Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik

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II. Der Historiker der Weimarer Republik

Neben seiner politischen und seiner Lehrtätigkeit machte sich Rosenberg einen Namen als Verfasser alt- wie zeithistorischer Werke. Bis 1918 war er ausschließlich als Experte für altrömische Geschichte bekannt. Neben wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Büchern schrieb er Aufsätze für Zeitschriften und Handbücher, darunter Paulys Real-Encyclopaedie der classischen Altertumswissenschaft. Als KPD-Politiker hatte er weder Zeit noch Gelegenheit zur wissenschaftlichen Arbeit. Doch publizierte er nach seiner Abwendung von der KPD in rascher Folge seine Bücher zur Entstehung der deutschen Republik und zur Geschichte des Bolschewismus. Diese zeugten von seinem Außenseiter-Status in der „Zunft“, erwiesen sich aber nach seinem Tod als wissenschaftlich haltbarer als die Arbeiten fast aller, damals etablierter Kollegen in Deutschland.

Sein zeitgeschichtliches Debüt war das 1928 erstmals bei Rowohlt erschienene Buch Die Entstehung der deutschen Republik.22 Es richtete sich nicht nur an einen eng begrenzten Kreis von Spezialisten, sondern an das gebildete Massenpublikum, nicht zuletzt an politische interessierte Arbeiter. Doch sollten die zentralen Thesen zwar nicht unmittelbar, doch in späteren Jahrzehnten die wissenschaftliche Debatte stark beeinflussen, denn Rosenberg arbeitete in diesem Buch als Erster einige der Merkmale des deutschen Kaiserreichs heraus, die heute zum Kernbestand historischer Erkenntnis zählen. Dazu gehören der konstitutionelle Dualismus von ziviler und militärischer Gewalt, die bonapartistischen Elemente des Kaiserreichs und seine halbabsolutistische Struktur, der Klassenkompromiss des Bürgertums mit dem Adel nach 1848 und besonders nach 1871, die allmähliche Integration der Sozialdemokratie in den Staat bei Festhalten an der revolutionären Rhetorik und – last but not least – die Definition der Novemberrevolution als bürgerlich-demokratisch.

Den Bonapartismus, wie Rosenberg ihn im Anschluss an Marx’ Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte verstand, kennzeichnete einen Herrscher, der dem Bürgertum die Akkumulation von Kapital und damit den wirtschaftlichen Erfolg sicherte, ihm aber die reale politische Macht vorenthielt, die in der Hand des Herrschers konzentriert blieb. So legte die von Bismarck erdachte halbabsolutistische Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 das Schicksal Deutschlands in die Hand des Kaisers. Die lange Friedensperiode und der wirtschaftliche Aufschwung schoben die darin liegenden Konflikte nur auf, ohne sie zu lösen.

Denn die staatliche Konstruktion Deutschlands schloss die Arbeiterklasse aus der Gestaltung der Politik aus. Dies galt besonders für Preußen, den wichtigsten deutschen Teilstaat, mit seinem undemokratischen Dreiklassenwahlrecht. Somit wurde die Forderung nach voller Parlamentarisierung des Reiches zur Angelegenheit der Sozialdemokratie, da alle Fraktionen des Bürgertums, schließlich sogar der preußenkritische politische Katholizismus, mit den politischen Zuständen ihren Frieden machten und sie in der erfolgreichen wirtschaftlichen Betätigung gewissermaßen einen Ersatz für ihre politische Zweitrangigkeit gegenüber dem Adel fanden. Denn dieser besetzte die Schlüsselpositionen in der Staatsverwaltung, der Diplomatie sowie beim Militär. Der wirtschaftliche Erfolg habe das deutsche Bürgertum politisch geschwächt.

So wurde der SPD-Parteivorstand mitsamt seinen Forderungen, die eigentlich auf der Aganda des Bürgertums standen, zur heimlichen Gegenregierung und August Bebel auf der Höhe seines Einflusses eine Art von Gegenkaiser. Doch hatte dies eine Kehrseite: Die SPD verstand sich immer mehr als Sachwalter sogenannter gesamtnationaler Interessen, nicht mehr der Klasseninteressen der Arbeiter. Die sozialistische Revolution, obwohl immer noch beschworen, wurde zum abstrakten Fernziel. Die alltägliche Opposition der Partei richtete sich immer mehr nur gegen die kastenmäßig abgesonderten Junker als gegen die Kapitalisten.

