Ius Publicum Europaeum

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a) Rechtmäßigkeitskontrolle

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Vor diesem Hintergrund gehört die formelle und materielle Rechtmäßigkeit behördlicher Maßnahmen in allen Rechtsordnungen zum gerichtlichen Prüfungsmaßstab. Das gilt grundsätzlich auch für Frankreich. Zwar hält die Rechtsprechung beim recours pour excès de pouvoir hier nach wie vor an der traditionellen Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf bestimmte Aufhebungsgründe – Unzuständigkeit (incompétence), Form- und Verfahrensfehler (vice de forme et de procédure), materielle Rechtsfehler (violation de la loi) und Ermessensmissbrauch (détournement de pouvoir) – fest.[240] In der Sache hat diese Typologie aber freilich erheblich an Bedeutung verloren, sodass ungeachtet der – sich z.T. überschneidenden – Zuordnung zu einem der Aufhebungsgründe letztlich auch hier alle Fragen der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Überprüfung unterliegen.[241]

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Mitunter führt allerdings nur die Verletzung wesentlicher Verfahrens- und Formvorschriften zur Aufhebung des angegriffenen Aktes. Das gilt sowohl für das stark an der Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit ausgerichtete Deutschland[242] wie für Frankreich[243] oder auch für Griechenland.[244] Das konterkariert den auf vielen Feldern unausweichlichen Rückgriff des Gesetzgebers auf die Prozeduralisierung und kollidiert typischerweise mit gleichsinnigen Vorgaben des Unionsrechts. Dezidiert anders verfahren daher – trotz vergleichbarer Betonung der individualschützenden Funktion des Rechtsschutzes – Großbritannien,[245] Portugal[246] und wohl auch Spanien.[247]

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Deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Verwaltungsrechtsordnungen bestehen auch in der Frage der gerichtlichen Überprüfung der behördlichen Sachverhaltsfeststellung. Während die Tatsachengrundlage in Deutschland uneingeschränkter gerichtlicher Prüfung unterliegt, sind die Gerichte in anderen Rechtsordnungen zu einer die behördlich festgestellte Aktenlage ergänzenden Beweiserhebung nur eingeschränkt berechtigt.[248] Spannungen zwischen Rechtsschutzgarantie und dem Grundsatz der Gewaltenteilung,[249] dem republikanischen Prinzip (Gemeinwohl) oder dem Demokratieprinzip[250] kann der Gesetzgeber freilich unterschiedlich auflösen.

b) Ermessen, unbestimmte Rechtsbegriffe, Zweckmäßigkeitskontrolle

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Alle europäischen Rechtsordnungen kennen eine Rücknahme gesetzlicher Handlungsmaßstäbe in Form von Ermessensspielräumen, finalen Entscheidungsprogrammen, Beurteilungs-, Einschätzungs- und Prognosespielräumen, Konkretisierungsermächtigungen oder Risikoentscheidungen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.[251] Soweit die gerichtliche Kontrolle ihrem Wesen nach eine gesetzesakzessorische Kontrolle ist,[252] kann sie nicht weiter reichen als die materiell-rechtlichen Bindungen der Exekutive.[253] Dies bedingt – mit Unterschieden im Detail – eine entsprechend zurückgenommene gerichtliche Kontrolldichte, die auf die Einhaltung der Grenzen des eingeräumten Handlungsspielraums beschränkt bleibt. Die Abschichtung von gesetzlicher Bindung und exekutivem Gestaltungsfreiraum bereitet in der Praxis Schwierigkeiten, auch wenn man – wie namentlich in Deutschland[254] – zwischen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffen und einem nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessen der Behörden unterscheidet, weil unbestimmte Rechtsbegriffe oftmals „wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig [sind], daß die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt.“[255]

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Soweit sich die gerichtliche Kontrolle in einzelnen Rechtsordnungen darüber hinaus auf eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit erstreckt[256] – so in Polen,[257] Schweden,[258] teilweise auch der Schweiz[259] oder Großbritannien[260] –, geht es eher um auf historischen Gründen beruhende Ausnahmen, die zwar auch einen Aspekt des Verwaltungsrechtsschutzes im europäischen Rechtsraum ausmachen, für dessen verfassungsrechtliche Prägung jedoch nicht zentral sind.

