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Aus Kroatien: Skizzen und Erzählungen

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Des Popen Meisterstück

Als Kommandant Tonidandel von der Grenzerkompagnie S. auf Regimentsbefehl (unterzeichnet: „K.“) die Untersuchung gegen den Dorfpopen Vid wegen ungenügender Führung der Pfarrmatrikel durchgeführt und dieses sonderbaren „Pfarrers“ Ernennungsdekret mitgenommen hatte, verlebte der Pope Vid begreiflicherweise schwere Tage bitterster Angst in Erwartung der Strafe und der Absetzung. Denn soviel Verstand besaß Jaša Vid noch von seiner Tätigkeit als Rosselenker her, daß er selbst die Belassung auf seinem Posten für unmöglich hielt, nachdem in seine Führung der Pfarrgeschäfte von militärischer Seite „hineingeleuchtet“ worden war. An der Entlassung von kurzer Hand zweifelte Vid keinen Augenblick; sie konnte nur noch die Frage weniger Wochen sein und hing zeitlich davon ab, wann der Kompagniekommandant den Rapport schreiben, das amtliche Schriftstück beim Regimentskommando in Karlstadt eintreffen und Oberst K. dazu kommen werde, das Aktenstück zu erledigen.

Den ersten Tag nach Tonidandels Abzug verlebte der Pope in völliger Verzweiflung. Der zweite Tag verging in dumpfem Hinbrüten. Am dritten Tage dämmerte im „pfarrlichen“ Kutschergehirn der Gedanke auf, daß das bittere Unheil vielleicht abgewendet werden könnte, wenn „man“ den allmächtigen Regimentskommandanten bei besonders guter Laune antreffen, ihm ein besonders schönes Pferd „vorführen“ und kniefällig um Belassung auf dem Posten trotz mangelhafter Registerführung und früherer Kutschertätigkeit bitten würde.

Mit einer gewissen Findigkeit, die der Logik nicht entbehrte, kam Vid zu der Folgerung, daß der Regimentsgewaltige ihn nicht zu hart bestrafen könne, nachdem doch der Oberst in eigener Person den Kutscher zum – Pfarrer ernannt hatte. Schuld des Popen konnte es nicht sein, falls etwa der Archimandrit dem Regimentskommandanten verschwiegen haben sollte, daß Vid früher des Archimandriten Rosselenker gewesen. Wußte dies aber der Oberst, hatte er trotzdem die Ernennung vollzogen, so durfte er, nun durch die „Stocherei“ des Kontrolloffiziers der Tatbestand „aktenmäßig“ geworden, nicht so grausam sein, den Popen, sein Protektionskind, davonzujagen.

Am vierten Tage beschäftigte sich Vid mit dem Verhalten des Hauptmannes gegenüber dem ins Ohr geflüsterten Geheimnis. Der Pope fragte sich, warum der Offizier sich krümmte und so schrecklich lachte, daß ihm das Wasser aus den Augen schoß? Die „Beförderung“ des Kutschers zum Popen mochte in fremden Augen ungewöhnlich erscheinen; Vid erblickte in ihr nichts anderes als die Tilgung einer Dankesschuld. Verjagt der Oberst den Popen vom Pfarrposten, so wird der Archimandrit entweder für eine andere Stelle sorgen oder den rückständigen Kutschersold bezahlen müssen….

Weshalb aber lachte der Offizier so unbändig? Ist er vielleicht ein Feind des Regimentskommandanten? Will er ihm mit der Aufdeckung des Geheimnisses, daß Vid früher – Kutscher gewesen, einen besonderen Streich spielen? Darüber Näheres und Sicheres zu erfahren, bestand keine Möglichkeit. Doch eines erriet Vid gefühlsgemäß: eine Hauptrolle werde und müsse seine Tätigkeit als – Rosselenker spielen. Dieses „Gefühl“ lenkte auf den Gedanken, die Gunst des Regimentskommandanten neuerdings, und zwar durch – Pferde zu gewinnen. Der arme schlechtbezahlte Dorfpope besaß jedoch keine Pferde, konnte solche nicht kaufen. Ein schönes wertvolles Roß schon gar nicht. Und ein – Pope konnte ein Prachtroß auch nicht – „verschaffen“. Nur darüber – reden könnte er mit einem Besitzer oder mit einem Sachverständigen in der Pferdebeurteilung.

