Die Rückkehr des Sherlock Holmes

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Nun, nach diesem Fiasko ging ich in das Schlafzimmer und stellte auch dort meine Untersuchungen an. Es waren nur sehr wenige Blutflecken da, bloß kleine Spritzer und Verfärbungen, aber unzweifelhaft frisch. Den Stock hatte man entfernt, doch auch darauf waren nur geringe Spuren. Der Stock gehörte unstreitig unserem Klienten. Das gibt er zu. Auf dem Teppich konnten Fußspuren der beiden Männer ermittelt werden, aber keine von irgendeinem Dritten – wieder ein Stich für die andere Seite: Die erhöhten ständig ihre Punktzahl, und wir gingen leer aus.

Nur einmal leuchtete mir ein kleiner Hoffnungsschimmer – und doch kam nichts dabei heraus. Ich untersuchte den Inhalt des Safes, von dem das meiste herausgenommen und auf dem Tisch liegengelassen worden war. Die Papiere waren in versiegelte Umschläge gesteckt worden, von denen die Polizei einen oder zwei geöffnet hatte. Soweit ich es beurteilen konnte, waren sie nicht von allzu großem Wert, und auch das Kontobuch wies nicht darauf hin, daß Mr. Oldacre in sonderlich üppigen Verhältnissen gelebt hatte. Aber mir schien, daß nicht alle Papiere da waren. Es gab Hinweise auf einige – vermutlich wertvollere – Urkunden, die ich nirgends finden konnte. Wenn wir dies eindeutig beweisen könnten, ließe sich natürlich Lestrades Argument gegen ihn selbst verwenden; denn wer würde etwas stehlen, wenn er wüßte, daß er es in Kürze erben wird?

Nachdem ich jeden einzelnen Umschlag beschnüffelt und keine Witterung hatte aufnehmen können, versuchte ich schließlich mein Glück bei der Haushälterin. Sie heißt Mrs. Lexington, eine kleine, dunkle, schweigsame Person mit argwöhnischem und verstohlenem Blick. Wenn sie wollte, könnte sie uns etwas sagen – davon bin ich überzeugt. Aber sie hielt dicht. Ja, sie habe Mr. McFarlane um halb zehn eingelassen. Lieber hätte ihr die Hand verdorren sollen, ehe sie dies hätte tun sollen. Sie sei um halb elf zu Bett gegangen. Ihr Zimmer befinde sich auf der anderen Seite des Hauses, und sie habe von den Geschehnissen nichts hören können. Mr. McFarlane habe seinen Hut und, nach ihrem besten Wissen, auch seinen Stock in der Vorhalle gelassen. Sie sei erst von dem Feueralarm geweckt worden. Gewiß sei ihr armer, lieber Herr ermordet worden. Ob er Feinde gehabt habe? Nun, jedermann habe Feinde, aber Mr. Oldacre habe sehr zurückgezogen gelebt und nur geschäftlich mit anderen Leuten verkehrt. Sie habe die Knöpfe gesehen, und sie sei sicher, daß sie zu den Kleidern gehörten, die er letzte Nacht getragen habe. Der Holzstapel sei sehr trocken gewesen, da es seit einem Monat nicht mehr geregnet habe. Er habe gebrannt wie Zunder, und zu der Zeit, da sie dorthin gekommen sei, sei nichts anderes als Flammen zu sehen gewesen. Sie und sämtliche Feuerwehrleute hätten den Geruch brennenden Fleisches von dort wahrgenommen. Von den Papieren wisse sie ebensowenig etwas wie von Mr. Oldacres Privatangelegenheiten.