§ 127 Zur verfassungsrechtlichen Prägung des Verwaltungsrechtsschutzes im europäischen Rechtsraum › V. Praktische Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Prägung des Verwaltungsrechtsschutzes › 8. Ausschluss und Beschränkung des Rechtswegs

8. Ausschluss und Beschränkung des Rechtswegs

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Von der Rücknahme der Kontrolldichte zu unterscheiden sind bereichsbezogene Ausnahmen oder Beschränkungen des Individualrechtsschutz gegenüber rechtsverletzendem Verwaltungshandeln. Sie sind in den einzelnen Rechtsordnungen in unterschiedlichem Umfang vorgesehen oder zugelassen.

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In Deutschland verbietet die vorbehaltlos gewährleistete Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG einen vollständigen Ausschluss des Rechtswegs;[261] da ein solcher Ausschluss auch ihren Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) berühren würde, ist er dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten.[262] Im Grundgesetz vorgesehene Ausschlüsse oder Beschränkungen des Rechtswegs finden sich nur vereinzelt, wobei es sich um punktuelle, jeweils auf besonderen Sachgründen beruhende und anderweitig kompensierte Ausschlüsse handelt.[263]

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Andere Verfassungen sind hier großzüger. So sieht etwa in der Schweiz Art. 29a Satz 2 BV vor, dass Bund und Kantone „durch Gesetz die richterliche Beurteilung in Ausnahmefällen ausschliessen“ können. Der Bundesgesetzgeber hat davon zwar selbst in Art. 32 VGG und Art. 83–85 BGG Gebrauch gemacht, andererseits aber weiteren Ausnahmen durch die Kantone enge Grenzen gezogen.[264] In Frankreich nimmt die Theorie der sog. actes du gouvernement nach wie vor bestimmte Entscheidungen der Exekutive von der gerichtlichen Kontrolle aus; allerdings schließt der Conseil d’État die insoweit bestehende Schutzlücke für von der Entscheidung Betroffene entweder mit der Annahme eines abtrennbaren justitiablen Aktes (sog. théorie des actes détachables) oder unter Rückgriff auf einen Gleichheitsverstoß.[265] In Spanien hat die Rechtsprechung des Tribunal Supremo dagegen die früher z.T. gesetzlich von der gerichtlichen Kontrolle ausgenommenen actos políticos durch eine verfassungskonforme Auslegung des Verwaltungsprozessrechts im Lichte von Art. 106 CE der gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Die Kategorie der actos políticos ist damit beseitigt.[266]

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Insgesamt haben Ausmaß und Intensität der gerichtlichen Kontrolle gegenüber der Verwaltung in den letzten Jahrzenten in ganz Europa zugenommen,[267] sowohl durch die Entfaltung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien als auch unter dem Eindruck der teilweise weitergehenden Anforderungen von Unionsrecht und EMRK.

§ 127 Zur verfassungsrechtlichen Prägung des Verwaltungsrechtsschutzes im europäischen Rechtsraum › VI. Verwaltungsrechtsschutz zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in gemeineuropäischer Perspektive

VI. Verwaltungsrechtsschutz zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in gemeineuropäischer Perspektive

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Konstitutionalisierung, Europäisierung und Internationalisierung des Verwaltungsrechtsschutzes haben europaweit einen Ausbau des Rechtsschutzniveaus gegenüber der Verwaltung durch unabhängige Gerichte befördert – vornehmlich unter dem Blickwinkel des Individualschutzes. Verlaufen die nationalen Anpassungsprozesse im europäischen Rechtsraum mit Blick auf die Anforderungen des Unionsrechts und der EMRK auch nicht immer spannungsfrei – und auch nicht immer nur in Richtung auf einen höheren Rechtsschutzstandard, als ihn das nationale (Verfassungs-)Recht bislang gewährleistet –, ist doch eine weitreichende Angleichung der Systeme des Verwaltungsrechtsschutzes unverkennbar.