Den Entschluss der SPD-Führung und der Reichstagsfraktion, sofort nach Kriegsbeginn 1914 Kaiser und Reichsregierung zu unterstützen, verglich Rosenberg mit der Haltung von Marx und Engels zur Frage eines revolutionären Verteidigungskrieges 1871 gegen Napoleon III. Er relativierte diesen ohnehin unglücklichen Vergleich jedoch mit seiner Kritik an der Politik des „Burgfriedens“ der SPD. Deren Verzicht auf politische Opposition gegenüber der Regierung könne keineswegs mit marxistischen Argumenten begründet werden. Vielmehr sei die Politik des Burgfriedens eine verhängnisvolle Erneuerung des Bismarckschen Klassenkompromisses unter Kriegsbedingungen gewesen. Damit aber könne, unabhängig von der militärischen Leistung, auf die Dauer kein Krieg gegen gleichstarke Feinde geführt werden.

Weite Strecken des Buches basierten auf allgemein zugänglichen Quellen. Doch das letzte Kapitel, das die Vorgeschichte der Novemberrevolution 1918 behandelt, beruhte auch auf Rosenbergs Erfahrungen im Untersuchungsausschuss über die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Weltkrieg. So entwickelte er die Theorie von „zwei Revolutionen“ während des Krieges. Die erste sei die Errichtung der de facto militärischen Diktatur durch Hindenburg und Ludendorff im Jahre 1916 gewesen. Sie habe den Kaiser wie den Reichstag auf eine bloß symbolische Rolle reduziert. Die zweite Revolution sei der Zerfall der Obersten Heeresleitung im Oktober 1918 gewesen, wodurch die Macht auf die nichtrevolutionäre deutsche Mittelklasse übergegangen sei, die die Monarchie abschaffen wollte. Am 3. Oktober wurde Prinz Max von Baden Reichskanzler und bildete eine Regierung, in der neben dem Zentrum und der Fortschrittspartei erstmals die Sozialdemokraten vertreten waren. Die Regierung bot ihren Kriegsgegnern einen sofortigen Waffenstillstand an. Am 26. Oktober trat Ludendorff von seinem Posten zurück, zwei Tage darauf begann der Aufstand in der Hochseeflotte, die deren Auslaufen verhinderte. Ab dem 3. November griff der Aufstand von Kiel auf immer weitere Gebiete Deutschlands über. Es kam zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten. Erst die Aktionen der Räte schufen die politischen Voraussetzungen für die Entstehung der Republik. Eine Mehrheit in diesen Räten wollte die parlamentarische Demokratie mit dem Sozialismus verbinden, über dessen Inhalt jedoch die unterschiedlichsten Vorstellungen bestanden, so dass all diese Bestrebungen keinen Erfolg hatten.

Rosenbergs nächstes Buch, die Geschichte des Bolschewismus, erschien 1932. Es war die erste seriöse Untersuchung zum Thema und basierte auf seiner politischen Erfahrung als führender KPD-Politiker. Doch stellte er klar, dass er „das Buch keiner Partei oder Gruppe zu Liebe geschrieben“ und „kein Bedürfnis zu ‚Enthüllungen‘ und zu ‚Abrechnungen‘“ habe. „Wer in meinem Buch Anekdoten über Stalin und die ‚Schreckenskammern‘ der GPU sucht, wird sehr enttäuscht sein.“23 Rosenberg betonte, der Bolschewismus sei trotz seiner diktatorischen Elemente ein für Sowjetrussland fortschrittliches Gesellschaftsexperiment, hingegen könne die Politik der von Moskau abhängigen Komintern für die Arbeiterbewegung der westlichen Länder nur noch negative Folgen zeitigen.