So, mein lieber Watson, da haben Sie meinen Bericht eines Fehlschlags. Und doch – und doch« – er ballte seine hageren Hände in einem Anfall von Selbstgewißheit – »weiß ich, die Sache stimmt vorn und hinten nicht. Ich spüre es in meinen Knochen. Irgend etwas ist noch nicht zur Sprache gekommen, und diese Haushälterin weiß es. In ihren Augen lag eine Art von schmollendem Trotz, der nur mit Schuldbewußtsein zu vereinbaren ist. Es hat jedoch keinen Sinn, noch länger darüber zu reden, Watson; aber falls uns nicht ein glücklicher Zufall weiterhilft, fürchte ich, wird der Fall des verschwundenen Baumeisters von Norwood nicht in jener Chronik unserer Erfolge vertreten sein, die, wie ich vorausahne, ein geduldiges Publikum früher oder später zu ertragen haben wird.«

»Wird nicht«, sagte ich, »die äußere Erscheinung unseres jungen Mannes bei jeder Jury viel bewirken?«

»Dies ist ein gefährliches Argument, mein lieber Watson. Erinnern Sie sich an den schrecklichen Mörder Bert Stevens, den wir 87 herausschlagen sollten? Hat es jemals einen schlichteren, sonntagsschulhafteren jungen Mann gegeben als ihn?«

»Sie haben recht.«

»Falls es uns nicht gelingt, eine andere Theorie zu begründen, ist dieser Mann verloren. Der Fall weist praktisch keinen Makel auf, der sich jetzt dagegen vorbringen ließe, und alle weiteren Ermittlungen haben nur dazu gedient, ihn zu bekräftigen. Übrigens gibt es da bei diesen Papieren eine kleine Merkwürdigkeit, die uns als Ausgangspunkt für eine Untersuchung dienen könnte. Als ich das Kontobuch durchsah, fiel mir auf, daß der niedrige Kontostand hauptsächlich auf hohen Schecks beruhte, die im Lauf des letzten Jahres an einen Mr. Cornelius ausgestellt wurden. Ich gestehe, es würde mich schon interessieren, wer dieser Mr. Cornelius sein mag, mit dem ein Baumeister im Ruhestand dermaßen beträchtliche Transaktionen durchführt. Ist es möglich, daß er bei der Sache seine Hand im Spiel gehabt hat? Cornelius könnte ein Makler sein, aber wir haben keine Wechsel gefunden, die solch hohen Zahlungen entsprechen würden. Mangels jeden anderen Hinweises muß ich meine Forschungen jetzt auf eine Erkundigung bei der Bank nach jenem Gentleman richten, der diese Schecks eingelöst hat. Doch ich fürchte, mein Lieber, unser Fall wird wenig ruhmreich damit enden, daß Lestrade unseren Klienten hängen läßt, was Scotland Yard gewiß zum Triumph gereichen wird.«

Ich weiß nicht, ob Sherlock Holmes in dieser Nacht überhaupt geschlafen hat, doch als ich zum Frühstück hinunterkam, fand ich ihn bleich und abgespannt, und seine hellen Augen wirkten durch die schwarzen Schatten um sie her noch heller. Der Teppich um seinen Sessel war mit Zigarettenstummeln und den Frühausgaben der Morgenzeitungen übersät. Auf dem Tisch lag ein offenes Telegramm.

»Was halten Sie davon, Watson?« fragte er und warf es mir hin.

Es kam aus Norwood und lautete:

Wichtige neue Beweise gefunden. McFarlanes Schuld eindeutig erwiesen. Rate Ihnen, Fall aufzugeben.

LESTRADE.

»Klingt bedenklich«, sagte ich.

»Es ist Lestrades mickriges Sieges-Kikeriki«, erwiderte Holmes mit bitterem Lächeln. »Und doch könnte es verfrüht sein, den Fall aufzugeben. Schließlich sind wichtige neue Beweise etwas Zweischneidiges: Sie könnten in eine ganz andere Richtung ausschlagen, als Lestrade sich vorstellt. Frühstücken Sie, Watson, und dann gehen wir gemeinsam los und sehen zu, was wir tun können. Ich habe das Gefühl, ich werde Ihre Begleitung und moralische Unterstützung heute nötig haben.«

Mein Freund frühstückte nicht; es war nämlich eine seiner Eigenarten, daß er sich in seinen gespannteren Momenten keinerlei Nahrung gestattete, und ich habe es erlebt, wie er seine eiserne Kraft so lange mißbrauchte, bis er vor schierer Auszehrung zusammenbrach. »Gegenwärtig kann ich für die Verdauung weder Energie noch Nervenkraft erübrigen«, pflegte er in solchen Fällen auf meine medizinischen Einwände zu antworten. Es überraschte mich daher nicht, als er diesen Morgen sein Mahl unberührt hinter sich ließ und mit mir nach Norwood aufbrach. Ein Haufen morbider Gaffer stand noch immer um Deep Dene House versammelt, das genau die vorstädtische Villa darstellte, die ich mir ausgemalt hatte. Im Tor begrüßte uns Lestrade, sein Gesicht von Siegesfreude gerötet, sein Gehabe mächtig triumphierend.