Eigentümer schöner Pferde gab es im Dorfe nicht, wohl aber im nächsten größeren Orte. Sachverständige im Heimatsdorfe genug. Gleich der nächste Nachbar des Pfarrhauses, der Mirko, stand im Rufe eines Pferdekenners, der freilich viel schwätzte; doch erzählte die Fama von ihm, daß er – nachts auf geheimnisvollen Gängen sehr schweigsam, stumm wie das Grab, sei.

Nicht über die beunruhigende Sache betreffend die drohende Absetzung, nur über – Pferde wollte der Pope mit Mirko sprechen. Bei nächster Gelegenheit fragte also Vid, wie doch eigentlich die kavalleristische Episode im „Provinzial“ bei der Landwehr gewesen sei.

Augenblicklich und sichtlich gern schnappte Mirko darauf ein und erzählte, daß eine berittene Abteilung des Befehls zur Beendigung der Übung und Versorgung der Pferde harrte. Der Kommandant rief den Landwehrreitern den Befehl zu: „S konja dol!“ (Wörtlich: Vom Pferde zu Tal; herunter, also absitzen!) Einer der Reiter jedoch, der im Sprachgebrauch feinfühliger als der bürgerliche Kommandant und deshalb sprachempfindlich war, fragte mit schallender Stimme: „Kai pa mi, koji smo na kobili?“ (Wörtlich: Was aber wir, welche wir sind auf – Stuten? Übersetzt: Was aber sollen wir machen, die wir auf – Stuten sitzen?)

Obwohl Vid den Scherz dieser drolligen Wortklauberei kannte, lachte er doch herzhaft und ließ sich die Pointe von Mirko erklären! Im Kroatischen heißt koni soviel wie männliches Pferd. Der Kommandant hatte also befohlen. „Vom männlichen Pferd herunter!“ Deshalb fragte jener Reiter, was die Leute machen sollten, die auf kobili, nämlich auf weiblichen Pferden, saßen.

Kutscherhaft bebrüllte Vid diesen Scherz und Spott auf zivile Soldatenspielerei im „Provinzial“. Und diese freundliche Aufnahme des Scherzes machte den Nachbar zugänglich für das – Weitere. Der Pope teilte vertraulich mit, daß er beim Regimentskommandanten in Karlstadt eine – Gehaltsaufbesserung anstrebe, gute Aussicht hätte, solange der Oberst K. Regimentschef sei, weil dieser hohe Herr den untertänigen Diener Vid zum Popen ernannt habe; aber eine große Schwierigkeit sei einstweilen vorhanden: es fehle dem armen schlechtbezahlten Popen an einem Gegenstand zur – „Verehrung“.

Mirko begriff sofort und fragte, „mit was“ der Pope – „schmieren“ möchte.

„Mit einem schönen, einem Regimentsobersten würdigen Roß!“

Augenzwinkernd fragte Mirko, ob Stute oder Wallach.

Vid „himmelte“ und versicherte, daß er weder das eine noch das andere bezahlen könne, auf – „leihweise“ Überlassung angewiesen sein würde, den Zeitpunkt der „Rückgabe“ des betreffenden Pferdes nicht genau angeben könne, weil der kluge Mittelsmann noch nicht gefunden sei, der zu „passender Zeit“ das „gewidmete“ Pferd wieder bei guter Gelegenheit von Karlstadt „zurückhole“.

Auch diese dunklen Worte verstand der freundliche Nachbar sofort. Und alsbald entwickelte Mirko einen seinen Plan, wonach in der Nacht zum nächsten Feiertage aus dem größeren Nachbarorte zwei schöne Pferde behufs Auswahl „leihweise“ geholt werden sollen. Diese Aufgabe wolle Mirko aus Freundschaft übernehmen. Sache des Popen aber werde es sein müssen, für die sichere Unterbringung der „entlehnten“ Pferde zu sorgen, falls sich die – Gendarmen für den – Aufenthaltsort dieser Pferde am Feiertage interessieren werden. Finden dürfen die Gendarmen diese Pferde nicht, weil sie oder das ausgewählte Roß sonst dem Regimentskommandanten nicht „verehrt“ werden könnten. Für die spätere „Heimholung“ des „Schmier“pferdes müsse der Pope einen Vertrauensmann in Karlstadt ausfindig machen; Mirko könne diese Aufgabe mangels genauer Ortskenntnis am Sitze des Regimentskommandos nicht übernehmen.

