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4. Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof

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Zunächst sollen die verschiedenen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten für eine Anrufung des belgischen Verfassungsgerichtshofes (a) und anschließend der Ablauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof dargestellt werden (b).

a) Die Verfahrensarten

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Der belgische Verfassungsgerichtshof kann sich nicht selbst mit einer Sache befassen, sondern muss befasst werden. Dafür stehen den Antragstellern zwei prozessuale Möglichkeiten zur Verfügung: die Nichtigkeitsklage (aa) und die präjudizielle Frage (cc). Zudem hat die antragstellende Partei im Zusammenhang mit einer Nichtigkeitsklage die Möglichkeit, die Aussetzung der Norm zu beantragen, gegen die ihre Klage gerichtet ist (bb).

aa) Die Nichtigkeitsklage (abstrakte Normenkontrolle)[150]

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Die erste Möglichkeit der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes ist die Nichtigkeitsklage. Deren Zulässigkeit ist an gewisse Bedingungen geknüpft. Im Einzelnen betreffen diese das von der antragstellenden Partei nachzuweisende Klageinteresse (1), die Fristen (2) sowie die Form des Antrags (3).

(1) Das Klageinteresse

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Seit 1988 kann jede natürliche oder juristische Person,[151] die ein Interesse nachweist,[152] unmittelbar eine Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof einreichen. Somit wurde die sogenannte „Popularklage“ ganz bewusst ausgeschlossen. Ohne sich in Details der komplexen und umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofes in diesem Bereich zu verlieren,[153] seien hier lediglich die Hauptcharakteristika des Klageinteresses aufgezeigt.

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Die antragstellende Partei, die den Nachweis über das Vorliegen des Klageinteresses zu führen hat, muss beweisen, dass dieses sich vom Allgemeininteresse unterscheidet.[154] Zudem muss sie darlegen, inwiefern sie selbst von dem Gesetz betroffen ist.[155] Im Allgemeinen verwirft der Gerichtshof ein zu hypothetisches Interesse.[156] Es reicht also nicht, dass die antragstellende Partei lediglich nachweist, dass die Bestimmung auf sie anwendbar ist. Sie muss konkret aufzeigen, dass sich die Bestimmung für sie nachteilig auswirkt oder dass sie ihr einen Schaden verursachen könnte. Zudem verlangt der Gerichtshof, dass das Interesse (bereits bzw. noch) gegenwärtig sein muss. Er erkennt jedoch an, dass es sich nicht um ein sofort durchzusetzendes Interesse handeln muss.[157] Der Gerichtshof scheint das Klageinteresse in Abhängigkeit von der behaupteten Rechtsverletzung unterschiedlich auszulegen. Es wird offensichtlich umso leichter angenommen, je grundlegender das zu schützende Recht ist.[158]

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Im Übrigen bezieht sich der Gesetzgeber, indem er den Ausdruck „jegliche Person“ verwendet, sowohl auf natürliche als auch auf juristische Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Auch der Gerichtshof verwendet diese Formulierung und gesteht insbesondere Gemeinden,[159] Berufsvereinigungen[160] oder auch gemeinnützigen Einrichtungen[161] ein Klagerecht zu.

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Nach Art. 2 Nr. 1, 3 SGVerfGH kann eine Nichtigkeitsklage auch von sogenannten institutionellen Klägern eingereicht werden. Als staatliche Stellen genießen sie ein besonderes Privileg: Sie müssen kein Klageinteresse nachweisen. Allerdings kommt nur den explizit aufgeführten Institutionen diese Ausnahme zugute. Gemäß Art. 2 Nr. 1 SGVerfGH gelten als institutionelle Kläger zunächst die Organe der Exekutive. Hierbei handelt es sich um den föderalen Ministerrat, die wallonische Regierung, die flämische Regierung, die Regierung der Französischen Gemeinschaft, die Regierung der Flämischen Gemeinschaft, die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft und die Regierung von Brüssel-Hauptstadt. Hinzu kommen das Vereinigte Kollegium der Gemeinsamen Gemeinschaftskommission von Brüssel-Hauptstadt und das Kollegium der Französischen Gemeinschaftskommission.[162] Neben den exekutiven Organen können gemäß Art. 2 Nr. 3 SGVerfGH die gesetzgebenden Organe über ihren Präsidenten ebenfalls eine Nichtigkeitsklage einreichen. Als gesetzgebende Organe kommen die föderalen, gemeinschaftlichen oder regionalen gesetzgebenden Versammlungen in Betracht.[163] Da dieser Artikel sich ohne Unterscheidung oder Beschränkung auf alle gesetzgebenden Versammlungen bezieht, hielt es der Gerichtshof für angebracht, auch die Versammlung der Französischen Gemeinschaftskommission einzubeziehen, wenn sie die Kompetenzen ausübt, die ihr in Anwendung von Art. 138 der Verfassung (der sogenannten „Saint-Quentin-Klausel“) von der Französischen Gemeinschaft übertragen wurden.[164] Gleiches scheint auch in Bezug auf die Gemeinsame Gemeinschaftskommission angenommen zu werden.[165] Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass eine Nichtigkeitsklage durch ein gesetzgebendes Organ nur eingereicht werden kann, wenn dies von einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der jeweiligen Versammlung beschlossen wurde.