»Nun, Mr. Holmes, haben Sie uns schon einen Fehler nachgewiesen? Haben Sie Ihren Landstreicher gefunden?« rief er.

»Ich habe noch keinerlei Schlüsse gezogen«, erwiderte mein Gefährte.

»Wir haben aber die unseren bereits gestern gezogen, und heute stellen sie sich als richtig heraus; Sie müssen daher eingestehen, daß wir Ihnen diesmal ein wenig voraus waren, Mr. Holmes.«

»Sie gebärden sich freilich, als sei etwas Außergewöhnliches geschehen«, sagte Holmes.

Lestrade lachte lärmend.

»Sie mögen es genausowenig wie wir anderen auch, sich geschlagen geben zu müssen«, sagte er. »Ein Mann kann nicht erwarten, daß immer alles nach seinen Wünschen verläuft – oder, Dr. Watson? Kommen Sie hier lang, wenn ich bitten darf, Gentlemen, und ich denke, ich kann Sie ein für allemal davon überzeugen, daß John McFarlane dieses Verbrechen begangen hat.«

Er führte uns durch den Flur in eine dunkle Vorhalle.

»Hier muß der junge McFarlane herausgekommen sein, um nach der Tat seinen Hut zu holen«, sagte er. »Nun sehen Sie her.« Mit dramatischer Plötzlichkeit entzündete er ein Streichholz und beleuchtete damit einen Blutfleck an der weißgetünchten Wand. Als er das Streichholz näher daran hielt, sah ich, daß es mehr als ein Fleck war. Es war der deutlich erkennbare Abdruck eines Daumens.

»Betrachten Sie dies mit Ihrem Vergrößerungsglas, Mr. Holmes.«

»Ja, das tue ich.«

»Ihnen ist bekannt, daß keine zwei Daumenabdrücke sich gleich sind?«

»Etwas dergleichen ist mir zu Ohren gekommen.«

»Nun, würden Sie dann bitte diesen Abdruck mit diesem Wachsabdruck vergleichen, der auf meine Weisung heute morgen von McFarlanes rechtem Daumen genommen wurde?«

Als er den Wachsabdruck dicht neben den Blutfleck hielt, brauchte man kein Vergrößerungsglas, um zu sehen, daß beide unzweifelhaft von demselben Daumen stammten. Für mich war erwiesen, daß unser unglücklicher Klient verloren war.

»Das ist endgültig«, sagte Lestrade.

»Ja, das ist endgültig«, echote ich unwillkürlich.

»Es ist endgültig«, sagte Holmes.

Etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen, und ich wandte mich zu ihm um. Auf seinem Gesicht war eine außerordentliche Veränderung eingetreten. Es krümmte sich vor innerer Fröhlichkeit.

Seine Augen strahlten wie zwei Sterne. Mir schien, er mühte sich verzweifelt, einen Lachkrampf zu unterdrücken.

»Du liebe Zeit! Du liebe Zeit!« sagte er endlich. »Tja, nun, wer hätte das gedacht? Und wie trügerisch die äußere Erscheinung sein kann, wahrhaftig! Wie nett der junge Mann anzusehen war! Dies soll uns eine Lehre sein, unserem eigenen Urteil nicht zu trauen – nicht wahr, Lestrade?«

 

»Jawohl, manche von uns neigen ein wenig dazu, ihrer Sache allzu sicher zu sein, Mr. Holmes«, sagte Lestrade. Die Frechheit dieses Mannes war unerträglich, obwohl wir sie ihm nicht verübeln konnten.