Arthur Rosenbergs Geschichte der deutschen Republik (so der ursprüngliche Titel), die 1935 erschien, wurde eines der wichtigsten Geschichtsdokumente des deutschen Exils. Rosenberg arbeitete den Mangel an demokratischen Traditionen als Hauptursache der Niederlage der Revolution von 1918 heraus. Die Arbeiter- und Soldatenräte, die sich im November 1918 noch vor dem Rat der Volksbeauftragten spontan in ganz Deutschland bildeten, hofften auf die Verankerung einer wirklichen Massendemokratie und entscheidende Wirtschaftsreformen. Der Ruf nach dem Sozialismus sei, so Rosenberg, nicht eine Ursache, sondern eine Folge der Novemberrevolution gewesen. Was man im Einzelnen unter Sozialisierung verstehen wollte, darüber bestünden freilich die größten Meinungsverschiedenheiten. Aber jede Form einer Plan- oder Gemeinwirtschaft könne nur dann Erfolge erzielen, wenn sie die produzierenden Massen zur lebendigen Mitwirkung mobilisierte. Die gegebenen Organe für diese Mitwirkung aber seien die Räte.

Ein direkter Übergang von der bürgerlichen zur sozialistischen Demokratie sei, so Rosenberg, 1918 noch nicht möglich gewesen.24 Erst in einem langwierigen Entwicklungsprozess lasse sich die Mehrheit des deutschen werktätigen Volkes für den sozialistischen Staatsgedanken gewinnen. Nach seinem Klassenkompromiss mit dem Feudaladel im Kaiserreich aber sei das Bürgertum nicht einmal zur Absicherung der bürgerlich-demokratischen Revolution imstande. Die Arbeiterschaft müsse diese Aufgabe übernehmen. Somit stehe, wie Rosenberg unterstrich, eine demokratische Räterepublik, aber unter Ablehnung einer jeden Parteidiktatur auf der Tagesordnung. Wenn aber das Volk eine Nationalversammlung wolle, dürfe sich die radikale Linke dem nicht verweigern. Sie müsse, wie Rosa Luxemburg richtig erkannt habe, vielmehr das Parlament als Tribüne ihrer Forderungen nutzen. Doch nicht einmal innerhalb des Spartakusbundes habe Rosa Luxemburg ihren Standpunkt durchsetzen können. Dessen Mehrheit habe, in Rosenbergs Worten, mit hemmungslosem Utopismus an die besonders armen, verelendeten und verbitterten Arbeiterschichten appelliert und damit den Bürgerkrieg heraufbeschworen. Doch verkannte Rosenberg hier Ursache und Wirkung, denn es waren die politische Rechte und die militärische Gegenrevolution, die durch ihre Begünstigung von Seiten der SPD-Führung Oberwasser bekamen und den Bürgerkrieg entfesselten.

Dabei begriffen die Funktionäre der Mehrheitssozialisten nicht, wie Rosenberg mit Recht betonte, dass Räte und Bolschewismus in keiner Weise identisch waren. Die SPD-Spitzen fühlten sich von den Aktivitäten der Räte unter den Arbeitern bedroht und wünschten bestenfalls eine Art der Verbindung zwischen den Räten und der Nationalversammlung. Sie hätten sich mit begrenzten Sozialisierungsmaßnahmen zufriedengegeben, an deren Beginn die Nationalisierung der Bergwerke gestanden hätte.

 

Überraschenderweise sah Rosenberg nicht den kleinsten Anschein eines Beweises, dass die mehrheitssozialistischen Volksbeauftragten die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg gewünscht oder gebilligt hätten. Mit Recht hielt er aber fest, dass diese Bluttat entscheidend dazu beitrug, dass Millionen deutscher Arbeiter der SPD den Rücken kehrten. Mit der Ermordung von Kurt Eisner am 21. Februar 1919 durch einen fanatischen Nationalisten habe die deutsche sozialistische Arbeiterschaft den einzigen schöpferischen Staatsmann verloren, der seit dem November 1918 hervorgetreten war. Im Ergebnis des konterrevolutionären Terrors habe Mitte des Jahres 1919 die reale Macht in Deutschland bei den Freikorps und nicht bei der Nationalversammlung gelegen.

