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Die Majoratsherren

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Aber eine neue Veranlassung zur tiefsten Beunruhigung seines Gemüts mußte er dort vorfinden. Er sah vor dem Hause der Esther eine große Versammlung von Juden und Jüdinnen, die heftig miteinander redeten. Weil er sich nicht darunter mischen wollte, so ging er in sein Haus und befragte die alte Aufwärterin. Sie berichtete ihm, daß der Verlobte der schönen Esther vor einer Stunde ganz zerlumpt von einer Reise nach England zurückgekommen sei; er habe alles das Seine verloren.

Die alte Vasthi habe ihm darauf erklärt, daß er ihre Schwelle nie betreten, an ihre Stieftochter nicht denken solle; aber Esther habe laut versichert, daß sie gerade jetzt ihre Zusage erfüllen wolle, den Unglücklichen zu heiraten, weil er ihrer bedürfe, sonst hätte sie wegen ihrer Kränklichkeit das Verlöbnis aufgelöst. Darüber sei eine schreckliche Wut der Mutter Vasthi ausgebrochen, die kaum durch das Zwischentreten der ältesten Nachbarn beschwichtigt worden sei. Jedermann gebe ihr laut schuld, daß sie nicht aus Vorsorge für die Stieftochter, sondern aus Verlangen, sie zu beerben, weil sie sehr kränklich, die Heirat zu hindern suche.

So war nun ein Mittel der Ausgleichung, wenn er selbst, der Majoratsherr, die verstoßene Esther geheiratet hätte, fast verloren, und seine Neigung schien ihm jetzt sträflich. Er sah Esther, die bleich und erstarrt wie eine Tote auf ihrem Sofa lag, während der Verlobte, ein jammervoller Mensch, ihr seine unglücklichen Begebenheiten erzählte. Es wurde Licht angezündet; sie schien sich zu erholen, tröstete ihn, versprach ihm ihren Handel zu überlassen, wenn sie verheiratet wären, aber er dürfe dann nie ihr Zimmer betreten. Er beschwor alle Bedingungen, die sie ihm machen wolle, wenn sie ihn aus dem Elend reißen und vor dem Zorn der grausamen Vasthi bewahren wolle. „Sie ist der Würgengel, der Todesengel,“ sagte er, „ich weiß es gewiß; sie wird abends gerufen, daß die toten Leute nicht über Nacht im Hause bleiben müssen, und saugt ihnen den Atem aus, daß sie sich nicht lange quälen und den Ihren zur Last fallen. Ich hab’s gesehen, als sie von meiner Mutter fortschlich, und als ich ans Bette kam, war sie tot; ich hab es gehört von meinem Schwager, es darf nur keiner davon reden. Es ist eine Sache der Milde, aber ich scheue mich davor.“

Esther suchte es ihm auszureden, endlich sagte sie: „Bedenk Er sich wohl! Wenn Er sich allzusehr vor ihr fürchtet, so heirate Er mich nicht. Mir ist es einerlei, ich tue es nur, um Ihn aus dem Elend zu retten; das bedenk Er sich und geh Er und laß Er mich allein.“ Der Verlobte ging. Kaum war er fort, so stand Esther mit Mühe auf, erschrak, als sie sich im Spiegel erblickte, und rang die Hände.

Der Majoratsherr beschaute den schmalen Raum, der sie trennte; er glaubte sie trösten zu müssen. Aber ehe er entschlossen, ob er sich einem kühnen Sprunge hingeben oder durch ein Brett beide Fenster in aller Sicherheit vereinigen könnte, hörte er, wie alle Abende, einen Schuß, und es überfiel der gesellige Wahnsinn die schöne Esther schon wieder. Sie schlüpfte mit Eile in ein kurzes Ballkleid und warf darüber einen feuerfarbenen Maskenmantel, nahm auch eine Maske vor, und so erwartete sie die übrigen Masken zu dem Balle. Es ging wie am vorigen Tage, nur viel wilder. Groteske Verkleidungen, Teufel, Schornsteinfeger, Ritter, große Hähne schnarrten und schrien in allen Sprachen, er sah die Gestalten, sowie ihre Stimme sie belebte. Sie war schlagend witzig gegen alle Angriffe, die sie sich selbst machte, und scheute in diesen Spottreden keine ihrer Schwächen, die sie je gehabt hatte; aber sie wußte auch von allem die beste Seite zu zeigen. Nur einer Maske wußte sie nichts zu antworten, die ihr vorwarf, so nahe ihrer Hochzeit solchen Leichtsinn zu treiben. „Nennen Sie dieses Almosen, das ich dem armen Jungen reiche, keine Hochzeit. Ich bin verlassen; der Majoratsherr wird sich immerdar zu lange in Unschlüssigkeit bedenken, ehe er etwas für mich tut, meine Pulse schlagen bald die letzte Stunde, kurz David tanzte vor der Bundeslade, und ich tanze dem höheren Bunde entgegen.“ Bei diesen Worten ergriff sie die Maske und raste einen schnellen Walzer, welchem Beispiel die anderen Masken folgten, während ihr Mund mit seltener Fertigkeit Violinen, Bässe, Hoboen und Waldhörner tanzend nachzuahmen wußte.