Der Plan gefiel dem Popen sehr gut.

Aber die Zustimmung freute sich Mirko. Doch machte er als vorsichtiger Mann von Erfahrung auf nächtlichen Gängen auf die Gefahr des – Schneefalles aufmerksam. Spurschnee werde haargenau den Aufenthalt der Pferde verraten, sowohl den Gendarmen als auch neugierigen Dörflern. Im Augenblinzeln Mirkos lag die Frage, ob der Pope ein Mittel zur Spurenverwischung wisse.

Einstweilen wußte Vid nichts, doch das Sprüchlein sagte er salbungsvoll auf. „Hat der Mann ein Amt, bekommt er auch den – Verstand dazu!“

Mirko betonte nochmals, daß die „Leih“pferde in der Nacht bzw. gegen Morgen des nächsten Feiertages in Dorfnähe gebracht werden, und daß der Pope alsbald für sichere Unterbringung der Pferde wie für Vernichtung ihrer Spuren im Schnee aufkommen müsse. Im Pfarrhause wurde das Übereinkommen mit Slibowitz begossen, mit Handschlag bekräftigt. —

In der Lika trat Schneefall ein. Weit mehr Geflock, als dem Popen lieb war. Je näher der Feiertag heranrückte, desto mehr Bangen fühlte der Pope in der Kutscherbrust. Das Spiel war doch arg gewagt. Wurde es infolge eines Zufalls verloren, der „Krach“ in Karlstadt würde entsetzlich werden, die Entlassung aus dem Pfarrdienst im Vergleich zur Explosion im Regimentskommando ein harmloses Kinderspiel sein…. Doch rückgängig machen konnte Vid die so pfiffig begonnene Sache nicht mehr. Wollte er eigentlich auch nicht. Er wünschte Pope zu bleiben; wenn möglich allerdings auf einer – besseren Pfarre.

Während der Nacht zum orthodoxen Feiertage blieb Vid in den Kleidern; verschmähte jede Ruhe, lauerte auf jedes Geräusch. Um Mitternacht endete der Schneefall; Sterne erschienen am Firmament und flimmerten. Der Warmwind blies von der Adria herein.

Noch um drei Uhr morgens hatte Vid keine Ahnung davon, wo er die – Pferde sicher vor Gendarmenaugen unterbringen könnte. Unmöglich in der Scheune des Pfarrhauses wegen Platzmangels. Ebenso unmöglich bei Mirko, der nicht in Verdacht gebracht werden durfte. Es war Aufopferung genug, daß der Nachbar die Pferde „holte“….

Auch die Zeitfrage beschäftigte den Popen noch gegen Morgen. Wird es wahrscheinlich sein, daß noch in der Nacht die – Gendarmen den Abgang der Pferde merken, den „Entführer“ sofort verfolgen werden?

Vid verneinte diese Frage. Ohne vorausgegangene Meldung werden die Gendarmen sich nicht auf die Socken machen. Erfolgt die Anzeige am frühen Morgen, brechen die Organe der öffentlichen Sicherheit sogleich zur Verfolgung der Spuren im Neuschnee auf, so können die Panduren im Dorfe ankommen etwa um die Zeit, da der Pope die Bauern aus der Kirche entlassen wird.

 

Ein Gedanke schoß dem „Pfarrer“ durch den Schädel. Eine gute Idee, die vollen Erfolg gewährleisten könnte, wenn Mirko mit den Pferden rechtzeitig eintreffen würde. Aber Mirko kam nicht. Auch keine Meldung, ob das Unternehmen begonnen wurde.

Nichts, gar nichts.

Die Zeit rückte vor. Schon riefen die Glocken. Die Gläubigen wanderten zur Kirche.

Der Pope mußte sich beeilen. Während des Ganges zur Kirche brannte in seiner Kutscherseele der heiße Wunsch, daß das Unternehmen gar nicht begonnen worden sein möge. Denn jetzt würde alles zu spät und verloren sein….

