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Prekäre Eheschließungen

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2.3.4 Ökonomie

1

Chorgerichtssatzung 1743, 763.

2

Unter Besteuerung wurde in Bern zu dieser Zeit die erhaltene Armenunterstützung verstanden. Vgl. Regula Ludi, Kriminalität in der bernischen Regenerationszeit. Lizenziatsarbeit, Bern 1992, 121.

3

In der nachfolgenden Ehegerichtssatzung von 1787 kam der entsprechende Passus in der II. Satzung unter § 2 zu stehen. Ehegerichtssatzung 1787, 795.

4

Zur Ehe als Gnadengabe im katholischen österreichischen Kontext vgl. Lanzinger, Verwandtschaft, 13–14; 24; 32; 41; 52–54; 241–243; Lanzinger, Emotionen, 50; vgl. auch Schmugge, Ehen, 11.

5

Vgl. Flückiger Strebel, Wohlfahrt, 45–53. Die Berner Historikerin hat sich mit dem Selbstverständnis der Berner Obrigkeit in Bezug auf die landesväterliche Wohlfahrt im 18. Jahrhundert auseinandergesetzt. Dazu hat sie die Tätigkeit der bernischen Almosenkammer untersucht. Sie ist zum Ergebnis gekommen, dass die „Fürsorge für die Ärmsten“ nach wie vor in einem christlichen Rahmen stattfand. Darin bestimmte im bernischen Regierungsverständnis „die göttliche Fügung […] allein über Möglichkeiten und Grenzen der staatlichen Wohltätigkeit“. Dabei wurde „Wohlfahrt als Gnade und nicht als Rechtsanspruch verstanden“.

6

Max Weber/Johannes Winckelmann (Hrsg.), Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 7. Aufl., Nachdr. der 6. Aufl., Tübingen 1988.

7

Vgl. zur Armut als selbstverschuldete Schande in Bern im 18. Jahrhundert Max Baumann, Armut im Dorf und im Landstädtchen, in: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, hrsg. v. André Holenstein, Bern 2008, 191–194, 194; zum Armutsverständnis in der Frühen Neuzeit in der Eidgenossenschaft vgl. Ruedi Epple/Eva Schär, Stifter, Städte, Staaten. Zur Geschichte der Armut, Selbsthilfe und Unterstützung in der Schweiz, 1200–1900, Zürich 2010, 103–129.

2.3.4 Ökonomie

8

StABE, B III 829, 376–378.

9

Ebd., 106–109; StABE, B III 827, 298–303; 381–385; StABE, B III 824, 334–338.

10

StABE, B III 827, 298–303; im selben Sinn StABE, B III 827, 381–385.

11

StABE, B III 827, 298–303.

12

StABE, B III 829, 138–139.

13

Ebd., 485–487.

14

StABE, B III 824, 207–217.

15

Ebd.

16

StABE, B III 829, 106–109; ebenso StABE, B III 829, 83–85; StABE, B III 829, 265–269.

17

StABE, B III 824, 207–217.

18

StABE, B III 829, 106–109; ebenso StABE, B III 829, 83–85; StABE, B III 829, 265–269.

19

StABE, B III 829, 83–85.

20

Ebd., 183–185.

21

StABE, B III 830, 368–372.

22

Dabei wurde längst darauf hingewiesen, dass „Bettel und Prostitution […] weibliche Überlebensstrategien [waren]“. Diese außererwerblichen Einkommensquellen waren wiederum illegal und „zogen automatisch die Deklassierung der betreffenden Personen nach sich“. Ludi, Frauenarmut, 29.

23

StABE, B III 829, 265–269.

24

StABE, B III 824, 207–217.

25

Zur zeitgenössischen Verbindung von Alkoholismus und Armut in Bern vgl. Baumann, Armut, 194.

26

StABE, B III 829, 434–437.

27

StABE, B III 830, 368–372.

28

StABE, B III 824, 334–338.

29

StABE, B III 829, 221–223.

30

StABE, B III 830, 483–491.

31

Ebd., 368–372.

32

Ebd.

33

Ebd.

34

Ebd.

35

StABE, B III 824, 207–217.

36

Ebd., 515–520; in derselben Logik: StABE, B III 829, 183–185; StABE, B III 829, 265–269.

37

StABE, B III 829, 485–487.

38

StABE, B III 824, 334–338.

39

StABE, B III 830, 483–491.

40

StABE, B III 829, 106–109.

41

StABE, B III 824, 334–338.

42

Ebd.

43

StABE, B III 829, 265–269.

44

Ebd., 485–487.