Doch nicht nur die SPD, sondern alle drei Richtungen der deutschen Arbeiterbewegung hätten in der revolutionären Nachkriegskrise versagt, denn jede von ihnen habe einmal die Führung der Linken innegehabt: die SPD in der Revolution, die USPD im Kapp-Putsch 1920 und die KPD 1923. In diesem Jahr habe die KPD alle Fehler der Sozialdemokratie von 1918 wiederholt. Sie habe, wie damals die SPD, die Mehrheit der Arbeiter hinter sich gehabt, sei indes auf die Machtübernahme überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Rosenbergs Fazit war klar: Wie schon das kaiserliche Deutschland, das die Arbeiter von jeder Mitwirkung im Staat ausgeschlossen habe, war die Weimarer Republik von Anfang an todkrank. Ihre weitere Geschichte war aus der Sicht Rosenbergs nicht zuletzt eine Krankheitsgeschichte. Diese forschen Urteile waren und blieben jedoch umstritten. Rosenbergs lebendig geschriebene politische Geschichte der ersten deutschen Republik wurde natürlich in Hitler-Deutschland totgeschwiegen, sollte indes eine Nachwirkung entfalten. Die später stark beachtete Kultur der Weimarer Republik aber fand bei Rosenberg noch nicht die angemessene Berücksichtigung.

Rosenbergs scharfe, große Linien der Beweisführung ziehende Argumentation zeigt sich auch 1938 in seiner letzten Monographie Demokratie und Sozialismus. Darin untersuchte er den Bedeutungswandel von Demokratie und demokratischer Bewegung zwischen dem 18. und dem frühen 20. Jahrhundert. Rosenberg legte dar, wie die Demokratie sich von einer revolutionären Volksbewegung zum Herrschaftsmittel der Bourgeoisie entwickelte. Wie in seinen früheren zeitgeschichtlichen Büchern betonte er mit Bezug auf Marx und Engels die Bedeutung der sozialen Konflikte und Klassenkämpfe für die moderne Geschichte. Doch während Marx und Engels eine „revolutionäre Realpolitik“ betrieben, verzichtete die Zweite Internationale vor 1914 trotz verbalen Bekenntnisses zur Revolution „auf eine volkstümliche Revolutionspolitik und ersetzte sie durch eine Berufs- und Protestpolitik der Industriearbeiter.“25 Marx und Engels konnten noch nicht erkennen, „daß es sich […] bei den sozialistischen Parteien nicht um einzelne Fehler, sondern um einen neuen Typus handelte und dass die normale Berufspartei der europäischen Arbeiter von dem revolutionären Marxismus in ihrem Wesen verschieden war.“26 Rosenberg war und blieb der marxistischen Gesellschaftsanalyse verpflichtet, sah jedoch deren Begründer nicht als unfehlbare Propheten, sondern als suchende und auch irrende Persönlichkeiten.27

III. Rezeption und Nachwirkung

Arthur Rosenbergs Arbeiten zur Zeitgeschichte wurden sofort zum Gegenstand kontroverser Diskussion und Rezeption. Als Die Entstehung der deutschen Republik 1928 herauskam, fand das Buch, wie die Rezensionen zeigten, eine unterschiedliche Aufnahme. Hans Herzfeld, damals auf deutschnationalen Positionen stehender Privatdozent in Halle, hob hervor: „Das gewandt geschriebene Buch ist unleugbar durch eine einheitlich gesehene, großzügige Gesamtauffassung zusammengehalten; von diesem Boden aus vermag der Verfasser auch ihm politisch fremde Erscheinungen ruhig und persönlich anerkennend zu würdigen, wie sein Urteil über Ludendorff beweist.“28

Hermann Wendel besprach das Buch in der sozialdemokratischen Gesellschaft enthusiastisch. Er zog Parallelen zu Franz Mehrings klassischer Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. „Auf solcher Höhe steht in der Literatur unserer Tage ziemlich einsam Arthur Rosenbergs ‚Die Entstehung der deutschen Republik‘, ein Werk aus einem Guß, treffsicher und einschlagend wie ein großkalibriges Sprenggeschoß. Nicht jeder seiner Schlüsse, nicht jedes seiner Urteile weckt Zustimmung; die Objektivität etwa gegen die durch die Revolution entthronte Herrenkaste, gegen Ludendorff und die Admirale vom Oktober 1918 geht manchmal erstaunlich weit, aber was verschlägt das neben der Tatsache, daß hier endlich wieder einmal ein überlegener, geschichtsphilosophischer Kopf die deutsche Entwicklung von 1871 bis 1918 als Einheit faßt und die logische Verknüpfung der Geschehnisse von innen heraus deutlich macht.“ Wendel spitzte Rosenbergs Argumentation noch zu, als er schrieb: „Ja, im Grunde wurde nicht erst 1890, sondern schon 1878, als das Sozialistengesetz Hunderttausende deutscher Bürger ächtete und jagte, der Stab über den preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat gebrochen. Die Linie, die von 1871 über 1878 und 1890 zu 1918 führt, ist unerbittlich gerade und ohne jeden Zufallsknick.“29

