Handbuch des Strafrechts

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3. Das Ordnungswidrigkeitenverfahren

a) Einordnung und Überblick

75

Hinsichtlich des Verfahrens bei der Ahndung von Ordnungswidrigkeitentatbeständen ist zu unterscheiden: Soweit die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit Gegenstand eines Strafverfahrens ist (was nach §§ 40 ff. OWiG insb. immer dann der Fall ist, wenn die gleiche Tat als Straftat und als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann), gilt ganz selbstverständlich grundsätzlich die StPO. Eine Ausnahme gilt nur, wenn das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit zulässt, vgl. § 82 Abs. 2 OWiG; in solchen Fällen wird das Strafverfahren dann über die ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften modifiziert.

76

Geht es dagegen „nur“ um Ordnungswidrigkeiten, so ist das Bußgeldverfahren nach dem OWiG durchzuführen. Dieses verfügt zwar über eine Reihe von Sondervorschriften, verweist ergänzend aber in § 46 Abs. 1 OWiG ebenfalls (und zwar über weite Strecken) auf die – hier explizit nur „sinngemäße“ – Anwendung der Vorschriften der StPO. Vom Verweis ausgenommen sind insbesondere einige schwerwiegende Grundrechtseingriffe, vgl. § 46 Abs. 3 OWiG; andere Ausnahmen ergeben sich mehr oder weniger aus der Natur der Sache, so etwa das Fehlen einer notwendigen Verteidigung, da auf Ordnungswidrigkeiten a priori keine der Voraussetzungen des § 140 StPO anwendbar sein kann. Auch besteht keine Pflicht zur Teilnahme der Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung nach § 226 StPO, da nach § 75 Abs. 1 S. 1 OWiG eine solche explizit nicht erforderlich ist.[141] Dagegen sind mangels eigener Vorschriften im OWiG etwa die strafprozessualen Regelungen über den Zeugenbeweis (§§ 48 ff. StPO), den Sachverständigen (§§ 72 ff. StPO) oder die Beweismittelsicherung (§§ 94 ff. StPO, 102 ff. StPO) anwendbar

77

Auch ein Ordnungswidrigkeitenverfahren darf nur durchgeführt werden, solange keine Verfolgungsverjährung eingetreten ist (vgl. § 31 Abs. 1 S. 1 OWiG). Die Verjährungsfrist richtet sich hierbei gem. § 31 Abs. 2 OWiG nach dem Höchstmaß der angedrohten Geldbuße. Regelungen über das Ruhen und die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung finden sich in §§ 32 f. OWiG. Auch nach Eintritt der Verjährung kann die Anordnung eines Verfalls zulässig sein (§ 31 Abs. 1 S. 2 OWiG).

b) Das vorgeschaltete Verwaltungsverfahren

78

Zuständig für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten sind nach § 35 Abs. 1, 2 OWiG zunächst die Verwaltungsbehörden. Die sachliche Zuständigkeit findet sich dabei oft in den speziellen Fachgesetzen (vgl. § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG), während örtlich nach § 37 Abs. 1 OWiG die Verwaltungsbehörde zuständig ist, in deren Bezirk die Ordnungswidrigkeit begangen oder entdeckt worden ist bzw. der Betroffene zur Zeit der Einleitung des Bußgeldverfahrens seinen Wohnsitz hat. Soweit dadurch die örtliche Zuständigkeit mehrerer Behörden begründet wird, gilt insoweit das auch aus dem Strafverfahren bekannte Prioritätsprinzip, und auch hier gebührt nach § 39 Abs. 1 OWiG grundsätzlich derjenigen Verwaltungsbehörde der Vorzug, die sich zuerst mit der Sache dem Betroffenen gegenüber erkennbar befasst hat.[142] Darüber hinaus kann bei Gefahr im Verzug nach § 46 Abs. 1, 2 OWiG i.V.m. den einschlägigen Vorschriften der StPO bzw. des GVG jede sachlich zuständige Behörde ungeachtet der örtlichen Zuständigkeit tätig werden.

