Handbuch des Strafrechts

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g) Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)

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Es liegt auf der Hand, dass in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit durch die Anordnung eines vorläufigen Berufsverbotes gem. § 132a StPO gegen den Beschuldigten eingegriffen wird.[127] Der besonderen Grundrechtsrelevanz entsprechender Maßnahmen wird auf der Tatbestandsseite durch das Erfordernis „dringender Gründe“ Rechnung getragen, die für die Annahme sprechen müssen, dass gegen den Beschuldigten ein Berufsverbot nach § 70 StGB angeordnet werden wird; ein einfacher Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO reicht mithin nicht aus.[128] Angesichts der überragenden Bedeutung des Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigt allerdings allein das Vorliegen der in § 132a StPO i.V.m. § 70 StGB normierten Voraussetzungen noch nicht die Verhängung eines vorläufigen Berufsverbots. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss vielmehr hinzukommen, dass die Anordnung erforderlich ist, um bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter abzuwehren, die aus einer Berufsausübung durch den Beschuldigten resultieren können. Nur wenn dies der Fall sei, stelle sich die als Präventivmaßnahme mit Sofortwirkung ausgestaltete Anordnung nach § 132a StPO als Ausdruck der Schrankenregelung des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG dar.[129]

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Einen Eingriff in die Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG stellen darüber hinaus unmittelbar an die Berufstätigkeit des Strafverteidigers anknüpfende Maßnahmen dar.[130] Bedeutung kommt der Berufsfreiheit beispielsweise bei der Frage nach der Angemessenheit der Vergütung des Pflichtverteidigers zu: Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG gebietet Art. 12 Abs. 1 GG in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren, dem Umstand, dass es sich bei der Bestellung zum Pflichtverteidiger um eine besondere Form der Indienstnahme einer Privatperson zu öffentlichen Zwecken handelt, durch eine entsprechende Vergütung Rechnung zu tragen.[131] Danach muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben, wenn der Anspruch des Pflichtverteidigers auf Auslagenerstattung im Interesse des Gemeinwohls an einer Einschränkung des Kostenrisikos begrenzt wird, und dem Pflichtverteidiger ist ein angemessener Vorschuss zu zahlen, wenn das Strafverfahren lange dauert, die höhere Pauschgebühr mit Sicherheit zu erwarten ist und es für den Verteidiger unzumutbar ist, die Festsetzung der endgültigen Pauschgebühr abzuwarten.[132] Dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unterfallen des Weiteren auch die in § 148 StPO normierten Kommunikationsrechte, ohne die dem Verteidiger eine Berufsausübung nicht möglich wäre.[133] In materiell-rechtlicher Hinsicht ist schließlich die einschränkende Auslegung zu berücksichtigen, der das BVerfG den Geldwäschetatbestand im Hinblick auf die Honorarannahme durch Strafverteidiger unterwirft. Danach ist sowohl § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB als auch § 261 Abs. 1 S. 1 StGB verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass nur dann ein gerechtfertigter Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit vorliegt, wenn der Strafverteidiger im Zeitpunkt der Entgegennahme des Honorars oder eines Vorschusses sicher weiß, dass das Geld aus einer von § 261 StGB umfassten Vortat herrührt.[134] Eingriffe strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen in die Berufsfreiheit anderer Personen sind eher selten Gegenstand von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts; in einem Beschluss vom 20. Dezember 2018 erklärte es die 3. Kammer des Zweiten Senates jedoch für mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, dass dem Anbieter eines E-Mail-Dienstes aufgegeben worden war, den Ermittlungsbehörden die Internetprotokolladressen (IP-Adressen) der auf ihren Account zugreifenden Kunden zu übermitteln, obwohl er seinen Dienst aus Datenschutzgründen so organisiert hatte, dass er diese nicht protokollierte.[135]

h) Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)