45

Ebd.

46

Ebd., 627–634.

47

StABE, B III 827, 298–303.

48

StABE, B III 824, 202–206.

49

In diesem Fall kommen die beiden Konzepte von Martin Dinges zur Selbsthilfe und Justiznutzung sogar in Berührung. Dinges, Armenfürsorge; Dinges, Justiznutzungen.

50

StABE, B III 824, 202–206.

51

Ling/Hassan Jansson/Lennersand/Pihl/Ågren, Marriage.

52

Darauf weisen auch die von Claudia Jarzebowski untersuchten Schwagerehen hin, bei denen Frauen den Bruder ihres in den Krieg gezogenen Mannes heirateten, um die „materiellen Vorteile bzw. den status quo zu sichern“, während sie dabei wissentlich gegen die Sittengesetzgebung verstießen. Claudia Jarzebowski, Inzest. Verwandtschaft und Sexualität im 18. Jahrhundert, Köln 2006, 112–141.

53

Wunder, Sonn’, 174; 190.

54

Schlumbohm, Einleitung, 11–12.

2.3.5 Leidenschaften und Gefühle

1

 

Medick/Sabean, Emotionen, 31.

2

Jon Mathieu, Bauern und Bären. Eine Geschichte des Unterengadins von 1650 bis 1800, 2. Aufl., Chur 1987, 158.

3

Binz-Wohlhauser, Glanz, 45. Die Autorin hat den Ausdruck in Bezug auf die Eheschließung als Vernetzungsstrategie der Fribourger Aristokratie verwendet. Sie hat damit die optimale Verbindung von ökonomischem, sozialem und symbolischem Kapital innerhalb einer Ehe bezeichnet. Da für die vorliegende Untersuchung ‚Liebe‘ als Ressource und Potenzial untersucht werden soll, eignet sich diese Umschreibung auch hier.

4

Shorter, Geburt, 24; 145; 164; 166; aus praxeologischer Perspektive wurde diese These im deutschsprachigen Raum vor allem von Lischka, Liebe in Frage gestellt.

5

Silke Lesemann, Liebe und Strategie. Adlige Ehen im 18. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 8 (2000), 189–207, 190.

6

Vgl. Goodman, Choice, 28.

7

Vgl. auch Lanzinger, Neigung, 268.

8

StABE, B III 830, 586–592.

9

Lanzinger, Liebe, 158.

10

Arno Haldemann, Charivari or the Historicising of a Question. The Irrelevance of Romantic Love for the Audio-Visual Performance of Marriage in Bern in the 18th and 19th Century, in: Journal for Religion, Film and Media (JRFM) 4 (2018), 55–66.

11

Damit wird auch deutlich, dass dieser Arbeit kein universalitisches Emotionsverständnis zugrundeliegt, sondern Gefühle als kulturell und historisch geformte Wahrnehmungs- und Ausdrucksweise von Empfindungen interpretiert werden. Für einen Überblick über die kulturgeschichtlichen Zugänge zur Emotionsforschung vgl. Rüdiger Schnell, Haben Gefühle eine Geschichte? Aporien einer History of emotions, Teil 1, 2 Teile, Göttingen 2015; ebenso Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012; Nicole Eustace/Eugenia Lean/Julie Livingston/Jan Plamper/William M. Reddy/Barbara H. Rosenwein, AHR Conversation. The Historical Study of Emotions, in: The American Historical Review 117 (2012), 1487–1531.

Liebe

1

Anne-Charlott Trepp, Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 und 1840, Göttingen 1996; Rebekka Habermas, Spielerische Liebe oder von der Ohnmacht der Fiktion. Heinrich Eibert Merkel und Regina Dannreuther (1783–1785), in: Ungleiche Paare. Zur Kulturgeschichte menschlicher Beziehungen, hrsg. v. Eva Labouvie, München 1997, 152–174; Anne-Charlott Trepp, Emotion und bürgerliche Sinnstiftung oder die Metaphysik des Gefühls. Liebe am Beginn des bürgerlichen Zeitalters, in: Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Manfred Hettling/Stefan-Ludwig Hoffmann, Göttingen 2000, 23–55; Rebekka Habermas, Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850), 2. Aufl., Göttingen 2002, 266–314; zum Umstand, dass es kein Zufall ist, dass sich das bürgerlich dominierte Feld der Akademie mit der Thematik der Liebe auseinandersetzt vgl. Haldemann, Charivari.

2

Jarzebowski, Inzest, 142–143; in eine ähnliche Richtung weist Goodman, Choice.

