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Prekäre Eheschließungen

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2.3.5 Leidenschaften und Gefühle

In Anbetracht der eben ausgeführten Beobachtung erscheint die vielbeachtete These von Hans Medick und David Sabean, wonach Gefühle und materielle Interessen keinesfalls getrennte Sphären abbildeten, sondern stets ineinander verwoben seien, für den hier behandelten Untersuchungszeitraum ausgesprochen plausibel.1 Sehr pointiert formuliert auch Jon Mathieu diese These, wenn er darauf verweist, dass Akteur-Innen durchaus in der Lage waren, ihre Gefühle der materiellen Umwelt anzupassen.2 So konnte die Erfüllung der materiellen Bedürfnisse und die Verbesserung der ökonomischen Situation von den Ehewilligen, wie oben aufgezeigt, problemlos und verständlicherweise als Glück erachtet werden. In ihrer Perspektive standen materielle Existenzsicherung und positive Gefühle in keinem Widerspruch. Im Idealfall ergänzten sie sich in einem „All-inclusive-Paket“.3 Die Dichotomie zwischen zweckfreien, quasi romantischen Gefühlen der jungen Menschen und den materiellen Interessen sowie dem heiratspolitischen Kalkül der sozialen Umwelt, deren Rituale vermeintlich keine Gefühle erlaubten, erscheint daher überzeichnet und undifferenziert.4 Vielmehr strukturierten sie sich wechselseitig.5 Für Männer und – in gesteigertem Maße – für Frauen waren Glück, sozialer Status, ökonomischer Erfolg und Sicherheit in der Kombination nur durch Heirat zu erreichen.6 Folglich ließen sich die materiellen und immateriellen Heiratsmotive nie trennscharf unterscheiden.7 Auch gegen prekäre Heiratsbegehren Opponierende sahen zwischen Glück und Wirtschaftlichem keinen Gegensatz. Im Gegenteil: Sie erwarteten bei allzu großen materiellen Sorgen und emotionalen Spannungen nichts anderes, „als daß sich aus dieser Ehe [nicht] etwas anders als Unglük und Elend vorhersehen ließe“.8 Das emotionale Ergebnis eines prosperierenden ehelichen Haushalts war Glück. Darin kommt zum Ausdruck, dass wirtschaftlicher Erfolg und emotionales Gelingen eines Haushalts für die Zeitgenossen untrennbar miteinander verschränkt waren.

Gleichzeitig lässt sich daraus aber auch ableiten, dass das „bürgerliche[] Liebesprojekt“, das Ehe und Liebe wenigstens ideell amalgamierte und dadurch „die Liebe jeden ‚Ökonomieverdachts‘ enthob“, sich in den prekären Eheschließungen vor dem Berner Oberchorgericht des Ancien Régimes auch nicht andeutungsweise umgesetzt fand.9 Im Berner Oberchorgericht hatte die Liebe im Ancien Régime sehr viel mit den ökonomischen Voraussetzungen der Partner und deshalb wenig mit prekären Eheschließungen zu tun, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.10 Wo materielle Bedingungen nicht erfüllt waren, konnte in den Augen der Opponierenden kein Glück gedeihen, weshalb die Liebe als Ehevoraussetzung längstens nicht ausreichte. Wo hingegen bestimmte positive Gefühle gänzlich fehlten oder negative Gefühle zwischen den Eheaspiranten dominierten, wurde vom Gericht wiederum wirtschaftliches und gesellschaftliches Scheitern antizipiert. Dabei stellt sich allerdings die Frage, welches in der zeitgenössischen Wahrnehmung die ‚richtigen‘ emotionalen Voraussetzungen für eine legitime Eheschließung waren. Welche materiellen und sozialen Konditionen wurden für bestimmte Gefühle verantwortlich gemacht?11