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Damit haben sich die unterschiedlichen Konzepte des Verwaltungsrechtsschutzes ein Stück weit relativiert. Das betrifft insbesondere die Frage der primär subjektiv-rechtlichen, d.h. dem Individualrechtsschutz dienenden, oder auf eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle zielenden Ausrichtung des Verwaltungsrechtsschutzes. Dabei darf mit Blick auf Frankreich und die seinem Modell mehr oder weniger folgenden Verwaltungsrechtsordnungen wie etwa Polen nicht übersehen werden, dass Individualrechtsschutz und objektive Rechtmäßigkeitskontrolle dort von vornherein nicht in einen Gegensatz gebracht, sondern als Einheit verstanden worden sind, indem der Einzelne – ohne dass es auf eine subjektive Betroffenheit ankäme, aber freilich gerade auch dann – die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns auf seine Rechtmäßigkeit hin auslöst. Mag damit historisch – ungeachtet des grundsätzlich leichteren Zugangs zu den Gerichten – in der konkreten Ausgestaltung des Verwaltungsrechtsschutzes ursprünglich ein niedrigeres Niveau an Individualschutz verbunden gewesen sein, so kann dies heute als weitgehend erledigt gelten.

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Deutschland erlebt mit seiner ausgeprägten Fixierung auf den Individualrechtsschutz im Hinblick auf die Modernisierung des Verwaltungsrechtsschutzes sowie seine Europäisierung und Internationalisierung hingegen Akzentverschiebungen in die entgegengesetzte Richtung.[268] Zwar hat der EuGH an der individualschutzzentrierten Grundausrichtung des deutschen Rechtsschutzsystems keinen Anstoß genommen;[269] dieses tut sich aber doch zunehmend schwer mit der Implementation unionsrechtlich und international induzierter Popular- und Verbandsklagen,[270] was zu mitunter grotesk wirkenden Konstruktionen führt.[271] Während der europäische und internationale Anpassungsdruck für andere Rechtsordnungen Triebfeder für den Ausbau des Individualrechtsschutzes war, ist er in Deutschland daher Anlass zu einer Perspektivenerweiterung und könnte auch Anstoß für einen weitergehenden Funktionswandel des Verwaltungsrechtsschutzes sein. Der Systementscheidung für den Individualrechtsschutz in Art. 19 Abs. 4 GG liegt die für das GG insgesamt prägende „liberale“ Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zugrunde,[272] d.h. die Vorstellung vom Bürger als gleichsam natürlichem Widerpart der Verwaltung, deren Eingriffe in seine Rechtssphäre er mit Hilfe (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutzes abzuwehren oder auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken sucht. Im Ausgangspunkt ist das für die grundgesetzliche Konzeption des Rechtsstaats sicher richtig und zeitlos gültig,[273] weil auch der demokratische Staat immer zum „Leviathan“ mutieren kann.[274] Die damit verbundene Rollenzuweisung an den Bürger, der sich, pointiert gesagt, um seine Privatinteressen kümmern, die Sorge um das Gemeinwohl jedoch der „Obrigkeit“ überlassen soll, nimmt sich im demokratischen Rechtsstaat aber unangemessen und überholt aus. Die grundsätzliche Bindung des Verwaltungsrechtsschutzes an die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte verweist den Bürger letztlich auf die Rolle des „bourgeois“.[275] In dieser Interpretation besitzt die Garantie effektiven Rechtsschutzes als „Schlussstein des Rechtsstaats“ eine durchaus obrigkeitsstaatliche Konnotation. Das kann nicht das letzte Wort sein. So sehr die Fixierung des Verwaltungsrechtsschutzes auf den Individualrechtsschutz vor dem Hintergrund des Zivilisationsbruchs der NS-Zeit aus dem Bemühen nach 1949 um die Perfektionierung des Rechtsstaats zu erklären sein mag,[276] so unangemessen ist doch deren Verabsolutierung.[277]

 

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In Frankreich hat sich in der Vorstellung, das gerichtliche Verfahren diene auch oder gar in erster Linie der Gewährleistung des Legalitätsprinzips, dagegen das Leitbild des „citoyen“ verwirklicht, wonach sich der einzelne Bürger durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes auch um das Gemeinwohl sorgen kann und darf. Öffnet man sich daher der in Frankreich,[278] aber auch in Belgien,[279] Großbritannien,[280] Polen,[281] Schweden[282] und Ungarn[283] oder auf Ebene der Europäischen Union[284] geläufigen Einsicht, dass (Verwaltungs-)Rechtsschutz notgedrungen immer auch eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltung beinhaltet und dadurch der Implementation rechtlicher Maßstäbe dient, erleichtert das nicht nur, den Beitrag zu erkennen und einzuordnen, den eine Klägerin/ein Kläger für die Aufrechterhaltung und Durchsetzung des Gesetzmäßigkeitsprinzips leistet. Es erschließt auch eine demokratiespezifische Ventil- oder Kompensationsfunktion des (Verwaltungs-)Rechtsschutzes und seinen möglichen Beitrag zur Sicherung eines hinreichenden demokratischen Legitimationsniveaus[285] staatlicher Entscheidungen.[286]