(2) Die Klagefristen

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Gemäß Art. 3 § 1 SGVerfGH beträgt die Frist für das Einreichen einer Nichtigkeitsklage grundsätzlich sechs Monate ab der Veröffentlichung der Norm im Belgischen Staatsblatt. Die „Unsicherheit“ im Hinblick auf eine potenzielle Nichtigerklärung der Norm soll nicht zeitlich unbegrenzt fortbestehen.[166] Die Frist beginnt auch dann mit der Veröffentlichung, wenn die Norm erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft getreten ist bzw. erst noch in Kraft treten soll.[167]

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Im besonderen Fall einer Nichtigkeitsklage gegen eine Zustimmungsnorm zu einem völkerrechtlichen Vertrag muss diese binnen einer Frist von sechzig Tagen nach der Veröffentlichung eingereicht werden.[168]

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Institutionelle Kläger i.S.d. Art. 2 Nr. 1 SGVerfGH können innerhalb einer neuen weiteren Frist von sechs Monaten zudem in zwei weiteren Konstellationen eine Nichtigkeitsklage gegen eine bestimmte Norm einreichen: einerseits dann, wenn eine Klage gegen eine andere Norm eingereicht wurde, die denselben Gegenstand hat wie die erstere Norm und von einem anderen Gesetzgeber erlassen worden ist; andererseits dann, wenn der Gerichtshof eine andere Norm ganz oder teilweise für nichtig erklärt hat, die denselben Gegenstand wie die erstere Norm hat.[169] Ebenso wird eine neue Frist von sechs Monaten den Privatpersonen, Regierungen und Präsidenten der Versammlungen gewährt, wenn der Gerichtshof auf eine ihm zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage hin erklärt hat, dass eine Norm gegen eine Bestimmung seines Prüfungsmaßstabs verstößt.[170]

(3) Die Form der Klage

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Gemäß Art. 5 SGVerfGH muss eine Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof durch einen Antrag anhängig gemacht werden. Dieser Antrag muss datiert sein, den Gegenstand der Klage angeben und eine Darlegung des Sachverhalts und der Klagegründe enthalten (Art. 6). Zudem muss die antragstellende Partei ihrem Antrag eine Abschrift des Normtextes, der Gegenstand der Klage ist, und gegebenenfalls ihrer Anlagen beifügen (Art. 7).

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Der Antrag muss überdies unterzeichnet sein (Art. 5). Wird die Klage von einer natürlichen oder juristischen Person eingereicht, die ein Klageinteresse nachweist, darf sie von der Person selbst oder von ihrem Rechtsanwalt unterzeichnet werden. Die Bürger können also persönlich vor dem Gerichtshof klagen, ohne von einem Rechtsanwalt vertreten werden zu müssen.[171] Außerdem ist jeder Rechtsanwalt berechtigt, vor dem Verfassungsgerichtshof tätig zu werden.[172] Problematisch ist allerdings, dass es dem Gerichtshof zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich ist, von Amts wegen für eine mittellose Partei einen Rechtsanwalt zu bestellen, da die Modalitäten dieses Beistands durch einen Königlichen Erlass geregelt werden müssen, der bisher noch nicht verabschiedet wurde.[173]