Liebe

In Zusammenhang mit der Eheschließung haben sich viele Historiker*innen vor allem an den Gefühlen der Liebe und Zuneigung abgearbeitet. Sie werden in der Forschung nach wie vor vielfach für eine bürgerliche Erfindung gehalten.1 Darauf verweist auch Claudia Jarzebowski in ihrer Studie zu inkriminierten Verwandtenbeziehungen. Sie kritisiert dabei jedoch die deutsche Bürgertumsforschung, die die Liebe als bürgerliche Konstruktion auslegt, dabei zum Teil aber Konzept und Praxis unberechtigter Weise gleichsetzen würde.2 Dieser Umstand dürfte damit zusammenhängen, dass Liebe und Zuneigung in der romantischen Literatur des Bürgertums, in Briefen und Tagebüchern als Idee einfacher zugänglich sind als in Gerichtsakten, die Eheschließungsbegehren umkreisen, deren Prekarität oft mit wirtschaftlicher Unsicherheit zu tun hatte. Daher erhalten sie gegenüber anderen Gefühlen Vorrang von Forschern, die bezeichnenderweise vorwiegend aus dem bürgerlichen Milieu stammen, beziehungsweise sich durch ihre akademische Tätigkeit per Definition in dasselbe einschreiben (müssen).3 Dadurch entsteht tendenziell das Bild einer „lieblosen Vormoderne“ im Kontrast zu einer empfindsamen und gefühlvollen bürgerlichen Moderne.4 Edward Shorters vielbeachtete Beschreibung der Genese der modernen Familie steht stellvertretend hierfür.5 Sabean und Medick haben jedoch bereits 1984 darauf hingewiesen, dass emotionale Erfahrungen und Ausdrucksweisen, sie sprechen von „codes“, sich in starker Abhängigkeit vom sozialen Milieu, zu Besitzverhältnissen und somit zu Herrschaftsbeziehungen entwickeln.6 Gefühle sind also stets tiefgreifenden kulturellen Einflüssen ausgesetzt und deswegen von höchster politischer Brisanz.7 Margreth Lanzinger zufolge konnten Emotionen, verstanden als immaterielle Ressource, je nach kulturellen Umständen mehr oder weniger effektiv „aktiviert und eingesetzt werden“.8 Dadurch erhalten Gefühle den Charakter zeitlich und sozial bedingter Mittel.9 Insofern gilt es besonders an dieser Stelle, den herrschaftlichen Entstehungskontext der untersuchten Quelle mit zu berücksichtigen, der den – hier einzigen – Zugang zu den Gefühlen erschwert, aber nicht unmöglich macht. Denn die Rekursurkunden in den Manualen wurden im Auftrag der Regierung und deren richterlichen Instanz, dem Oberchorgericht, vom kooptierten Ehegerichtsschreiber verfasst. Über die Gefühle der hier untersuchten Ehebegehrenden schrieben folglich immer Drittpersonen, die als Verwalter einer bestimmten Herrschaft fungierten. Dadurch wurden emotionale Ausdrücke „gefiltert und in institutionelle Logiken eingepasst“.10 Deswegen geht es an dieser Stelle darum, die spezifische Wertigkeit von Gefühlsäußerungen vor Gericht zu analysieren und dadurch deren Ressourcencharakter und Potential für die Ehewilligen auszuloten.

In den Quellen zeigt sich, dass das Gefühl der Liebe im Gericht des Ancien Régimes fast ausschließlich in negativ konnotierter Weise Aufnahme fand. Die in den Quellen präsentierte Liebe war eine unkontrollierbare leidenschaftliche – und keine vernünftige – Emotion.11 Sie war ein Argument der Opponierenden und keine explizite Ressource ehewilliger AkteurInnen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die empfundene Liebe der Ehewilligen eine Triebfeder des Eigensinns und des hartnäckigen Einsatzes für die Ehe vor Gericht war. Gerade „die Abwesenheit von ökonomischen oder materiellen Triebkräften“ und „materielle Nachteile“, die „die ‚wählenden‘ Partner erkennen“, und im Fall von standesungleichen Heiraten in Kauf nehmen konnten, könnten ein Indiz für immaterielle und somit emotionale Motive sein.12 Die Gefühle können dennoch höchstens im Zusammenhang mit den beschriebenen Handlungen vermutet werden. Es würde also der Erfahrung von ehewilligen Paaren vor dem Berner Oberchorgericht am Ausgang des 18. Jahrhunderts in keiner Art und Weise gerecht werden, bezogen auf die Gerichtsakten von der Liebe mit Niklas Luhmann als einem „symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium“ zu sprechen.13