3

Helmut Bräuer weist zurecht auf den Umstand hin, dass „Sympathie, Zuneigung, Liebe oder andere emotionale Momente“ als Ehemotive den Subalternen nicht einfach fehlen. Er macht dafür vielmehr Ursachen in der Quellenüberlieferung verantwortlich und „nicht das Fehlen von Emotionalität“. Gleichzeitig weist er auf die Gefahr hin „gegenwärtige Vorstellungen zum Maß der Dinge zu machen.“ Helmut Bräuer, Zur Mentalität armer Leute in Obersachsen 1500 bis 1800. Essays, Leipzig 2008, 73–74; Goodman, Choice, 26–27.

4

Jarzebowski, Inzest, 142.

5

Shorter, Geburt.

6

Medick/Sabean, Emotionen, 31.

7

William M. Reddy, The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001, 124.

8

Lanzinger, Liebe, 163.

9

Ebd., 157–176.

10

Ebd., 159.

11

Zur Unterscheidung von venünftiger und leidenschaftlicher Liebe vgl. Denise Wittwer Hesse, Die Familie von Fellenberg und die Schulen von Hofwyl. Erziehungsideale, „häusliches Glück“ und Unternehmertum einer bernischen Patrizierfamilie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bern 2002, 31.

12

Bräuer, Mentalität, 73–74.

13

Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, 12. Aufl., Frankfurt a.M. 2012, 18–33.

14

StABE, B III 830, 83–86. Vgl. zur Liebe als bedrohliche Leidenschaft, mit der die Sünde beginnt, im Kontext katholischer Ehedispensen bei Lanzinger, Neigung, insbesondere 257 und 268–269. Im hiesigen Kontext interessant am Beispiel, das Lanzinger in diesem Aufsatz thematisiert, ist der Umstand, dass das Paar die Leidenschaft dem Konsistorium gegenüber erfolgreich als Drohung einsetzt, um die Ehedispens im verbotenen Verwandtschaftsgrad zu erhalten. Vgl. ferner zur Bestimmung leidenschaftlicher Liebe in Abgrenzung zu romantischer Liebe Anthony Giddens, Wandel der Intimität. Sexualität, Liebe und Erotik, Frankfurt a.M. 1993, 48–52. Giddens konstatiert: „Leidenschaftliche Liebe ist gefährlich, wenn es um die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und die Einhaltung von Pflichten geht. Es überrascht kaum, dass leidenschaftliche Liebe niemals als nötige oder auch nur ausreichende Basis für eine Ehe angesehen wurde […].“

15

StABE, B III 830, 83–86.

16

StABE, B III 829, 645–647.

17

Vgl. StABE, B III 826, 74–75.

18

Vgl. zu „deviant emotions“, der politischen Bedeutung von Emotionen und deren Regierung Reddy, Navigation, 125.

19

StABE, B III 830, 83–86.

20

Ebd.

21

Ebd.

22

Ebd.

23

Ebd.

24

StABE, B III 826, 606.

25

Ebd., 606–611.

26

Stephanie Coontz bringt das Geschriebene sehr konzis auf den Punkt, wenn sie formuliert, dass in vielen Kulturen Liebe zwar ein wünschenswertes Ergebnis der Heirat war, aber nicht als guter Grund für die Eheschließung betrachtet wurde. Dementsprechend gingen die meisten Menschen im frühneuzeitlichen Europa davon aus, dass sich Liebe höchstens in der Ehe entwickeln würde: „[L]ove in marriage was seen as bonus, not as necessity.“ Coontz, Marriage, 18–19; vgl. zu den ökonomischen Voraussetzungen der Liebe auch Borscheid, Geld.

27

StABE, B III 826, 39.

28

StABE, B III 824, 550–555.

29

StABE, B III 830, 83–86.

30

StABE, B III 829, 187–191.

31

Ebd., 376–378.

32

Ebd., 474–476.

33

Ebd., 522–524.

34

Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M. 2003, 41–42.

Glück

1

Es mag sein, dass „die auf Liebe gegründete Ehe“ für die „aufgeklärten Bürger die unabdingbare Voraussetzung […] für die sogenannte ‚häusliche Glückseligkeit‘“ war. Für die hier untersuchten prekarisierten Eheschließungen war die Liebe im Gericht gerade kein zureichender Grund für deren Realisation. Trepp, Emotion, 33.

2

StABE, B III 826, 39.