In der Kirche war das Volk andächtig, der Pope zerstreut, nicht bei der Sache. Vids Gedanken beschäftigten sich mit – Pferden; er glaubte plötzlich Hufgeklapper vernommen zu haben. Horchte auf, gelangte zur Überzeugung, sich nicht getäuscht zu haben und verkündete der Gemeinde, daß zur besonderen Festesfreude nun um die Kirche ein – „Kolo“, ein Rundreigen, unter seiner Führung stattfinden werde.

Kolo, das Nationalvergnügen der Südslaven, ein immer willkommener Reigen für jung und alt, wobei Männer wie Frauen erstaunlich viel Anmut in den Körperbewegungen zu entfalten wissen.

Es verschlug nichts, daß jede Art von Begleitmusik fehlte, der Kolo – im Schnee stattfinden mußte.

Der Pope führte die vielköpfige Schar der Kirchgänger Hand in Hand im langgedehnten Zuge erst um die Kirche und dann in weitgestrecktem Bogen auf einen freien Platz über die Landstraße. Wohl über vierhundert Füße zertraten den Schnee, vernichteten alle Spuren….

Vid's scharfe Augen gewahrten zwei Gendarmen in Dienstausrüstung. Die Wächter der öffentlichen Ordnung und Sicherheit betrachteten langsam schreitend gewisse Eindrücke im Schnee, gingen auf das Dorf zu.

Ein Nationallied anstimmend, führte Vid seine Schar zurück zur Kirche, um die nun singend der Kolo langsam, würdevoll und anmutig getanzt, d. h. ruhig Hand in Hand geschritten wurde.

Den Gendarmen war die Erfüllung ihrer Dienstpflicht unmöglich gemacht; die verfolgten Eindrücke im Spurschnee waren völlig zertreten von den Kolotänzern. Für den Reigen selbst hatten die Panduren nicht das geringste Interesse. Sie wanderten an der Kirche vorüber, schritten aufmerksam guckend durch das Dorf und kehrten unverrichteter Dinge zurück in den größeren Ort.

Inzwischen hatte ein Schneesturm eingesetzt, der in wenigen Minuten die ganze Gegend verwehte, den heimkehrenden Gendarmen den Marsch erschwerte, den Kolotänzern das Feiertagsvergnügen nahm. Schreiend flüchtete alles in die Häuser und Hütten.

Schneesturm in der Lika. Der tosende Wind aus Südwest, nicht schneidend kalt, eher warm, dennoch durchschauernd, trieb den Schnee in schweren Schwaden vor sich her, suchte den Häusern und Hütten die Dächer wegzureißen und warf dann Schneemengen darauf, die alles zudeckten. Schrilles Saufen in der oberen Luftregion, herunter dumpfes Surren in den Dolinen, gurgelndes Heulen an Hängen und Flächen. Tolles Gewirbel auf der Landstraße, die teils haushoch verweht wurde, auf kurze Striche wie glattrasiert aussah, je nachdem der Sturm sie angreifen, der Bodenwind kesseln und wegfegen konnte, was der Orkan an Schneemassen hingeworfen hatte.

Wie ausgestorben die Gegend, kein Lebewesen außer Hausen ein verdorbener Feiertag für den Gostioničar, den Wirt, dem die Gäste fehlten.

Nur der Pope hatte einen Gast im Hause, den pfiffigen Mirko, der sich krumm lachte über den von Vid so schlau und prächtig veranstalteten Kolo, wodurch den Gendarmen die Pflichterfüllung vereitelt, die Pferde gerettet wurden. Daß die „entlehnten“ Rosse nicht länger in der – Sakristei verbleiben konnten, sah Mirko völlig ein. Aber mit der Angelegenheit wollte er weiter nichts mehr zu tun haben. Bisher war alles Gefälligkeitssache aus nachbarlicher Freundschaft zum Popen; nun aber Schluß. Kein Schritt weiter, kein Fingen rühren.

Vid hingegen sprach seine Meinung dahin aus, daß bei solchem Schneesturm das Verbringen auch nur eines Pferdes nach Karlstadt wenn nicht unmöglich, so lebensgefährlich sein würde.