Vielmehr war das Liebesgefühl in den untersuchten Akten ein prekarisierendes Kommunikationsmedium. Den Gegnern der behandelten Eheschließungen gelang es nämlich im Gegenzug sehr wohl, Liebe in rhetorischer Weise mit „Leichtsinn“ und „wankelmütigen Leidenschaften“ zu verbinden, sich in den Akten damit Gehör zu verschaffen und sie als unkontrollierbare Gefahr zu diskreditieren.14 Die „Übernemungen und Verführungen der Liebe und anderer Leidenschafften“ galt es in ihren Augen anzuzeigen und die Gesellschaft davor zu warnen, um „die gute Ordnung bey[zu]behalten“.15 Die angesprochene Ordnung war in der Auffassung der Ehegegner die stets gefährdete kommunale Struktur, die auf ökonomischen Rationalitäten und verwandtschaftlichen Zusammenhängen aufbaute, gleichzeitig aber auch göttlicher Natur war. Demgegenüber stellte das Gefühl der individualistischen, ‚eigennützigen‘ Liebe in den Quellen eine fundamentale Bedrohung dar. Sie mündete in „Sidtenlosigkeit und Verführung“, indem sie selbstgenügsamen, aber nicht folgenfreien Sex verursachte.16 In der Argumentationslogik der Opponierenden stand die Liebe daher geradezu am Ausgang jenes Übels, das dazu führte, dass in Bern die außerehelichen Geburten zunahmen und die knappen Ressourcen der Korporationen und Gemeinden stark strapaziert wurden.17 Damit widersprach die Liebe mit ihrem genuin eigensinnigen Potential der kollektiven Ressourcenlogik ständisch-korporativer Gemeinschaften in der Frühen Neuzeit. Sie stellte insofern in der Auffassung ihrer Gegner immer eine Risiko dar, dessen gesellschaftliches Sprengpotential es durch die Regulierung der Gefühle einzudämmen galt. Starke Zuneigung und Liebe repräsentierten für die Opponierenden prekärer Heiratsbegehren folglich eine deviante Emotion, die es zu unterdrücken galt.18 Das von der Liebe ausgelöste und als sittenlos und verführerisch stigmatisierte Verhalten stand stets in unmittelbarer Nähe zu egoistischer und ungezügelter Lust und dadurch auch zu religiös konnotierter Unreinheit, weil es primär weder auf die Fortpflanzung noch auf die Aufrechterhaltung der sozioökonomischen Ordnung ausgerichtet war. Die Liebe und die damit verbundene Sexualität waren in den Augen der Einsprechenden eigensinniger Selbstzweck und daher sowohl für die göttliche als auch die sozioökonomische Ordnung bedrohlich.