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Eine Brücke zu einer objektiven Dimension des Rechtsschutzes findet sich im Übrigen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der seit 1993 auf der Grundlage von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG entfalteten Rechtsprechung zum „Anspruch“ bzw. „Recht auf Demokratie“,[287] die das Wahlrecht – und damit verbunden die Rügefähigkeit im Verfahren der Verfassungsbeschwerde – inhaltlich um den Schutz vor einer dauerhaften Entleerung der politischen Mitbestimmungsmöglichkeit angereichert hat. Das relativiert ein Stück weit die aus dem Liberalismus und Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts überkommene kategorische Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft, dem ausschließlich gemeinwohlbezogenen Staatsorganisationsrecht und den dem Individualschutz dienenden Grundrechten, und nimmt den Bürger erstmals[288] in seiner Rolle als „citoyen“ ernst.[289] In diesem Sinn erscheint auch die in Bayern bereits seit 1946/47 vorgesehene Popularklage (Art. 98 Satz 4 BayVerf., Art. 55 BayVfGHG), die es dem Bürger ermöglicht, auch an der Kontrolle der Politik ohne die Rüge einer subjektiven Rechtsverletzung mitzuwirken, weniger als landesspezifische Skurrilität, denn als eine demokratiespezifische verfassungsrechtliche Innovation, die ihrer Zeit weit voraus war.[290]

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Das hier aufscheinende Verständnis eines demokratisch radizierten status procuratoris vermag die objektiv-rechtliche Dimension des Verwaltungsrechtsschutzes angemessen zu erfassen und seine integrative Wirkung dogmatisch zu reflektieren und ermöglicht darüber hinaus einen bruchlosen Anschluss an unionsrechtliche Vorgaben.[291] Vor allem aber ermöglichte es den Brückenschlag zu der französisch radizierten Konzeption des Verwaltungsrechtsschutzes und trüge damit zur Herausbildung eines gemeineuropäischen Verwaltungsrechtsschutzes bei, in dem sich individualschützende und objektiv-rechtliche Funktionen gleichermaßen niedergeschlagen haben.[292]

§ 127 Zur verfassungsrechtlichen Prägung des Verwaltungsrechtsschutzes im europäischen Rechtsraum › Bibliographie

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§ 127 Zur verfassungsrechtlichen Prägung des Verwaltungsrechtsschutzes im europäischen Rechtsraum › Anhang: Der Fragebogen

Anhang: Der Fragebogen

I. Genese und Entwicklung

1. Vorgängerinstitutionen, gerade auch administrative Rechtsschutzverfahren, historischer Kontext der Einrichtung (bzw., etwa im Vereinigten Königreich oder Schweden, die Entwicklung der verwaltungsgerichtlichen Funktion der ordentlichen Gerichte), dabei Einflüsse von außen, bei jüngeren Institutionen gerade auch der europäische Kontext

2. Wesentliche Entwicklungslinien, dabei wichtige Krisen und Konflikte

3. Die Rolle und die Etablierung der Selbständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Entwicklung und Transformation des Landes (gerade in Mittel- und Osteuropa nach dem Mauerfall)

4. Welche Vor- und Nachbilder in anderen Mitgliedstaaten gibt es?

II. Rollen und Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit

1. Objektiver und/oder subjektiver Rechtsschutz? Schutz der individuellen Rechte und/oder der öffentlichen Interessen (Legalitätsprinzip; einheitlicher Verwaltungsvollzug)?

2. Einordnung im Schema der Gewaltenteilungslehre, Verhältnis zu den politischen Staatsorganen und zur Verwaltung (Ernennung, Vita von Richtern, Verfahrensarten, royal prerogative, acte de gouvernement etc.)