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Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung; gem. Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. In Art. 13 Abs. 3–6 GG wurden durch das 45. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998[136] nach kontroverser Diskussion[137] Regelungen für den Lausch- und Spähangriff geschaffen. Die daraufhin mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998[138] eingeführten Vorschriften zur Durchführung der akustischen Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung wurden vom BVerfG mit Urteil vom 3. März 2004 in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt.[139] Die mit dem Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts[140] verabschiedete Neuregelung fand sodann die Billigung der 3. Kammer des Zweiten Senats.[141] Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu,[142] der in der Vergangenheit in § 100c Abs. 4 und 5 StPO a.F. und nunmehr in § 100d StPO eine detaillierte, wenngleich auch weiterhin kritikwürdige[143] einfachgesetzliche Regelung gefunden hat.

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Das BVerfG hebt in ständiger Rechtsprechung hervor, dass in seinen Wohnräumen jeder das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden, und dass eine Durchsuchung schwerwiegend in diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre eingreift.[144] Hieraus leitet das Gericht strenge Anforderungen an die Begründung der richterlichen (vgl. Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 StPO) Durchsuchungsanordnung[145] und an die Inanspruchnahme der Eilkompetenz wegen Gefahr im Verzug durch die Strafverfolgungsbehörden ab.[146] In allgemeiner Form werden diese Fragen im Abschnitt über die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) des Kapitels über die Prozessgrundrechte erörtert (vgl. → StPO Bd. 7: Lindemann, § 3 Rn. 10 ff.), auf den auch vorliegend verwiesen werden soll. Bedenken begegnet, dass die neuere Rechtsprechung des BVerfG die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes aufgrund von Fehlern bei der Anordnung oder Durchführung der Durchsuchung als „begründungsbedürftige Ausnahme“ ansieht,[147] was beispielsweise dazu geführt hat, dass die 2. Kammer des Zweiten Senats in der Verwertung eines bei einer rechtswidrigen Durchsuchung gemachten Zufallsfundes keine Verletzung der Rechte des Beschuldigten aus Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gesehen hat.[148] In dieser Entwicklung zeigen sich die negativen Auswirkungen der bereits einleitend (Rn. 4) kritisierten Überhöhung der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ zu einem den Abwehrrechten des Beschuldigten entgegenzusetzenden Abwägungstopos.

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Anders als die physische Durchsuchung soll die sog. Online-Durchsuchung eines in einer Wohnung befindlichen Rechners (vgl. auch Rn. 23) nach Ansicht des BVerfG nicht den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG tangieren,[149] was im Schrifttum zu Recht als ungereimt kritisiert worden ist.[150] So wird dem vom BVerfG ins Feld geführten Argument, die Strafverfolgungsbehörden könnten üblicherweise nicht genau wissen, an welchem Ort sich das zu infiltrierende informationstechnische System befinde, überzeugend entgegengehalten, dass bei Unsicherheit über das durch eine Maßnahme tangierte Grundrecht eben im Zweifel die für Eingriffe in dieses Grundrecht geltenden verfassungs- und einfachrechtlichen Anforderungen zu beachten sind.[151]

i) Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG)

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Aus der in Art. 14 Abs. 1 GG verbürgten Eigentumsgarantie ergeben sich Anforderungen vor allem an die Anordnung und Durchführung strafprozessualer Sicherungsmaßnahmen nach den §§ 111b ff. StPO. Dabei ist davon auszugehen, dass die Kammerrechtsprechung des BVerfG zu diesem Fragenkreis[152] auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zum 1. Juli 2017,[153] durch das u.a. auch die Vorschriften über die Sicherstellung von Vermögenswerten einer grundlegenden Umgestaltung unterzogen worden sind,[154] grundsätzlich weiterhin Geltung beansprucht.