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Schließlich sind die vorgenannten Vorschriften um Art. 82 SGVerfGH zu ergänzen. Dieser sieht generell vor, dass alle Verfahrensunterlagen dem Gerichtshof per Einschreiben zuzusenden sind. Dementsprechend muss auch die Nichtigkeitsklage per Einschreiben eingereicht werden.

bb) Der Aussetzungsantrag[174]

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Eine Nichtigkeitsklage hat als solche keine suspendierende Wirkung. Der Antragsteller muss die Aussetzung der beanstandeten Norm ausdrücklich beantragen. Somit ist dieser Antrag ein Annex der Nichtigkeitsklage: Ein Aussetzungsantrag darf nur gegen eine Norm oder den Teil einer Norm eingereicht werden, die auch Gegenstand einer Nichtigkeitsklage ist. Er kann entweder unmittelbar zusammen mit der Einlegung der Nichtigkeitsklage oder zu einem späteren Zeitpunkt als getrennter Antrag gestellt werden. Allerdings ist ein Aussetzungsantrag nur zulässig, wenn er binnen einer Frist von drei Monaten nach der Veröffentlichung der Norm eingereicht wird.[175]

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Die Aussetzung der Norm kann nur beschlossen werden, wenn der Aussetzungsantrag die Bedingungen von Art. 20 Nr. 1 SGVerfGH erfüllt. Der Antragsteller muss ernsthafte Klagegründe vorbringen[176]; ihm obliegt die Beweislast dafür,[177] dass ihm die Anwendung der streitgegenständlichen Norm einen schwer wiedergutzumachenden und ernsthaften Nachteil zu verursachen droht.[178] Diese beiden Bedingungen müssen kumulativ erfüllt werden,[179] wobei der Gerichtshof allerdings präzisiert, dass zwischen ihnen kein notwendiger Zusammenhang bestehen muss.[180]

 

121

Angesichts dieser Anforderungen und der strengen diesbezüglichen Kontrolle des Gerichtshofes sind Aussetzungsentscheidungen selten. Denn der Gerichtshof legt eine außerordentliche Strenge an den Tag, wenn es darum geht, das Bestehen eines drohenden schwer wiedergutzumachenden und ernsthaften Nachteils anzuerkennen. So ordnet er beispielsweise nur äußerst selten die Aussetzung einer Norm an, wenn lediglich ein finanzieller Nachteil geltend gemacht wird.[181]

cc) Die präjudizielle Frage (konkrete Normenkontrolle)[182]

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Die zweite Möglichkeit der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes besteht in Gestalt eines Vorabentscheidungsverfahrens, das allen Gerichten offensteht. Im Unterschied zur Nichtigkeitsklage handelt es sich bei einer solchen präjudiziellen Frage um einen Dialog zwischen zwei Richtern im Rahmen eines konkreten Rechtsstreits. Daher besteht für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens auch keine Frist.[183] Zudem kann der Gerichtshof, wenn er mit Rechtsstreitigkeiten in präjudiziellen Fragen befasst ist, nur die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Norm feststellen, sie jedoch nicht für nichtig erklären.

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Bei der Ausarbeitung dieses Mechanismus hat der belgische Gesetzgeber sich größtenteils an entsprechenden Verfahren auf europäischer Ebene und auf Ebene der Beneluxstaaten orientiert. Er „ist jedoch in einem grundlegenden Punkt davon abgewichen, da die Frage, mit der der Gerichtshof befasst werden kann, eine Frage nach der Gültigkeit einer Norm mit Gesetzesrang im Verhältnis zur Verfassung ist, und zwar grundsätzlich unter Ausschluss aller Auslegungsfragen; diese Fragen bleiben nämlich das Monopol des Tatsachenrichters unter der Kontrolle des Kassationshofes oder des Staatsrates.“[184]

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Im Folgenden sollen die Verpflichtung des ordentlichen Richters, den Verfassungsgerichtshof mit einer präjudiziellen Frage zu befassen, sowie die Ausnahmen zu diesem Grundsatz untersucht werden (2–3). Zunächst ist jedoch auf die Frage einzugehen, welche Gerichte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorlageberechtigt sind (1).