»Welch glückliche Fügung, daß dieser junge Mann seinen rechten Daumen an die Wand drückte, als er seinen Hut vom Haken nahm! Freilich auch etwas sehr Natürliches, wenn man darüber nachdenkt.« Holmes war nach außen hin ruhig, aber sein ganzer Körper wand sich in unterdrückter Erregung, als er sprach. »Übrigens, Lestrade, wer hat diese bemerkenswerte Entdeckung gemacht?«

»Die Haushälterin, Mrs. Lexington, lenkte die Aufmerksamkeit des Polizisten darauf, der hier Nachtwache hielt.«

»Wo hielt sich dieser Polizist auf?«

»Er hielt Wache in dem Schlafzimmer, wo das Verbrechen begangen wurde, damit dort nichts angerührt werde.«

»Aber warum hat die Polizei diesen Abdruck nicht schon gestern gesehen?«

»Nun, wir hatten keinen besonderen Grund, die Vorhalle sorgfältig zu untersuchen. Außerdem fällt die Stelle ja kaum auf, wie Sie sehen.«

»Nein, nein, natürlich nicht. Ich nehme an, es besteht kein Zweifel, daß der Abdruck bereits gestern da war?«

Lestrade sah Holmes an, als glaubte er, er hätte den Verstand verloren. Ich muß gestehen, daß ich selbst von seiner Heiterkeit und seiner ziemlich kühnen Bemerkung überrascht war.

»Ich weiß nicht, ob Sie denken, McFarlane sei mitten in der Nacht aus dem Gefängnis hierher gekommen, um die Beweise gegen sich zu verstärken«, sagte Lestrade. »Ich überlasse es jedem Fachmann von der Welt, festzustellen, ob dieser Daumenabdruck von McFarlane stammt oder nicht.«

»Es ist unstreitig sein Daumenabdruck.«

»Na bitte, das genügt doch«, sagte Lestrade. »Ich bin Praktiker, Mr. Holmes, und wenn ich meine Beweise habe, komme ich zu meinen Schlüssen. Falls Sie noch etwas zu sagen haben: Sie finden mich im Wohnzimmer, wo ich jetzt meinen Bericht abfassen werde.«

Holmes hatte seine Fassung wiedergewonnen, obwohl ich in seiner Miene noch immer einen Schimmer von Belustigung wahrzunehmen glaubte.

»Meine Güte, Watson, welch überaus traurige Entwicklung, nicht wahr?« sagte er. »Und doch ist daran einiges Merkwürdige, das zu Hoffnungen für unseren Klienten Anlaß gibt.«

»Das freut mich zu hören«, sagte ich von Herzen. »Ich fürchtete schon, es sei gänzlich vorbei mit ihm.«

»So weit würde ich nun kaum gehen, mein lieber Watson. Tatsache ist, daß diesem Beweisstück, dem unser Freund soviel Bedeutung beimißt, ein einziger wirklich ernster Mangel anhaftet.«

»Tatsächlich, Holmes? Welcher denn?«

»Nur dies – daß ich weiß, daß dieser Abdruck nicht da war, als ich den Raum gestern untersucht habe. Und nun, Watson, wollen wir ein bißchen im Sonnenschein Spazierengehen.«

Verwirrten Sinnes, doch mit einem Herzen, in das erwärmend ein wenig Hoffnung zurückströmte, begleitete ich meinen Freund auf einen Rundgang durch den Garten. Holmes besah sich das Haus eingehend von allen Seiten und untersuchte es mit großem Interesse. Dann begab er sich hinein und ging vom Keller bis zum Dachboden durch das ganze Haus. Die meisten Zimmer waren unmöbliert, gleichwohl aber inspizierte Holmes sie alle aufs genaueste. Im oberen Korridor, an dem drei unbewohnte Schlafzimmer lagen, wurde er schließlich wieder von einem Heiterkeitsausbruch gepackt.