3

Damit wird mitnichten behauptet, dass das in jedem anderen Kontext so war. Liebe konnte in dieser Zeit an anderen Orten und zwischen anderen Partnern bestimmt statthaben. Liebe wurde sicherlich nicht in jedem Kontext so kritisch gesehen. In der Romanliteratur wurde sie zweifellos vielfältig und positiv diskutiert. Und auch in bürgerlichen Tagebüchern und brieflich verfassten Selbstreflexionen fand sie ihren konstitutiven Niederschlag, wie zahlreiche Studien belegen. Aber bei Eheschließungen, die aufgrund körperlicher, sexueller und ökonomischer Parameter vom sozialen Umfeld im Gericht in Frage gestellt wurden, zeichneten die Gerichtsschreiber diese Emotion lediglich negativ konnotiert auf.

4

StABE, B III 830, 83–86.

5

StABE, B III 827, 298–303.

6

Ebd.

 

7

StABE, B III 826, 591–598.

8

StABE, B III 829, 600–602.

Glück

9

StABE, B III 826, 384–386.

10

Vgl. zur Steigerung von Zuneigung über Liebe zu Leidenschaft, die in der zeitgenössischen Logik im schlimmsten Fall eben Leiden schaffte, Lanzinger, Neigung, insbesondere 257; 268–269.

11

StABE, B III 826, 582–590.

12

Ebd., 143–144.

13

Ebd.

14

Ebd., 73–80.

15

Vgl. zum Mann als „leitungsbedürftiges Triebwesen“, zu dessen Domestizierung im Protestantismus die Ehe diente Schmidt, Hausväter, 216–217.

16

StABE, B III 826, 73–80.

17

Ebd., 74–75.

3 Strategien: Die praktische Normierung prekärer Eheschließungen im ausgehenden Ancien Régime

1

Zur Spannung zwischen versprochener Gleichheit einer vorurteilslosen Justiz und der praktisch verhandelten Ungleichheit vor Gericht: Eibach, Gleichheit; zur Allegorie mit der Göttin, die eine Augenbinde trägt, um vorurteilslos zu richten vgl. Eibach, Iustitia, 185.

2

Schlumbohm, Gesetze.

3

Schmidt-Voges, Mikropolitiken, 32.

3.1 Mehrstimmigkeit und der Ermessenspielraum der Gnade

1

Alexandra Lutz hat darauf hingewiesen, dass in ihrem Untersuchungsmaterial, das sich über den Zeitraum von ca. 1650 bis 1770 erstreckt, nur in rund der Hälfte der Fälle überhaupt ein Urteil vermerkt wurde. Vielfach sei ausschließlich die Klage aufgezeichnet worden. Konsequent seien die Urteile erst seit 1728 in den Akten vermerkt worden. Lutz, Ehepaare, 128.

2

Hardwick, Business, 17.

3

Vgl. dazu auch Julie Hardwicks Ausführungen zum frühneuzeitlichen Frankreich ebd., 17; 56. Auf Seite 17 schreibt sie zum Verhältnis zwischen werdendem Staat und Untertanen sehr zutreffend: „If the state’s vision of itself, as represented in familial rhetoric and marital legislation, was monolithic and expansive, working families‘ experience of, and perception of, authority and power suggested that a heterogeneous state fitted their reality“; zur Ergebnisoffenheit von gerichtlichen Verfahren in konzeptioneller Hinsicht vgl. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 9. Aufl., Frankfurt a.M. 2013, 40–41.

4

Zu den verschiedenen Prozeduren der Ausschließung Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann, 12. Aufl., Frankfurt a.M. 2012, 11–17.

5

Ebd.

6

Sarasin, Geschichtswissenschaft, 41–42.

7

Zum Terminus „Gnadenakt“ Lanzinger, Verwandtschaft, 243.

8

Karl Härter schreibt in Bezug auf frühneuzeitliche Strafprozesse Folgendes: „Nicht Durchsetzung, sondern die differenzierte Anwendung von Straf- und Policeygesetzen, die Strafen keineswegs immer absolut, sondern häufig arbiträr und in Form von außerordentlichen Sanktionen androhten, in Verbindung mit dem gelehrten Recht, das zahlreiche Interpretationen- und Auslegensmöglichkeiten entwickelte, eröffnete Ermessensspielräume, um Devianz und Kriminalität auf einer normativen Grundlage flexibel zu sanktionieren.“ Härter, Kriminalitätsgeschichte, 158–159. Diese Beschreibung trifft auch auf die Praxis des Berner Oberchorgerichts zu.