79

Die Einleitung und die Durchführung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens bis hin zur Ahndungsentscheidung obliegen den soeben beschriebenen Behörden (so dass insoweit gewissermaßen die Inquisitionsmaxime gilt),[143] die ggf. Unterstützung durch die Polizei (vgl. § 53 OWiG) erfahren. Voraussetzung ist – wie ebenfalls aus dem Strafverfahren bekannt – nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 152 StPO das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Demgegenüber wird die Staatsanwaltschaft in diesem Stadium nur tätig, wenn die Ordnungswidrigkeit mit einer von ihr verfolgten Straftat zusammenhängt (vgl. § 42 Abs. 1 S. 1 OWiG). Für die Verfügung der Ordnungswidrigkeit gilt nach § 47 OWiG insgesamt das Opportunitätsprinzip. Anders als für die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten (sog. Legalitätsprinzip) besteht für die Verwaltungsbehörden bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten also kein strenger Verfolgungszwang; vielmehr liegt die Durchführung des Verfahrens in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Soweit ermittelt wird, hat die Verwaltungsbehörde nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 160 Abs. 2 StPO nicht nur be-, sondern auch entlastendes Material zu ermitteln. Gegenüber Ermittlungshandlungen, durch die in die Rechte des Betroffenen oder Dritter eingegriffen wird, steht diesen nach Maßgabe des § 62 OWiG ein Rechtsmittel zu.

80

Der Abschluss des Ordnungswidrigkeitenverfahrens erfolgt durch eine Einstellung (§ 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3 OWiG), durch eine Verwarnung ohne oder mit Verwarnungsgeld (in Höhe von 5 bis 35 Euro, vgl. § 56 OWiG) oder durch einen Bußgeldbescheid (§§ 65 f. OWiG).

c) Einspruch und gerichtliches Verfahren

81

Ergeht ein Bußgeldbescheid, so kann der Betroffene gegen ihn nach § 67 Abs. 1 OWiG binnen zwei Wochen nach Zustellung Einspruch einlegen.[144] Verwirft die Verwaltungsbehörde diesen im Zwischenverfahren nach § 69 OWiG als unzulässig, ist dagegen innerhalb von zwei Wochen ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 OWiG möglich. Ist der Einspruch dagegen zulässig und wird der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde aufrechterhalten, so übersendet sie die Akten an die Staatsanwaltschaft (vgl. § 69 Abs. 3 OWiG), die diese dem nach § 68 OWiG zuständigen Strafrichter vorlegt. Verwirft auch dieser den Einspruch nicht als unzulässig (vgl. § 70 OWiG), so kommt es zu einem (öffentlichen) Hauptverfahren. Dieses richtet sich im Wesentlichen nach den Verfahrensregeln der StPO nach Einspruch gegen einen Strafbefehl (vgl. § 411 Abs. 1 S. 2 StPO, vgl. § 71 Abs. 1 OWiG; zu Modifikationen des Verfahrens, insb. mit erweiterten Möglichkeiten des Abwesenheitsverfahrens, vgl. §§ 72 ff. OWiG). Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ist allein die Rechtsbeschwerde zum OLG (vgl. § 79 OWiG). Diese ist im Wesentlichen der strafprozessualen Revision nachgebildet.

d) Beitreibung der Geldbuße

82

Zahlt der Betroffene das in einem rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid festgesetzte Bußgeld nicht, kann aus dem Bescheid vollstreckt werden. Dies erfolgt nach § 90 Abs. 1 HS 1 OWiG (oder den übereinstimmenden Regeln in den einschlägigen Spezialgesetzen) nach den Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes. Ein gerichtlicher Bußgeldbescheid wird dagegen gemäß § 91 OWiG nach § 451 Abs. 1 und 2 StPO, § 459 StPO bzw. § 459g Abs. 1 und Abs. 2 StPO i.V.m. § 459 StPO vollstreckt. Nach pflichtgemäßem Ermessen[145] der Vollstreckungsbehörde (d.h. nach § 92 OWiG grundsätzlich der Behörde, die auch den Bußgeldbescheid erlassen hat) kann diese nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen oder auch schon vor bzw. statt einer Vollstreckung nach §§ 90, 91 OWiG nach § 96 OWiG Erzwingungshaft anordnen.

