuterte Paul.

»Wir hatten bisher hundertfünfundzwanzig Mark,« sagte Linke.

»Das hieße also für uns zweihundert,« sagte Cäcilie.

»Wenn ich recht verstand,« erwiderte Paul, »so sagten Sie vorhin das Doppelte.«

»Aber das ist ja mehr als genug,« versicherte Linke.

»Hatte ich falsch gehört?« fragte Paul und sah Cäcilie fest an.

»Was meinst du, Leo?« wandte sie sich an ihren Mann. Und der erwiderte, obgleich er genau gehört hatte:

»Du mußt doch wissen, was du gesagt hast.« Cäcilie setzte die Lorgnette an und sagte:

»Kommen Sie doch ’mal ein bißchen näher heran!«

»Ich?« fragte Emma.

»Ja, Sie!«

Emma trat unbefangen vor Frau Berndt hin. Die musterte sie derart ungeniert, daß Emma, die sonst nicht schüchtern war, beschämt zur Erde sah. Dann nahm sie sie bei der Hand, zog sie zu sich heran und flüsterte ihr ins Ohr.

»Wann?«

»In acht Wochen.«

»Glänzend!« rief Cäcilie erfreut. »Denk’ dir, Leo, es paßt.«

»Nu also!«

Paul nahm Käte unter den Arm und wandte sich zur Tür. – »Sie machen das wohl besser untereinander aus!« sagte er, verbeugte sich und ging mit Käte aus dem Zimmer.

Es dauerte kaum eine Viertelstunde, da war der Vertrag zwischen Linkes und Berndts perfekt.

Als Berndts aus dem Hause traten, sagte Cäcilie zu ihrem Manne:

»Sehr feine Leute, diese Röhrens!«

»Wieso?« fragte Leo.

»Nu, ich mein’ nur. Hast du nicht gemerkt, wie diskret sie sich zurückgezogen haben?«

»Selbstredend,« erwiderte Berndt, nahm seine Frau unter den Arm und sagte:

»Merk« dir’s!«

Zweites Kapitel
Wie Frida und Günther zur Welt und zu falschen Eltern kamen

»Also, nicht so viel liegen!« wiederholte der alte Hausarzt ein um das andere Mal. – »Sie haben es doch wahrhaftig bequem! Drei Stufen, und Sie sind in Ihrem Garten, und kein Mensch sieht Sie.«

»Der Garten ist noch nicht restauriert,« erwiderte Cäcilie, die auf der Chaiselongue lag

»Was heißt das?«

»Nu, er sieht noch nicht prima aus. Der neue Gärtner tritt erst am ersten Mai seine Stellung an.«

»Hier handelt es sich nicht um Äußerlichkeiten, sondern um die Gesundheit; und zwar nicht nur um Ihre,« betonte der Arzt nicht gerade freundlich.

»Eben darum.«

»Ich verstehʼ Sie nicht.«

»Nu, ich meinʼ nur.«

»Was meinen Sie?«

»Des Jungen wegen.«

»Was für eines Jungen?«

»Leo meint zwar, ich soll mir das nicht zu fest in den Kopf setzen, um nachher nicht enttäuscht zu sein, wenn es ein Mädchen wird. Aber nicht wahr, das fühlt man doch?«

»Keine Spur!«

»Ich weiß aber, daß es ein Junge ist.«

»Dann wissen Sie mehr als wir. Im übrigen, ich verstehe noch immer nicht, was hat das mit dem Garten zu tun?«

»Wissen Sie das nicht?« fragte Cäcilie erstaunt.

»Nein.«

»Daß das abfärbt?« – Und da das Gesicht des Arztes nicht klüger wurde, so fuhr sie fort: »Daß das Kind alles annimmt, und daß man darum alles Häßliche von ihm fernhalten und es immer nur mit Schönem umgeben soll?«

»So! so! – aber im Vertrauen: derartige Dinge sind Unsinn!«

»Dann haben wir das ganze Geld ja zum Fenster herausgeworfen! Wie gräßlich! Schade um die Zeit!«

»Was haben Sie getan?«

Cäcilie stand auf und öffnete eine Tür; mit der Klinke in der Hand blieb sie stehen.