Mirko hob die Schultern und schluckte Slibowitz dazu. Und mählich wurde er – anzüglich; er stichelte, daß das Wetter gar nicht besser sein könnte für einen „ungesehenen“ Pferdetransport, wenn der – kočijaš (Kutscher) „tüchtig“ sei. Es klang wie Hohn, als Mirko herausquetschte: „Danas je vrlo liepo vrieme, samo je jako snieg!“ (Heute ist sehr schönes Wetter, nur ist starker – Schnee!) Und nach einem neuen kräftigen Schluck Pflaumenschnapfes fügte er bei: „Danas su naši oni konji!“ (Heute sind unser jene Pferde!)

Zum Abend war die Lage geklärt. Mirko verweigerte bis auf die Pferdefütterung jede weitere Hilfe; die „Leih“rosse mußte Vid in eigener Person entweder nach Karlstadt oder in ihre – Heimat bringen. Noch in dieser Nacht trotz des schweren Schneesturmes.

Mirko leistete den letzten Gefälligkeitsdienst und fütterte die Pferde in der Sakristei. Das „Wassern“ (Tränken) besorgte der Pope. Dann verschwand der Nachbar.

Ein letztes Sinnen und Überlegen seitens des „Pfarrers“. Diesmal in der Richtung nach der vom Regimentskommando auf – Pferdediebstahl verhängten Strafe. Vid verspürte einen sehr starken Kitzel am – Hals. Und dieses Gefühl verstärkte sich, als der Pope zu Pferde saß.

Im Freien, vom Schneesturm umtost, von nachtschwarzer Finsternis umhüllt, drängten die „Leih“rosse der Richtung zu, die in ihre Heimat führte. Der Versuch Vids, die Gäule mit Schenkeldruck auf die Straße nach Karlstadt zu bringen, mißlang vollständig.

Als die Pferde ihrer Heimat zuliefen, spürte Vid deutlich, daß das fatale Gefühl an seinem Halse nachließ. Doch der Gedanke an die noch immer drohenden einhundert Stockprügel für den Fall des Erwischtwerdens auf der Heimbringung der „entlehnten“ Gäule verursachte ein gewisses Brennen am – Gesäß.

Auch in der Seele brannte etwas plötzlich sehr heftig, die Frage, wem wohl die „entlehnten“ Pferde gehören?

Vid hatte davon keine Ahnung.

Aber die Rosse werden und müssen ihren Stall kennen; sie werden ihn auch ohne jede Begleitung finden. So dachte Vid. Und er rutschte vom Gaul herunter.

Wie zum Dank gingen die Pferde im Galopp weg, der ersehnten Heimat zu durch Nacht und Schneesturm.

Hart und mühsam war der Heimmarsch für den Popen. Dennoch sozusagen schön. Von bitterer Angst befreit die Seele, wie weggefegt das bängliche Gefühl am Halse, das ahnungsvolle Brennen am Gesäß. Und erquickend das Bewußtsein, daß die Mitwisserschaft Mirkos nicht gefährlich werden kann, weil die von ihm, nicht vom Popen, gestohlenen Pferde nicht behalten wurden.

Mit „reinem Gewissen“, freilich körperlich sehr ermüdet, erreichte Vid sein Pfarrhaus.

Bängliche Wochen folgten im Warten auf den Karlstadter „Krach“ als Konferenz des Berichtes vom Kompagniekommandanten. Viel später als nach S. drang auch in das einsame Dorf in der verschneiten Lika die Kunde, daß der gefürchtete Oberst K. nach Wien befördert worden sei.

Jetzt konnte Vid von aller Sorge befreit aufatmen. Denn wiewohl nur ein ehemaliger Kutscher und eigentlich unmöglicher Pope, wußte Vid doch, daß in der Regimentskanzlei alte Geschichten nicht ausgegraben wurden, neuernannte Regimentskommandanten alte Sachen nicht aufstocherten. Und daß der Hauptmann von S. ihm nicht wehtun würde, das hatte Vid im – Gefühl.

Mit diesem „Gefühl“ behielt er recht bis an sein Ende.

Waldkultur

Da sich die Militärbehörde an der damals türkischen (bosnischen) Grenze um – alles zu kümmern hatte, der Militärdiktatur im Grenzbezirk alles unterstand, so wurde dort auch das – Forstwesen „besorgt“. Und zwar für die Verhältnisse jener weit zurückliegenden Zeit gar nicht übel und ziemlich stramm. Freilich nicht gerade „forstlich“ im technischen Sinne.