Kaum war dieser allgemeine Tanz beendet, so wurde sie angefleht, die Fandango zu tanzen. Sie warf die Maske und auch das Ballkleid von sich, ergriff die Kastagnetten und tanzte mit einer Zierlichkeit den zierlichsten Tanz, daß dem Majoratsherrn alle anderen Gedanken in Wonne des Anschauens untergingen. Als ihr nun alle für diese Kunst ihren Dank zollten und sie nur mit Mühe wieder zu Atem kam, sah sie mit Schrecken einen kleinen Mann eintreten, den auch der Majoratsherr, sobald sie ihn genannt, in einer sehr abgetragenen Maske die Herren begrüßen sah. „Gott, das ist mein armer Bräutigam,“ sagte sie, „der will mit seinen Kunststücken Geld verdienen.“ Diese armselige Maske trug einen kleinen Tisch und Stuhl auf dem Rücken, empfahl seine Kunststücke, ließ einen Teller umhergehen, um für sich einzusammeln, und eröffnete den Schauplatz mit sehr geschickten Kartenkünsten; dann brachte er Becher, Ringe, Beutel, Leuchter und ähnliche Schnurrpfeifereien vor, mit denen er das größte Entzücken in der ganzen Gesellschaft erregte. Zuletzt sprang er in einem leichten, weißen Anzuge, doch wieder maskiert, wie eine Seele aus dem schmutzigen Maskenmantel heraus und versicherte, mit seinem Körper seltsame Kunststücke machen zu wollen, legte sich auf den Bauch und drehte sich wie ein angestochener Käfer umher. Aber Esther faßte einen so gräßlichen Widerwillen gegen ihn in dieser Verzerrung, daß sie mit zugehaltenen Augen in Krämpfen auf ihr Bett stürzte. Im Augenblicke waren dem Majoratsherrn alle Gestalten verschwunden; er sah die Geliebte, die Unterdrückte im schrecklichsten Leiden verlassen; er beschloß, zu ihr zu eilen. Er sprang die Treppe hinunter; aber er fehlte die Tür und trat in ein Zimmer, das er nie betreten. Und ihm und seiner Laterne entgegen drängten sich ungeheure gefiederte Gestalten, denen rote Nasen wie Nachtmützen über die Schnäbel hingen. Er flieht zurück und steigt zum Dache empor, indem er sein Zimmer sucht.

Er blickt umher in dem Raume, und still umsitzen ihn heilige Gestalten, fromme Symbole, weiße Tauben; und das Gefühl, wie er zwischen Himmel und Hölle wohne, und die Sehnsucht nach dem himmlischen Frieden, dessen Sinnbilder ihn umgaben, stillte wie Öl die Sturmeswellen, die ihn durchbebten, und eine Ahnung, daß er ihm nahe, daß es seiner auf Erden nicht mehr bedürfe, drängte seine aufglimmende Tätigkeit für Esther wieder zurück.

Doch diesem höheren Traum stellte sich die Wirklichkeit mit spitzer Nachtmütze, einem bunten Band darum gebunden, eine Brille auf der roten Nase, einen japanischen, bunten Schlafrock am Leibe, mit bloßem Schwerte entgegen; natürlich der Vetter, der, von dem Geräusch im Hause erwacht, den Majoratsherrn mit den Worten begrüßte: „Sind Sie es, lieber Vetter, oder Ihr Geist?“ – „Mein Geist,“ antwortete der Majoratsherr verlegen, „denn kaum weiß ich, wie ich hier unter die Engel versetzt bin.“ – „Kommen Sie in Ihr Zimmer zurück,“ entgegnete der Vetter, „sonst verlassen die Tauben ihre Eier; meine Puthähne unten wollen sich ohnehin nicht zufrieden geben, Sie waren gewiß auch dort, ich konnte mir dieses Treppensteigen, den Lärm bei den Tieren nicht anders erklären, als daß ein Dieb von der Judengasse eingestiegen sei. Nun ist es mir nur lieb, daß Sie es sind. Vielleicht etwas mondsüchtig, lieber Vetter? Das weiß ich zu kurieren.“ – Unter solchen Gesprächen führte er den Majoratsherrn in sein Zimmer zurück. Dieser aber faßte den Entschluß, dem Vetter zu erzählen, daß er Esther in Krämpfen ganz verlassen aus seinem Fenster gesehen habe, und daß er in der Eil’, ihr zu Hilfe zu kommen, die Türen verfehlt habe. – „Welch ein Glück,“ rief der Vetter, „denn wenn die Türe der Gasse offen gewesen, Sie wären nicht ohne Unglück oder Schimpf hinausgekommen.“ – Der Majoratsherr war an das Fenster gegangen und sagte: „Sie scheint jetzt zu schlummern, der schreckliche Anfall ist vorüber.“