3. Stellung in der Gerichtsbarkeit

a) Verhältnis zur ordentlichen Gerichtsbarkeit

b) Verhältnis zur Verfassungsgerichtsbarkeit (typische Konflikte, z.B. Normenkontrolle, Wahlstreitigkeiten)

c) Verfassungsdimension der Verwaltungsgerichte; vor allem Bedeutung der Grundrechte in der Verwaltungsrechtsprechung

d) Zuständigkeitskonflikte zwischen den Gerichtsbarkeiten und ihre Lösungsformen (z.B. Tribunal des conflits, spezielle ad-hoc-Richterkammer etc.)

e) Funktionale Äquivalente der Verwaltungsgerichtsbarkeit: Inwiefern wurden und werden verwaltungsgerichtliche Funktionen durch die Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit wahrgenommen oder durch ein Verfassungsgericht?

4. Verwaltungsgerichtsbarkeit und verwaltungsinterner Rechtsschutz

5. Verwaltungsgerichtsbarkeit und neue Formen der Streitbeilegung

6. Selbstverständnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Deutungsangebote in der Dogmatik und Theorie

7. Interaktion von Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtswissenschaft; wissenschaftliche Begleitung der Verwaltungsgerichtsbarkeit/Verhältnis von Wissenschaft und Praxis

8. Die Rolle in der Entwicklung des Verwaltungsrechts (insb. in der Entwicklung der Grundsätze des Verwaltungsrechts)

9. Allgemeine Einschätzung der Funktionalität des Systems

III. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext

1. Verfassungsrechtliche Grundlagen: verfassungsrechtliche Grundsätze (inkl. verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit)

2. Die Institution, Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit

a) Aufbau der Spruchkörper (Einzelrichter, Kammern, Schöffen etc.), Stellung der Richter (insbes. hinsichtlich richterlicher Unabhängigkeit), Einbindung in größere Zusammenhänge (etwa Unterstellung unter ein bestimmtes Ministerium)

b) Wie sieht die Ausbildung/Sozialisation der Richter aus? Wie erfolgt die Besetzung/Richterwahl? (Berücksichtigung der Bevölkerungsstruktur/-zusammensetzung bzw. Parteienproporz? Gibt es Ämterpatronage?)

 

c) Instanzen (untere Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte)?

d) Organisationsstruktur in Bundesstaaten (nationale Standardisierung oder föderalistische Vielfalt; Verwaltungsgerichtsbarkeit als primäre Aufgabe der Gliedstaaten oder des Bundes; parallele Instanzenzüge Gliedstaaten/Bund oder Überlagerung der Instanzenzüge)?

e) Funktionale Ausdifferenzierung der Gerichtsorganisation (etwa Finanzgerichtsbarkeit in Deutschland, Asylgerichtshof in Österreich, Bau- und Steuergerichte in der Schweiz)? Gibt es Sonderverwaltungsgerichte? Lässt sich ein Trend zur funktionalen Ausdifferenzierung beobachten?

f) Anzahl der Gerichte/der Richter pro Einwohner

3. Verfahren

a) Zugang

(1) Gibt es einen generellen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen (Rechtsweggarantie) oder gibt es Bereiche, die von der gerichtlichen Kontrolle ausgenommen sind? (Wenn ja, welche?)

(2) Wie ist das Verhältnis zum verwaltungsinternen Rechtsschutz bzw. zu „quasi-gerichtlichen“ Rechtsschutzorganen (etwa tribunals in England, unabhängige Verwaltungssenate in Österreich, Rekurskommissionen in der Schweiz)? Oder anders formuliert: Sind die Verwaltungsgerichte die ersten und einzigen Rechtsschutzorgane oder ergänzen sie andere, vorgeschaltete Rechtsschutzmöglichkeiten?

(3) Wie sind die Kompetenzen der Verwaltungsgerichte umschrieben (Generalklausel/Enumeration)?

(4) Wie ist die Beschwerdeberechtigung bzw. Klagebefugnis geregelt? (Individualklage/Massenklage/Verbandsklage/Popularklage; Sonderformen, z.B. Organklage, Statusklage; Müssen rechtlich geschützte Interessen verletzt sein? Genügt ein bloß schutzwürdiges Interesse?)

(5) Funktion des Klägers im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Betroffener, Indienststellung zur Ermöglichung zentraler Verwaltungskontrolle)

b) Die wichtigsten Verfahrensarten

(1) Bitte in ihrer rechtlichen und politischen Bedeutung darstellen.