 

83

Auch ein rechtskräftig festgesetztes Bußgeld darf nach Ablauf der Vollstreckungsverjährungsfrist nicht mehr vollstreckt werden, § 34 Abs. 1 OWiG. Die Verjährungsfrist hängt nach § 34 OWiG von der Höhe der verhängten Geldbuße ab. Bei einer verhängten Geldbuße bis zu 1000 Euro beträgt sie nach § 34 Abs. 2 OWiG drei Jahre, bei einer Geldbuße von mehr als 1000 Euro fünf Jahre. Näheres regelt § 34 Abs. 3, 4 OWiG. Zur Sicherung und Durchführung der Vollstreckung kann nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 132 StPO eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. Die Schwierigkeiten, die insb. im Zusammenhang mit Betroffenen auftreten können, die ihren (Wohn-) Sitz im Ausland haben, können im Einzelfall – insb. zur Sicherung des Verfalls – die Anordnung eines dinglichen Arrestes nach § 46 OWiG i.V.m. § 111d StPO angezeigt erscheinen lassen. Beide Möglichkeiten sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass die Rechtshilfe im Ordnungswidrigkeitenbereich und die Vollstreckung daraus erwachsender Geldforderungen im Ausland noch vielfach auf unsicheren Füßen stehen.[146]

Ausgewählte Literatur


Goldschmidt, James Der Prozess als Rechtslage, 1925.
Hagen, Johann Elemente einer allgemeinen Prozeßlehre, 1972.
Krey, Volker Keine Strafe ohne Gesetz, 1983.
Kudlich, Hans Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, 1998.
Kudlich, Hans Erfordert das Beschleunigungsverbot eine Umgestaltung des Strafverfahrens? – Gutachten C zum 68. Deutschen Juristentag, 2010.
Kudlich, Hans/Montiel, Juan Pablo/Schuhr, Jan (Hrsg.) Gesetzlichkeit und Strafrecht, 2012.
Niemöller, Martin/Schuppert Gunnar Folke Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafverfahrensrecht, AöR 107 (1982), 387 ff.
Volk, Klaus Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978.
Volk, Klaus Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß, 1980.
Weigend, Thomas Deliktsopfer und Strafverfahren, 1989.

Anmerkungen

[1]

Vgl. dazu auch → AT Bd. 1: Michael Kubiciel, Die Flexibilisierung des Strafrechts, § 24 Rn. 3 ff.

[2]

Vgl. → AT Bd. 1: Eric Hilgendorf, Strafrecht im Kontext der Normenordnungen, § 1 Rn. 2.

[3]

Vgl. zu diesen und weiteren Charakteristika jeweils ausführlicher → StPO Bd. 7: Fabian Stam, Offizialmaxime, Legalitätsprinzip und Anklagegrundsatz, § 10; Benno Zabel, Aufklärungsmaxime und freie Beweiswürdigung; § 11; Uwe Murmann, Beschleunigungsgrundsatz und Konzentrationsmaxime, § 12; Martin Heger, Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit, § 13.

[4]

Näher → StPO Bd. 8: Carl-Friedrich Stuckenberg, Opportunitätseinstellungen, § 38.

[5]

Vgl. insb. → StPO Bd. 8: Ferdinand Gillmeister, Konsensuale Erledigungsstrategien vor der Hauptverhandlung, § 39 und Matthias Jahn, Verständigung in der Hauptverhandlung, § 45.

[6]

Vgl. näher Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 2 Rn. 1.

[7]

Vgl. zur sinnvollen synonymen Verwendung der beiden Begriffe auch Rieß, JR 2006, 269, 270; nicht explizit, aber ebenfalls beide Begriffe verwendend Murmann, GA 2004, 65.

[8]

Zum Zusammenhang zwischen Prozesszielen und Missbrauchsurteil vgl. auch Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 199 ff.

[9]

Vertiefend zu den nachfolgenden Aspekten auch bereits Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 203 ff.