»Da, sehen Sie hinein, Herr Sanitätsrat!«

Der Arzt stand auf und sah in ein geräumiges Zimmer, in dessen Mitte ein Ruhebett stand. An den Wänden rechts und links hing dicht aneinander gedrängt Porträt an Porträt. Auf der einen Seite nur männliche, auf der andern nur weibliche. Es waren zum größten Teil schlechte Kopien alter Meister. Aber auch moderne Bildnisse, denen man die Neuheit nur zu sehr ansah, hingen massenhaft herum. Auch Öldrucke fehlten nicht, und die Zwischenräume füllten Gravuren, Photographien, ja selbst einfache Drucke, die aus illustrierten Zeitungen ausgeschnitten waren.

Der Arzt staunte; er hielt es für die Galerie eines Parvenu und hoffnungslosen Dilettanten.

»Nach welchem Prinzip,« fragte er, »ist diese Sammlung entstanden?«

»Nach dem Prinzip der Schönheit!« erwiderte Cäcilie stolz.

»Und zu welchem Zweck?« fragte er nicht eben artig.

»Ja, begreifen Sie denn noch immer nicht?« rief Cäcilie erstaunt.

Der Arzt schüttelte den Kopf.

»Für unser Kind! Den Vormittag über liege ich auf der einen Seite, den männlichen Bildnissen gegenüber, nachmittags auf der andern. Denn es ist ja nicht ausgeschlossen, daß ich mich irre und daß es doch ein Mädchen wird.«

»Und Sie meinen . . .?« fragte der Arzt, der ganz verdutzt war und Augen und Ohren nicht traute.

»Daß allʼ diese Schönheit auf mein Kind abfärbt! Ja! Das glaube ich!«

Der Arzt schüttelte den Kopf, dann trat er ein paar Schritte in diese sonderbare Schönheitskammer.

»Wo haben Sie nur allʼ die Bilder her?« fragte er.

»Von den alten Meistern haben wir einige gekauft,« erwiderte sie. – »Aber die meisten sind von unseren eigenen Meistern angefertigt; teils nach den Originalen an Ort und Stelle, teils nach dem Leben.«

»Von Ihren eigenen Meistern?«

»Ja!« sagte sie stolz. »Wir haben in unserer Konservenabteilung zwei Angestellte, die die Etikettes und Reklameplakate zeichnen. Prima Leute. In vier Wochen, die mein Mann ihnen Zeit gab, haben sie achtunddreißig Porträts gemalt. Das soll ihnen erst ʼmal einer nachmachen«»

»Fabelhaft!« rief der Sanitätsrat. – »Und das soll hier am Ende auch über die Geburt hinaus . . .?«

»Wie meinen Sie?« fragte Cäcilie.

»Ich meine, das soll doch nicht etwa permanent so bleiben?«

»Doch! doch! Wir wollen die Galerie sogar erweitern.«

»Na ja!« sagte der Sanitätsrat, »dagegen läßt sich nun ʼmal nichts machen.«

»Und wann glauben Sie?« fragte Cäcilie.

»Bald! sehr bald! Aber ich wiederhole Ihnen, machen Sie sich, statt hier auf dem Ruhebett zu liegen, Bewegung! Sonst stehʼ ich für nichts ein.«

Cäcilie versprachʼs, und der Sanitätsrat ging.

Er sah noch schnell beim Vorübergehen zu Linkes hinein, rief Emma, die gerade am Herd stand zu:

»Na, Frau Linke, wie schautʼs aus?«

»Jlänzend! Morjen können Se mir jratulieren!«

»Na, na!« erwiderte der Sanitätsrat. – »So schnell schießen die Preußen nicht!«

»Wollen Se wetten?«

»Na, dann werdʼ ich doch mal lieber . .« sagte der Arzt, machte kehrt und ging in das Leutehaus.

»Nich nötig!« rief Emma.

»Noch mindestens vierzehn Tage!« stellte er fest.

Emma schüttelte den Kopf.

»Nʼ Taler für jeden Tag früher, Herr Doktor?«

»Da würden Sie nicht reich bei werden, liebe Frau!«

Emma wischte sich an der Schürze schnell die Hand ab und streckte sie ihm hin.

»Abgemacht?«

Der Sanitätsrat lachte und schlug ein.

»Na, also! Auf alle Fälle! Sie wissen ja, wennʼs auch nachts ist. Dazu bin ich da!«

»Schönen Dank. Herr Doktor.«

Sie brachte ihn bis zur Tür und ging dann an den Herd zurück. —

Cäcilie nahm einen der vielen Adonisse von der Wand und ging damit in den Garten. Das ungewohnte Gehen fiel ihr schwer. Nach zehn Minuten kehrte sie in das Haus zurück, ging in den Gemälderaum und legte sich auf das Ruhebett, den Rücken, obgleich es Vormittag war, den männlichen Bildnissen zugewandt; der Sanitätsrat hatte sie doch beunruhigt.