Franz Schnabel unterstützte Rosenbergs These vom „bonapartistischen Selbstherrschertum“ des Kaiserreichs. Rosenberg erkenne auch die eigentlich unpolitische, nur den Frieden suchende Haltung der Massen am Ende des Krieges.30 Alfred Meusel stimmte Rosenbergs Betonung des Klassenkompromisses zu. Dieser charakterisiere nicht nur das Bismarckreich, sondern auch die deutsche Revolution von 1918: In dieser Revolution habe die Bourgeoisie ihren Widerstand gegen alle sozialpolitischen und politisch-demokratischen Forderungen aufgegeben, um ihre Herrschaft über den Produktionsmittelapparat zu sichern. Auf dieser Basis sei ein Kompromiss zustande gekommen. Ökonomisch sei er „dadurch charakterisiert, daß die Bourgeoisie Herrin über die Produktionsmittel bleibt, daß sie diese Herrschaft aber nur durch eine Reihe von Konzessionen an die reformistische Arbeiterbewegung aufrechterhalten kann.“ Diese Konzessionen seien nicht ein für allemal fixiert; der Kampf zwischen den Klassen gehe also weiter.31 Es blieb einem KPD-Rezensenten vorbehalten, Rosenberg die „Unverfrorenheit eines Renegaten“ zu bescheinigen. Sein Buch zeuge von einem „gewissenhaft ausgeführten Auftrag der Partei, „die die deutsche Revolution verriet.“32

Ein infamer Kommentar erschien im Akademischen Beobachter, dem nationalsozialistischen Studentenblatt. Sein Verfasser, der mit „Peregrinus“ zeichnete, gab neun Jahre später, als er den Besprechungsaufsatz nachdrucken ließ, das Pseudonym preis. Inzwischen war er unter seinem richtigen Namen Walter Frank als Direktor des sogenannten Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands zu unrühmlicher Prominenz aufgestiegen.

Frank höhnte, dass sich Rosenberg nach seinem Austritt aus der KPD dem Publikum „nun sehr gesittet und zahm“ als Privatdozent vorstelle. „Der Bewerbung dieses Kandidaten um den Titel des Historikers kann freilich nicht stattgegeben werden“, entschied Frank, damals gerade promoviert. „Denn Rosenberg schreibt Geschichte nach der Doktrin seiner politischen Laufbahn: die Geschichte ist ihm eine Geschichte der Klassenkämpfe.“ Zwar bringe er für Ludendorff einen „immerhin bemerkenswerten Respekt“ auf, doch gelange „Rosenbergs jüdischer Nationalismus zu keinem, auch nur leisen Verstehen der treibenden Kräfte des Bismarckschen Staates.“ Das Buch sei „ein starker Beweis für die ewige Fremdheit des jüdischen Empfindens gegenüber dem deutschen.“ Der „jüdische Geist“, der sich in Marx‘ Lehre vom Klassenkampf verkörpere, wolle „in seiner grauenvollen nomadischen Dürre das ganze unendlich vielfältige, wogende und ringende Leben unter einen einzigen Blickpunkt beugen“ und alle anderen Realitäten „mit kalter Faust abwürgen.“ Für „die gewaltige Realität jener Kräfte des Un- und Unterbewußten, des Instinktes und der Seele“ sei „im Denken des Marxismus und des Judentums kein Raum.“33

Auch die Geschichte der deutschen Republik erregte die Aufmerksamkeit des Nazi-Regimes, das ihm und seiner Familie nach Erscheinen des Werkes deshalb die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannte.34 Am 15. November 1935 leitete die Preußische Geheime Staatspolizei das Verfahren in die Wege. Zur „Begründung“ wurde angegeben, Rosenberg habe sich „als Verfasser des Buches ‚Geschichte der deutschen Republik‘ und nicht zuletzt als Mitarbeiter des ‚Pariser Tageblattes‘ […] einer schweren Verletzung der ihm gegenüber Reich und Volk obliegenden Treuepflicht schuldig gemacht.“ Das antifaschistische Publikationsorgan hatte einen Ausschnitt aus Rosenbergs Buch abgedruckt.35