[10]

Insb. in der älteren Literatur weit verbreitet, vgl. nur v. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 5; Henkel, Strafverfahrensrecht, 1968, S. 17; ausf. Nachw. bei Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 191 f. Vgl. aus der neueren Lit. etwa NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 200; KK-StPO-Fischer, Einleitung Rn. 3. Krit. zum Topos der Durchsetzung des öffentlichen Strafanspruchs Lüderssen, Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs, 1989, pass.

[11]

So aber z.B. Hagen, Elemente einer allgemeinen Prozeßlehre, 1972, S. 107 (v.a. für Fälle, in denen „der inkriminierte Vorgang dem Beschuldigten nicht zugerechnet werden kann“), der seinerseits vor allem auf die Rechtsfriedensfunktion abstellt.

[12]

Vgl. Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 191.

[13]

So aber Sax, ZZP 67 (1952), 21, 27 f.

[14]

Ebenso Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 191.

[15]

So – i.S. einer allgemeinen Prozessrechtslehre – Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345, 368.

[16]

Vgl. Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, etwa S. 150 f.; 246 ff.; zum Verständnis des Strafprozesses bei Goldschmidt, in jüngerer Zeit auch Heger, JZ 2010, 637.

[17]

Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1983, S. 114 ff.

[18]

Vgl. auch Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 206; Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, S. 192, 201. Gegen die Annahme einer rein dienenden Funktion Murmann, GA 2004, 65, 66 f. (aber auch gegen ein Verfahren als Selbstzweck ebd. 70).

[19]

Zu unterscheiden von der Konstellation eines Fehlurteils i.S. einer fehlerhaften Bewertung, vgl. dazu soeben Rn. 5.

[20]

Vgl. zur „Wahrheit“ im Strafprozeß Volk, Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß, 1980, zur vorliegenden Frage v.a. S. 7 ff.; ferner Adomeit, JuS 1972, 628 ff.; Krauß, Schaffstein-FS, S. 411 ff.; Paulus, Spendel-FS, S. 687 ff.; ausführlich zur Korrespondenztheorie Sellars, Wahrheit und Korrespondenz, in: Skirbekk (Hrsg.), Wahrheitstheorien, S. 300 ff. Eingehend zum Ganzen Seel, Wahrheit im Strafprozess (im Erscheinen 2020).

[21]

Vgl. Spendel, JuS 1964, 465, 466 f.; Volk, Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß, S. 193.

[22]

Vgl. Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 178.

[23]

Vgl. Volk, Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß, S. 9; für die Revision Knauer, Widmaier-FS, S. 291 ff.

[24]

Vgl. nur BGH v. 14.6.1960 – 1 StR 683/59, BGHSt 14, 358, 365 = NJW 1960, 1580, 1582, ständige Rspr. Beispielhaft für die Einschränkungen der Wahrheitsermittlung seien hier die Vorschriften über die Einschränkungen der Zeugenpflicht in den §§ 52 ff. StPO genannt. Weitere Fälle sind z.B. §§ 136, 136a StPO, aber auch die speziellen Anforderungen, die im Einzelnen an Zwangs- und Eingriffsmaßnahmen gestellt werden und ggf. dazu führen können, dass eine aufklärungserfolgversprechende Ermittlungsmaßnahme nicht durchgeführt werden darf.

Weiteres Beispiel: Die Möglichkeit, beschränkt Rechtsmittel einzulegen, kann dazu führen, dass in der Rechtsmittelinstanz sowie nach einem erfolgreichen Rechtsmittel auch in der neuen Tatsacheninstanz z.B. nur noch über die Rechtsfolgen bei einem unrichtig festgestellten Sachverhalt prozessiert wird (und zwar im Extremfall „sehenden Auges“).

[25]

Vgl. Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 213. Vgl. auch Murmann, GA 2004, 65, 74: „Wiederherstellung des Rechts unter den Bedingungen der Unsicherheit“ (allerdings von Weigend auch abgrenzend ebd. 76 f.).

 

[26]

Eingehend zu dieser Frage sowie zu etwaigen Gerechtigkeitsdefiziten Radtke, in: Goldenstein (Hrsg.), Mehr Gerechtigkeit, 2011, S. 131 ff. Diffenzierend Murmann, GA 2004, 65, 68 f.