Emma saß währenddessen mit ihrem Manne und den beiden Kleinen um den blitzblank gescheuerten Tisch und aß zu Mittag.

»Scharf ist das Gulasch!« wiederholte Franz, als Emma ihm das zweite Mal den Teller füllte. Und der vierjährige Paul, der ein Patenkind Röhrens war, zog den Löffel aus dem Mund und sagte:

»Mutta! das sagt Vata bloß, daß de ihm was zu trinken jibst.«

»Richtig!« rief Franz, »der Junge kennt mich.«

»Heutʼ sollʼs nicht drauf ankommen,« erwiderte Emma.

»Was ist heutʼ?« fragte Franz.

»Heutʼ liegt noch ʼwas in der Luft.« – Dabei stand sie auf, holte ein Glas und eine Flasche Bier und stellte sie vor Franz auf den Tisch.

»Das jibtʼs ja janich; was Vata?« sagte Paul. »In der Luft, da fliegt doch höchstens ʼwas.«

»Na, ja,« sagte Emma, »da hast du recht. Es fliegt auch was, mit langen Beinen und ʼnem roten Schnabel; na Paul, nu rate ʼmal!«

»Is wahr?« rief Linke strahlend.

»Wasʼn, Vata?«

»Dummer Junge! Wer hat denn lange Beine und ʼn roten Schnabel?«

»Jroßvata!« rief Paul freudig.

»Nein! Aber ʼn Klapperstorch!«

»Schon wieda?« fragte Paul und sah auf sein Schwesterchen; »Pauline kann ja noch nicht ʼmal laufen.«

»Dott! dott!« widersprach Schwester Pauline, die auf einem hohen Kinderstuhl saß. Sie strampelte und wollte gerade von dem Stuhl herunterstürzen, um Paul zu widerlegen, als Emma ihr in den Arm fiel und sie gerade noch im letzten Augenblicke auffing.

Aber eine Erschütterung hatte es doch gegeben. Sie fühlte heftige Schmerzen, Franz nahm sie unter den Arm, half ihr und brachte sie zu Bett.

Man hatte ein helles, sonniges Zimmer in Cäciliens Nähe für sie hergerichtet.

Cäcilie, die noch immer in der Bildergalerie lag, warf sich unruhig von einer Seite auf die andere. Kehrte sie den männlichen Porträts den Rücken, so war sie überzeugt, es wurde ein Junge und wechselte schnell ihre Lage. Und lag sie mit dem Rücken zu den weiblichen Porträts, so schwor sie auf ein Mädchen, ließ jede Vorsicht außer acht und wandte sich ruckartig um. So auch jetzt wieder.

»Oh!!« schrie sie laut, griff nach der Klingel, läutete und rief dem Mädchen, das eintrat, erregt zu:

»Schnell! schnell! Ich muß ins Bett! Telephonieren Sie an Frau Helbing und meinen Mann und den Sanitätsrat. Sagen Sie, es geht los!« —

Es war etwa um die gleiche Zeit, als Cäcilie und Emma in ihren Betten lagen.

Es war bei beiden nicht leicht, und Frau Helbing lief wohl ein dutzend Mal von einer zur andern.

Emma litt sehr, und als der Knabe zur Welt kam, war sie apathisch, sah und fragte nichts.

Franz durfte nicht bei ihr sein. Sie wollte nicht, daß er sah, wie sie sich quälte. Er saß in Angst und aufgeregt in der Küche und sah und horchte zur Tür, obschon zwei Zimmer dazwischen lagen. Alle Augenblicke sah er zur Uhr: wie Stunden krochen die Minuten.

Kaum war bei Emma alles glücklich vorüber, da war Frau Helbing mit ihren Gedanken auch schon bei Cäcilie. Und ohne an Franz zu denken, stürzte sie die Treppe hinauf in Cäciliens Zimmer.

»Endlich! Ich haltʼs nicht mehr aus!« rief die Zofe und lief davon.

Frau Helbing trat eilig an das Bett heran und beugte sich über Cäcilie:

»Ulala!« sagte sie. – »Na, denn man zu!«

Erst wurde Leo, der am Bettrand stand, ohnmächtig, dann Cäcilie, – und dann kam das Kind zur Welt, das ein Mädchen war.

Frau Helbing eilte mit der Neugeborenen in Emmas Zimmer, in dem alles aufs beste für den Empfang der Sprößlinge vorbereitet war.