Irgendwo war eine große Eichenwaldung abgestockt worden. Lange Zeit hindurch war nach dem Kahlhieb nichts geschehen.

Zur Aufforstung fehlte es der Forstbehörde an Arbeitern zum Eichelnsetzen und an Geld zur Bezahlung der Setzarbeit. In solcher Not wandte sich die Bezirksforstbehörde an das Kommando des im betreffenden Bezirk Rationierten Grenzregimentes mit der Bitte, das Setzen der Eicheln von den Grenzsoldaten ausführen zu lassen.

Diese Bitte kam dem Kommandanten des Grenzregimentes um so gelegener, als der Oberst wegen der Beschäftigung der Truppen sich in einiger Verlegenheit befand. Es gab nämlich seit etlichen Monaten nichts zu kämpfen gegen die Türken, überhaupt nichts zu tun in militärischem Sinne. Beschäftigung der Grenzsoldaten war also erwünscht. Von forsttechnischer Arbeit hatte der Regimentskommandant selbstverständlich nicht die geringste Ahnung, hingegen die Überzeugung, daß der einfache Befehl zur Durchführung der Eichelsetzarbeit mit Soldaten vollauf genüge.

Im Dienstwege wurde das Forstamt von der Genehmigung des Ansuchens verständigt.

Daraufhin stellte das Forstamt einen Techniker behufs Anordnung und Überwachung der Setzarbeiten zur Verfügung und sandte den Beamten an den Stabssitz des Regimentes.

Der Kommandant Oberst X. lehnte entrüstet die Beigabe des forstlichen Sachverständigen ab und sandte den Mann sofort zurück.

Ein Hauptmann erhielt den Befehl, mit zweihundert Mann im näher bezeichneten Reviere die Aufforstung durch Setzen von Eicheln durchzuführen „in eigener Kompetenz, mit möglichster Strammheit und militärischer Präzision“. Aber die Frist für die Arbeitsdurchführung war nichts gesagt. Daß der Forsttechniker vom Kommandanten abgelehnt und zurückgeschickt worden war, hatte der Hauptmann „unter der Hand“ erfahren und sich als kluger Mann hinter die Ohren geschrieben.

Von forstlicher Kulturarbeit hatte der Hauptmann selbstverständlich keine Ahnung. Aber das wußte er, daß er für die Eichelsetzarbeit den Forsttechniker – nicht befragen durfte, wenn ein „Krach“ mit dem Regimentskommandanten vermieden werden sollte.

Soviel Verstand besaß der Hauptmann, um sich denken zu können, daß ein gewisser Abstand zwischen den zu setzenden Saateicheln werde eingehalten werden müssen. Diesen Abstand konnte der Offizier begreiflicherweise nur militärisch berechnen; deshalb bestimmte der Hauptmann. „Distanz ein Schritt“. Von einem Hand-in-Hand-arbeiten zwischen Militär und Forstbehörde keine Spur.

Das „Setzdetachement“ rückte an, als das Forstamt noch gar keine Saateicheln hatte. Das Material wurde schleunigst beschafft.

Unterdessen, zur Zeitausfüllung, ließ der Hauptmann die zur Aufforstung bestimmte Kulturfläche von Unkraut usw. befreien, roden und vorbereiten.

Endlich kamen die Eicheln.

Der Hauptmann ließ seine Mannschaft antreten und hielt „Instruktionsstunde“. Die Soldaten wurden belehrt, wie sie die Saateicheln zu setzen haben. Entfernung von Mann zu Mann drei Fuß; auf das erste Signal fährt die rechte Hand in die Schürze und ergreift eine Eichel; auf das zweite Signal bückt sich die gesamte Mannschaft und steckt die Eicheln in den Boden; auf das dritte Signal richtet sich die Mannschaft auf und tritt einen großen Schritt nach vorwärts. Und so weiter, bis die ganze Fläche mit Eicheln besteckt ist.

Da für diese originelle Kulturarbeit wohl Saateicheln vorhanden waren, nicht aber Bundschürzen zum Tragen der Eicheln, und da der Hauptmann recht gut wußte, daß er wegen der fehlenden Schürzen den in seiner Allmacht gefährlichen Regimentskommandanten nicht behelligen durfte, befahl der militärische „Forstmann“ ganz einfach, daß jeder Soldat morgen beim Antreten eine – Bundschürze mitzubringen habe. Gleichgültig, ob die Schürze der Gattin, der Schwester oder der Geliebten gehöre. Die Bundschürze mußte, so lautete der Befehl, „verschafft“ werden.