[27]

Zur Bedeutung des Topos „Gerechtigkeit“ in der Rechtsprechung des BGH in Strafsachen vgl. Kudlich, Kühl-FS, S. 47 ff.; zur Verwendung in der straf- und zivilrechtlichen Rechtsprechung des BGH im Vergleich ders., in: F. Vogel (Hrsg.), Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, S. 205 ff.

[28]

Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1993, S. 220 ff.

[29]

Vgl. auch Gössel, Gutachten C zum 60. Deutschen Juristentag, 1994, S. 34; zustimmend Schlüchter, GA 1994, 397, 410.

[30]

So auch Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht Rn. 5 unter Verweis auf BGHSt 38, 214, 219 f. Zwar ist auch dort die Formulierung gewählt, dass die „Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden muß“ (Hervorhebung durch den Verfasser-H.K.), indes lässt der weitere Gedankengang des BGH (S. 220) darauf schließen, dass auch er in der eingeschränkten Wahrheitsermittlung kein Postulat der Gerechtigkeit, sondern eine Einschränkung zumindest der „materiellen“ Gerechtigkeit aus Gründen eines rechtsstaatlichen Verfahrens sieht, da er den Persönlichkeitsschutz des Betroffenen und die „funktionstüchtige Strafrechtspflege (. . .), ohne die Gerechtigkeit nicht verwirklicht werden kann“, als zwei sich potentiell widerstreitende und in praktische Konkordanz zu bringende Rechtspositionen behandelt.

[31]

Vgl. dazu BVerfGE 34, 228, 245 sowie aus der Literatur Gössel, NJW 1981, 649, 655 f.; Küpper, JZ 1990, 416, 418 f.

[32]

Vgl. Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 220 f.; zu einer Differenzierung zwischen Zielen und Aufgaben des Strafverfahrens (bei denen die Aufgaben zumindest teilw. gerade solche des Verfahrensrechts, nicht des Verfahrens als Institution beschreiben) vgl. auch Rieß, JR 2006, 269, 270 ff.

[33]

Vgl. Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 225.

[34]

Vgl. nur Rieß, JR 2006, 269, 270 f.

[35]

Schmidhäuser, Eb. Schmidt-FS, S. 511, 515 f.

[36]

So z.B. bei Roxin/Schünemann, Strafverfahren § 1 Rn. 3; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht Rn. 6 f.; Rüping/Dornseifer, JZ 1977, 417 (unter ausdrücklicher Erwähnung Schmidhäusers). Vgl. auch Murmann, GA 2004, 65, 69 f.

[37]

So z.B. offensichtlich bei Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht Rn. 6 f. Ähnlich auch (ohne Bezug auf Schmidhäuser) Kröpil, JZ 1998, 135, 136.

[38]

Ähnlich die Forderung bei Sieber, Spendel-FS, S. 757, 767, es müsse „die Abstraktionshöhe der ‚Sicherung des Rechtsfriedens‘ verlassen und nach den Zielen von einzelnen Normen gefragt“ werden.

[39]

Vgl. auch Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 222 ff.

[40]

Vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht § 2 Rn. 1.

[41]

Vgl. dazu ausführlicher auch → StPO Bd. 7: Michael Lindemann, Materielle Grundrechtsgewährlesitungen, § 2 sowie Prozessgrundrechte, § 3.

[42]

Namentlich das Jugendstrafverfahren, das Steuerstrafverfahren, das Ordnungswidrigkeitenverfahren sowie perspektivisch wichtige Aspekte eines etwaigen zukünftigen Verbandsstrafverfahrens.

[43]

Vgl. etwa schon aus der Mitte des 19. Jahrhunderts Mittermaier, Die Gesetzgebung und Rechtsübung über Strafverfahren nach ihrer neuesten Fortbildung dargestellt und geprüft von C. J. A. Mittermaier, 1856, S. 131 ff. („Zusammenhang des Strafverfahrens mit dem politischen, socialen und sittlichen Zuständen eines Volkes“).