 

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Mit Blick auf die Anwendung der §§ 111b ff. StPO hebt das BVerfG zu Recht hervor, dass sich aus der Intensität des Eingriffes in die Rechte des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG eine Pflicht der Behörden und Gerichte zu sorgfältiger Sachverhaltserforschung und Abwägung der im Falle eines vorläufigen Vermögenszugriffs konfligierenden Interessen ergibt.[155] Wird durch die Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, reicht nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allein die Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt, nicht zur Rechtfertigung des Eingriffs aus; vielmehr verlangt das BVerfG eine besonders sorgfältige Prüfung und eingehende Darlegung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, die dem Betroffenen die Inanspruchnahme von Rechtsschutz ermöglicht.[156] Schon Fehler geringeren Gewichts können dann zur Unverhältnismäßigkeit der Sicherungsmaßnahme führen; jedoch kann auch ein weniger umfassender Zugriff auf das Vermögen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheitern, wenn die Eingriffsvoraussetzungen in besonders drastischer Weise missachtet worden sind.[157]

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Das BVerfG hat weiter hervorgehoben, dass mit der den Eingriff in die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG intensivierenden Fortdauer der Maßnahme auch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung steigen.[158] Diese Betonung der zeitlichen Dimension des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat noch einmal an Bedeutung gewonnen, nachdem der Gesetzgeber mit dem bereits erwähnten Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung die zuvor in § 111b Abs. 3 StPO a.F. enthaltene zeitliche Begrenzung des dinglichen Arrestes (nunmehr: Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung, § 111e StPO) ersatzlos gestrichen hat.[159] Waren an den verfahrensgegenständlichen Taten mehrere Personen beteiligt oder wurden die Taten zugunsten eines Dritten begangen, so ist schließlich stets sorgfältig zu prüfen, ob derjenige, bei dem eine strafprozessuale Sicherstellungsmaßnahme nach §§ 111b ff. StPO vorgenommen werden soll, den vermuteten Taterlös auch tatsächlich i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB „erlangt“ hat.[160]

3. Auffanggrundrechte

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Als Auffanggrundrechte sorgen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) auch im Strafverfahren für einen potentiell lückenlosen Grundrechtsschutz in den Fällen, in denen eine Maßnahme nicht den Schutzbereich eines konkreten Freiheitsrechtes tangiert.[161]

a) Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)

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Obwohl Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit nach der Rechtsprechung des BVerfG „im umfassenden Sinne“[162] schützt, sind Entscheidungen des Gerichts mit strafprozessualem Bezug, in denen dem Auffanggrundrecht[163] des Art. 2 Abs. 1 GG entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt, eher selten. In einem Kammerbeschluss wurde eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit darin gesehen, dass das Revisionsgericht das Rechtsmittel gegen eine strafrechtliche Verurteilung verworfen hatte, obwohl zwischenzeitlich die einschlägige Strafvorschrift außer Kraft getreten war.[164] Im Übrigen wird aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) beispielsweise der Grundsatz des fairen Verfahrens abgeleitet,[165] auf den weiter unten näher eingegangen werden soll (vgl. Rn. 41 ff.).

b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)

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Aus dem Zusammenwirken von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG leitet die höchstrichterliche Rechtsprechung das allgemeine Persönlichkeitsrecht ab, das der Sicherung personaler Autonomie i.S. e. „Integritätsschutzes“ dient.[166] Da der in Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten Menschenwürdegarantie in diesem Zusammenhang lediglich die Funktion einer „Leit- und Auslegungsrichtlinie“[167] zukommt, sind Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht prinzipiell ausgeschlossen; sie unterliegen jedoch mit zunehmender Nähe zu dem durch Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Bereich gesteigerten Rechtfertigungsanforderungen.[168] Dieser gestufte Grundrechtsschutz findet seinen Ausdruck in der vom BVerfG entwickelten Sphärentheorie,[169] nach welcher der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelte Schutz in konzentrischen Kreisen um einen „Innenraum“[170] angelegt ist: Das Gericht unterscheidet zunächst zwischen einem dem Zugriff der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogenen Kernbereich privater Lebensgestaltung (der Intimsphäre)[171] und der Privatsphäre, die anders als der Kernbereich einen Sozialbezug aufweist und daher grundsätzlich zum Gegenstand staatlicher Ausforschungsmaßnahmen gemacht werden darf. Eingriffe in die Privatsphäre werden jedoch nur bei strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für zulässig erachtet und bedürfen regelmäßig der Rechtfertigung durch Gemeinwohlbelange, welche das Geheimhaltungsinteresse überwiegen.[172] Die geringsten Rechtfertigungsanforderungen gelten schließlich für die der Privatsphäre vorgelagerte Sozialsphäre, in der bereits zweifelhaft sein kann, ob überhaupt der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts tangiert ist.[173]