(2) Es wäre schön, dies mit Zahlen/Statistiken anzureichern: wie viele Verfahren insgesamt, wie viele in den einzelnen Verfahrensarten, Schwerpunkte der Tätigkeit nach Rechtsgebieten, Ausgang

(3) Handlungsformorientierung des Verwaltungsrechtsschutzes? Verwaltungsgerichtliche Kontrolle nur von Einzelakten (rechtliche; faktische)? Gibt es verwaltungsprozessuale Normenkontrollverfahren? Findet ggf. eine inzidente Normenkontrolle statt? Gibt es vorbeugenden Rechtsschutz?

(4) Welche Rolle spielt der einstweilige/vorläufige Rechtsschutz? Wie ist er geregelt? Wie entscheidet das Gericht? Welche Rechtsbehelfe sind gegen die Entscheidung vorgesehen? Verhältnis zur Hauptsacheentscheidung?

c) Die Verfahrensgrundsätze (mit Bezug zu Art. 6 EMRK, Art. 41 und Art. 47 GRCh)

(1) Unparteilichkeit

(2) Entscheidung innerhalb angemessener Frist (Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer?)

(3) Untersuchungsgrundsatz/Beibringungsgrundsatz; Beweislast

(4) Anhörungs- und Informationsrechte (inkl. Akteneinsicht)

(5) Einbeziehung Dritter in das Verfahren, z.B. Beiladung, Vertreter des öffentlichen Interesses, amicus curiae, advisory declarations

(6) Öffentlichkeit des Verfahrens und Öffentlichkeit der Urteilsverkündung

(7) Kostenfairness

(8) Begründungspflicht

4. Kontrolldichte und Entscheidung

a) Kontrolldichte

(1) Darf der Sachverhalt überprüft werden?

(2) Dürfen Ermessensfragen überprüft werden?

(3) Maßstäbe der Kontrolle: reine Rechtmäßigkeits-/Zweckmäßigkeitskontrolle, überprüfungsexempte Bereiche, Kontrolldichte, Ermessen, unbestimmte Rechtsbegriffe, judicial deference, aber auch allgemeine Fehlerlehre, z.B. ultra vires, Verhältnismäßigkeit, Fairness

(4) Gibt es eine Korrelation zur Frage des Zugangs zum Gericht?

b) Entscheidungen

(1) Entscheidungsarten: Feststellung, Aufhebung, Anordnung von Maßnahmen, Gesetzesprägung; verfassungskonforme Interpretation

(2) Die Begründung: Argumentationsformen, Begründungsarten (diskursiv/autoritativ), Rolle der Rechtsvergleichung

(3) Wirkungen von Entscheidungen/Durchsetzung/Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Urteile

5. Rechtsmittel

6. Kompensationsansprüche als Aspekt des Rechtsschutzes: Inwieweit werden Erstattungs- und Staatshaftungsansprüche als funktionales Äquivalent zum verwaltungsgerichtlichen (Primär-)Rechtsschutz verstanden (Stichwort Sekundärrechtsschutz)?

IV. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im europäischen Rechtsraum

1. Schritte der Europäisierung, wichtige Fälle und Konflikte; dies gerade auch mit Blick auf spill-over-Effekte, Systembrüche und Herausforderungen (insbes. im Hinblick auf die Vorgaben der EMRK, Empfehlungen des Europarates)

2. Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip

3. Vorläufiger Rechtsschutz

4. Klagebefugnis und Zugang zum Gericht (Funktion und Zeitgemäßheit der Schutznormtheorie und Interessentheorie)

5. Kontrolldichte

6. Aufstellung im transnationalen Rechtsschutz (transnationaler Verwaltungsakt)

7. Instrumentalisierung der EMRK bzw. des Unionsrechts durch die Justiz? Unabhängige Verwaltungsgerichte als Agenten der Implementation des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten?

8. Gibt es Institutionen/Mechanismen horizontaler Vernetzung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im europäischen Rechtsraum?

9. Kooperation mit dem EuGH (statistische Daten zu Vorabentscheidungsersuchen)

10. Horizontale Kooperation

11. Nationale Verwaltungsgerichte als funktional dezentrale europäische Gerichte?