Der Leutnant erzählte aber weiter: „Vor einem Jahre hätten Sie die Esther sehen sollen, da war sie schön; da kam der Sohn eines Regimentskameraden vom Lande hieher unter die Dragoner. Er war das einzige Gut der Mutter, seitdem der Vater in einem Scharmützel geblieben; denn die sind oft gefährlicher als die großen Schlachten. Ich sah es, wie sie ihm das letzte Hemde zu seiner Equipierung nähte; sie dachte nicht, daß es sein Sterbehemde werden sollte. Aber der Mensch war unbesonnen, ich sah es ihm gleich beim Reiten an: er wollte immer Kunststücke auf den Straßen machen und dachte nicht daran, daß da Leute neben ihm gingen. Genug, der verliebt sich in die schöne Esther, und sie in ihn, und mein junger Herr will abends zu ihr schleichen, und wie die armen Juden außer ihrer Gasse mißhandelt werden, so meinen sie die Christen drinnen auch mißhandeln zu können, und fallen über ihn her, – besonders die alte Vasthi, die hätte ihn fast erwürgt. Die Sache ward laut, die Offiziere wollten nicht mit dem jungen Fähndrich weiter dienen. Er kam zu mir: was er tun sollte? Ich sagte ihm: schießt Euch tot, weiter ist nichts zu tun. Und der Mensch nimmt das Wort buchstäblich und schießt sich tot. Da hatte ich Mühe, es der Mutter auf gute Art beizubringen. Die Esther aber bekommt seitdem abends um die Zeit, wo er sich erschossen, einen Eindruck, als ob ein Pistolenschuß in der Nähe fiele, – andre hören es nicht, – und dann ein Anfall von Reden, Tanzen, daß kein Mensch aus ihr klug wird; und die andern im Hause lassen sie allein und scheuen sich vor ihr!“ – Entsetzt von dem kaltblütigen Vortrage rief der Majoratsherr: „Welche Klüfte trennen die arme Menschheit, die sich immer nach Vereinigung liebend sehnt! Wie hoch muß ihre Bestimmung sein, daß sie solcher Fundamente bedarf, daß solche Opfer von der ewigen Liebe gefordert werden, solche Zeichen, – die, mehr als Wunder, die Wahrheit der heiligen Geschichte bewähren? O, sie sind alle wahr, die heiligen Geschichten aller Völker!“ – Nach einer Pause fragte er: „Ist denn die Vasthi wirklich der Würgengel? Die Leute sagen, daß sie den Sterbenden den Todesdruck gebe.“ – „Wenn das der Fall ist,“ sagte der Vetter, „so ist es Milde, daß sie nicht lebend begraben werden, weil ein törichtes Gesetz gebietet, die Toten nach dreien Stunden aus dem Hause zu schaffen.“ Es habe ihm ein Arzt versichert, daß er deswegen einem, der an Krämpfen gelitten, schwören mußte, bei ihm zu bleiben, daß er nicht erstickt würde, wenn man ihn für tot hielte. Und da sah er, wie die Verwandten ihn verlegen bereden wollten, fortzugehen, der Tote sei tot; aber er blieb und rettete das Leben des Erstarrten, der ihm noch lange dankte. Da sollte die Obrigkeit ein Einsehen haben und das frühe Beerdigen verbieten. „Aber lassen Sie uns von angenehmeren Dingen reden,“ fuhr der Vetter fort. „Ich habe Ihnen vielen Dank zu sagen, Sie haben mein Glück gemacht. Meine vortreffliche Herzens- und Hofdame fühlt eine so gütige, mütterliche Zärtlichkeit gegen Sie, daß sie mir die seit dreißig Jahren versagte Hand reichen will, insofern ich Sie verpflichten kann, als ein geliebter Sohn in ihrer Nähe zu bleiben und unser nahendes Alter zu unterstützen. Da Sie nun, lieber Vetter, Ihr ganzes äußeres Dasein mit der Verwaltung des Majorats mir übertragen haben, ich auch aus der näheren Kenntnis der Verhandlungen ersehe, daß Sie viel zu abstrakt in Ihren Studien sind, um Ihrem Vermögen selbst vorstehen zu können, so habe ich, gleichsam als Ihr natürlicher Vormund, Ihr Wort dazu gegeben.“