Gleichzeitig resultierte Liebe in den vorliegenden Quellen aus „Unerfahrenheit“ und war somit wie der sexuelle Leichtsinn primär mit der Jugend assoziiert.19 Dadurch trat die leidenschaftliche Liebe – wohlgemerkt als Argument der Opponierenden – vor allem im Zusammenhang mit Klagen gegen Eheschließungen von Minderjährigen auf. Die in den entsprechenden Gerichtsakten beschriebenen Gefühle führten ausschließlich zu in „unbedachter Weise eingegangenen Handlungen“.20 Die jungen, naiven Menschen mussten vor falschen emotionalen Vorstellungen, vor „Verführungen der Liebe“ bewahrt werden.21 Das Ehegesetz wurde von den Ehegegnern dabei als „Schuzwehr“ gegen die jugendlichen Leidenschaften betrachtet.22 Dieses Bollwerk galt es aufrechtzuerhalten, um die erste Ordnung Gottes auf Erden zu bewahren.23 So „(seye) Überhaupt die Beziehung der Ehe eine[] wichtige und feyerliche Handlung, daß bey derselben aller Leichtsinn und Mutwillen bey beyseidts gesezt werden solle […]“.24 Ansonsten „[lief] das Geschäft in ein lediges Liebesverstandniß junger Leuten aus“.25 Mit allen hier angeführten Zitaten wurde implizit, aber unmissverständlich, Kritik an romantisierenden Ehevorstellungen geäußert. Die angeführten Quellenaussagen deuten an, dass Gefühle der Liebe und Zuneigung ganz offensichtlich nur dort unproblematisch erscheinen mochten, wo die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen erfüllt waren, denen die Emotionen dann folgen mochten – sie durften diesen aber nicht vorausgehen.26 Dort mochte die Liebe vernünftig erscheinen. Ansonsten verleitete die Liebe zu „Mißtritte[n]“, die in ihrer Summe „Irrwege“ produzierten.27 Insofern war diese Liebe für die Opponierenden kein beständiges Gefühl, das dem Wesen der Heirat gerecht werden konnte, sondern ein trügerischer und desorientierender menschlicher Affekt. In der Folge der Kritik an der Vergänglichkeit dieser Affekte wurde auch die emotionale Authentizität von „Liebe und Inclination“ wiederholt in Frage gestellt und deswegen als Fundament einer Ehebeziehung kritisiert.28 Den Eheeinsprechenden zufolge wurden amouröse Emotionen immer auch lediglich vorgegeben und instrumentalisiert, um „Speculationen der Gewinnsucht gegen die Jugend“29 zu kaschieren und „ausgesponnen Liebeshandel“30 zu tarnen. Dadurch rückte das Gefühl der Liebe zusätzlich in die Nähe von Lug und Trug. Die Ehe erschien dann als Deckmantel ökonomischer Begehrlichkeiten, die mittels unauthentischer Gefühle realisiert werden sollten. Die gegen die Heiratsbegehren Opponierenden tendierten also dazu, die Liebe entweder als Verblendung oder Täuschung der Gefühle einer Ehepartei zu entlarven. Wenn die Liebe als Täuschung auftrat, dann sollte sie die unlauteren sozio-ökonomischen Ehemotive ehewilliger Akteur-Innen verschleiern.31 Aus solchen Verbindungen konnte in den Augen der opponierenden Familien, Gemeinden und Gesellschaften „nichts als eine unglückliche und bedaurungswürdige Ehe“ hervorgehen.32 Liebe war für die Gegner der prekären Eheaspirationen eine menschliche Sinnestäuschung, die gerade deswegen zwischen standes- und altersungleichen Partnern Platz finden konnte – bei den listigen Verführern, die „aus bloßen Speculations-Absichten das zeitliche Interesse betrefend“ vermeintliche Gefühle vorgaukelten,33 und den Verführten, die leichtsinnig und naiv handelten. Für die Opponierenden basierte diese Liebe dann auf einer emotionalen Ungleichheit der Ehepartner, die der göttlichen Ordnung unwürdig war und ihren Ursprung im Altersunterschied und der Standesungleichheit haben konnte.

 

Trotz der pointierten negativen Bewertung der Liebe in den Gerichtsakten belegt das untersuchte Quellenmaterial aber auch, dass die Gefühle von Liebe, Zuneigung und Leidenschaftlichkeit Teil der ehegerichtlichen Aushandlungsprozesse waren und einen Komplex bildeten, der von den Parteien im Gericht kontrovers diskutiert wurde. Obwohl das Vorhandensein von Liebe im hier thematisierten Zeitraum die begehrten Eheschließungen vulnerabel machte, schien es in Anbetracht des zuvor Ausgeführten auch nicht gänzlich ohne Gefühle gegangen zu sein. Deutlich tritt die Liebe als doppelt negativ besetzter Einwand – Naivität und als deren Kehrseite die Täuschung – gegen die begehrten Ehevorhaben hervor. Sie offenbarte sich somit im Ancien Régime als Ursache matrimonialer Prekarisierung. Die da und dort in den Gerichtsakten ex negativo aufblitzenden Liebesgefühle waren dann vielleicht Teil dessen, was Philipp Sarasin in Anlehnung an Foucault als das „‚halbverschwiegene Geschwätz eines anderen Diskurses‘, der zwischen den Zeilen spricht“, bezeichnet hat. Folgen wir der diskursgeschichtlichen Argumentation des Historikers, dann wäre es möglich, dass genau diese Zwischentöne eine leise Ankündigung dessen waren, was danach kam.34 Mit dieser Annahme stellte die Liebe zwar vor Gericht keine Verhandlungsressource der ehewilligen AkteurInnen im Ringen um die begehrten Ehen dar, wenn diese aufgrund ihrer materiellen, körperlichen und sexuellen Konfigurationen prekär wurden, aber die Opponierenden thematisierten sie. Sie fühlten sich von ihr bedroht und nannten sie beim Namen. Wenn die Liebe den Einsprechern als Imitation und Deckmantel für ökonomische Spekulationen erschien und die Ehe deswegen zur bloßen materialistischen Übereinkunft zu verkommen drohte, wurde gerade die Absenz von liebesähnlichen Gefühlsregungen beklagt. Folglich gehörte die Liebe zum Sagbaren. Sie war allerdings nicht mit jenen positiven romantischen Attributen besetzt, die wir beispielsweise in der zeitgenössischen Romanliteratur vorfinden.