[44]

Vgl. Sax in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. III/2, 1959, S. 909, S. 967; auf S. 910 spricht Sax (ohne Nachw.) davon, dass schon 1959 die Einordnung der StPO als „Ausführungsgesetz zum Grundgesetz“ verbreitet gewesen sei. Das Bild des „angewandten Verfassungsrechts“ wird später auch vom BVerfG (etwa BVerfG v. 8.3.1972 – 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373, 383 = NJW 1972, 1123, 1125) aufgenommen.

[45]

Vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht § 2 Rn. 1.

[46]

Vgl. Arzt, Kaufmann-GS, S. 839, 847 ff.; vgl. auch Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 389, 411 f.; Wolter, NStZ 1993, 1.

[47]

Vgl. Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 389 f.

[48]

Vgl. zur älteren Rspr. nur die Nachw. bei Niebler, Kleinknecht-FS, S. 299, 303 ff., sowie bei Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 421 ff.

[49]

Vgl. auch bereits MK-StPO-Kudlich, Einl. Rn. 46.

[50]

Vgl. die Analyse von Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 406, 408 ff.

[51]

Vgl. zu ihrer Bedeutung eingehend → StPO Bd. 7: Michael Lindemann, Materielle Grundrechtsgewährleistungen, § 2.

[52]

Vgl. zum Unterschied zwischen beiden Auslegungsmethoden Kudlich, JZ 2003, 127.

[53]

Vgl. Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Rn. 44.

[54]

Vgl. hierzu allgemein Warg, NStZ 2012, 237.

[55]

Vgl. BVerfGE 109, 279, 319 ff. = NJW 2004, 999, 1003 ff.

[56]

Vgl. BGHSt 19, 325, 330 = NJW 1964, 1139, 1142.

[57]

Vgl. BVerfGE 32, 373, 383 = NJW 1972, 1123, 1124 f.

[58]

Vgl. BGHSt 50, 206 = NJW 2005, 3295.

[59]

Vgl. BGH NStZ 2012, 277 mit Anm. Jahn/Geck, JZ 2012, 561.

[60]

Vgl. BVerfGE 120, 274, 302 ff. = NJW 2008, 822, 824 ff.

[61]

Vgl. BVerfGE 47, 239 = NJW 1978, 1149.

[62]

Vgl. BVerfGE 16, 194 = NJW 1963, 1597.

[63]

Vgl. BVerfGE 17, 108 = NJW 1963, 2368.

[64]

Jalloh/Deutschland, vgl. EGMR NJW 2006, 3117 mit Besprechung Schuhr, NJW 2006, 3538; aus materiell-rechtlicher Sicht interessant zum Problem BGH NJW 2010, 2595.

[65]

Vgl. an dieser Stelle statt aller nur BVerfG v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342, 350 = NJW 1966, 243; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 489 f.

[66]

Vgl. BVerfGE 117, 244 = NJW 2007, 1117; vorher bereits BVerfGE 20, 162 = NJW 1966, 1603 (Spiegelurteil).

[67]

Vgl. BVerfGE 119, 309, 318 ff. = NJW 2008, 977, 978 ff.

[68]

Zur Rspr. bis zum Anfang der 1980er Jahre vgl. knapp zusammenfassend Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 485.

[69]

Vgl. dazu Kudlich, StV 2012, 560, 564 ff.

[70]

Vgl. etwa BVerfGE 20, 162, 223 ff. = NJW 1966, 1603, 1607 ff.; BVerfGE 42, 212, 220 = NJW 1976, 1735; BVerfGE 51, 97, 111 = NJW 1979, 1539; BVerfGE 59, 95, 97 = MDR 1982, 291; BVerfGE 103, 142, 153 ff. = NJW 2001, 1121; vgl. ferner BVerfG NJW 1991, 690; BVerfG NJW 2006, 2974; BVerfG NJW 2008, 3629. Vgl. dazu auch Amelung, NStZ 2001, 337.

[71]

Vgl. BVerfGE 109, 279, 335 = NJW 2004, 999, 1005.

[72]

Vgl. zu BVerfGE 120, 274 = NJW 2008, 822, 826; zur Kritik Kudlich, JA 2008, 475, 478 sowie ausführlicher ders. HFR 2007, 201, 205 ff.

