Za darmo

Bergrichters Erdenwallen

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XXI

Im Hause des Bezirksarztes machte Frau Rosa die ersten Gehversuche auf Krücken gestützt und ihr Gatte half ihr bei diesem Beginnen, wobei er sie tröstete über das unvermeidlich gewordene Ungemach, daß ein Fuß kürzer bleiben werde. „Rosel wird halt hinken fürs weitere Leben!“ meinte Dr. von Bauerntanz. „Ich bin eben ein Pfuscher!“

„Sag' doch das nicht! Mir geschieht ganz recht, das ischt die gerechte Strafe! Ich hab's nicht besser verdient!“

„Wieso denn, Rosel?“

Die Doktorin errötete bis an die Haarwurzeln hinauf und humpelte zum Gatten. Die Krücken fortwerfend, setzte sie sich auf seine Knie, legte das Köpfchen an seine Brust und begann reumütig zu beichten, daß sie zwar sehr leichtsinnig gewesen, mit dem Feuer gespielt hätte, doch nicht gefallen sei.

„Du warst aber doch oben allein mit ihm, Rosel?“

Erglühend gestand die Doktorin: „Ja! Verzeihe mir! Ich habe gefehlt, fast hätte ich dem Drängen nicht widerstanden! Im letzten Augenblick aber riß ich mich los und kaum wissend, was ich that, sprang ich, nur um fortzukommen, in einen der eben durchlaufenden Luftbahnwagen, der mich entführte. In der großen Aufregung vermochte ich nicht ruhig zu sitzen, der Wagen kam ins Schwanken, ich fiel heraus und stürzte in die Tiefe!“

Still ward es in der Stube. Der Doktor kämpfe mit seinen Empfindungen eine Weile und weinend lag sein Weib an seiner Brust.

Dann nahm er Rosas Kopf in die Hände und küßte die Gattin mit einem langen verzeihenden Kuß auf die zitternden Lippen.

„Ich danke dir aus tiefstem Herzen für deine Gnade und Güte!“

„Still, Rosel! Es soll vergeben und vergessen sein! Warst halt ein Gansel! Aber eine Strafe kann ich dir und dem Hansdampf nicht erlassen, das bin ich mir und meiner Mannesehre schuldig!“

„Was verlangst du?“ fragte bestürzt die reuige Gattin.

„Frau Rosel, alias Gansel, setzt sich an ihres ehrsamen Gatten Schreibtisch und kritzelt an jenen faden Gecken eine Epistel des Inhalts, daß die Unterzeichnete ihrem Ehegatten reumütig alles eingestanden und die Überzeugung gewonnen habe, nicht nur sträflich leichtsinnig, sondern auch sehr albern gehandelt zu haben. Von tieferen Gefühlen sei niemals etwas vorhanden gewesen und nur eine dumme Frau konnte an dem faden Gefasel eines Schürzenjägers vorübergehend Gefallen finden. Mit der Ihnen gebührenden Achtung ergebenste Rosa von Bauerntanz!“

„Aber lieber Mann!“ wand Rosa ein.

„So und nicht anders wirst du schreiben. Das sei die Strafe!“

Und der Doktor trug seine Gattin zum Schreibtisch, setzte sie wie ein Kind in den Sessel und richtete Papier und Feder zurecht. Und Frau Rosa schrieb gehorsam die harte Epistel, die natürlich nach Frauenart ein Postskriptum bekam, in welchem die Schreiberin einen spöttischen Glückwunsch zur Verlobung mit Fräulein Josefine aussprach für den Fall, daß der in seinen moralischen Anschauungen federleichte Herr Hundertpfund es nicht vorziehe, vom Schauplatz seiner Thätigkeit baldigst zu verschwinden.

„Echt weiblich!“ spottete der Doktor und trug dann den Brief persönlich zur Post.