Franz war in seiner Unruhe ein Zimmer näher zu Emma vorgerückt.

Als Frau Helbing jetzt mit der kleinen Berndt, die in feinen Battist gewickelt war, im Eilschritt durch das Zimmer kam, sprang Franz auf, stürzte auf sie zu und rief:

»Was ist es?«

 

»Ein Mädchen!« erwiderte Frau Helbing und war im nächsten Augenblick auch schon aus dem Zimmer.

Neben Emmas Bett stand die Wage. Sie legte die beiden jüngsten Weltbewohner hinauf und schrieb auf einen Zettel, der daneben lag: Junge neun Pfund, Mädchen siebeneinhalb. Dann rief sie Franz und die Zofe, gab ihnen Anweisungen hinsichtlich der beiden Mütter, beugte sich über Emmas Bett und sagte:

»Nun, wie gehtʼs?«

Emma schlug die Augen auf, lächelte und sagte:

»Gut!«

»Also!« erwiderte Frau Helbing, packte in großer Hast ihre Sachen zusammen und lief zu Cäcilie.

Leo und die Zofe mühten sich um sie. Sie lag schachmatt, aber bei vollem Bewußtsein.

»Alles in Ordnung?« fragte Frau Helbing, überzeugte sich selbst, ordnete in Hast dies und jenes an und stürzte aus dem Zimmer.

Draußen empfing sie der Diener.

»Es ist schon dreimal für sie antelephoniert worden. Neiß oder Neißer oder so ähnlich. Es wäre die höchste Zeit!«

»Ich weiß! ich weiß!« rief Frau Helbing und stürzte atemlos die Treppe hinunter.

Leo lief ihr nach.

»Wo ist das Kind?« rief er aufgeregt.

»Drin, bei Frau Linke!« gab sie zur Antwort.

»Ich gratuliere, gnädiger Herr!« sagte der Diener und verbeugte sich.

»Danke! danke!« erwiderte Leo. »Ich weiß ja noch gar nicht,« und lief über den Korridor in Emmas Zimmer.

»Wo? wo?« fragte er und hatte vor Neugier und Aufregung einen ganz roten Kopf.

»Hier!« erwiderte Franz mit einer Stimme, die recht dünn klang, und wies auf einen Wickeltisch, auf dem die beiden Neugeborenen friedlich nebeneinander lagen.

Leo stürzte an den Tisch.

»Wa . . .?« rief er, »Zwillinge?«

Emma, die es hörte, erschrak.

»I Gott bewahre!« entgegnete Franz. »Eins davon gehört uns.«

»Welches?« fragte Leo.

Und Franz wies ziemlich resigniert auf das siebeneinhalb Pfund schwere Mädchen und sagte:

»Das sind wir.«

»Bravo!« rief Leo, »dann gehört der Junge also uns! Ein strammer Kerl!«

»Neun Pfund!« sagte das Mädchen, das daneben stand.

»Schade!« dachte Emma in ihrem Bette, rief mit schwacher Stimme »Franz!«, nahm seine Hand und sagte: »Macht nichts! Wir sind ja noch jung!«

Franz nickte und sagte:

»Jewiß! Hauptsache, daß es ʼn ordentlicher Mensch wird.«

Leo ging triumphierend durch das ganze Haus. Der Diener stand bis zum Abend am Telephon und meldete allen Bekannten, das Günther, neun Pfund schwer, angelangt sei. Dasselbe berichteten am nächsten Morgen in Sperrschrift sämtliche Blätter.

Auch Cäcilie erholte sich nach ein paar Stunden. Sie schmunzelte, als Leo ihr sagte: Ein Junge! Und als er mit besonderer Wichtigkeit hinzufügte: Neun Pfund schwer! – strahlte sie und dachte: prima.

Daß Linkes ein Mädchen hatten, das siebeneinhalb Pfund wog, fanden sie natürlich. Sie sahen darin so etwas wie den Takt der Natur, die Distanz wahrte.

Als die beiden Mütter sich völlig erholt hatten, die beiden Neugeborenen bei Emma lagen und die ersten Züge ins Leben taten, erschien der Sanitätsrat.

Er fühlte mit Würde den Puls und stellte fest, daß der Verlauf normal sei; dann drückte er Leo die Hand, und in seinem Blick lag so etwas wie Anerkennung. Leo erfüllte es mit Stolz, und er beschloß, dem Sanitätsrat »anläßlich der Geburt seines Erstgeborenen« eine Extragratifikation zu senden.