[73]

Vgl. etwa BVerfGE 52, 131, 156 = NJW 1979, 1925, 1927.

[74]

Vgl. BVerfG NJW 2007, 1865 mit Besprechungsaufsatz de Wall, NJW 2007, 1856.

[75]

Vgl. BGH NStZ 2010, 646: Grundsätzlich keine Beschränkung des Begriffs des „Geistlichen“ i.S. des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO auf Angehörige der staatlich anerkannten und öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften; aber jedenfalls dann keine seelsorgerische Tätigkeit, wenn das Gespräch über einen Konflikt mit dem späteren Tatopfer keine religiös geprägte Zuwendung oder geistliche Begleitung im Interesse des seelischen Wohles war; vgl. andererseits aber auch BGHSt 51, 140 = NStZ 2007, 275.

[76]

Vgl. etwa BVerfGE 13, 181, 185 f. = NJW 1961, 2299 f.; BVerfGE 70, 191, 214 = NJW 1986, 575 = NVwZ 1986, 113, 117; BVerfGE 81, 108, 121 f. = NJW 1990, 2053, 2055.

[77]

Vgl. etwa zur Verweigerung der Festsetzung und Auszahlung einer Pflichtverteidigervergütung BVerfG AnwBl. 2009, 551.

[78]

Vgl. BVerfG NJW 2005, 1917.

[79]

Vgl. BVerfG NJW 2007, 2752.

[80]

Hierzu eingehend → StPO Bd. 7: Michael Lindemann, Prozessgrundrechte, § 3.

[81]

Vgl. Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 417.

[82]

Vgl. BVerfG NJW 2005, 2689; BVerfG NJW 2009, 1734; BayObLGSt 1980, 9.

[83]

Vgl. Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 420 f. m.w.N.

[84]

Vgl. Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 I GG Rn. 14.

[85]

Vgl. BVerfGE 64, 135 ff. = NJW 1983, 2762; BVerfGE 69, 145, 148 = NJW 1985, 1150; aus der Lit. statt vieler nur Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn 69; Wohlers, JZ 2011, 78, 79 f.; vgl. ferner Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 294 ff.; dies., Gesetzesbindung, 2008, S. 188 ff.

[86]

Vgl. BVerfGE 31, 364, 370; BVerfGE 42, 64 (85 – Sondervotum Geiger); BVerfGE 86, 133, 145.

[87]

Vgl. Rüping, ZStW 91 (1979), 351, 356; speziell die Herbeiziehung des Dolmetschers und Kostentragungsregelungen werden freilich vorrangig als Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren betrachtet, vgl. BVerfGE 1, 331, 333 = NJW 2004, 50.

[88]

Da der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem hohen Maße ein normgeprägtes Grundrecht ist und etwa die gegenwärtige Ausgestaltung des Beweisantragsrechts gewiss nicht das verfassungsrechtlich gerade noch zulässige Minimum darstellt, können de lege ferenda erfolgende Einschränkungen strikt verfassungsrechtlich durchaus hinzunehmen sein (was nicht heißt, dass sie strafprozessrechtspolitisch immer sinnvoll wären).

[89]

Vgl. BVerfGE 96, 27 = NJW 1997, 2163.

[90]

Vgl. BVerfG NJW 1996, 1811.

[91]

Vgl. dazu knapp MK-StPO-Kudlich, Einleitung Rn. 511 ff.; eingehend → StPO Bd. 7: Carl-Friedrich Stuckenberg, Prozessgegenstand – Tat im prozessualen Sinne, § 23.

[92]

Zu den Grenzen vgl. etwa BGH v. 12.10.2004 – WpSt(R) 1/04, BGHSt 49, 258 = NJW 2005, 1057 (Freispruch nach einer Berufsordnung steht nicht Verfolgung nach anderer entgegen).

[93]

Vgl. etwa Schroeder, JuS 1997, 227.

[94]

Zu dessen Auslegung vgl. insb. EuGH NStZ 2003, 332, sowie dazu Radtke/Busch, NStZ 2003, 281. In größerem Zusammenhang zu „ne bis in idem“ im Schengenraum auch Schomburg/Suominen-Picht, NJW 2012, 1190, 1191 f.