Die Wirkung dieses Briefes war am Sylvestertage die schriftliche Kündigung des Dienstverhältnisses an den Chef der Firma Ratschiller auf vier Wochen laut Handelsgesetz. Franz war ob dieser Kündigung nicht eben erfreut und ging mit dem Schreiben zum Schwiegervater in spe, um ihn um Rat zu fragen. Ehrenstraßer lachte bedeutsam und riet, die Kündigung ohne Weiteres anzunehmen. Mehr darüber könne nicht gesagt werden. Je eher der Mann aus der Gegend verschwinde, desto besser sei es.

Und so nahm denn Franz Ratschiller die Kündigung an und schrieb die Stelle eines Fabrikleiters aus, die, weil gut bezahlt, auch bald wieder besetzt werden konnte.

Vier Wochen darauf verschwand Hundertpfund ohne Abschied aus dem Städtchen.

XXII

Die Hochzeit Emmys mit Franz Ratschiller war schon auf einen Tag im März festgesetzt und alle Vorbereitungen dazu im Gange. Ehrenstraßer hatte als liebender, fürsorglicher Vater das Seinige dazu gethan, die Ausstattung in Innsbruck und Wien bestellt und die kleine Mitgift flüssig gemacht.

Da kam eines Morgens eine Nachricht, welche das ganze Bezirksgericht in Bewegung setzte. Ehrenstraßer erhielt das Dekret, inhaltlich der Ernennung zum k.k. Landesgerichtsrat mit Versetzung in dieser Diensteigenschaft an das Strafgericht in Innsbruck. Vom letzten Gefangenaufseher bis herauf zum Gerichtsadjunkten kam die Beamtenschaft, um dem verehrten Chef zu dieser hochehrenden Auszeichnung die Glückwünsche zu überbringen, und gerührt dankte Ehrenstraßer für diese freundliche Aufmerksamkeit. Zugleich fügte er aber bei, daß er in seiner Diensteseigenschaft im liebgewordenen Städtchen zu verbleiben wünsche und daher auf die Beförderung Verzicht leisten werde. Die Beamtenschaft staunte, doch freute sie sich, daß der allverehrte Vorstand dem Gericht erhalten bleiben würde.

Während sich die Kunde vom Verzicht mit Blitzesschnelle im Städtchen verbreitete, schrieb Ehrenstraßer an das Präsidium die Bitte um Belassung in seiner bisherigen Stellung, in welcher er absterben möchte.

Als einer der ersten Gratulanten aus dem Städtchen erschien Ratschiller, den Ehrenstraßer humorvoll bat, mit einem Schwiegervater, der „nur“ Bezirksrichter zu sein und bleiben wünsche, gütigst zufrieden sein zu wollen.

„Ich tauge nicht mehr in die Stadt und will Bezirksrichter bleiben!“ fügte Ehrenstraßer hinzu.

„Und wir können darob nur glücklich sein!“ versicherte Franz.

Wenige Tage darauf erhielt Ehrenstraßer einen Brief, der ihn unfähig zu jeglicher Arbeit machte. Der alte Richter zitterte schon beim Anblick der Handschrift und die Lektüre machte ihn weinen. Bianca gratulierte zur Beförderung und gestand reumütig ein, schlecht gehandelt zu haben. Der Verzicht auf die Versetzung nach Innsbruck habe ihr die Augen geöffnet, das Herz gerührt und demütig bitte die bisher Verblendete um die Erlaubnis zur Rückkehr an die Seite des Mannes, den sie so schwer gekränkt und nicht verstanden habe. Willig werde sie alles fürder ertragen, auf jegliches Vergnügen verzichten, wenn ihr nur das heißersehnte Glück einer Verzeihung werde, wenn sie zurückkehren dürfe. Eine Stunde später trug der elektrische Funke die Worte nach dem Süden: „Alles verziehen! Kommt sofort! Dein Gatte!“

Glücklich vereint, wurde Hochzeit gehalten, zu der sich auch die hinkende Doktorin mit ihrem Gatten einfand. Ehrenstraßer blieb Bergrichter, bis zum 70. Geburtstage seine Pensionierung unter Verleihung des goldenen Verdienstkreuzes erfolgte. Und von Jung und Alt verehrt, verlebte Ehrenstraßer im kleinen, trauten Städtchen den Abend seines Lebens glücklich und zufrieden, genannt der Bergrichter.