Glück

Das emotionale Bindeglied zwischen sozioökonomischer Ordnung und menschlichem Gefühlshaushalt und somit die valable emotionale Ressource der Ehewilligen vor dem Berner Oberchorgericht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren folglich nicht die Liebe oder die Zuneigung noch deren Fehlen. Ihr Einsatz war, wie im vorausgehenden Kapitel angedeutet, die realistisch präsentierte Aussicht auf häusliches Glück. Die Unbeständigkeit der Liebe oder das Fehlen von Zuneigung gefährdeten, so die Gerichtsakten, soziale Zusammenhänge in der lokalen Gemeinschaft und beeinträchtigten ökonomische Beziehungsnetze.1 Liebe war in der Darstellung der Ehegegner fatalistisch und machte zwangsläufig „unglücklich“.2 Damit gefährdete sie in der Argumentationslogik der Opponierenden das utilitaristisch gedachte gesellschaftliche Gesamtwohl, aber auch das Glück des Ehepaars selbst, das aus einer prekären Eheschließung hervorging und am Ursprung der ökonomischen Einheit des Haushalts stand.3 Das Glück war hingegen jenes Gefühl, das aus der richtigen sozialen, ökonomischen und sexuellen Konfiguration einer Beziehung resultieren würde:

„[D]as außerliche Ansehen beydseitiger Partheyen mit denen guten Leumden der Rechtschaffenheit des Characters und der sittlichen Aufführung des Klägers laßen mit Grund eine glückliche und vergnügte Ehe voraussehen […].“4

Glück war folglich sozioökonomisch voraussetzungsvoll, ließ sich aber durch Arbeit generieren, die durchaus auch im substanziellen und gewerblichen Sinn verstanden wurde. Es sei hier an den im vorausgehenden Kapitel bereits zitierten Fall von Samuel Dällenbach erinnert, der mit Anna Fäß „sein Glük zu machen hofte“, weil sie mit ihrer Arbeit als Wäscherin für zusätzliche Einkünfte für den Almosenbezüger sorgte und dadurch „seine elende[n] Haus- und Vermögens-Umstände“ verbesserte.5 Offensichtlich trug sie zur Verbesserung seiner ökonomischen Verhältnisse bei und erweckte daher berechtigte Hoffnung auf Glück. Das gemeinsame Wohnen und Haushalten, bei dem sie „bestens inne worden“, gab zusätzlichen Anlass zum Optimismus.6

Aber auch emotional war Glück, wenn auch nicht an die Liebe, an Bedingungen gekoppelt. Wo an die Stelle des konsensualen Eheversprechens – darauf wurde bereits in Bezug auf die Reue hingewiesen – „Abneigung“ trat und nicht bereits uneheliche Kinder existierten, war „wegen besorgender unglücklicher Ehe“ kein häusliches Glück zu erwarten.7 „Abneigung und Wiederwillen [sic]“ bedurften „Zwang zur Heurath“ und daraus war „nichts anders als eine höchst unglückliche Ehe“ zu erwarten.8 Besonders gut illustriert diesen Umstand das folgende Beispiel von Ullrich Brönnimann von Oberbalm und Magdalena Hügi, gebürtige Jenner, wenn die Gegner dieser Ehe 1762 folgende Argumentation entwickelten:

„Obgleich unlaugbar, daß der Brönnimann die Ehe versprochen, auch mit derselben Beyschlaf gehalten, so zeige sich dennoch zum voraus, daß diese Heyraht in alle Weg höchst unglükhaftig seyn müßte, der unübersteigliche Wiederwillen den der Antworter seith der Eheversprechung und darauf erfolgter Contraditation gegen die Hügi bezeuget, scheint aus allen Umständen keines wegs simuliert, sondern seinem Grund entweder in einem zwar richtigen, aber unerweislichen Umstand, oder aber in einer Zerrüdtung seines Gemühts zu liegen. Beydes aber ist gleich traurig, gleich gefährlich, und prognosticiert den gleichen Jammer. Bey der heutigen Verhör selbsten hat sich überzeugend gezeigt, wie fast der Kummer seines könftigen Schiksaals diesen alten Mann angreife. Benebens ist Antworter an seinen 60. Jahren, da hingegen die Klägerin noch jung und nicht mehr als 28. Jahr alt ist. Eine Disportion, die gleichfalls nicht viel gutes andeutet. Wann nun aus all diesen der Zwek deß Ehestands auch nicht in einem einicher seiner Theilen erreicht werden kann: mithin dergleichen Heyraht nach allen Regeln der Sittenlehr und einer gesunden Politic in alle wege eher zu behindern als zu begünstigen.“9