»Dieser Fall weist wirklich ein paar sehr einzigartige Züge auf, Watson«, sagte er. »Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, daß wir unseren Freund Lestrade ins Vertrauen ziehen. Er hat sein kleines Lächeln auf unsere Kosten gehabt, und vielleicht können wir es ihm heimzahlen, falls meine Version des Falles sich als richtig erweisen sollte. Ja, ja; ich glaube, ich sehe, wie wir die Sache angehen müssen.«

Der Scotland Yard-Inspektor war noch immer im Salon mit Schreiben beschäftigt, als Holmes ihn unterbrach.

»Wenn ich nicht irre, verfassen Sie gerade Ihren Bericht über diesen Fall?« fragte er.

»Allerdings.«

»Halten Sie dies vielleicht nicht für ein wenig verfrüht? Ich kann mir nicht helfen, aber ich denke, Ihr Beweismaterial ist unvollständig.«

Lestrade kannte meinen Freund zu gut, um seinen Worten keine Beachtung zu schenken. Er legte seine Feder ab und sah ihn neugierig an.

»Was wollen Sie damit sagen, Mr. Holmes?«

»Nichts weiter, als daß es einen wichtigen Zeugen gibt, den Sie noch nicht gesehen haben.«

»Können Sie ihn beibringen?«

»Ich denke schon.«

»Dann tun Sie das.«

»Ich werde mein Bestes tun. Wie viele Beamte haben Sie hier?«

»Drei in Rufweite.«

»Ausgezeichnet!« sagte Holmes. »Darf ich fragen, ob sie alle groß und stark sind und über kräftige Stimmen verfügen?«

»Ich zweifle nicht daran, wenn ich auch nicht wüßte, was ihre Stimmen damit zu haben könnten.«

»Vielleicht kann ich Ihnen helfen, dies einzusehen, wie auch einige weitere Dinge«, sagte Holmes. »Seien Sie so gut und rufen Sie Ihre Männer zusammen, dann werd ich's versuchen.«

Fünf Minuten später waren die drei Polizisten in der Vorhalle versammelt.

»Im Hintergebäude werden Sie eine beträchtliche Menge Stroh finden«, sagte Holmes. »Ich möchte Sie bitten, zwei Ballen davon hierherzubringen. Ich denke, dies wird uns am meisten dabei helfen, den von mir gesuchten Zeugen hervorzulocken. Recht vielen Dank. Ich nehme an, Sie haben ein paar Streichhölzer in der Tasche, Watson. Nun, Mr. Lestrade, möchte ich Sie alle bitten, mir in die obere Etage zu folgen.«

Wie schon gesagt, befand sich dort ein breiter Flur, an dem drei leere Schlafräume lagen. Sherlock Holmes ließ uns alle an einem Ende des Flurs antreten; die Polizisten grinsten, und Lestrade starrte meinen Freund mit einem Gesicht an, über das Verwunderung, Erwartung und Spott einander jagten. Holmes stand vor uns mit der Miene eines Zauberkünstlers, der einen Trick vorführen will.

»Würden Sie freundlicherweise einen Ihrer Beamten zwei Eimer Wasser holen lassen? Legen Sie das Stroh hier auf den Boden, aber so, daß es an keiner Seite die Wand berührt. Nun dürften wir wohl alle bereit sein.«

Lestrades Gesicht war allmählich rot und wütend geworden.

»Ich weiß nicht, ob Sie uns zum Narren halten wollen, Mr. Sherlock Holmes«, sagte er. »Wenn Sie etwas wissen, können Sie es uns auch ohne diese Possen sagen.«

»Ich versichere Ihnen, mein guter Lestrade, ich habe für alles, was ich tue, einen triftigen Grund. Sie erinnern sich vielleicht, daß Sie mich vor ein paar Stunden, als die Sonne auf Ihrer Seite der Hecke zu stehen schien, ein wenig aufgezogen haben, und Sie dürfen mir daher mein bißchen Pomp und Feierlichkeit jetzt nicht mißgönnen. Darf ich Sie bitten, Watson, dieses Fenster zu öffnen und dann ein Streichholz an den Rand des Strohs zu halten?«

Nachdem ich dies getan, wirbelte, vom Luftzug angezogen, eine graue Rauchfahne durch den Korridor, indes das trockene Stroh knisterte und züngelte.