9

Joachim Eibach hat betont, dass insbesondere „aus der Sicht der Herrschaft […] ein weiter Spielraum des Ermessens für die Richter […] relevant [war]“ um sich „mal als exemplarisch hart, mal als gnädig erweisen“ zu können. Die richterliche Milde ist von ihm ebenfalls als „Gnade“ interpretiert worden. Eibach, Iustitia, 184; auch André Holenstein hat geltend gemacht, „dass die Gesetze nicht einfach nur aus Mangel an staatlichem Durchsetzungsvermögen nicht durchgesetzt wurden, sondern unter gewissen Umständen bewusst auf deren Anwendung verzichtet wurde“. André Holenstein, Die Umstände der Normen – die Normen der Umstände. Policeyordnungen im kommunikativen Handeln von Verwaltung und lokaler Gesellschaft im Ancien Régime, in: Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, hrsg. v. Karl Härter, Frankfurt am Main 2000, 1–46, 34–35.

10

Vgl. zum Sanktionsverzicht Gerd Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn 1991, 167; Eibach, Verhöre, 377; Eibach, Gleichheit, 510; Karl Härter hat in der kriminalitätshistorischen Diskussion rund um den Sanktionsverzicht unlängst angeregt, dass die „Differenz zwischen normativ (vermeintlich absolut) angedrohten Strafen und milderer Strafpraxis durchaus bereits in den Normen selbst angelegt“ war. Karl Härter, Policey und Strafjustiz in Kurmainz. Gesetzgebung, Normdurchsetzung und Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat, Bd. 1, 2 Bde., Frankfurt a.M. 2005, 484; nichtsdestotrotz mussten sich die Richter aber zur Milde entscheiden und hätten rein theoretisch die Möglichkeit zu härteren Strafen gehabt. Insofern waren die Gerichtsurteile gleichwohl weniger durch materielles Strafrecht als durch den Aushandlungsprozess vor Gericht determiniert. So hat Gerd Schwerhoff die Anregung von Härter aufgenommen, aber seinerseits auf die „Flexibilität der verkündeten Normen“ verwiesen. Schwerhoff, Kriminalitätsforschung, 97; 107.

11

Rudolf Dellsperger, Kirche und Staat, in: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, hrsg. v. André Holenstein, Bern 2008, 242–246, 242.

12

Zur Gnadenpraxis, die im 18. Jahrhundert von Gerichten gezielt eingesetzt werden konnte, um „die überholten Rechtsnormen in der Praxis auszuhebeln“, also Sanktionsverzicht zu üben, Harriet Rudolph, „Eine gelinde Regierungsart“. Peinliche Strafjustiz im geistlichen Territorium; das Hochstift Osnabrück (1716–1803). Zugl.: Trier, Univ., Diss., 1999, Konstanz 2001, 325. Zum variablen Einsatz richterlicher Gnade in der Frühen Neuzeit außerdem Schwerhoff, Kriminalitätsforschung, 94–95. Zum Verhältnis von richterlichem Ermessenspielraum beziehungsweise gerichtlicher Willkür und Gesetzestreue sowie zunehmender Urteilsmilde im ausgehenden Ancien Régime in Bezug auf das Strafrecht unter aufklärerischen Einflüssen in der Stadtrepublik Genf vgl. die Studie von Michel Porret, Le crime et ses circonstances. De l’esprit de l’arbitraire au siècle des Lumières selon les réquisitoires des procureurs généraux de Genève, Genève 1995.

13

Zur paternalistischen Herrschaftspraxis in Bern im 18. Jahrhundert vgl. André Holenstein, Epilog. „Landesväterlichkeit“ und „mildes Regiment“ im Selbst- und Fremdverständnis des patrizischen Staats, in: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, hrsg. v. André Holenstein, Bern 2008, 508–511; zum Paternalismus als Herrschaftsstrategie im Allgemeinen vgl. Sandro Guzzi-Heeb, Art. Paternalismus 2011. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016087/2011-03-17/ (26.08.2021).

14

Vgl. Eibach, Iustitia, 185.

15

Auf ähnliche Tendenzen in der Urteilspraxis stößt Erika Flückiger Strebel in Bezug auf die landesväterliche Praxis der Almosenkammer: „Die Kammer zielte mit ihrem Einsatz für die Anliegen der Bedürftigen […] oft auf die Disziplinierung der Gemeinden […]. […] Sah sich die Almosenkammer allerdings mit Bedürftigen konfrontiert, die sich nicht mit einer einmaligen kleinen Auszahlung und einer Empfehlung an den Landvogt, ihre Unterstützungswürdigkeit zu prüfen, begnügten, konnte sie allerdings auch eine härtere Gangart anschlagen […].“ Flückiger Strebel, Wohlfahrt, 49–50.

16

Holenstein, Umstände, 35.