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Bereichsspezifische Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bilden das bereits im Zusammenhang mit dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) behandelte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (vgl. Rn. 23)[174] sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte und insbesondere personenbezogene Daten offenbart werden.[175] Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kommen nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Betracht und dürfen nicht weiter gehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist.[176]

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Es liegt auf der Hand, dass dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und seinen bereichsspezifischen Konkretisierungen im Strafverfahren, das sich durch vielfältige Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten auszeichnet, erhebliche praktische Bedeutung zukommt. So hat der Zweite Senat des BVerfG in seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 1989 die Verwertung tagebuchähnlicher Notizen eines wegen Frauenmordes Beschuldigten über seine seelischen Spannungszustände und Schwierigkeiten mit Frauen an Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gemessen.[177] Nach Ansicht des Senates gebietet es die Verfassung nicht, Tagebücher oder ähnliche private Aufzeichnungen schlechthin von der Verwertung im Strafverfahren auszunehmen; eine Zuordnung zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung scheide insbesondere bei Angaben über die Planung bevorstehender oder Berichte über begangene Straftaten aus.[178] Über die Verwertbarkeit nicht zum absolut geschützten Kernbereich gehöriger Aufzeichnungen sei im Wege einer Interessenabwägung zu entscheiden, die vorliegend nach Ansicht der die Entscheidung tragenden Senatsmitglieder[179] aufgrund des engen Bezugs der Aufzeichnungen zur verfahrensgegenständlichen Straftat, die überdies schwer wiege, zugunsten der Verwertung ausfiel.[180] Der Erste Senat des BVerfG hat die vorstehend skizzierten Leitlinien in seiner Entscheidung zum großen Lauschangriff aus dem Jahr 2004 dahingehend präzisiert, dass „Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, [. . .] nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug (gewinnen), dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen“; etwas anderes gelte für „Äußerungen, die sich unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen“.[181] Wenngleich damit einiges dafür spricht, dass der Senat die in der Tagebuch-Entscheidung des Ersten Senates verfahrensgegenständlichen Aufzeichnungen dem absolut geschützten Kernbereich zugeordnet hätte,[182] ist das Abgrenzungskriterium des Straftatbezuges auch in dieser präzisierten Fassung abzulehnen: Die Gleichsetzung von Straftatbezug und (eine Zuordnung zum Kernbereich hinderndem) Sozialbezug läuft auf eine gleichsam automatische Zulassung der Verwertung in Fällen mit hohem Verwertungsinteresse hinaus und hat daher eine weitgehende Entwertung des Kernbereichskonstrukts für das Strafverfahren zur Folge. Denkt man den Ansatz des BVerfG konsequent zu Ende, so müsste im Grunde jegliche Reflektion über Gegenstände mit unmittelbarem Gemeinschaftsbezug (also auch über solche ohne jede strafrechtliche Relevanz) vom Kernbereichsschutz ausgenommen werden, was die Möglichkeit zu staatlicher Einsichtnahme entzogener Selbstvergewisserung auf ein Minimum beschränken dürfte.[183] In einem gewissen Widerspruch zur Rechtsprechung auch des Ersten Senates stehen Entscheidungen des 2. Strafsenates des Bundesgerichtshofs, in denen Selbstgespräche auch ungeachtet eines Straftatbezuges stets dem absolut geschützten Kernbereich zugeordnet worden sind.[184] Weitere Entscheidungen, in denen die Vereinbarkeit von Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht thematisiert wurde, betrafen etwa die Beschlagnahme und Verwertung einer Karteikarte des Beschuldigten bei seinem Arzt[185] sowie die (Bild-)Berichterstattung über verurteilte Straftäter.[186]