 

Der Majoratsherr fühlte sich in den Willen des Vetters ebenso hingegeben, wie Esther in den Willen der Vasthi; er kam ihm auch vor wie ein Würgengel, und er konnte sich denken, daß er ihm ebenso gleichgültig wie dem jungen Dragoner die Pistole reichen würde, wenn er das Geheimnis des Majorats erführe. Der Majoratsherr liebte aber sein Leben wie alle Kranke und Leidende, und es schien ihm ein milder Ausweg, den die Hofdame ersonnen, ihn durch diese Heirat als Sohn dem Hause dergestalt zu verknüpfen, daß bei der Unwahrscheinlichkeit, in ihrem Alter noch andre Kinder zu bekommen, er allein die Aussicht und der Mittelpunkt aller Hoffnungen beider werden müßte. So fand er sich gezwungen, dem Vetter zur Heirat Glück zu wünschen und ihm seine kindliche Ergebenheit gegen die Hofdame zu versichern; auch versprach er ihm, künftig mit ihm im Majoratshause zu wohnen, Gesellschaften zu sehen und am Hofe sein Glück zu suchen. Dann las ihm der Vetter einige wohlgereimte Gedichte vor, in denen er dieses Glück besungen hatte, und empfahl sich erst spät dem schlaftrunkenen Majoratsherrn, der heimlich allen Versen abgeschworen, seitdem er die edle Reimkunst mit so fataler nichtiger Fertigkeit hatte handhaben hören. Und doch konnte er es nicht lassen, einige Reime bis zum Verzweifeln sich zu wiederholen, und wußte auch nicht, wo er sie gehört hatte, doch meinte er damals, als er die alte Vasthi hinter der Bildsäule belauerte.

 
Es war eine alte Jüdin,
Ein grimmig gelbes Weib;
Sie hat eine schöne Tochter
Ihr Haar war schön geflochten
Mit Perlen, soviel sie mochte,
Zu ihrem Hochzeitskleid.
 
 
„Ach liebste, liebste Mutter,
Wie tut mirs Herz so weh; —
In meinem geblümten Kleide
Ach laß mich eine Weile
Spazieren auf grüner Heide,
Bis an die blaue See.
 
 
Gut Nacht! Gut Nacht, Herzmutter,
Du siehst mich nimmermehr;
Zum Meere will ich laufen,
Und sollt ich auch ersaufen,
Es muß mich heute taufen;
Es stürmet gar zu sehr!“
 

Spät entschlafen unter diesen wiederkehrenden Reimen, wurde er erst gegen Abend durch den Pistolenschuß erweckt, der sich zur gewohnten Stunde hören ließ. Fast zugleich trat die alte, gute Aufwärterin leise ein, und als sie ihn wachend fand, fragte sie: ob er nicht der Judenhochzeit aus dem Hinterfenster zusehen wolle. – „Wer wird verheiratet?“ fuhr er auf. – „Die schöne Esther, mit dem armen Lump, der gestern zurückgekehrt ist.“ – Zum Glück war der Majoratsherr unausgekleidet auf seinem Sofa eingeschlafen, denn Zeit konnte er nicht verlieren, mit solcher Heftigkeit sprang er nach den hinteren Fenstern des Hauses, aus denen er den Begräbnisort mit den wilden Tieren gesehen hatte. Lange Häuserschatten und zwischendurch strahlende Abendlichter streiften über den grünen Platz neben dem Begräbnisort, der mit einem schrecklichen Gewirre schmutziger Kinder eingehegt war. Die Art der Musik, welche jetzt anhub, erinnerte an das Morgenland, auch der reichgestickte Baldachin, der von vier Knaben vorausgetragen wurde. Ebenso fremdartig waren alle Zeichen der Lustigkeit unter den Zuschauern, welche Nachtigallen und Wachteln künstlich nachahmten, einander zwickten und Gesichter schnitten, und endlich, zum Teil mit künstlichen Sprüngen, den Bräutigam begrüßten, der wie ein Schornsteinfeger ein schwarzes Tuch um den Kopf trug und mit einer Zahl befreundeter Männer eintrat. Und welche Ungeduld, wie viele seltsame Einfälle unter den Leuten, als die Braut länger als erlaubt auf sich warten ließ. Aber endlich kam händeringend ein Weib und schrie unbarmherzig: „Esther ist tot!“