(1) Die vorlageberechtigten Gerichte

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Dem Wortlaut von Art. 142 der Verfassung zufolge kann eine präjudizielle Frage nur durch ein Rechtsprechungsorgan gestellt werden. Da dieser Begriff weder in der Verfassung noch im SGVerfGH definiert wird,[185] hat der Gerichtshof im Urteil Nr. 65/1996 vom 13. November 1996 selbst festgelegt, was er unter einem „Rechtsprechungsorgan“ versteht. In dieser Entscheidung macht der Gerichtshof umfangreiche und präzise Aussagen zu den wesentlichen Merkmalen einer solchen Instanz. Ihm zufolge leitet sich der rechtsprechende Charakter eines Organs aus seiner Zusammensetzung und der Art ab, in der seine Mitglieder ernannt werden.[186] Deren Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gegenüber der Verwaltung muss gewährleistet sein.[187] Der rechtsprechende Charakter eines Organs ergibt sich ebenfalls aus den ihm zugewiesenen Ermittlungs- und Untersuchungsbefugnissen sowie aus den verfahrensrechtlichen Garantien (kontradiktorische Verhandlung, Begründungspflicht[188] und Bestehen von Klagemöglichkeiten), durch die es sich auszeichnet.[189] Insofern sind es also formale Kriterien (Ernennung, Zuständigkeiten, Verfahrensmerkmale), die der Gerichtshof für die Bestimmung eines Rechtsprechungsorgans zugrunde legt.

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Teilweise greift der Gerichtshof aber auch auf ein vorwiegend materielles Kriterium zurück und beurteilt die rechtsprechende Natur eines Organs nach der Art der durch dieses getroffenen Entscheidungen.[190] So hat der Gerichtshof beispielsweise entschieden, dass die sogenannte Permanentdeputation – ein ausführendes Organ auf Ebene der Provinz – nicht als Verwaltungsgericht, sondern als Verwaltungsbehörde tätig ist, wenn sie eine Entscheidung unter Berücksichtigung dessen trifft, „was das Gesetz vorschreibt, aber auch [dessen], was das Allgemeininteresse erfordert“.[191]

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Stets können sowohl die ordentlichen Gerichte als auch die Verwaltungsgerichte, die beruflichen Disziplinarkollegien[192] und die sogenannten Zusammenarbeitsgerichte (juridictions de coopération) als Rechtsprechungsorgane im Sinne von Art. 142 der Verfassung angesehen werden.[193]

(2) Die grundsätzliche Vorlagepflicht

128

Der Wortlaut von Art. 26 § 2 SGVerfGH ist klar: „Wird eine solche Frage vor einem Gericht aufgeworfen, muss dieses den [Verfassungsgerichtshof] ersuchen, über diese Frage zu befinden“.[194]

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Allerdings wird durch Art. 26 § 2 lediglich der Fall geregelt, dass die präjudizielle „Frage vor einem Gericht aufgeworfen wird.“ Nach dem Wortlaut bleibt jedoch offen, ob der Richter, falls eine solche Aufforderung durch die Parteien nicht erfolgt, berechtigt oder sogar verpflichtet ist, sich von Amts wegen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens an den Verfassungsgerichtshof zu richten. Diese Problematik berührt den Ordre-public-Charakter der Verfassungsbestimmungen, für deren Beachtung der Gerichtshof Sorge trägt, und ist sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Rechtslehre umstritten.[195]

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So vertritt beispielsweise Patricia Popelier die Ansicht, dass ein Verstoß gegen eine Regel der Zuständigkeitsverteilung den ordre public betrifft. Gleiches gilt für eine Verletzung der Grundrechte. Die Grundsätze der Gleichheit und Nichtdiskriminierung sollen hingegen nicht in diese Kategorie fallen.[196] Eine entsprechende Einordnung wirkt sich nicht nur unmittelbar auf eine etwaige Vorlagepflicht des Richters im Ausgangsverfahren aus, sondern auch auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt im Verlaufe des Verfahrens eine präjudizielle Frage noch gestellt werden darf.[197]