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In das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird beispielsweise durch die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung eines DNA-Identifizierungsmusters i.S.d. § 81g StPO eingegriffen.[187] Bei der Auslegung und Anwendung des § 81g StPO sind die Gerichte daher gehalten, die Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts angemessen zu berücksichtigen.[188] Der für die Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung erforderlichen Prognose, dass gegen den Beschuldigten erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden, muss eine zureichende Sachaufklärung vorausgegangen sein; darüber hinaus müssen die für die Prognoseentscheidung bedeutsamen Umstände nachvollziehbar dargestellt und abgewogen werden.[189] Eine präventive polizeiliche Rasterfahndung ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nur vereinbar, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben ist.[190]

 

II. Gleichheitssatz und Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG)

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Das BVerfG entnimmt dem in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Gleichheitssatz ein Willkürverbot, das in der älteren Rechtsprechung des Gerichts auf die Formel gebracht wurde, es dürfe „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ behandelt werden.[191] Nach der im Jahr 1980 durch den Ersten Senat begründeten sog. „neuen Formel“ ist Art. 3 Abs. 1 GG hingegen „vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“.[192] In diesem Zusammenhang wird weiter hervorgehoben, dass der Gleichheitssatz sich nicht im Verbot ungerechtfertigter Ungleichbehandlungen von Normadressaten erschöpft, sondern auch ein allgemeines Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip enthält, dessen Grenzen dann überschritten sind, „wenn eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch die Gerichte bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht“.[193]

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Die Hürden für die Annahme, dass eine strafgerichtliche Entscheidung gegen das allgemeine Willkürverbot verstößt, sind damit hoch gesetzt. Zwar wird die verfassungsrechtliche Prüfung anhand objektiver Kriterien durchgeführt, und ein schuldhaftes Verhalten des Richters wird nicht vorausgesetzt. Hat das Gericht sich jedoch mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt und entbehrt seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes, so ist Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Dies ist erst der Fall, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird.[194] Nach Ansicht des BVerfG erfüllt daher etwa die Auslegung des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO durch den BGH, die äußerst strenge Anforderungen an die Begründung revisionsrechtlicher Verfahrensrügen nach sich zieht, nicht die vorstehend skizzierten Anforderungen für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG.[195] Eine „krasse Missdeutung“ des Norminhalts im vorerwähnten Sinn hat das BVerfG hingegen beispielsweise in einer Auslegung der §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 2 StrRehaG durch die Fachgerichte gesehen, durch welche dem von einer zwangsweisen Heimunterbringung in der ehemaligen DDR Betroffenen eine Rehabilitierung verweigert wurde.[196] Weitere Entscheidungen des Gerichts mit strafprozessualem Einschlag betrafen die Revisionsverwerfung durch Beschluss gem. § 349 Abs. 2 StPO ohne Antrag der Staatsanwaltschaft,[197] die Versagung der Einsicht in den bei den Strafakten befindlichen Strafregisterauszug[198] sowie das Unterbleiben einer „Negativmitteilung“ i.S.d. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO;[199] im Rechtsbeschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. StVollzG hat das BVerfG eine Verletzung des Willkürverbotes aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Verneinung einer rechtsmittelfähigen Beschwer in einem Fall gesehen, in dem die Strafvollstreckungskammer auf einen Verpflichtungsantrag lediglich eine Neubescheidung des Antragstellers angeordnet hatte.[200]