[95]

Vgl. BVerfGE 10, 302, 323 f. = NJW 1960, 811, 812.

[96]

Überblick zur Kasuistik bei MK-StPO-Kudlich, Einleitung Rn. 83 ff.

[97]

Vgl. BVerfGE 33, 367, 383 = NJW 1972, 2214, 2216; BVerfGE 46, 214, 222 = NJW 1977, 2355, 2356.

[98]

Vgl. ständige Rspr., vgl. nur BVerfGE 33, 367, 383 = NJW 1972, 2214, 2216; BVerfGE 46, 214, 222 = NJW 1977, 2355, 2356.

[99]

Vgl. nur Grünwald, JZ 1976, 767; Hassemer, StV 1982, 275.

[100]

Zum strukturellen Antagonismus im Strafverfahren vgl. auch Schünemann, StV 1993, 607.

[101]

Deutlich etwa BGHSt 38, 214, 220 = NJW 1992, 1463, 1464 f.: Obwohl die Abwägung zwischen Beschuldigtenrechten und Funktionstüchtigkeit gerade dazu führte, dass unter Aufgabe der bisherigen Rspr. ein Beweisverwertungsverbot bei Verstößen gegen die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 S. 2 StPO bejaht wurde.

[102]

Größere Gefahr droht rechtspolitisch, wenn Funktionstüchtigkeitsüberlegungen, welche in mehr oder weniger extremen Einzelfällen entwickelt worden sind und in ihnen auch ihre singuläre Berechtigung haben mögen, aus ihrem Kontext als Notbehelf in exzeptionellen Einzelfällen gerissen und „kochrezeptartig“ auch auf andere Verfahren(ssituationen) übertragen werden, bei denen die Funktionstüchtigkeit nicht einmal mit Blick auf den konkreten Prozess ernsthaft gefährdet ist (sondern nur eine Verschlankung oder Erhöhung der Bequemlichkeit in Rede steht). Vgl. zu diesem Phänomen bereits krit. Kudlich, Gutachten C zum 68. Deutschen Juristentag, 2010, S. 101 f.

[103]

Zum Zusammenhang zwischen Inhalt und Struktur der rechtlichen Materie und Regeln der Rechtsanwendung auch Jahn in: Kudlich/Montiel/Schuhr (Hrsg.), Gesetzlichkeit und Strafrecht 2012, S. 223, 225 ff., sowie hierzu und zum Folgenden auch näher Kudlich, a.a.O., S. 233 ff. und teilweise auch schon ders., Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 131 ff.

[104]

Vgl. zum Folgenden auch bereits Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 134 ff., sowie ders. in: Kudlich/Montiel/Schuhr (Hrsg.), Gesetzlichkeit und Strafrecht, 2012, S. 233, 240 ff.

[105]

In diesem Sinne wohl Arndt, NJW 1961, 14, 15; Lüderssen, JZ 1979, 449, 450. Allgemein zum Gebot einer weiten Auslegung von Grundrechten, nach der „die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet“ wird, BVerfGE 6, 55, 72 = NJW 1957, 417, 418; BVerfGE 43, 154, 167 = NJW 1977, 1189 als Beispiele aus der ständigen Rspr. des BVerfG.

[106]

Vgl. eingehend nur Schreiber, Gesetz und Richter – Zur geschichtlichen Entwicklung des Satzes nullum crimen, nulla poena sine lege, 1976; zusammenfassend Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, 1983, Rn. 13, 38, 53; Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 136 ff.

[107]

BVerfG NJW 1991, 558.

[108]

BGHSt 38, 111 (insb. 112 f.) = NJW 1992, 1245.

[109]

Zur methodischen Dimension des „Missbrauchsurteils“ vgl. Christensen/Kudlich in: Feldner/Forgó (Hrsg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 189.

[110]

Vgl. BGHSt 51, 211, 219 = NJW 2007, 930, 932 mit Anm. Kudlich, JA 2007, 391, sowie schon vorher zur Entscheidung des Ermittlungsrichters des BGH Jahn/Kudlich, JR 2007, 57.