Damit war die Instruktionsstunde beendet, die Mannschaft entlassen.

Am nächsten Morgen pünktlich trat die „Kultur“-Mannschaft an. Einen sehr bunten Anblick boten die Soldaten mit den umgebundenen farbigen Schürzen. Die Vorliebe der südslavischen Weiber für grelle Farben in Kitteln und Schürzen war damals genau so vorhanden wie auch heute noch.

Zum Schreien komisch sahen die Grenzsoldaten mit ihren grellfarbigen Schürzen aus. Der drohenden Prügelstrafe wegen verzog niemand von der Mannschaft auch nur die Miene. Die Kerle blieben ernst; sie lachten unbemerkbar innerlich.

Der Hauptmann rückte mit der „Kultur“-Mannschaft aus; zu seiner Seite marschierte der Kompagnietrompeter(!) als Signalist für die – Kulturarbeit.

An der Schlagwand wurden die Soldaten, denen die Saateicheln in die Schürzen gegeben worden waren, aufstellt. Am Flügel standen der Hauptmann und der Signalist mit der Trompete.

Und nun begann die Setzarbeit als Schauspiel für Götter.

Auf einen Wink des Hauptmanns blies der Trompeter das verabredete erste Signal. „Habt acht!“

Genau griffen die Grenzer in die sackähnlich aufgebundenen Schürzen und erfaßten je eine Eichel.

 

Zweites Signal. „Eicheln hineinstecken!“

Im Nu bückte sich die Mannschaft, jeder Soldat steckte eine Eichel in den damals berühmt fruchtbaren Boden.

Drittes Trompetensignal. „Marsch!“

Die Soldaten traten einen großen Schritt nach vorwärts.

Stundenlang währte diese stramm militärische Setzarbeit, bis der ganze Eichelvorrat in den Boden gesteckt war….

Und diese Arbeit wiederholte sich bis zur völligen Durchführung der befohlenen Aufgabe, der „Eichenanpflanzung“ auf einer riesengroßen Fläche.

Worauf der Hauptmann sich beim Regimentskommandanten gehorsamst meldete.

Hinterdrein kam der Forsttechniker, um nachzufragen.

Zu ändern war nichts mehr. Und verhältnismäßig war die Sache gar nicht schlecht gemacht….

Jahrzehnte verflossen.

In den „Erinnerungen“ eines alten kroatischen Forstbeamten, die mir zur Einsichtnahme gegeben wurden, heißt es. „Herrlich anzusehen waren die militärisch herangezogenen Eichenjungwälder. Leider wurden sie ein Opfer jener aufrührerischen Bosniaken, die vor Beginn der Okkupation Bosniens nach Kroatien verbracht worden waren. Die aus ihrer Heimat abgeschobenen Bosniaken hatten ihre Ziegen mitgenommen, die in diese Eichenjungwälder getrieben wurden, als sich das junge Laub zeigte. Es war von den Behörden streng verboten, mit Beil oder Hacke diese Eichenjungwälder zu betreten. Den Eintrieb von gefräßigen Ziegen zu verbieten, hatte man – vergessen. Irgendeines Werkzeuges bedurfte der Bosniak nicht; er wußte sich gut zu helfen, indem er jeweils ein Eichenstämmchen so lange mit den Händen niedergebogen hielt, bis die Ziegen alles Laub abgefressen hatten. Dann ließ der Mann das Stämmchen in die Höhe schnellen. Und das nächste Eichenstämmchen wurde ebenso des Laubes beraubt. Ganze Jungbestände wurden auf diese Weise kahl gefressen! Das ärarische Forstpersonal war außerstande, diesen Waldfrevel zu verhindern. Wenn die Ziegen der Bosniaken sich in Bauernwaldungen ‚verirrten‘, machten die Kroaten keine Umstände: die Bosniaken wurden so fürchterlich verhauen, daß sie fürder Bauerngehölze respektierten und ihr Interesse wieder den ärarischen Waldungen widmeten.“

Sicher ist das Geschilderte ein fesselndes Kulturbild einer militärischen – Waldkultur in vergangener Zeit!