»Nun wollen wir sehen, ob wir diesen Zeugen für Sie auftreiben können, Lestrade. Dürfte ich Sie alle bitten, mit mir in den Ruf ›Feuer!‹ einzustimmen? Nun denn: eins, zwei, drei –«

»Feuer!« schrien wir im Chor.

»Ich danke Ihnen. Darf ich Sie noch einmal bemühen?«

»Feuer!«

»Nur noch einmal, Gentlemen; und alle zusammen.«

»Feuer!« Der Schrei muß in ganz Norwood zu hören gewesen sein.

Kaum war er verklungen, geschah etwas Erstaunliches. Plötzlich flog in der scheinbar massiven Mauer am Ende des Flurs eine Tür auf, und ein kleiner verhutzelter Mann kam wie ein Kaninchen aus seinem Bau daraus hervorgeschossen.

»Großartig!« sagte Holmes ruhig. »Watson, einen Eimer Wasser über das Stroh. Das reicht! Lestrade, gestatten Sie mir, Ihnen den wichtigsten fehlenden Zeugen vorzustellen: Mr. Jonas Oldacre.«

Der Inspektor begaffte den Neuankömmling in fassungsloser Verblüffung. Letzterer blinzelte im hellen Licht des Korridors und starrte erst uns, dann das schwelende Feuer an. Er hatte ein abstoßendes Gesicht – verschlagen, boshaft, hämisch, mit verstohlenen hellgrauen Augen und weißen Wimpern.

»Was soll denn das?« sagte Lestrade schließlich. »Was hatten Sie denn dort die ganze Zeit zu suchen, he?«

Oldacre lachte beklommen und wich vor dem zornesroten Gesicht des wütenden Inspektors zurück.

»Ich habe nichts Böses getan.«

»Nichts Böses? Sie haben Ihr Bestes getan, einen unschuldigen Mann an den Galgen zu bringen. Ohne diesen Gentleman hier wäre es Ihnen womöglich sogar gelungen.«

Der Elende begann zu winseln.

»Aber Sir, ich wollte doch bloß einen Streich spielen.«

»Oho! Einen Streich, ja? Sie werden die Lacher nicht auf Ihrer Seite finden, das verspreche ich Ihnen! Bringen Sie ihn hinunter und verwahren ihn im Salon, bis ich komme. Mr. Holmes«, fuhr er fort, als sie gegangen waren, »ich konnte vor den Beamten nicht sprechen, aber ich stehe nicht an, Ihnen im Beisein von Dr. Watson zu sagen, daß dies das Glorreichste ist, was Sie je vollbracht haben, obwohl es mir ein Rätsel ist, wie Sie darauf gekommen sind. Sie haben einem Unschuldigen das Leben gerettet, und Sie haben einen sehr ernsten Skandal, der meinen Ruf bei der Polizei ruiniert hätte, verhindert.«

Holmes lächelte und klopfte Lestrade auf die Schulter.

»Mein guter Sir, Sie werden finden, daß Ihr Ruf nicht ruiniert, sondern enorm gefestigt worden ist. Ändern Sie nur ein weniges an dem Bericht, den Sie bereits geschrieben haben, und man wird begreifen, wie schwer es ist, Inspektor Lestrade Sand in die Augen zu streuen.«

»Und Sie wollen nicht, daß Ihr Name darin erscheint?«

»Ganz und gar nicht. Die Mühe belohnt sich durch sich selbst. Vielleicht werde ich eines fernen Tages einmal die Ehre einheimsen, wenn ich meinem eifrigen Historiographen gestatte, wieder sein Kanzleipapier auszubreiten – was, Watson? Tja, nun wollen wir uns doch einmal anschauen, wo diese Ratte gelauert hat.«

Sechs Fuß von der Außenmauer war quer durch den Flur eine vergipste Holzwand gezogen, in der geschickt eine Tür verborgen war. Der Verschlag bekam durch einige Ritzen im Dach Licht. Es befanden sich ein paar Möbelstücke darin und ein Vorrat an Lebensmitteln und Wasser sowie eine Anzahl Bücher und Zeitungen.