„Das ‚Werk‘ stellt eine Verherrlichung des Marxismus und des Kommunismus dar“, hieß es weiter. „Von Marx und Engels spricht R. als den großen Revolutionären der Vergangenheit. Die Tätigkeit und die Ideen einer Frau Rosa Luxemburg, die R. als eine geniale Frau und den besten theoretischen Kopf der deutschen Arbeiterbewegung bezeichnet, eines Karl Liebknecht und eines Eisner, den R. den einzigen schöpferischen Staatsmann seit November 1918 nennt, finden die besondere Anerkennung des Verfassers. Dem Wirken dieser Personen ist ein breiter Raum in der ‚Geschichte der deutschen Republik‘ gewidmet.“

„Wenn auch im ganzen gesehen das Buch des R. sich nicht in offener Form gegen den Nationalsozialismus richtet“, hieß es weiter, „so liegt die Gefährlichkeit dieses Buches gerade darin, daß dem Leser unter der Maske einer objektiven Geschichtsbetrachtung marxistische und kommunistische Gedankengänge vermittelt und die Wege aufgezeigt werden, die nach der Ansicht des Verfassers zum Siege dieser Ideen geführt hätten. In der Hand von staatsfeindlichen Personen bedeutet dieses Buch und die darin gegebenen Anregungen ein nicht zu unterschätzendes Kampfmittel gegen die Bewegung und den Staat.“36

Nachdem der deutsche Konsul in Liverpool in einem Bericht an das Auswärtige Amt festhielt, Rosenberg mache selbst „keinen Hehl daraus, daß er Kommunist ist“,37 wurde ihm und seiner Familie am 1. Februar 1937 die Staatsbürgerschaft aberkannt.38 In seinem Antwortbrief an die deutsche Botschaft in London schrieb Rosenberg: „Soweit Sie imstande sind, mir die Deutsche Staatsangehörigkeit abzusprechen, möchte ich Sie bitten, damit dies in meiner Familie einheitlich geschieht, auch meinem jüngsten, in England geborenen Sohn die Staatsangehörigkeit abzusprechen!“39 Dies geschah, und dem 15 Monate alten Peter Michael Rosenberg wurde am 17. Januar 1938 auf einer Liste bislang „übersehener“ Angehöriger bereits Ausgebürgerter die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Arthur Rosenbergs Bücher wurden in die erste Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums vom 31. Dezember 1938 aufgenommen.40

Die Geschichte der deutschen Republik fand naturgemäß erst nach dem Ende des Nazi-Regimes in Deutschland seine Leserschaft. Hingegen schlugen sich in William Halperins Buch über die Weimarer Republik von 1946 einige Gedanken Rosenbergs nieder. Der in Chicago lehrende Historiker schrieb, dass die Revolution die vor ihr stehenden demokratischen Aufgaben nicht erfüllen konnte, da die Macht des Industriekapitals und der Junkerklasse letztlich unangetastet blieb. Stärker als Rosenberg machte Halperin dafür auch die Alliierten verantwortlich: Sie hätten Deutschland besetzen und sofort nach dem Aufkommen der Dolchstoßlegende die dafür Verantwortlichen politisch ausschalten sollen. Das Bündnis der SPD-Spitze mit der fast entmachteten Militärführung stellte bereits die Weichen in Richtung auf eine revisionistische Politik, die auf einen erneuten Anlauf Deutschlands zielte, sich zum Herren Europas aufzuschwingen. Psychologisch waren die Sozialdemokraten, so Halperin, auf die Revolution in keiner Weise vorbereitet. Ihre Führung sei von Anfang an darauf bedacht gewesen, sie zu „verraten“.41