Folglich hatten Gefühle in Bezug auf die prekären Ehen einen paradoxen Stand: Sie durften nicht zu leidenschaftlich und intensiv sein, wie etwa im Zustand der Liebe.10 Die Abwesenheit von diffus umrissener und begrifflich nicht explizit bezeichneter Zuneigung und seelischer Übereinstimmung war hingegen ihrerseits schlecht für das von einer solchen Ehe zu erwartende Glück. Ehen ließen sich also über die Emotionen doppelt und dabei in entgegengesetzte Richtungen prekarisieren. Das nicht benannte Gefühl im emotionalen Raum zwischen Liebe und Glück war ein vernünftiges, das sich vor allem zwischen standes- und altersgleichen Eheparteien einstellte, also auf zeitgenössischen Gleichheitsvorstellungen aufbaute. „Glüksumstände“ waren beispielsweise dort erfüllt wo „zwischen […] jungen Leuthen wenige Ungleichheit“ herrschte.11 Frauen sollten einen ihnen „angemessenen Ehegatten auswählen“.12 Das war „præcisé der Casus“ wenn „er […] nicht nur Alters halb derselben gleich, sondern auch seine übrige Umstände mit den ihrigen übereinzukommen – mithin eins des andern wohl wehrt zu seyn scheinen; und hier nicht das wenigste apparirt, welches wider die Anständigkeit und gute Sitte streiten könnten.“13 Was die übrigen Umstände der Gleichheit waren, die eine im zeitgenössischen Verständnis glückliche Ehe erwarten ließen, kommt in der Verhandlung zwischen Barbara Wernli und Jakob Bader zum Ausdruck, in der es um die kombinierte Vaterschafts- und Eheklage der Frau ging. Es handelte sich also nicht um eine prekäre Eheschließung im engeren Sinne, verdient hier aber aufgrund des darin Geäußerten trotzdem Erwähnung. Denn der Fall, der sich 1757 vor dem Berner Oberchorgericht zutrug, gibt Aufschluss über den Zusammenhang zwischen Ehe, Glück, ökonomischem Gelingen und vorehelicher Sexualität. In der Gerichtsverhandlung waren der Gemeindevertreter von Brittnau und der Vogt von Bader, der erwiesenermaßen der Vater des unehelichen Kindes der Klägerin war, der Meinung, dass „dessen Ruin käummerlich anders als durch eine Heyrat werde vorzubiegen seyn“.14 Der „rohe ausschweifende Jüngling“, der, wie aus der Gerichtsurkunde zu erfahren ist, bürgerlicher Herkunft war, sollte in diesem Fall durch die Ehe zu seinem Glück, dessen Gegenteil der sittliche und wirtschaftliche Untergang war, gezwungen werden. Die Ehe erschien dabei sowohl als Erziehungsanstalt, die Verschwendung und Liederlichkeit zu domestizieren half und dadurch den ökonomischen Ruin abwenden konnte.15 Gleichzeitig fungierte sie als Pflanzstätte für zukünftiges Glück. Zwang wurde hier im Unterschied zu reuig gewordenen konsensualen Eheversprechen ohne uneheliche Kinder wohl angewendet, weil bereits ein uneheliches Kind existierte, dessen Versorgung es sicherzustellen galt. Die Abwendbarkeit des Ruins und das damit implizit abgeleitete Glück war in diesem Fall allerdings lediglich erwartbar, weil „beyde Theile gleichen Stands und gleichen Herkommens sind, und keines sich des andern zu verschämen hat“.16 Das Gericht sprach dabei von einer „längstens wohl radicierte[n] Übung“, die „in höchster Instanz wiederholter Malen erkennt worden ist, daß in dergleichen Fällen Personen von Rang oder bürgerlichem angesehenem Herkommen einander ehelichen sollen, oblgeich keinerley gesetzmäßige Eheversprechung erwiesen werden könne“.17 Folglich war Glück in der Meinung des Oberchorgerichts weniger von Freiheit als von Standesgleichheit und den richtigen materiellen Voraussetzungen abhängig.