»Das ist der Vorteil, wenn man Baumeister ist«, sagte Holmes, als wir wieder hinaustraten. »Er konnte sich sein kleines Versteck ohne jeden Mitwisser einrichten – abgesehen natürlich von jener teuren Haushälterin, die ich anrate, unverzüglich Ihrer Beute hinzuzufügen, Lestrade.«

»Ich werde Ihren Rat befolgen. Aber woher wußten Sie von diesem Versteck, Mr. Holmes?«

»Ich kam zu der Überzeugung, daß der Bursche sich im Haus verborgen hielt. Nachdem ich einen Flur abgeschritten hatte und ihn sechs Fuß kürzer als den entsprechenden darunterliegenden gefunden hatte, war mir ziemlich klar, wo er steckte. Ich dachte mir, er würde nicht die Nerven haben, bei einem Feueralarm ruhig drinnen zu bleiben. Wir hätten natürlich hineingehen und ihn festnehmen können, aber es machte mir Spaß, ihn sich selbst bloßstellen zu lassen; im übrigen war ich Ihnen für Ihr Geplänkel von heute morgen noch eine kleine Fopperei schuldig.«

»Nun, Sir, Sie haben zweifellos mit mir gleichgezogen. Doch woher um alles in der Welt wußten Sie, daß er sich überhaupt im Haus aufhielt?«

»Der Daumenabdruck, Lestrade. Sie sagten, dies sei endgültig; und das war es auch, freilich in einem anderen Sinn. Ich wußte, daß er gestern noch nicht da war. Ich widme den Details eine Menge Aufmerksamkeit, wie Sie vielleicht bemerkt haben, und ich hatte die Vorhalle untersucht und war mir sicher, daß die Wand frei gewesen war. Er mußte daher in der Nacht angebracht worden sein.«

»Aber wie?«

»Ganz einfach. Als jene Päckchen versiegelt wurden, ließ Jonas Oldacre McFarlane eines der Siegel festmachen, indem er seinen Daumen in den weichen Lack drücken sollte. Dies dürfte so schnell und so natürlich vor sich gegangen sein, daß ich behaupten möchte, der junge Mann selbst hat keine Erinnerung mehr daran. Höchstwahrscheinlich geschah es genau so, und Oldacre hatte selber noch keine Ahnung, was er damit anfangen würde. Als er dann in seinem Versteck über die Sache nachdachte, kam ihm plötzlich die Idee, was für einen absolut vernichtenden Beweis gegen McFarlane er mittels dieses Daumenabdrucks herstellen könnte. Nichts leichter für ihn, als einen Wachsabdruck von dem Siegel zu nehmen, ihn mit so viel Blut, wie ein Nadelstich hergeben mochte, anzufeuchten und im Lauf der Nacht den Abdruck an der Wand anzubringen – entweder höchstpersönlich oder mit Hilfe seiner Haushälterin. Wenn Sie die Dokumente durchsuchen, die er in seinen Bau mitgenommen hat, wette ich mit Ihnen, Sie werden darunter das Siegel mit dem Daumenabdruck finden.«

 

»Wunderbar!« sagte Lestrade. »Wunderbar! Wie Sie es darlegen, ist alles klar wie Kristall. Doch was ist das Motiv für diesen hinterhältigen Betrug, Mr. Holmes?«

Es amüsierte mich, zu sehen, wie das anmaßende Gehabe des Inspektors plötzlich in das eines Kindes umgeschlagen war, das seinem Lehrer Fragen stellt.