Die Volksbewaffnung, und dies hieß: die Bewaffnung der Arbeiterklasse, blieb für Rosenberg ein ungelöstes Problem der Revolution. Eine wirkliche Revolution hätte im Stil des Konvents der Französischen Revolution die Revolutionäre zu den Waffen rufen müssen, um die Macht der Armee zu brechen. Peter von Oertzen, der Rosenbergs Argumenten prinzipiell folgte, erinnerte jedoch an „organisatorische oder militärtechnische Probleme“ beim Aufbau einer Volksmiliz, die Rosenberg „mit einer Handbewegung“ beiseite gewischt habe.42 Eine Volksmiliz hätte den Rücktransport der ungeheuren Truppenmassen von den Fronten nicht organisieren können, wie es General Groener als leitender Kopf des Generalstabs getan hatte. Mit diesem Beweis seiner Fähigkeiten, für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen, habe sich Groener Friedrich Ebert geradezu anempfohlen, so von Oertzen.43 Dem kann mit Rosenberg entgegnet werden, dass der Rat der Volksbeauftragten auch keine zureichenden Anstrengungen unternahm, aus den Reihen der Arbeiterparteien qualifizierte Kräfte zum Aufbau eines neuen Verwaltungsapparates zu gewinnen. Dies hätte durchaus Experten des alten Heeres einschließen können. Eine Arbeitermiliz, die das deutsche Militärpotential abbauen würde, hätte den Armeen der siegreichen Alliierten keine Gelegenheit zum Einmarsch nach Deutschland geboten.

 

Doch stellte Rosenberg nicht die Frage, auf wen sich die Arbeitermiliz hätte stützen können. Am 12. Dezember 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten ein Gesetz zur Bildung einer freiwilligen Volkswehr erlassen. Heraus kam jedoch nur eine sehr kleine Truppe, das „Regiment Reichstag“, das hauptsächlich aus sozialdemokratischen und gewerkschaftlich organisierten Unteroffizieren bestand. Die große Mehrheit der Soldaten und Matrosen hatte, wie Rosenberg richtig erkannte, den revolutionären Umsturz aus tiefer Friedenssehnsucht heraus geführt. Vor der Konsequenz, dass sie folglich kaum bereit waren, bei den Waffen zu bleiben, und sei dies auch im Namen der neuen Ordnung, scheute er zurück. Christian Graf von Krockow hielt mit Recht fest, dass gerade die mit der Sozialdemokratie verbundenen Frontsoldaten und Matrosen zu jenem Teil der Mannschaften gehörten, der in das bürgerliche Leben und zur Familie zurückkehren wollte, während sich die entwurzelten Desperados, die es im Zivilleben zu nichts gebracht hatten, mit um so grimmigerer Entschlossenheit bei den Freikorps und ähnlichen Verbänden sammelten. Sie, zu denen ein gewisser Adolf Hitler gehörte, hatten in der „Frontkameradschaft“ als Ergänzung zum blutigen Kriegshandwerk den Halt gefunden, den ihnen eine bürgerliche Gesellschaft oder gar die Arbeiterbewegung nicht geben konnte.44 Doch auch wer Sebastian Haffners pointierte These vom „Verrat“ der Revolution durch die SPD-Führung nicht teilt, wird mit Rosenberg festhalten müssen, dass das Bündnis zwischen sozialdemokratischer Regierung und antisozialistischer Militärführung eine Hypothek für die neue Republik darstellte, die sie nie zu tilgen vermochte.45

Deutsche Exilanten wie Franz Borkenau, Ossip Flechtheim und Werner Angress zogen das Buch intensiv für ihre eigenen Werke zur Geschichte des Kommunismus zu Rate.46 Doch bezweifelten sie, wie schon der Zeitgenosse August Thalheimer, Rosenbergs These, wonach 1923 die revolutionär gesinnten Arbeiter wie große Teile der Mittelschichten die Politik der KPD unterstützten. Die zeitweilige Sympathie von Teilen der Mittelschichten für die KPD habe nicht bedeutet, dass sie zu kämpfen bereit waren. Die Arbeiterparteien, auch die radikale Linke, habe in den Jahren zuvor so schwere Niederlagen erlitten, dass die Mittelklasse nicht auf sie setzen wollte. Während ein Teil der Arbeiter sich im Sommer 1923 politisch radikalisierte, zog sich ein anderer Teil ganz vom politischen Leben zurück.47