(3) Die Ausnahmen von der Vorlagepflicht

131

In Art. 26 SGVerfGH wird die grundsätzliche Verpflichtung, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten, in mehrfacher Hinsicht durch Ausnahmen relativiert. Es muss allerdings unterschieden werden zwischen den für alle Rechtsprechungsorgane geltenden Ausnahmen (a) und denjenigen, die nur für Tatsacheninstanzen gelten, gegen deren Entscheidungen Rechtsmittel eingelegt werden können (b). Für beide Konstellationen gilt, dass es dem Richter freisteht, sich auf eine der Ausnahmen zu berufen oder nicht. So kann er in völliger Unabhängigkeit entscheiden, dem Verfassungsgerichtshof eine präjudizielle Frage zu stellen, auch wenn er eigentlich davon absehen könnte.[198]

(a) Allgemeine Ausnahmen

132

Der Richter ist nicht verpflichtet, den Verfassungsgerichtshof zu befassen, wenn:



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Die beiden letzten Ausnahmen sind nur dann anwendbar, wenn kein ernsthafter Zweifel an der Vereinbarkeit der betreffenden Norm mit den vom Gerichtshof zu wahrenden Bestimmungen besteht und insofern beim Gerichtshof nicht bereits eine Nichtigkeitsklage oder eine präjudizielle Frage mit demselben Gegenstand anhängig ist.[203]

134

Diese vier Ausnahmen wurden durch das Gesetz vom 12. Juli 2009 ergänzt.[204] Danach bezieht sich der neue Art. 26 § 4 auf den besonderen Fall, dass ein Grundrecht des Titel II der Verfassung vollständig oder teilweise auch durch eine Bestimmung des Europa- oder Völkerrechts gewährleistet wird. In diesem Fall ist das Gericht verpflichtet, dem Verfassungsgerichtshof zuerst im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage nach der Vereinbarkeit der angegriffenen Norm mit der Bestimmung von Titel II der Verfassung vorzulegen. Die Vorlagepflicht gilt jedoch nicht, wenn das Gericht der Meinung ist,



(b) Spezifische Ausnahmen

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Für ein Gericht, gegen dessen Entscheidungen Rechtsmittel eingereicht werden können, gelten zusätzlich zu den allgemeinen noch weitere Ausnahmen. Ein solches Gericht ist dann ebenfalls nicht vorlagepflichtig, wenn es der Ansicht ist, die Gesetzesnorm verstoße offensichtlich[208] nicht gegen die Verfassung[209] oder die Antwort auf die Vorabentscheidungsfrage sei nicht entscheidungserheblich.[210]

136

Im Rahmen von Art. 26 § 2 Abs. 2 bzw. des neuen Art. 26 § 4 SGVerfGH gestattet der Gesetzgeber dem Richter, gegen dessen Entscheidungen Rechtsmittel eingereicht werden können, zu überprüfen, ob eine Gesetzesnorm offensichtlich nicht gegen die Verfassung verstößt. Somit überlässt er dem Richter auch die Beurteilung der Frage, ob es angezeigt ist, sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu wenden. Dies führt dazu, dass der Gesetzgeber die Tragweite der Ausnahmen nicht nur bedeutend vergrößert, sondern insbesondere dem Richter die Möglichkeit eröffnet hat, selbst die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesnormen zu beurteilen, deren Anwendung er beabsichtigt.[211] Eine derartige dezentrale Verfassungskontrolle ist gegenüber Art. 142 der Verfassung, der dem Verfassungsgerichtshof insofern eine Monopolstellung einräumt, nur schwer zu rechtfertigen.[212] Daher ist es wünschenswert, dass die Gerichte von dieser Ausnahme einen möglichst sparsamen Gebrauch machen.[213]

137

Verweigert ein Gericht die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens, muss es die Gründe für diese ablehnende Entscheidung nennen. Gegen diese Entscheidung kann jedoch kein eigenständiges Rechtsmittel eingelegt werden.[214]

138

Schließlich muss daran erinnert werden, dass der Gesetzgeber durch das Sondergesetz vom 9. März 2003 den Art. 26 SGVerfGH um einen Paragraphen 1bis ergänzt hat. Dieser nimmt nunmehr vom Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofes in präjudiziellen Fragen die Gesetze, Dekrete und Ordonnanzen aus, durch die einem Gründungsvertrag der Europäischen Union, der EMRK oder einem Zusatzprotokoll zu dieser Konvention zugestimmt wird.[215]