»Nun, ich denke nicht, daß dies sehr schwer zu erklären ist. Der Gentleman, der uns jetzt dort unten erwartet, ist ein überaus raffinierter, bösartiger und rachsüchtiger Mensch. Sie wissen doch, daß er früher einmal von McFarlanes Mutter abgewiesen wurde? Nicht?! Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollten als erstes nach Blackheath und dann erst nach Norwood gehen. Nun, diese Beleidigung, wie er es auffaßte, schwärte in seinem bösen hinterlistigen Hirn, und sein ganzes Leben lang sann er auf Rache, sah aber nie eine Möglichkeit dazu. In den letzten ein oder zwei Jahren lief es mit seinen Geschäften ungünstig – heimliche Spekulationen, nehme ich an –, und er befindet sich in übler Lage. Er beschließt, seine Gläubiger zu hintergehen, und zahlt zu diesem Behuf hohe Schecks an einen gewissen Mr. Cornelius, der, denke ich mir, niemand anders ist als er selbst. Ich bin diesen Schecks noch nicht nachgegangen, doch zweifle ich nicht daran, daß Oldacre sie bei irgendeiner Provinzbank, wo er von Zeit zu Zeit ein Doppelleben führte, unter diesem Namen eingezahlt hat. Er beabsichtigte, seinen Namen ganz und gar zu ändern, dieses Geld abzuheben, zu verschwinden und woanders ein neues Leben zu beginnen.«

»Nun, das klingt recht wahrscheinlich.«

»Dann kam ihm die Idee, daß er bei seinem Verschwinden seine sämtlichen Verfolger von seiner Fährte ablenken und gleichzeitig an seiner alten Geliebten ausgiebige und vernichtende Rache nehmen könnte, wenn es ihm gelänge, den Eindruck zu erwecken, er sei von ihrem einzigen Sohn ermordet worden. Ein Meisterstück der Niedertracht – und meisterhaft ausgeführt. Die Idee mit dem Testament, das ein einleuchtendes Motiv für das Verbrechen abgeben würde; der heimliche, seinen Eltern verborgen gebliebene Besuch; die Einbehaltung des Stocks; das Blut und die tierischen Überreste und die Knöpfe in dem Holzstapel – all das war mustergültig und bildete ein Netz, dem zu entkommen mir noch vor wenigen Stunden kaum möglich schien. Doch besaß er nicht jenes ausschlaggebende Talent des Künstlers: das Wissen, wann man aufhören muß. Er wollte noch verbessern, was schon perfekt war – die Schlinge noch fester um den Hals des unglücklichen Opfers ziehen –, womit er alles verdarb. Gehen wir hinunter, Lestrade. Ich habe ihm nur noch ein paar Fragen zu stellen.«

Der üble Mensch saß, von zwei Polizisten flankiert, in seinem Salon.

»Es war ein Spaß, mein guter Sir, ein Streich, sonst nichts«, wimmerte er unablässig. »Ich versichere Ihnen, Sir, ich habe mich einfach nur versteckt, um zu sehen, wie mein Verschwinden aufgefaßt wird, und ich bin sicher, Sie werden nicht so ungerecht sein und auf die Idee kommen, ich hätte es jemals zugelassen, daß dem armen jungen Mr. McFarlane etwas Böses zustoßen würde.«

»Das müssen die Geschworenen entscheiden«, sagte Lestrade. »Jedenfalls werden wir Sie wegen Verschwörung, wenn nicht gar wegen versuchten Mordes unter Anklage stellen.«

»Und Sie werden vermutlich finden, daß Ihre Gläubiger das Bankkonto von Mr. Cornelius beschlagnahmen lassen werden«, sagte Holmes.

Der kleine Mann zuckte zusammen und wandte seine boshaften Augen meinem Freunde zu.

»Ich habe Ihnen für ein schönes Geschäft zu danken«, sagte er; »hoffentlich kann ich die Rechnung eines Tages begleichen.«

Holmes lächelte nachsichtig.

»Ich kann mir vorstellen, daß Ihre Zeit in den nächsten Jahren reichlich eingeschränkt sein wird«, sagte er. »Was haben Sie übrigens außer Ihren alten Hosen auf den Holzstapel gelegt? Einen toten Hund, oder ein Kaninchen, oder was? Sie wollen's nicht sagen? Ach nein, wie überaus unfreundlich von Ihnen! Nun, nun, ich möchte meinen, ein paar Kaninchen dürften sowohl das Blut als auch die verkohlten organischen Überreste erklären. Falls Sie je einen Bericht darüber schreiben sollten, Watson, bedienen Sie sich getrost der Kaninchen.«