Unter Berufung auf Rosenberg widersprachen aber Eberhard Kolb und Peter von Oertzen der noch 1955 von Karl-Dietrich Erdmann und Karl Dietrich Bracher geäußerten These, wonach die Novemberrevolution entweder zur parlamentarischen Demokratie oder zur Diktatur nach russischem Vorbild geführt hätte. Sie zeigten im Anschluss an Rosenberg, dass die gemäßigt-sozialistische Arbeiterschaft die Chance besaß, zum eigentlichen Träger der Revolution zu werden, und dass in den Räten keineswegs die utopischen Vorstellungen der radikalen Linken mehrheitsfähig waren.48 Adelheid von Saldern merkte zu Recht an, dass Rosenberg einerseits „die Gegenstrategien der alten politischen Eliten“ unterschätzt, andererseits wohl die Sympathien der Mittelschichten für die Ziele der Arbeiterbewegung überschätzt habe.49 Das Kräftepotenzial der äußersten Linken sei 1918 objektiv wesentlich geringer gewesen, als es den Zeitgenossen erschien, schrieben schließlich auch Dieter Engelmann und Jakow Drabkin, zwei der wichtigsten Forscher zur Rätedemokratie in der DDR wie der Sowjetunion.50 Sie wandten sich damit implizit gegen Rosenbergs Brandmarkung als „Renegaten“ der Linken und „Feind der revolutionären Arbeiterbewegung“, wie sie DDR-Historiker bisher vorgenommen hatten.51 Doch während Gerd Voigt 1986 in Ost-Berlin Rosenberg endlich als einen „Sozialisten“ würdigen konnte, gelang dies Drabkin erst 1990 in Moskau.52

Mit Blick auf die Zerschlagung der Republik betonte Rosenberg den Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus. Bis 1931 habe nur ein kleinerer Teil der Großkapitalisten den Weg zu Hitler und Hugenberg gesucht, der andere, zunächst noch größere Teil zog die volkskonservative Bewegung um Gottfried Treviranus vor, die Reichskanzler Brünings Suche nach einem autoritären Weg aus der Krise unterstützte. Dies gab Brüning die notwendige Rückendeckung, um unter Missbrauch des Artikels 48 der Verfassung, der Notverordnungen im Fall gewaltsamer Konflikte vorsah, eine Diktatur zu errichten; Rosenberg benutzte den Begriff, ohne ihn zu erläutern. Am 18. Oktober 1930 beschloss eine Reichstagsmehrheit unter Einschluss der SPD, die Notverordnungen der Reichsregierung zur Haushaltssicherung nicht im Plenum zu diskutieren, sondern in die Ausschüsse zu überweisen. Mehrere von den Rechtsparteien und der KPD eingebrachte Misstrauensanträge blieben erfolglos. Damit habe die Reichstagsmehrheit den Kampf gegen die verfassungswidrige Diktatur eingestellt. Für Rosenberg war dies bereits die Todesstunde der Weimarer Republik. Seitdem habe in Deutschland eine Diktaturregierung die andere abgelöst. Die bürgerliche Republik sei 1930 zugrunde gegangen, weil ihr Schicksal den Händen des Bürgertums anvertraut war und weil die gespaltene Arbeiterbewegung nicht mehr stark genug war, um die Republik zu retten.

Fast zwei Jahre nach Errichtung der Nazidiktatur weigerte sich Rosenberg zu sehen, dass diese „etwas prinzipiell Neues darstellte, dass die halbdiktatorischen Methoden Brünings ihn weder zu einem Diktator noch zu einem Faschisten machten. In Wahrheit war Deutschland in den Jahren 1930 bis 1932 kein totalitär regiertes Land, sondern erlebte drei (einschließlich der Reichspräsidentenwahl fünf) allgemeine Wahlen mit völlig freier Propaganda aller politischen Parteien, in denen sogar die KPD beachtliche Erfolge erzielen konnte.“53 Der Kritik von Francis Carsten ist nichts hinzuzufügen. Doch noch 1936 schrieb Rosenberg in seinem Epilog zur englischen Ausgabe des Buches bündig von den Diktaturen Brünings, Papens, Schleichers und Hitlers, ohne den Bruch des 30. Januar 1933 hervorzuheben, der auch das Leben Rosenbergs, seiner Familie und Millionen anderer Menschen völlig veränderte. Über die genauen Gründe, warum er diesen existenziellen Bruch so herunterspielte, lässt sich aber nur spekulieren. Lagen sie vielleicht auch darin, dass Rosenberg den deutschen Faschismus einseitig als Agenten des Monopolkapitals ansah, die kleinbürgerliche Massenbasis der nationalsozialistischen Bewegung hingegen zu gering veranschlagte?